Kitabı oku: «Neubayern», sayfa 5

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Das Schwalbennest


Bericht von Joseph Kiener. Fortsetzung

Kiener«, hörte ich hinter mir. Ich erschrak. »Kiener, komm.« Ich drehte mich um. Hinter mir begann das Dickicht des Waldes. Ich blickte vorsichtshalber wieder stur nach vorne. Das war die Stimme von Elsi. Ich drehte mich wieder um. Sie stand mitten im Unterholz im Dunklen und schaute mich an. Das helle Gesicht im dunklen Wald. »Ich konnte dich nicht alleine gehen lassen, Kiener. Du siehst ja, was dir dann passiert. Jetzt komm. Zum Engel.«

Als ich mich an das Dämmerlicht im Wald gewöhnt hatte, sah ich dass Elsi ungewöhnlich gekleidet war. Ein grober Janker, ein Jägerhut, eine wollene Bundhose und ein Rucksack. Wie ein Mann. Wie der Traublinger, wenn er ins Holz geht, um seine Fichten zu überprüfen und zufällig mit einer Wildsau und einem Mordsrausch heim kam. Vielleicht waren das sogar die Kleider vom Traublinger. »Komm, ich bring dich zum Engel. Das hätte ich eh besser gleich gemacht und dich nicht erst alleine loslaufen lassen sollen.«

»Elsi, was ist da gerade passiert?«

Elsi ging den Hang nach oben.

»Komm, Kiener.«

»Ich wollte in Russlach nach dem Weg zum Doben und nach Hinterwald fragen, und dann war da niemand und dann plötzlich die Perchtln und das Blut und die Kinder und die Musik.«

Elsi war ungeduldig: »Das muss dir alles der Engel erklären. Und mit Hinterwald wärst du so eh nicht weiter gekommen. So heißt der Engel, wenn er nicht Engel genannt wird.«

Wir gingen langsam. Bergauf ist noch nie meine Stärke gewesen. Elsi lief viel schneller als ich.

Wir stiegen bestimmt über eine Stunde durch den Wald. Als wir schließlich auf einer Lichtung zum Rasten kamen, konnten wir kurz über das ganze Tal blicken. Von Russlach aus stieg immer noch dunkler Rauch auf. Viel weiter hinten konnte ich den Kirchturm von St. Jakob in Rieding erkennen.

»Von ganz oben kannst du bis in die Stadt hinein sehen.« Elsi stieg schon weiter auf.

Wir gingen um einen kleinen Hügel herum und standen auf einer großen Weide. In Oberpfaffing gab es eine ganz ähnliche Stelle: Die Felswand des Wachten und darunter eine große Viehweide, auf der im Sommer die Rinder des Dorfes waren. Hier sah ich aber ganz andere Tiere. Wollrehe, wie vor einigen Monaten auf dem Kirchplatz. Weiße Wollrehe. Zehn oder fünfzehn Stück. Sie sprangen wie Ziegen davon, wenn man ihnen zu nahe kam. Ganz elegant. Nicht wie die normalen Rehe sondern eher wie Böcke. Nach allem, was ich heute gesehen hatte, wunderte mich nichts mehr. Die Tiere und ihre Bewegungen sahen jedenfalls sehr geschmeidig aus. Ich schaute zu Elsi, sie machte mir ein ungeduldiges Zeichen, ihr zu folgen und ging weiter.

