Kitabı oku: «Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik», sayfa 2
2.2 Das Phänomen des Sprachwandels1
Als gesprochene Sprache befindet sich die deutsche Sprache – im Unterschied zu nicht (mehr) bzw. nur noch von wenigen Liebhabern gesprochenen Sprachen wie z.B. Latein oder Altgriechisch – in permanentem Wandel. Nach Gerhart WolffWolff, Gerhard ist dabei der Begriff SprachwandelSprachwandel den Begriffen Veränderung und Entwicklung vorzuziehen.2 Denn der Begriff Veränderung beziehe sich lediglich auf „beobachtbare Oberflächenphänomene“, sei also eine quantitative Kategorie, „die dem dynamischen Charakter von Sprache nicht gerecht werden“ könne; der Begriff Entwicklung werde dagegen mit der „Vorstellung von einem kontinuierlichen, zielgerichteten Ablauf“ verbunden und sei damit eine teleologische Kategorie, die „ganz bestimmte Regulative (Entwicklungsgesetze), Einteilungen (Entwicklungsstufen) und Deutungen (z.B. fortschreitende Vervollkommnung, Sprachdifferenzierung oder auch Sprachzerfall)“ impliziere. Lediglich der Begriff Sprachwandel werde dem „dynamisch-veränderbaren Charakter der Sprache“ gerecht, nicht zuletzt deshalb, weil es „die Interpretationsoffenheit einzelner Phänomene gebe“ und Veränderungen funktionell erklärt würden, also die Frage nach den dahinterstehenden kommunikativen Bedürfnissen das wissenschaftliche Interesse leite. Wolff nennt den Begriff Sprachwandel deshalb treffend eine pragmatische Kategorie.
Was damit gemeint ist, zeigt Uwe HinrichsHinrichs, Uwe eindrücklich am Beispiel des sogenannten Gastarbeiterdeutsch auf, sprich dem ungesteuert erworbenen Deutsch von Migranten, die zwischen den 1950er und den frühen 1970er Jahren nach Deutschland kamen.3 Da sie lediglich für einen „begrenzten Zeitraum“ und „ohne Perspektive auf Integration“ nach Deutschland eingereist seien, sei ihre Motivation, die deutsche Sprache zu erlernen, nur gering gewesen; auch hätten die meisten Gastarbeiter keinen Fremdsprachen- bzw. Deutschunterricht besucht. Hinrichs geht dabei von der Annahme aus, dass typische Züge des Gastarbeiterdeutsch „unabhängig von der Herkunftssprache auftreten“, wozu z. B. „fehlende Artikel, Präpositionen und Pronomen; falsche Präpositionen, falsches Genus, andere Wortfolge etc.“ zählen. Für die Frage nach dem SprachwandelSprachwandel entscheidend ist jedoch ein anderer Befund, nämlich die Tatsache, dass diese Merkmale und Besonderheiten des Gastarbeiterdeutsch „auch im Zusammenhang mit aktuellen Veränderungen in der deutschen Standard-UmgangsspracheUmgangssprache“ auftauchen. So werden in dieser beispielsweise zunehmend alte Kasus durch Präpositionen ersetzt, was laut Hinrichs auf den intensiven Sprachkontakt zwischen Muttersprachlern und Migranten zurückzuführen ist. Denn diese „geben Präpositionen den Vorzug“, weil sich ihre eigene Muttersprache – so z.B. das Türkische und das Arabische – weit „von dem alten Kasusmodell“ entfernt hat.4 Im Kern handelt es sich bei all diesen Veränderungen durch Sprachkontakt also um „kommunikativ bedingte Vereinfachungen der Grammatik“ und damit um ein pragmatisch bedingtes Sprachwandelphänomen in dem von Gerhart WolffWolff, Gerhard beschriebenen Sinn.
