Kitabı oku: «Kartellrechtliche Schadensersatzklagen», sayfa 11

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a) Anwendbarkeit der EuGVVO

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Die EuGVVO ist auf kartellrechtliche Schadensersatzklagen sachlich anwendbar, weil es sich um „Zivil- und Handelssachen“ i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO handelt.21 Das gilt auch dann, wenn ein Träger von Hoheitsgewalt aufgrund der Entrichtung mutmaßlich kartellbedingt überhöhter Preise eine kartellrechtliche Schadensersatzklage anstrengt22 oder wenn kehrseitig ein solches Verfahren gegen einen (unternehmerisch tätigen) Träger von Hoheitsgewalt eingeleitet wird. Ausgeschlossen werden lediglich Rechtsstreitigkeiten, die im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse stehen.23 Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind damit alle Verfahren, in denen es um die öffentlich-rechtliche Durchsetzung des Kartellrechts geht, vor allem also Rechtsmittel gegen behördliche Bußgeld- oder Verwaltungsentscheidungen.

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Sachlich nicht anwendbar ist die EuGVVO auf außergerichtliche Vergleichsverfahren und Insolvenzverfahren (Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO) sowie auf Verfahren der Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO).

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Bei einer Regressklage zwischen Gesamtschuldnern ist zu differenzieren. Bei einem Gesamtschuldnerinnenausgleich nach einem behördlich verhängten Bußgeld soll die EuGVVO nicht anwendbar sein, weil der Innenausgleich unter den Kartellbeteiligten seinen Ursprung im hoheitlichen Handeln einer Behörde habe.24 Im Fall eines Innenausgleichs zwischen Gesamtschuldnern, die sich einer Schadensersatzklage von Kartellgeschädigten ausgesetzt sehen, handelt es sich hingegen um eine Zivil- und Handelssache i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO.25

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Persönlich ist die EuGVVO auf Parteien anwendbar, die ihren Wohnsitz und damit einen allgemeinen Gerichtsstand innerhalb des Hoheitsbereichs der EuGVVO haben.26 Art. 63 EuGVVO bestimmt, dass Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort haben, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Dabei reicht es, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Es steht der Anwendbarkeit der EuGVVO nicht entgegen, dass der Kläger aus einem Drittstaat kommt.27 Für Dänemark gilt die EuGVVO nicht unmittelbar, ihre Regelungen werden aber durch einen gesonderten Vertrag überwiegend auch auf Dänemark für anwendbar erklärt.28 Die Zuständigkeit für Beklagte aus sog. „Drittstaaten“29 richtet sich gemäß Art. 6 Abs. 1 EuGVVO mit Ausnahme der dort abschließend aufgezählten ausschließlichen Zuständigkeiten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts. Wichtigste ausschließliche Zuständigkeit ist die Parteivereinbarung über die Zuständigkeit nach Art. 25 EuGVVO (Prorogation).

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Weitere Voraussetzung für die Anwendung der EuGVVO ist, dass das Verfahren einen Auslandsbezug aufweist.30 Reine Inlandssachverhalte, bei denen alle Parteien ihren Sitz in dem betreffenden Staat haben und der Rechtsstreit auch keinen sonstigen grenzüberschreitenden Anknüpfungspunkt besitzt, scheiden aus.31 Ein grenzüberschreitender Anknüpfungspunkt soll allerdings schon dann vorliegen, wenn eine nichtdeutsche Partei an dem Rechtsstreit beteiligt ist. Auch sonst wird diese Anwendungsvoraussetzung wenig restriktiv gehandhabt.32 Infolge der wirtschaftlichen Verflechtungen im EU-Binnenmarkt wird der notwendige Drittstaatsbezug jedenfalls bei Klagen aufgrund von Verstößen gegen die Art. 101ff. AEUV, die ihrerseits nur auf Verstöße anwendbar sind, die zu einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels führen können, kaum jemals fehlen.33 So hat das LG München I den Anwendungsbereich der EuGVVO eröffnet, obwohl sowohl die Klägerin, als auch sämtliche Beklagte ihren Sitz im Inland hatten. Das Argument für den Auslandsbezug lautete, dass die Klägerin auch Forderungen ausländischer Zedenten geltend machte und damit der Ort des schädigenden Ereignisses möglicherweise im Ausland am Sitz des Zedenten lag.34

