Kitabı oku: «Danke Lena», sayfa 3

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Kasperl, Bibi Blocksberg, Meister Eder

Auch Bruder Christoph erinnerte sich einmal an die gemütlichen Nachmittage und Wochenenden mit seiner großen Schwester. »Sehr lustig war immer, wenn die Lena mir und meiner kleinen Schwester Anna mit den Kasperlpuppen aus Holz Geschichten vorgespielt hat«, sagte er damals, »das war immer sehr kreativ und ich werde das nie vergessen.« Es herrschte ein ganz selbstverständlicher Zusammenhalt im Haus, und wenn der Christoph einmal etwas in der Schule nicht verstand, dann war die Lena immer da und half ihm bei den Hausaufgaben.

Natürlich gab es auch Momente, in denen die kleine Magdalena ihre Ruhe brauchte, sich zurückziehen konnte auf ihr Zimmer. Dann hörte sie am liebsten Kassetten. Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg. Und natürlich den Meister Eder und seinen Pumuckl. Fernsehen war bei Neuners eine ganz große Ausnahme, da musste schon etwas Besonderes kommen, einfach mal die Glotze anwerfen und sich von beliebigem, stumpfsinnigem TV-Programm berieseln zu lassen, so etwas gab es nicht.

»Warum auch«, sagt Albert Neuner, »so etwas ist doch nur verlorene Zeit.« Lieber seien sie, die Buben und die Lena, mit dem Radl durch die Gegend geheizt, hätten im Wald Verstecken gespielt und sich Hütten gebaut. Und sind gemeinsam mit den Eltern auf die Berge gegangen.

Wanderungen auf die Berge ringsherum, in Wallgau an den Wochenenden ein familiäres Standardprogramm. Die Schöttelkarspitze, die Soiernspitze, der Wank, der Krottenkopf, der Simetsberg, dazu eine ordentliche Brotzeit für die Rast am Gipfelkreuz, »da haben wir als Kinder schon ganz schön zu tun gehabt«, sagt Albert Neuner, »aber aktiv sein, verbunden mit der Natur, oben am Berg, das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, damit wirst du einfach groß hier.« Genau wie mit dem Glauben.

Wallgau ist sehr gläubig, Magdalena Neuner und ihre Familie sind es auch. Bei den Neuners gibt es wie in so vielen Häusern und Bauernhöfen in der holzvertäfelten Stube neben dem Esstisch einen Herrgottswinkel. Ein Eck, in dem ein Holzkruzifix hängt, Heiligenbilder und Figuren stehen. Maria, Josef, daneben eine Kerze.

Christen gibt es in Wallgau seit der Spätantike, Ende des 13. Jahrhunderts bauten sie hier die erste Kirche, rund um 1680 bekam der Turm dann seine Zwiebelhaube. Die Pfarrei heißt St. Jakob, wie so viele Kirchen entlang des Pilgerwegs, der hier seit dem Mittelalter durch den Ort ging, Richtung Rom, nach Jerusalem und natürlich zum Grab des Apostels Jakob in Santiago de Compostela. St. Jakob ist keine große Kirche, wenn man zum Altar blickt, hat es rechts 17 Sitzreihen und links 15. Die Heilige Messe ist am Sonntag um 9 Uhr, und wenn man es am Sonntag nicht schafft, dann kann man auch am Samstag um 19.15 Uhr gehen.

An einem von beiden Terminen war die kleine Magdalena fast immer in der Kirche zu sehen zusammen mit den Eltern als aktive Gemeindemitglieder, und als Albert und Magdalena Neuner vor Erstkommunion und Firmung standen, da wurden diese Vorbereitungsgruppen von Margit Neuner geleitet, Lenas Mama. Die Familie ging nicht der lästigen Pflichterfüllung wegen in die Kirche und auch nicht wegen religionspolitischer Dogmen, sondern aus tiefster grundfester Überzeugung für ein christliches Miteinander, im Wissen um die Grundwerte des Lebens.