Neben den durch Sprachkontakt bedingten Formen des SprachwandelsSprachwandel lässt sich nach HinrichsHinrichs, Uwe eine zweite große Gruppe von Veränderungen ausmachen, die für die deutsche Sprache gegenwärtig kennzeichnend sind. Dazu gehören zum einen Veränderungen „die aus dem Englischen herüberkommen („Denglisch“)“ und zum anderen Veränderungen, die „aus den Dialekten stammen (Ich bin gerade die Uhr am Reparieren).“5 Bei (noch) genauerer Betrachtung ist das Verhältnis zwischen Dialekt und mündlicher „Standard-UmgangsspracheUmgangssprache“ tatsächlich noch etwas komplizierter, als es die Unterscheidung von Hinrichs suggeriert, denn es beruht auf Gegenseitigkeit: Die deutschen Dialekte wirken auf die am schriftlichen Standard orientierte Umgangssprache ein, weswegen nicht von der einen deutschen Standard-Umgangssprache gesprochen werden kann, sondern von verschiedenen regionalen (mündlichen) GebrauchsstandardsGebrauchsstandard gesprochen werden muss; diese wirken ihrerseits auf den Gebrauch der Dialekte zurück. So ist das dialektale Sprechen in Deutschland zwar immer noch weit verbreitet, aber es findet in erster Linie im privaten und kommunalen Bereich statt, z.B. in der Familie, im Freundeskreis und im Sportverein, während im öffentlichen Raum zunehmend Formen und Varianten eines „abgemilderten“, an der regionalen Umgangssprache orientierten dialektalen Sprechens anzutreffen sind.6 Schließlich ist noch zu unterscheiden zwischen einem gelenkten und einem nicht gelenkten SprachwandelSprachwandel: Während Hinrichs (in erster Linie) nicht gelenkte Formen der Einflussnahme meint, sind politisch bzw. pädagogisch motivierte Formen der Einflussnahme auf Bildungsprozesse im Sinne von HennesHenne, Helmut Primat der Standardsprache mehr oder weniger gelenkt.
2.3 Konzeptionelle MündlichkeitMündlichkeit, konzeptionelle und konzeptionelle SchriftlichkeitSchriftlichkeit, konzeptionelle bzw. Literalität
Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass die auf Forschungen von Peter KochKoch, Peter und Wulf Oesterreicher zurückgehende Unterscheidung zwischen konzeptioneller MündlichkeitMündlichkeit, konzeptionelle und konzeptioneller SchriftlichkeitSchriftlichkeit, konzeptionelle1 für ein vertieftes Verständnis der Problematik von Dialekt und Standardsprache unerlässlich ist. Nach Helmuth FeilkeFeilke, Helmuth kennzeichnen schriftlich-konzeptuale Fähigkeiten „Graphie und Orthographie ebenso wie die Fähigkeit, schriftliche Texte zu verfassen“;2 das zentrale Ziel konzeptionell-schriftlicher Kommunikation ist „die maximal kontextentbundene Verständigung“.3 Nach Fix ist Schriftlichkeit deshalb ein „eigenständiges kognitives Konzept“, ein eigener „Denkstil“ und „nicht nur ein Anhängsel des Sprechens“.4 So setzt das kompetente Verfassen eines konzeptionell schriftlichen Textes nicht nur korrekte Rechtschreibung, sondern z.B. auch Textsortenkenntnis und die Fähigkeit voraus, die Perspektive potentieller Adressaten einzunehmen. Aber auch Prozesse der Planung, Überarbeitung und Revision sind kennzeichnend für konzeptionell schriftliche Texte. Daneben gibt es freilich Texte, die dem konzeptionell Mündlichen nahestehen, etwa die