Kitabı oku: «Kirchliches Arbeitsrecht in Europa», sayfa 3
„Denn wie wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder denselben Dienst leisten, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören. Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade.“
(Römer 12, 4-6)
Teil 1
Einführung
A. Problemstellung
Kaum ein Rechtsbereich hat in den vergangenen Jahrzehnten eine derart turbulente Entwicklung vollzogen wie das kirchliche Arbeitsrecht. War ihm zunächst als „Orchideenfach“1 nur die Aufmerksamkeit einer überschaubaren Anzahl von Experten vorbehalten, so verfügt dieser Schnittpunkt von weltlicher und geistlicher Sphäre mittlerweile über eine beachtliche juristische Tradition.2 Zuletzt stand das kirchliche Arbeitsrecht gar im Blickpunkt eines breiten öffentlichen Interesses, etwa durch die Berichterstattung der Tagesschau3 während der besten Sendezeit. Als Ursache dieser Dynamik sind im Wesentlichen zwei Faktoren auszumachen. Der eine ist rechtssoziologischer Natur – und für diese Arbeit von untergeordnetem Interesse –, der andere erwächst aus den Einwirkungen des europäischen Rechts auf das deutsche kirchliche Arbeitsrecht.
Bedeutsam ist zunächst der Befund, dass sich das gegenwärtige Verhältnis von Staat und den Kirchen einem bereits fortgeschrittenen Prozess der Säkularisierung und Individualisierung der Gesellschaft gegenübersieht, was sich unter anderem in einer schwindenden Anerkennung der religiösen Institutionen manifestiert.4 Angesichts dieser sozialen Entwicklung sehen sich die Kirchen einem erhöhten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, ihr Selbstverständnis – das kirchliche Proprium – auch bei der Beschäftigung ihrer Arbeitnehmer wahren zu können. Der insoweit auf gesellschaftlicher Ebene geführte Diskurs über die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht wird zudem durch die Tatsache intensiviert, dass den Kirchen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber in Deutschland eine überragende Bedeutung zukommt.5 Sie betreiben zahlreiche Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Beratungsstellen, die lebendiger Ausdruck ihrer karitativen Grundfunktion sind. Das christliche Gebot der Nächstenliebe – „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“6 – findet darin seine alltägliche Verwirklichung. Der weitaus größte Teil der in diesen Einrichtungen Beschäftigten entstammt dem allgemeinen Arbeitsmarkt und ist auf Grundlage privatrechtlicher Arbeitsverträge angestellt.7 Angesichts der Vielzahl kirchlicher Arbeitgeber und Einrichtungen kann die genaue Zahl der kirchlichen Arbeitsverhältnisse kaum ermittelt werden. In den einschlägigen Quellen der letzten Jahre ist zumeist von 1,3 bis 1,4 Millionen Arbeitnehmern die Rede.8
Aus juristischer Perspektive widmet sich dem kirchlichen Arbeitsrecht eine steigende Anzahl von Untersuchungen, da es ungefähr seit der Jahrtausendwende einem destabilisierenden Einfluss des europäischen Rechts ausgesetzt ist. Insoweit hat Lodemann bereits vor einigen Jahren ein „rechtstechnisches Bermudadreieck“ zwischen Bundesverfassungsgericht, EuGH und EGMR ausgemacht.9 Dabei ist das kirchliche Arbeitsrecht unfreiwillig zum Schauplatz für die diffizile Austarierung von verschiedenen Rechten und Rechtsquellen im mehrstufigen europäischen Rechtssystem geworden. In der Konsequenz stellen sich komplexe Fragen, welche Reichweite dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in diesem „Labyrinth des Mehrebenenrechts“10 zugesprochen werden muss.
