Kitabı oku: «Kirchliches Arbeitsrecht in Europa», sayfa 14

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(2) Meinungsbild vor den Entscheidungen des EuGH

Bis zu den jüngst zum kirchlichen Arbeitsrecht ergangenen Entscheidungen des EuGH sowie den darauf basierenden Folgenentscheidungen des BAG wurde innerhalb der rechtswissenschaftlichen Literatur ein intensiver Meinungsstreit über den von § 9 AGG vermittelten Umfang gerechtfertigter Benachteiligungen geführt.591 Im Fokus der Auseinandersetzung stand die europarechtliche Genese des AGG, die als normenhierarchisch übergeordnete Grundlage von eminenter Bedeutung ist. Entsprechend beriefen sich die gegenüberstehenden Auffassungen primär auf unterschiedliche Auslegungen des dem § 9 AGG zugrunde liegenden Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG.

Diese Auslegung hat der EuGH nun verbindlich vorgenommen. Infolgedessen wird eine Darstellung des vor den EuGH-Entscheidungen bestehenden Meinungsbilds aber nicht obsolet. Denn die juristische Auseinandersetzung illustriert die maßgeblichen von der Materie aufgeworfenen Rechtsfragen und bietet damit die Grundlage für ein besseres Verständnis der Judikate des EuGH. Zudem hat der EuGH bislang nicht alle rechtlichen Fragen im Zusammenhang von § 9 AGG geklärt.

(a) Personalauswahl

Die Rechtfertigung einer Ablehnung von Bewerbern wegen ihrer Religionszugehörigkeit bestimmt sich nach § 9 Abs. 1 AGG. Unter welchen Voraussetzungen die dafür erforderliche „gerechtfertigte berufliche Anforderung“ gegeben ist, unterlag einer kontroversen Diskussion im Schrifttum.

(aa) Restriktive Auslegung

Nach der restriktiven Auffassung solle eine Benachteiligung nur dann nach § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt werden können, sofern die Konfessionszugehörigkeit in Anbetracht der Nähe der beabsichtigten Beschäftigung zur Verkündigung eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.592 Diese Kontrolle obliege dem staatlichen Richter anhand der Umstände des Einzelfalls, womit sich die kirchenarbeitsrechtliche Freiheit bei der Bewerberauswahl auf das Maß eines Tendenzschutzes reduziert. Die Vertreter dieser Ansicht leiten dies maßgeblich aus einer richtlinienkonformen Auslegung593 des § 9 Abs. 1 AGG ab. Denn nach Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG genüge nicht die alleinige Anknüpfung an das kirchliche Selbstverständnis („Ethos“) – kumulativ müsse die Differenzierung durch die Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung gerechtfertigt sein.594 Ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei durch ein staatliches Gericht zu beurteilen.595

Darüber hinaus wurde teilweise gefordert, dass auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – und damit eine Abwägung der Interessen des Bewerbers mit der von der Kirche vorgegebenen Bedeutung der Religionszugehörigkeit für die betreffende Stelle – in die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung einbezogen werden müsse.596 Da der Wortlaut von § 9 AGG diese aus der Richtlinie abgeleiteten Voraussetzungen nicht wiedergibt, wurde vereinzelt auch die Europarechtswidrigkeit der Norm vertreten.597

(bb) Kirchenfreundliche Auslegung

Die entgegengesetzte Ansicht sah es demgegenüber für eine Rechtfertigung nach § 9 Abs. 1 AGG als ausreichend an, wenn nach dem kirchlichen Selbstverständnis eine Konfessionszugehörigkeit für eine bestimmte Stelle erforderlich ist.598 Auf eine Prüfung durch ein staatliches Gericht unter Berücksichtigung der zu besetzenden Stelle einschließlich deren Verkündigungsnähe könne es bereits deshalb nicht ankommen, da dies einen erheblichen Eingriff in die Kirchenautonomie darstellte.599 Auch das LAG Berlin-Brandenburg schloss sich dieser Auffassung an.600 Ausgehend vom Gesetzeswortlaut sei bereits der eindeutigen Formulierung von § 9 Abs. 1 AGG zu entnehmen, dass auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen ihrem Selbstverständnis die Beurteilung überlassen sei, ob eine gerechtfertigte berufliche Anforderung vorliegt.601 Schließlich müsse keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von § 9 Abs. 1 AGG vorgenommen werden.602