Oberhalb der Weide sah ich ein ganz und gar ungewöhnliches Haus. Ein Haus, wie ich es noch nie vorher zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht das Haus einer Hexe oder eines Magiers, dachte ich damals. Es war direkt in die felsige Wand gebaut und hing wie ein Schwalbennest über der Wiese. Das Haus schien ganz und gar aus übrig gebliebenen Teilen alter Höfe und Stadthäuser zu bestehen: Schiefe Fenster, krumme Türen, quietschende Winden, verzierte Balken, zerbrochenes und ganzes Glas in bunten Kirchenfenstern, bemalte Bauernschranktüren. Etwas, das aussah wie eine Aussteuertruhe, klebte wie ein Balkon an einer der Wände. Ein wilder Haufen unterschiedlicher Teile, windschief und krumm zusammengeleimt, gebunden und genagelt. Alte Schränke und etwas, das aussah wie ein Sarg oder ein Aborthäuschen, wurden zu Türmchen und Erkern. Nichts passte zusammen und doch fügte sich alles zu einem seltsamen Gebäude zusammen. Das Ganze wurde gestützt durch eine Vielzahl von Baumstämmen und alten Dachbalken, die das Haus an den oberen Rand der Felswand drückten. Obwohl es fast windstill war, schienen die einzelnen Elemente immer in Bewegung zu sein und ich befürchtete, irgendeines der wackeligen Teile könnte sich lösen und auf uns herabstürzen.

Ich konnte nicht erkennen, ob es von dort, wo wir standen, überhaupt einen Weg zu dem Schwalbennesthaus gab. Es hing bestimmt dreißig oder vierzig bayerische Fuß über der Stelle, wo die Weide auf die Felswand traf. Elsi wirkte erleichtert: »Willkommen auf dem Doben, Kiener. Gleich sind wir beim Engel.« Ich blickte nach links und rechts die Bergkette entlang. Das Schwalbennesthaus war die höchste Stelle der gesamten Bergkette. »Ist er der Engel, weil er so weit über uns wohnt?«, fragte ich. Elsi lächelte nur milde und sagte: »Wart ab, Kiener. Der Engel ist halt der Engel.«

Hinter einem Busch war eine vergitterte, eiserne Türe vor einer Öffnung im Felsen. Elsi nahm einen winzigen Schlüssel aus ihrem Hosensack, sperrte auf und wir konnten eine steile Treppe in einem in den Fels geschlagenen Gang hinaufsteigen. Oben öffnete Elsi eine Falltüre, die mitten in das Schwalbennesthaus führte.

Das Haus war noch wackeliger und weiter oben als es von unten ausgesehen hatte. Bei jedem Schritt stöhnte und ächzte es und ich hatte dauernd das Gefühl, in einem leichten Luftzug zu stehen. Aber was die Aussicht betraf, hatte Elsi nicht übertrieben. Ich sah Rieding mit St. Jakob und viel weiter hinten konnte ich am Fuß einer anderen Bergkette die Stadt sehen. Die Stadt mit den drei Kirchen, dem Dom und der Bischofsresidenz.

Ich ging ganz nah an eines der größeren Fenster. Der Boden stöhnte. Zwar war ich schon oft in Richtung Wachten gelaufen und hatte vom oberen Goaßweg Richtung Rieding geschaut, aber der Blick aus dem Schwalbennesthaus ließ mich nicht so leicht los. Ich konnte mich gar nicht satt sehen. Gleichzeitig scheute ich die ungewohnte Höhe. Über Russlach schien die Sonne, weiter hinten über Rieding und der Stadt ballten sich Wolken. Dazwischen Sonnenstrahlen, Regenschlieren, Licht, Dunkel, Blau, Grau, Grün, Berge, Hügel, Felder, Weiher, Wälder, Höfe und Dörfer.

Ich weiß nicht, wie lange ich da stand. Wahrscheinlich lange, denn es wurde langsam dunkel.

Jemand legte mir die Hand auf die Schulter. Es war Elsi. Ich drehte mich um und wusste, dass ich den Engel kennenlernen würde.

Ich erwartete, überrascht zu sein. Eine Lichtgestalt in Weiß oder ein weiser alter Mann. Aber der Engel, den ich mitten im Schwalbennesthaus stehen sah, war ganz normal. Vielleicht vierzig Jahre alt, weder dick noch schlank, schüttere farblose gescheitelte Haare, Schnurrbart, saubere graue Weste, weißes Hemd und graue wollene Hose. »Der Kiener«, sagte er ruhig und ging auf mich zu um mir die Hand zu schütteln.