In diesem Zusammenhang wird jedoch häufig nicht mehr ausreichend berücksichtigt, dass das kirchliche Arbeitsrecht eine besondere verfassungsrechtliche Prägung aufweist, in der sich die individuellen nationalstaatlichen, historisch gewachsenen Grundentscheidungen zum Verhältnis von Staat und den Kirchen widerspiegeln. Es ist daher als Gradmesser für eine der ganz zentralen Lebensfragen11 des europäischen Kulturraumes anzusehen: Wie weit gewährt der liberale Rechtsstaat kirchliche Freiheit vor staatlicher Ingerenz, ab welchem Punkt sind seine Normen unverrückbare Grenze? Denn soweit die Kirchen Freiheiten bei der Beschäftigung ihrer Arbeitnehmer beanspruchen wollen, die weltlichen Arbeitgebern nicht zustehen, sind sie darauf angewiesen, dass ihnen der Verfassungsstaat als Konsequenz aus der Glaubensfreiheit auch hinreichende Autonomie auf institutioneller Ebene zur selbständigen Gestaltung und Abwicklung ihrer Angelegenheiten gewährt. Die aus dieser Ausgangslage auftretenden Friktionen haben ihre Auflösung in einem auf staatskirchenrechtlicher Grundlage modifizierten Arbeitsrecht zu finden.
Spätestens seit den Urteilen des EuGH in den Rechtssachen „Egenberger“12 und „Chefarzt“13 ist aber deutlich geworden, dass die supranationalen legislativen und judikativen Einwirkungen ganz erhebliche tektonische Verschiebungen innerhalb vieler Bereiche des kirchlichen Arbeitsrechts herbeiführen können. Die von der Verfassung vorgegebenen staatskirchenrechtlichen Grundentscheidungen sind der Gefahr ausgesetzt, konterkariert zu werden. Die vor zwanzig Jahren geäußerte Befürchtung von Isensee, das europäische Recht könne als „supranationale Walze“14 über die Besonderheiten des nationalen Staatskirchenrechts hinwegrollen, scheint sich damit zu bestätigen.
Allerdings stehen einer Uniformisierung des kirchlichen Arbeitsrechts im Sinne eines paneuropäischen Standards bedeutende Schutzwälle gegenüber. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts schützt der sogenannte „Kirchenartikel“ Art. 17 Abs. 1 AEUV den jeweiligen Status der Kirchen, den diese in den einzelnen Mitgliedstaaten genießen. Im Kontext der Anwendung der Europäischen Konvention für Menschenrechte ist die vom EGMR entwickelte margin of appreciation als nationaler Beurteilungsspielraum geeignet, die einzelstaatlichen Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen.
Auf dieser Grundlage kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass sich die Grundentscheidungen und Modelle des Staatskirchenrechts innerhalb Europas ganz erheblich unterscheiden.15 Eher kirchenfreundlichen Modellen wie dem deutschen Kooperationssystem stehen Ausgestaltungen laizistisch geprägter Trennung wie zum Beispiel in Frankreich gegenüber. Auf der anderen Seite des Spektrums sind Staat und Kirche in manchen Ländern noch eng verflochten; so besteht etwa in England eine Staatskirche. Es muss vermutet werden, dass sich diese staatskirchenrechtlichen Grundentscheidungen unmittelbar auf die Ausgestaltung des jeweiligen kirchlichen Arbeitsrechts auswirken.
Doch es ist bislang nicht eingehend16 rechtsvergleichend untersucht worden, inwieweit sich das deutsche kirchliche Arbeitsrecht mit der Rechtslage in anderen europäischen Staaten deckt oder unterscheidet. Nur die komparative Analyse verschiedener nationaler Rechtsordnungen einschließlich ihrer jeweiligen Prämissen und Lösungen vermag aber eine Vorstellung von den einzelstaatlichen Besonderheiten und ihren spezifischen Ursachen zu vermitteln. Auf diese Weise kann eine weitere notwendige Ebene zur Reflektion über die Zulässigkeit von Ingerenzen der europäischen rechtlichen Einflüsse gegenüber dem deutschen kirchlichen Arbeitsrecht erschlossen werden.