Chat-Kommunikation oder die E-Mail: Diese kann zwar ebenfalls sehr förmlich verfasst sein, beispielsweise wenn sie an Vorgesetzte oder Behörden gerichtet ist und damit durchaus in den Bereich konzeptioneller Schriftlichkeit gehört; unter Bekannten und im privaten Schriftverkehr weist die E-Mail jedoch typischerweise Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit auf. Jörg KilianKilian, Jörg spricht deshalb treffend von „geschriebener UmgangsspracheUmgangssprache“ bzw. „geschriebener Mündlichkeit“.5 Die Frage ist nun, welche Konsequenzen damit für Dialekt und Standardsprache verbunden sind.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sich beim Thema Dialekt in erster Linie – aber nicht ausschließlich – um ein Phänomen handelt, das im Bereich konzeptioneller MündlichkeitMündlichkeit, konzeptionelle angesiedelt ist. Dialektales Sprechen ist für die mündliche Alltagskommunikation kennzeichnend, hier jedoch in verschiedenen Nuancierungen und Abstufungen: Während im Süden des deutschen Sprachraums in der Familie, im Freundeskreis und im heimatlichen bzw. dörflichen Kontext bis heute das dialektale Sprechen üblich ist (und u.U. sogar bewusst gepflegt wird), greifen dieselben Sprecherinnen und Sprecher im beruflichen Umfeld oder anderen weiteren Handlungskontexten (wie etwa Schule oder Studium) – im Sinne des Code-SwitchingCode-Switching – auf die in ihrer Region gebräuchliche UmgangsspracheUmgangssprache zurück. Diese ist zwar ebenfalls noch dialektal gefärbt, jedoch insgesamt näher an der (typischerweise in Radio und Fernsehen gesprochenen) mündlichen Standardaussprache angesiedelt als der heimische Dialekt.
Zwischen den zahlreichen (mehr oder weniger) dialektal gefärbten mündlichen Aussprachevarianten des Deutschen gibt es außerdem Abweichungen auf allen sprachlichen Ebenen (Beispiele aus dem OberfränkischenFränkisch):
Lexikon (Bsp. Babbelwasser für ein alkoholisches Getränk, nach dessen Genuss man redselig wird),
Morphologie (Bsp. gwen für „gewesen“),
Semantik (Bsp. Fähnla für „ein minderwertiges Kleid“),
Syntax (Bsp. machsd-es Laab auf an Haufm für die Aufforderung „mach das Laub auf einen Haufen“).6
In der schriftlichen Standardsprache – und damit im Bereich konzeptioneller SchriftlichkeitSchriftlichkeit, konzeptionelle – finden sich regionale Varianten hingegen lediglich innerhalb des Wortschatzes. Drei Beispiele hierfür aus der von Hubert KlausmannKlausmann, Hubert durchgeführten Studie zu „RegionalismenRegionalismen in der schriftlichen Standardsprache“:7
daheim (im süddeutschen Sprachraum gebräuchliche Variante zu norddt. zu Hause),
Blaukraut (im süddeutschen Sprachraum gebräuchliche Variante zu norddt. Rotkohl)
Radler (im süddeutschen Sprachraum gebräuchliche Variante zu norddt. Alsterwasser).
Das von Ulrich AmmonAmmon, Ulrich u.a. (2004) herausgegebene „Variantenwörterbuch des Deutschen“ mit ca. 12000 standardsprachlichen Wörtern und Wendungen, die eine national oder regional eingeschränkte Verbreitung aufweisen, macht eindrucksvoll deutlich, dass Varianten auch innerhalb des schriftlichen Standarddeutschen sehr viel weiter verbreitet sind, als es der Begriff „Standardsprache“ suggeriert.