»Elisabeth sagt, dass du einige Antworten bekommen möchtest. Sie hat das Gefühl, dass du einer bist, dem wir vertrauen können und der alles verstehen wird.«

Er schaute mich lange an und fuhr dann fort. »Elisabeth hat mir das Meiste über dich schon erzählt.« Der Engel ging einige Schritte ins Halbdunkel nahe der Felswand. Da standen zwei Sessel, auf die wir uns setzten. Der Engel schaute mich unverwandt an. Ich fühlte mich unbehaglich.

»Was weißt du über das Königreich Bayern, Kiener?«

Ich schaute irritiert zu Elsi, die mir aufmunternd zulächelte.

»Ich will dir erst mal ein wenig die Augen öffnen, Kiener, und dazu muss ich wissen, was du weißt, verstehst du?« Der Engel sprach sehr ruhig und fast nach der Schrift. Er wirkte herablassend und schaute mir direkt in die Augen. Ich fühlte mich trotzig.

»Halt alles, was wir in der Schule gelernt haben. Wiener Kongress. König Ludwig und die Wittelsbacher, Residenz in München und es gibt Altbayern und Franken und Schwaben und so etwas.«

»Aha, das ist ja nicht besonders viel, oder?« Der Engel lächelte. Ich mochte ihn nicht. Er blickte sich Beifall heischend zu Elsi um.

»Kennst du jemanden, der schon einmal in München war?«

Ich verstand den Sinn seiner Fragen nicht. Die Erwähnung Münchens weckte immer noch und immer wieder Unbehagen in mir.

»Der Dobler aus Oberpfaffing ist nach München, der war so gut in der Schule, dass der zum Studieren da hin musste. Und der Benno vielleicht …«

»Zum Benno kommen wir später. Aber sag, Kiener, kennst du jemanden, der aus München zurückgekommen ist? Nach Oberpfaffing.«

Das brachte mich ein bisschen zum Nachdenken. »Nein.«

»Geh doch mal an das Fenster und zeige mir, in welcher Richtung deiner Meinung nach München liegt.«

Ich schaute zum Fenster und wieder zum Engel. »Das kann ich nicht.«

»Kennst du jemanden, der schon einmal in Rosenheim oder Landshut oder Straubing war?«

»Ich weiß nicht, was das sein soll.«

»Das sind wichtige Städte in Bayern. Wie heißt denn die nächste größere Stadt zwischen hier und München?«

»…«

»Kommt dir das nicht seltsam vor, Kiener? Dass du hier in Bayern bist, aber noch nie von anderen Orten gehört hast?«

»Ich arbeite halt viel mit meinen Fischen und habe wenig Zeit.«

»Ich habe schon gehört, wie viel du arbeitest und was du mit deiner Zeit machst.« Der Engel rollte mit den Augen und schaute wieder zu Elsi. »Hast du vielleicht schon mal etwas über Straubing oder Rosenheim gelesen?«

»Nein.«

»Bist du besonders dumm im Vergleich zu den anderen oder woran meinst du liegt das?«

Langsam wurde ich zornig. »Vielleicht gibt es das alles gar nicht. Nur weil Sie es behaupten, heißt das noch lange nicht, dass das alles existiert. Der Pfarrer hat immer gesagt, dass es gar keine Perchtln oder den heiligen Andreas gibt. Und was habe ich gerade gesehen …? Und jetzt kommen Sie mit Rosenheim und Straubling und lauter solchen Dingen. Warum soll es die denn geben? Nur weil Sie das behaupten.«

»Du hast ja recht, Kiener. Ich versuche es noch mal andersherum.« Der Engel nahm seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger, als wollte er mir zeigen, wie besonders gut er nachdenken konnte. »Sag, in welchem Jahr hat unser jetziger König den Thron bestiegen?«

»10. März 1864.« Das wusste jedes Kind in Bayern. Trotzdem ärgerte es mich, dass der Engel mit mir wie mit einem Kind sprach.