In diesem Zusammenhang bedarf es insbesondere einer Beantwortung der folgenden Fragen: Gibt es einen spezifisch nationalen Status der Kirchen innerhalb des Arbeitsrechts? Besteht auf dem Gebiet des kirchlichen Arbeitsrechts ein gesamteuropäischer Standard? Und falls nicht, in welchem Maße unterscheidet sich die deutsche Rechtslage von derjenigen der anderen europäischen Länder?
Die Klärung dieser Fragestellungen ist von überragender Bedeutung für eine verständige Anwendung des oben angesprochenen europarechtlichen Instrumentariums zur Wahrung der individuellen Ausprägungen des Staatskirchenrechts innerhalb der EU. Es ist Zeit, den kirchenarbeitsrechtlichen Horizont über die eigenen nationalen Grenzen hinaus zu erweitern.
1Joussen, AL 2015, 19.
2Dies vermag bereits Folgendes zu veranschaulichen: Das Standardwerk von Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, ist im Jahr 2019 bereits in der 8. Aufl. erschienen; die Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche haben sich nach 1976 und 1984 im Jahr 2012 bereits zum dritten Mal in Gänze mit dem kirchlichen Arbeitsrecht befasst.
3Tagesschau in der ARD am 11.09.2018 um 20 Uhr zum Urteil des EuGH v. 11.09.2018 – C-68/17.
4Vgl. bereits Isensee, in: FS Listl, 67 (80 f.).
5Siehe dazu auch die kritische Anmerkung des Generalanwalts Tanchev in seinen Schlussanträgen v. 09.11.2017, C-414/16, Rn. 4, zum Vorabentscheidungsverfahren in der Sache „Egenberger“.
6Mt 22,39 (zitiert nach der Lutherübersetzung).
7Vgl. Thiel, Kleines Kompendium zum kirchlichen Arbeitsrecht, 2; Isensee, in: FS Obermayer, 203 (204).
8Vgl. Thüsing, ZTR 2006, 230 (230); Reichold, in: Staat und Religion, 111 (113); Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln, Kirche als Arbeitgeber, 7; Tillmanns, NZA 2013, 178; Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, Rn. 375; Grabenwarter/Pabel, KuR 2011, 55; Augsberg, SAE 2012, 11 (17); Krönke, ZfA 2013, 241 f.; BAGE 143, 354 (Rn. 214); Ferbeck/Pauken, ArbR 2019, 112.
9Lodemann, Kirchliche Loyalitätspflichten, 194.
10So die pointierte Bezeichnung von Richardi, ZfA 2017, 199 (204).
11Als derartige „Lebensfrage“ bezeichnet Schnizer, ÖAKR 28 (1977), 353, das Verhältnis von Staat und den Kirchen insgesamt.
12EuGH, Urteil v. 17.04.2018 – C-414/16.
13EuGH, Urteil v. 11.09.2018 – C-68/17.
14Isensee, in: FS Listl, 67 (73).
15Statt aller Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV, Rn. 1. Vgl. für einen umfassenden ersten Überblick zum Verhältnis von Staat und Kirche in den einzelnen Ländern der EU Robbers (Hg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union.
16Eine kursorische rechtsvergleichende Darstellung des kirchlichen Arbeitsrechts nahmen bereits vor Keßler, Die Kirchen und das Arbeitsrecht, 327 ff.; Griebel, Die Religionsgesellschaft zwischen Staatsrecht und Europarecht, 277 ff.; ein kurzer Exkurs findet sich auch bei Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, 10 f.; ders., in: FS Rüfner, 901 (901 f. und 911 f.). Zuletzt findet sich ein umfassenderer Rechtsvergleich mit Österreich bei Schäfer, Kirchliches Arbeitsrecht im Wandel, 297 ff.
B. Grundlagen der Untersuchung
Vor der Untersuchung der einzelnen Rechtsordnungen bedarf es einer Darstellung der zugrunde gelegten Prämissen. Diese sind einerseits semantischer Natur (I.). Was ist kirchliches Arbeitsrecht im Sinne dieser Darstellung und was nicht? Darüber hinaus ist eine Präzisierung verschiedener Begrifflichkeiten im Zusammenhang des Staatskirchenrechts erforderlich, das als Fundament des kirchlichen Arbeitsrechts von zentraler Bedeutung ist. Sodann werden die methodischen Grundlagen dieser Arbeit beleuchtet (II.). Dies umfasst eine kurze Erörterung der Rahmenbedingungen des hier verfolgten rechtsvergleichenden Ansatzes. Daneben soll die in ihrer Grundstruktur einheitliche Vorgehensweise bei der Untersuchung der einzelnen Rechtsordnungen dargelegt werden. Abschließend sind die für das kirchliche Arbeitsrecht maßgeblichen europäischen Rechtsquellen zu untersuchen (III.).
I. Terminologie
1. Kirchliches Arbeitsrecht
Der Begriff des kirchlichen Arbeitsrechts ist in gewisser Hinsicht missverständlich.17 Bei unbefangener Betrachtung könnte der Eindruck entstehen, es handele sich dabei vollständig um originäres kirchliches Recht, gänzlich losgelöst von der staatlichen Rechtsordnung. Dieser Schein trügt. Wohl zur Klarstellung hat Richardi seinem Standardwerk auf diesem Gebiet daher den Titel „Arbeitsrecht in der Kirche“18 gegeben. Ausgangspunkt des kirchlichen Arbeitsrechts ist nämlich das staatliche – bzw. „weltliche“ – Arbeitsrecht. Für die katholische Kirche wird dies bereits durch die kirchenrechtliche Bestimmung in can. 1286 Nr. 1 CIC deutlich, wonach deren Vermögensverwalter „bei der Vergabe von Aufträgen auch das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens gemäß den von den Kirchen überlieferten Grundsätzen zu beachten (haben)“.19 Dies kann zutreffend als Grundansatz für die Anwendung des staatlichen Arbeitsrechts bei der Beschäftigung kirchlicher Arbeitnehmer gesehen werden.20 Daher wird von kirchlichem Arbeitsrecht gesprochen, wenn die Kirchen auf Grundlage der freilich auch ihnen zustehenden Vertragsfreiheit Arbeitnehmer21 durch Arbeitsverträge beschäftigen.
Für die in dieser Arbeit durchzuführende Untersuchung sind von dem Begriff aber diejenigen Dienstverhältnisse nicht umfasst, die nicht dem staatlichen Arbeitsrecht unterworfen sind. Im Zusammenhang mit der deutschen Rechtslage ist dies insbesondere bei den Geistlichen der Fall, die infolge der den Kirchen eingeräumten Dienstherrenfähigkeit nach kircheneigenem Dienstrecht beschäftigt werden, das an das weltliche Beamtenrecht angelehnt ist.22 Inwieweit den Kirchen innerhalb der anderen zu untersuchenden Rechtsordnungen eine ähnliche Freiheit zugestanden wird – wodurch der Anwendungsbereich des kirchlichen Arbeitsrechts entsprechend eingeschränkt wird – ist im Zusammenhang der jeweiligen Länderberichte zu erörtern.
Es sind aber nicht ausschließlich die als Körperschaft des öffentlichen Rechts konstituierten Kirchen, die als Arbeitgeber im Sinne des kirchlichen Arbeitsrechts infrage kommen. Auch auf die ihnen in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen kann sich der Anwendungsbereich des kirchlichen Arbeitsrechts erstrecken. In Abhängigkeit von der untersuchten Rechtsordnung sind dabei freilich unterschiedliche Wertungen möglich. Universell gilt aber der Grundsatz, dass die Kirchen bzw. die ihnen zuzuordnenden Einrichtungen infolge des Abschlusses eines Arbeitsvertrags grundsätzlich an das staatliche Arbeitsrecht gebunden sind.
Dass in diesen Fällen aber nicht von gewöhnlichem Arbeitsrecht zu sprechen ist, sondern das Attribut „kirchlich“ hinzugefügt wird, deutet eine Abweichung – treffender ausgedrückt: eine Modifikation – der allgemeinen Regelungen an.23 Eine derartige Modifikation ist aus der Sicht der Kirchen wegen der theologischen Fundierung ihrer Tätigkeit erforderlich. Anders als bei weltlichen Arbeitgebern ist bei ihnen in aller Regel kein Gewinnstreben, sondern der Dienst am Menschen im Sinne der christlichen Nächstenliebe (Caritas und Diakonie) Motivation ihres Handelns. Daraus und aus ihrem grundlegenden Selbstverständnis folgt eine spezifische Eigenart des kirchlichen Dienstes, die in Deutschland im Begriff der „kirchlichen Dienstgemeinschaft“24 ihren Niederschlag gefunden hat. Auch in anderen Ländern werden diese Besonderheiten entsprechend anerkannt.25 Daraus folgt aus der Sicht der Kirchen, dass die Begründung, die Durchführung sowie die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse unter möglichst umfassender Berücksichtigung ihres Selbstverständnisses erfolgen sollte. Zwar kann dies zuweilen mit den Grundsätzen des staatlichen Arbeitsrechts und den Grundrechten der Arbeitnehmer konfligieren; doch der Staat muss dieses kirchliche Bedürfnis berücksichtigen, soweit er den Kirchen eine – etwa aus der Verfassung folgende – besondere rechtliche Stellung in Gestalt eines Selbstbestimmungsrechts gewährt. Unter Rückgriff auf diese – je nach dem jeweiligen Staatskirchenrecht unterschiedlich ausgestaltete – kirchliche Autonomie ist unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerrechte die Reichweite der von der Rechtsordnung zugestandenen Modifikationen des Arbeitsrechts zu ermitteln. Daraus wird die unmittelbare verfassungs- bzw. grundrechtliche Prägung des kirchlichen Arbeitsrechts deutlich.
Ein spezifisch kirchliches Arbeitsrecht entsteht daher dann, wenn in Ansehung dieser Gewährleistungen von staatlichem Arbeitsrecht zugunsten der Kirchen abgewichen wird. Diese Abweichung kann in besonderen Fällen auch darin resultieren, dass in Teilbereichen eigenständiges, „echtes“ kirchliches Arbeitsrecht entsteht, wenn der Staat den Kirchen die Ausfüllung eines ihnen zugestandenen Freiraums (ggf. unter bestimmten Bedingungen) überlässt. Dieses eigenständige Recht besteht dann aber nicht isoliert, es wird vielmehr in das grundlegende staatliche Arbeitsrecht implementiert.26
2. Staatskirchenrecht
a) Staatskirchenrecht?
Da das Staatskirchenrecht als Grundlage für das kirchliche Arbeitsrecht eine besondere Relevanz aufweist, ist insbesondere im internationalen Kontext eine kurze Betrachtung dahingehend erforderlich, welchen Prämissen dieser Begriff unterliegt.
