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Kitabı oku: «Der Geldkomplex», sayfa 4

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10

Teufel... der alte Herr hat uns aufs Pflichtteil gesetzt!

Auf den Gedanken war überhaupt noch keiner von uns gekommen, aber ich sehe, auch Erben gehört zu den Sachen, die man erst lernen muß.

Das Telegramm kam, als wir gerade einmütig auf der Terrasse saßen... Henry ist auch wieder da.

Ich behaupte ja glücklicherweise bei schlechten Nachrichten meine Haltung immer besser als bei guten, und es ist draußen so heiß, daß man sich nicht auf Emotionen einlassen kann. Immerhin fühlte ich mich doch unangenehm berührt und gab die Depesche gleich an Lukas weiter. Der sprang trotz aller Hitze auf und ging wie ein zorniger Löwe hin und her. Ja, er war beinahe gereizt gegen mich, weil seine Ratschläge mit dem festgelegten Kapital jetzt definitiv vereitelt sind und ich nicht umhinkonnte, wenigstens über diesen Umstand ein wenig zu triumphieren. Dann aber war er schamlos genug zu sagen, in diesem Falle müsse ich mir unbedingt eine Leibrente kaufen, um doch wenigstens irgendwie gesichert zu sein.

«Pfui, nein... das bloße Wort...» Baumann lächelte. «Sie wissen, lieber Doktor, ich leide überhaupt an Wortidiosynkrasien... Leibrente klingt mir nach Leibweh, Leibbinde, Kamillentee, alten Tanten... es hat etwas durchaus Degradierendes.»

«Diese Wortidiosynkrasie fügt sich dem Geldkomplex vollkommen ein. Vermutlich fühlten Sie sich als Kind degradiert und eingeengt, wenn man Sie mit einer Leibbinde und Kamillentee, womöglich noch unter Obhut einer alten Tante, ins Bett steckte... Aus dieser Erinnerung heraus machen Sie nun eine Ideenassoziation mit dem Wort Leibrente, um das eingeengte Dasein, was eine solche bieten würde, abzulehnen.»

«Sie fangen an mich zu überzeugen.»

«Und ich fühle immer weniger Veranlassung, für Ihre Lehre Propaganda zu machen», warf Lukas wütend hin.

«Ich spreche als Psychiater und nicht als Moralist.»

«Tue ich das etwa?» Und sie gerieten sich ein wenig in die Haare, weil keiner Moralist sein wollte.

Henry hatte seine stille Freude daran und meinte, als sie ausgetobt hatten, es sei doch unvorsichtig gewesen, den alten Herrn so lange im Bahnhof stehenzulassen. Ich mußte dem widersprechen, denn das Testament hat er jedenfalls schon vorher gemacht, und ein postumer Fluch, wenn er auch noch so kräftig war, konnte nichts mehr daran ändern. Und nachdem man diese Schändlichkeit erfahren hat, lag wirklich kein Grund zu übertriebener Rücksichtnahme mehr vor. All unser Takt ist verschwendet gewesen.

Sodann erwogen wir ohne jede innere Überzeugung, ob das Testament am Ende gefälscht, unterschoben oder irgend etwas Ähnliches sein könnte. Und alle rieten, es doch auf jeden Fall anzufechten. Dann könne ich wenigstens meinen Rechtsbeistand beschäftigen. Ich will es mir immerhin überlegen.

Balailoff hatte, da lebhaft durcheinander geredet wurde, nur die Hälfte, und auch die falsch verstanden. Er meinte entschieden, es handle sich um ein besonders frohes Ereignis, und schlug vor, es zu begießen. Folglich brach man auf, begab sich ins Bureau und begoß dort gleich alles miteinander, das Pflichtteil, Henrys Erfolge in Rußland und die Zukunft im allgemeinen. Das Petroleumunternehmen hat er inzwischen tatsächlich in die Wege geleitet und sagte mir im Vertrauen, es sei eine der besten Sachen, die er jemals an der Hand gehabt habe, wenn sie so ausschlüge, wie man mit gutem Recht annehmen könne. Ganze Berge von Zeichnungen und Schriftstücken hat er mitgebracht, die sie nun mit Enthusiasmus zusammen durchsehen und bereden. Dafür hat er den Sekretär als Aufseher dort gelassen, womit Balailoff nicht ganz einverstanden war, und Gottfried ist dageblieben, um wiederum den Sekretär zu beaufsichtigen.

