Kitabı oku: «Bluemoon Baby», sayfa 3

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Wäre Kalle noch am Abend seines Diebstahls auf den Gedanken gekommen, Hugo Rhäs anzurufen, um ihm dessen Papiere zum Wiederkauf anzubieten, hätte er vielleicht sogar Glück damit gehabt. Natürlich hätte Hugo Rhäs nicht 250.000 Mark zahlen können und wollen, aber vielleicht 500. Ein Angebot, auf das Kalle nach kurzem Überlegen bestimmt eingegangen wäre. Jetzt allerdings, am Donnerstagabend, hatte Hugo Rhäs den Verlust seiner monatelangen Arbeit schon fast verwunden, oder vielmehr als neue persönliche Herausforderung umgedeutet.

Vielleicht war die Radix-Theorie noch nicht ausgereift genug. Schon gar nicht ihre Umsetzung in eine mathematische Formel. Hugo Rhäs ging in seinem Arbeitszimmer auf und ab. John Steinbecks Hund hatte die erste Fassung von Jenseits von Eden aufgefressen. Der erzwungene Neubeginn wurde zum Welterfolg. Doch was bedeutete das für Rhäs? Hin- und hergerissen zwischen dem Versuch einer Rekonstruktion und einem radikalen Neuanfang, entfernte sich das mühsam herbeigedachte Thema immer weiter von ihm.

Am Donnerstagnachmittag erhielt er dann einen Anruf der Firma Allwell. Man bat ihn, zum Schein auf das mögliche Angebot eines Wiederkaufs seiner Papiere einzugehen, weil man bei dieser Gelegenheit den Dieb stellen wolle. Hugo Rhäs erklärte sich einverstanden.

„Wenn ich Ihnen noch eine Frage stellen dürfte“, sagte der Allwell-Mitarbeiter.

„Ja, natürlich.“

„Um was für Papiere handelt es sich da eigentlich genau, falls das nicht einer strengen Geheimhaltung unterliegt?“

„Ganz und gar nicht. Es sind Notizen für eine sogenannte Radix-Theorie.“

„Radix?“

„Radix heißt soviel wie Wurzel. Ich verwende den Begriff, um ursprüngliche Gedanken zu bezeichnen. Einfälle, die einem spontan in den Sinn kommen, das, was Joyce als Epiphanien bezeichnet, was …“

„Also nichts von wirtschaftlicher Bedeutung?“

„Das würde ich so nicht sagen. Auf den ersten Blick vielleicht…“

„Was ich meine: wer könnte konkret noch ein Interesse an Ihren Unterlagen besitzen?“

„Nun, alle möglichen … das heißt im momentanen Zustand, der eher fragmentarisch ist, ja, wie soll ich sagen, im Grunde kann damit kaum jemand etwas anfangen. Es ist noch zu kryptisch, noch…“

„Ja, so ähnlich haben wir das auch eingeschätzt. Aber trotzdem vielen Dank für die Auskunft, und natürlich auch für Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Wie gesagt, wenn jemand anruft und Ihnen die Papiere anbietet, dann gehen Sie bitte auf alle Forderungen ein. Wir haben Ihr Telefon angezapft und setzen uns dann wieder mit Ihnen in Verbindung.“

Der Allwell-Mitarbeiter ließ Hugo Rhäs mit einem Gefühl der Unzufriedenheit zurück. Es stimmte ihn nachdenklich, daß er seine Theorie noch nicht einmal ansatzweise hatte vermitteln können. Die mußten ihn für einen Spinner halten. Nichts von wirtschaftlicher Bedeutung! Was wußten die denn? Immerhin hatte sich ja jemand die Arbeit gemacht, die Papiere zu stehlen.

Eine Viertelstunde später klingelte das Telefon.

