Kitabı oku: «Kirchliches Arbeitsrecht in Europa», sayfa 13
(3) Sanktionierung bei Verstoß gegen eine Loyalitätsobliegenheit
Verletzt ein kirchlicher Arbeitnehmer eine ihm auferlegte Loyalitätsobliegenheit – etwa durch Kirchenaustritt oder Wiederheirat nach Scheidung – hat sich die Wirksamkeit einer deswegen erfolgenden Kündigung am staatlichen Kündigungsrecht zu messen. Denn der dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zugrunde liegende Vorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“ umfasst auch die kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften der § 1 KSchG, § 626 BGB.539 Darin kommt das verfassungsrechtlich begründete Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) als wesentliches Prinzip der Rechtsordnung zum Ausdruck. Ein Sonderkündigungsrecht zugunsten der Kirchen besteht infolgedessen nicht.
Die soziale Rechtfertigung der Kündigung eines kirchlichen Arbeitnehmers erfordert damit nach den allgemeinen Grundsätzen einen (ggf. wichtigen) Kündigungsgrund sowie eine Interessenabwägung. Daraus folgt nach der expliziten Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts eine zweistufige Prüfung, bei der auf beiden Ebenen der organische Zusammenhang von Statusrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und Grundrecht (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) der Kirchen Berücksichtigung zu finden hat.540 Die Vorgehensweise im Rahmen der ersten Prüfungsstufe zum Vorliegen eines Kündigungsgrundes entspricht der vorangegangen Darstellung zur Feststellung von Loyalitätsobliegenheiten und deren Verletzung. Hier gebietet das kirchliche Selbstbestimmungsrecht die ausschließliche Zugrundelegung des kirchlichen glaubensdefinierten Selbstverständnisses bezüglich der Beurteilung, ob ein Verstoß gegen die Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre gegeben ist und welches Gewicht diesem zukommt.541 An diese kirchlichen Vorgaben ist der staatliche Richter gebunden; ihm verbleibt lediglich eine Plausibilitätskontrolle, sowie eine Prüfung, ob auf dieser Basis die Grundprinzipien der Rechtsordnung gewahrt sind.
Auf der zweiten Prüfungsstufe muss das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen den Grundrechten und Interessen des gekündigten Arbeitnehmers in einer „offenen Gesamtabwägung“ gegenübergestellt werden.542 Erst in diesem Zusammenhang wird die eigentliche richterliche Prüfung der Wirksamkeit der auf der Obliegenheitsverletzung aufbauenden Sanktion vorgenommen. In diese Abwägung bezieht das Bundesverfassungsgericht nunmehr auch mit ein, ob sich der gekündigte Arbeitnehmer der Auferlegung der Loyalitätsanforderungen und der entsprechenden Sanktionen bei ihrer Missachtung zumindest hätte bewusst sein können, da nur auf diese Weise eine Selbstbindung mit der Folge eines partiellen Verlusts von Freiheitsrechten eintreten könne.543 Damit erfolgt im Ergebnis eine Einbeziehungskontrolle im Sinne des § 305 Abs. 2 BGB. Dies berücksichtigt das verfassungsrechtliche Prinzip der Privatautonomie zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers, da die besonderen Obliegenheiten konsensual in das Vertragsverhältnis aufgenommen sein müssen, damit ihre Verletzung sanktioniert werden darf. Dogmatisch überzeugender wäre die Prüfung dieses Aspekts im Rahmen der ersten Prüfungsstufe, da eine oktroyierte Auferlegung von Loyalitätsanforderungen bereits dort zu deren Unwirksamkeit führte – schließlich würde der darin liegende Verstoß gegen das Vertragsprinzip auch ein Grundprinzip der Rechtsordnung verletzen.
Danach nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Güterabwägung im engeren Sinne vor.544 Der dem Kündigungsschutzrecht innewohnende Grundsatz der Interessenabwägung aus § 1 KSchG und § 626 BGB als Ausprägung des Bestandsschutzprinzips entfaltet damit als „für alle geltendes Gesetz“ auch Wirkung für die Kirchen. Zwar ist auch in diesem Zusammenhang das Selbstverständnis der Kirchen bezüglich der Schwere des Verstoßes maßgeblich; wie auch im Rahmen des ersten Prüfungsschritts ist es einem staatlichen Richter diesbezüglich untersagt, seine eigene Einschätzung an die Stelle der kirchlichen zu setzen. Doch das Kündigungsrecht ist von dem Grundsatz beherrscht, dass eine noch so schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht zu einem Kündigungsautomatismus führen darf. Absolute Kündigungsgründe sind innerhalb des Arbeitsrechts systemwidrig.545
Damit findet sich auch in den gesetzlichen Vorschriften des Kündigungsschutzes derjenige Mechanismus wieder, mit dem die Kollision zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und dessen Schrankenvorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“ nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts546 aufzulösen ist. Es kommt damit zu einem Gleichlauf des Prüfungsprogramms, der in einer dualistischen – zugleich privat- und verfassungsrechtlich geprägten – Abwägung kulminiert: Die kollidierenden Rechtspositionen in Gestalt der kirchlichen Selbstbestimmung einerseits und der Arbeitnehmerrechte andererseits sind im Wege einer praktischen Konkordanz miteinander in Einklang zu bringen.547 Auch in diesem Zusammenhang ist dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und deren Selbstverständnis wegen der vorbehaltlosen Gewährleistung der Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein besonders hohes Gewicht beizumessen.548 Wegen des Verbots der absoluten Kündigungsgründe darf diese Interessensprivilegierung aber nicht zu einer Bedeutungslosigkeit der Arbeitnehmerrechte führen.549
Gleichwohl evoziert diese Privilegierung eine Weichenstellung, die zu einer erheblichen Stärkung der Rechtsposition der Kirchen führt. Es bedarf damit äußerst gewichtiger Argumente des Arbeitnehmers, um zu erreichen, dass das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt.550 Dafür können von seiner Seite die üblichen Kriterien wie eine lange Beschäftigungsdauer und ein hohes Lebensalter,551 aber auch seine durch die auferlegten Loyalitätsobliegenheiten konkret beeinträchtigten Grundrechte angeführt werden.552 Diese fließen im Wege der mittelbaren Drittwirkung in die Interessenabwägung der § 1 KSchG und § 626 BGB ein. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Eröffnung des Schutzbereichs eines betroffenen Arbeitnehmergrundrechts an sich für die Abwägung bedeutungslos ist, wenn es sich um ein Grundrecht handelt, das bei der Sanktionierung einer bestimmten Obliegenheitsverletzung immer tangiert ist.553 Erforderlich ist somit eine aus dem Einzelfall resultierende singuläre Konstellation, durch die die Rechtsposition des Arbeitnehmers intensiviert wird, damit die durch das Selbstbestimmungsrecht geschützte Loyalitätsobliegenheit nicht entwertet wird.
b) Einwirkungen des europäischen Rechts
Die vorangehend dargestellten, aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht folgenden Grundsätze werden zunehmend durch die Einwirkungen europäischer Rechtsquellen und Rechtssetzung überschattet, teilweise gar infrage gestellt. Bedeutsam ist dabei einerseits die Berücksichtigung der aus der EMRK folgenden Grundrechte kirchlicher Arbeitnehmer und die dazu ergangene Rechtsprechung des EGMR (aa)). Noch größere Relevanz hat die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG und die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der darin enthaltenen kirchenspezifischen Privilegierung (bb)).
aa) Konflikt mit der EMRK? Die kirchenarbeitsrechtliche Rechtsprechung des EGMR
(1) Die Rechtssachen „Schüth“, „Obst“ und „Siebenhaar“
Der EGMR hatte sich in den Rechtssachen Schüth554, Obst555 und Siebenhaar556 im Kontext der Kündigung kirchlicher Arbeitnehmer aufgrund eines Loyalitätsobliegenheitsverstoßes mit den Spezifika des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts zu beschäftigten. Die klagenden Arbeitnehmer rügten, dass die deutschen Arbeitsgerichte ihre durch die EMRK verbürgten Grundrechte – namentlich die Achtung der Privatsphäre nach Art. 8 EMRK und die Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK –557 verletzt hätten. Der EGMR war somit dazu berufen, diese Grundrechtsgewährleistungen mit dem Recht der Kirchen auf korporative Religionsfreiheit aus Art. 9 EMRK abzuwägen.558
In den Fällen Schüth und Obst erfolgte die Kündigung kirchlicher Arbeitnehmer wegen eines außerehelichen Verhältnisses, im Fall Siebenhaar wegen des Werbens für eine andere Religionsgemeinschaft. Dabei sieht der EGMR lediglich im Fall Schüth durch die die Kündigungsschutzklage abweisenden Entscheidungen der deutschen Arbeitsgerichte eine Verletzung von Art. 8 EMRK als gegeben an, da die Gerichte eine gründlichere Prüfung bei der Abwägung der konkurrierenden Rechte und Interessen hätten vornehmen müssen.559 Allerdings lässt der Gerichtshof durchblicken, dass die Kündigung bei einer solchen Prüfung dennoch gerechtfertigt wäre.560
Demgegenüber sieht der EGMR in den Fällen Obst und Siebenhaar keine Konventionsverletzung als gegeben an. Bereits dieses Übergewicht EMRK-konformer Entscheidungen spricht deutlich für eine grundlegende Anerkennung der deutschen kirchenarbeitsrechtlichen Grundsätze. In diesem Sinne stellt der Gerichtshof in der Entscheidung Obst auch fest, dass die von der Kirche geforderte Obliegenheit zur ehelichen Treue der Rechtsordnung nicht widerspreche. Darüber hinaus wird darin auch die von der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit vorgenommene Interessenabwägung einschließlich der Tatsache gebilligt, dass dem kirchlichen Arbeitnehmer keine unannehmbaren Verpflichtungen auferlegt worden seien.561 Dabei ist vor allen Dingen bemerkenswert, dass der EGMR im Zusammenhang der Zulässigkeitsprüfung der Loyalitätsobliegenheit keine weitere Stufe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Erfordernis macht und damit die deutsche Rechtsprechungspraxis billigt.562 Zur gleichen Einschätzung gelangt der Gerichtshof auch in der Sache Siebenhaar. Lediglich die Argumentationsstruktur im Fall Schüth ist diesbezüglich zumindest missverständlich. Diverse Ausführungen lassen sich darin durchaus im Sinne einer erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung interpretieren, wenngleich die besseren Gründe gegen ein solches Verständnis sprechen.563
Ungeachtet der fallspezifischen Abwägungsvorgänge referenziert der EGMR jedenfalls in allen drei Entscheidungen die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts564 zur Kündigung wegen Loyalitätsobliegenheitsverstoßes;565 deren Konformität mit der EMRK erfährt damit eine stillschweigende Anerkennung.566 Ferner betont der Gerichtshof das von ihm zu wahrende Erfordernis der Anwendung einer grundlegend geringeren Kontrolldichte, die aus dem Beurteilungsspielraum (margin of appreciation) der Mitgliedstaaten insbesondere in Fallgestaltungen eines fehlenden europäischen Standards resultiert.567 Da wirkt es widersprüchlich und ist durchaus zu kritisieren, dass dennoch eine Prüfung der angegriffenen Urteile bis in die Detailtiefe spezifischer Abwägungsvorgänge vorgenommen wird.568
Soweit der EGMR in diesem Zusammenhang im Fall Schüth eine Konventionsverletzung feststellt, basiert dies lediglich auf der mangelnden arbeitsgerichtlichen Kontrolltiefe im Rahmen der kündigungsschutzspezifischen Interessenabwägung – eine solche wird aber ohnehin auch im Rahmen des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts gefordert. Bemerkenswert ist dabei, dass der EGMR die monierten Urteile der Arbeitsgerichte mit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts kontrastiert569 und damit ein weiteres Indiz für dessen Akzeptanz liefert. Der spezifischen Rüge des Gerichtshofs, die nationalen Gerichte hätten die Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag nicht geprüft, muss zudem keinesfalls entnommen werden, den Kirchen solle das Recht genommen werden, autonom festzustellen, was spezifisch kirchliche Aufgaben sind und was Nähe zu ihnen bedeutet. Denn in der Gesamtschau mit den Fällen Obst und Siebenhaar ist die Rüge wohl vielmehr dahingehend zu verstehen, dass die Arbeitsgerichte es unterlassen hatten, keine – bereits nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotene – Plausibilitäts- und Missbrauchskontrolle durchzuführen – oder dies zumindest nicht in den Urteilsgründen erwähnten.570 Alternativ könnte auch die unterbliebene Anfrage zur Verifikation der Verkündigungsnähe moniert worden sein – der dafür (auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) erforderliche Zweifelsfall könnte infolge der Beschäftigung des Klägers als Kirchenmusiker vorgelegen haben.571
(2) Rezeption: „Spannungsverhältnis“ – aber keine „Zeitenwende“
Wohl auch aufgrund der Tatsache, dass mit dem EGMR ein neuer572 Akteur der Judikative die Bühne des kirchlichen Arbeitsrechts betreten hatte und zudem die korporative Rechtsposition der Kirchen aus Art. 9 EMRK nicht dem deutschen verfassungsrechtlichen Niveau entsprechen dürfte, sorgten die Entscheidungen zunächst für eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der uneingeschränkten Fortgeltung der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Leitentscheidung vom 4. Juni 1985 aufgestellten Grundsätze. Es bestand die Gefahr, dass der auf Grundlage der EMRK judizierende EGMR eine andere Gewichtung von kirchlicher Selbstbestimmung und Arbeitnehmerrechten vornimmt, als dies durch das deutsche Grundgesetz vorgesehen ist. Nach einer Auswertung der Urteile durch das rechtswissenschaftliche Schrifttum besteht aber der übergreifende Konsens, dass der EGMR die Grundsätze des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts anerkannt und diesbezüglich auch keine „Zeitenwende“ eingeleitet habe.573 Gleichwohl kann ein gewisses „Spannungsverhältnis“574 zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht von der Hand gewiesen werden.
(3) Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts
In seiner jüngsten Entscheidung zum kirchlichen Arbeitsrecht vom 22. Oktober 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht Gelegenheit, die Aussagen des EGMR und die Auswirkungen der EMRK auf das kirchliche Arbeitsrecht zu würdigen und in seine Entscheidung einzubeziehen. Dabei begründet es in einer umfangreichen Darstellung die Kompatibilität seiner Rechtsprechung mit den Vorgaben der EMRK.575 Diese Folgerung basiert im Wesentlichen auf einer Abwägung zwischen dem auch eine kirchliche Autonomie garantierenden Art. 9 EMRK und den konventionsrechtlich geschützten Arbeitnehmerinteressen. Auch in diesem Rahmen ist davon auszugehen, dass der EGMR den Kirchen einen ganz ähnlich umrissenen Freiraum von staatlicher Ingerenz zugesteht, wie dies durch die deutsche Rechtsordnung vorgesehen ist.576
Das Bundesverfassungsgericht widerspricht einer in der Literatur anzutreffenden Interpretation des Urteils Schüth, dass die vom EGMR gerügte unterbliebene gerichtliche Prüfung der kirchlichen Vorgaben zur Nähe der Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag künftig eine entsprechende staatliche Prüfung erfordern könnte.577 Zum einen folge dies daraus, dass sich der EGMR auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 bezogen habe, ohne sie dabei in Zweifel zu ziehen; zum anderen würde sonst das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in seinem Kernbestand entwertet.578 Dabei ist die letztere Aussage wohl als präventiver Hinweis auf den „Letztentscheidungsvorbehalt“ des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, nach dem der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung insbesondere in den Fällen eine Begrenzung erfährt, sofern der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes eingeschränkt würde. Dessen Aktivierung bedarf es derzeit angesichts der grundlegenden Übereinstimmung der EGMR-Urteile mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht allerdings nicht.579
(4) Ausblick
Es ist zu konstatieren, dass die Entscheidungen des EGMR die Sensibilität der Arbeitsgerichte zur Beachtung der durch die Kündigung eingeschränkten Arbeitnehmerrechte im Rahmen der Interessenabwägung erhöht haben dürften. Zugleich dürfte auch das Erfordernis für die Kirchen, ihre Loyalitätsobliegenheiten transparent und präzise zu formulieren, gestiegen sein.580 Da die konsequente Beachtung des Abwägungsgebotes ohnehin freilich keine neue Erkenntnis darstellt,581 sondern dies bereits aus dem nach dem Schrankenvorbehalt von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV anzuwendenden staatlichen Kündigungsrecht folgt, fungierte der EGMR letztlich auch als supranationaler Hinweisgeber hinsichtlich einer konsequenteren Beachtung des deutschen Rechts.
Weiterhin gilt es aber, die künftigen Judikate des Gerichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen. In der Rechtssache Fernández Martínez/Spanien582 vom 12. Juni 2014 befand beinahe die Hälfte der Kammermitglieder, dass die Achtung des Privat- und Familienlebens eines Arbeitnehmers nach Art. 8 EMRK das kirchliche Selbstbestimmungsrecht überwiege; die Abstimmung der Großen Kammer erfolgte mit nur 9 zu 8 Stimmen für eine rechtmäßige Abwägung zugunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.583 Die darin erblickte „Tendenzwende“584 hat sich allerdings bislang nicht verwirklicht. Auch im Fall Travas/Kroatien585 hat der EGMR am 4. Oktober 2016 die Entlassung eines katholischen Religionslehrers wegen Scheidung und Wiederverheiratung nicht als Verstoß gegen Art. 8 EMRK bewertet und eine durch die kirchliche Autonomie begründete erhöhte Loyalitätsobliegenheit anerkannt.
Unabhängig davon, dass der EMRK die kirchliche Autonomie im Arbeitsrecht bislang berücksichtigt, darf weiterhin nicht außer Acht gelassen werden, dass es den Mitgliedstaaten bei der Gewährleistung der EMRK-Rechte eingeräumt wird, durch den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums (margin of appreciation) im Rahmen der Grundrechtsabwägung ihre nationalen Eigenheiten zu bewahren.586 Die Feststellungen des EGMR in Judikaten zum kirchlichen Arbeitsrecht in Spanien oder in anderen europäischen Ländern lassen daher keine einfachen Rückschlüsse auf die Bewertung der deutschen Rechtslage zu. Vielmehr muss der EGMR nach dieser Maßgabe auch künftig die Besonderheiten des deutschen Staatskirchensystems einschließlich der daraus abgeleiteten Charakteristika des kirchlichen Arbeitsrechts berücksichtigen.
bb) Auswirkungen der Richtlinie 2000/78/EG
Die Konsequenzen der Richtlinie 2000/78/EG für das deutsche kirchliche Arbeitsrecht sind ganz erheblich und noch nicht in Gänze überschaubar. Die Richtlinie ist durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Deutschland umgesetzt worden. Vor den jüngst ergangenen Urteilen des EuGH zur Auslegung der kirchenspezifischen Regelungen ihres Art. 4 Abs. 2 war die Reichweite der darauf basierenden Norm des AGG innerhalb des Schrifttums heftig umstritten.
(1) Nationale Umsetzung durch das AGG
In Deutschland ist aus der Richtlinie 2000/78/EG das im Jahr 2006 in Kraft getretene AGG hervorgegangen. Es ist als ein „für alle geltendes Gesetz“ i.S.v. Art. 137 Abs. 3 WRV zu qualifizieren und damit Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.587
Entsprechend der Vorgaben der Richtlinie sind gemäß § 7 Abs. 1 AGG Benachteiligungen von Beschäftigten und Bewerbern wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes grundsätzlich untersagt; zu jenen Gründen zählt unter anderem die Religion und Weltanschauung, das Geschlecht sowie die sexuelle Identität. Dies hat ein erhebliches Konfliktpotential mit der kirchlichen Einstellungs- und Kündigungspraxis zur Folge. Die Versagung einer Stelle gegenüber einem Bewerber etwa wegen fehlender Konfessionszugehörigkeit oder die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen dessen Kirchenaustritts ist entsprechend dem Grunde nach eine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1 AGG.
Doch der deutsche Gesetzgeber hat auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG mit § 9 AGG einen spezifischen Rechtfertigungstatbestand zugunsten der Kirchen normiert. Diese Regelung soll dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV Rechnung tragen, wie es durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht seinen konkreten Niederschlag gefunden hat.588
In der Literatur ist unstreitig, dass vom persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift neben der Kirche auch die ihr zugeordneten privatwirtschaftlich organisierte Einrichtungen erfasst sind; es kann insofern auf das durch das Bundesverfassungsgericht geprägte Verständnis des Begriffs der Religionsgesellschaft in Art. 137 Abs. 3 WRV zurückgegriffen werden.589
Die Brisanz der Norm basiert auf dem Umstand, dass sie den konfligierenden Materien des europäischen Diskriminierungsschutzes und dem nationalen kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Rechnung tragen muss. Sie steht eigenständig neben der allgemeinen Rechtfertigungsmöglichkeit nach § 8 AGG, die aber angesichts ihres weniger großzügigen Maßstabs praktisch keine Relevanz für die Kirchen und ihre Einrichtungen entfaltet.590
Nach § 9 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung zulässig, wenn diese unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Kirche im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Damit ist der deutsche Gesetzgeber vom Wortlaut der Richtlinie abgewichen, da insoweit die Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung nur angesichts des kirchlichen Ethos ermöglicht wird. Zudem wurde auf die von der Richtlinie vorgegebenen Kriterien der Rechtmäßigkeit und Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung verzichtet.
Aus der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie folgt, dass die Kirchen von ihren Beschäftigten nach § 9 Abs. 2 AGG ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses fordern können, ohne das Verbot von Ungleichbehandlungen zu verletzen.