Auch die Vertreter dieser Auffassung setzten sich intensiv mit den europarechtlichen Vorgaben auseinander. Sie entnahmen der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der zugrunde liegenden Richtlinie, dass auch diese keine staatlich oktroyierte Differenzierung abhängig von der zu besetzenden Stelle fordere.603 Dies folge bereits aus der Bezugnahme auf das kirchliche Ethos, das eine Beurteilung ausschließlich nach den Maßstäben des kirchlichen Arbeitgebers nach sich ziehe.604 Zudem wurde Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG dahingehend verstanden, dass dem nationalen Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zur Bewahrung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen nach nationalem Maßstab eingeräumt werde.605 Diese Prämisse wurde einerseits der Begründungserwägung Nr. 24 der Richtlinie entnommen, die ausdrücklich auf die Erklärung Nr. 11 zum Amsterdamer Vertrag rekurriert, nach der der Status der Kirchen in den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden soll. Andererseits wurde dieses Erfordernis auf den seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags zu berücksichtigenden Art. 17 AEUV gestützt.606 Danach müsse Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG ohnehin im Wege primärrechtskonformer Auslegung dahingehend verstanden werden, dass die Antidiskriminierungsrichtlinie keine die Grundsätze des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts verletzende Rechtslage herbeiführen soll.607

Auf dieser Grundlage sprach viel dafür, dass die Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG abweichend vom allgemeinen Harmonisierungsideal nicht im Sinne eines allgemeingültigen europäischen Standards, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen staatskirchenrechtlichen Rechtstraditionen vorzunehmen ist. Da das zugrunde liegende Gemeinschaftsrecht die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben der Mitgliedstaaten erfordert, sollte § 9 AGG somit (ausschließlich) am Gebot der verfassungskonformen Auslegung zu messen sein.608 Daher sei sowohl der Wortlaut von § 9 Abs. 1 AGG als auch das Verständnis einer ausschließlich nach dem Selbstverständnis der Kirchen zu bestimmenden beruflichen Anforderung europarechtskonform.609

(b) Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten und Kündigung

§ 9 Abs. 2 AGG bestimmt, dass den Kirchen das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion nicht entgegensteht, soweit sie von ihren Beschäftigten ein aufrichtiges und loyales Verhalten im Sinne ihres Selbstverständnisses verlangen. Der Streit über die Reichweite des den Kirchen insoweit vermittelten Rechtfertigungsspielraums verlief weitestgehend analog zur juristischen Auseinandersetzung über die Auslegung von § 9 Abs. 1 AGG. Nach einer Auffassung solle den Kirchen damit auch bei der Festlegung ihrer Loyalitätsanforderungen derjenige Freiraum gewährt werden, der sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Festlegung von Loyalitätsobliegenheiten ergibt.610 Die Gegenansicht vertrat demgegenüber eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend, dass auch in diesem Zusammenhang eine Anforderung nur unter Berücksichtigung der konkreten Stelle im Rahmen einer durch den staatlichen Richter erfolgenden Kontrolle gerechtfertigt werden könne.611

Unabhängig davon sind jedenfalls vom Wortlaut des § 9 Abs. 2 AGG diejenigen Loyalitätsanforderungen nicht erfasst, die mit anderen vom AGG geschützten Merkmalen als der Religion und Weltanschauung – also etwa der sexuellen Identität – konfligieren. Daraus wird teilweise geschlossen, in diesen Fällen scheide eine Rechtfertigung anhand von § 9 Abs. 2 AGG aus.612 Dann wäre auch § 8 AGG allermeist zur Rechtfertigung ungeeignet, da es sich bei den relevanten Merkmalen regelmäßig nicht um eine entscheidende berufliche Anforderung im Sinne dieser Rechtfertigungsnorm handelt.613 Nach der abweichenden Ansicht kommt es darauf aber nicht an, da der Anwendungsbereich von § 9 Abs. 2 AGG durch eine verfassungskonforme weite Auslegung auch auf die anderen von § 1 AGG verpönten Merkmale auszudehnen ist.614 Da das Recht der Kirchen zur Festlegung von Verhaltensanforderungen aus Gründen des kirchlichen Selbstverständnisses nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2000/78/EG unberührt bleiben und nur durch die einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen beschränkt sein soll, sei diese umfangreichere Rechtfertigungsmöglichkeit europarechtskonform.615 Gleiches müsse auch im Rahmen von § 9 Abs. 1 AGG gelten, da nur so dem Selbstverständnis der Kirchen entsprochen werden könne.616

