Kitabı oku: «Der Geldkomplex», sayfa 3
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Nein, ich weiß immer noch nichts Näheres. Die Testamentseröffnung soll erst nächste Woche stattfinden. Inzwischen hat der Miterbe wenigstens Mittel und Wege gefunden, um selbst hinzufahren und gleichzeitig die sterblichen Überreste des alten Herrn zu überführen. Einstweilen war er immer noch im Bahnhof deponiert. Henry hielt das für sehr bedenklich, weil es immerhin einen Anstrich von Rücksichtslosigkeit hatte, aber es war beim besten Willen nicht zu ändern.
Daß Ihr die Sache äußerst spannend findet, begreife ich, kann aber Eure Empfindungen nicht teilen. Ich lasse mich grundsätzlich auf keine Spannung mehr ein, sie schadet mir und beeinflußt die Dinge immer nur ungünstig.
Es war eine glückliche Fügung, daß ich hierherkam. Ich muß die Segnungen dieses Aufenthalts immer mehr anerkennen und kann nur sagen, ein Sanatorium ist doch der einzige geeignete Ort, um auf Erbschaften zu warten. Von der Kur habe ich mich ziemlich emanzipiert, es war nicht mehr zum Aushalten. So habe ich dem Professor auseinandergesetzt, meine Schlaflosigkeit hätte sich in das Gegenteil verkehrt und ich litte jetzt vielmehr an einer veritablen Schlafsucht..., damit er mich nur mit seinen Wickeln und Duschen verschont. Außerdem möchte er mir etwas mehr Bewegungsfreiheit gewähren, denn ich hätte einen verwickelten Erbschaftsprozeß und müsse deshalb öfter in die Stadt, um mit einem Anwalt zu beraten. Er gab schließlich nach, aber seine Sympathie für mich, die wohl nie sehr heftig war, nimmt immer mehr ab. Ich glaube sogar, er möchte mich fort haben, denn er machte ziemlich brutale Anspielungen, ob ich nicht zur Nachkur noch in ein Seebad gehen wollte. Henry meint, er hielte mich am Ende für eine Schwindlerin... Es ist schon möglich, denn daß meine Nerven völlig intakt sind, hat er längst durchschaut, vielleicht auch, daß es mit meinen Geldverhältnissen nicht der Fall ist. Der Freudianer hat ihn ja damals brieflich darauf vorbereitet, daß ich erst am Ende meines Aufenthalts zahlen würde... Erbschaftsprozesse und dergleichen klingt immer etwas nach Schwindel, kein Mensch glaubt an Erbschaften, die noch in der Luft hängen, kurz, er wird in meiner Vorstellung immer mehr zum Gläubiger, und das ist ungemütlich. Vielleicht ist es auch ein Fehler, daß ich nie die Rechnung beanstande, sie wird einem jede Woche ins Zimmer gelegt, und ich sehe, daß andere Patienten, die regelmäßig zahlen, jeden Augenblick Krakeel machen. Das ist eine Gewohnheit aus schlechten Zeiten. Ist man selbst überzeugt, daß man doch nicht wird zahlen können, so kommt es nicht in Betracht, wie hoch die Rechnung wird. Ich kann ihm also sein Mißtrauen nicht übelnehmen... wie oft war man schon in ähnlicher Lage und brannte dann irgendwie durch, das mag in Sanatorien ebenso oft vorkommen wie in Hotels.
Um wenigstens etwas glaubhafter dazustehen, habe ich mir einen Rechtsanwalt von ihm empfehlen lassen und bin auch wirklich hingegangen. Was er für mich tun soll, ist vorläufig noch ganz unklar, aber ich bereite ihn darauf vor, daß es eventuell etwas zu tun geben wird, und befrage ihn um tausend Dinge, die ich entweder schon weiß oder gar nicht zu wissen brauche. Im Anschluß daran kann man sich wenigstens etwas herumtreiben, ins Café gehen und dergleichen längst entbehrte Freuden genießen.
Mittlerweile ist auch der schon erwähnte russische Fürst hier aufgetaucht, das heißt, zur allgemeinen Enttäuschung ist er kein Fürst, sondern nur Großgrundbesitzer und heißt Balailoff. Den erhofften Spleen aber hat er im höchsten Maße, und so kommt es auf eins heraus. Wir haben ihn gleich in unseren Kreis gezogen und sind durchaus zufrieden mit ihm. Der Spleen zerfällt in zwei Teile, einmal will er sich den Alkohol abgewöhnen lassen, zweitens hat er eine Braut mit und will hier heiraten.