Als Magdalena Neuner schon viel Geld eingenommen hatte durch Preisgelder und Sponsoren, als sie sich schon viel hätte leisten können, da sagte sie: »Wenn ich jetzt daherkäme und mir einen Porsche kaufen würde, würde mir mein Vater doch den Vogel zeigen. Geld kann man doch viel sinnvoller anlegen, zum Beispiel für das künftige Studium seiner Kinder.«

Das Leben mit dem behinderten Onkel

Worauf es im Leben ankommt, erkannte Magdalena Neuner schon sehr früh, wie sie Anfang 2007, noch vor ihren drei WM-Titeln in Antholz, in einem sehr persönlichen und intensiven Gespräch mit dem Autor sagte. Es ging damals um ihre Beweggründe, zwei Jahre zuvor bei den nationalen Meisterschaften der geistig Behinderten in Garmisch, den Special Olympics National Games, bei der Eröffnungsfeier den Eid zu schwören. »Ich wusste schon immer, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind als der Sport«, meinte sie damals. »Auch weil ich, seit ich ein Kind war, meinen behinderten Onkel miterlebe, der bei uns in der Familie lebt. Er hat Muskelschwund und kann sich kaum bewegen. Wenn man das wie ich von klein auf mitbekommt, dann hat man auch keine Berührungsängste mit behinderten Menschen, und man weiß es auch zu schätzen, wenn es einem gut geht – und wenn man normal laufen kann.« Die Erkenntnis, dass die Gesundheit das höchste Gut ist im Leben.

Auch Anneliese Holzer, von der als Magdalenas erster Trainerin später noch die Rede sein wird, sagt: »Die Sache mit ihrem Onkel hat ihr schon immer gezeigt, was alles sein kann, und dass nicht immer alles heile Welt sein muss.« Selbst nicht in so einem Idyll wie Wallgau, wo aber nicht nur der Glaube eine große Bedeutung hat, sondern auch die Musik. Die Volksmusik.

Bei den Neuners beherrschen sie alle ein Instrument. Paul, der Vater etwa, lernte Flügelhorn, genau wie Christoph, der jüngste Sohn. Dazu ist der Papa Dirigent der Musikkapelle Wallgau, und auch Paul, der Bruder, hat inzwischen seine eigene Band, eine Volksmusik-Band mit Namen »Die 3-einigen«, da spielt Paul, den sie »Bauli« nennen, Tuba und E-Bass.

Magdalena spielte anfangs Blockflöte, später kam die Harfe dazu. Die Harfe, das erzählte sie Ende 2007, würde sie auch immer an Weihnachten im Kreis der Familie spielen. »Das sind dann immer glückliche Tage für mich«: Heiligabend, wenn es bei den Eltern Weißwürste und Brezn gibt und sie später alle in die Christmette gehen, wo Neuner nach eigenen Worten »beim Erklingen der Weihnachtslieder immer Gänsehaut« bekommt. Und am 1. Feiertag, wenn sie sich alle bei Oma Dora treffen, auch da wird die Harfe ausgepackt.Von der Harfe sollte in späteren Jahren noch oft berichtet werden, gerade in den allerersten Porträts bis hin zu den WM-Triumphen von Antholz, war die Harfe bald schon ein Markenzeichen, auch wenn das Klischee vom Harfe spielenden Mädl aus dem Oberbayerischen teilweise etwas überstrapaziert wurde.

Keine halben Sachen – auch nicht beim Schuhplattler

Die Hausmusik gehörte daheim zum festen Bestandteil, so wie auch das Tanzen. Tanzen machte Magdalena viel Spaß, im Trachtenverein, der sich auf die Fahne geschrieben hat, sich stark zu machen »für die Erhaltung unserer kulturellen Eigenheit, Sitt’ und Tracht«. Darum tanzt man dort natürlich auch den bayerischsten aller Volkstänze, den Schuhplattler. Auch hier war Albert Neuner zusammen mit seiner Cousine als Kind in einer Gruppe, man probte einmal die Woche, und wenn Heimatabende oder Dorffeste anstanden, oder auch Hochzeiten, dann durften sie den Tanz auch aufführen.