(3) Die Rechtsprechung des EuGH

Ausgehend von zwei durch das BAG jeweils im Jahr 2016 nach Art. 267 AEUV617 eingeleiteten Verfahren618 zur Beantwortung von Vorlagefragen hat sich der EuGH mit der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG und der Anwendbarkeit von § 9 AGG befasst. Insoweit bewahrheitete sich die zwei Jahre zuvor geäußerte Prophezeiung von Reichold, wonach eine Vorlagefrage zu dieser Thematik nur noch „eine Frage der Zeit“ sei.619

Ausgangspunkt der Vorlageverfahren war das Verfahren „Egenberger“ zur kirchlichen Personalauswahl sowie der sogenannte „Chefarztfall“ zur Wirksamkeit konfessionsabhängiger Differenzierung bezüglich Loyalitätsobliegenheiten. Besondere Brisanz erlangten die vom BAG eingeleiteten Verfahren durch den Umstand, dass es jener „Chefarztfall“ war, zu dem das Bundesverfassungsgericht noch im Jahr 2014 seine Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht bestätigt und das vorangegangene Urteil des BAG mit dem eindeutigen Hinweis einer Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aufgehoben hatte.620 Man kann durchaus davon ausgehen, dass sich das BAG durch die deutlichen Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts senatsübergreifend herausgefordert gefühlt haben mag und daher eine gesteigerte Motivation verspürt wurde, nach Luxemburger Schützenhilfe zu verlangen.621 Stimmen im Schrifttum sehen darin gar eine „Rebellion“ des BAG gegen das Bundesverfassungsgericht.622

(a) Personalauswahl – Rechtssache „Egenberger“

Ausgangspunkt des vom EuGH am 17. April 2018623 entschiedenen Vorlageverfahrens in der Rechtssache „Egenberger“ war die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine kirchliche Einrichtung eine bestimmte Konfessionszugehörigkeit von Bewerbern auf ausgeschriebene Stellen fordern darf. In dem bis zum BAG geführten Rechtsstreit hatte die konfessionslose Vera Egenberger vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen Diskriminierung verlangt, da ihre Bewerbung auf eine ausgeschriebene Referentenstelle für die Erstellung eines Berichts zur UN-Antirassismuskonvention abgelehnt worden war. Das Evangelische Werk hatte in der Stellenausschreibung zur Voraussetzung gemacht, dass der Arbeitsplatz von einem Mitglied der evangelischen Kirche oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland ausgefüllt werden müsse.

Das BAG wollte vor diesem Hintergrund geklärt wissen, unter welchen Voraussetzungen die Differenzierung nach der Religionszugehörigkeit unter Berücksichtigung einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 9 Abs. 1 AGG nach den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG zulässig ist. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie es den Kirchen einräumt, verbindlich selbst festzulegen, bei welchen Tätigkeiten die Konfessionszugehörigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts ihres kirchlichen Ethos darstellt. Das BAG stellte in seinem Vorlagebeschluss zutreffend fest, dass dann lediglich eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses erfolgen dürfte.624 Geklärt werden sollte mithin der durch das Europarecht vorgegebene gerichtliche Kontrollmaßstab.625

Wie bereits nach Bekanntwerden der Schlussanträge626 des Generalanwalts Tanchev von vielen Prozessbeobachtern erwartet worden war, legt der EuGH Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2000/78/EG dahingehend aus, dass eine gerichtliche Kontrolle erforderlich ist, ob eine bestimmte Konfessionszugehörigkeit nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des jeweiligen kirchlichen Ethos darstellt.627 Der EuGH stellt fest, dass „die Kontrolle der Einhaltung dieser Kriterien völlig ins Leere ginge, wenn sie in Zweifelsfällen keiner unabhängigen Stelle wie einem staatlichen Gericht obläge“.628

Die primärrechtliche Norm des Art. 17 AEUV stehe einer derartigen gerichtlichen Kontrolle nicht entgegen.629 Einerseits werde durch die ausdrückliche Bezugnahme in Erwägungsgrund 24 der RL 2000/78/EG auf die mit Art. 17 AEUV inhaltsgleiche Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen in der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam deutlich, dass der Richtliniengeber die Wertungen des Art. 17 AEUV bei Erlass der Richtlinie berücksichtigt habe. Andererseits könne der Schutzgehalt von Art. 17 AEUV nicht bewirken, dass die in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen werden. Damit fällt diese im Rahmen von insgesamt gerade einmal elf Zeilen erfolgende Begründung nicht nur quantitativ äußerst dürftig aus.