Dieser Balailoff ist eine gute Ablenkung, denn er erzählt beständig von seinen Angelegenheiten, und wenigstens in seiner Gegenwart müssen wir unsere Geldgespräche suspendieren, schon weil er augenscheinlich über schwindelhafte Mittel verfügt und unsere Komplexe nicht verstehen würde. Statt dessen drehen wir uns mit um seine Heiratsangelegenheiten und seinen Alkoholismus. Mit der Braut dagegen haben wir vergebens versucht, uns in Fühlung zu setzen. Sie bewohnt einen Extrapavillon, zieht sich sehr zurück und weiß uns nicht zu schätzen. Es macht den Eindruck, als ob sie ihn zu dieser Entziehungskur veranlaßt hätte und beständig mit dem Professor komplottiert. Er selbst schimpft bei jeder Gelegenheit darüber, daß er hier so überwacht wird, und für die Momente, wo er es nicht mehr aushalten kann, hat er sich schon eine Art Weinkeller in Henrys Bureau eingerichtet. Die beiden haben sich nämlich in einem großen Spekulationsobjekt gefunden. Balailoff hat, wie so viele Russen, auf irgendwelche Weise sein Anrecht auf einen Platz verwirkt, kann deshalb nicht mehr nach Rußland zurück und möchte seine dortigen Ländereien verkaufen. Da, wie er erzählt, ergiebige Petroleumquellen in der Gegend sind, riet Henry ihm, statt dessen eine Aktiengesellschaft zu gründen, und er ist Feuer und Flamme dafür. Sie sitzen beständig im Bureau, machen Kostenanschläge und rechnen. Kommen sie dabei zu einem Resultat, das sie besonders begeistert, so wird es auf Balailoffs Verlangen «begossen», und wir haben dann unsere liebe Not, ihn so weit zu zähmen, daß der Professor und die Braut nichts merken. Sie begleitet ihn nur selten bei seinen Ausgängen, sondern sitzt in ihrem Pavillon, spielt Klavier und verachtet uns alle miteinander.
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Ich hab Euch verwöhnt, Maria, mit meinem vielen Schreiben. Wenn ich einmal vierzehn Tage schweige, seid Ihr schon unzufrieden. Denkt nur nicht, daß es immer so fortgehen wird. Ich bin gewiß Dir und Euch allen so zugetan wie immer und war es auch in Zeiten, wo man überhaupt nichts voneinander hörte, aber daß ich jetzt so endlose Briefe schreibe, geschieht wohl mehr mir selbst zuliebe und weil ich so viel überflüssige Zeit habe. Habe ich aber zur Abwechslung einmal keine Lust, so laßt mich in Ruhe.
Ja, also, kurz nach meinem letzten Schreiben kam ein Telegramm vom Miterben: «Beisetzung erfolgt. Testamentseröffnung verschoben, da selbes noch nicht aufgefunden. Anwalt meint vierhunderttausend pro Kopf»
Dieser unleidliche Privatdozent tut nun wirklich, als hätte ich das große Los gezogen. Ich finde ja auch, es sind recht angenehme Aussichten, aber durch die Schwierigkeiten der letzten Jahre sind meine Ansprüche ins Ungeheuerliche gewachsen, und es gibt keine Summen mehr, die ich als überwältigend empfinden würde. Das Revanchebedürfnis ist eben zu groß geworden.
