Kitabı oku: «Kirchliches Arbeitsrecht in Europa», sayfa 8

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182Deren Zustandekommen basierte auf der Forderung Helmut Kohls, der auf einer Erwähnung der Kirchen in einer Erklärung zur Schlussakte des Vertrags bestand, siehe Reichold, NZA 2001, 1054. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Erklärung Nr. 11 und ihrer Übernahme durch den Präsidialvorschlag Valéry Giscard d’Estaings in Art. 17 Abs. 1 AEUV, siehe Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 3 ff.

183Kurze Übersicht der verschiedenen Ansichten über die juristische Bedeutung der Erklärung bei Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (284 f.); Berkmann, Katholische Kirche und Europäische Union, 501 ff. Nach ganz herrschender Auffassung wurde der rechtliche Wert der Erklärung jedenfalls – mit unterschiedlich beurteilter Verbindlichkeit – als Mittel der Auslegung von Gemeinschaftsrecht gesehen, vgl. Stotz, öarr 46 (1999), 64 (65) („Auslegungsmaxime“); Reichold, NZA 2001, 1054 (1055) („Auslegungshilfe“); Waldoff, JZ 2003, 978 (984 f.) („Auslegungsleitbild“); Walter, Religionsverfassungsrecht, 410 f. („Auslegungsinstrument“); Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 454; ausführliche Herleitung bei Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (288 ff.).

184Reichold, in: Staat und Religion, 111 (115); Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, Art. 17 AEUV Rn. 17; Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 21. A.A. tendenziell Kotzur, in: Geiger/Khan/ders., Art. 17 AEUV Rn. 3.

185Vgl. Berkmann, Katholische Kirche und Europäische Union, 515; Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 17. Zur Auslegung des Begriffs „Union“ in Art. 17 Abs. 1 AEUV, siehe Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 267 f.

186Ähnlich auch Hölscheidt/Mund, EuR 2003, 1083 (1086); Triebel, Das europäische Religionsrecht, 289.

187Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 455; ebenso Muckel, DÖV 2005, 191 (198); Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 271.

188Griebel, Die Religionsgesellschaft zwischen Staatsrecht und Europarecht, 66 f.; Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 179.

189Ausführlich zu dieser Erfassung des Staatskirchenrechts im „weiteren Sinne“ Berkmann, Katholische Kirche und Europäische Union, 511 ff.

190Walter, Religionsverfassungsrecht, 418; Griebel, Die Religionsgesellschaft zwischen Staatsrecht und Europarecht, 67 f.; Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 269; Herbolsheimer, KuR 2012, 81 (93); Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 181; Classen, ZevKR 60 (2015), 115 (116); Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, Art. 17 AEUV Rn. 13; Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 15. Heinig, in: Religionsfreiheit als Leitbild, 169 (182), begründet dies überzeugend systematisch mit der Etablierung des Dialogs nach Abs. 3, da für diesen kein Bedarf bestünde, sofern die Kirchen in keinerlei Weise von den rechtlichen und politischen Entscheidungen der EU berührt würden. Im „engeren Sinn“ bezeichnet Art. 17 Abs. 1 AEUV aber als Bereichsausnahme Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 456.

191Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 17. Ähnlich auch Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 179 f.; Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 20 („Kompetenzausübungsschranke“).

192Classen, ZevKR 61 (2016), 333 (334).

193Muckel, DÖV 2005, 191 (199); Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 273; Berkmann, Katholische Kirche und Europäische Union, 514 f.; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, Art. 17 AEUV Rn. 13; Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 20; Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 184.

194Kotzur, in: Geiger/Khan/ders., Art. 17 AEUV Rn. 5.

195Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 17 AEUV Rn. 19 f.

196Heinig, in: Religionsfreiheit als Leitbild, 169 (182).

197Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 19.

198Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 182. Ähnlich Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 18, der die religionsrechtlichen Privilegien nennt, die auf nationaler Ebene materiellen Verfassungsrang genießen.

199Vgl. Hölscheidt/Mund, EuR 2003, 1083 (1086 f.); Grzeszick, ZevKR 48 (2003), 284 (294 und 298); Waldhoff, JZ 2003, 978 (985); ders., in: Calliess/Ruffert, Art. 17 AEUV Rn. 12; Muckel, DÖV 2005, 191 (198 f.); Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 456 f.; Mohr/v. Fürstenberg, BB 2008, 2122 (2125); Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen, 158; Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 182 f.; Classen, ZevKR 60 (2015), 115 (122); Thüsing, öarr 63 (2016), 88 (103 f.).