Albert Neuner sagt, dass es kein Mädchen gab, das so gut geplattlt hätte wie die Lena. »Die hat einfach in allem gut sein wollen«, sagt er, »und das war eben auch schon als Kind so. Einfach so nebenher mitmachen, das war nicht das ihre, wenn die sich was in den Kopf gesetzt hat, dann hat sie das auch durchgezogen, und wenn es das Schuhplattln war.« Im Frühling 2006, als sie 19 war und sich eine große Sport-Karriere bereits andeutete, verabschiedete sich Magdalena Neuner ganz bewusst aus dem Kreis der aktiven Trachtentänzer. Zum Abschied, als sie einen schönen Blumenstrauß bekam, sagte sie, ihr fehle jetzt einfach die Zeit, weil das Training immer intensiver würde, und meinte zum Schluss noch: »Ich mache keine halben Sachen.« Ganz oder gar nicht, ganz konsequent.

»Und wenn sie was gemacht hat«, sagt Albert Neuner, »gab es genau wegen dieser Einstellung nichts, wo sie gescheitert wäre.« Auch in der Schule nicht, wie ihre alten Lehrerinnen erzählen.

In den ersten beiden Klassen in der Grundschule hatte Magdalena Neuner Karin Stichaner als Lehrerin, und die Frau Stichaner kann sich noch gut an diese brave, höfliche und zuvorkommende Schülerin erinnern. »Bei der Magdalena hat es nie etwas Negatives gegeben«, sagt sie, »sie war stets gut aufgelegt, hat im Unterricht immer gut mitgemacht, einfach ganz ein liebes Mädl,« Renate Gerblinger sagt das auch, sie hatte die Lena dann als Lehrerin in der dritten und vierten Klasse, sie erinnert sich an die Liebe zur Handarbeit und eben auch zur Musik. »Ich weiß noch, wie viel Freude es ihr gemacht hat, etwas auf der Harfe vorzuspielen«, sagt die Lehrerin, »die Mutter kam dann immer mit dem Auto vorgefahren und hat das Instrument gebracht.« Weil es doch etwas umständlicher zu transportieren war als die Blockflöte.

Leistungssport statt Abitur

Magdalena sei eine sehr gute Schülerin gewesen, sagt Frau Gerblinger. »Immer bei der Sache, fleißig und pflichtbewusst.« Als die vierte Klasse dann 1997 geschafft war, war es mit der Schulzeit in Wallgau vorbei. Manche aus ihrer Klasse gingen aufs Gymnasium nach Garmisch-Partenkirchen, Magdalena Neuner ging wie Albert erst einmal weiter nach Krün, dem Nachbarort, auf die Teilhauptschule I. Das ist in Bayern ein Anschluss an die Grundschule, zwei Jahre lang, manche sagen dazu auch Orientierungsstufe, danach entscheidet sich, ob weiter Hauptschule oder Realschule, bei Magdalena Neuner war es ab 1999 die Realschule. Später, meinte sie einmal, habe sie sich oft gefragt, ob sie nicht doch aufs Gymnasium hätte gehen sollen, das Abitur machen. Das Zeug dazu gehabt hätte sie, zweifellos. »Ich war ja keine schlechte Schülerin«, sagte sie, »aber für meine Karriere im Sport war die Entscheidung einfach optimal.« Die Entscheidung, nach der zehnten Klasse mit Mittlerer Reife abzuschließen. Nach vier Jahren in Partenkirchen, an der Irmengard-Realschule.

Das Irmengard sind eigentlich zwei Schulen, neben der Realschule gibt es ein Gymnasium, es ist ein mächtiger Bau direkt an der Hauptstraße in Partenkirchen, zwei reine Mädchenschulen, und bei den Einheimischen heißt das Irmengard auch schon mal »Jungfernbunker«.

