Kitabı oku: «Deutschland – deine Politiker», sayfa 6
Kommt ein Teppich auf Staatskosten geflogen
Um ein eher alltägliches Reisemitbringsel der beliebten Art ging es im Fall von Dirk Niebel34 im Jahre 2012. Der Entwicklungshilfeminister hatte ohnehin schon einen schweren Start, weil seine FDP jahrelang die Abschaffung genau dieses Ministeriums gefordert hatte, da es „überflüssig“ sei. Trotz dieser Ansage vor der Wahl wurde der FDP-Politiker nach der Wahl ebendort Ressortchef und wechselte schon bald zahlreiche Mitarbeiter ohne FDP-Nähe aus. Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl kaufte Niebel einen Teppich in Kabul, den er ohne Zoll zu bezahlen als Sondergepäck im Jet des BND nach Deutschland transportieren ließ. Kaum stand das in den Zeitungen, da begann die Berliner Staatsanwaltschaft zu ermitteln. Niebel sagte dazu meinem Freund und Kollegen Martin Lambeck treuherzig: „Ich wollte das Kleingewerbe in Afghanistan unterstützen und einen Teppich für mein Esszimmer kaufen.“ Weil ihm das Stück mit 30 Kilo in der Linienmaschine zu schwer war, überließ er dem BND den Transport.
In die Schlagzeilen geraten, wollte er das Stück nachverzollen. Damit nicht genug. Er musste sich in einer aktuellen Stunde des Bundestages entschuldigen. Hohn, Spott und Rücktrittsforderungen waren die Antwort. Das lesenswerte Protokoll dazu steht im Anhang. Und als Clou verkündete Niebel am nächsten Tag auf seiner Homepage, was er herausgefunden habe: „Der Teppich war nicht zollpflichtig. Als eines der am wenigsten entwickelten Länder unterliegt Afghanistan einer Sonderregelung der Europäischen Union, wonach auch Privatpersonen Gegenstände wie Teppiche zollfrei nach Deutschland einführen dürfen.“ Fall erledigt, aber der Spott blieb.
◆
Zum Schluss noch ein fast versöhnlich harmloser Fauxpas. Es ging um Kohls knappe Wiederwahl im Deutschen Bundestag am 15. November 1994. Trauriger Held war der neue und bis dahin weitgehend unbekannte CDU-Abgeordnete Roland Richter (*1957) aus Karlsruhe. Ohne Wecker verschlief er die Abstimmung und erschien erst, als alles vorbei war. Fraktionschef Wolfgang Schäuble wusch ihm gehörig dem Kopf, die Nation lachte über den Langschläfer und schickte ihm gleich dutzendweise Wecker. „Eine Kohl-Wahl verschlafe ich bestimmt nicht mehr“, versprach er und entschuldigte sich bei Bundeskanzler Helmut Kohl, der versöhnlich reagierte: „Das musst du in den nächsten vier Jahren wieder wettmachen.“ Danach war seine Abgeordnetenkarriere zu Ende.
IV.Von Terroristen und Spionen
Deutscher Terror im Ausland
Kommen wir nun vom Privatleben zu einer besonders gefährlichen Seite der Politik, der Terrorgefahr, die in Deutschland seit den 70ern eine traurig-wichtige Rolle spielt. Dazu ein kurzer Blick auf die Daten. Der Terror gehört naturgemäß zu den wichtigen Beobachtungszielen von BND und Verfassungsschutz. Das galt auch für deren DDR-Gegenspieler, der dortigen Staatssicherheit (Stasi) – spätestens seit dem Erscheinen der RAF. Zu ihr hatte die Stasi sogar ganz besondere Beziehungen. Wie wir später erfuhren gab es aus der DDR Geld und in der DDR ruhige Unterkünfte. So lebte Susanne Albrecht, die mutmaßliche Mörderin des Frankfurter Bankiers Jürgen Ponto, seit 1980 unbehelligt in der DDR mit Mann und Kind, zuletzt im Ostberliner Stadtteil Marzahn, Rosenbecker Straße 3, zweite Etage links.
Ihre selbsternannte Rote Armee Fraktion (RAF) war in gut zwanzig Jahren für mindestens 34 Morde, Terroranschläge und Banküberfälle verantwortlich. Dazu kamen immer wieder gewaltsame Versuche, inhaftierte Terrorgenossen freizupressen.
Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) war zwar strikt dagegen. Doch als am 27. Februar 1975 der CDU-Spitzenkandidat Peter Lorenz drei Tage vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl entführt wurde, lag Schmidt mit einer fiebrigen Grippe danieder – diesmal war es wirklich eine Grippe. Freunde aus seiner engsten Umgebung erklärten mir, die Erkrankung sei ein wesentlicher Grund, warum Schmidt den Deal mit den Terroristen nicht verhindert habe. Fünf Terroristen wurden aus Deutschland in den Jemen ausgeflogen und Lorenz kam am 5. März frei. Im folgenden Jahr endete die nächste große Aktion tödlich.
Dazu noch einmal kurz die Fakten. Acht Palästinenser und zwei deutsche Terroristen (Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann) bringen am 28. Juni 1976 die Air France Maschine vom Typ Airbus A300 mit Nummer 139 auf dem Weg von Tel Aviv über Athen nach Paris in ihre Gewalt, zwingen den Piloten zum Auftanken in Bengasi und zum Weiterflug nach Uganda, denn der dortige Diktator Idi Amin35 hatte offen seine Sympathie mit Terroristen bekundet. Nach der Landung in Entebbe am Viktoriasee, nur 35 Kilometer von der Hauptstadt Kampala entfernt, begrüßt Amin die Terroristen freundlich und verspricht ihnen jede Hilfe.
Wilfried Böse sondert die jüdischen Geiseln aus, die anderen lässt er laufen. Mit der Aktion wollen sie 53 Terroristen in Israel, Deutschland (sechs Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande), Frankreich und der Schweiz freipressen und verlangen noch fünf Millionen Dollar für die Freigabe des Flugzeuges. Als die ersten Meldungen dazu über den Ticker laufen, bitte ich einen israelischen Freund und Kollegen um Hilfe bei der Recherche, denn schnell wird klar, dass Israel handeln wird.
Israel lehnt die Freilassung der 40 Terroristen ab, Deutschland verweigert die Freilassung der sechs Terroristen, die Schweiz ist nicht bereit, die 38-jährige Baader-Meinhof-Terroristin Petra Krause freizulassen. Aus Frankreich habe ich noch keine Meldung, aber das Ultimatum der Erpresser ist schon aus zeittechnischen Gründen nicht mehr einzuhalten.
Mein Freund informiert mich, dass der israelische Geheimdienst Mossad die Befreiungsoperation vorbereitet. Am 3. Juli landen israelische Transportmaschinen gegen 23.00 Uhr. Sie entladen erst einen schwarzen Mercedes, als wäre dieser für Amin vorgesehen, und Jeeps vom Typ Land Rover. Als zwei ugandische Soldaten die Fahrzeugkolonne auf dem Weg zum Terminal anhalten wollen, werden sie erschossen. Weitere israelische Flugzeuge mit gepanzerten Fahrzeugen und Elitesoldaten landen. Am frühen Morgen erfährt mein Freund mehr: „Kurz nach Mitternacht stürmen zwei Dutzend Elitesoldaten durch Fenster, Türen und Toiletten in die Empfangshalle. Ein Unteroffizier meldet: „Die Terroristen waren für einige Sekunden sprachlos. Sie hatten Handgranaten, konnten sie aber nicht mehr werfen. Wir schossen sofort.“ Als Erste sterben die beiden Deutschen. Sie dösen in der Halle auf Korbsesseln, die Maschinenpistolen auf den Knien. Ein 13-jähriger Augenzeuge: „Sie fielen um und sagten nichts mehr.“ Ein Araber flüchtet in eine Ecke. Er versteckt sich hinter einer Matratze und schießt von dort mit einer Maschinenpistole. Er trifft einen Israeli in den Kopf, der aufgesprungen war, um seinen 12-jährigen Jungen zu suchen. Als die israelischen Soldaten Mündungsfeuer sehen, schießen zehn von ihnen gleichzeitig auf die Matratze. Nach etwa acht Minuten haben die israelischen Soldaten die Terroristen und mindestens zehn ugandische Soldaten in der Empfangshalle getötet. Beim Rückzug aus der Halle wird der 30-jährige Kommandeur Jonathan Netanjahu36 von ugandischen Soldaten aus dem Kontrollturm mit einer MG-Garbe in den Rücken getötet. Sofort schießen die Israelis den Kontrollturm mit Bazooka-Geschützen zusammen und töten alle Soldaten im Turm. Sie fotografieren die sieben Terroristen, lassen sie auf dem Flughafen zurück und fliegen davon.
Idi Amin schwört Rache, lässt Sympathisanten der Aktion ermorden und im August den deutschen Entwicklungshelfer Dietrich Babeck (damals 48) foltern: Babeck kam am 1. Juli auf Einladung des ugandischen Erziehungsministers ins Land, um an der Hochschule Wirtschaftswissenschaften zu unterrichten.
Am 1. August wird er auf offener Straße von Geheimpolizisten umringt und aus dem Auto gezerrt mit der Begründung: „Du siehst so jüdisch aus.“ Unter Stock- und Peitschenfolter wird ihm das Geständnis abgepresst, für den israelischen Geheimdienst zu arbeiten. Erst am 20. August erfahre ich durch einen Freund den ganzen Hintergrund, so wie Babeck es selbst beschrieb: „Ich wurde mit den Federsträngen meines eigenen Expanders verprügelt, den glühenden Tauchsieder, den ich aus Deutschland mitgebracht hatte, hielten sie mir unter die Füße. Als Beweis für meine angebliche Spionagetätigkeit zeigten sie mir meinen Fotoapparat und meinen Radiorekorder. Der sei meine Funkausrüstung als Geheimagent. Selbst meine Kontonummer und meine Versicherungspolice bezeichneten sie als Spionagematerial. Als ich das erklären wollte, schlugen sie zu. Die Karabinerhaken knallten auf Kopf und Rücken. Da gestand ich schließlich, was sie hören wollten. Am nächsten Morgen sollte ich meine Hintermänner nennen. Ich sagte aber nur die Wahrheit, da schlug ein zweiter Peiniger mit einer Peitsche zu. Ich gab zu, Mitglied Nummer 300 des israelischen Geheimdienstes zu sein mit Codenummer 220. Was der dann noch wollte, habe ich nicht verstanden. Da hielt er mir seine Pistole ins Genick. Ich konnte nicht mehr und sagte: ‚Schieß!‘ Aber er hat mich nicht erlöst. Stattdessen hielten sie mir wieder den Tauchsieder unter die Füße. Als sie dann noch drohten, Nägel durch meine Fingerspitzen zu treiben, erfand ich noch mehr Einzelheiten. Keine stimmte. In der Nacht nach diesem Verhör war ich sicher, dass mein Leben zu Ende ging. Ich hatte keine Hoffnung mehr.“
Der nächste Tag begann mit neuen Verhören. Aber als Babeck in seine Zelle zurückkam, wurde er nur noch von einem Mann bewacht. Das Scherengitter im Hof hatten sie vergessen zu schließen: „Da bat ich meinen Bewacher um ein Glas Wasser, stieß die schlecht verriegelte Tür auf und rannte um meine Leben.“ Das schrieb ich für die Samstag-Ausgabe von „Bild“ mit der Unterzeile „Nur in Bild: Die ersten Aussagen des Hamburger Entwicklungshelfers“.
Der Umschlag mit Bargeld für Willy Brandt
Zur selben Zeit war ein Team der „Bild am Sonntag“ mit großem Aufwand in Uganda unterwegs, um genau das herauszubekommen. Hoffnungsfroh inserierte „BamS“ großflächig nichts ahnend in derselben Samstag-Ausgabe von „Bild“ mit meinem Bericht die Ankündigung, morgen steht in „BamS“, was Babeck erlebt hat. Ein typisches Beispiel für den gesunden Konkurrenzkampf innerhalb des Springer-Konzerns, von wegen alles auf einer Linie, wie etwa lange Zeit von der SPD-Spitze propagiert, bis hin zu dem Beschluss, keine Interviews mit „Bild“ zu führen. Ein Beschluss, der nie konsequent umgesetzt wurde; selbst Ex-Bundeskanzler Willy Brandt schrieb als SPD-Chef Gastkommentare für Bild – gegen Bares. So sein Wunsch bei der Übermittlung seines Textes. Das brachte mich zunächst in Verlegenheit, denn dafür hatten wir in der Redaktion keine Barkasse. Also ging ich zur Kreissparkasse am Fuße des Abgeordnetenhochhauses, genannt „Langer Eugen“ nach Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier aus der Zeit, als das für Bonner Verhältnisse riesige Gebäude errichtet wurde. Dort hob ich von meinem Privatkonto 300 D-Mark ab (für das schmalbrüstige Konto eines Jungredakteurs viel Geld), lieferte die Scheine artig im Umschlag in Brandts Abgeordnetenvorzimmer ab und bekam es mit der nächsten Gehaltsüberweisung vom Verlag zurück.
Der Terror kommt nach Deutschland
Doch zurück zum Thema Terror, der 1977 mit Macht die Schlagzeilen in Deutschland beherrschte. Am 5. September rief mich wenige Minuten vor 18.00 Uhr ein Freund an, der mit dem Polizeieinsatz im Bereich Köln und Bonn befasst war. Kurz und für den frühen Zeitpunkt erstaunlich präzise informierte er mich: „Schwere Schießerei mit Verletzten, Schleyer wurde offenbar entführt. Sie entkamen in einem VW-Bulli.“ Mein Kollege, der zum Arbeitgeber- und BDI-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer (1915–1977) als Wirtschaftsredakteur den Kontakt hielt, hatte die Privatnummer und rief sofort dort an. Ehefrau Waltrude ging ran: „Sie können meinen Mann nicht sprechen, der ist bereits weggefahren.“ Sie wusste also noch nichts von der Entführung.
Es folgte bekanntlich der Versuch, mit Schleyer als Geisel 14 inhaftierte Terroristen freizupressen. In der Zeit habe ich erstmals erlebt, wie im Ernstfall Sicherheitsbehörden, Regierung und Journalisten zusammenarbeiten. Im Krisenstab hatte ich einen guten Freund sitzen, der Jahrzehnte später zu einem international anerkannten Künstler avancierte. Mit ihm konnte ich damals täglich zur verabredeten Zeit ein kurzes Telefonat führen. Manchmal schaute die ganze Redaktion dabei zu, denn das war unsere einzige Originalquelle. Trotzdem war stets klar, dass wir nur schrieben, was nach Rücksprache mit Sicherheitskräften und Regierungssprecher Klaus Bölling (in diesem Amt 1974–1981) vertretbar erschien. So meinte Bölling einmal, es sei aus Sicherheitsgründen hilfreich, wenn wir schreiben, Schleyer werde wohl in einem rollenden LKW gefangen gehalten. Oder am 27. September schrieben wir in Absprache: „Schleyer auf Schiff gefangen?“ Gleichzeitig hörte ich aus dem Krisenstab unmissverständlich, dass Bundeskanzler Helmut Schmidt zwar alles für Schleyer tun wollte, wozu die Sicherheitskräfte in der Lage waren, aber der Erpressung von Terroristen wollte er nicht nachgeben. Dazu haben ihn erfahrene Sicherheitsexperten ausdrücklich ermutigt. So sagte mir der langjährige Chef des israelischen Geheimdienstes, Iser Harel, der Staat dürfe „unter keinen Umständen nachgeben. Denn jedes Nachgeben bei Kidnapping führt nur dazu, dass beim nächsten Mal die Forderungen noch dreister werden. Wenn sie heute nachgeben, muss morgen ein anderer denselben Preis bezahlen. Mit jeder Nachgiebigkeit der Regierung verringert sich für Terroristen beim nächsten Mal das Risiko. Und wer garantiert, dass selbst bei Nachgiebigkeit der Entführte mit dem Leben davonkommt?“ Zugleich warnte er, dass „Deutschland eine lange Terrorkette bevorsteht“.
Wie entschlossen Helmut Schmidt war, den deutschen Terroristen mit ihren palästinensischen Genossen nicht nachzugeben, darüber gibt es zahlreiche Dokumentationen, bis hin zur Veröffentlichung von Telefonaten wie im „Spiegel“ vom 13. August 2012. Demnach sagte Schmidt seinem Freund und Staatsminister und Hans-Jürgen Wischnewski37 am 14. Oktober 1977, als die entführte Lufthansa-Maschine in Dubai morgens gelandet war: „Hans-Jürgen, auf keinen Fall etwas zulassen, was einen Abflug der Maschine erleichtert oder ermöglicht. Auf keinen Fall. Es muss hingenommen werden, wenn tatsächlich einzelne Menschen getötet werden. Hast Du mich verstanden?
Wischnewski: Ja, ich habe verstanden. Schmidt: Auf keinen Fall zulassen, dass der Abflug erleichtert oder ermöglicht wird. Tötung einzelner Menschen muss hingenommen werden.“
Zuvor war Wischnewski Ende September um den Globus geflogen. Um für alle Fälle gerüstet zu sein, suchte er vorsorglich ein Land, das im Falle einer Einigung mit den Entführern die elf inhaftierten Terroristen aufnähme. Die Reise ging in jeder Hinsicht schief: In Damaskus (Syrien) holte sich die Besatzung seiner Luftwaffenmaschine ein Fischvergiftung, musste durch eine neu eingeflogene Crew ersetzt werden und „Ben Wisch“ (Wischnewskis Spitzname wegen seiner Araber-Verbindungen) bekam die erste Abfuhr.
Über Algerien fielen in 12.000 Metern Höhe drei Triebwerke des vierstrahligen Jet-Star aus. Im Sinkflug meldete der Copilot: „Herr Minister, die Maschine befindet sich in einer Notlage. Wir müssen notlanden.“ In Istre bei Marseille stieg er in eine Ersatzmaschine um. Sein Erkundungstrip nach Asien verlief ähnlich. Um die Reise möglichst geheim zu halten, meldete er sich offiziell krank. Doch der Flug nach Vietnam endete wegen Motorschadens erst einmal in Guam (Mikronesien). Dann wurde der Luftraum über Hanoi gesperrt, nachdem ein Flugzeug wegen extremer Turbulenzen abgestürzt war. Also flog er nach Ho-Chi-Minh-Stadt (vormals Saigon), von dort bis Da Nang. Die restlichen 800 Kilometer ging es im Auto nach Hanoi. Dort wurde er „lediglich aus Höflichkeit“ empfangen, wie wir vor Ort erfuhren. Keine Chance, niemand war zur Aufnahme der deutschen Terroristen bereit. Das bestärkte Schmidt zusätzlich in seiner Haltung.
Den Eindruck gewinnen zu dem Zeitpunkt auch die Entführer. Zur Erinnerung: Sie planen mit palästinensischen Terrorgenossen generalstabsmäßig die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut LH 181, um ihre Forderung zu verstärken. Am 13. Oktober hebt die Boeing um 13.00 Uhr von Palma de Mallorca Richtung Frankfurt am Main ab. An Bord 82 Passagiere (darunter ein Zuckerkranker ohne Insulin im Handgepäck), fünf Besatzungsmitglieder und im Frachtraum zwei Zinksärge mit Leichen zur Überführung in die Heimat. Unter den Passagieren ein vierköpfiges palästinensisches Terrorkommando. Die beiden Frauen aus dem Terrorquartett zogen aus ihren Kosmetikkoffern und die Männer aus einem Radio zwei Pistolen, vier Handgranaten und Plastiksprengstoff, die sie an den laschen Sicherheitskontrollen vorbeischmuggeln konnten.
Die Terroristen zwingen Pilot Jürgen Schumann (37, verheiratet, zwei Kinder) mit vorgehaltener Waffe zur Landung in Rom, wo der 23-jährige Terrorist Zohair Youssif Akache als Anführer der Bande Auftanken verlangt und den Weiterflug über Zypern und Bahrain nach Dubai. Am 14. Oktober um 4.00 Uhr früh erhält der Genfer Anwalt Denis Payot als Vermittler den Anruf eines Unbekannten, der ihm auf Tonband in Englisch das Ultimatum der Terroristen verliest:
Freilassung der elf namentlich aufgelisteten RAF-Terroristen aus deutschen Gefängnissen und für jeden 100.000 D-Mark in bar.
Freilassung von zwei palästinensischen Terroristen aus türkischem Gefängnis, die im Vorjahr in Istanbul beim Überfall auf eine El-Al-Maschine vier Menschen ermordeten.
Die Zahlung von 15 Millionen Dollar nach einer genauen Anweisung.
Vereinbarung mit „irgendeinem“ der Länder Vietnam, Somalia oder Jemen zur Aufnahme der freigelassenen Gefangenen.
Die deutschen Gefangenen müssen über Istanbul ausgeflogen werden, um dort die beiden Palästinenser aufzunehmen.
Wenn die Forderungen nicht bis zum 16. um 9.00 Uhr erfüllt werden, dann „werden Herr Hanns-Martin Schleyer und alle Passagiere und die Besatzung des Lufthansa-Flugzeuges LH 181 sofort getötet“. „Wenn Sie unsere Anordnung erfüllen, werden alle freigelassen.“
„Wir werden uns nicht noch einmal mit Ihnen in Verbindung setzen. Das ist unser letzter Kontakt zu Ihnen.“
„Jeder Versuch der Verzögerung oder Täuschung von Ihrer Seite bedeutet die Hinrichtung von Herrn Hanns-Martin Schleyer und aller Passagiere und der Mannschaft des Flugzeugs.“
Direkt an den Bundeskanzler gerichtet folgt noch die dreiste Botschaft: „Wir haben Helmut Schmidt jetzt genug Zeit gelassen, um sich in seiner Entscheidung zu winden … nach 40 Tagen Gefangenschaft von Schleyer wird es eine Verlängerung des Ultimatums nicht mehr geben.“
Diese Mitteilungen gehen an Zeitungen in Deutschland und Frankreich. Gleichzeitig schicken die Schleyer-Entführer an die französische Zeitung „France Soir“ ein aktuelles Schleyer-Foto, auf dem man ihm die Strapazen der menschenverachtenden Geiselfolter ansieht.
Der Bundeskanzler berät sich mit Regierungs- und Oppositionsspitzen. Dazu erfahre ich, dass auch 15 Angehörige der Flugzeuggeiseln zu ihm ins Kanzleramt kommen. Der zehnjährige Mike Brod bittet: „Herr Bundeskanzler, ich will meine Mutti wiederhaben.“ Sein Vater: „Alle Interessen sind im Krisenstab vertreten – ich möchte einmal wissen, wer die Interessen der Geiseln vertritt.“ Schmidt versprach: „Wir werden alles tun, um die Geiseln lebend zu befreien.“ Dazu war die deutsche Antiterror-Einheit GSG 9 bereits auf dem Weg, gefolgt von Hans-Jürgen Wischnewski.
Plötzlich kommt die Nachricht, dass Terrorchef Akache Flugkapitän Schumann kaltblütig mit einem Kopfschuss ermordet hat. Da fahre ich in den Schwarzwald zur „Bühler Höhe“, um in dem Nobelhotel Bundespräsident Walter Scheel38 zu befragen. Er will kein Exklusiv-Interview geben, sondern appelliert über das Fernsehen: „Mit der sinnlosen Eskalation von Gewalt und Tod muss Schluss sein. Die ganze Welt, Ost und West, steht gegen Sie. Kehren Sie zurück zu menschlichem Handeln. Dieser Augenblick gibt Ihnen eine letzte Chance.“ Die verstreicht.
An der Hotelbar treffe ich Scheels Leibwächter, die wegen der besonderen Terrorlage von der GSG 9 kommen. Tief deprimiert wiederholen sie mehrfach: „Es ist schlimm, dass wir hier Wache schieben müssen und nicht bei dem ersten großen Einsatz dabei sein dürfen.“ Wie der am 18. Oktober direkt nach Mitternacht unserer Zeit unter dem Kommando von Ulrich Wegener mit seinen 60 Helden in Somalias Hauptstadt Mogadischu innerhalb von gerade mal sieben Minuten erfolgreich ablief, ist in Büchern und Filmen ausgemalt. Die Bilanz: Der Terroranführer und zwei Komplizen sind tot. Die arabische Israelin Suhaila Sayeh aus dem Terrorkommando überlebt, Stewardess Gabi Dillmann (23) aus Frankfurt und ein GSG-9-Polizist werden leicht verletzt. Noch am selben Tag töten sich die deutschen RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in ihren Zellen des Gefängnisses von Stammheim. Am 19. Oktober danken Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Ehefrau Loki, Bundestagspräsident Carl Carstens und 400 Gläubige in der Bonner Kreuzkirche für die glückliche Befreiung der Geiseln und beten zugleich für das Leben von Hanns-Martin Schleyer. Bischof Claas erinnert daran, dass die Schleyer-Entführer dessen Auto mit einem Kinderwagen zum Halten gezwungen hatten: „Was sind das für Menschen, die einen Kinderwagen über die Straße rollen lassen – ein Sinnbild behüteten Lebens?“
Walter Scheel als Bundespräsident
Am selben Tag wird der Leichnam von Hanns-Martin Schleyer in Mülhausen (Elsass) gefunden – von RAF-Terroristen ermordet.
Deutschland dankt Somalias Diktator Siad Barre für die Erlaubnis zum deutschen Einsatz in Mogadischu, sein Botschafter avanciert zum Star auf dem Bonner Parkett, mit Beifall im Bundestag, Sonderbesuch im Kabinett, dem Versprechen neuer Entwicklungshilfe und einem Besuch des Bundespräsidenten. Der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Todenhöfer39, fordert ganz offen, Waffen im Wert von 25 Millionen D-Mark als Dank an Somalia zu liefern. Im Januar 1978 sagt er mir: „Moskau beliefert den somalischen Kriegsgegner Äthiopien massiv mit Waffen. Da können wir Mogadischu nicht länger allein lassen. Die Bundesregierung muss endlich den Mut haben, dem Steuerzahler zu sagen, dass wir dort, wo schwere Gefahren für die Sicherheit unseres Landes und des Westens drohen, unter bestimmten Umständen auch Waffen in Spannungsgebiete liefern.“ Später sollte das im Zusammenhang mit Afghanistan von ihm ganz anders klingen. In Bonn bekommt Botschafter Jusuf Adan Bokah nach der Mogadischu-Befreiung vorsichtshalber einen GSG-9-Mann zur Bewachung.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.