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III. Das Wissen der Sprecher – Theoretische Grundlagen
1 Über Mentalitätenwissen, Sprachdenken und Sprachhandeln
1.1 „Dieses ‚Denken-wie-üblich‘, wie wir es nennen möchten […]“1

Als ich mich in der Recherchearbeit befand, nach und nach das Untersuchungskorpus zusammenstellte und die ersten Expertengespräche führte, wurde mir des Öfteren gesagt, ich würde eine zentrale Voraussetzung mitbringen, um mich an das Thema ‚Deutsch in Luxemburg’ heranzuwagen, nämlich das teils bewusste, teils unbewusste Wissen über. Hierbei handelt es sich um ein Wissen, das durch die Sozialisation in Luxemburg erworben wird und das weit über die reine Kenntnis der drei offiziellen Landessprachen hinausgeht. Eine erste Definition dieses sogenannten intuitiven Wissens sowie ein Porträt des ‚Un-Wissenden’ formulierte Alfred Schütz in seinem Beitrag Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch (1972). Schütz beschreibt hier die Ausgangssituation, in der sich ein Fremder befindet, wenn er „versucht, sein Verhältnis zur Zivilisation und Kultur einer sozialen Gruppe zu bestimmen und sich in ihr neu zurechtzufinden“ (ebd.: 53). Den Fremden bezeichnet er als einen Erwachsenen, der sich als Immigrant in der „Situation der Annäherung [an eine neue Gesellschaft befindet], die jeder möglichen sozialen Anpassung vorhergeht und deren Voraussetzungen enthält“ (ebd.: 54). Fremde betreten als Unwissende ein neues Feld bzw. mehrere neue soziale Felder, deren Denk- und Handlungsgewohnheiten ihnen zunächst einmal nicht vertraut sind (vgl. ebd.: 55). Immigranten müssen für alle gesellschaftlichen Bereiche das passende Sozialverhalten neu erwerben oder überprüfen. Vorwissen über etwaige Verhaltensmuster der Zielgemeinschaft muss gegebenenfalls revidiert werden.

Der Begriff des lebensweltlichen Wissens bezeichnet bei Schütz den Wissensvorrat eines Menschen. Er fasst den Begriff zunächst weit, indem er annimmt, dass darin Traumwissen, Phantasiewissen, religiöses Wissen und Alltagswissen enthalten sind (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 178). Das Alltagswissen stellt dabei den Kernbereich des lebensweltlichen Wissensvorrats dar und dient als Orientierungsgrundlage (vgl. ebd.; Schütz 1972: 55). Es handelt sich hierbei in erster Linie um Wissen über Denk- und Verhaltensmuster, vergangene Ereignisse, Erfahrungen, individuelle und tradierte Verhaltensroutinen und Verhaltenserwartungen. Das Alltagswissen ist nicht frei von Widersprüchen. Schütz erklärt, dass das „erworbene System des Wissens – so inkohärent, inkonsistent und nur teilweise klar, wie es ist – […] für die Angehörigen der in-group den Schein genügender Kohärenz [hat]“ (ebd.). Die Integration eines Fremden in die Zielgesellschaft ist nur dann vollends gelungen, wenn dieser deren Denk- und Handlungsmuster nicht nur passiv nachvollziehen kann, sondern sie auch aktiv beherrscht und weiß, wie er sich in unterschiedlichen Situationen ‚alltagstypisch’ zu verhalten hat (vgl. ebd.: 63,65):

Au sens psycho-social, l’intégration désigne le processus d’intériorisation qui permet à un individu de réagir conformément aux normes et aux valeurs qui régissent le groupe (Brémond/Gélédan 2002: 294; eigene Hervorh.).

Der Fremde muss in gewisser Weise lernen so zu denken, wie es in der Zielgesellschaft üblich ist. Lernen zu Denken-wie-üblich, bedeutet die inneren Gesetze oder – mit Schütz gedacht – die Rezepte der Gruppe so zu verinnerlichen, dass sie bei den eigenen Handlungen miteinbezogen werden (vgl. Schütz 1972: 58).2 Dieses ‚Rezeptwissen’ stellt intuitiv Lösungen für Probleme, Erlebnisabläufe und Wissen über das gesellschaftlich akzeptierte Verhalten in bestimmten Situationen bereit – und so auch Wissen über das in bestimmten Situationen akzeptierte Sprachverhalten (vgl. Schütz/Luckmann 2003: 159).