Träger der Irmengard-Schule ist die Erzdiözese München und Freising, der Glaube ist auch hier ein zentrales Thema. »Der Glaube«, sagt Angelika Dahner, »kann im Leben ein Fels sein und einem viel Kraft geben.«

Angelika Dahner ist die Rektorin der Irmengard-Realschule, sie kam im Jahr 2000 hierher, als Lena Neuner gerade in die achte Klasse vorrückte. Und Angelika Dahner sagt, dass ihr die Magdalena schon damals besonders aufgefallen sei, ganz abgesehen von ihren sportlichen Leistungen und ersten Erfolgen, auch wenn damals noch nicht jeder Lehrer von ihrer großen Zukunft überzeugt war. Als Magdalena 13 war, ging es im Englisch-Unterricht einmal um die Berufswünsche der Schülerinnen. Magdalena sagte, sie wolle im Biathlon Profi-Sportlerin werden, aber da, erzählte sie später, habe ihr Lehrer nur gelacht und gemeint, dass das viele wollen würden, Profi-Sportler oder Pop-Star. Die junge Magdalena sagte daraufhin nicht viel, sie machte sonst ja auch nie Wirbel um ihre Träume, gab nie an, blieb eher zurückhaltend, wie die Rektorin sagt.

»Mit ihrer Anmut und ihrer Bescheidenheit«, sagt Angelika Dahner, »mit ihrer Herzlichkeit und ihrer Liebenswürdigkeit, da hat sie uns alle platt gemacht.«

Zielstrebig, humorvoll, verschmitzt

Fast nur Zweier und Dreier hatte sie in ihren Arbeiten und Zeugnissen, in Sport natürlich nur Einser, aber viel mehr als die Noten sagen die Beurteilungen aus, die Frau Dahner damals schrieb, die Bemerkungen, an die sie sich auch heute noch erinnern kann. Denn in ihren Beurteilungen hat Angelika Dahner damals viele Attribute zu Magdalena gefunden. »Zielstrebig« etwa, »beispielhaft«, »beständig«, vor allem aber spricht Neuners Schulleiterin von der »sozialen Kompetenz und emotionalen Intelligenz« ihrer ehemaligen Schülerin. »Sie hatte schon immer ein enormes Einfühlungsvermögen, eine starke Empathie. Wie sie Dinge wahrgenommen hat und wie es ihr gelungen ist, in der Begegnung mit den Mitmenschen immer den richtigen Ton zu treffen, zeigte mir früher schon, dass das ein außergewöhnliches Mädchen ist aus einer ganz tollen Familie.« Die Familie, die das Fundament gelegt habe. »Die Eltern haben ihr das beispielhaft vorgelebt«, sagt Dahner, »geerdet zu sein und damit eine große Reife in Charakter und Persönlichkeit zu entwickeln.«

Humorvoll, verschmitzt, auch das, sagt Angelika Dahner, sei die Magdalena als Schülerin gewesen. »Ein Mensch, der auch sehr stark und deutlich nonverbal durch die Augen sprechen kann«, sagt sie, und dann meint die Schulleiterin noch: »Die Schönheit ihrer Seele ist auch in ihren Augen zu erkennen.« Manches, was Angelika Dahner sagt, klingt schon fast zu perfekt und zu makellos, wenn sie etwa davon spricht, wie sie die Magdalena bei einem Schulkonzert an der Harfe habe sitzen sehen, »einem Engel gleich« und wie sie, Dahner, »dahingeschmolzen« sei.

Nach 2003, als sie die Schule dann verließ, kam Magdalena noch manchmal zurück. Ja, natürlich ging es auch immer mehr um die Erfolge, aber genau deswegen wollte Lena Neuner auch immer weniger darüber sprechen, sie wollte einfach sie selbst sein, mehr die alte Schülerin als die erfolgreiche Sportlerin. Und wenn sie sich dann bei Schulfesten an den Tisch mit den alten Lehrern setzte, dann ging es um die alten Zeiten und um Anekdoten und das Ja-wissen-Sie-noch. Neuner siezte ihre Lehrer natürlich nach wie vor. Genauso natürlich war es für sie, dass sie umgekehrt weiterhin geduzt werden wollte.

