Kitabı oku: «Route 66», sayfa 3

Yazı tipi:

7. Chicago und der Jazz

Chicago ist auch eine Musikstadt. Im Herbst 1997 wird der Umbau des 106 Jahre alten Hauses des Chicagoer Symphonie-Orchesters am 4. Oktober mit der Aufführung von Beethovens Fünfter Symphonie unter Daniel Barenboim eröffnet. Am 25. Oktober 1997 feiert Sir George Solti seinen 85. Geburtstag. Er nimmt diesen Tag zum Anlass, sein tausendstes Konzert mit dem Chicago Symphony Orchestra zu dirigieren. Die Konzertszene für klassische Musik in Chicago hat Weltgeltung. Aber noch berühmter ist Chicago als Stadt eines bestimmten Jazz-Stils geworden. Und das kam so:

Die Errungenschaften des Jazz der 20er Jahre lassen sich unter drei Stichworten zusammenfassen. Es war die große Zeit der aus New Orleans stammenden Musiker in Chicago. Es war die Zeit des klassischen Blues. Und die Epoche des Chicago-Stils. Die Legende erzählt, dass mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg New Orleans Kriegshafen wurde und der kommandierende Admiral um die Moral seiner Matrosen fürchtete, die sich im Storyville zu tummeln pflegten, dem Vergnügungsviertel der Stadt, in dem gleichzeitig der beste Jazz gemacht wurde. Storyville wurde geschlossen, die schwarzen Jazzmusiker wurden arbeitslos und wanderten zu Hunderten nach Norden ab. Vor allem nach Chicago. King Oliver leitete die wichtigste New-Orleans-Band in Chicago, die Hot Five und die Hot Seven von Louis Armstrong spielten dort auf, und so ergab sich ein merkwürdiges Phänomen. Was heute als New-Orleans-Stil gilt, ist nicht der archaische, auf Schallplatten kaum existierende Jazz, der in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts in New Orleans gespielt wurde, sondern die Musik, welche die aus New Orleans stammenden Musiker in den 20er Jahren mit nach Chicago brachten.

Zur gleichen Zeit kamen durch eine starke Einwanderungsbewegung von Schwarzen auch Blues-Sänger aus den ländlichen Bezirken der Südstaaten in die Stadt. Es waren Leute, die zuvor in ihrer alten Heimat mit Gitarre und einem Bündel von Plantage zu Plantage gezogen und dort den in unsauberen Tönen intonierten Folk-Blues gesungen hatten. Unter dem Eindruck der Großstadt veränderte sich der ländliche Blues. Vieles trug auch dazu bei, dass seine Sängerinnen sich mit den aus New Orleans nach Chicago emigrierten Jazz-Instrumentalisten zusammentaten und in der South Side von Chicago auftraten.

Die jungen Leute – Schüler, Studenten, Amateure –, die in die Jazz-Lokale der South Side gingen und den Blues wie auch die New-Orleans-Bands hörten, begannen, diese Musik begeistert nachzuahmen. Daraus entstand der Chicago-Stil. Er ist gekennzeichnet durch eine Folge von Soli, die man »Chorusse« nennt. In ihm gewinnt als Instrument das Saxophon jene Bedeutung, die es seither in der Jazzmusik hat. Der vielleicht hervorragendste Vertreter des »kühlen« Chicago-Stils war der Kornettist Bix Beiderbecke. Sein früher Tod ließ ihn zur Legende werden, und die amerikanische Schriftstellerin Dorothy Baker machte ihn in ihrem Roman Young Man With The Horn zu einer literarischen Figur.