1.2 Makrokontext ‚Luxemburgische Mentalität‘

Der gesellschaftliche Wissensvorrat kann mit dem Schützschen Begriff Denken-wie-üblich umrissen werden. Nützliche theoretische und methodische Anknüpfungspunkte für die Erforschung solcher in einer Nation historisch gewachsenen Orientierungsmuster, Deutungs- und Handlungsrahmen, stellen die Geschichtswissenschaften bereit. Sie bedienen sich nicht des Begriffs Denken-wie-üblich, sondern fragen nach der zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte gültigen Mentalität. Die Elemente jenes Wissens, die sich auf das individuelle Denken über Sprachen und Sprachhandeln in Luxemburg auswirken, indem sie Handlungsvorlagen bereitstellen, werden als Teil des in Luxemburg gültigen und wandelbaren Mentalitätenwissens betrachtet.

1.2.1 Mentalität im Sinne der historischen Mentalitätsforschung

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtete sich das Interesse der Historiker zunehmend auf die konkreten Lebensumstände der Menschen in dem Zeitalter, das sie erforschen wollten (vgl. Burguière 2006: 13). Das Forschungsinteresse der Geschichtswissenschaft fokussierte somit wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte. Alltagsgeschichte, Mikrogeschichte, Kulturgeschichte, Mentalitätsgeschichte und Diskursgeschichte erfuhren innerhalb des Fachs eine Aufwertung. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit mentalitätsgeschichtlichen Aspekten beschränkte sich allerdings zunächst auf den französischen Raum. Auch der wissenschaftliche Terminus mentalité etablierte sich vorerst nur dort (vgl. Chartier 1987: 69).1 Ende der siebziger Jahre wurde die Mentalitätsgeschichte dann auch im deutschsprachigen Raum rezipiert (vgl. Spitzmüller 2005: 56f.). Mentalität ist als ‚Suchbegriff’ zu verstehen (vgl. Hermanns 1995: 73). Bei der Erforschung historischer Ereignisse und Vorgänge soll auch das spezifische Denken der Zeit, welches die menschlichen Handlungen prägte, mitberücksichtigt werden (vgl. ebd.; Küçükhüseyin 2011: 22). Le Goff erklärt, dass

der anfängliche Reiz der Mentalitätsgeschichte gerade in ihrer Unschärfe und in ihrem Anspruch [bestand], den Bodensatz der historischen Analyse, jenes ‚Irgendwo auch’ der Geschichte, ausfindig zu machen (vgl. Le Goff 1987: 18).

Um eine klare Definition von Mentalität formulieren zu können, ist es wichtig, das wissenschaftliche Verständnis des Begriffs klar vom umgangssprachlichen abzugrenzen. Umgangssprachlich bedeutet Mentalität eine „[…] besondere […] Art des Denkens oder Fühlens eines einzelnen Menschen, einer sozialen Gruppe oder eines Volkes […]“ (vgl. Scharloth 2000: 42; 2005b: 44).2 Hervorgehoben werden demnach die charakterlichen Eigenarten eines Menschen, einer sozialen Gruppe oder eines Volkes (vgl. Scharloth 2005a: 120). In der Geschichtswissenschaft wird der Begriff jedoch anders verstanden. Mentalitäten bezeichnen hier die üblichen Denkweisen. Dinzelbacher (1993) definiert das Verständnis des Begriffs aus Sicht der Mentalitätsgeschichte wie folgt:

Historische Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen (Dinzelbacher 1993: XXIV; Hervorh. im O.).

Die Definition von Dinzelbacher hat sich in der Mentalitätsgeschichte etabliert. Sie deckt sich mit der von Fritz Hermanns (vgl. 1995: 77), die hier an zweiter Stelle angeführt wird, da der Sprachwissenschaftler einen bedeutenden Beitrag zur Übertragung des Mentalitätsbegriffs und der damit verbundenen Konzepte in die Linguistik leistete:3

Eine Mentalität im Sinne der Mentalitätsgeschichte ist, so hat es sich ergeben: 1.) die Gesamtheit von 2.) Gewohnheiten bzw. Dispositionen 3) des Denkens und 4.) Fühlens und 5) Wollens oder Sollens in 6.) sozialen Gruppen (ebd.).