Lukas handelt mit mir wie Abraham mit dem lieben Gott um die Gerechten von Sodom, wieviel ich festlegen soll und wieviel ich verjubeln darf. Ich höre andächtig zu und träume dabei von einer Reise nach Siam — ich weiß nicht, warum mich gerade das so besonders lockt —, von Kleidern, Pferden, Landhäusern, kurz, ich übersetze mir die Zahlen in erfreuliche Wirklichkeiten. Vor einem halben Jahr hätte der Gedanke an ein gesichertes Dasein noch etwas Verlockendes für mich und Lukas vielleicht mehr Glück mit seinen Mahnungen gehabt... sich rangieren, auskommen, Ruhe haben... Aber das Geschick hat den Bogen zu sehr überspannt. Existenz, wirtschaftliche Basis und dergleichen sind mir zu fratzenhaften Begriffen geworden, unter denen ich mir nichts mehr vorstellen kann. Sie haben mich so greulich verhöhnt, daß ich nur noch in derselben Tonart antworten kann. Meinst Du, ich wäre je wieder imstande, ohne die qualvollsten Zwangsvorstellungen eine Wohnung zu mieten, mit einem Hausherrn zu verhandeln, Möbel zu kaufen, Dienstboten zu engagieren, Milchfrauen, Petroleum- und Kohlenmänner ins Haus kommen zu sehen? Ich fürchte, ich werde überhaupt nie wieder wohnen können, nur mehr logieren, ganz oberflächlich, vorsichtig und ohne Zusammenhang. In der Beziehung ist etwas in mir gebrochen, was nie wieder ganz werden kann...
Recht ungeschickt kam gerade in diesen Tagen Doktor Baumann, der Freudianer, hier an. Ich hoffte, er sei selbst etwas erholungsbedürftig und würde sich erst ausruhen wollen. Aber nein, er brennt vor Tatendurst und wollte mich sofort seiner Analyse unterziehen. Ich meinte darauf, wir sollten jetzt doch lieber die Entwicklung der Dinge abwarten, dann wäre es vielleicht gar nicht mehr nötig, aber er läßt sich nicht überzeugen. Im übrigen ist er sehr nett, und man freut sich hier über jeden Zuwachs der Gesellschaft, so muß ich denn wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und mich von ihm behandeln lassen. Nachdem er mich hier untergebracht und akkreditiert hat, ich mich außerdem andauernd schlecht benehme und dem Professor ein Dorn im Auge bin, kann ich jetzt unmöglich sagen: Lassen Sie mich in Ruhe, ich halte Ihre Behandlung für einen Schmarren und bin mehr als je überzeugt, daß mein Leiden nur durch positives Geld zu heilen ist. Im Gegenteil, ich bin einfach verpflichtet, auch diesen Kelch zu leeren, wie ich vorher die Wickel und Duschen über mich ergehen ließ. Wirtschaftliche Kräche haben manchmal unübersehbare Folgen... weiß der Himmel, was alles für Kuren an Leib und Seele ich noch durchmachen muß, bis die Erbschaft fällig ist.
Ich fand es anfangs ganz hübsch und stilvoll, einen Komplex zu haben, man konnte vor sich selbst und anderen sich immer darauf berufen, anstatt einfach zu sagen: Ich bin verzweifelt, außer mir, schlechter Laune usw. Aber ich finde es hart, sich nun deshalb so anstrengen zu müssen, und es ist wirklich ein Stück Arbeit, bis man all diese verwickelten Sachen begriffen hat. Verlange nur nicht, daß ich Dir einen populär verständlichen Vortrag darüber halte. Mein Wunsch geht mehr dahin, Euer Mitgefühl zu erwecken, als Euer Wissen zu bereichern. Wie schon die Bezeichnung Psychoanalyse sagt: man analysiert die Psyche, wie wir einst in der Schule deutsche Grammatik analysierten, ohne jemals zu begreifen, wozu das gut sei. In diesem Fall analysiert natürlich der Arzt, und man hat nur darauf einzugehen. Er fragt, fragt und fragt, und ich soll nur antworten, aber eben das ist gar nicht so leicht.
Die Komplexe kommen angeblich dadurch zustande, daß man die betreffenden Dinge, Gedanken, Wünsche und ähnliches von sich weggeschoben, mit dem technischen Ausdruck «verdrängt» hat, natürlich immer ins Unterbewußtsein. Das lassen sie sich unter Umständen nicht gefallen, sondern brechen aus und toben dann im Oberbewußtsein herum.
Nun ist er beständig unzufrieden, weil ich nicht das antworte, was er möchte. Er begann seine Erörterung damit, fast jeder Komplex beruhe auf verdrängter Erotik — mir schien, als erachte er ihn nur dann für vollwertig und wolle auch in meinem Falle versuchen, ihn auf diesen Ursprung zurückzuführen. Etwa so: Wenn jemand sein ganzes oder halbes Leben lang vor allem nach Geld trachtet, muß er viele andere, lebendigere Regungen, wie vor allem die erotischen, unbedingt verdrängen...
Daß ich in der Verdrängung der «Erotik» Erhebliches geleistet habe, konnte ich nun wirklich beim besten Willen nicht behaupten... im Gegenteil, es wäre mir und meinen Finanzen sicher besser gewesen, ich hätte es mehr getan. Die Sache stimmte also nicht, und wir konnten uns nicht recht einigen. Ich mußte ihm dann einiges über meinen Lebensgang sagen, was ihn wiederum enttäuschte, denn er konnte mir durchaus nichts Anormales, Psychotisches, Neurotisches, und wie das alles heißen mag, nachweisen. Wieder mein altes Pech, daß ich zu unkompliziert bin, es wird einem in so manchen Kreisen und Lebenslagen übelgenommen, besonders wenn man erst Hoffnungen auf das Gegenteil erweckte.
Was für eine Rolle das Geld in meiner Kindheit und ersten Jugend gespielt hätte?... Auf diese Zeit sollen die meisten «Komplexbildungen» zurückgehen. Gar keine, absolut gar keine... Du weißt, es gibt interessante Kinder, die stehlen oder schwindeln, ohne es nötig zu haben, zum Beispiel Scheine entwenden und in Gold umwechseln, um damit zu spielen, aber ich fand nichts Derartiges in meinen Erinnerungen. Wir hielten es als Kinder für überflüssig und armeleutehaft, sich um Geldfragen zu bekümmern, und sahen verächtlich auf andere herab, die gegenseitig das Vermögen ihrer Eltern taxierten und darüber Bescheid wußten. Und späterhin war es eigentlich dasselbe: Geldnot?... Das kann doch nicht ernst sein... und selbst welches herbeischaffen müssen? Ein schlechter Scherz, zu dem man gute Miene macht, solange es nicht überhandnimmt...
«Und mit starken Unlustgefühlen verknüpft?» schaltete der Doktor ein.
«Allerdings!»
Gut, er kam allmählich auf die Spur. Es war eben umgekehrt, als wie er anfänglich gemeint hatte. Das Geld selbst war verdrängt worden, nicht die anderen Dinge, und ich war also doch etwas anormal. Gott sei Dank, ich hab so gern, wenn die anderen mit mir zufrieden sind.
Man stellte also einen Geldkomplex in absoluter Reinkultur fest, mit Erotik hatte er gar nichts zu tun. Dann ging es ungefähr so weiter, daß in den meisten Fällen durch nervöse, in meinem durch akute finanzielle Erkrankungen die einst verdrängten Dinge plötzlich bewußt und nun «überbetont» werden... (siehe wirtschaftliche Krisis). Mir wurde ganz elend dabei, all diese Erinnerungen wieder aufzuwühlen, aber es half nichts — die Vorgänge, die den Komplex bewirkt haben, müssen reproduziert, das heißt, noch einmal bewußt erlebt werden, damit der Arzt sie einem dann ausreden kann.
Dann fing ich meinerseits an zu fragen. «Wenn nun die Erbsache doch noch schiefginge — man kann ja nie wissen —, wie soll ich mich dann mit dem Professor auseinandersetzen? Glauben Sie, daß er sich als Gläubiger...»
«Aha, da haben wir die für den Komplex charakteristischen Angstvorstellungen», sagte Baumann befriedigt.
«Ja, und die habe ich auch in bezug auf Sie...»
«Auf mich?»
«Natürlich... Sie haben doch hier gewissermaßen die Verantwortung für mich übernommen, und offen gesagt, mich plagt der Gedanke, daß Sie damit hereinfallen könnten, wenn...»
Er hat sich dann ausführlich nach der Erbschaft und ihren näheren Umständen erkundigt, und man vertiefte sich so in dieses Thema, daß es zu spät wurde, um mit der Behandlung fortzufahren.
Aber unerbittlich nimmt er mich jeden Tag eine Weile vor... Es ist ein Kreuz, und ich muß doch tun, als nützte es etwas. Die Heilung soll nämlich dadurch geschehen, daß man dem Patienten eine andere Einstellung gibt. Bei mir gibt es nur zwei Möglichkeiten, und man braucht eigentlich keinen Psychiater, um das einzusehen. Nämlich entweder müßte man die durch Faulheit, Bequemlichkeit usw. verdrängte Energie wieder mobil machen und auf irgendeine zweckmäßige Weise zu Geld kommen, oder aber sich darauf einstellen, es unwichtig zu finden und entbehren zu können... Das ist natürlich nur ein unvollkommen wiedergegebener Extrakt, im Munde des Arztes klingt es ganz schön, ausführlich, umständlich und einleuchtend. Aber was soll man damit anfangen, das alles kann ich mir ebensogut selbst vorerzählen und ändere doch nichts damit. Lieber schwätze ich über andere Sachen mit ihm und hetze ihn und Henry möglichst aufeinander. Henry kann es viel besser als ich, er nimmt es mit ähnlichem Ernst wie seine Spekulationen. Ich habe das Gefühl, daß er nach allen Seiten hin erwägt, wie man ein zerrüttetes Nervensystem sanieren, etwas Neues darauf gründen oder einen unhaltbaren inneren Zustand liquidieren könnte.
Genug und übergenug davon. Ich fürchte, sonst entdeckt Ihr gar noch Eure eigenen Komplexe und wollt immer mehr darüber wissen. Und ich bin doch schließlich nicht im Sanatorium, um über die Qualen, die ich hier ausstehen muß, auch noch Abhandlungen zu schreiben.
9
Wieder ein Telegramm des Miterben. Der Anwalt habe sich geirrt, es könne sich doch wohl höchstens um dreihunderttausend handeln.
Seine Berichte sind neuerdings ein wenig konfus und bestehen zumeist in telegraphischen Vermutungen. Gott weiß, ob sie das Testament nun wirklich gefunden haben und ob es überhaupt wahr ist, daß man es nicht gleich fand. Uns kommt das etwas merkwürdig vor, aber die Sache spielt sich in so weiter Ferne ab, daß man unmöglich näheren Einblick gewinnen kann. Eröffnet kann es jedenfalls noch nicht sein, sonst müßte er doch Genaueres wissen.
Lukas findet das sehr beunruhigend, er traut dem Miterben, wie allen anderen, die damit zu tun haben, nicht recht und bot mir sogar eine Leihsumme an, um selbst hinzufahren.
Nein, ich danke, ich werde mich hüten, das Geld durch meine persönliche Einmischung noch rebellischer zu machen. Wie man sieht, haben schon hunderttausend rebelliert, eben die hunderttausend, die nach Lukas‘ Aufstellung zu meiner freien Verfügung bleiben sollten. Er fand das schon vollkommen wahnsinnig.
«Jetzt müssen Sie aber unbedingt das Ganze auf Zinsen legen», erklärte er beinah zornig, «und die Reise nach Siam streichen.»
«Warte erst einmal ab, wie die Petroleumgeschichte sich gestaltet», warf Henry ein. «Ist die Gegend wirklich so ergiebig, wie wir annehmen, so werden die Aktien in kurzem horrend in die Höhe gehen, und alles wird sich darum reißen. Jedenfalls muß man sich rechtzeitig eine gute Anzahl sichern, sobald die Gesellschaft konstituiert ist.»
Lukas warf einen Blick gen Himmel. Das ist ihm schon ganz zur Gewohnheit geworden, sobald er Henry reden hört.
«Wollen Sie sich nicht bald einmal von Doktor Baumann analysieren lassen, lieber Henry?» fragte er.
«Oh, wir haben schon damit angefangen.»
«Findest du, es nützt etwas?» fragte ich beklommen. Gerade als er sich darüber auslassen wollte, kam Baumann selbst, und Lukas wandte sich sofort an ihn.
«Ich bin, wie Sie wissen, nur Laie», sagte er, «die Psychiatrie ist ein Gebiet, das mir völlig fern liegt. Gelingt es Ihnen aber, diese beiden Herrschaften zur Vernunft zu bringen, so gehöre ich von Stund an zu Ihren fanatischen Anhängern und mache enorme Propaganda für Sie.» (Lukas ist dort, wo er doziert, eine einflußreiche Persönlichkeit und hat glänzende Beziehungen. Baumann brennt darauf, Karriere zu machen und selbst eine Anstalt zu übernehmen, wo nach seiner Methode wunderbare Heilungen gemacht werden.)
Er, Baumann, lächelte so geschickt, daß keiner der Beteiligten sich verletzt fühlen konnte, Henry aber meinte: «Besser, Sie lassen sich erst einmal von mir gründen, ich habe da von einer verkrachten Aluminiumgesellschaft einige Terrains an der Hand, die sich ungemein billig stellen würden, und die Aktionäre haben wir bald beisammen, Balailoff geht zum Beispiel todsicher mit, sobald die Petroleumsache gedeichselt ist...» Sein Blick nahm allmählich jene sonderbare Starrheit an, die ihm manchmal eigen ist... er rechnete... machte Überschläge, erlag seinem Komplex. Und Baumann meinte, es sei der geeignete Moment für eine analytische Séance, worauf wir anderen uns diskret entfernten...
Das ist schon wieder ein paar Tage her, Henry ist gestern nach Rußland gefahren, um das Petroleumgebiet in Augenschein zu nehmen. Balailoffs Sekretär begleitet ihn als Dolmetscher. Balailoff hat nämlich ein Gefolge bei sich, das aus eben diesem Sekretär, zwei Dienern und einem alten russischen Popen, seinem früheren Erzieher, besteht. Dieser letztere wird hier ebenfalls saniert, ob auch wegen Alkoholismus, haben wir noch nicht feststellen können. Er ist ein friedlicher, würdevoller Herr, der fast nie aus seinem Zimmer herauskommt und außer Russisch keine lebende Sprache spricht. Lukas und die Ärzte reden lateinisch mit ihm, und ich suche manchmal in meiner Erinnerung aus den Grammatikstunden meiner Brüder oder aus der Religionsstunde, um ihm etwas Liebenswürdiges zu sagen. Aber es stimmt meistens nicht recht. Gottfried wurde letzten Mittwoch aus der Kur entlassen, um nach Hause zu fahren. Statt dessen hat er sich in der Stadt versteckt gehalten und jetzt heimlich mit Henry die Petroleumfahrt angetreten... er war überglücklich. Seine Eltern haben schon dreimal telegraphiert, und kein Mensch begreift, wo er geblieben ist. Dummerweise bekam ich nun gerade eine Depesche aus Finnland. «Endlich aufgefunden. Eröffnung noch durch Formalitäten verzögert...» Der Professor bat mich dringend, zu gestehen, daß das Telegramm mit dem vermißten Jungen zusammenhänge. Ich beteuerte mit gutem Gewissen: Nein. Er glaubte mir nicht, und nur, um ihn zu beruhigen, gab ich es ihm schließlich zu lesen. Dadurch wurde die Sache nun noch schlimmer, er war jetzt vollkommen überzeugt, daß es sich um Gottfried handle, daß man eben ihn in Finnland aufgefunden — er Selbstmord begangen habe oder verunglückt sei und — «Eröffnung durch Formalitäten verzögert» — seziert werden solle. In seiner erhitzten Medizinerphantasie schien ihm das vollkommen klar... Aber die Unterschrift... der Miterbe trägt als mein Gatte bekanntlich denselben Namen wie ich... und das Rätsel, wieso ich diese Nachricht an mich selbst aus Finnland telegraphiere, konnte er denn doch nicht kleinkriegen, und ich fiel darüber in ein solches Gelächter, daß er immer zorniger wurde... Schon vor Wochen hätte ich ihm von einem Erbschaftsprozeß erzählt, und nun sollte das Testament noch nicht einmal eröffnet sein?... Und mit diesem Herrn verheiratet... bisher hätte ich mich doch immer als geschiedene Frau ausgegeben und könne nun wirklich nicht verlangen, daß man mir noch ein einziges Wort glaube. Es war eine recht nette Szene, und mir blieb schließlich nichts übrig, als zu gestehen, daß ich wüßte, wo der Junge sich aufhielten und daß er es seinen Eltern demnächst selbst mitteilen wolle.
Der Professor war zuletzt sprachlos und schickte mir später einen Brief aufs Zimmer. In dem Brief schlug er mir vor, ich möchte mich doch lieber in ein anderes Sanatorium begeben, falls ich es überhaupt noch für nötig halte.
Nun, Baumann hat die Sache dann mit vieler Mühe wieder ins Geleise gebracht, und ich war ihm sehr dankbar. Wo hätte ich auch hingehen sollen? Ich bleibe also da und gebe mich, nachdem der Sturm ausgetobt hat, einer wohlverdienten Ruhe hin.