American Memories

»Wenn du den Blues nicht magst, musst du ein Loch in deiner Seele haben.«

Jimmy Rogers, Blues-Gitarrist

Noch einmal, in den 50er Jahren, kreuzen sich die Wege von Jazz und Literatur. In der Beat Generation versucht Jack Kerouac, die Rhythmen des Bebop in die Prosa seiner Romane zu übertragen. Unvergesslich für jeden Jazz-Fan und begeisterten Leser Kerouacs, wie er in seinem Roman Unterwegs seine Eindrücke als Tramp in Chicago schildert:

»Ich kam recht früh am Morgen in Chicago an, fand ein Zimmer im YMCA und ging mit sehr wenig Geld in der Tasche zu Bett. Nach einem guten Tagesschlaf machte ich mich über Chicago her. Der Wind vom Michigan-See, Bebop auf dem Loop, lange Spaziergänge in South Halsted und North Clark, und ein langer Spaziergang nach Mitternacht in das ›Dschungelviertel‹, wo mir ein Patrouillenwagen folgte, weil er mich für eine verdächtige Figur hielt. Zu jener Zeit, 1947, stand ganz Amerika wie wahnsinnig auf Bebop. Die Typen auf dem Loop bliesen ihn, aber mit müden Mienen, denn der Bebop befand sich gerade in einem Übergangsstadium zwischen Charlie Parkers ›Ornithology‹-Periode und einer anderen, weniger hitzigen, die mit Miles Davis einsetzte. Und da saß ich und lauschte den Tönen der Nacht, deren Inbegriff Bebop für uns alle geworden war; und ich dachte an all meine Freunde von einem Ende des Landes zum anderen, und wie sie eigentlich alle in demselben Hinterhof irre und rasende Dinge trieben.«

8. Wie alles begann: Der Mann, der die Route 66 schuf

Der stilbewusste Reisende beginnt seine Fahrt über die Route 66 in Lou Mitchell’s Restaurant am 565 W. Jackson Boulevard, wo man seit 1923 von 5 Uhr 30 am Morgen bis 15 Uhr nachmittags frühstücken kann. Bis 8 Uhr morgens ist das Parken kostenlos. Ein Danish von Mitchell’s soll eine gute Wegzehrung sein! Von einer anderen Besonderheit des Restaurants hörte ich erst später: Jeder weibliche Kunde erhält kostenlos Milk-Duds. (Ich konnte nicht herausfinden, ob es sich dabei um ein Gebäck, ein Getränk oder vielleicht Sahnebonbons handelt!) Also, meine Damen: Auf zu Lou Mitchell’s und stellen Sie es fest!

Aber zurück zur Route: Es wäre eine Schande, sie zu befahren, ohne nicht wenigstens eine Ahnung davon zu haben, wie sie überhaupt entstanden ist.

Als Cy Avery vierzehn Jahre alt war, zog er 1885 mit seiner Familie nach Oklahoma. Sie kamen aus Pennsylvania, und zwar mit dem Pferdewagen. Die Reise, die drei Monate dauerte, ließ den jungen Mann zu einem lebenslangen Vorkämpfer für ein gutes Straßensystem werden. Nachdem er an einem College in Missouri graduiert hatte, verkaufte er Versicherungspolicen und Grundstücke in Oklahoma, lebte zunächst in der Kleinstadt Vinita, darauf in Oklahoma City und dann in Tulsa.

Er selbst verbrachte dort wohl mehr Zeit in Gesprächen mit seinen Kunden über gute Straßen als über Versicherungspolicen. Er trat mehreren Gesellschaften bei, die sich zum Ziel gesetzt hatten, den Straßenbau zu fördern. 1913 wurde er zum Straßenbau-Kommissar von Tulsa County gewählt. Unter den ersten Neuerungen, die er einführte, war ein Straßen-Qualifikationssystem. 1915 war er Oberaufseher bei einer Gruppe von Sträflingen, die eine Straße von Colorado durch Oklahoma nach Arkansas bauten. 1924 schließlich ernannte man ihn zum Straßenbau-Kommissar des Staates Oklahoma. In einer seiner Denkschriften heißt es: »Mit den Highways (der amerikanischen Version der Schnellstraße) kommt eine Fusion verschiedenartiger Lebensformen, die der Stadt und die des Landes, auf uns zu. Ihr Bau verlangt nach einer neuen Konzeption, nach einem neuen Bewusstsein. Unsere großen Städte sind Abstraktionen. Ihre überkommene Form datiert aus den Tagen der Ochsenkarren und der von Mauern umgebenen Ortschaften. Ihre modernen Realitäten aber – Wasserversorgung, Abwassersystem, Eisenbahnen und vor allem menschliche Wesen – übersteigen die künstlichen politischen Grenzen. Statt Städten entstehen großstädtische Gebilde. Zurück zur Farm mag eine überholte Forderung sein. Dezentralisation ist es nicht. Wir müssen uns auf die Veränderungen, die sich daraus ergeben, vorbereiten.«