200Triebel, Das europäische Religionsrecht, 291 f.; ebenso wohl auch Walter, Religionsverfassungsrecht, 418 f.; Kotzur, in: Geiger/Khan/ders., Art. 17 AEUV Rn. 2.

201Das deutsche kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist „lex regia“ nach J. Heckel, in: FG Kaufmann, 83 (85). Hesse, in: HdBStKR, Bd. 12, 521, beschreibt das Selbstbestimmungsrecht als eines der „Fundamente“ der rechtlichen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirchen. V. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 99, bezeichnen es als „dritte Säule der religionsverfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes“.

202Für die Maßgeblichkeit des Kriteriums der Identitätsbegründung für die Ausfüllung des Statusbegriffs auch Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 271.

203So aber Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 19.

204Link, ZevKR 42 (1997), 130 (136).

205Ebenso Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 183.

206So auch Muckel, DÖV 2005, 191 (199); Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 271; Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 17 AEUV Rn. 29. Im Ergebnis auch Berkmann, Katholische Kirche und Europäische Union, 511 ff.

207Diesen Zusammenhang verdeutlicht Heinig, in: Religionsfreiheit als Leitbild, 169.

208Anders allerdings Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 12, der das Beeinträchtigungsverbot als rechtsetzungs- und das Achtungsgebot als rechtsanwendungsbezogen versteht. Zuweilen wird auch das Beeinträchtigungsverbot als deklaratorischer Ausdruck der Kompetenzbeschränkung der EU im Staatskirchenrecht interpretiert, siehe etwa Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 20.

209Vgl. Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 17 AEUV Rn. 33.

210Muckel, DÖV 2005, 191 (199); Walter, Religionsverfassungsrecht, 418; Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen, 158; Weber, NVwZ 2011, 1485 (1487); Schmidt, in: Schwarze, Art. 17 AEUV Rn. 20; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, Art. 17 AEUV Rn. 13; Stein, ZESAR 2018, 277 (279); Klein/Bustami, ZESAR 2019, 18 (20); im Ergebnis auch Schnabel, Der Dialog nach Art. 17 III AEUV, 184, der der Union die Definitionskompetenz für die Reichweite des Beeinträchtigungsverbots zuschreibt.

211Muckel, DÖV 2005, 191 (199); Walter, Religionsverfassungsrecht, 418; Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen, 158; Weber, NVwZ 2011, 1485 (1487).

212Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 456; Söbbeke-Krajewski, Acquis Communautaire, 272; Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 17 AEUV Rn. 35; Triebel, Das europäische Religionsrecht, 288 f.; Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 17

213Vgl. Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 17 AEUV Rn. 35.

214Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16).

215Zu diesem „Einfallstor“ für das kirchliche Arbeitsrecht beeinflussende europarechtliche Regelungen siehe Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen, 121 ff.; ebenso Joussen, RdA 2003, 32 (34 f.).

216Vgl. Klein/Bustami, ZESAR 2019, 18.

217Triebel, Das europäische Religionsrecht, 140.

218So auch Schliemann, NZA 2003, 407 (410). Ausführlich zur Genese der Richtlinie siehe Hanau/Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht, 28 ff.; insbesondere zu Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG Thüsing, öarr 63 (2016), 88 (106 ff.).

219Vgl. Joussen, RdA 2003, 32 (37).

220Vgl. Fink-Jamann, Das Antidiskriminierungsrecht und seine Folgen, 198.

221Vgl. Michl, in: Frankfurter Kommentar, Art. 17 AEUV Rn. 23.