„Rhäs.“

„Ich glaube, ich habe hier etwas, das Sie interessieren dürfte.“

„Ja?“

„Ja. Oder vermissen Sie etwa nichts?“

„Wie man’s nimmt.“

„Papiere.“

„Ja, ja, kommen Sie zur Sache.“

„Ich bin durch einen Zufall in den Besitz Ihrer Aufzeichnungen geraten und würde sie Ihnen gern zurückgeben.“

„Ja, dann tun Sie das doch.“

„Hören Sie mal, ich meine, Sie verstehen doch wohl, daß ich dafür eine kleine Aufwandsentschädigung erwarten darf.“ „Ja natürlich, das verstehe ich. Wieviel?

„Ich hatte an 250.000 Mark gedacht.“

„In Ordnung.“

„Was heißt das?“

„Ich habe gesagt: in Ordnung.“

„Und ich habe Sie gefragt, was das heißt.“

„Was heißt das wohl? Daß ich einverstanden bin.“

„Ich möchte 250.000 Mark.“

„Das habe ich verstanden.“

„Eine Viertelmillion. Und Sie haben nur bis heute Abend Zeit, um das Geld aufzutreiben.“

„In Ordnung.“

„In kleinen und unnumerierten Scheinen. Und wenn Ihnen das Probleme machen sollte, dann sage ich nur…“

„Es macht mir keine Probleme.“

„Keine Probleme?“

„Keine Probleme.“

„Um so besser. Ich melde mich mit weiteren Anweisungen.“

12

Als Professorin Rikke um viertel nach elf nach Hause zurückkam, war die Sondersendung über Douglas Douglas Jr., den knochenlosen Siebzehnjährigen, schon vorbei. Wansl, ihr Lebensgefährte, war vom Schachspiel heimgekehrt und saß mit einem Katalog für Elektronikbauteile im Sessel vor dem Fenster. In der Küche summte leise die Spülmaschine, die sie nach Erhalt ihrer Professur als erstes angeschafft hatte.

„Hast du zufällig ferngesehen?“ fragte sie.

„Nur kurz. Es gab irgendwas über Schlangenmenschen und Feuerschlucker. Völliger Blödsinn. Hat mich nicht weiter interessiert.“

„Aber mich hätte es vielleicht interessiert. Außerdem ist das kein Schlangenmensch, sondern ein Junge ohne Knochen.“

Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Dietmar hatte wirklich keine Hemmungen. Ohne Überleitung hatte er angefangen, auf die Lebensgefährtin des Außenministers einzureden und sie zu allem Überfluß auch noch mit zu ihr gezerrt.

„Wenn Sie sich für Kunst interessieren, dann hab ich etwas ganz Besonderes für Sie.“ Dietmar hatte das eingepackte Bild unter dem Buffettisch hervorgeholt, die Schnur gelöst und die Decke auseinandergeschlagen. „Sei doch so gut, Sabine, und halt das mal kurz.“ Und so mußte Professorin Rikke das Bild in die Höhe halten, während Dietmar der Lebensgefährtin die Einzelheiten erklärte. „Ich setze mich gerade mit der Schrift in der Malerei auseinander. Ein Rückgriff auf den Kubismus. Malerei selbst ist ja auch Schrift. Und so frage ich mich, inwieweit Schrift nicht vielleicht umgekehrt, innerhalb eines Bildes, zum reinen Objekt werden kann.“ Er machte beim Sprechen mit den ausgestreckten Handflächen kreisende Bewegungen über der Leinwand, so als wollte er das Gesagte in das Bild hineinreiben.

„Riechen Sie? Noch ganz frisch. Ich war den ganzen Tag im Atelier. Das dürfte Sie vielleicht interessieren. Wenn Sie mal vorbeikommen wollen, jederzeit. Warten Sie, ich gebe Ihnen mal mein Kärtchen. Danke, Sabine.“ Dietmar nahm Professorin Rikke das Bild wieder ab und stellte es auf den Boden. Um die Pause zu überbrücken, während er in seinem Organizer nach seiner Karte suchte, stellte er Sabine der Lebensgefährtin vor.

„Sie ist Professorin für Frauenstudien in Gießen.“

„Interessant“, sagte die Lebensgefährtin und musterte dabei Professorin Rikke.