Cy war ein kleiner, dünner Mann, den nie jemand hatte rennen sehen, der aber auch nie still sitzen oder still stehen konnte. Die Veränderungen, die er bei Übernahme seines Amtes in der Handelskammer voraussah, bedeuteten, dass der Bund mehr für den Straßenbau tun musste. Dafür setzte er sich ein.

»Motorverkehr macht weder an den Grenzen des County halt noch an den Grenzen der Bundesstaaten. Die Straßen Amerikas müssen ihre Aufgabe bei der Vermittlung der landwirtschaftlichen Produkte erfüllen und damit einen nationalen Charakter annehmen«, predigte Cy. Sein Pech war, dass der damals amtierende Präsident Coolidge sich nicht dazu bewegen ließ, zusätzliche Bundesmittel zum Straßenbau zur Verfügung zu stellen. Bis 1918 gab es nur 3000 Meilen Poststraßen, die mit Geldern der US-Regierung gebaut worden waren. Aber als die Doughboys, die nach ihren flachen Helmen benannten amerikanischen Soldaten, aus dem Ersten Weltkrieg heimkamen, kauften sich viele die T-Modelle von Ford. Bis dahin war das Auto ein Hobby der reichen Leute gewesen. Das änderte sich nun. Wie übrigens dann auch noch einmal nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte eine junge Generation den amerikanischen Traum vom Unterwegssein neu. 1925 erreichte Cy ein Brief des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums, in dem man ihm mitteilte, man habe vor, ein System von Interstate-Straßen nationaler Bedeutung zu entwickeln. Für dieses Straßennetz würde die Bundesregierung pro Meile 30.000 Dollar zur Verfügung stellen. Sei Mister Avery bereit, bei diesem Projekt als Berater mitzuwirken? Nichts, was er lieber getan hätte. Es gelang ihm schließlich sogar, Mitglied des aus fünf Männern bestehenden Gremiums zu werden, das die eigentlichen Entscheidungen traf.

Als Thomas Jefferson für drei Cent pro Acre das riesige Louisiana-Territorium kaufte, hatte er die Vision, dass ein dichtes Straßennetz das gewaltig größer gewordene Land verbinden sollte. Nun, über ein Jahrhundert später, machten sich Cy und die anderen Mitglieder des Ausschusses daran, ein solches Netz zu entwerfen. Die von Ost nach West verlaufenden Straßen sollten die geraden Nummern erhalten, und zwar von Norden nach Süden ansteigend. Für die Straßen in Nord-Süd-Richtung hingegen waren die ungeraden Zahlen vorgesehen, mit den niedrigsten Nummern im Osten. Bereits bestehende Trassen sollten anfangs noch genutzt, später dann asphaltiert werden.

Das Glanzstück in diesem Plan sollte eine Route sein, die Chicago mit Los Angeles verband. Dass diese Verbindung plötzlich so wichtig wurde, hatte klar benennbare Gründe. Immer mehr geschäftliche und persönliche Beziehungen bildeten sich in diesen Jahren zwischen Chicago und Los Angeles heraus. Der kalte Winter des Jahres 1907 drohte etwa der von einem gewissen Francis Boggs betriebenen kleinen Filmfirma den Garaus zu machen. Nur die Innenaufnahmen von Boggs Zwölf-Minuten- Streifen »Der Graf von Monte Christo« waren im Kasten, als der Schneefall den Dreharbeiten im Freien ein Ende setzte. Boggs und seine Mannschaft zogen in den Westen, um sich nach einem günstigeren Klima umzuschauen, und landeten in Los Angeles. Dort gab es viel Sonne und (damals noch) billige Grundstücke. In den folgenden Jahren taten es ihm andere Filmemacher wie Ince, Sennett und DeMill nach. Aber Boggs war der Pionier gewesen. Selbst der Name Hollywood soll sich nicht von einem Stechpalmenbaum herleiten, sondern von einer Ortschaft in Illinois.