Teil 2
Länderberichte
A. Deutschland – Ausgangspunkt und Vergleichsmaßstab
I. Die soziale Stellung der Kirchen und ihre Rolle als Arbeitgeber

In Deutschland besteht ein Dualismus zweier ungefähr gleich großer Kirchen, namentlich der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche. Die katholische Kirche gliedert sich in 27 Diözesen (Bistümer bzw. Erzbistümer), die evangelische Kirche ist der Zusammenschluss der 20 weithin selbständigen lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen Deutschlands (EKD). Zusammen vereinen katholische und evangelische Kirche fast zwei Drittel der deutschen Bevölkerung. Im Jahr 2015 zählte die katholische Kirche 23,6 Millionen, die evangelische Kirche 21,9 Millionen Mitglieder.222 Obwohl dieser hohe numerische Anteil eine große gesellschaftliche Bedeutung suggeriert, schwindet die Bindung der Bevölkerung an die Institution Kirche.223 Dies veranschaulicht der kontinuierliche Rückgang der Konfessionszugehörigkeiten im Laufe der letzten Jahrzehnte.224 Für diesen Trend können maßgeblich die soziologischen Phänomene der Pluralisierung, der Individualisierung und der Säkularisierung identifiziert werden.225

In scheinbarem Widerspruch zu dieser Entwicklung226 hat die Bedeutung der Kirchen als Arbeitgeber227 seit den späten 1960er Jahren in erheblichem Umfang zugenommen.228 Wegbereitend dafür war die enorme Zunahme kirchlich getragener Einrichtungen im sozialen bzw. karitativen Bereich durch die gesetzliche Etablierung des sozialrechtlichen Grundsatzes vom Vorrang privater Einrichtungen der Wohlfahrtpflege gegenüber öffentlichen Einrichtungen (sog. „Funktionssperre“).229 Auch infolgedessen sind gegenwärtig in der Bundesrepublik unzählige kirchliche Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Beratungsstellen lebendiger Ausdruck der karitativen Grundfunktion der Kirchen. Das auf diese Weise gestiegene Engagement im sozialen Bereich ließ die Zahl der kirchlich Beschäftigten rapide steigen. Die geistlichen Orden als traditionell wichtigste Personalressource vermochten den entsprechenden Bedarf an Arbeitskräften nicht mehr annähernd zu decken.230 Der weitaus größte Teil der Beschäftigten entstammt seitdem daher dem allgemeinen Arbeitsmarkt und ist auf Grundlage eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages angestellt.231

Als Arbeitgeber fungieren katholische Diözesen, evangelische Landeskirchen, landeskirchliche und diözesane Verbände, Dekanate, Kirchenkreise und Pfarreien sowie die ihnen zugeordneten Einrichtungen.232 Eine genaue Zahl der kirchlichen Arbeitsverhältnisse kann angesichts dieser Vielzahl kirchlicher Arbeitgeber und Einrichtungen kaum ermittelt werden. In den einschlägigen Quellen der letzten Jahre ist zumeist von 1,3 bis 1,4 Millionen233, in jüngerer Zeit sogar von 1,5 Millionen234 Arbeitnehmern die Rede – es kann somit von einer weiterhin steigenden Tendenz ausgegangen werden. Davon sind gegenwärtig knapp 700.000235 Arbeitnehmer bei der katholischen Caritas und knapp 600.000236 Arbeitnehmer bei der evangelischen Diakonie beschäftigt. Dies verdeutlicht die eminente praktische Bedeutung des kirchlichen Arbeitsrechts in Deutschland.

II. Staatskirchenrechtliche Grundlagen für das kirchliche Arbeitsrecht
1. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts

Die Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts ist die Geschichte einer Emanzipation der Institutionen Kirche und Staat, geprägt von Machtinteressen, inneren Widersprüchen und Rückschlägen auf dem Weg zu einer ausbalancierten Freiheit der Kirchen in einem modernen rechtsstaatlichen Gemeinwesen. Sie setzt im Wesentlichen mit der von Martin Luther angestoßenen protestantischen Reformation ein. Die enorme Bedeutung der durch diese Bewegung entfesselten Dynamik schlägt sich in der pointierten Bezeichnung des deutschen Staatskirchenrechts als „Reformationsfolgenrecht“237 nieder. Auch die konfessionelle Situation in Deutschland ist bis zum heutigen Tage entscheidend von der Reformation geprägt.238