Nach dem Dreifach-WM-Gold von Antholz schrieb sie Ihrer Rektorin einmal ein Autogramm mit Widmung. »Für meine Frau Dahner« steht darauf, das hat natürlich einen Ehrenplatz im Irmengard-Direktorat, ein ewiges Andenken an einen vorbildlichen Menschen. »An einen in sich ruhenden Menschen«, sagt Frau Dahner, »an einen mittigen Menschen.«

Ein Mensch, der sich schon immer darüber im Klaren war, was er will, und auch was er nicht will. Und wenn sie etwas nicht wollte, dann gab sie das auch immer deutlich zu verstehen. Wie damals. Beim Wallgauer Ortsprospekt.

»Langlaufen und Schießen irgendwie« – Lenas Anfänge im Biathlon

Schuld an allem war ja im Grunde genommen Anneliese Holzer. Ohne sie hätte Magdalena Neuner vielleicht eine Profi-Karriere im Tennis angestrebt, das hatte sie in jungen Jahren schließlich auch gespielt. Oder sie wäre zum FC Bayern gegangen, dann natürlich nicht wegen des Lockrufs von Uli Hoeneß, der sie nach ihren Olympiasiegen von Vancouver in die Marketing-Abteilung des Vereins holen wollte. Sondern deswegen, weil sie auch einmal den Traum hatte, ein Star im Frauenfußball zu werden, wie sie später einmal sagte.

Oder sie hätte vielleicht doch eine Veterinärspraxis eröffnet. Albert Neuner, ihr Cousin, weiß nämlich noch, dass sie ganz früh als Kind einmal sagte, sie wolle Tierärztin werden. Aber dann wurde sie doch ein Weltstar im Biathlon. Dank Anneliese Holzer.

Anneliese Holzer kommt aus Krün, im Süden von Wallgau, von ihrer Terrasse aus sieht man gut hinüber in Magdalena Neuners Heimatort. Anneliese Holzer war selbst einmal Biathletin, Anfang der Neunziger Jahre. Sie war sogar richtig gut, sie lief zusammen mit Uschi Disl und Martina Zellner, 1993 etwa wurde sie mit der Staffel »Bayern 1« Zweite bei den Deutschen Meisterschaften. So ganz nach oben in die Weltspitze reichte es aber dann doch nie, Lillehammer, Nagano, die Olympischen Spiele blieben ein ferner und unerfüllter Traum, und während Disl die große Karriere machte, ergriff Anneliese Holzer einen anderen Beruf, einen für Frauen eher ausgefallenen, sie wurde Croupier in der Spielbank Garmisch-Partenkirchen.

Aktiv im Biathlon aber ging nichts mehr. Rien ne va plus.

1996 kam dann eine Anfrage vom Skigau Werdenfels. Im Skigau sind insgesamt 58 Vereine aus der Region zusammengeschlossen, im Westen bis weit über Garmisch-Partenkirchen hinaus, bis hinüber nach Bad Kohlgrub, Bad Bayersoien, Peißenberg. Viele dieser Vereine haben vor allem Wintersport-Abteilungen, Alpin und Langlauf. Biathlon gab es nirgendwo, Biathlon schien aber eine große Zukunft zu haben, der Sport wurde immer beliebter in der Öffentlichkeit. Im Februar des Jahres hatte es in Ruhpolding die WM gegeben, eine gemeinsame WM von Männern und Frauen zusammen, das gab es auch erst seit 1989.

Der Urknall in Ruhpolding

Im Februar 1987 etwa, als Magdalena Neuner gerade auf der Welt war, mussten die Frauen noch getrennt von den Männern ihre eigenen Titelkämpfe austragen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Lahti. Die Siegerinnen hießen damals Grönlid, Björkbom, Elvebakk. Namen, die keiner kannte in Deutschland.