b) Allgemeiner Gerichtsstand

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Eine Klage kann gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO stets am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten („Heimatgericht“) erhoben werden. Zugleich hat eine Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten den Vorteil für den Kläger, dass er dort unzweifelhaft seinen Gesamtschaden einklagen kann.35

aa) Maßstabbildung

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Art. 4 Abs. 1 EuGVVO liegen dieselben Erwägungen zugrunde, die auch im deutschen Zivilverfahren zur allgemeinen Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des Beklagten führen (§§ 12, 17 ZPO). Derjenige, der als Kläger den rechtlichen status quo ändern möchte, muss sich hierfür zum Beklagten begeben (actor sequitor forum rei). Dem Vorteil des Klägers, der nicht nur das Ob, sondern auch den Zeitpunkt und die Art des Klageangriffs bestimmt, entspricht die Vergünstigung des Beklagten, sich an seinem Heimatgerichtsstand zu verteidigen (favor defensionis).36

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Diese Wertentscheidung kann auf europäischer Ebene zusätzliche Relevanz erlangen. Hier geht es nicht mehr nur um den geografischen Vorteil des Heimatgerichts. Vielmehr gewährleistet der Grundsatz, dass der Beklagte sich vor einer ihm vertrauten Gerichtsbarkeit unter Geltung einer ihm bekannten Verfahrensordnung (lex fori) in einer ihm bekannten Sprache verteidigen kann. Kein Beklagter soll ohne Weiteres in einen Prozess auf unbekanntem Terrain nach unbekannten prozessualen Regeln gezogen werden. Auch vor diesem Hintergrund hat der EuGH die Bedeutung der Grundregel wiederholt hervorgehoben.37

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In kartellrechtlichen Schadensersatzfällen ist die Grundregel von der Klage am Heimatgericht durch eine Reihe von zusätzlichen besonderen Gerichtsständen (siehe sogleich) indes stark modifiziert. Dies erscheint auch richtig, denn bei Kartellfällen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten regelmäßig Unternehmen sind, die sich durchaus in vielen Rechtsordnungen versiert zu bewegen verstehen und die überdies durch das ihnen vorgeworfene – und zumeist behördlich festgestellte – grenzüberschreitende Verhalten erst Anlass zu der Klage geboten haben. Wer Andere im europäischen Ausland kartellrechtlich schädigt, muss damit rechnen, von jenen dort verklagt zu werden. Nur so wird der Effizienz kartellrechtlicher Schadensersatzklagen genüge getan, weil andernfalls die durch ein Kartell mutmaßlich Geschädigten gezwungen wären, in einer anderen als der ihnen vertrauten Jurisdiktion Klage zu erheben.

bb) Prozessuale Anforderungen

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Der allgemeine Gerichtsstand juristischer Personen – gegen die kartellrechtliche Schadensersatzklagen im Regelfall erhoben werden – wird durch Art. 63 Abs. 1 EuGVVO bestimmt. Demnach kann die Klage bei der sachlich und funktional zuständigen Gerichtsbarkeit des

 a) satzungsmäßigen Sitzes,

 b) des effektiven Hauptverwaltungssitzes oder

 c) der Hauptniederlassung einer juristischen Person erhoben werden.

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Durch die autonome Bestimmung des Sitzes einer juristischen Person werden Konflikte über die Zuständigkeit vermieden.38 Der Kläger kann zwischen den drei genannten Gerichtsständen wählen.

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Der Wohnsitz einer natürlichen Person kann für einen Regressprozess gegen die für eine Kartellrechtsverletzung verantwortlichen Angestellten eines Unternehmens eine praktische Rolle spielen39 oder aber wenn eine verantwortliche natürliche Person direkt in Anspruch genommen wird. Seine Bestimmung richtet sich gemäß Art. 62 Abs. 1 EuGVVO nach der lex fori. Keine Rolle spielen demnach die Staatsangehörigkeit des Beklagten oder sein gewöhnlicher Aufenthalt.40 Die nach deutscher Rechtslage einschlägigen Regelungen sind in §§ 7ff. BGB zu finden.