Beide Definitionen weisen Parallelen zum Begriff der sozialen Einstellung auf. So meint Hermanns (2002: 81), dass „[e]ine Mentalität […] die Gesamtheit aller usuellen Einstellungen in einer sozialen Gruppe“ (2002: 81) sei und „[…] insofern […] die Mentalitätsgeschichte auch und insbesondere als Geschichte von sozialen Attitüden“ zu verstehen sei (1995: 77f.). Scharloth (2000: 45) bezieht sich auf Sellin (1985) und meint: „Die Gesamtheit der kollektiven Einstellungen konstituiert danach die gruppenspezifische Mentalität.“4 Ich teile Hermanns (2002: 81) Sicht nicht, wenn er meint, die Mentalitätsgeschichte lasse „sich ohne weiteres ersetzen durch die schlichtere Bezeichnung ‚Einstellungsgeschichte’.“ Der Mentalitätsbegriff erfasst viel deutlicher den kollektiven Wissensbestand, dieses Denken-wie-üblich und das damit verbundene Handeln-wie-üblich innerhalb einer Gesellschaft, als der Begriff der Einstellung.5 So hat der Mentalitätsbegriff eine Doppelstruktur; er ist zugleich Gewohnheit und Disposition. In der historischen und linguistischen Forschung führt dies einerseits zu Arbeiten, die mit einem engen, kategorial-epistemischen Mentalitätsbegriff arbeiten und andererseits zu Anwendungen eines weiten, substanziellen Mentalitätsbegriffs (vgl. Scharloth 2005a: 121). Arbeiten, die einen substanziellen Mentalitätsbegriff applizieren, versuchen das Alltagswissen zu erfassen, suchen nach den Inhalten des üblichen Denkens (vgl. ebd.). Kategorial-epistemische Arbeiten versuchen die kollektiven Weisen der Wissensverarbeitung und der Wissensorganisation zu erschließen (vgl. ebd.). Mentalitäten sind vielschichtiger als kollektive Einstellungen und scheinen diesen konzeptuell übergeordnet zu sein. Sie werden empirisch anhand von Einstellungsäußerungen sichtbar.6 Ich betrachte kollektive Einstellungen also in gewisser Weise als Teilmengen von Mentalitäten.7

Der Einfluss des Mentalitätenwissens auf das individuelle Handeln variiert. Es ist in jeweils unterschiedlichem Ausmaß eine Hilfe bei der Entscheidung, wie man sich in diversen sozialen Situationen zu verhalten hat (vgl. Dinzelbacher 1993: XXIX). So stellt es beispielsweise abrufbare Informationen darüber bereit, ob bestimmte Handlungen in der Gesellschaft erwünscht sind. Mentalität ist, in Anlehnung an Lucien Febvre, ein outillage mental und beinhaltet als solches „die Summe der Orientierungsangebote, die in einem Kollektiv jeweils aktuell sind“ (vgl. ebd.: XXIXf.). Der Einzelne ist nicht nur Träger einer Mentalität mit einer Summe x an Orientierungsangeboten des kollektiven Denkens, Fühlens, Sollens und Wollens, sondern ist Träger von multiplen Mentalitäten mit multiplen Orientierungsangeboten und Deutungsmöglichkeiten, die in unterschiedlichem Ausmaß genutzt werden. Somit greift jeder Mensch nicht nur auf das in einer Mentalität gespeicherte Wissen zurück, „Mentalitäten gibt es nicht nur auf einer Komplexitätsebene, in einer bestimmten Konsistenz und immer denselben Ausdrucksformen“, sondern auf eine Vielzahl, die auf den verschiedenen Ebenen des sozialen Zusammenlebens entstehen (Kuhlemann 1996: 183). Da das Individuum in einer Pluralität von Mentalitäten denkt, benutze ich Mentalität auch stets im Plural. Je nach Situation werden jeweils andere Mentalitätenebenen aktiviert. Die Komplexität von Mentalitäten und die Reichweite ihrer Handlungsvorlagen werden anhand des Mehrebenenmodells von Kuhlemann (vgl. 1996: 193f.) verständlich. Dieser unterscheidet drei aufeinander bezogene Mentalitätenebenen:

 Totalmentalität: die epochalen, mehr oder weniger von allen Zeitgenossen (weltweit oder eines Kulturraumes je nach Forschungsperspektive) geteilten Einstellungen und Selbstverständlichkeiten.

 Makromentalitäten (Großgruppenmentalitäten): betrifft die Mentalität(en) größerer je nach Forschungsperspektive umgrenzter Kollektive (Nationen, Gesellschaften, Konfessionsgruppen …).

 Innerhalb der Makromentalitäten können weitere Partikular- bzw. Mikromentalitäten unterschieden werden (etwa Mentalitäten der Inner- oder Teilgesellschaft: Familie, Schule, Peergroup, Partei …) (vgl. ebd.; vgl. Spitzmüller 2005: 60).