»Und er ist unser Herrscher und König und Landesvater und alles?«

»…«

»Und jetzt kommt das Schwierigste, Kiener. Eine Rechenaufgabe. Wenn der König 1864 den Thron bestiegen hat und, wie du sicher weißt, 1845 geboren wurde, wie alt ist denn unser Gebieter heute?«

Ich mochte seinen überheblichen Tonfall nicht. »Gebieter«, sagte er mit einem Unterton, der mir respektlos vorkam. Ich musste an den mystischen Moment in Rieding denken, als ich das Wandbild unseres Königs angesehen hatte und von meinen Gefühlen übermannt worden war. Und mir fielen die Gesichter meiner Mitschüler in der Oberpfaffinger Dorfschule ein, denen beim Singen von »Heil unserem König« die Tränen über die Wangen liefen. Trotzdem rechnete ich. Und das war nicht schwierig: 2016 minus 1845 war hunderteinundsiebzig. Nicht gerade eine komplizierte Rechenaufgabe für einen Fischdandler. Obwohl ich sonst eher mit kleineren Zahlen zu tun hatte.

»Das wissen Sie doch selbst. Warum stellen Sie mir so eine Frage?«

»Wieviele andere Hunderteinundsiebzigjährige kennst du noch? Oder andersherum: Wie alt ist der älteste Mensch, den du kennst?«

»Die Oma vom Sailler ist achtundachtzig. Aber die machts nicht mehr lang.«

»Und hunderteinundsiebzig. Kommt dir das nicht komisch vor?«

»Er ist immerhin der König.« Ich konnte nicht glauben, dass mir der Engel überhaupt so ein dumme Frage stellte. »Vom Andreas von Rieding heißt es auch, dass er über hundertfünfzig Jahre alt geworden ist. Und, wie ich heute gesehen habe, ist der nicht unbedingt eine erfundene Figur. In der Bibel gibt es auch den Abraham und der ist hundertfünfundsiebzig Jahre alt gewesen. Warum soll unser König also nicht hunderteinundsiebzig sein?«

Der Engel blickte fast verzweifelt in Richtung Elsi. Die kam auf mich zu, nahm meinen Arm und führte mich an das große Fenster.

»Kiener, wir hören jetzt besser mit der Fragestunde auf. Du bist hier aufgewachsen und hast nie etwas anderes gehört, als was man dir in der Schule, im Katechismusuntersicht und in der Kirche erzählt hat. Du hast nie etwas in Frage gestellt. Warum auch. Jetzt bist du den sogenannten Perchtln zum ersten Mal begegnet und hast zum ersten Mal einige Dinge hinterfragt. Vielleicht ist es ein bisschen viel, wenn wir versuchen, dich ohne unsere Hilfe selbst auf alles kommen zu lassen« Elsi blickte zum Engel. Der drehte sich von uns weg. Elsi fuhr fort. »Außerdem ist es schon spät, du hast noch nichts im Bauch und morgen ist ein neuer Tag. Ich zeig dir, wo du schläfst und dann essen wir.«

Elsi führte mich durch eine Türe im Felsen auf der Rückseite des Schwalbennesthauses in ein geräumiges Höhlenzimmer. Die Wände waren grob aus dem Fels geschlagen und weiß angestrichen. Im Gegensatz zum windigen, wackelnden und knarzenden Holzteil des Schwalbennests, war hier alles fest und ruhig. Und unglaublich sauber. An einer Wand stand ein einfaches helles Holzbett. Gegenüber war ein Waschtisch mit weißem Waschgeschirr. An der Wand über dem Bett hing die farbige Landkarte, eines Landes, das ich noch nie gesehen hatte: Spitz und vom Meer umgeben. Die Ortsnamen waren in einer mir unbekannten Sprache. Elsi zeigte mir noch den Abort. Ein ebenfalls weißes Zimmerchen, das mir so sauber vorkam, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dort auf das Klo zu gehen. Aber durch den ganzen Gang nach unten gehen, um in die Büsche zu machen … Statt eines Brettes mit Loch war da eine Art Stuhl aus demselben, kalten Material wie sonst Teller oder Suppenschüsseln, mit einer hölzernen Einfassung der Sitzfläche. An einer Wand war eine Waschschüssel fest angebracht. Aus einem eisernen Rohr konnte man durch Treten auf ein Pedal am Boden Wasser fließen lassen. Als ich das Abortzimmer verließ, schlich sich Elsi direkt hinter mir hinein und zog an einer Kette, die neben dem Stuhl von der Decke hing. Es rauschte, als ob Wasser fließt.