Neun Jahre später war das schon anders, die WM in Ruhpolding war der eigentliche Auftakt, der Urknall zu der großen Erfolgsgeschichte der Sportart Biathlon. 90.000 Zuschauer strömten in die neue Chiemgau-Arena, erstmals schrieben die Zeitungen von einem »Biathlon-Boom«, die Sportler sorgten für Schlagzeilen. Das Staffel-Gold der Frauen am Tag nach Magdalena Neuners neuntem Geburtstag, der überlegene Sieg des DSV-Quartetts um Uschi Disl, Simone Greiner-Petter-Memm, die Frau mit dem Dreifach-Namen, um Katrin Apel und Petra Behle mit 2:45 Minuten Vorsprung auf Frankreich, das war noch eine Initialzündung mehr für die Biathlon-Euphorie im Land. Man wollte mehr wissen über die Menschen hinter den Sportlern, im Fernsehen kamen vor allem über Uschi Disl viele Porträts, sie wurde als »lustiger Mensch« bezeichnet und es wurde erzählt, dass sie das Schießen in einem Steinbruch gelernt habe, kurz, es gab Berichte über Disl, wie es bei ihr früher war.

Wie es künftig werden würde, das war den Menschen im Deutschen Skiverband klar und auch im Skigau Werdenfels. Biathlon, das stand fest, hatte eine große Zukunft. Und genau darum trat der Skigau-Vorstand an Anneliese Holzer heran. Mit der Bitte, eine Biathlon-Trainingsgruppe ins Leben zu rufen, mit den besten Talenten aus der gesamten Region, von der Isar bis kurz vor den Lech.

Anneliese Holzer sagt, sie habe diese Idee auch sehr gut gefunden. »Ich hatte aber nur ein Problem«, meint sie, »ich habe mich nämlich gefragt, woher ich die Kinder nehmen soll. Und darum habe ich mir gedacht, jetzt klapperst du halt erst einmal die gesamte Verwandtschaft ab.« Und zur Verwandtschaft gehörte eben auch ein neunjähriges Mädchen aus Wallgau, dem Nachbarort. Die kleine Magdalena, die Tochter von Holzers Cousin Paul Neuner.

Sportlich war die Magdalena ja schon immer. Mit vier Jahren stand sie das erste Mal auf Alpin-Skiern, sie war dabei beim SC Wallgau, und Eva Möslein, die später den ersten Magdalena-Neuner-Fanclub mitbegründen sollte, erinnert sich an ein Alpin-Rennen der jungen Lena. Die Familie schaute damals zu, auch Dora, die Oma war dabei, und die Großmutter meinte dann in Sorge um die Gesundheit ihrer Enkelin: »Lena, musst Du denn wirklich so schnell fahren? Magst nicht ein bissl langsamer machen?« Worauf die Magdalena meinte: »Aber Oma, das ist doch ein Rennen.« Und da wollte sie ja immer ganz vorne dabei sein.

»Als hätte sie nie was anderes gemacht«

Neben Alpin-Ski und Tennis begann sie dann auch mit dem Langlauf. Mama Margit war nämlich eine begeisterte Langläuferin, und weil Anneliese Holzer wusste, dass die Magdalena eben gerne in der Loipe unterwegs ist, hörte sie nach, ob sie nicht auch mal Biathlon ausprobieren wolle, Langlaufen nur mit ein paar Mal Schießen zwischendrin.

Sie wollte, und wie. »Der Lena«, sagt Holzer, »hat es von Anfang an gut gefallen. Brutal gut.«

Das meinte auch Magdalena Neuner später, als sie sich an die Anfänge zurückerinnerte und gestand, dass ihr die Sportart noch eher fremd war, sie die WM in Ruhpolding gar nicht verfolgt hatte. »Damals konnte ich mir unter Biathlon noch gar nicht richtig was vorstellen«, sagte sie. »Ich wusste, Langlaufen mit Schießen irgendwie, aber wie das jetzt funktionieren sollte, da hatte ich keine Ahnung.« Aber sie habe doch schnell Gefallen gefunden: »Und dann hab ich das Gewehr in die Hand bekommen und habe die ersten Klappscheiben umgeschossen und das war toll. Und es ist auch heute noch so, dass es toll ist, wenn sie umfallen.«