2.4 Zusammenfassung: Die Begriffe Standardsprache, Dialekt und UmgangsspracheUmgangssprache
Mit Blick auf die folgenden, einzelne Aspekte weiter vertiefenden Überlegungen werden an dieser Stelle die wesentlichen Unterschiede zwischen den Begriffen Standardsprache, Dialekt und Umgangssprache noch einmal kurz und prägnant zusammengefasst. Dies geschieht jeweils durch kurze Begriffserklärungen.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sich in allen drei Fällen um linguistische Konzepte und damit um den Versuch handelt, aus einer Fülle sprachlicher Phänomene jeweils solche in einem Begriff zusammenzufassen, die eine Reihe ähnlicher – nach linguistischen Kriterien beschreibbarer – Merkmale aufweisen. Dabei muss zwischen sprachwissenschaftlich motivierten und fundierten einerseits und populären bzw. alltagssprachlichen Konzepten andererseits unterschieden werden: Der Begriff „Dialekt“ ist sowohl ein linguistisches als auch ein alltagssprachliches Konzept – auch Menschen, die nicht Sprachwissenschaftler sind, haben i.d.R. eine (mehr oder weniger konkrete) Vorstellung davon, was man unter einem „Dialekt“ versteht; der Begriff „Hochdeutsch“ wiederum ist ein alltagssprachliches Konzept, dem der sprachwissenschaftliche Begriff der (deutschen) Standardsprache entspricht, unter der im Wesentlichen Folgendes zu verstehen ist:
Standardsprache: Bei der (deutschen) Standardsprache handelt es sich um ein Phänomen der deutschen Sprache, das sowohl im Schriftlichen (schriftlicher Standard) als auch im Mündlichen (mündlicher Standard) auftritt; von Standard bzw. Standardisierung ist deshalb die Rede, weil die (mündliche wie schriftliche) Standardsprache der Normierung unterliegt. Normierende Instanz für die mündliche Standardsprache ist das „Aussprachewörterbuch“ des DudenDuden; daneben existiert bis heute die von dem deutschen Germanisten Theodor SiebsSiebs, Theodor um 1900 entwickelte „Bühnenaussprache“ als normierende Instanz.1 Beide Standard-Lautvarianten wurden bzw. werden – trotz einiger Unterschiede – auf der Basis norddeutscher Dialekte entwickelt. Der Duden nimmt für sich allerdings in Anspruch, „der Sprechwirklichkeit“ näher zu kommen als die „Bühnenaussprache“, da diese „ideale Norm“ nur noch im Kunstgesang üblich sei.2 Wie Werner KönigKönig, Werner für den mündlichen Standard nachgewiesen hat, meint der Duden mit „der Sprechwirklichkeit“ die Aussprache im norddeutschen Raum.3 Das zeigt zum einen, dass hinter seinen Entscheidungen Sprachwissenschaftler stehen, die ihre Entscheidungen nicht auf der Basis empirischer Untersuchungen, sondern eigener Normurteile fällen; zum anderen macht es deutlich, dass auch die Entscheidungen eines Wörterbuchs – so unumstößlich sie erscheinen mögen – auf einer schwankenden, veränderlichen Basis stehen („Was ist die Sprechwirklichkeit im norddeutschen Raum?“).4 Der im kulturellen Gedächtnis der deutschsprachigen, insbesondere der bundesrepublikanischen Bevölkerung tief verwurzelte Nexus „Norddeutsch gleich Standardsprache“ hat in diesen richtungweisenden Entscheidungen seinen Ursprung, obwohl – das sei hier ausdrücklich betont – die einzelnen deutschen Aussprachevarianten bzw. Dialekte aus sprachwissenschaftlicher Perspektive prinzipiell gleichwertig sind.5 Ein „Primat der Standardsprache“ (vgl. Kap. 2), wie es in Helmut HennesHenne, Helmut Konzept der inneren MehrsprachigkeitMehrsprachigkeitinnere des Deutschen zum Ausdruck kommt, lässt sich jedenfalls nicht aus der konkreten Sprachwirklichkeit ableiten, sondern