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Am allgemeinen Gerichtsstand kann nur dann geklagt werden, wenn der Beklagte tatsächlich über einen zuständigkeitsbegründenden (Wohn-)Sitz im Sinne der Art. 62, 63 EuGVVO verfügt. Es handelt sich dabei um keine sog. „doppelrelevante Tatsache“, deren Vorliegen der Kläger lediglich schlüssig behaupten muss; vielmehr muss das Gericht das Bestehen eines (Wohn-)Sitzes positiv feststellen.41 Der Kläger trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings hat der EuGH das Fehlen von „beweiskräftigen Indizien“ für einen (Wohn-)Sitz des Beklagten außerhalb des Unionsgebiets genügen lassen.42

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Maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage; eine später erfolgte Veränderung des Wohnsitzes hat keinen Einfluss auf die Zulässigkeit einer einmal wirksam erhobenen Klage (perpetuatio fori).43 Umgekehrt ist ein im Moment der Klageerhebung unzulässiges Verfahren fortzusetzen, wenn ein Kläger noch vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung durch Wohnsitznahme die Jurisdiktion begründet.44 Hat ein (natürlicher) Beklagter nach der jeweiligen lex fori Wohnsitze in unterschiedlichen Jurisdiktionen, hat der Kläger ein Wahlrecht.45

c) Besondere Gerichtsstände
aa) Maßstabbildung

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Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuGVVO kann von dem Grundsatz, dass eine Klage am Beklagtenwohnsitz zu erheben ist, in den von der EuGVVO abschließend geregelten Fällen abgewichen werden. Daraus wird teilweise gefolgert, dass die besonderen Gerichtsstände restriktiv auszulegen seien.46 Auch der EuGH hat wiederholt hervorgehoben,47 dass es sich bei den besonderen Gerichtsständen der EuGVVO um Ausnahmevorschriften handele, die eng auszulegen seien, um den Grundsatz der Klage am Beklagtenwohnsitz nicht auszuhöhlen, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für den Beklagten zu gewährleisten und um einer Häufung der Gerichtsstände zu begegnen.

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In Kartellschadensersatzfällen – zumindest bei Follow-on-Klagen – hat der EuGH indes eine andere Lesart bevorzugt und besondere Gerichtsstände neben dem allgemeinen Gerichtsstand großzügig zugelassen. Insbesondere die Entscheidung Hydrogen Peroxide SA (CDC)48 eröffnet wichtige weitere Zuständigkeiten. Mit den Entscheidungen flyLAL und Tibor-Trans präzisierte der EuGH seine Rechtsprechung und rückte den Gedanken der Vorhersehbarkeit stärker in den Fokus.

bb) Prozessuale Anforderungen – Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen

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Es obliegt dem Kläger, der sich auf die Eröffnung eines bestimmten Gerichtsstandes berufen möchte, die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände darzulegen und zu beweisen. Das vom Kläger zu erfüllende Beweismaß richtet sich grundsätzlich nach nationalem Verfahrensrecht.49 Dabei kann ihm die im deutschen Prozessrecht vorherrschende „Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen“ zugutekommen. Doppelrelevant sind nach ständiger Rechtsprechung solche Tatsachen, die sowohl die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründen als auch notwendige Tatbestandsmerkmale des erhobenen Anspruchs sind.50 Für diese Tatsachen reicht zur Begründung der Zuständigkeit ein schlüssiger Vortrag aus – eine Beweiserhebung findet nicht statt, die vorgetragenen Tatsachen werden als wahr unterstellt.51 Ihr tatsächliches Vorliegen wird – bei Bestreiten – dann erst auf Ebene der Begründetheit festgestellt. Der EuGH hat ausdrücklich anerkannt, dass nationale Gerichte in der Lage sein müssen, über ihre Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine nähere Sachprüfung einzusteigen.52 Danach soll es genügen, dass das Gericht seine Zuständigkeit auf einen Vortrag schlüssiger und erheblicher Umstände durch eine Partei stützen kann.53

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Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen findet dort ihre Grenze, wo eine Tatsache für die Begründetheit des Anspruchs nicht relevant ist. Nur die notwendige Erheblichkeit einer Tatsache sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit – die Doppelrelevanz – löst die Privilegierung des Klägers aus. Denn im Gegenzug kommt die Beklagtenseite bei tatsächlichem Nichtvorliegen der schlüssig behaupteten Tatsache in den Genuss eines Sach- statt nur eines Prozessurteils.