Im Spätmittelalter hatten sich die Fürsten der Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation weitgehende Aufsichts- und Verwaltungsrechte über die Kirche und ihr Vermögen geschaffen, eine Verweltlichung der Kirche war die Folge.239 Auch dagegen richteten sich Luthers 95 Thesen aus dem Jahr 1517, die eine Rückbesinnung der Kirche zu ihrer geistlichen Berufung intendierten. Dabei erneuerte er die von Augustinus begründete Zwei-Reiche-Lehre und opponierte so gegen die Verschränkung von kirchlichen (civitas dei) und weltlichen (civitas terrana) Organisationsstrukturen. Zahlreiche weltliche Stände schlossen sich der Reformation an; viele verweigerten sich jedoch der aus ihrer Sicht häretischen neuen Lehre. Die auf diese Weise eingetretene Glaubensspaltung hatte eine schwere Verfassungsstörung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zur Folge.240 Denn die verlorene Glaubenseinheit des corpus christianum führte im reichsfürstlich föderalisierten Deutschland zu einer Verbindung der religiösen Auseinandersetzungen um die „wahre Lehre“ mit dem politischen Kampf um Macht.241 Das Verhältnis von Staat und Kirche war grundlegend infrage gestellt worden.242

In den zahlreichen auch kämpferisch geführten Auseinandersetzungen konnte sich keine der beiden Seiten nachhaltig durchsetzen. Erst durch den 1555 geschlossenen Augsburger Religionsfrieden243 konnte der verlorenen religiösen Einheit durch die Etablierung einer friedlichen Koexistenz zwischen den sich gegenseitig ausschließenden Konfessionen stabilisierend begegnet werden. Das Übereinkommen gilt als lex fundamentalis244 und prägte zusammen mit dem ein Jahrhundert später geschlossenen Westfälischen Frieden245 von 1648 den staatskirchenrechtlichen Aufbau des alten Reichs bis zu dessen Ende im Jahr 1806.246 Sämtliche Reichsstände erhielten das Recht, den Bekenntnisstand und die Ordnung des Kirchenwesens in ihrem Gebiet zu bestimmen;247 insofern kam es gewissermaßen zu einer „föderalistischen Lösung“ der Bekenntnisfrage.248 Zwar erfolgte auf diese Weise keine Anerkennung individueller Religionsfreiheit, da die einzelnen Territorien in konfessioneller Hinsicht zwingend homogen zu sein hatten. Aber auf der Ebene des Reiches galten fortan die noch heute gültigen staatskirchenrechtlichen Fundamente der Neutralität und Parität hinsichtlich der beiden christlichen Hauptkonfessionen.249

Während dieser Epoche waren in sämtlichen Reichsständen geistliche und weltliche Sphäre weiterhin eng verbunden, das weltliche Recht beeinflusste die Kirchenstruktur.250 Dies basierte (ironischerweise) in den evangelischen Territorien auch auf einer Entscheidung, die der Lehre Luthers diametral entgegenstand: Der Wegfall der bisherigen Kirchenorganisation hatte ein Vakuum entstehen lassen, das durch die Anerkennung der weltlichen Territorialherrscher als Notbischöfe gefüllt wurde (sogenanntes Episkopalsystem251) – es bildeten sich territoriale Landeskirchen, die von staatlicher Führung abhängig waren.252 Auch die katholische Kirche unterlag in ihren Gebieten weiterhin umfangreichen Einflüssen der jeweiligen Landesherrn, da sie ihren Besitzstand während der Reformation nur mit Hilfe der katholisch gebliebenen Fürsten hatte wahren können.253 In diesem während des Absolutismus später als „Territorialismus“ bezeichneten Modell wurden die Kirchen weitreichend von der territorialen Staatsgewalt beherrscht.254 Die damit einhergehenden umfangreichen Ingerenzen provozierten indes ein immer stärker wachsendes Bedürfnis der Kirchen nach Freiheit vor staatlichen Eingriffen, was durch die Strömung der Aufklärung und Toleranz unterstützt wurde.

Diese Bestrebungen sollten sich kontinuierlich im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzen; es reifte nun auch der Gedanke zur Gewährung kirchlicher Autonomie. Die staatliche Einflussnahme auf die Kirchen nahm – wenn auch mit Rückschlägen – beständig ab.255 Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ist als Ausgangspunkt dieser Entwicklung zu betrachten, wenngleich er die Kirchen vor allen Dingen wirtschaftlich erheblich schwächte. Er erzwang eine Säkularisierung256, in deren Folge Besitztümer der Kirchen zur Entschädigung der während der Revolutionskriege depossedierten Fürsten enteignet und ganze geistliche Reichsstände aufgelöst wurden. Der Wiener Kongress brach mit seiner territorialen Neuordnung die bisherige konfessionelle Einheit der Territorien auf. Die nun wieder entstandene Heterogenität der Bekenntnisse verstärkte das Bedürfnis nach Toleranz und Neutralität auch auf einzelstaatlicher Ebene.257 Dies erklärt die Normierung individueller Religionsfreiheit hinsichtlich der christlichen Bekenntnisse in Art. XVI der Deutschen Bundesakte von 1815. Daneben induzierte die Säkularisation in Verbindung mit wachsenden kirchlichen Autonomieansprüchen den Prozess zur Herausbildung eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.258

Insoweit kam durch das Revolutionsjahr 1848 erneut Bewegung in die staatskirchenrechtliche Entwicklung. Auch wenn der erste Versuch einer gesamtdeutschen Verfassung in Form der sogenannten Paulskirchenverfassung (PV) von 1848/49 scheiterte, so war sie doch in höchstem Maße wegweisend: Sie beinhaltete in § 144 Abs. 1 PV die uneingeschränkte Religionsfreiheit und garantierte nach § 147 Abs. 1 PV die Selbstverwaltungsfreiheit für jede Religionsgesellschaft, die aber den „allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“ sein sollte. Eine Staatskirche sollte nicht bestehen (§ 147 Abs. 2 PV). Damit wurden die Grundlagen des modernen deutschen Staatskirchenrechts geschaffen, wenngleich dessen Umsetzung noch ausstand.259

In der Folge changierten Facetten eines Staatskirchentums einerseits und trennende Elemente andererseits.260 Dabei ist für das Ringen um Kontrolle und Unabhängigkeit zwischen den Kirchen und Staat die damalige Entwicklung in Preußen exemplarisch. Begründete die oktroyierte Preußische Verfassung von 1848 noch ein kirchliches Selbstverwaltungsrecht,261 kam es während des von Bismarck initiierten sogenannten Kulturkampfes zu antikatholischen Kampfgesetzen. Deren Ziel war eine Eindämmung der kirchlichen Freiheit und die Etablierung einer umfassenden Staatsaufsicht. Auch das kirchliche Selbstverwaltungsrecht der Preußischen Verfassung wurde 1875 wieder aufgehoben. Ex post kann diese Zeit aber als Durchgangsstadium während der Emanzipation von Staat und Kirche verstanden werden.262

Ihren Kulminationspunkt fand die bereits über ein Jahrhundert währende Phase des Umbruchs schließlich in der Revolution von 1918 und der Konstituierung der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919, die eine Epochenwende263 für das deutsche Staatskirchenrecht darstellt. Seitdem bestimmt Art. 137 Abs. 1 WRV – fast wortgleich wie in der damals noch gescheiterten Paulskirchenverfassung – die Trennung von Staat und Kirche.264 Konsequenterweise wurde mit der Normierung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 137 Abs. 3 WRV auch die staatliche Hoheit über die Kirche beendet. Dennoch blieben verschiedene der vorangegangenen Verschränkungen und kirchlichen Privilegierungen bestehen.265

Nach der für die Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts unbedeutenden266 Zeit des Nationalsozialismus bewirkte die neue demokratische Konstituierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Grundgesetz eine Renaissance des Weimarer Kirche-Staat-Verhältnisses, das nun eine Verfeinerung und Intensivierung erfuhr. Nach langen kontroversen Diskussionen innerhalb des Parlamentarischen Rats einigte man sich im Rahmen eines sogenannten „doppelten Kompromisses“267 auf eine Inkorporation der entsprechenden Weimarer Verfassungsartikel über Art. 140 GG in das Bonner Grundgesetz.268 Mit der deutschen Einheit im Jahr 1990 wurde die Geltung des Staatskirchensystems aus dem Grundgesetz schließlich auf das gesamte wiedervereinigte Deutschland erstreckt.

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