Das Bureau hat allmählich etwas Heimatliches bekommen, das uns allen wohltut, einige gemütliche Stühle, der Goldfluß auf seinem schwarzen Postament, auf der einen Seite des ungeheuren Schreibtisches die Gläser und Flaschen, die man zum «Begießen» braucht, an der anderen Henry und Balailoff vor ihren Papieren... In unsere gedämpfte Unterhaltung fallen Bruchstücke der ihren hinein wie: Dividenden ausschütten... Gewinn- und Verlustkonto... Reservefonds...

Baumann examiniert mich ein wenig über die Wirkung dieser letzten Nachricht. Ich möchte ihm so gerne interessantes Material darüber liefern, kann aber nur sagen, daß es mich zu meiner eigenen Verwunderung ziemlich kalt läßt. Viel oder wenig, ich will nur endlich einmal Geld sehen, momentanes Geld, das wirklich da ist. Vielleicht bin ich mit dem Pflichtteil sogar besser dran, weil es für ein Existenzprogramm eben doch wieder nicht langt und das Rechnen und Kopfzerbrechen ganz zwecklos sein würde.

Andererseits bestätigt sich wieder einmal meine Ahnung, daß es, das Geld, nichts mehr mit mir zu tun haben will. Die Tatsachen reden deutlich genug... von einer Art Kapital ist es erst um ein Viertel zurückgegangen, dann auf Pflichtteil. Was kann nun noch kommen? Vielleicht verwandelt es sich aus Rubeln in Kopeken und aus Kopeken in Sand und Steine.

«Und vielleicht gelänge es Ihnen dann eher, aus Sand und Steinen eine wirtschaftliche Basis zu schaffen», sagte Lukas niederträchtig, «denn es möchte das umgekehrte Wunder bewirkt werden, daß Ihr Wille endlich einmal wach würde. Denken Sie nur einmal an die ungeheure Anzahl von Mädchen und Frauen, die mitten im Berufsleben stehen und sich ihr Brot selbst verdienen, anstatt darüber zu philosophieren, daß und warum sie kein Vermögen haben.»

«Der Beruf der Frau ist in erster Linie Gattin und Mutter», erklärte ich nicht ohne Pathos, «und dem bin ich nach besten Kräften nachgekommen. Ich bin nun schon zum zweitenmal verheiratet und habe ein Kind aus erster Ehe. Es ist vorläufig bei Bekannten untergebracht, bis meine Geldverhältnisse sich wieder etwas gelichtet haben. Aber alles das wollen Sie natürlich nicht als soziale Leistung anerkennen, sondern denken lieber darüber nach, wie Sie mir zu irgendeiner entsetzlichen Stellung im Berufsleben verhelfen könnten. Ich habe den größten Respekt vor jenen Mädchen und Frauen, die sich selbst durchbringen, wenngleich ich es für eine bedauerliche Verirrung der Vorsehung halte, daß sie dazu gezwungen sind. Sie sind überhaupt der ungerechteste Mensch, der mir jemals begegnet ist, sonst müßten Sie doch zugeben, daß ich das wirtschaftliche Problem auf meine Weise auch gelöst habe... Ich hatte nie ein festes Einkommen, nie einen bestimmten Beruf, sondern nur vorübergehende Tätigkeiten, bei denen nicht viel herauskam, und doch habe ich eine ganze Reihe von Jahren ‹existiert›, vielleicht sogar besser und angenehmer gelebt wie manche andere mitsamt ihrem Beruf»

«Das Endresultat war aber doch...»

«Das kann jedem passieren, das Endresultat steht immer in Gottes Hand. Erinnern Sie sich nur an den Baulöwen.»

«Der Baulöwe war meiner Ansicht nach ein Hochstapler...»