„Ist irgendwas?“

„Nein, nein. Ich überlege nur, ob ich Sie nicht von irgendwoher kenne.“

„Ich wüßte nicht.“

„Na, nicht so bescheiden“, mischte sich Dietmar wieder ein, während er der Lebensgefährtin seine Karte überreichte. „Vielleicht kennen Sie uns aus dem Fernsehen.“

„Stimmt“, ein Lächeln ging über das Gesicht der ehemaligen Fernsehvolontärin. „Sie waren mal im Fernsehgarten, richtig?“

„Haargenau“, strahlte Dietmar. Professorin Rikke war die Situation eher peinlich.

„Da hab ich damals mitgearbeitet. Sie haben da Frauen beraten, wie sie das Beste aus ihrem Typ machen können, nicht wahr?“

Dietmar konnte so etwas mit Humor nehmen. „Hahaha, na ja, nicht so ganz. Es ging um die Bedeutung der Sommersonnenwende in unserer Kultur.“

„Ach, das mit den Seifenkisten, ja das war schön. Ich durfte nachher auch mal mit einer fahren. Toll war das. Das kam bei den Kindern gut an.“

„Und hatte gleichzeitig noch einen tieferen Sinn.“ Dietmar versuchte das Gespräch für Professorin Rikke erträglich zu halten, doch es war zu spät. Sie hatte sich reserviert höflich verabschiedet und den Laden verlassen.

„Und sonst haben die nichts gezeigt im Fernsehen?“ fragte sie Wansl noch einmal, während sie sich selbst die verspannte Schulter massierte.

„In irgendeinem amerikanischen Kaff wollten die Bewohner irgendwelche Tiere aus einem Zoo in Teer sieden, und dabei ist ein unheimlich wertvoller Ara abhanden gekommen. Jetzt suchen die den bundesweit, weil es ein einmaliges Tier ist. Der kann mit seinem Schnabel Zahlen addieren und sogar schreiben.“

13

Kalle haßte dieses Gefühl der Unsicherheit. Warum war Hugo Rhäs nur so schnell auf alles eingegangen? Da konnte doch irgendetwas nicht stimmen. Wahrscheinlich waren die Papiere viel mehr wert als eine lumpige Viertelmillion. Aber egal. Die Zeit drängte. Die Groschen, die er vom Teller eines unbewachten Zeitungsstands genommen hatte, reichten gerade noch für einen Anruf. Außerdem hatte er seit fast fünf Stunden nichts getrunken. So übernächtigt und durchgeschwitzt wie er aussah, ohne Jacke, unrasiert und mit einer Pappschachtel unterm Arm, flog er selbst im Bahnhofsviertel gleich aus jeder Kneipe. Und auf Pump würden sie ihm erst recht nichts geben.

Kalle machte sich in Richtung der alten Papierfabrik auf. Einen Plan hatte er nicht direkt, aber das Gelände war dort unübersichtlich genug. Das Problem lag eher in der Tatsache, daß er alles allein machen mußte. Und daß er noch gut vier Stunden bis Sonnenuntergang zu warten hatte. Er fuhr einige Stationen schwarz mit der Straßenbahn, anschließend ein ganzes Stück mit dem Bus. Dann lief er schräg durch den Hartmann-Park und schlich sich von hinten an den Kiosk hinter dem Europa-Denkmal an.

Wie immer war die Gegend verlassen. Ein Mädchen kaufte gerade für eine Mark Brausebonbons. Sonst war niemand zu sehen. Nachdem das Mädchen bezahlt hatte, ließ sich der Kioskbesitzer wieder in seinen Korbstuhl fallen und schaute abwesend auf den laufenden Fernseher. Draußen vor dem Park fuhr eine Straßenbahn heulend über die Schienen. Die Kiosktür nach hinten war offen, so wie Kalle es erwartet hatte. Dort standen aber nur Bierkästen. Das nützte ihm nichts. Bis er sich an denen vorbeigequetscht hatte, war der Alte schon aufgesprungen und hatte nach seinem Baseballschläger gelangt. Einfach von vorn hingehen und eine Flasche Korn verlangen ging auch nicht, denn der Alte würde sie so lange in der Hand behalten, bis er das Geld auf den Zahlteller gelegt hätte.