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Umgekehrt ist das Gericht bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit auch nicht verpflichtet, einen Parteivortrag in Anwendung von § 138 Abs. 2 ZPO, § 288 ZPO oder § 331 ZPO als wahr zu unterstellen.54 Das Gericht kann die Aufklärung der weiteren Details aber dahinstehen lassen, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus einer von mehreren Bestimmungen ergibt, deren Voraussetzungen zumindest alternativ erfüllt sind.55

d) Besonderer Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO)

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Nach der Entscheidung CDC hat der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (auch: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft) eine wichtige Bedeutung für die Führung kartellrechtlicher Schadensersatzklagen gegen mehrere Beklagte erlangt.

aa) Grundsatz und Anwendungsbereich

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Gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO kann eine Person mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates auch an dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem eine weitere verklagte Person ihren Wohnsitz hat (sog. „Ankerbeklagte“), wenn zwischen den Klagen eine so enge Beziehung besteht, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint. Zweck dieser dem deutschen Verfahrensrecht außerhalb von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO56 unbekannten Verfahrenskonzentration ist die Verhinderung sich widersprechender Entscheidungen. Maßgeblich hierfür ist das Kriterium des Sachzusammenhangs (auch: Konnexität), das aus zwei unterschiedlichen Entscheidungen, die in getrennten Verfahren ergehen, „widersprüchliche“ Entscheidungen werden lässt. Denn ein Widerspruch setzt eine abweichende Bewertung desselben Streits unter Zugrundelegung derselben Entscheidungsparameter voraus. Nur in einer solchen Konstellation beruht die abweichende Entscheidung auf der divergierenden Ausübung des richterlichen Ermessens, die durch die Konzentration des Rechtsstreits bei einem Gericht verhindert werden soll.

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Das Kriterium des Sachzusammenhangs ist europäisch-autonom auszulegen, d.h. vom nationalen Recht losgelöst anhand der Vorgaben des EuGH.57 Der EuGH verlangt in ständiger Rechtsprechung das kumulative Vorliegen einer einheitlichen Sach- und Rechtslage.58 In seiner Rechtsprechung hat der EuGH präzisiert, dass die Feststellung „derselben Rechtslage“ nicht zwingend voraussetzt, dass alle Klagen auf ein- und derselben Anspruchsnorm beruhen müssen.59 Unterschiedliche Rechtsgrundlagen stünden einer Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dann nicht entgegen, wenn sich die jeweiligen nationalen Vorschriften als „in den Grundzügen identisch“ erweisen.60 So hat der EuGH entschieden, dass urheberrechtliche Unterlassungs-, Entgelt- und Schadensersatzansprüche nach deutschem und österreichischem Urheberrecht hinreichend vergleichbar sind, um als eine Rechtslage im Sinne der Konnexität zu gelten. Angesichts der historischen Nähe der deutschen und österreichischen Rechtsordnung und der in diesem Bereich nahezu bestehenden Vollharmonisierung (Richtlinien 2001/29/EG und 2004/48/EG) überzeugt dies. Ähnlich hat der EuGH in der Rechtssache Nintendo entschieden. Dabei ging es um die Beurteilung einer Verletzung von Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht durch ein deutsches und ein französisches Unternehmen. Es sei unerheblich, dass einige der im Verfahren geltend gemachten Sanktionen lediglich harmonisiert, aber nicht vereinheitlicht seien, so dass ihre Beurteilung nationalem Recht unterliege.61 Deutlich strenger war der EuGH noch in der Sache Roche Nederland62 und hatte die „Identität der Rechtslage“ verneint, obwohl europaweit einheitliche Vorschriften des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) für die Schutzvoraussetzungen, die Schutzdauer und den Schutzumfang eines europäischen Patents galten (vgl. Art. 52, 63 und 69 EPÜ). Begründet hat der EuGH das Fehlen einer „Identität der Rechtslage“ mit der Feststellung, dass „jede Klage wegen Verletzung eines europäischen Patents anhand des einschlägigen nationalen Rechts zu prüfen ist“.63 In Kartellsachen hat sich der EuGH in der Entscheidung CDC deutlich großzügiger gezeigt (hierzu sogleich).