«Aber ein schlechter», sagte Henry vom Schreibtisch herüber mit einem tiefen Seufzer. «Wenn schon, denn schon. Aber er hat konsequent zu tief gestapelt. Ich habe mir alle Mühe gegeben, mit den Gläubigern zusammen seine verkrachte Zementfabrik neu zu gründen, aber nichts zu machen. Die Witwe ist jetzt selbst überzeugt, daß er ein unverbesserlicher Baulöwe war.»

«Dann ist sie wenigstens ihren Komplex los, ohne sich analysieren zu lassen», meinte ich nicht ohne heimlichen Neid.

«Er wird schon wiederkommen, gnädige Frau», antwortete Baumann zuversichtlich.

Henry vertiefte sich wieder in seine Papiere, und ich hoffte vergebens, Lukas sei von seinem Thema abgelenkt.

«So viel glaube ich jetzt doch von Doktor Baumann gelernt zu haben», fuhr er unerbittlich fort. «Sie leisten geradezu Hervorragendes in der Verdrängung alles dessen, was Ihnen nicht paßt. So wollen Sie jetzt wieder das Endresultat Ihrer — Pardon — etwas merkwürdigen wirtschaftlichen Betätigung mit allgemeinen Redensarten beiseite schieben. Das Endresultat war eben doch, daß Sie — abermals Pardon, gnädige Frau — vollständig am Ende Ihrer Weisheit und Ihrer ökonomischen Möglichkeiten angelangt waren... Wäre der alte Herr nicht gestorben...»

«Er ist aber doch gestorben, und ich führe hier ein ganz annehmbares Leben, ja, ich hatte schon lange nicht mehr in diesem Maß das Gefühl einer geordneten Existenz. Meine Gläubiger wissen nicht, wo ich bin, man kann mir nichts mehr nehmen, da ich keine eigene Einrichtung mehr besitze. Der Professor wagt nicht, mich hinauszuwerfen, weil sein Guthaben dann zweifellos nie mehr beglichen würde. Er bekümmert sich sogar darum, ob ich gut schlafe, was noch nie ein Gläubiger tat. Man bringt mir morgens den Kaffee ans Bett...»

«Das ist jedenfalls die Hauptsache», sagte er mit bitterem Hohn.

«Es fällt wenigstens sehr ins Gewicht.»

«Und wenn nun eines Tages die rauhe Wirklichkeit wieder an Sie herantritt, das Pflichtteil verbraucht ist...»

«Lassen Sie es doch um Gottes willen erst einmal da sein. Aber so machen Sie es mir mit Ihren wirtschaftlichen Komplexen noch vollends kopfscheu.»

Baumann lächelte beifällig, er hat neulich schon zugegeben, daß Lukas zum mindesten stark «konstelliert» ist.

«Ja, Sie bringen mir sicher Unglück mit Ihrem ewigen Disponieren. Wer weiß, ob Sie mir nicht die ursprüngliche Summe nur dadurch wegdisponiert haben. Ich möchte Sie beinah dafür verantwortlich machen.»

Er fühlte sich doch wohl etwas schuldbewußt und murmelte nur etwas Unwilliges vor sich hin.

Am Schreibtisch zwischen Henry und Balailoff wurden ungeheure Zahlen hin und her gerollt — es hat beinah etwas Weihevolles, dem zuzuhören.

11

Ich fürchte, eine gute Weile wird man sich noch in Geduld fassen müssen. Wie man mir schreibt, kann der Nachlaß erst allmählich liquidiert werden, und es sind noch unendliche Formalitäten zu erfüllen. Was für Formalitäten und wer sie zu erfüllen hat, kümmert mich wenig, man muß es halt abwarten.

Auch hier geschehen allerhand Dinge, mit denen wir nicht ganz einverstanden sind, aber zum Teil sind wir wohl selbst schuld daran.

Balailoff kam neulich an einem ungewöhnlich heißen Vormittag auf die Terrasse und forderte uns auf, ihn nach N. zu begleiten. Das ist ein Bergnest hier in der Nähe, wo die Trauung stattfinden soll. In der Stadt wäre es viel einfacher gewesen, aber das war ihm nicht einzureden. Es mache dort zuviel Aufsehen, schon weil er im Sanatorium wohne — kurz, es ist ein Komplex von ihm. Nun war er wieder einmal seiner Papiere wegen zum dortigen Bürgermeister befohlen... wir kannten diese Expeditionen schon und fürchteten sie wie den Tod. Da nun auch unsere Sprachkenntnisse sehr schwach sind, mußten wir stets alle vier mit, um uns zu ergänzen. (NB. Der Professor hat es längst aufgegeben, unseren Freiheitsdrang zu hemmen, und läßt uns gehen, wohin wir wollen. So habe ich auch dem Rechtsanwalt meine Vollmacht unter nichtigen Vorwänden wieder entzogen.)