Im großen Schwalbennestraum gab es an einem Tisch Fleischsuppe, Brot und kaltes Fleisch mit Kren. Es war nur für mich gedeckt und Elsi saß schweigend und abwartend neben mir. Der Engel war nicht dabei.

Durch das große Fenster sah ich im Westen eine untergehende Sonne über den Bergen. Ganz leise hörte man die Kirchenglocken aus Russlach. Abendandacht.

Am nächsten Morgen fiel mir alles schwer. Muskelkater vom schnellen Bergaufgehen. Im Zimmer war es dunkel. Ich wusste nicht, ob noch oder schon wieder. Zwar hatte ich auf der echten Matratze gut geschlafen, besser als auf meinem Strohsack, doch war ich ohne Orientierung und die stehende Luft im Höhlenraum hatte ein drückendes Gefühl in meinem Kopf hinterlassen.

Trotz der Dunkelheit entdeckte ich, dass ich über einen Seilzugmechanismus eine Klappe öffnen konnte, die einen Spiegel verbarg, der Tageslicht in das sonst fensterlose Zimmer leitete. Es ging mir schon etwas besser. Ich wusch mich ausgiebig und fand frische Kleidung neben dem Waschtisch. Die gleiche, die der Engel auch getragen hatte. Das Hemd war aus einem feinen, aber stabilen Stoff und die Hose machte einen unglaublich exakten Eindruck auf mich. Alle Nähte waren gleichmäßig und nirgendwo fand ich Unregelmäßigkeiten im Stoff oder der Webstruktur. So ein Material hatte ich noch nie in den Händen gehalten. Ich fand auch neue Schnürstiefel neben meinem Bett. Die mussten vom besten Schuster Bayerns gemacht worden sein. Alle Nähte waren perfekt und das Leder der Sohlen war fest und doch elastisch.

In Hemd, Hose, Weste und Stiefeln ging ich in den Schwalbennestraum. Es war doch noch früher als gedacht. Noch war alles still und niemand außer mir war wach. Vom großen Fenster aus hatte ich einen guten Blick auf die Viehweide unter der Felswand. Dort war schon viel los. Drei Männer fingen die Wollrehe ein. Sie versuchten Schlingen um ihre Hälse zu werfen und sie sobald sie eines erwischten an zwei Beinen zusammenzubinden, damit es nicht mehr so gut laufen konnten. Einige der Tiere waren bereits gefangen und in einem eingezäunten Bereich eingesperrt.

Hinter mir hörte ich Geräusche. Elsi kam durch die Türe in der Felswand. Mir verschlug es bei ihrem Anblick fast den Atem. Ich sah nur nackte Beine, nackte Füße und nackte Arme. Sie streckte sich, lachte, als sie meinen Gesichtsausdruck sah und verschwand wieder in der Felswandtüre.

Kurze Zeit später kam sie normal gekleidet zurück. Kleid, Schürze, die Haare hochgesteckt.

Elsi brachte Brot, Butter und Muß, stellte es auf den Tisch. Außerdem platzierte sie eine große Schüssel mit Gsteckelter in der Mitte. In einem großen Krug brachte sie dampfend heiße Milch und in einem anderen war kochendes Wasser. Sie setzte sich und machte mir ein Zeichen, mich neben sie zu setzen. Aus einem Weckglas nahm sie mit einem Löffel braune Körnchen und schüttete diese in einen Tonbecher. Als sie das heiße Wasser darüber goss, wusste ich, was es war: Kaffee. Sie goss von der heißen Milch dazu und nippte am Becher. Dabei lehnte sie sich sehr weit in ihrem Stuhl zurück. Sie legte sich fast hinein.