Kalles Hände wurden schwitzig. Er stellte den Karton mit den Entwürfen für eine Radixtheorie ab und überlegte. Er hatte nichts mehr am Leib, das er als Gegenwert hätte anbieten können, soviel stand fest. Gewaltbereit war er nur bis zu einem gewissen Maß. Für eine ausgefeilte List hatte er weder Zeit noch Nerven. Außerdem mußte er seinen Grips für die Geldübergabe bei der Papierfabrik zusammenhalten. Er schaute sich noch einmal um. Die Europa lag im untergehenden Aprillicht lasziv auf ihrem Stier. Ganz in der Ferne kam eine alte Frau mit Stock angeschlichen. Hinter dem Zaun des Parks gingen wenige Leute von der Arbeit nach Hause. Kalle schloß die Augen und fing an, bis zehn zu zählen. Bei fünf hielt er es nicht mehr aus. Er riß die Augen wieder auf und stürmte von hinten in den Kiosk.

Der schmale Gang zwischen den aufeinandergestapelten Bierkästen war so eng, daß Kalle sich etwas zur Seite drehen mußte, um hindurchzukommen. Zum Glück saß der Alte mit dem Rücken zu ihm, wodurch er etwas Zeit gewann. Hinter ihm fielen Flaschen um. Jetzt gleich nach links. Chips, Kaugummis, Snickers, Mars, Zigaretten, irgendwo ganz oben stand der Klare.

„Sag mal, ich glaube, du spinnst! Was soll denn das?“ Der Alte brauchte sich gar nicht nach dem Baseballschläger zu bücken, denn er hatte ihn schon in der Hand. Kalle konnte sich jetzt nicht von seiner Suche ablenken lassen. Ja richtig, dort oben. Er ging einen Schritt zur Seite und griff sich zwei Flaschen Wodka. Dadurch verfehlte ihn der erste Schlag des Kioskbesitzers. Der Schläger hinterließ im Deckel der Tiefkühltruhe eine tiefe Delle. Kalle sprang zurück und wollte wieder nach hinten raus. Doch dort lagen die umgefallenen Flaschen und Kisten und versperrten ihm den Weg. Der Alte holte zu seinem nächsten Schlag aus. Er mußte schnell handeln, und so opferte er eine der beiden Wodkaflaschen und warf sie nach dem Mann. Die Flasche traf ihn an der Brust, fiel zu Boden und zersprang. Diesen Moment nutzte Kalle aus, um sich umzudrehen und über die Kisten nach hinten zu klettern. Er warf dabei absichtlich andere Stapel um und versperrte dem Alten so den Weg.

Draußen hielt er kurz hinter dem Europadenkmal an, schraubte die Flasche auf und nahm einen tiefen Schluck. Dann einen zweiten. Aus dem Kiosk kam ein dumpfes Poltern. Kalle schraubte die Flasche wieder zu und rannte jetzt über die Wiese, dann den kleinen Kiesweg hoch zum Ausgang und dort über die Straße, wo gerade eine Straßenbahn hielt, die ihn fast bis zur Papierfabrik brachte.

14

Klara Rhäs, geborene Sammel, geschiedene Howardt, war im April 1944 im Kreiskrankenhaus innerhalb ihrer Untersuchung zur Gebärbefähigung nicht nur verschiedentlich vermessen, sondern auch fotografiert worden. Und es waren diese Fotos, die ihr ein unangenehmes Gefühl verursachten. Nicht, daß die Vermessungen angenehm gewesen wären. Das kalte Maßband auf ihrem Bauch und zwischen ihren Beinen verursachte einen Schwindel, wie sie ihn nur einmal bei einer Bergwanderung in großer Kälte verspürt hatte. Der Atem war ihr für einen Moment weggeblieben und stattdessen war ihr die klare Bergluft, ohne daß ihre Lungen etwas dazu getan hätten, in den Brustkorb geströmt. Ungeatmet hineingeströmt, um ungeatmet wieder hinauszuströmen. Nicht sie hatte die Luft gebraucht, benutzt, über die Bronchien in ihre Lungen gesogen und ihrem Blut Sauerstoff zugeführt, sondern die Luft war in sie gedrungen, wie in eine vom Ruß verkohlte Höhle, um nachzusehen, ob sich da vielleicht etwas befand. Wäre Klara Rhäs religiöser gewesen, sie hätte diese klare Bergluft als ein Licht empfunden, das in sie gefahren war, um ihr den Weg zu weisen, von dem sie im Begriff war abzukommen. Stattdessen sackte sie nach hinten und riß sich die Hand an einem tiefhängenden Tannenzweig auf. Die jungen Burschen, mit denen sie unterwegs war, kamen zurückgelaufen. Aus einer kleinen Wunde zwischen Handschuh und Armbündchen tropfte etwas Blut. Aber Klara lachte, weil sie wieder atmen konnte.

Auf dem Untersuchungsstuhl, der ihre Beine weit auseinanderspreizte, hielt sie selbst die Luft an, um dem fremden Ersticken zuvorzukommen. Glücklicherweise gelang ihr das auch. Die Messungen dauerten eine gute Viertelstunde. Dann bat der junge Arzt in Uniform, sie möge doch ihre Schuhe anziehen. Sie verstand nicht recht und wollte sich ganz ankleiden. Doch er wies sie ausdrücklich darauf hin, daß die Schuhe vollkommen ausreichend seien. Während sie dies tat, rückte er einen Wandschirm zur Seite. Dahinter stand auf einem schweren Stativ eine Kamera. Links und rechts waren zwei Blitzlichter angebracht. Klara Sammel stand nun bis auf ein schon fadenscheiniges Hemdchen, das gerade ihren Busen bedeckte und nicht einmal bis zum Nabel reichte, nackt und in Schuhen neben dem Untersuchungsstuhl. Der Arzt bat sie nun in die Mitte des Raums vor die Kamera und ließ sie allerlei verschiedene Posen einnehmen, um die Ausformung ihres Beckens hinreichend dokumentieren zu können. Insgesamt machte er nicht mehr als sechs, vielleicht sieben Aufnahmen. Der Grund dafür lag jedoch nicht etwa an einer während seines Tuns aufkeimenden Zurückhaltung, sondern allein an dem zur damaligen Zeit äußerst spärlich vorhandenen Filmmaterial.

Um diese und andere Aufnahmen von jungen Frauen zu machen, hatten die Beteiligten einen ganzen Aufklärungsflug sozusagen „leer fliegen“ lassen müssen und sogar gehofft, daß das Flugzeug ein Opfer der feindlichen Abwehr werden würde, um diese ungeheure Manipulation zu vertuschen. Doch wie es eben so geht: Maschine, Besatzung und Ausrüstung waren unversehrt zurückgekommen. Zwar hatte es einige Nachforschungen gegeben, aber so etwas konnte, gerade in den chaotischen letzten Kriegsjahren, durchaus mal passieren. Und die Mitglieder der Untersuchungskommission hingen selbst mit drin.

So war nach einer weiteren Viertelstunde alles vorbei. Klara Sammel durfte sich anziehen und draußen Platz nehmen. Auf derselben Bank, auf der sie wenige Jahre später mit ihrem ersten Mann sitzen und auf die Mitteilung der amerikanischen Militärärzte warten würde, die besagte, daß man ihr Kind nicht hatte retten können.

15

Die nackten Zeugen von Armageddon, die sich immer noch im Hinterland von Wisconsin in ihrer Farm verschanzt hielten, waren von ungetrübter Stimmung und bei bester Laune. Gerade näherte sich der siebte Tag der Belagerung durch die Bundesbehörden seinem Ende, und noch hatten sie Nahrungsmittel und Wasser in Überfluß. In den Zeitungen erschienen Bleistiftzeichnungen, auf denen Illustratoren versuchten, mit Hilfe der Informationen des selbstverständlich ahnungslosen Hausbesitzers ein Bild vom Innenleben der Farm zu geben.

Es ging das Gerücht, die Sekte werde von drei weisen Männern mit den Namen Arnon, Arod und Arioch geführt. Auf den Kreideskizzen routinierter Gerichtszeichner sah man sie alle drei mit ununterscheidbar langen Bärten und wallendem Haar auf einem Podest stehen, das sich angeblich im nach hinten gelegenen Versammlungsraum der Farm befand und nach neusten Gesichtspunkten der Bühnentechnik ausgestattet sein sollte. Mit Hilfe von Scheinwerfern, Trockeneis und Theaternebel konnten sie so den zu ihren Füßen gescharten Anhängern noch eindringlicher ihre flammenden Durchhalteparolen predigen.

In Fernsehprogrammen wurden ähnliche Szenen mit der Kennzeichnung „Reenactment“ nachgespielt. Dazwischen zeigte man Archivmaterial, bestehend aus Berichten über andere Sekten und Religionsgemeinschaften. Leser und Zuschauer waren so schon bald tief in eine phantastische Welt eingetaucht, die sich irgendwo zwischen Quo Vadis, Twilight Zone und einem ZZ-Top-Videoclip befand, und damit natürlich ganz hoch in der Publikumsgunst stand.

Schließlich stellte sich auch den Fernsehanstalten nicht länger die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der von ihnen in Bilder übertragenen Vermutungen. Entscheidend war allein, daß genügend Sendezeit aus dem spärlichen Material herausgepreßt werden konnte. Den Polizeibehörden war das alles nur recht. Mit dem Dreigespann Arnon, Arod und Arioch, das schon bald den Wiederholungen der Three Stooges den Rang abgelaufen hatte, konnten die amtlichen Pressesprecher in ihren Fernsehkonferenzen, von denen ebenfalls ein gewisser Unterhaltungswert erwartet wurde, frei schalten und walten, ohne dabei Gefahr zu laufen, tatsächliche Ermittlungsergebnisse preiszugeben.

In Los Angeles saßen Teams von Zeichnern und Textern in Doppelschichten an einer Comicversion der Ereignisse. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die Nachfrage auf dem Sprechblasenmarkt näherte sich ihrem Höhepunkt und würde, gemäß statistischer Erkenntnisse, unversorgt in spätestens zwölf Tagen wieder verebbt sein. Mit den Fassungen, die im Enten- oder Mäusemilieu spielten, konnte man sich noch etwas Zeit lassen. Wichtig war es, vor allem diejenigen Leser zu bedienen, die das Ende von Superman und die Gerüchte um Batmans Homosexualität nicht verwinden konnten. Ihnen lieferte man nach den Fantastic Four nun The Gigantic Three As. Arbeitstitel der ersten Geschichte „The 3As On The Highway To Armageddon“.

Am Freitag gegen Mitternacht wurde die Wasserzuleitung zur Farm für zwei Stunden unterbrochen. Man ließ Douglas Douglas Jr. zusammen mit seinem Begleiterteam zu einem ersten Vorstoß in die Kanalisation herunter. Er trug einen Froschanzug mit dem Namen Leviathan. Das an seinem Kopf angebrachte Nacht- und Unterwasserfilmgerät war von der Firma Knighteye. Seine Eltern, ein kleines und ältlich erscheinendes Ehepaar, standen zusammen mit dem Arzt des Jungen, Dr. Samuel Howardt, verschreckt am Ort des Geschehens. Man hatte ihnen einen Wohnwagen in die Nähe des Journalistenzeltes gestellt und eine Betreuerin zugewiesen, die sie mit Kaffee und belegten Brötchen versorgte. Über mehrere Bildschirme konnten sie die Expedition ihres Jungen mitverfolgen.

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