Um das Bergnest zu erreichen, muß man eine gute Stunde steigen, eine weitere pflegt zu vergehen, bis man den Bürgermeister in seinen Weinbergen aufgestöbert hat und er endlich mit der Sichel in der Hand erscheint, dann noch eine halbe, bis seine Frau den Schlüssel zur Amtsstube gefunden hat. Nun erst beginnt die Unterhandlung, die sehr viel Witz und Geistesgegenwart erfordert... Das schriftliche Material ist in allen möglichen Sprachen abgefaßt... Bis man sich nun einigt, was wohl ungefähr darin stehen mag, was es bedeutet und an welche Behörden oder Konsulate wieder zu schreiben ist, vergeht abermals beträchtliche Zeit. Die Braut weigert sich mitzugehen und würde auch gar nichts nützen, da sie in Lissabon aufgewachsen ist und nur Portugiesisch kann. Es ist also jedesmal ein Martyrium. Ein paarmal haben wir es murrend über uns ergehen lassen, aber bei dieser Temperatur streikten wir einfach. Henry, der sonst ein Mann der Tat ist, sah Balailoff nur vorwurfsvoll an, deutete mit einer großen Geste auf die Sonne und sagte: «Sie steht wirklich schon zu hoch.» Dann sank er matt in seinen Sessel zurück. Baumann sah von einem zum anderen und äußerte: er müsse als Mediziner auch sagen, es ginge einfach nicht.

Balailoff war außer sich: die Sache litte keinen Aufschub. Wir wurden schließlich gereizt, und so ging es eine Weile hin und her. Da erhob sich plötzlich der sogenannte schwarze Idiot, der an einem Nebentisch Zeitungen las, beständig zu uns herübersah und schon eine ganze Weile vorbereitend mit den Kinnladen geklappt hatte, kam heran, stellte sich vor und erbot sich aufs höflichste, Balailoff zu begleiten. Er habe sowieso dort zu tun — was sicher gelogen war —, spreche sowohl Russisch wie Italienisch und hoffe ihm dienen zu können. Sie wurden wahrhaftig einig, was wir Balailoff etwas übelnahmen und er uns ebenfalls, denn er verabschiedete sich ziemlich ungnädig und zog mit dem Schwarzen ab.

Erst spät am Nachmittag kamen sie zurück. Der schwarze Idiot, der schon lange nach unserer Bekanntschaft strebte, schien sehr beglückt, daß das Eis nun endlich gebrochen sei, während wir es unverschämt fanden, daß er es für gebrochen hielt. Er kam ohne weiteres an den Tisch und wollte ein Gespräch anfangen, aber Henry wies abermals auf die Sonne und sagte ablehnend: «Später, wenn sie untergegangen ist...» Darauf sah er uns der Reihe nach verständnislos an, und es hätte sicher eine peinliche Szene gegeben, wenn Balailoff ihn nicht mit sich fortgenommen hätte. Wir waren uns eigentlich keiner Schuld bewußt. Man hatte Übermenschliches von uns verlangt, und wir hatten uns geweigert. Deshalb begriffen wir nicht recht, warum Balailoff uns grollte, aber er tat es. Den ganzen Abend ließ er sich nicht mehr blicken, und das gemütliche Einvernehmen ist seitdem erheblich gestört. Denk Dir nur unseren Schrecken... ein paar Tage später stellt Balailoff uns diesen Typ als seinen Privatsekretär vor, und seitdem belästigt er uns in den kühleren Stunden — in den heißen hat er doch nicht den Mut dazu — mit seiner Gesellschaft. Statt an seinem früheren Platz, wo wir aus sicherer Entfernung unser Vergnügen an ihm hatten, sitzt er mit an unserem Tisch, schaut entgeistert von einem zum anderen, findet alles, was wir reden, äußerst interessant und klappt mit den Kinnladen, wenn er selbst etwas sagen will. Das wäre noch das wenigste, obwohl wir sehr darunter leiden — aber wir befürchten vor allem, daß er seinen neuen Chef auch in geschäftlichen Dingen beeinflussen wird, da er in allem und allem so ungeheuer sachverständig ist — neuerdings sogar in bezug auf Petroleum — und sich in alles — auch in Petroleumfragen — hineinzumischen sucht. Henry und er sind schon verschiedene Male heftig darüber aneinandergekommen. Überhaupt, er spielt einfach die Rolle des Intriganten im Theaterstück und Balailoff die des gutmütigen, aber schwachen Fürsten, der sich immer gerade von den verkehrten Leuten beeinflussen läßt.