Ich nahm mir vom Brot und brockte mir einige Stücke in die Gsteckelte. Dann aß ich noch eine Scheibe mit Butter und Mus. Das Brot war sehr frisch und ich befürchtete davon Bauchweh zu bekommen.

»Möchtest du auch einen Kaffee, Kiener? Wir haben zwar nur Löslichen, aber der ist besser als nichts.«

Mich schüttelte es bei dem Gedanken an das bittere buttrige Getränk vom Holderer.

»Aber besser du gewöhnst dich nicht zu sehr daran. Unten bekommst du eh nur Kaffeeersatz und der schmeckt noch furchtbarer.«

Ich schaute Elsi über den Tisch hinweg an.

»Was wolltet ihr mir gestern mit eurer Fragerei erklären?«

»Warte bis der Engel da ist.«

»Der lässt mich dastehen wie ein Depp.«

»Er ist halt sehr klug.«

»Deswegen braucht er mich nicht wie einen Deppen zu behandeln. Ich kenn das vom Holderer. Der hat auch zu mir gesagt, dass ich ein Bauerndepp bin.«

Elsi erschrak. »Der Holderer. Was hast du mit dem Holderer zu tun?«

»Den hab ich am Markttag in Rieding getroffen. Der hat mir auch einen Kaffee gegeben und mir von der Heimatwahr und den Wandbildern in Rieding und dem Andreas von Rieding und so erzählt.«

»Aber warum?«

»Ich bin vor seiner Hütte gestanden und er hat mich einfach reingeholt.«

»Warum sollte dich der Holderer einfach in seine Hütte holen? Das müssen wir dem Engel sagen. Der Holderer ist kein ungefährlicher Mann. Der macht nichts einfach so.«

In dem Moment betrat der Engel das Schwalbennestzimmer. Er hatte ein Buch unter den Arm geklemmt und hielt den gleichen Becher wie Elsi in der Hand.

»Bekomme ich noch einen Kaffee?« Elsi gab ihm von den braunen Körnern und der Milch. Nach einer Geste vom Engel holte sie noch eine Zuckerdose und gab ihm einen Löffel Zucker dazu. So weißen Zucker hatte ich vorher noch nie gesehen. Der Engel gefiel mir nicht besser als am Abend zuvor. Elsi dagegen war von ihm wie gefangen.

Als der Engel in einem der Sessel saß, ich ihm gegenüber und Elsi auf einem der Stühle, die sie vom Tisch zu uns geschoben hatte, lächelte mich der Engel an und nahm den Faden vom Vorabend wieder auf.

»So Kiener, hast du ein wenig über die Fragen von gestern nachdenken können? Wird dir jetzt klarer, was ich, was wir, dir mit unseren Fragen sagen wollen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Vielleicht ist es besser, wir schicken ihn einfach nach Oberpfaffing zurück. Ich habe den Eindruck, das hat alles keinen Sinn.«

»Christian.« Warum nannte Elsi den Engel beim Vornamen? »Du hast selbst gesagt, dass es mehr werden müssen, die Bescheid wissen. Gib ihm ein bisschen Zeit. Du weißt doch noch, wie das bei mir war. Ich hab auch erst nicht verstanden, was du mit deinen Fragen wolltest. Vergiss nicht, dass der Kiener im 19. Jahrhundert lebt.«

Der Engel, Christian, schaute mich nachdenklich an.

»Und der Holderer ist auch schon hinter ihm her …«

Das ließ den Engel aufhorchen. Aber so erschrocken wie Elsi war er nicht.

»Also gut. Bringst du mir noch einen Kaffee? Aber diesmal heiß.« Wie er Elsi herumschickte.

»So Kiener, dann höre ich jetzt mit meiner Fragerei auf und erzähle dir von Anfang an, was du wissen musst.«

Von diesem Zeitpunkt an war mein Leben ein anderes. Nichts war mehr, wie ich es kannte. Das Ereignis mit den Perchtln vom Vortag und meine plötzlichen Zweifel an allem waren nur eine Kleinigkeit gegen den Umbruch, der mit diesem Augenblick begann.

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