So ging es dann los, im Sommer 1996. Zweimal die Woche gab es am Nachmittag ein Training, ein kleiner Rundkurs auf Rollskiern auf einer asphaltierten Strecke, aber natürlich ohne Waffen am Rücken. Die Gewehre waren am Schießstand, und es waren selbstverständlich auch keine Kleinkalibergewehre wie bei den Erwachsenen, sondern lediglich Luftdruckwaffen. Jede Patrone musste einzeln nachgeladen werden, beim Liegendschießen dienten Sandsäcke der Bundeswehr als Auflage für den Arm, und die Entfernung zum Ziel betrug auch nur zehn Meter und keine fünfzig. Sechs Kinder hatte Anneliese Holzer schließlich zusammen, die Magdalena, dann den Albert Neuner, mit dem sie ja auch verwandt ist, und noch vier andere aus der entfernten Familie, aus dem Bekanntenkreis.

Man könnte annehmen, dass bei neunjährigen Kindern in einem Schnupperkurs noch nicht unbedingt zu erkennen ist, ob hier ein enormes Potenzial vorhanden sei. Anneliese Holzer aber sagt: »Das Talent und der Ehrgeiz waren bei der Magdalena unglaublich. Es war deutlich zu sehen, dass daraus was werden könnte. Die Art, wie die auf dem Ski gestanden und gelaufen ist, da hast du gemeint, die hat in ihrem Leben noch nie etwas anderes gemacht. Als ob ihr der Ski angewachsen wäre.«

Es ging ja eher spielerisch zu am Anfang, es gab Erklärungen, wie die Technik im Laufen zu verbessern sei, beim Pensum aber gab es natürlich auch klare Ansagen. »Die Lena hat das alles umgesetzt, sie hat nie widersprochen«, sagt Holzer, »sie wollte das auch, sie wollte sich richtig schinden. Und wenn du ihr gesagt hast, dass sie jetzt bitte sechs Runden laufen soll, dann hat sie nie gemotzt und gefragt, ob es nicht auch fünf täten.« Eher lief sie stattdessen sieben Runden.

Drei Jahre lang war Magdalena Neuner bei ihrer Cousine im Training, dann lernte sie Bernhard Kröll kennen. Bernhard Kröll war damals ein junger Bursch, 22, mit 25 wurde er schließlich hauptamtlicher Biathlon-Trainer im Skigau. Damals war es noch ehrenamtlich, er betreute die Schüler ab zwölf Jahren, für den Aufwand gab es 176 Mark Benzingeld pro Monat.

1999 kam Magdalena dann also in Krölls Trainingsgruppe, Vetter Albert auch, in Albert sah Anneliese Holzer ein ebenso großes Talent wie in Magdalena, und als sie die beiden an Bernhard Kröll übergab, gab sie ihm mit auf den Weg: »Bernhard, wenn Du aus den beiden nix machst, dann können wir das vergessen. Wenn aus der Lena und dem Albert im Biathlon nix wird, dann kommt bei uns nie was raus.« Albert Neuner sagt heute, er selbst habe auch lange auf eine große Karriere gehofft, sah auch lange gut aus. Erfolge bei den Schüler- und Jugendrennen, in Bayern lief er die Konkurrenz in Grund und Boden, aber die Probleme beim Schießen wurde er nie richtig los.

Er schaffte es bei der Zoll-Sportfördergruppe in den B-Kader, startete im Europacup, wurde da einmal Fünfter, zu mehr reichte es nicht, immer ein, zwei Schießfehler zu viel. »Irgendwann musste ich einsehen, dass es keinen Sinn mehr macht im Biathlon, darum habe ich es dann sein lassen.« Mit 20, als die Magdalena gerade dreifache Weltmeisterin wurde. Albert Neuner blieb nach dem Ausscheiden aus der Sportfördergruppe bei seinem Arbeitgeber, er wurde Zollsekretär im Mittleren Dienst für Kontrollen auf Baustellen, in Gaststätten, bei Reinigungskräften, kurz, er macht Jagd auf Schwarzarbeiter. Ohne Gewehr.

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