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Das Erfordernis des kumulativen Vorliegens einer einheitlichen Sach- und Rechtslage ist ohne Weiteres einleuchtend: Unterschiedliche Lebenssachverhalte werden auch bei identischer oder gleichartiger Rechtslage zwangsläufig zu unterschiedlichen Entscheidungen führen, weil der jeweilige Lebenssachverhalt, der den verschiedenen Gerichten vorgetragen wird, ein unterschiedlicher ist. Ein Widerspruch liegt hierin nicht. Es wäre im Gegenteil verwunderlich, wenn die Entscheidungen gleich ausfielen. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall abweichender Rechtslagen bei identischen oder gleichartigen Lebenssachverhalten. Unterschiedliche materielle Schutzstandards und Wertungen des jeweiligen Gesetzgebers in den Mitgliedstaaten werden zwangsläufig zu unterschiedlichen Entscheidungen über den gleichen Lebenssachverhalt führen. Diese divergierenden Entscheidungen stellen jedoch keinen Widerspruch dar, sondern sind Ausdruck der Wertungsentscheidungen des jeweiligen Gesetzgebers. Freilich ist für die letztere Argumentation angesichts der Harmonisierung des Kartellschadensersatzrechts und der Bindungswirkung von Entscheidungen der Europäischen Kommission zunehmend weniger Raum.

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Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand des gesamten Akteninhalts zu prüfen, ob die Gefahr besteht, dass in getrennten Verfahren unterschiedliche Entscheidungen ergehen.64 Zur Ermittlung der gleichartigen Sachlagen ist der Sachverhalt der Ankerklage mit demjenigen der Klage gegen den Sekundärbeklagten zu vergleichen. Kein Vergleich findet zwischen den Klagen gegen die unterschiedlichen nicht-domizilierten Streitgenossen statt, falls es mehrere gibt. Zur Ermittlung der einheitlichen Rechtslage ist die auf die Ankerklage anwendbare Rechtslage mit derjenigen zu vergleichen, die sich bei einer Klage gegen die jeweiligen Sekundärbeklagten vor deren Heimatgerichtsstand ergäbe. Ob eine einheitliche Rechtslage gegeben ist, kann daher oftmals erst nach der kollisionsrechtlichen Prüfung des anwendbaren materiellen Rechts aus Sicht der alternativen Foren festgestellt werden. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Konnexität trägt der Kläger.65 Es handelt sich um keine doppelrelevante Tatsache.

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Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ist nur anwendbar auf Beklagte mit (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates. Einer analogen Anwendung hat der EuGH eine Absage erteilt, da diese erstens mit dem Wortlaut des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO unvereinbar sei, es sich zweitens um eine eng auszulegende Sonderregel handele und drittens die extraterritoriale Anwendung der EuGVVO durch Art. 6 abschließend geregelt werde.66 Der BGH hat sich der Argumentation des EuGH angeschlossen und ergänzend ausgeführt, dass sich auch nach autonomem deutschen Prozessrecht kein entsprechender Gerichtsstand der Streitgenossenschaft ergebe.67

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Umstritten ist, ob Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auch auf Beklagte Anwendung findet, die ohnehin einen allgemeinen Gerichtsstand innerhalb der angerufenen Jurisdiktion haben.68 Sicher ist noch, dass wenn sowohl Kläger als auch Beklagte ihren Sitz im Inland haben und sich auch sonst kein irgendwie gearteter Auslandsbezug begründen lässt, ein reiner Inlandssachverhalt vorliegt und der Anwendungsbereich der EuGVVO schon nicht eröffnet ist. Darüber hinaus sind verschiedene Konstellationen vorstellbar. Es kann insbesondere vorkommen, dass ein Kläger mit Sitz bspw. in Deutschland mehrere Beklagte gemeinsam in Anspruch nehmen will, von denen ein Teil ihren Sitz ebenfalls in Deutschland hat und andere im Ausland ansässig sind. Es kann aber auch ein Kläger mit Sitz im Ausland zwei oder mehrere Beklagte mit Sitzen innerhalb Deutschlands gemeinsam verklagen wollen. Es stellt sich jeweils die Frage, ob der Kläger alle Beklagten gemeinsam über Art. 8 Nr. 1 EuGVVO an einem Ankergericht (siehe sogleich) im Inland verklagen kann, obwohl nicht für alle Beklagten das gleiche Gerichte innerhalb Deutschlands örtlich zuständig wäre. Es geht damit im Kern um das Verhältnis zum nationalen Zivilprozessrecht: Bejaht man die Anwendbarkeit von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auch auf die in Deutschland ansässigen Beklagten oder bedarf es eines Rückgriffs auf die in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorgesehene gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung.69