allenfalls normativ begründen. Den geografisch neutralen mündlichen Standard gibt es nach Königs Untersuchungen im Grunde lediglich bei den Nachrichtensprecherinnen und Nachrichtensprechern in Radio und Fernsehen in mehr oder weniger „reiner“ Form.6 Normierende Instanz für den schriftlichen Standard sind ebenfalls die deutschen Wörterbücher, allen voran der Duden und das Wörterbuch von WahrigWahrig. Dabei gilt es zu bedenken, dass es nicht nur zwischen den einzelnen Wörterbüchern, also mit Blick auf die Frage, was der schriftliche Standard sei, z. T. erhebliche Diskrepanzen gibt.7 Neben dem deutschen Deutsch sind darüber hinaus weitere nationale Standardvarietäten zu unterscheiden, nämlich das „österreichische Deutsch“ und das „schweizerische Deutsch“.8
Dialekt: Zu den dialektalen Phänomenen gehören die verschiedenen regionalen Varianten der deutschen Sprache. Dies gilt sowohl für das Schriftliche als auch für das Mündliche, wobei jedoch ein wesentlicher Unterschied besteht: Während die (regionale) Variation im Schriftlichen – ungeachtet aller Normierungsbestrebungen von DudenDuden und WahrigWahrig – im Bereich Wortschatz bzw. Lexik auftritt, differieren die mündlichen Variationen der deutschen Sprache auf sämtlichen linguistischen Ebenen (Lexikon, Morphologie, Phonologie usw.). Dabei ist, wenn von Dialekt die Rede ist, im süddeutschen Raum grundsätzlich von einer gleitenden Skala auszugehen: Sie reicht von „stark ausgeprägt“, wie in bestimmten ländlichen Kontexten durchaus heute noch üblich und vor allem in früheren Jahrhunderten der Normalfall, bis hin zu „schwach ausgeprägt“, d. h. nahe am mündlichen Standard und lediglich dialektal bzw. regional gefärbt.
UmgangsspracheUmgangssprache: Im Unterschied zu den beiden Begriffen „Standardsprache“ und „Dialekt“ bezieht sich der Begriff „Umgangssprache“ ausschließlich auf den Bereich des konzeptionell Mündlichen, also den Bereich der gesprochenen Sprache. Dabei ist zunächst einmal festzuhalten, dass es „die“ Umgangssprache nicht gibt;9 vielmehr existieren zahlreiche Varianten der Umgangssprache nebeneinander, wobei Dialektgrenzen überschritten werden und die Grenzen zwischen diesen Varianten fließend sind. Ihr Hauptkennzeichen besteht darin, dass sie einerseits mehr oder weniger stark dialektal gefärbt und andererseits – zum Zwecke überregionaler Verständigung – am (mündlichen) Standard orientiert sind. Deshalb kann bei regionalen Varianten, die dem (mündlichen) Standard sehr nahe stehen, auch von „Standardvarianten“ gesprochen werden.10 Die Verwendung der Umgangssprache wird somit von der impliziten Annahme getragen, dialektales Sprechen sei per se eine Verständigungsbarriere und müsste deshalb durch die (mehr oder weniger starke) Ausrichtung am (mündlichen) Standard verbessert werden.
3. Herkunft und Gliederung der deutschen Dialekte und der Standardsprache
3.1 Herkunft und Gliederung der Dialekte
3.1.1 Die Herkunft der Dialekte
Wer in der Öffentlichkeit Dialekt spricht, wird immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, kein richtiges Hochdeutsch zu sprechen. Allerdings machen es sich diese Gegner der Dialekte zu einfach, denn im deutschen Sprachraum ist die Situation komplizierter, als mancher glaubt. Zunächst muss festgehalten werden, dass die Dialekte gar kein falsches Hochdeutsch sein können, weil sie nicht vom Hochdeutschen, also der Standardsprache, abstammen. Um die Herkunft der Dialekte zu klären, müssen wir einen Blick auf die deutsche Sprachgeschichte werfen.