Was der Mann eigentlich ist und was er sonst auf dieser Welt zu schaffen hat, ahnen wir nicht, ebensowenig, weshalb er sich hier sanieren läßt. Vielleicht will er sich nur seinen Schwachsinn und das Klappen mit den Kinnladen abgewöhnen lassen.

Baumann beobachtet ihn angestrengt, kann aber auch nichts herausbringen. Sein wissenschaftlicher Eifer hat sonst zu meiner Erleichterung ziemlich nachgelassen — ich habe ihn auch gebeten, mich eine Zeitlang zu schonen. Der Geldkomplex plagt mich nicht mehr so, seit wieder Geld in der Luft ist — leider immer noch in der Luft. Ich habe mich wenigstens zu einer wohltuenden Apathie durchgerungen, und das beständige Wiederaufwühlen könnte höchstens einen Rückfall verursachen. Und Henry — Henry rechnet neuerdings mit solcher Intensität, daß nichts mehr mit ihm anzufangen ist.

Ich habe ganz vergessen, Dir für Deinen Brief zu danken. Ja, gewiß, man muß die Feste feiern, wie sie fallen. Ein schlechter Trost, aber es soll ja eigentlich auch keiner sein. Nach Siam werde ich unter diesen Umständen wohl kaum fahren, geschweige denn Euch alle mitnehmen, aber vielleicht nach Monte Carlo. Man muß doch irgendeine Methode finden, um das Pflichtteil auf seine vorigen Dimensionen zurückzuführen. Ich habe auch Henry vorgeschlagen, daß er mitkommen soll. Er findet, es sei besser, damit zu warten, bis alle Stränge reißen. Ich dagegen meine, es ist besser, solange noch etwas da ist.

In bezug auf Balailoff sind wir sehr beunruhigt. Er war schon mehrere Tage nicht im Bureau, kam aber trotzdem abends stark angeheitert nach Hause. Es liegt auf der Hand, daß er mit dem Schwarzen gekneipt hat und sich dann von ihm um den Finger wickeln läßt.

Du mußt wissen, für Henry hängt viel, vielleicht alles davon ab, daß Balailoff hierbleibt, bis das Petroleumunternehmen endgültig organisiert ist. Leute wie Balailoff sind auf die Entfernung nicht sehr zuverlässig. Baumann und Lukas sind ebenfalls als Aktionäre vorgemerkt, und wer weiß, ob ich mich nicht auch noch beteilige. Es liegt also im allgemeinen Interesse, ihn so lange wie möglich hier festzuhalten. Die Braut aber strebt nur danach, bald fortzukommen, weil ihr der Aufenthalt hier odios ist — vor allem in unserer Gesellschaft. Wir haben deshalb immer möglichst darauf gesehen, daß die Heirat nicht überstürzt wird, haben ihn immer wieder veranlaßt, sich abwartend zu verhalten und die Behörden nicht nervös zu machen. Zum Teil geschah es übrigens aus rein freundschaftlichem Gefühl, denn diese Ehe fällt ja sicher todunglücklich aus.

Der angenehme Privatsekretär aber faßt es ganz anders auf — und an, er tut, was er kann, um die Heirat zu beschleunigen. Auch das spricht deutlich für sein Idiotentum, denn normalerweise ist doch anzunehmen, daß sein Posten damit abläuft. Nun ist er kürzlich auf die unselige Idee gekommen, das Paar solle sich hier naturalisieren lassen, denn damit sei die leidige Frage der Staatsangehörigkeit aufs einfachste erledigt. Lukas, welcher auf diesem Gebiet einige Erfahrung besitzt, meinte, man müsse doch auch in diesem Fall seine Nationalität nachweisen.

Der Idiot aber lächelte etwas pfiffiger als sonst und behauptete: Gott bewahre, man brauche nur eine schriftliche Erklärung abzugeben. Er wisse auch, wie die hiesigen Beamten zu behandeln seien, und würde sich schon mit ihnen einigen. Dann hat er sich ein Pferd gemietet, reitet kreuz und quer im Lande herum, verhandelt mit Behörden und besticht angeblich Beamte. Oder er sitzt mit Balailoff zusammen, setzt Briefe und Eingaben auf, in die wir nicht mehr eingeweiht werden. Auch die Braut kommt jetzt öfters mit auf die Terrasse, und man sucht sich an sie zu gewöhnen.

Balailoff strahlt im Gedanken an das näher gerückte Ziel, und der Idiot versucht manchmal Geschichten aus seiner entbehrungsreichen Jugend zu erzählen — findet bei uns aber wenig Anklang damit. Dann verstummt er wieder und starrt entgeistert seinen Teller oder seine neue Gebieterin an, die ihn ziemlich huldvoll behandelt. — — —

12

Schon Anfang August... Gott, wie lange bin ich schon hier. Bald kann ich mir überhaupt keine andere Daseinsform mehr vorstellen und werde dermaleinst gar nicht wissen, wie ich mich wieder daran gewöhnen soll. Ebensowenig aber kann ich mir ein Bild davon machen, wie lange das hier noch so fortgehen wird. Immer wieder muß ich Baumann vorschieben, damit er von Zeit zu Zeit den Professor beruhigt. Der hat ihm neulich wieder einmal sein Herz ausgeschüttet und gesagt, es ginge einfach nicht, daß man ihm das Sanatorium so auf den Kopf stellt. Wir wären doch alle keine richtigen Patienten: Henry käme nur zu den Mahlzeiten wie ein Tourist, Balailoff betränke sich fortwährend, trotz seiner Abstinenzkur, und es liege auf der Hand, daß wir ihm dabei Vorschub leisteten — ich habe ihm von Anfang an einen fragwürdigen Eindruck gemacht, zum Beispiel die Geschichte mit Gottfried... kurz, er ist sehr besorgt, daß wir seine Anstalt diskreditieren. Bei jedem von uns liegt aber irgendein Grund vor, weshalb er ihn eben doch dabehalten möchte. An Henrys Terrainspekulationen ist er stark interessiert, Balailoff bringt ihm mit den vielen Zimmern, die er innehat, mit Extrapavillons und Gefolge ein Bombengeld ein, und bei mir muß er eben warten, bis Geld da ist. Nur Lukas sei durch und durch ein Ehrenmann, hat er gesagt, und es sei geradezu unbegreiflich, daß er ausschließlich mit uns verkehre.

Baumann ist nun auf den guten Gedanken gekommen, ihm zu raten, er solle die ganze Gesellschaft etwas mehr von den normalen Patienten isolieren. So hat man uns in einem entlegenen Teil des Gebäudes untergebracht, was sehr viel für sich hat. Gegen den Idioten hat Baumann auf unsere Bitte, aber vergeblich, zu intrigieren versucht. Er hat infolge seines vertrottelten, aber äußerst gesitteten Benehmens einen ganz besonderen Stein im Brett, und der Professor erklärte ihn, im Gegensatz zu uns anderen, ebenfalls für einen Ehrenmann. Es ist aber wenigstens erreicht worden, daß er sein bisheriges Zimmer behalten hat und nicht mit in den Separatflügel gekommen ist. Er steht sich zu gut mit dem Professor und hätte beständig spioniert. Statt dessen habe ich jetzt Balailoffs friedlichen alten Priester als Nachbarn.