Es herrscht hier jetzt eine gewaltige Sommerhitze. Da keiner von uns etwas zu tun hat, sitzen wir fast den ganzen Tag auf der Terrasse. Morgens ist man noch halbwegs munter, liest Zeitungen oder unterhält sich. Nachher liegt alles wie tot in den Klappstühlen umher und hält sich gegenseitig für mehr oder minder vertrottelt. So behauptet Lukas, es mache ihn schon nervös, wenn unten auf dem See Dampfschiffe vorbeifahren oder Möwen flattern. Er empfindet das als eine unerhörte Kraftvergeudung. An ganz besonders schwülen Tagen verständigt man sich nur durch Pantomimen oder in der Hitzsprache — das heißt, man läßt alle irgendwie entbehrlichen Worte und Silben weg oder markiert sie nur.
Das geistige Niveau ist dabei etwas gesunken. Unsere Hauptunterhaltung besteht darin, die anderen Patienten zu beobachten und sich über sie zu mokieren, wofern sie auch nur den geringsten Anlaß dazu bieten. So empfanden wir es als wahres Glück, als letzthin ein neuer Patient auftauchte, der allerhand Eigentümlichkeiten hat. Er zieht sich selbst bei der unerhörtesten Gluthitze immer schwarz an, hat außerdem schwarze Haare, schwarzen Bart und kohlschwarze Augen... die ersten Male, wenn er plötzlich die weiße Steintreppe heraufkam, wirkte er wie der leibhaftige Gottseibeiuns. Aber in dem Moment, wo er an seinem Platz saß und seine Mahlzeit serviert bekam, fiel uns sein wirklich verblüffend intelligenzloser Ausdruck auf. Wir meinten einstimmig, noch nie gesehen zu haben, daß jemand Gegenstände oder Personen so überaus dumm anschauen könne wie dieser Herr mit dem dämonischen Exterieur den servierenden Diener oder auch seinen Teller und die Apollinarisflasche. Außerdem hat er die Gewohnheit, ehe er anfängt zu sprechen, immer erst ein paarmal langsam und bedächtig mit den Kinnladen zu klappen. Kurz, er macht uns inniges Vergnügen. Wir haben ihn den schwarzen Idioten genannt und genießen es mit wahrer Andacht, wenn er mit seinem leeren, stupiden Blick zu uns herüberschaut... er scheint sich sehr für uns zu interessieren und möchte sicher gerne nähere Bekanntschaft mit uns machen.
Ja, so gehen die Tage hin, und wir ersehnen Henrys Rückkehr, denn Balailoff macht uns viel zu schaffen. Wie ich Dir schon erzählte, will er heiraten und bildet sich ein, das sei hier an der italienischen Grenze leichter zu bewerkstelligen als anderswo. Ich fürchte, er irrt sich darin, denn sie sind beide Ausländer, und zwar in so hohem Maß, daß es fast unmöglich scheint, mit den Papieren jemals ins reine zu kommen. Vor allem hat er keinen Paß, und es besteht nur eine schwache Möglichkeit, durch persönliche Verbindungen und in absehbarer Zeit wieder einen zu erwirken. Die Braut ist angeblich in einem Hotel auf Spitzbergen geboren und weiß nicht, wo ihre Eltern beheimatet waren. Man bemüht sich also immer noch vergeblich, ihre Staatsangehörigkeit festzustellen. Da er nun kein Wort Italienisch versteht und im Verkehr mit Behörden ungemein reizbar ist, appelliert er beständig an uns. Tag für Tag müssen wir die Angelegenheit von A bis Z mit ihm durchnehmen, auf neue Mittel und Wege sinnen, Briefe oder Gesuche aufsetzen und was sonst noch dazugehört. Ich versuchte vergebens, ihn auf meinen Rechtsbeistand abzuschieben, der das alles sicher besser machen könnte. Mit eben diesem Rechtsbeistand ist es allmählich auch eine dumme Situation. Um für ein paar Stunden aus der Anstalt zu entrinnen, muß ich ihn zwei- oder dreimal in der Woche aufsuchen und überflüssige Fragen an ihn richten... er hält mich sicher schon für die größte Gans auf Gottes Erdboden. Balailoff aber hat einen ausgesprochenen Anwaltskomplex, behauptet, alle Advokaten seien Gauner und Schurken und arbeiteten nur in ihre eigene Tasche. Er scheint reizende Erfahrungen mit ihnen gemacht zu haben... vielleicht liegt es auch an den russischen Zuständen.
Man hat es nicht leicht auf der Welt, liebe Maria, und mit diesem Stoßseufzer will ich für heute abbrechen.