Die deutsche Sprache gehört zur Familie der germanischen Sprachen, die ihrerseits zur Großfamilie der indogermanischen Sprachen gehört. Entscheidend für die Abtrennung des Deutschen von den übrigen germanischen Sprachen wie Dänisch, Holländisch, Schwedisch, Englisch usw. war eine Lautveränderung, die sogenannte Zweite LautverschiebungZweite Lautverschiebung, bei der zwischen dem 5./6. und 8./9. Jahrhundert n. Chr. unter anderem die Laute p, t, k zu pf/ff, ts/ss und ch/kch verändert wurden. Da eine solche Veränderung in Hunderten von Wörtern auftritt, verändert sie das Gesicht einer Sprache massiv. Ein Vergleich von deutschen und englischen Wörtern macht den Unterschied sofort deutlich. Es stehen sich dann beispielsweise gegenüber: englisch water – deutsch Wasser, englisch apple – deutsch Apfel. Diese Zweite LautverschiebungZweite Lautverschiebung wird traditionell in der Dialektforschung auch als Kriterium für die Einteilung der deutschen Dialekte verwendet. Entsprechend der Teilnahme an dieser Lautverschiebung werden die deutschen Dialekte in drei Gebiete eingeteilt (Abb. 1):
(a) das niederdeutscheNiederdeutsch Gebiet: Hier wurde wie in den übrigen germanischen Sprachen diese Lautverschiebung überhaupt nicht durchgeführt, so dass man zum Beispiel im Niederdeutschen heute noch ik für „ich“, maken für „machen“, Dorp für „Dorf“, Appel für „Apfel“ und Pund für „Pfund“ sagt.
(b) das mitteldeutscheMitteldeutsch Gebiet: Diesen Raum kann man als Übergangsgebiet bezeichnen. Zwar hat man hier an der Zweiten LautverschiebungZweite Lautverschiebung teilgenommen, doch wurden nicht alle Konsonanten verändert: So sagt man im Kölner Raum zum Beispiel ich, aber dat und Pund, während man im Süden des deutschsprachigen Raums das und Pfund spricht. Die Besonderheit im östlichen Teil des Mitteldeutschen besteht dagegen in der Aussprache von Pfund als Fund. Appel bleibt aber auch hier unverändert.
(c) das oberdeutscheOberdeutsch Gebiet: In diesem Raum wurde die Zweite LautverschiebungZweite Lautverschiebung bis auf k- im Anlaut komplett durchgeführt. Die Verschiebung von k- zu kch- und Ch- fand nur im südlichen Teil des BairischenBairisch und AlemannischenAlemannisch statt, wo man die Aussprachen Kchind/Chind für Kind noch heute hören kann.
Abb. 1:
Die räumliche Gliederung der deutschen Dialekte nach der Zweiten Lautverschiebung.
Die Sprachstufe, in der diese Veränderungen zum ersten Mal auftreten, nennt man „Althochdeutsch“. Hierbei ist „hochdeutsch“ ein geografischer Begriff, der – vom Meer aus gesehen – den Gegensatz zum NiederdeutschenNiederdeutsch („Plattdeutschen“) deutlich machen soll. Dieses „Althochdeutsch“ hat sich ebenfalls über die Jahrhunderte in seiner lautlichen und grammatikalischen Struktur verändert, so dass man spätestens für das 12. Jahrhundert von „Mittelhochdeutsch“ spricht. Die Dialekte des hochdeutschen Raumes, also die mitteldeutschenMitteldeutsch und oberdeutschenOberdeutsch Dialekte, bilden dann die natürliche Fortsetzung dieser mittelhochdeutschen Sprache.
Da sich, wie wir gesehen haben, die Dialekte aus dem Mittelhochdeutschen ableiten lassen, ist es auch nicht möglich, Dialekte nachzumachen, indem man sie von der standarddeutschen Lautung ableitet. Wer also in einem Ort Wörter wie „breit“ und „Geiß“ als broit und Goiß hört und glaubt, dass er nur die standarddeutsche Lautung -ai- durch -oi- ersetzen muss, um den Ortsdialekt zu sprechen, würde dann mit Lautungen wie Zoit „Zeit“ und woiß „weiß“ falsch liegen, da diese beiden Wörter in mittelhochdeutscher Zeit mit einem langen i-Laut gesprochen wurden, geschrieben -î- (mhd. zît „Zeit“, mhd. wîʒ „weiß“), während die Wörter „breit“ und „Geiß“ einen Diphthong -ei- besaßen (mhd. breit „breit“, mhd. geiʒ „Geiß“). Tabelle 1 zeigt dies nochmals für verschiedene Dialekte, wobei es sich beim FränkischenFränkisch um den ostfränkischen, beim SchwäbischenSchwäbisch um den ostschwäbischen Dialekt handelt. Im Standard werden alle vier Wörter mit -ai- gesprochen!
Mhd. | Bairisch | Fränkisch | Alemannisch | Schwäbisch | Standard |
zît | Zait | Zait | Ziit | Zeit | Ais |
wîß | waiß | waiß | wiiß | weiß | waiß |
breit | broat | braat | brait | broit | brait |
geiʒ | Goaß | Gaaß | Gaiß | Goiß | Gaiß |
Tab. 1: Die Herleitung der Dialekte aus dem Mittelhochdeutschen
Im Gegensatz zum Germanischen, wofür wir praktisch keine Texte haben, ist die mittelhochdeutsche Sprache gut überliefert. Die großen Dichter des Mittelalters wie Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach haben in dieser Sprache ihre Werke geschrieben. Darüber hinaus liegt uns das Mittelhochdeutsche auch in zahlreichen Urkunden vor. Die Aufspaltung dieser ursprünglich relativ einheitlichen Sprache in die heutigen Großdialekte Bairisch (man schreibt den Dialekt mit einem -i-, das Land Bayern dagegen mit -y-), AlemannischAlemannisch und FränkischFränkisch ist erst nach dem Mittelalter erfolgt. Um nun die Entwicklung der einzelnen Dialekte zu beschreiben, fragt sich die Mundartforschung, was aus den einzelnen mittelalterlichen Lauten in den jeweiligen Dialekten geworden ist: Was wurde zum Beispiel aus einem mittelhochdeutschen langen u-Laut, den man damals als û notierte, in einem Wort wie hûs „Haus“? Man stellt dann fest: Im Alemannischen ist dieses û als langer u-Laut erhalten geblieben und man sagt dort auch heute noch Huus wie im Mittelalter, während dieses û im SchwäbischenSchwäbisch zu einem -ou- wurde, so dass man dort Hous sagt. Im FränkischenFränkisch und BairischenBairisch ist dieses û dagegen zu einem au geworden. Man sagt wie im Standarddeutschen Haus. Und was wurde aus einem mittelhochdeutschen ei in einem Wort wie breit im Dialekt des Ortes A, was im Ort B? In manchen Gebieten, so etwa im Ostschwäbischen, wurde dieses -ei- zu einem -oi-, so dass man das Wort jetzt als broit ausspricht, in anderen Gegenden wie etwa dem Westschwäbischen oder dem Bairischen, wurde es zu -oa-, so dass man dort broat sagt.
Abb. 2:
Beispiel für eine Sprachatlaskarte, hier aus dem „Sprachatlas von Nord Baden-Württemberg“, Band 2, Karte I, 21.1.
Wenn man alle Laute nach diesem Verfahren durcharbeitet, erhält man das sprachliche Profil eines Ortes und kann für diesen eine Lautlehre erstellen. Dasselbe gilt auch für andere Teilbereiche wie die Grammatik, so dass am Schluss eine umfangreiche Beschreibung einer Ortsmundart entsteht.
Für die Einteilung von Sprachlandschaften nimmt man immer lautliche Veränderungen als Ausgangspunkt, weil sie – wie oben erwähnt – stets in mehreren Wörtern auftreten. Wer für breit heute broit sagt, sagt auch hoiß für heiß, Goiß für Geiß, Loitere für Leiter usw. Dagegen betreffen Unterschiede im Wortschatz in der Regel immer nur ein Wort. Wenn zwei Ortschaften für ein und dieselbe Sache zwei verschiedene Benennungen haben, so muss dies bei der nächsten Sache nicht auch so sein. Es gibt allerdings auch den Fall, dass dort, wo sich besonders viele lautliche Gegensätze gegenüberstehen, auch Unterschiede im Wortschatz festzuhalten sind. Wir werden bei der Beschreibung von Dialektgrenzen solche Sprachgrenzen mit Laut- und Wortgegensätzen noch kennenlernen.