Nach einer abstrakten Definition umfasst die Materie „Staatskirchenrecht“ die Gesamtheit aller staatlichen Rechtssätze, die die Beziehungen zwischen dem Staat und den Kirchen regeln.27 Damit wird eine institutionelle Perspektive eingenommen, die sich insbesondere auf die Vereinbarkeit der beiden Größen Staat und Kirche bezieht. Da sich die institutionellen Garantien aber nicht gänzlich von den Rechten der Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft abstrahieren lassen und der Begriff zudem eine kirchenzentristische28 Betrachtung suggeriert, wird zunehmend eine „Vergrundrechtlichung“29 der zugrunde liegenden Fragestellungen angenommen. Dies solle sich in der Bezeichnung des Rechtsgebiets als „Religionsverfassungsrecht“ niederschlagen.30 Unabhängig davon, ob man diese Einwände grundsätzlich ablehnt,31 so ist doch zumindest im Kontext dieser Untersuchung ausschließlich vom Begriff „Staatskirchenrecht“ samt seiner Implikationen Gebrauch zu machen. Dafür lassen sich die folgenden Erwägungen anführen:
Grundlegend gilt, dass sowohl der Begriff des Religionsverfassungsrechts als auch der Begriff des Staatskirchenrechts jeweils einen Teilaspekt des Verhältnisses von Staat und Religion erfasst. Die Begriffe schließen sich daher nicht aus, sondern ergänzen sich.32 Im Zusammenhang des kirchlichen Arbeitsrechts stehen aber die Kirchen als Institution im Mittelpunkt, weniger die individuellen Rechte ihrer einzelnen Mitglieder. Entscheidend ist, welche Freiheiten den Kirchen bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern gewährt werden. Diese Fragestellung ist aus der institutionellen Perspektive zu beurteilen. Zudem ist die begriffliche Fokussierung auf die Kirchen im hier zu untersuchenden Kontext nicht nachteilig, da es ausschließlich auf deren Rechtsstellung ankommt. Dem Begriff Religionsverfassungsrecht mag diesbezüglich grundsätzlich eine „begrüßenswerte Klarstellungsfunktion“33 zukommen, doch ist sie im Zusammenhang dieser Arbeit entbehrlich.
Ebenso steht die Durchführung eines europäischen Rechtsvergleichs einer Verwendung des Begriffs des Staatskirchenrechts nicht entgegen.34 Denn auch in den anderen für diese Darstellung maßgeblichen Rechtsordnungen ist eine entsprechende Terminologie zur Bezeichnung der rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und den Kirchen durchaus geläufig. So wird dieses Rechtsgebiet in Frankreich als droit civil ecclésiastique35 und in England als ecclesiastical law36 bezeichnet. In Österreich wird ohnehin traditionell die Bezeichnung Staatskirchenrecht verwendet.37 Schließlich wird auf gesamteuropäischer Ebene eine juristische Erörterung des Staat-Kirche-Verhältnisses durch den seit 1989 bestehenden Zusammenschluss des European Consortium for Church and State Research geführt.38
Weniger bedeutsam ist insofern, dass seit einigen Jahren auch innerhalb anderer Staaten eine entsprechend der in der deutschen Rechtslehre geführte Terminologiedebatte zu beobachten ist. Dabei wird sowohl in Österreich39, Frankreich40 als auch in England41 zunehmend eine Akzentuierung der Religion im Allgemeinen zur Bezeichnung des Rechtsgebiets gefordert. Wie bereits dargelegt, sind diese Einwände für die hier vorzunehmende Untersuchung aber nachrangig; ohnehin stellen Rechtstermini im internationalen Kontext nur Orientierungspunkte dar, bei deren Verständnis nicht ausschließlich an der nationalen Perspektive zu haften ist.
b) Kirchen und Religionsgemeinschaften
Der Übersichtlichkeit und sprachlichen Vereinfachung halber werden in dieser Arbeit zumeist lediglich die Kirchen als Träger der vom jeweiligen nationalen Staatskirchenrecht vorgesehenen Gewährleistungen und Rechtspositionen erwähnt, auch wenn andere Religionsgemeinschaften ebenso vom Schutzbereich der entsprechenden Normen erfasst sein sollten. Ein Ausschluss dieser übrigen Religionsgemeinschaften ist damit nicht impliziert. Für diese Untersuchung ist jedoch ausschließlich die Rechtslage für die Kirchen maßgebend.