Im Rahmen der Beantwortung der dritten Vorlagefrage nimmt der EuGH dazu Stellung, nach welchen Kriterien die von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG geforderte gerichtliche Kontrolle zu erfolgen hat. Als Maßstab der Beurteilung, ob eine berufliche Anforderung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist, fungiert demzufolge die Art der fraglichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung im Hinblick auf das kirchliche Ethos. Dabei gilt, dass das kirchliche Ethos und seine Legitimität grundsätzlich nicht von einem staatlichen Gericht beurteilt werden darf.630 Die grundlegende Existenz eines kirchlichen Arbeitsrechts stellt der EuGH damit nicht in Abrede.631 Gleichwohl wird die Maßgeblichkeit des kirchlichen Selbstverständnisses im Hinblick auf das nachfolgend vom EuGH vorgegebene gerichtliche Prüfungsprogramm ganz erheblich relativiert.

Auf einer ersten Prüfungsstufe muss zwischen der beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit ein objektiv überprüfbarer, direkter Zusammenhang bestehen.632 Der EuGH nennt beispielhaft für eine solche Konnexität Fälle, in denen im Rahmen einer Tätigkeit ein Beitrag zum Verkündigungsauftrag geleistet oder für eine glaubwürdige Vertretung der Kirche nach außen gesorgt wird. Darüber hinaus muss auf einer zweiten Prüfungsstufe die berufliche Anforderung angesichts des kirchlichen Ethos vom staatlichen Gericht als „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ zu beurteilen sein.633 Die berufliche Anforderung ist nur zulässig, wenn alle drei Kriterien erfüllt sind.

Auch wenn das kirchliche Ethos als solches nicht gerichtlich überprüft wird, so kommt der staatliche Richter nicht umhin, eine mittelbare Bewertung vorzunehmen, wenn er das kirchliche Ethos auf diese vom EuGH geforderte Weise zur beruflichen Anforderung in Bezug zu setzen hat. „Wesentlich“ ist die berufliche Anforderung nach der Auslegung des EuGH, wenn die Konfessionszugehörigkeit wegen der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung des Ethos oder die Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts notwendig erscheinen muss.634 Damit wird dem Attribut „wesentlich“ eine über seinen Bedeutungsgehalt hinausgehende, höhere Intensität beigemessen.635 Als „rechtmäßig“ versteht der EuGH die berufliche Anforderung, sofern die Religionszugehörigkeit nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zum kirchlichen Selbstverständnis bzw. Selbstbestimmungsrecht dient.636 Freilich dürfte diese Voraussetzung bereits durch den auf der ersten Stufe geprüften objektiven Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung und der jeweiligen Tätigkeit erfüllt sein. Zudem muss der kirchliche Arbeitgeber für das Kriterium „gerechtfertigt“ anhand der Umstände des Einzelfalls darlegen, dass die Anforderung tatsächlich notwendig ist, da andernfalls die Gefahr einer Beeinträchtigung seines Ethos oder seines Selbstbestimmungsrechts wahrscheinlich und erheblich ist.637

Darüber hinaus stellt der EuGH über den Wortlaut der Richtlinie hinaus fest, dass die berufliche Anforderung auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, mithin angemessen sein muss und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgehen darf.638 Dieses Prüfungsprogramm impliziert bereits eine Unterscheidung von verkündigungsnahen und fernen Tätigkeiten.639

Nach der Klärung des von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG geforderten Prüfungsmaßstabs befasst sich der EuGH mit der Frage, ob eine nationale Norm – mithin § 9 AGG –, die nicht in richtlinienkonformer Weise ausgelegt werden kann, unangewendet bleiben muss. Dies bejaht er.640 Mit diesem „Nichtanwendungsbefehl“ führt der EuGH seine Rechtsprechung aus dem Mangold-Urteil641 fort.642 Zunächst betont er die Pflicht der nationalen Gerichte zur unionsrechtskonformen Auslegung bis zur contra legem-Grenze, die auch eine Abweichung von ständiger nationaler Rechtsprechung erfordere.643 Dabei ist im Subtext die Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht unübersehbar.644

Da eine Richtlinie aber keine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten entfaltet, sondern nach Art. 288 Abs. 3 AEUV nur die Mitgliedstaaten zur Umsetzung verpflichtet, rekurriert der EuGH zur Begründung des Nichtanwendungsbefehls auf im europäischen Primärrecht enthaltene subjektive Rechte, die bei einer Anwendung nationalen Rechts, das gegen Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG verstoße, verletzt seien. Dies sei einerseits das allgemeine Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religionszugehörigkeit aus Art. 21 GRCh, andererseits das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 47.645