Wichtig ist in Bezug auf Mentalitäten von dieser Mehrebenenstruktur auszugehen. Die vorliegende Arbeit richtet sich in erster Linie auf die Ebene der Großgruppenmentalität, berücksichtigt aber immer auch das bestehende Interdependenzverhältnis zwischen den einzelnen Mentalitätenebenen. Der Versuch von einer isolierten Kultur auszugehen und diese mit dem Staat (der Nation) Luxemburg gleichzusetzen, würde die Realität verkennen – gerade in einer Gesellschaft, die von Mehr- und Interkulturalität im besonderen Maße geprägt ist. Darüber hinaus muss nicht darauf hingewiesen werden, dass die Bevölkerung eines jeden Landes, als Teilgemeinschaft einer globalisierten Welt, in einer Pluralität von Mentalitäten denkt.

Menschen unterscheiden sich voneinander. Sie handeln schon aus diesem Grund unterschiedlich und interpretieren Situationen jeweils anders (vgl. Spitzmüller 2005: 59). Trotzdem ist vieles, was als eine individuelle Meinungsäußerung ausgesprochen wird, im Grunde genommen gesellschaftlich (vgl. Rehbein 2011: 97). Mit Bourdieu ist jedes Individuum immer schon gesellschaftlich gewesen (s. a. ebd.: 87 vgl. Krais/Gebauer 2002: 66,). „Was tue ich, was kein anderer Mensch tut?“ und „Was tue ich, was ich nirgendwo erfahren oder gelernt habe?“, fragt Rehbein (2011: 97).

Gegenstand dieser Arbeit ist ein spezifischer Teilbereich von kollektiven Wissens- und Handlungsvorgängen, nämlich diejenigen, die sich auswirken auf die Bewertungen, die Funktionen und die Positionen, die den Sprachen in Luxemburg und der deutschen Sprache im Besonderen zugeschrieben werden. ‚Mentalität’ als Schlüsselelement der Untersuchung erlaubt es eine Brücke zwischen Wissen und Verhalten herzustellen. Die Sozialpsychologie betrachtet den Einfluss von Einstellungen auf das Verhalten kritisch (vgl. Scharloth 2000: 45). Eine eingehendere Betrachtung des sozialpsychologischen Konzepts der Einstellung kann Auskunft darüber geben, inwieweit Mentalitäten tatsächlich in das Handeln des Einzelnen einfließen.

EXKURS: Einstellungen und Verhalten

Einstellungen werden sozial geteilt. Es existieren zahlreiche Definitionen, die zu erfassen versuchen, was Einstellungen sind und wie sie genau entstehen. Die meisten rekurrieren nach wie vor auf die bereits im Jahr 1935 von Gordon Allport formulierte Definition:

An attitude is a mental and neural state of readiness, organized through experience, exerting a directive and dynamic influence upon the individual’s response to all objects and situations with which it is related (Allport 1935: 810).

Einstellungen entstehen durch Erfahrungen, die im Verlauf des eigenen Lebens gemacht werden. Sie sind gesellschaftlich gewachsene Bewertungsvorlagen, die sich in der sozialen Interaktion (dem familiären Umfeld, der Peergroup, Bildungsinstitutionen, Medien …) bilden (vgl. Arendt 2010: 8). Indem der Einstellungsträger seine Einstellung gegenüber einem Einstellungsgegenstand abruft, erhält er eine Bewertungs- bzw. Reaktionstendenz. Während einfache Erklärungsmodelle der Einstellungsforschung nur diesen Bewertungsaspekt herausstellen und Einstellungen als evaluatives Maß auf einer eindimensionalen Richtungsskala veranschaulichen, die von maximal negativ bis maximal positiv reicht, ergänzen andere die Erklärungskomponente (nicht mögen – mögen), um eine kognitive Komponente (vgl. Gollwitzer/Schmitt 2009: 150). Sie verdeutlichen, dass Einstellungen vielschichtiger sind und eine geäußerte Bewertung noch lange nicht den Blick auf sämtliche vorhandenen Gedankengänge und Wissensbestände freilegt, die das Einstellungsobjekt betreffen könnten. Seit den 1960er Jahren wird das Drei-Komponenten-Modell zur Erklärung von Einstellungen (nach Rosenberg/Hovland und Katz/Scotland) in der Einstellungsforschung favorisiert (vgl. Hermanns 2002: 74). Die Gründe, die zur Entwicklung einer bestimmten Einstellung geführt haben und auch die Form, in der sich die Einstellung äußert, können, diesem Modell zufolge, kognitive, affektive und/oder konative Züge aufweisen.1