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Teilweise wird Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auch auf Beklagte mit Sitz im Inland erstreckt, so dass sich in den beschriebenen Konstellationen die Zuständigkeit eines Gerichts für alle Beklagten direkt aus der Norm ergibt.70 Dies folge aus dem Wortlaut von Art. 8 EuGVVO, der im Vergleich zu Art. 7 EuGVVO keine Verschiedenheit von Wohnsitz- und Forumstaat fordere. Andernfalls würde man dem zentralen Anliegen der EuGVVO, im Interesse eines funktionierenden Binnenmarktes den grenzüberschreitenden Rechtsschutz zu vereinfachen, nicht gerecht. Denn ein Kläger müsste vor Klageerhebung bei einem deutschen Gericht zunächst ein umständliches Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durchführen, was ihm bei einer Klage in einem anderen Mitgliedstaat erspart bliebe.71 Auch unter Berücksichtigung schutzwürdiger Belange der beklagten Streitgenossen sei die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO sachgerecht. Ein Beklagter müsse im Anwendungsbereich der EuGVVO damit rechnen, an einem ausländischen Sitz eines Streitgenossen verklagt zu werden, so dass ihm erst recht ein Verfahren vor einem anderen inländischen Gericht zumutbar sei.72 Eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Nur ausnahmsweise könne – aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes und der Prozessökonomie – eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung erfolgen, wenn das bereits mit der Sache befasste zuständige Gericht Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat.73 In diese Sinne hat auch das BayObLG jüngst ausgeführt, dass Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dann zu einem gemeinsamen Gerichtsstand führen könne, wenn beide Beklagte im Inland ihren Sitz haben, solange der Kläger außerhalb des Forumstaates ansässig ist. Da jedoch mehrere Kläger aus dem In- und Ausland in Streitgenossenschaft gegen zwei inländische Beklagte vorgegangen sind, konnte Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auch nach Ansicht des BayObLG nicht zu einem gemeinsamen Gerichtsstand gegen alle Beklagten führen. Denn für die Klage deutscher Kläger gegen deutsche Beklagte fehle es an einem – für die Anwendbarkeit der EuGVVO erforderlichen – Auslandsbezug.74

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Andere halten Art. 8 Nr. 1 EuGVVO auf Beklagte mit Sitz innerhalb der in Anspruch genommenen Jurisdiktion generell für nicht anwendbar.75 Die internationale Zuständigkeit folge bereits aus dem Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, so dass die Anwendung der Ausnahmevorschriften in Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ausgeschlossen sei. Die Regelung nur der örtlichen Zuständigkeit stelle einen von der Verordnung nicht vorgesehenen Eingriff in das innerstaatliche Zuständigkeitssystem dar.76 Nach dieser Ansicht ist es bei mehreren inländischen Beklagten notwendig, nach Feststellung der internationalen Zuständigkeit, ein örtlich zuständiges Gericht innerhalb Deutschlands über das national vorgesehene Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu bestimmen.77

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Es ist zu hoffen, dass zeitnah das Verhältnis von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO und § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO höchstrichterlich – sei es im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH nach Art. 267 AEUV oder durch eine Divergenzvorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO durch den BGH – geklärt wird. Vieles spricht zumindest bei Kartellschadensersatzverfahren für den Vorrang von Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. De lege ferenda wäre ohnehin wünschenswert, das umständliche Zuständigkeitsbestimmungsverfahren gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft abzulösen.78

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