Bei den ersten Beratungen des Ausschusses kam man überein, die Route von Chicago nach Springfield, Missouri, und dann westlich durch Kansas und Colorado nach Kalifornien zu führen.

Cy Avery, der inzwischen gelernt hatte, Leute dazu zu bringen, seine Vorstellungen als die ihren zu betrachten, warf ein, dass sich eine Trasse durch die Gebirge Colorados gewiss sehr malerisch ausnehmen würde. Aber bestimmt würde eine Route, die weiter südlich durch das flache Land von Oklahoma, den Texas Panhandle, New Mexico und Arizona verlief, wesentlich billiger kommen. Und wenn sie Höhenlagen vermied, würde dann diese Straße nicht auch weniger wetteranfällig sein? Die von Cy Avery vorgeschlagene Route wurde beschlossen.

Jetzt war nur noch die Frage der Bezeichnung zu klären. Nach dem schon feststehenden Netzsystem gab es drei Möglichkeiten: 62, 64 oder 66. Als Kansas mit einem Wunsch nach einer Straße zweiter Ordnung durchdrang, fiel die erste Option weg. Der Grund, warum man sich für 66 entschied, ist nicht bekannt. Aber als der Ausschuss am Waffenstillstandstag des Jahres 1926 zusammentrat, beschloss er, die Straße von Chicago nach Los Angeles »Route 66« zu nennen. Das Landwirtschaftsministerium billigte diesen Beschluss zwei Tage später.

Sich von Westen am Michigan-See nach Südwesten schwingend, führte die Route über Flüsse, durch Ebenen, Gebirge, Wüsten, Canyons in acht Bundesstaaten und durch mehrere Stammesgebiete der American Natives. Sie endete nach 2448 Meilen kurz vor dem Pazifischen Ozean.

Wie die meisten amerikanischen Fernstraßen dieser Tage war die Strecke zunächst nicht viel mehr als eine staubige transkontinentale Piste, die sich bei Regenfällen mit Wasser und Schlamm füllte. In jenen Tagen, so hört man, sei selbst der Atlantikflug Lindberghs einfacher gewesen als eine Überlandfahrt auf der 66 mit dem Automobil. Und Reisende, die es immerhin bis zur Mojave-Wüste schafften, blätterten eine beträchtliche Summe hin, wenn sie es dort vorzogen, ihre Fahrzeuge auf die Eisenbahn zu verladen, statt eine Panne in der riesigen Wüste zu riskieren. Cy wurde zum Mitbegründer der Highway-66-Association. Die Städte, die an der Route lagen, hatten jeweils 47.000 Dollar zu Werbezwecken aufzubringen, und als sich der Vorstand der neuen Vereinigung im Herbst 1927 traf, beschloss er, die neue Route »Hauptstraße Amerikas« zu nennen. Die Highway-40-Association, die dasselbe Motto schon anderthalb Jahre früher benutzte, protestierte vergebens.

American Memories

»Abhauen dorthin, wo das Klima meinen Kleidern entspricht.

Irgendwohin, wo das Wasser wie Wein schmeckt.«

Hans-Christian Kirsch,

Einem Bettler in den Hut (Poems Quarter Each)

Cy Avery, der später noch das Trinkwassersystem von Tulsa entwickelte und im gleichen Ort den Bau des ersten Flughafens durchsetzte, feierte noch viele Erfolge in seinem Leben. Aber die Erfindung der Route 66 war sein Meisterstück. Er starb 1963 im Alter von 92 Jahren.