Unser Flügel hat einen Ausgang, durch den man über einen wenig frequentierten Seitenhof auf die Straße gelangt. Es ist eine große Wohltat, nicht mehr wie Pensionszöglinge aufpassen zu müssen, ob man kontrolliert wird. Es haben sich im Lauf der Zeit allerhand Privatinteressen ergeben, die bisher nur unter großen Schwierigkeiten verfolgt werden konnten, jetzt aber um so eifriger gepflegt werden. Baumann ist uns gewissermaßen als ärztlicher Aufseher gesetzt worden. Da er nun selbst eine kleine Freundin in der Stadt hat, läßt er mit sich reden. Henry und ich haben ebenfalls einige Bekannte unter den Schauspielern des Sommertheaters (etwas anderes gibt‘s hier nicht). Man ist natürlich sehr vorsichtig, hält auf den Ruf der Anstalt und auf den eigenen, und ich finde, man sollte das anerkennen, anstatt uns, wie es leider von verschiedenen Seiten geschieht, schief anzusehen.

Schade, daß Du nicht auch hier bist... das heißt — verzeih mir diesen Egoismus und begreife ihn — es hat so viel für sich, die einzige Frau in einem Kreise zu sein, daß ich doch nicht gerne teilen möchte. Bitte, mißverstehe das nicht. Die vorhin erwähnten Privatinteressen bringen es mit sich, daß unser Familienleben intakt bleibt, und eben dadurch ergibt sich eine sympathische Atmosphäre, die einen Stich in alles mögliche hat. Lukas ist sozusagen stiller Teilhaber, er ist noch nicht lange und sehr glücklich verheiratet und steht auch in dieser Beziehung auf demselben Standpunkt wie mit der wirtschaftlichen Basis. Dabei läßt er wenn nicht mit sich reden, so doch mit sich zanken, denn es ist klar, daß weder Henrys noch meine «Privatinteressen» Gnade vor seinen Augen finden. Meines... ja siehst Du, Maria, die hiesigen Möglichkeiten beschränken sich eben auf die Mitglieder des kleines Theaters, das nur für ein paar Monate hier gastiert — und ich muß beschämt gestehen, daß es sich um einen Tenor handelt. Seine Stimme reicht kaum hin, um ihn zu rechtfertigen, und seine Mitteilungen geschehen manchmal auf wild marmoriertem, manchmal auf azurblauem Briefpapier mit eingepreßtem weißem Schwan. Das mag schlimm sein, aber ich kann mir nicht helfen, es hat für mich etwas Ergreifendes, und im übrigen ist er wirklich, was man einen lieben Kerl nennt. Seine Manieren sind zum Ärger der anderen, die ihn nicht billigen, völlig einwandfrei... er weiß eben von der Bühne her, wie man sich unter Leuten von Welt zu benehmen hat, denn bei dem Mangel an Personal spielt er auch die Lebemänner in modernen Stücken. Henry, der sich mit der jugendlichen Heroine in gleicher Verdammnis befindet, hat immer noch das nötige Verständnis dafür, aber die Blicke unseres Privatdozenten, wenn «er» persönlich auftritt oder wieder eines seiner Schwanenbilletts morgens neben meinem Teller liegt, sind unbeschreiblich. Ich gebe gerne und willig zu, daß es eine Verirrung ist, aber das reizt ihn nur noch mehr. Ja, er greift in blindem Eifer zu den stärksten Mitteln, um mich davon abzubringen, und meinte neulich: Als Jugendtorheit könne so etwas ja noch hingehen, aber für eine Frau, die — Verlegenheitspause — über dieses Stadium doch allmählich hinaus sein dürfte...

Ich konnte darauf nur erwidern, man sei nun einmal nicht mehr jung, und tausendmal wichtiger sei es, die dritte, vierte, fünfte und so weiter Jugend auszukosten als die erste und zweite. Er war etwas entwaffnet und genierte sich nachträglich, daß er umsonst und ohne jeden Erfolg eine Taktlosigkeit gesagt hatte.

