Kitabı oku: «Route 66», sayfa 4
10. St. Louis oder Drang nach Westen
Parole: Manifest Destiny
Am 2. Mai 1842 verabschiedete sich der 29jährige Second Lieutenant Charles Fremont von seiner hübschen 17jährigen Frau in Washington und brach auf zur Erforschung des Westens. Zunächst mit der Eisenbahn, dann mit dem Kanalboot und der Postkutsche. Auf dem Dampfboot zwischen St. Louis und Independence traf Fremont den Mountainman Kid Carson und warb ihn als Scout an. Fremonts Expedition folgte dem Kansas, dem Blue- und dem North-Plate-River, um einen für Wagen befahrbaren Weg nach Oregon zu erkunden. Diese Route wurde bereits von Wagen bis Fort Laramie benutzt.
Die zweite Fremont-Expedition 1843/44 nahm die Reststrecke des Oregon-Trails kartografisch auf. Sie diente zum Teil auch der Spionage zur Vorbereitung des Krieges mit Mexiko, bei dessen Ende die USA ihr Territorium bis zum Rio Grande und zum Gila-River vorschoben. Die amerikanische Politik gehorchte, was den Wilden Westen und seine Erschließung anging, der Parole des »Manifest Destiny«, die ein zeitgenössischer amerikanischer Politiker, William Gilpin, so umreißt: »Der überlegene und weiße Mensch ist darauf bedacht, die Pläne der Vorsehung zu ergründen, im großen Buch der Natur zu lesen und den Willen des Schöpfers zu erahnen, zu begreifen, was davon zu verstehen ihm gegeben ist. Zwei Jahrhunderte ist unsere Rasse über diesen Kontinent dahin gegangen. Von nichts sind wir auf 20 Millionen angewachsen. Von nichts sind wir auf dem Gebiet der Landwirtschaft, des Handels, der Zivilisation und an natürlicher Stärke in die erste Reihe der Nationen auf dieser Welt aufgerückt. Insofern haben wir unser Schicksal, unsere Bestimmung vollzogen und bei dieser Aufgabe etwas zuwege gebracht, was niemand bestreiten wird. Auf dieser Schwelle stehend lesen wir die Zukunft. Die unvollendete Bestimmung des amerikanischen Volkes ist es, diesen Kontinent zu unterwerfen, über dieses riesige Gebiet dahinzustürmen, bis zum Pazifischen Ozean, die vielen Hundert Millionen von Menschen dazu zu veranlassen, eine neue Ordnung des menschlichen Zusammenlebens aufzurichten, die Versklavten freizusetzen, die gebrechlichen Nationen gesunden zu lassen. Dunkel in Licht zu verwandeln, aufzuschrecken den Schlaf von Hunderten, von Tausenden von Jahren, den alten Nationen eine neue Zivilisation zu vermitteln, die Bestimmung der menschlichen Rasse zu bestätigen, die Menschheit einem Höhepunkt entgegen zu führen, die Versteinerten anzustoßen, damit sie wieder lebendig werden (...).
Eine göttliche Aufgabe, eine unsterbliche Mission. Lasst uns rasch den Weg angehen. Möge das Herz eines jeden Amerikaners erglühen vor Patriotismus. Möge ein jeder die erhabene Bestimmung dieses, unseres geliebten Landes als Teil seines religiösen Glaubens begreifen und zu ihrer Verwirklichung beitragen.«
Die Erschließung und Eroberung des Wilden Westens war also offensichtlich unter anderem eine Mission im Namen Gottes.
American Memories
»Wer mit der Eisenbahn eilig über die Prärie dahinfuhr, der wurde von einer gewissen Begeisterung über die weite Leere, die Größe des Himmels, den man hier tatsächlich als Gewölbe wahrnahm, und über die ungebrochene Linie des Horizontes erfasst. Aber man kam nicht umhin, sich an die Mühen jener zu erinnern, die in den alten Tagen hier durchgekommen waren. Sie hatten ihr Tempo dem ihrer Ochsengespanne anpassen müssen. Sie trieben die Tiere an mit keiner Landmarke, außer der unerreichbaren Abendsonne, auf die sie zuhielten und die ihnen täglich immer wieder aufs neue davonlief. Es gab nichts, so schien es, was sie hätten überholen können, nichts, an dem sich ihr Vorankommen abzeichnete, nichts, was ihnen Ruhe gegeben und Mut gemacht hätte; Wegstrecke um Wegstrecke die tote grüne Wildnis unter dem Fuß und den sich spottend entziehenden Horizont vor ihren Augen.
Aber ihre Blicke, so sagte ich mir, müssen selbst hier noch Unterschiede ausgemacht haben, auch kam der Auswanderer, wenn er nur durchhielt, immerhin an das Ende all dieser Strapazen, die er während der Reise zu bestehen hatte. Es ist der Siedler, über dessen Durchhaltevermögen wir uns eigentlich noch mehr wundern müssen.«
Robert Louis Stevenson, The Amateur Emigrant
Während wir in einem vollklimatisierten, mit Toilette und Bar versehenem modernen Bus durch die Prärien schaukeln, lassen wir die Erlebnisse jener Männer und Frauen Revue passieren, die nur 150 Jahre vorher durch eben jene Gegend gezogen sind.
11. Francis Parkman: Von St. Louis über den Oregon-Trail
St. Louis war immer das Tor zum Wilden Westen. Das klassische Werk der Reise- und Abenteuerliteratur über den Wilden Westen trägt den Titel The Oregon Trail und bezeichnet einen der großen Wanderwege, auf dem damals die Entdecker und Pioniere zum Pazifik zu reisen pflegten. Sein Verfasser Francis Parkman war, als er Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Westen ritt, 23 Jahre alt. Mit ihm reiste sein Studienfreund Quincy Adams Shaw. Parkman, ein junger Mann aus gutem Haus mit angegriffener Gesundheit, war Naturfreund und ein großer Spaziergänger. Den Wilden Westen kannte er, wie Shaw auch, nur vom Hörensagen. Die beiden jungen Männer waren waghalsig und tapfer; allerdings fragt man sich bald als Leser, ob sie tatsächlich voll und ganz begriffen, in welche Gefahren sie sich begaben. Bei Parkman verbanden sich Wagemut mit einer eigensinnigen Entschlossenheit, alles nur Mögliche über die Indianer zu lernen. Parkman benutzte bei seiner Reise schon jene Landkarte, die Fremont von seiner Expedition 1844 mitgebracht hatte. Von seinem Start in St. Louis erzählt er:
»Der letzte Frühling, der des Jahres 1846, war eine lebhafte Saison in St. Louis. Nicht nur bereiteten sich Auswanderer aus allen Teilen des Landes auf die Reise nach Oregon und Kalifornien vor, auch eine ungewöhnlich große Zahl von Händlern machten ihre Ausrüstungen und Wagen zum Aufbruch nach Santa Fe fertig. Die Hotels waren überfüllt, und die Gewehrmacher und Sattler waren ständig bei der Arbeit, um die Waffen und Ausrüstungsgegenstände für die verschiedenen Gruppen von Reisenden fertigzustellen. Dampfboote legten vom Ufer ab und fuhren überfüllt mit Passagieren zum Missouri und auf ihm zur Frontier.
In einem von ihnen, der Radnor, verließen mein Freund und Verwandter Quincy Adams Shaw und ich am 28. April St. Louis auf einer Tour in die Rocky Mountains, auf die uns unsere Neugierde trieb. Das Boot war so voll beladen, dass das Wasser über die Reling schwappte. Auf dem Oberdeck standen die großen Wagen, die eine eigenartige Form haben und für den Santa Fe-Handel benutzt werden. Dann gab es da all die Ausrüstungsgegenstände und den Proviant der Reisegesellschaft nach Oregon: Maultiere und Pferde, Stapel von Sätteln und Zaumzeug, eine Vielzahl unbeschreiblicher Gegenstände, die für eine Reise über die Prärien unverzichtbar sind. Fast verborgen unter dem Durcheinander stand ein kleiner französischer Karren von der Art, die man angemessenerweise ›Maultierkiller‹ nennt. Und nicht weit davon ein Zelt, zusammen mit einem Stapel von Kisten und Fässern. Das ganze Gepäck war nicht sehr eindrucksvoll, doch wie es da stand, war es für eine lange und harte Reise bestimmt. Die Passagiere an Bord der Radnor entsprachen dieser Fracht. Im Salon sah man Santa Fe-Händler, Spieler, Spekulanten und Auswanderer, Mountain-Men, Neger und eine ganze Gruppe Kansas-Indianer, die von einem Besuch in St. Louis zurückkamen.«
American Memories
»Greely schrie dem überbevölkerten Osten ins Ohr: ›Go West, junger Mann!‹ Diese Überschrift eines seiner Artikel wurde zum geflügelten Wort, zur Parole für einen neuen Aufbruch nach Westen.«
Überlieferung aus Denver, Colorado
12. Wir in St. Louis oder Die kleine rote Postkutsche
Das moderne Wahrzeichen von St. Louis ist ein gewaltiger, begehbarer Torbogen, der den »Eingang« zum Wilden Westen symbolisieren soll. In seiner Basis ist das Museum Of Westward Expansion untergebracht. Ich bin nicht schwindelfrei. Während meine Mitreisenden zu luftigen Höhen aufsteigen, durchstreife ich das Museum, lese Berichte von Reisen in den Wilden Westen aus dem vorigen Jahrhundert und bleibe schließlich im Vorhof vor einer kleinen roten Postkutsche stehen. Sie erscheint mir ganz einfach schön in ihren Ausmaßen, der gediegenen Verarbeitung der einzelnen Teile. Sie hat Eleganz und ist ein Symbol, ein Symbol für die Art der Fortbewegung durch dieses Land, ehe die Eisenbahn kam.
Wie selbstverständlich braust unser Bus funkelnagelneu – der Fahrer hat ihn, ehe er uns an Bord nahm, aus dem Werk in Kanada abgeholt – über die Route 66. Und wenn auch nur das Geringste nicht in Ordnung ist und der schnauzbärtige Fahrer, dessen Souveränität man nur bewundern kann, nicht in der Lage sein sollte, die Störung selbst zu beheben, wird über Nacht aus Kanada ein Techniker eingeflogen, der alles wieder in Ordnung bringt. Damit wir, die Touristen der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, nur auf keinen Gran unserer Bequemlichkeit verzichten müssen. Und damals?
Die Kunst des Kutschenbaus, so belehrt mich ein kleines Schild, hatte ihre Blütezeit mit Zunahme der Siedlerzüge nach Westen in dem Jahrzehnt nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Die große Zeit der Kutschen als wichtigstes Verkehrsmittel im Westen lag zwischen 1850 und 1870. Danach ersetzte die Eisenbahn zunehmend die von Pferden gezogenen Wagen als Transportmittel für Passagiere und Post. Aber in diesen zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts schob sich die Frontier, die Grenze, gemäß des zuvor erwähnten Manifest Destiny, nach Westen vor, und das Kutschengeschäft mit ihr. 1820 tauchten die ersten Fahrgäste befördernden Kutschen in St. Louis auf. 1837 verband schon ein regelmäßiger Kutschenverkehr die Orte am Mississippi. 1876 betrieb die Minnesota Stage Company eine Netz von 2000 Meilen, das bis nach Wisconsin ins Dakota-Territory und nach Kanada reichte. Im Südwesten wurde ab 1865 Santa Fe durch die Southern Stage Line mit Denver verbunden, und in Texas verkehrten 1860 schon 31 Linien. In den 50er und 60er Jahren breiteten sich die Bergwerksstädte von Kalifornien ostwärts in die Sierra Nevada und die Rocky Mountains aus. Mit jedem neuen Fund an Edelmetall schossen sie wie Pilze aus dem Boden, die Nachfrage nach Kommunikations- und Transportmöglichkeiten wuchs. Vor allem bestand der dringende Wunsch nach einem zuverlässigen Postdienst zwischen Ost und West. Dem trug der amerikanische Kongress 1857 durch ein Gesetz Rechnung, das den Postminister ermächtigte, von privaten Gesellschaften Gebote auf einen halb- oder wöchentlichen transkontinentalen Postdienst entgegenzunehmen. Den Zuschlag erhielt die Butterfield Overland Mail, und am 15. September 1858 begann sie ihren regulären Kutschenverkehr über 2812 Meilen auf der südwestlichen Route zwischen Tiptoen, Missouri, und San Francisco. Zwei Kutschen fuhren pro Woche in jede Richtung, und die normale Reisezeit lag unter 25 Tagen.
Wenn die Kutsche damals auch noch, abgesehen von den berittenen Boten des Pony-Express, das schnellste Fortbewegungsmittel von einem Ort zum anderen darstellte, so war es doch kein einfaches und bequemes Reisen. Die Fahrgäste waren unterwegs Hitze und Kälte ausgesetzt, an Schlaf war meistens nicht zu denken; die Speisen, die man ihnen an entlegenen Orten vorsetzte, waren miserabel. 1877 erschien im Omaha Herold unter dem Titel »Hinweise für die Reisenden über die Plains«, die folgenden guten Ratschläge:
»Der beste Platz auf einer Postkutsche ist der neben dem Kutscher. Sollten die Pferde durchgehen, bleiben Sie ruhig sitzen und halten Sie sich dies vor Augen: Wenn Sie jetzt abspringen, werden Sie in neun von zehn Fällen verletzt werden. Rauchen Sie in der Kutsche keinen starken Pfeifentabak, besonders nicht am Morgen. Spucken Sie immer auf der dem Wind abgekehrten Seite aus dem Fenster! Fluchen Sie nicht über Ihren Nachbarn, wenn dieser schläft und schnarcht! Versuchen Sie nie, unterwegs ein Gewehr oder eine Pistole abzufeuern. Es würde die Pferde erschrecken. Unterlassen Sie es, über Politik oder Religion zu diskutieren. Fetten Sie Ihr Haar vor der Abfahrt nicht ein, andernfalls wird sich der Staub dort festsetzen, und Sie müssen gewärtig sein, dass sich dort ein Fleck in Form einer Kartoffel bildet.«
Was man damals auf einer Postkutschenfahrt, allerdings etwas weiter westlich, nämlich auf den Straßen Colorados, erleben konnte, schildert der folgende Text:
»Während der schweren und lang anhaltenden Schneefälle war der Postkutschenverkehr zwischen Silverton und Outray eingestellt worden. Aber um den Zug noch zu erreichen, waren wir gezwungen, die Reise auf einem Schlitten über einen Pass in den Red Mountains zu machen.
›Ist es sehr gefährlich?‹ fragte ich einen Einheimischen, und er antwortete: ›Nun, der Mann aus dem Leihstall gibt ja wohl seine Pferde dafür her, oder? Und Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Sie seien mehr wert als so ein braves Pferd?‹
Das klang sehr ermutigend, und um vier Uhr morgens, in Wolfsfelle eingehüllt, brachen wir auf. Die Hunde bellten zum Abschied, und in einer Spielhölle brannte noch Licht.
Es war Vollmond, die Berge glitzerten, eine silberne Kette vor einem fernen Himmel.
›Ist das die Straße, auf der gestern die Kutsche umgestürzt ist?‹ fragte ich den Fahrer.
›Ja, aber es ist keine so üble Gegend.‹
›Stürzt sie gewöhnlich immer an den besten Stellen um?‹
›Im allgemeinen ja.‹
›Was halten Sie denn von dieser Fahrt?‹
›Da möchte ich mich lieber nicht dazu äußern, ehe wir’s hinter uns haben.‹
›Wie hoch ist das Red-Gebirge?‹
›So an die 13.000 Fuß.‹
›Können wir von ganz oben herunterfallen?‹
›Das wohl kaum. So nach 1000 Fuß würden Sie auf eine Klippe stoßen. ‹
›Stürzen oft Leute ab?‹
›Bisher erst einmal. ‹
Mit mir reisten Eugene Banks, der Dichter, und Wallace Bruce Amsbery, dessen französisch-kanadische Dialektgedichte in der Zeitschrift Century weite Beachtung gefunden hatten. Banks starrte ins Mondlicht, Amsbery beobachtete die Pferde, wie sie sich durch den Schnee wühlten. Ich erwog meine Chancen. Vor uns die Baumgrenze, ein Anblick von schrecklicher Schönheit, der mich schaudern ließ. Aber in Ehrfurcht, wenn ich hinabsah. Man war fast gezwungen, laut zu rufen: ›Ach du arme Feder! Du lumpiger Pinsel! ‹ Alles war von einer so unerhörten Großartigkeit, dass man tausend Augen hätte haben wollen, um das Wunder in sich aufzunehmen.
American Memories
»Ein berühmter Outlaw, dessen Spezialität die Überfälle auf Eisenbahnzüge war, schrieb an die Union Pacific und beklagte sich darüber, dass deren Züge für den normalen Sterblichen einfach mit zu hoher Geschwindigkeit verkehrten.«
Philip Ashton Rollins
›Haben wir das Schlimmste jetzt hinter uns?‹ fragte ich den Fahrer.
›Das Schlimmste wovon? Von der Gefahr? Wir sind noch nicht einmal auf halbem Weg!‹
Ich meinte, das könne nicht wahr sein, aber es stimmte. Der Sturm lag hinter uns, ein geisterhaftes Tageslicht ließ den Mond verblassen. Wir kamen durch eine aufgegebene Bergwerksstadt. Nicht eine Menschenseele lebte mehr hier. Es gab Fenster, durch die Augen voller Hoffnung und Verlangen nach Osten geblickt haben mussten, zerbrochene Feuerplätze, wo die Menschen sich am Abend zusammengedrängt hatten. Alles war Verlassenheit, und durch die Straßen klangen die fernen Töne eines heulenden Wolfes.
Ein paar Wegbiegungen, und wir befanden uns auf dem schmalen Sims eines Canyon. Und jetzt wusste ich, dass der Kutscher die Wahrheit gesagt hatte.
›Hören Sie mal‹, sagte der Dichter, ›wir glauben Ihnen, dass Sie der beste Fahrer der Welt sind, aber Sie müssen die Kurven nicht so scharf nehmen. Sie brauchen uns Ihre Künste nicht zu beweisen. Lassen Sie sich Zeit.‹
›Ich schneide keine Kurven‹, erwiderte der Fahrer. Dahinzugleiten, so nahe am Abgrund, dass die Kufen den Schnee in die Tiefe drückten, war nicht so angenehm. Tief unter uns floss ein Bach. Aber so weit fort, dass man das Geräusch des Wassers nicht mehr hörte. Aus dem schrecklichen Abgrund drang nichts als Stille zu uns herauf.
›Sie haben mir die Wahrheit gesagt‹, bemerkte ich zu dem Kutscher. ›An den gefährlichsten Stellen waren wir vorhin tatsächlich noch nicht vorbei.‹
›Aber Sie haben sich mächtig angestrengt, um mir Lügen aufzutischen.‹
Vielleicht gehört zur stärksten Freude zuvor ein Augenblick der Gefahr, aber wenn dem so ist, würde ich lieber auf solche Freude verzichten. Mir war schon klar, dass ich von diesem Berg herunterkommen würde. Die Frage war nur, wie.«
So stand es am 25. November 1902 in der Times in Denver zu lesen.
Und nun zu dem kleinen roten Gefährt, vor dem ich mir per Kopfhörer die Ratschläge für das Benehmen auf einer Postkutschen-Fahrt angehört hatte. Was weiß man über jene Postkutsche, die sich da jenseits der Absperrung so nett, sauber und elegant darbietet? Sie wurde wahrscheinlich zunächst für den Verkehr zwischen den Bergwerksstädten in Montana benutzt und beförderte, ehe sie ins Museum kam, Touristen im Yellowstone-Nationalpark. Lange nahm man an, es handle sich um eine Concorde-Kutsche. Aber John und Mildred Frizzel, die das Gefährt 1976 restaurierten, waren der Meinung, dass die Kutsche wahrscheinlich von der Firma Eaton & Gilbert in Tryp im Staate New York gebaut wurde. Darauf deutet jedenfalls der Rahmen aus gelbem Pappelholz hin, das man gewöhnlich bei den Gefährten dieser Firma findet.
Ohne dass man den Hersteller eindeutig klären konnte, steht immerhin fest, dass die Kutsche von Wells Fargo & Company zur Beförderung von Passagieren und Post zwischen Bergwerksstädten im Westen benutzt wurde. 1869 kaufte die Firma Gilmer & Munro Salisbury aus Salt Lake City Kutschen des Typs Concorde im Wert von 70.000 Dollar von Wells Fargo. Wahrscheinlich war mein kleiner Liebling auch darunter. Über sieben Jahre betrieb der neue Eigentümer gewinnträchtige und zuverlässige Postkutschenlinien in der Bergbauregion des Nordwestens. Aber nach Fertigstellung der Northern Pacific Railroad in Montana 1883 war die Firma nicht mehr konkurrenzfähig und gab auf. Die Kutsche ging dann in die Hände der Firma Wakefields & Hoffman aus Bozeman, Montana über, die den Fuhrpark von Gilmer & Salisbury erwarb und damit in das Touristengeschäft im Yellowstone einstieg. Seit 1878 hatte man damit begonnen, den an Naturwundern so reichen Park mit Kutschen zu bereisen. Und in den 38 Jahren, in denen der Kutschendienst dort bestand, trug das Gefährt mehrere hunderttausend Besucher zu zwölf Cent pro Fahrt durch den Park. 1921 stiftete der Manager der Yellowstone Park Transportation Company die Kutsche der Parkverwaltung. Von dort gelangte sie 1968 in das Museum in St. Louis. Und da steht sie nun – wirklich eine Schönheit von einer Kutsche und ein Gefährt, das fast durch die halbe Geschichte der USA gerollt ist.
13. »Get Your Kicks on Route 66«
Der Mann, der das Lied schrieb, das zum Titelsong der Route 66 wurde, hieß Bobby Troup. Er nennt sich selbst einen »mittelmäßigen Pianisten, aber verheiratet mit Julie London«. Julie London, Moment mal! Ich erinnere mich: Das war doch eine von mir in den 50er Jahren heißgeliebte Sängerin. Ja, aber im Februar 1946 hieß Bobbys Ehefrau noch Cynthia, und die beiden saßen in einem Restaurant an der Pennsylvania Turnpike, mit einer Straßenkarte der USA vor sich und mit einem 41er-Buick auf dem Parkplatz. Bobby hatte gerade fünf Jahre Dienst im Marine Corps hinter sich. Nun war er entlassen. Seine Eltern besaßen gutgehende Musikgeschäfte in Lancaster und Harrisburg, die er hätte übernehmen können. Aber noch im College hatte er einen großen Treffer als Schlagerkomponist mit »Daddy« gelandet, mit dem Nr.-1-Song auf den Hitlisten des Jahres 1941.
In dem Text bittet ein hübsches kleines Mädchen, a young doll, wie es im Amerikanischen unübersetzbar heißt, ihren Sugar-Daddy, was verwöhnender Vater, älterer reicher Liebhaber, aber auch Zuhälter heißen kann, ihr doch ein neues Auto, Champagner und Kaviar zu kaufen, da er doch immer nur das Beste für sie wolle! Das Lied war vor allem durch Tommy Dorsey bekannt gemacht geworden, und Bobby Troup war, ehe man ihn einberief, zum Songwriter des bekannten Bandleaders avanciert.
Aus der Armee entlassen, versuchte er seinen Lebensunterhalt als Songplugger, als Schlagerkomponist, zu verdienen. Mancher Leser wird vielleicht über das Wort »Songplugger« stolpern. Man hat sich das so vorzustellen: Die großen Musik- und Schallplattenfirmen hatten in ihren Büros ein Zimmer, in das wurden die Komponisten eingesperrt, und was sie dort komponierten, führte man prominenten Schlagersängern oder Bandleadern in der Piano-Fassung vor. Was deren Zustimmung fand, wurde produziert, den Rest konnte der serienmäßig schreibende Plugger vergessen. Es war dies durchaus ein ehrenwerter Beruf. Beispielsweise hat George Gershwin seine Karriere als Songplugger in New York begonnen. Um die Zeit, da die Armee Bobby ins Privatleben heimschickte, gab es eigentlich für eine solche Karriere nur zwei Orte: New York oder Los Angeles. Und so hatte das junge Paar den Buick vollgepackt und war unterwegs in den Westen.
American Memories
»Erst nachdem die ganze Weite des nordamerikanischen Teilkontinentes erschlossen war, entstanden Lieder und Balladen, die sich als eigenständige amerikanische Volkslieder bezeichnen lassen.
Es handelt sich dabei um einen Typ des Volksliedes, der zwischen Ballade und Moritat steht und wohl ursprünglich nicht selten bei der Verbreitung von Sensationsmeldungen wie Mordfallen, Bankeinbrüchen und Eisenbahnräubereien eine Rolle spielte. Diese Moritaten-Lieder wurden oft mit groben Holzschnitten oder Kupferstichen, welche den dramatischen Höhepunkt eines solchen ›Kriminalfalls‹ darstellten, auf Handzettel gedruckt und kamen als eine Art von ›musikalischer Zeitung‹ in den Handel. Sie erfreuten sich vor allem an abgelegenen Orten großer Beliebtheit. Andererseits drang auch auf dem Umweg über solche Lieder nicht selten Kunde von melodramatischen Ereignissen zu den Bewohnern der Staaten an der Ostküste, die schon zu guten Bürgern geworden waren und quasi im Lehnstuhl zurückgelehnt mit wohligem Gruseln die wilden Umstände eines Lebens im Westen zur Kenntnis nahmen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mit Einsetzen der Industrialisierung und Vollendung eines dichteren Straßen- und Eisenbahnnetzes, tauchte dann eine ganz andere Art des Volksliedes auf. Die einzelnen Berufe wählten sich heroisierte Vorbilder, die sogenannten ›Patrons‹, deren Leben und Taten in Wort und Lied dargestellt wurden.«
Frederik Hetman, Amerika singt
Cynthia war die Tochter wohlhabender Eltern aus Philadelphia, und der Vorschlag kam von ihr: »Warum schreibst du nicht ein Lied über die Route 66? Das ist die Straße, auf der wir fahren!«
Bobby sah auf die Straßenkarte und sagte: »Sei nicht kindisch, Cynthia, auf die 66 kommen wir erst kurz vor Chicago und bleiben dann drauf bis L. A.«
Für eine Weile unterließ es Cynthia, ihm Vorschläge für neue Lieder zu machen, aber irgendwo in Illinois flüsterte sie ihm dann ins Ohr: »Get your kicks on Route 66!«
Das Lied, das dann entstand, hat wahrscheinlich mehr zur Popularität der Route beigetragen als die Promotion-Firma, die der Vater der Route 66 gegründet hatte, um sie bekannt zu machen. Robert William Troup schrieb noch unterwegs die Melodie und etwa die Hälfte des Textes:
»If you ever plan to motor west
Travel my way, take the highway
That’s the best:
Get your kicks on Route 66.
It winds from Chicago to L.A.
More than 2000 miles all the way.
Get your kicks on Route 66.«
In Los Angeles besuchte er alte Bekannte, unter ihnen Nat King Cole, und erzählte ihnen von dem angefangenen Lied.
»Dann«, pflegte Troup sein Garn um seinen Hit weiter zu spinnen – das Werk war immer noch unvollendet –, »griff ich mir meine Straßenkarte, und mein Freund Bullets Durbin besorgte mir das Probestudio von CBS Radio. Die Musiker der Band kamen schon. Ich war immer noch nicht fertig, rannte immer noch mit meiner Karte herum, aber dann fiel’s mir ein. Die Magie der Ortsnamen inspirierte mich:
»You go through St. Louis, Joplin, Missouri,
And Oklahoma City looks mighty pretty.
You’ll see Amarillo, Gallup, New Mexico,
Flagstaff, Arizona. Don’t forget Winona,
Kingsman, Barstow, San Bernadino.
Won’t you get hip to this timely tip,
When you take that California trip?
Get your kicks on Route 66.«
Der einzige Ort, bei dem er aus der korrekten geographischen Reihenfolge geriet, war Winona, aber er brauchte ein Wort, das sich auf Arizona reimte, und das lässt sich nicht so leicht finden.
Nun, er übte den Song mit den Musikern ein. Fünf Tage später nahm ihn Nat King Cole für Capitol auf, und dieses Label brachte ihn sofort auf den Markt. Ehe ein Monat vergangen war, war das Lied ein Hit geworden und blieb es. Es wurde ein Ohrwurm, dieses lächerliche kleine Lied, mit einem Text, der hauptsächlich aus Ortsnamen besteht. Für Millionen von Menschen lässt es den Zauber dieser Straße durch Amerika immer wieder aufs neue lebendig werden.