Schon Mitte der 30er Jahre wurde die Fernstraße zum Mythos. Sie symbolisierte den ewigen Drang nach Westen. Es war John Steinbeck, der als erster die weiblich-nährende Qualität der Route 66 entdeckte und sie die »mütterliche Straße« nannte. Durch seinen Roman Die Früchte des Zorns und dessen Helden, die Joad Family, blieb die Route 66 für immer im Bewusstsein der Nation verankert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das Lied eines gewissen Bobby Troups, von dem noch zu reden sein wird, das die Straße für viele so verlockend erscheinen ließ. Diesen Ohrwurm sangen sie alle – von den Andrew Sisters bis zu den Rolling Stones. Aber es war die Aufnahme von Nat King Cole, die aus dem Song einen Super-Hit machte.

Im Verlauf dieser Ereignisse wurde die »US 66« zu viel mehr als nur zu einer transkontinentalen Straße. Für Millionen, die sie befuhren, wurde sie zu einem nationalen Symbol für die Mobilität und Vitalität der USA. In einem amerikanischen Reiseführer über sie kann man lesen: »Die Route 66 verkörpert nicht nur, wer wir als Volk sind, sondern auch, wer wir zu sein wünschen.«

Aber dann kam auch scheinbar das Ende. Die Route 66 wurde über weite Strecken hin aufgegeben oder war nur noch provinzieller Verbindungsweg. Ihre Funktion übernahmen die modernen Freeways. Als deren letztes Stück, die I-40, 1984 fertiggestellt war, kam die Anweisung, alle Spuren der 66 in Form von Straßenschildern zu tilgen. Für die Route 66 schien die letzte Stunde geschlagen zu haben. Aber da erwies sich, dass die Legende stärker war als Bequemlichkeit und moderne Zweckmäßigkeit.

Für Touristen, die auf Motorrädern, mit Bussen und Autos fuhren, lebte die alte Aura der Route 66 wieder auf. Und wenn man sich fragt, warum, so muss die Antwort wohl lauten: Weil man mit ihr nicht nur ein gutes Stück Amerika sieht, sondern auch eine Vorstellung vom amerikanischen Lebensgefühl erhält. Von der Schönheit der Natur dieses Landes, der sich manchmal ins Romantische verfärbenden Hässlichkeit ihrer Zivilisation, von der Weite, von der Freiheit und einer modernen Wildnis, die jenseits einer vom Menschen beherrschten Natur entstanden ist.

Wo beginnt die Route 66? Selbst das ist eine Streitfrage: Ursprünglich downtown in Chicago, an der Ecke Jackson Boulevard/Michigan Avenue, später dann am Lake Shore-Drive, am Eingang zum Grant-Park. Tom Snyders Route 66 Travellers-Guide empfiehlt als Fotostandort für ein erstes Bild von der Route 66 Wacker Drive mit einem aufregenden Ausblick über die Michigan Drive nach Süden. Und nun brechen wir auf.

9. Ein Baum wächst in Funks Grove

Das kleine Wäldchen mit den ahornsirupspendenden Bäumen liegt 15 Meilen südlich von Bloomington an der alten Route 66. Heute bewegt sich der Verkehr auf der neuen Interstate, und man muss einen Umweg machen, um Funks Grove zu erreichen. Dafür bekommt man ein interessantes Landschaftsphänomen zu sehen. Man befindet sich hier schon in der Prärie. Doch Funks Grove bildet als einer der letzten Ausläufer der ehemals geschlossenen Waldgebiete des Ostens eine grüne Insel. Man hat von der Erhebung, die das Wäldchen bedeckt, bei klarem Wetter einen guten Fernblick, und außerdem ist es auch noch, wie die Fama zu erzählen weiß, eine Wetterscheide. Das Grasland der Prärien hatte immer besseren Boden als das Waldland, und so schauen heute die Homesteader aus der Prärie hinüber zu der bewaldeten Insel und sagen: »Das Wetter, das über dem Grove steht, wird in zwanzig Minuten bei uns sein.«

American Memories

»Die Kaninchen sind hier so groß wie Hasen und haben die Ohren eines Esels, die Frösche haben die Körper einer Kröte und den Schwanz einer Eidechse. Die Bäume fallen bergauf, und der Blitz zuckt aus der Erde hervor.«