Natürlich hat auch Lukas den üblichen Alterskomplex... von einer bestimmten Grenze an soll man vorsorgen, Leibrenten kaufen und stetiger in seinen Neigungen zu werden. Ich halte das für einen Irrtum und sehe gerade den einzigen Vorzug des Älterwerdens darin, daß die Zukunft einen weniger interessiert und der Moment immer wichtiger wird. Solange mir noch Tenöre von Sommertheatern himmelblaue Billetts schreiben, sehe ich nicht ein, warum ich darauf verzichten soll. Dabei habe ich es ganz gern, wenn mir jemand Moral predigt, mich ärgert und ich ihn wieder ärgern kann. Mehr Verständnis hat der alte russische Priester — ich kollidierte neulich in einem etwas ungeschickten Moment mit ihm auf dem Korridor. Nachher saß er im Mondschein auf seinem Balkon... als ich dann auf den meinen hinauskam und wir unseren gewohnten Gruß austauschten, war ich doch etwas verlegen und suchte nach einem erlösenden Wort (wir haben uns inzwischen etwas besser verständigen gelernt), aber mir fiel nichts anderes ein als: Pater, peccavi. Er lächelte milde, anscheinend erfreut, und antwortete: Te absolvo... und noch irgend etwas, was ich nicht verstand.

Ach Gott, Maria, ich muß doch immer wieder darauf zurückkommen... und wenn es auch langweilig wird zum die Wände hinauflaufen... wie könnte das Leben schön sein ohne die Geldfrage. Und wie ist es möglich, daß Menschen mit Geld jemals wirklich unglücklich sind?

Schau, ein gewisser Grad von Komfort, einige nette Leute und etwas Durcheinander — eine dumme Liebesgeschichte ohne höhere Ansprüche — Mondschein und ein wohlwollender alter Priester —, und ich wäre schon wieder imstande, für das Dasein zu schwärmen, wenn nicht immer die Geldgedanken wie eine schwarze Wand hinter allem ständen. Ob nun das Pflichtteil endlich einmal tatsächlich in meine Hände gelangt oder nicht, früher oder später wird doch einmal der Moment kommen, wo ich wieder rechnen oder darüber nachdenken muß und der Komplex mich von neuem umnachtet...

Ich tue ja mein Bestes, um das jetzt als Ferienzeit aufzufassen, wie man als Kind die großen Sommerferien festlich beging. Sie schienen endlos, und doch wurde man die Gespenster nicht ganz los — Lehrer, Schulstunden und Strafarbeiten — und wußte ganz genau: davor war die Hölle und dahinter lauerte auch wieder die Hölle. Wie könnte man es nur anfangen, darum herumzukommen. Nein, das gibt‘s eben nicht, einmal wird man doch wieder in die Schule müssen und wieder nachsitzen, weil man die Rechenaufgaben nicht in den Kopf kriegen kann. Es kommt mir jetzt recht symbolisch vor, daß ich früher wegen jeder, aber auch jeder Rechenaufgabe nachsitzen mußte. War sie einmal richtig, so hatte ich entweder abgeschrieben, und dann gab es erst recht Strafe, oder es beruhte auf einem Zufall, an den niemand glauben wollte. Wie das den Charakter verdirbt... man kann sich schließlich nur damit trösten, daß auch der Lehrer infolge seiner eigenen Infamie um seinen freien Nachmittag kommt. Und später... was hatte ich von Haus aus für einen sympathischen Charakter, und wie sehr hat er unter den Geldkalamitäten gelitten. Es gibt gewiß keine Gemeinheit, die ich nicht mit Vergnügen beginge, wenn sie sich rentierte, aber es gibt zu wenig Gelegenheit... die wirklich rentablen Gemeinheiten kommen immer nur in Romanen vor. Wenigstens die sich mir bisher boten, waren nicht der Mühe wert. Ich hätte beispielsweise einmal jemandem mit zwanzigtausend Mark durchbrennen können, und die drei Tage, wo ich sie in Obhut hatte, waren qualvoll genug. Aber wie weit wäre ich damit gekommen, über kurz oder lang hätte ich doch wieder umkehren müssen. Wären es hunderttausend gewesen, so hätte ich eher die moralische Kraft dazu gefunden.

Ich will mich lieber nicht weiter in diesen Gegenstand vertiefen. Henry gab uns gestern ein kleines Souper, man war etwas zu lustig, und ich habe heute ein wenig Katzenjammer. Dann fallen einem alle möglichen trüben Dinge wieder ein. Lieber hör ich auf...

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
110 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain