Kitabı oku: «Deutsch in Luxemburg», sayfa 2

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2 Herausbildung und Bestand eines domänenspezifischen Sprachgebrauchs
Soziolinguistische Ansätze: Diglossie, Bilingualismus, Domäne

Die Bevölkerung, die 1839 nach dem Wegfall des wallonischen Sprachgebiets übrigblieb, sprach einen moselfränkischen Dialekt. Ihr wurde beigebracht, sich schriftlich nicht im Dialekt, sondern auf Hochdeutsch und Französisch zu äußern und ganz allgemein für formelle Kontexte eher die Standardsprachen und vorzugsweise die französische Sprache zu benutzen. Aufgrund der historischen Entwicklungen hat sich, mithilfe des Bildungssystems, eine Dreisprachigkeit (Deutsch-, Französisch- und Luxemburgischkenntnisse) entwickelt. Diese drei Sprachen werden nicht willkürlich, sondern nach bestimmten Regeln eingesetzt. Solange das Land nicht durch jene verstärkte Immigration gekennzeichnet war, die es gegenwärtig erfährt, konnte das Sprachverhalten der Bevölkerung relativ einfach entschlüsselt und beschrieben werden: Luxemburgisch wird in der mündlichen Interaktion zwischen Luxemburgern verwendet, Deutsch und Französisch teilen sich die schriftsprachlichen Domänen (vgl. Gilles 2009: 187; Gilles 2011: 43). So schreibt Hoffmann (1996: 107), dass das Besondere an der luxemburgischen Sprachensituation seit jeher „in the discrepancy between oral and written modes of communication“ liege und Horner (2004: 1) argumentiert in ihrer Dissertation:

The spoken/written distinction has always been pivotal to understanding language use in Luxembourg, with spoken functions being dominated by the use of Luxembourgish and written functions carried out primarily in French and German.

Dieses ‚Sprachhandlungswissen’, das von der Sprachgemeinschaft geteilt wird, kann soziolinguistisch als diglossisch, bzw. aufgrund der drei Sprachen Luxemburgs, als triglossisch bezeichnet werden. Das Diglossie-Konzept geht zurück auf Charles A. Ferguson (1959) und wurde anschließend mehrfach erweitert und verändert. Ferguson beobachtete, dass in Sprachgemeinschaften in manchen Situationen die Non-Standard-Varietät erwünscht ist und in anderen Situationen eine ihr übergeordnete standardisierte Varietät (vgl. Dittmar 1997: 139). Die Non-Standard-Varietät bezeichnete er als Low-variety (= die Sprache der niedrigen Funktionen bzw. L-Varietät, Volkssprache), die Standard-Varietät als High-variety (= Sprache der hohen Funktionen bzw. H-Varietät) (vgl. Clyne 1994: 261; Sinner 2001: 126). Die H-Varietät wird in formellen Kontexten eingesetzt, die L-Varietät dagegen in informellen Kontexten, in mündlicher, intimer und ungezwungener Atmosphäre (vgl. Clyne 1994: 265; Sinner 2001: 126; Fasold 2004: 35). H- und L-Varietät sind bei Ferguson Varietäten einer einzigen Sprache oder zweier genetisch eng verwandter Sprachen (vgl. Kremnitz 2004: 159). „The attitude of speakers in diglossic communities is typically that H is superior, more elegant, and more logical language“, so Fasold (2004: 36). „L is believed to be inferior even to the point that its existence is denied“, erklärt er weiter (ebd.). Eine Wertung, die lange Zeit kennzeichnend für das Verhältnis der Luxemburger gegenüber ihrer Muttersprache war.1 Joshua Fishman entwickelt um 1964 den Ansatz von Ferguson weiter. Unter Bilingualismus versteht er eine Charakterisierung des persönlichen (individuellen) Sprachverhaltens, während Diglossie für ihn eine sprachliche Ordnung auf soziokultureller Ebene ist (vgl. Sinner 2001: 126). Er lässt die Bedingung der genetischen Verwandtschaft fallen und spricht stattdessen allgemein von zwei verschiedenen Sprachformen (vgl. ebd.).2 Auch in Fishmans Diglossie-Modell gibt es also eine H-Varietät für formellere Zwecke und eine L-Varietät für weniger formelle und private Zwecke (vgl. Fasold 2004: 43). Er verbindet diese Überlegungen mit dem soziolinguistischen Begriff der Domäne, einem Begriff für den kontextspezifischen Sprachgebrauch (vgl. Clyne 1994: 261). Die Kategorisierungshilfe der Domäne wird von Iwar Werlen (2004: 335) folgendermaßen definiert:

Domänen (engl. domains) des Sprachgebrauchs oder der Sprachwahl sind definiert als abstrakte Konstrukte, die durch zu einander passende Orte, Rollenbeziehungen und Themen bestimmt sind […]; sie bestimmen die Wahl einer Sprache oder einer Variante in einer mehrsprachigen Sprachgemeinschaft mit. Beispiele für Domänen sind Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Kirche und staatliche Verwaltung. Art und Anzahl der Domänen können je nach Sprachgemeinschaft und Kultur variieren.

Domänen können somit für die Sprachwahl verantwortlich sein (vgl. ebd.: 338). Sprecher tendieren dazu in mehrsprachigen Ländern (in denen die Sprachenverwendung nicht primär regional zu erklären ist), basierend auf ihrem Wissen über das erwünschte Verhalten in der Gesellschaft, die einen Sprachen/Sprachvarietäten „in one kind of circumstance [zu benutzen und] another variety [/Sprache] under other conditions“, so Fasold (2004: 34). Er schlägt in The Sociolinguistics of Society (2004) eine breite Definition des Diglossie-Begriffs vor:

BROAD DIGLOSSIA is the reservation of highly valued segments of a community’s linguistic repertoire (which are not the first to be learned, but are learned later and more consciously, usually through formal education), for situations perceived as more formal and guarded; and the reservation of less highly valued segments (which are learned first with little or no conscious effort), of any degree of linguistic relatedness to the higher valued segments, from stylistic differences to separate languages, for situations perceived as more informal and intimate (ebd.: 53).

Für das berufliche und private Vorankommen kann es entscheidend sein, über das passende Sprachverhalten in den verschiedenen Gesellschaftsdomänen Bescheid zu wissen. Es ist davon auszugehen, dass unter den Bewohnern Luxemburgs ein solches Domänenwissen besteht, das ihnen bei der Entscheidung hilft, welche Sprache sie in welchem Kontext vorzugsweise auswählen sollen. Entscheidende Entwicklungen haben jedoch dazu geführt, dass dieses Wissen, von außen betrachtet, nur noch schwer zu dechiffrieren ist. Luxemburgisch ist nicht mehr ohne Weiteres als L-Varietät einzustufen, da die Sprache in H-Domänen (wie etwa der Politik) zum Einsatz kommt und der sprachsystemische Ausbau mittlerweile so weit vorangeschritten ist, dass sie sich zunehmend auf den Schriftbereich ausweitet. Die französische Sprache ist mit der demographischen Entwicklung des Landes zu einer lingua franca geworden, der im mündlichen und im schriftlichen Bereich eine hohe kommunikative Reichweite zugeschrieben wird. Neben dem Standardfranzösischen, das in schriftbasierten H-Domänen verwendet wird, hat sich, aufgrund der verstärkten nationen- und milieuübergreifenden Verwendung, auch eine standardferne Varietät des Französischen ausgebildet, die als Umgangssprache, als L-Varietät, im Land gesprochen wird.3 Stellenwert und kommunikative Reichweite der deutschen Sprache werden, aufgrund des hohes Anteils an Zuwanderern, die die französische Sprache als Kommunikationssprache in Luxemburg auswählen, vermehrt angezweifelt. Auf den einzelnen Feldern der Gesellschaft bewegen sich verschiedene Sprachgruppen, die über jeweils unterschiedliche Sprachkenntnisse verfügen und auf der Basis ihrer Kompetenzen individuelle Strategien entwickeln, um sich in Luxemburg mitzuteilen. Sie lernen die Kontexte kennen, in denen eine H-Varietät verwendet werden muss und in denen eine L-Varietät verwenden werden kann. Es hängt von ihrer Sprachbiographie und ihrem Sprachrepertoire ab, ob sie die erwünschte Sprache bzw. lediglich eine ‚tolerierte’ auswählen können. Durch ihre Strategien verändern sie die sprachliche Ordnung auf der soziokulturellen Ebene.

Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Koch/Oesterreicher)

Verschiedene Sprachen (und nicht mehr nur die drei Sprachen ‚Luxemburgisch, Deutsch, Französisch’) tauchen gegenwärtig in der alltäglichen mündlichen oder schriftlichen Kommunikation in Luxemburg auf. Welche Positionen, Bewertungen und Funktionen dabei der deutschen Sprache zuteil werden, wird diese Arbeit Schritt für Schritt aufzeigen. Um die komplexe funktionale Verteilung der Sprachen erfassen zu können, wird im weiteren Verlauf an einigen Stellen auf die Terminologie von Peter Koch und Wulff Oesterreicher (1985; 1994) zurückgegriffen. Koch/Oesterreicher haben den Begriffen ‚mündlich’ und ‚schriftlich’ mehr Trennschärfe verliehen. Sie unterscheiden zwischen der medialen Realisierung von Sprache und ihrer Konzeption. Medial bezieht sich auf die phonische oder graphische Realisierung des Sprachlichen. Eine Äußerung wird entweder medial-mündlich (mit Lauten, phonisch) oder medial-schriftlich (mit Schriftzeichen, graphisch) übermittelt. Von der medialen Realisierung zu unterscheiden ist die in einer Äußerung gewählte Ausdrucksform. Unabhängig davon, ob sie phonisch oder graphisch realisiert wird, kann sie eher mündlich, d.h. eher informell, oder stärker schriftlich, d.h. formell, konzipiert werden. Während der phonische Kode klar vom graphischen Kode zu unterscheiden ist, weist die Konzeption einer Äußerung zahlreiche Abstufungen auf (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 17). Am äußersten Pol konzeptioneller Mündlichkeit liegt etwa das Alltagsgespräch unter Freunden, am äußersten Pol konzeptioneller Schriftlichkeit zum Beispiel der Gesetzestext, dazwischen verschiedene Text-/Gesprächssorten (vgl. Gilles 2011: 50). Kommunikationssituationen können wie folgt gestaltet sein:

 Medial-mündlich und konzeptionell-mündlich (z.B. Telefongespräch unter Freunden)

 Medial-mündlich aber konzeptionell-schriftlich (z.B. Vorlesung an der Universität)

 Medial-schriftlich und konzeptionell-schriftlich (z.B. Bewerbungsschreiben)

 Medial-schriftlich aber konzeptionell-mündlich (z.B. Grußkarte aus dem Urlaub)(vgl. ebd.: 48).

Für diese verschiedenen Kommunikationssituationen kommen in Luxemburg unterschiedliche Sprachen/Varietäten infrage. Die Sprachwahlentscheidung fällt abhängig von der Sprecherkompetenz, der Sprachbiographie und basierend auf dem Domänenwissen, das auch Wissen über die Sprachkompetenzen möglicher Rezipienten beinhaltet.

Nähe-Sprache, Distanz-Sprache

Ein weiteres Begriffspaar, das Koch und Oesterreicher (1985) eingeführt haben, ist das der Sprache der Nähe und der Sprache der Distanz. Die Endpole konzeptionell-schriftlich und konzeptionell-mündlich wurden mit Hilfe dieser Begriffe markiert (vgl. ebd.). Für konzeptionelle Schriftlichkeit sprechen die Kommunikationsbedingungen ‚Monolog’, ‚Fremdheit der (Gesprächs-)Partner’, ‚raumzeitliche Trennung’, ‚Themenfixierung’, ‚Öffentlichkeit’, ‚Reflektiertheit’, ‚Situationsentbindung’, ‚Objektivität’ und die Versprachlichungsstrategien ‚Endgültigkeit’, ‚Informationsdichte’, ‚Kompaktheit’, ‚Elaboriertheit’, ‚Planung’, ‚Komplexität’ etc. (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 23).

Den Mündlichkeitspol kennzeichnen demgegenüber die Kommunikationsbedingungen ‚raum-zeitliche Nähe’, ‚Privatheit’, ‚Vertrautheit’, ‚Emotionalität’, ‚Situations- und Handlungseinbindung’, ‚kommunikative Kooperation’, ‚Spontaneität’ etc. (vgl. Koch/Oesterreicher 1994: 588). Folgende Versprachlichungsstrategien kennzeichnen den Nähebereich: ‚Prozesshaftigkeit’, ‚Vorläufigkeit’, ‚geringere Informationsdichte’, ‚geringe Kompaktheit’, ‚geringe Elaboriertheit’, ‚geringere Planung’, ‚geringere Komplexität’ etc. (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 23). In der vorliegenden Arbeit wird das Begriffspaar Sprache-der-Nähe/Sprache-der-Distanz vor allem metaphorisch verwendet unter dem Teilaspekt der sozialen, emotionalen Nähe und Vertrautheit (vgl. Koch/Oesterreicher 1994: 588). Es wird deutlich werden, dass Sprachen in bestimmten Situationen als vertraute Nähesprachen eingestuft werden und in anderen Situationen aus bestimmten Gründen emotional in die Distanz rücken.

3 Typologisierung von Sprachgruppen

„Immigrants, of course, arrive speaking their native languages, thus adding to the host nation’s multilingualism“, so Fasold (2004: 9). Jede Migrantengruppe bringt ihre Sprache(n) in die Zielgemeinschaft mit. Durch Migration formieren sich neue Sprechergruppen, die sich an die dominierende Sprachgemeinschaft und an deren Muster, zumindest so weit wie im Alltag erforderlich, anzupassen versuchen. So erfolgt zum einen eine Anpassung des Sprachwissens der Zuwanderer an das Sprachverhalten der Zielpopulation und zum anderen verändern die Zuwanderer durch die mitgebrachten Sprachen auch die relativ stabile Sprachsituation im Zielland. Bereits in der ersten Baleine-Studie von 1998 stellte sich nach der Auswertung von Umfrageergebnissen die Frage, ob „[f]ace à la présence accrue de francophones et à la montée du français comme langue véhiculaire de la société luxembourgeoise, […] deux communautés linguistiques distinctes étaient en train de naître“ (Fehlen 2009:218). Von zwei verschiedenen Sprachgemeinschaften in Luxemburg zu sprechen, erweckt die Vorstellung von zwei oder mehr Parallelgesellschaften, die nebeneinander existieren und ihre eigenen Sprachgewohnheiten ausbilden oder fortführen. In der 2009 publizierten Folgestudie BaleineBis wird mit Eindrücken einer gesellschaftlichen Segregation aufgeräumt:

Même si le Luxembourg forme, d’un point de vue économique et démographique, un bloc de moins en moins homogène, sa société ne s’est pas scindée en deux sociétés parallèles, ce qui n’empêche que les mêmes phantasmes existent toujours (ebd. : 219).

Nichtsdestotrotz treten hier Menschen mit unterschiedlichen Sprachhintergründen in Kontakt und diese Sprachkontakte wirken sich auf die gesamte Sprachensituation aus. Fishman (1964: 32) betont etwa in seinem Aufsatz Language Maintenance and Shift, dass

The basic datum of the study of language maintenance and language shift is that two linguistically distinguishable populations are in contact and that there are demonstrable consequences of this contact with respect to habitual language use.

Dittmar (1997: 135) weist darauf hin, dass

Sprecher […] mehreren Sprachgemeinschaften angehören [und deshalb] […] zwischen primärer, sekundärer etc. Zugehörigkeit zu unterscheiden [sei]. Die in einer Sprachgemeinschaft geltenden Synchronisierungen von sozialen Mehrfachidentitäten und sprachlichem Repertoire müssen erkannt werden.

Ein Sprecher kann sowohl über Kenntnisse des Lëtzebuergeschen, des Deutschen und des Französischen verfügen und diese so situationsadäquat und mit einer Intonation anwenden, dass man ihn für einen Luxemburger hält, als auch ein Portugiesisch beherrschen, das ihn als Teil der portugiesischen Gemeinschaft kennzeichnet. Er kann daher mehreren Sprachgemeinschaften zugerechnet werden. Den Terminus der Sprachgemeinschaft im Plural zu verwenden und von unterschiedlichen Sprachgemeinschaften (speech communities) zu sprechen, ist in der Soziolinguistik nicht unumstritten. Ich möchte also stattdessen von einer großen luxemburgischen Sprachgemeinschaft ausgehen, die in sich äußerst heterogen ist, aber zugleich einige gemeinsame Strategien entwickelt hat, um miteinander zu kommunizieren. Dort, wo es möglich sein wird, werde ich mit dem Begriff der Sprachgruppe arbeiten, um Unterscheidungen im Sprachwissen und Sprachverhalten herausstellen zu können, ohne jedoch auch hier eine vollkommene Homogenität im Sprachverhalten einer Sprachgruppe zu unterstellen. Es wird davon ausgegangen, dass unterschiedliche Sprachgruppen in Luxemburg agieren, die sich typologisieren lassen. Wie diese sich verhalten, ist nicht immer anhand ihrer Staatsangehörigkeit zu erklären. Meistens kann das Sprachverhalten besser über die jeweilige(n) Familiensprache(n) erklärt werden und damit, ob die Schulausbildung und das Sprachwissen in Luxemburg oder außerhalb Luxemburgs erworben wurden. Esmein (1998: 98) teilte die luxemburgische Bevölkerung gemäß ihres Sprachverhaltens in „deux ensembles sociaux polyglottes“ ein, „l’un germanophone et l’autre romanophone, avec des besoins distincts et qui ne prennent pas les langues du pays dans le même ordre.“ Gerald Stell (2006:37) fragte sich, ob:

the main linguistic contrast in the country may perhaps be found in the coexistence of two types of diglossia. The first type of diglossia we are dealing with is an increasing cross-medial use of Luxembourgish as an in-group code among Luxembourgers with French still in use as a token of upper-class membership. The second type of diglossia is a French/Romane functional diglossia, increasingly practiced by the upcoming generations of Romanophone foreign residents.

Bernard Esmein und Gerald Stell gehen beide davon aus, dass die meisten Sprecher in Luxemburg mehrsprachig, ihre sprachlichen Repertoires jedoch verschieden sind und sich dadurch auch ihr Sprachhandeln unterscheidet.1 Esmein (vgl. 1998: 98) gibt den Hinweis, dass die Sprecher je nachdem über welches Sprachrepertoire sie verfügen, die verschiedenen im Land gebräuchlichen Sprachen jeweils anders hierarchisieren. Aus diesem Hinweis ließe sich ableiten, dass die Sprecher, die über ein eher romanisch geprägtes Sprachrepertoire verfügen, den Stellenwert der deutschen Sprache im Land anders bewerten und folglich auch ein anderes Sprachverhalten zeigen als diejenigen, die zuhause Luxemburgisch sprechen und mit der deutschen Sprache, vielleicht als ‚Fernsehsprache’, aufgewachsen sind.

EXKURS: Migrationsbewegungen

Vom 9. bis zum 19. Jahrhundert verliefen Migrationsbewegungen nicht nach Luxemburg hinein, sondern meist aus Luxemburg hinaus (vgl. Willems/Milmeister 2008: 64). Das Gebiet galt als arm und rückständig und erlebte mehrere Auswanderungswellen. Allein zwischen 1841 und 1891 verließen rund 72000 Luxemburger ihr Land – fast die Hälfte der Bevölkerung (vgl. Thewes 2008: 10). Mit dem Beitritt zum Deutschen Zollverein entwickelte sich ab 1842 ein Auslandsmarkt. Im selben Jahr wurde im Süden des Landes Eisenerz entdeckt. Zwischen 1870 und 1880 nahm die Stahlproduktion stetig zu (vgl. Hoffmann 2002: 60). Die nun benötigten Arbeitskräfte kamen zunächst aus Deutschland, Belgien und Frankreich, kurz darauf aus Polen und Italien (vgl. ebd.; Hausemer 2008a: 3). Ab 1892 bestand ein allgemeiner Trend zur Einwanderung nach Luxemburg (vgl. Willems/Milmeister 2008: 65).1 Für die schlecht bezahlten Arbeiten in den Minen, Hüttenwerken und in der Baubranche wurden gezielt italienische Gastarbeiter angeworben (vgl. Pauly 2011: 118).2 Das für den Aufbau des Stahlsektors benötigte Kapital, das notwendige Know-how und der Absatzmarkt kamen überwiegend aus Deutschland (vgl. ebd.; Trausch 2003: 227). Bis zum ersten Weltkrieg machten die Deutschen über die Hälfte der in Luxemburg wohnenden Ausländer aus (vgl. Willems/Milmeister 2008: 66). Nach dem ersten Weltkrieg zog Luxemburg sich aus dem Zollverein zurück und fand nicht sofort einen neuen Wirtschaftspartner (vgl. Hoffmann 2002: 65). Die ausländischen Arbeitskräfte waren als erste von Entlassungen betroffen. Als sich die Wirtschaft wieder erholt hatte, wurden sie erneut angeworben (vgl. ebd.: 66). Es waren hauptsächlich Italiener, die im Stahlsektor und in der Baubranche arbeiteten (vgl. ebd.). Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 sank der Anteil an ausländischen Arbeitskräften wieder (vgl. ebd.).

Die deutsche Immigration brach mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ab (vgl. Pauly 1985: 11). Der Fremdenanteil in der Bevölkerung betrug 1947 nur noch 10 %. Das änderte sich bald, da Aufbauhelfer benötigt wurden (vgl. ebd.). 1948 wurde ein erstes bilaterales Arbeitskräfte-Abkommen zwischen Luxemburg und Italien unterzeichnet, das in regelmäßigen Abständen bis 1957 erneuert wurde (vgl. Hausemer 2008a: 3; vgl. Scuto 2012: 285). 1947 waren 7622 italienische Aufbauhelfer im Land, 1960 stieg die Zahl italienischer Gastarbeiter auf 15708 an (vgl. Hoffmann 2002: 67).3

Ab 1949 wurde eine Diversifizierung der Wirtschaft angestrebt, um die Abhängigkeit von der Stahlbranche zu verringern (vgl. Pauly 2011: 107). Die Niederlassung des Reifenherstellers Goodyear im Jahr 1951 war richtungsweisend (vgl. Trausch 2003: 262; Weides et al. 2003: 11). Immer mehr Firmen zog es daraufhin nach Luxemburg. Angelockt durch steuerliche Vorteile, eine Politik der kleinen Wege, politische Stabilität und sozialen Frieden ließen sich zwischen 1959 und 1972 rund fünfzig Unternehmen in Luxemburg nieder (vgl. ebd.). Als die italienische Wirtschaft in den fünfziger Jahren einen Aufschwung erlebte, ließ die Zuwanderung der Italiener nach, zumal diese zunehmend nach Deutschland oder in die Schweiz auswanderten (vgl. Pauly 2010: 68; Pauly 2011: 119). Luxemburg ging dazu über eine aktive Immigrationspolitik zu betreiben (vgl. Scuto 2012: 296). Als Anreiz wurde die Familienzusammenführung ermöglicht, die aber nicht von den Italienern, sondern von Portugiesen, Kapverdiern mit portugiesischem Pass und Spaniern genutzt wurde. 1972 wurden bilaterale Abkommen mit Portugal und dem ehemaligen Jugoslawien in der Abgeordnetenkammer ratifiziert (vgl. Scuto 2012: 296f.; Pauly 2010: 68).4 1972 wurde auch das erste Zuwanderungsgesetz in Luxemburg verabschiedet (loi du 28 mars 1972 concernant l’entrée et le séjour des étrangers) und eine nationale Einwanderungsbehörde (Service Social de l’Immigration) geschaffen (vgl. Kollwelter 1994: 6). Als Portugal 1986 der EU beitrat, wurde es für portugiesische Zuwanderer noch einfacher nach Luxemburg zu kommen.

Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich der Finanzsektor zum wichtigsten Träger der luxemburgischen Wirtschaft (vgl. Pauly 2011: 112; Thewes 2008: 19).5 Der Finanzplatz Luxemburg und die Präsenz der europäischen Behörden hat die Migration verändert. Neben den traditionellen Arbeitsmigranten kommt hochqualifiziertes Personal. Der Finanzsektor zieht Grenzgänger nach Luxemburg, die heute in allen Wirtschaftssparten, aber vor allem im Finanzbereich, in Industrie und Handel sowie im Gesundheitswesen tätig sind (vgl. Trausch 2003: 283).

Luxemburg ist heute ein Einwanderungsland. Bei einer Gesamtbevölkerung von 563700 Einwohnern haben 258700 Bürger keinen luxemburgischen Pass (vgl. Statec 2015: 9). Die Portugiesen liegen mit 92100 Zuwanderern an der Spitze, gefolgt von 39400 Franzosen, 19500 Italienern, 18800 Belgiern, 12800 Deutschen, 6000 Briten, 4000 Niederländern, weiteren 29600 Zuwanderern aus der Europäischen Union und 36500 Nicht-EU-Bürgern (vgl. Statec 2015: 10). Durch Zuwanderung und Globalisierung erfuhr und erfährt der luxemburgische Sprachraum Veränderungen. Die Regeln des Sprachverhaltens in Luxemburg und der Stellenwert der einzelnen Sprachen im Land beruhen auf einem Wissen, einer spezifischen Logik, das/die dem einzelnen Bürger bei der Entscheidung, welche Sprache er in welcher Situation benutzen sollte, behilflich ist. Ich setze bei diesem spezifischen Wissen der Sprecher an, wenn es darum geht, den Stellenwert der deutschen Sprache in Luxemburg zu erschließen. Es ist ein Wissen, das je nach Sprachgruppenzugehörigkeit verschieden ausgeprägt und ausgebildet ist, aber darüber entscheidet, welche Sprachen aus den jeweils verfügbaren Sprachrepertoires ausgewählt werden dürfen und darüber informiert, wie in Luxemburg über einzelne Sprachen gedacht wird. Ausgehend von der Frage, was das Sprachwissen einer mehrsprachigen Gesellschaft, und konkreter, der luxemburgischen, eigentlich kennzeichnet, stellt sich in einem weiteren Schritt die Frage, inwiefern Migrationsbewegungen dieses Wissen verändern.

Im nun folgenden theoretischen Kapitel wird dieser Wissensbegriff mit der Hinzunahme von Theorien aus Soziologie, Geschichtswissenschaft und Sozio- und Kulturlinguistik umrissen. Zunächst wird zur Bezeichnung dieses ‚Orientierungswissens’ beim Begriff Denken-wie-üblich von Alfred Schütz angesetzt, der um den Begriff Handeln-wie-üblich ergänzt wird. Später kann das Wissen dann treffender als Mentalitätenwissen definiert werden. Anschließend wird der Foucaultsche Diskursbegriff vorgestellt, um das Wissen, das in der Gesellschaft über die Positionen, Funktionen und Bewertungen der einzelnen in Luxemburg vorkommenden Sprachen zirkuliert, mittels der Analyse von Sprecheraussagen, bzw. über die Analyse von Aussagen und Äußerungen von Diskursteilnehmern, zu erfassen.

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