Die kognitive Komponente umfasst das Hintergrundwissen, das, bezogen auf das Einstellungsobjekt, erworben und gespeichert wurde. Man könnte auch von Vorstellungen, Informationen, Schemata (auch von auf bestimmte Situationen passenden Argumentationsschemata), Stereotypensets und vorgefassten Meinungen sprechen (vgl. ebd.: 75). Die Kognitionen beruhen auf früherem Verhalten, auf Erfahrungen und Erlerntem. Die affektive Komponente beinhaltet ablehnende oder zuwendende Dispositionen gegenüber dem Einstellungsobjekt (vgl. Vandermeeren 1996: 693). Auch diese Komponente geht aus Erlerntem, aus Erfahrungen und Erlebnissen hervor. Die behaviorale Komponente beinhaltet zum einen die Auffassung darüber, welche Handlungen, bezogen auf das Einstellungsobjekt, ausgeführt werden sollten und zum anderen den Handlungsvollzug (vgl. Spitzmüller 2005: 68). Arendt (2010: 10) hat vorgeschlagen konativ (oder auch: behavioral) durch volitiv zu ersetzen, da die Einstellung lediglich zu einem bestimmten Verhalten prädisponiere, das sich nicht zwingend mit dem daran anschließenden, tatsächlichen Verhalten in einer bestimmten Gesprächssituation decke. Auch Allport (1935: 805) führt diesen Gedanken aus:

In one way or another each regards the essential feature of attitude as a preparation or readiness for response. The attitude is incipient and preparatory rather than overt and consummatory. It is not behaviour, but the precondition of behaviour (Allport 1935: 805, Hervorh. im O.).

Einstellungen erfüllen bestimmte Funktionen, die von Smith, Brunner und White (1956), Katz (1967) und McGuire (1969) benannt worden sind (vgl. Casper 2002: 38):

 Die Wissensfunktion: Im Alltag müssen fortwährend Entscheidungen getroffen werden, was nicht zu bewältigen wäre, wenn bei allem, was wahrgenommen wird, das dazugehörige Vorwissen immer wieder aufs Neue gesammelt und dann sorgfältig ausgewertet werden müsste. Aufgabe der Einstellungen ist es als Bewertungs- und Handlungsvorlagen zu fungieren, auf die bewusst oder unbewusst zurückgegriffen werden kann (vgl. Gollwitzer/Schmitt 2009: 149; 151).

 Instrumentelle, utilitaristische oder auch Anpassungsfunktion: Diese Funktion basiert auf dem Wissen, dass Einstellungsäußerungen positive oder negative Folgen haben (vgl. Casper 2002: 39). Es geht um Bewertungen des Einstellungsobjekts hinsichtlich seiner Brauchbarkeit für das Erreichen beruflicher Ziele, für die Selbstverwirklichung des Individuums (instrumentell) oder für die Integration in eine bestimmte Gruppe (integrativ) (vgl. ebd.: 55).

 Die Ich-Verteidigungsfunktion: Einstellungen sind wichtig für den Erhalt des eigenen Selbstwertgefühls.

 Expressive Funktion: Einstellungen geben die Möglichkeit zur Selbstdefinition und zur Selbstdarstellung. Sie vermitteln u.a. Zugehörigkeit, Identität, Konformität, Charakter und Gruppenzugehörigkeit und formen die eigenen Wertvorstellungen.

So stehen Einstellungen als Orientierungsvorlagen parat und werden in passenden Situationen intuitiv abgerufen. Zwischen Abrufen und Handeln, muss zudem die Entscheidung getroffen werden, ob gemäß der vorgegebenen Schritte gehandelt werden soll oder nicht. Dies deutet darauf hin, dass außer der Einstellung noch zusätzliche Faktoren die Handlungsentscheidung in einer konkreten Situation beeinflussen. Die Einstellung allein bestimmt demnach noch nicht das folgende Verhalten. Sie fließt vielmehr in Abstufungen und in Abwägung der genannten Faktoren in das offen gezeigte Verhalten mit ein. So können Meinungen geäußert werden, die zwar vollkommen im Widerspruch zur persönlichen Einstellung stehen, dafür aber dem gesellschaftlichen Konsens entsprechen:

Schätzt das Individuum […] die normativen Erwartungen in einer bestimmten Situation als besonders verbindlich ein, wird seine Einstellungsäußerung diese normativen Erwartungen berücksichtigen. Die Gewichtung von Normerwartung, habitualisierter Einstellung und subjektiven Zielen bestimmt auf diese Weise die Selbstdarstellung in einer Situation (Tophinke/Ziegler 2006: 209).

Tophinke und Ziegler (vgl. 2006: 205) fordern deshalb, dass bei Spracheinstellungsuntersuchungen die soziokulturellen, situativen und interaktiven Kontexte, in denen Meinungsäußerungen fallen, mitberücksichtigt werden müssen.2

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