(b) Konfessionsabhängige Differenzierung bei Loyalitätsobliegenheiten – „Chefarztfall“

Das zweite zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG vom EuGH am 11. September 2018646 entschiedene Vorlageverfahren basiert auf einem der prominentesten und langlebigsten647 Rechtsverfahren des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts der letzten Jahre – dem sogenannten „Chefarztfall“. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein Krankenhaus in katholischer Trägerschaft das Arbeitsverhältnis eines Chefarztes gekündigt, da dieser nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau ein zweites Mal standesamtlich geheiratet hatte. Die Kündigung war diskriminierungsrechtlich relevant, da für den Chefarzt aufgrund seiner katholischen Religionszugehörigkeit nach der zum damaligen Zeitpunkt anwendbaren Grundordnung des kirchlichen Dienstes strengere Loyalitätsobliegenheiten maßgeblich waren als für vergleichbare Arbeitnehmer mit abweichender oder keiner Konfessionszugehörigkeit. Daher wollte das BAG durch den EuGH geklärt wissen, ob Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2000/78/EG dahingehend auszulegen sei, dass ein kirchlicher Arbeitgeber verbindlich bestimmen kann, dass die Intensität der Loyalitätsobliegenheiten für Arbeitnehmer in leitender Funktion von deren Kirchenzugehörigkeit abhängig gemacht werden kann und falls dies nicht der Fall sei, welche Anforderungen an eine derartige Differenzierung zu stellen sind.

Zunächst stellt der EuGH fest, dass auch ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft – wie das katholische Krankenhaus im Ausgangsfall – vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 RL 2000/78/EG erfasst sein kann.648 Dies leitet der Gerichtshof aus dem „allgemeinen Charakter“ der in der Norm verwendeten Begriffe „Kirchen und andere öffentliche oder private Organisationen“ ab. Voraussetzung ist dafür, dass das Ethos der Einrichtung auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht. Kirchlich getragene Unternehmen sind damit angehalten, ihre spezifisch kirchliche Prägung erkennen zu lassen, um sich auf § 9 AGG berufen zu können.649

Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung „Egenberger“ konstatiert der EuGH, dass eine „wirksame gerichtliche Kontrolle“ auch im Zusammenhang eines den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2000/78/EG tangierenden Sachverhalts erforderlich sei.650 Dies wird mit der ergänzenden Voraussetzung innerhalb dieses Unterabsatzes begründet, dass „die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden“. Daraus leitet der EuGH weiter ab, dass auch bei einer Ungleichbehandlung im Zusammenhang der Auferlegung einer Loyalitätsobliegenheit die in Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einer „wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten“ Anforderung erfüllt sein müssen.651 Deren Auslegung nimmt der EuGH in stringenter Weise auch in diesem Zusammenhang auf die bereits in der Entscheidung „Egenberger“ dargestellte Weise vor.652 In systematischer Hinsicht bestehen bei jener schablonenhaften Übertragung der von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2000/78/EG genannten Voraussetzungen allerdings Zweifel, da auf diese Weise das Spezialitätsverhältnis von Uabs. 2 übergangen wird.653

Die Vorlagefrage 2b des BAG, welche Anforderungen nach Art. 4 Abs. 2 Uabs. 2 RL 2000/78/EG bei der Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten im Allgemeinen gelten, beantwortet der Gerichtshof nicht. Der von ihm dargelegte Prüfungsmaßstab gilt mithin nur bei einer Ungleichbehandlung im Zusammenhang der Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten.654 Die Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten im Allgemeinen bleibt davon unberührt, da dieser als solcher nicht zwingend eine diskriminierungsrechtliche Relevanz zukommt.

Weitergehende Informationen erteilt der EuGH dem BAG für die Entscheidung des konkreten Sachverhalts, wenngleich seine Entscheidungskompetenz lediglich die Auslegung europäischer Rechtsquellen betrifft. Dennoch fühlt sich der EuGH zum Hinweis berufen, dass die Akzeptanz des kirchlichen Eheverständnisses durch einen Chefarzt für die Bekundung des Ethos eines kirchlichen Krankenhauses nicht notwendig erscheine und daher wohl als nicht „wesentlich“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2000/78/EG anzusehen sei.655 Damit antwortet der EuGH mehr, als er gefragt wurde.656

Die abschließende Stellungnahme des Gerichtshofs zu den Konsequenzen, sofern § 9 Abs. 2 AGG nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden könnte, kongruieren mit den entsprechenden Ausführungen in der Entscheidung „Egenberger“.657

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