Brief eines Auswanderers aus Illinois heim nach Europa

Die vorherrschende Windrichtung verläuft von den Prärien zum Grove, und der Wind hat im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Prärieerde in den Wald getragen. Deswegen geben dort die Ahornbäume regelmäßig Rekordernten an Maple Sirup, der in den USA für den morgendlichen Pfannkuchen so beliebt ist. Isaac Funk aus Deutschland, der als erster in dem Wäldchen siedelte, pflegte jährlich am 1. Februar loszugehen und die Bäume anzuzapfen. Inzwischen ist es die sechste Generation, die dort

Ahornsirup produziert. Steve und Glaida Funk haben ihr Wohnhaus auf einer Lichtung nahe der Sirupkocherei errichtet. Die Geschichte ihrer Liebe ist filmreif. Steve und Glaida begegneten einander während des Zweiten Weltkriegs in Oklahoma. Er war Kampfpilot und sie ein Mädchen aus einer Kleinstadt. Nach dem Krieg kehrte Steve nach Illinois zurück und bekam einen Job als Baumschneider in der Nähe von Chicago. Aber eines Tages stürzte er und wurde arbeitsunfähig. Er fuhr zu Glaida über die 66, und sie pflegte ihn gesund. Dann brannten sie zusammen durch. Noch heute, so kann man Steve erzählen hören, ist seine Schwiegermutter nicht völlig davon überzeugt, dass er der rechte Mann für ihre Tochter sei. »Aber auf Bäume steigen konnte ich nicht mehr, und so heiratete ich Glaida.« Kurz nach ihrer Eheschließung fragte Tante Hazel das junge Paar, ob sie nicht das Grove übernehmen wollten. Und so wurden sie die neuen Besitzer. Die Sache lief ganz gut an. Gegen Ende des Winters zapften sie ihren Maple Sirup, und wenn sie damit fertig waren, bestellten sie ihre Acker. Die Geschichte von Funks Grove ist auch eine amerikanische Erfolgsgeschichte. Als Glaida und Steve das Wäldchen übernahmen, betrug die jährliche Ernte - oder wie sonst soll man bei Ahornsirup sagen (das jährliche Zapfergebnis?) - 500 Eimer. Das reichte mehr oder minder für den Hausgebrauch. Aber die beiden bildeten sich weiter, besuchten Kurse, wandten von der Wissenschaft neu ausgedachte Methoden an, und bald stieg die Ausbeute auf 5000 Eimer pro Jahr. Heute, nachdem nicht mehr soviel Kundschaft kommt, weil ja der meiste Verkehr über die Interstate läuft, die das Wäldchen nicht direkt berührt, reicht es ihnen, 300 Eimer im Jahr zu produzieren. Aber sie haben eine treue Kundschaft, und Steves und Glaidas Leben ist mit Hunderten von Episoden, die sich auf der Route abspielen, verbunden. Sie haben eine schriftstellernde Tochter, die über dreißig Romane und Kinderbücher verfasst hat und unter dem Titel Ein Baum wächst in Funks Grove auch die Familiengeschichte aufzeichnete. Wenn man im Mai im Wäldchen herumläuft und die ersten Frühlingsblumen und den herrlichen Baumbestand betrachtet, könnte man fast an eine Idylle glauben. Aber wie so vieles hat auch das Grove seine zwei Seiten. Gar nicht weit von der Ahornsirup-Kocherei entfernt liegt ein gespenstischer Truppenübungsplatz im Grove. Nicht etwa von der amerikanischen Armee, sondern von Männern, die in Chicago und anderen Städten der Umgebung wohnen und in ihrer Freizeit ganz lebensecht Soldaten spielen, mit Maschinengewehren, Minenfeldern und Stacheldrahtverhau. Auf Fragen nach dem Hintergrund für diese Kriegsspiele reagierte der amerikanische, ursprünglich aus Österreich stammende Guide unserer Reisegruppe sehr zurückhaltend. Ob wir es mit einer der im Mittleren Westen gar nicht so seltenen Vigilanten-Gruppen zu tun hatten oder es doch nur Männer waren, die zu viele Kriegsfilme im Fernsehen gesehen hatten, sollte nie geklärt werden.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
342 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783862871070
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu