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Kapitel II: Bei der Securitate
Die Verhaftung

Die Pforte ging lautlos auf und ich erkannte zwei auf mich gerichtete Waffenläufe. Dann hörte ich die leise Aufforderung, einzutreten, und den berüchtigten Satz: „Esti arestat!“ (Du bist verhaftet) Ich wurde von rechts und links gepackt und fühlte zwei Waffenläufe in meinem Rücken. Flinke Hände tasteten mich ab und nahmen mir das Fahrrad weg. Danach führte man mich durch den Garten zur linken Ende des Hauses, wo eine Tür unmittelbar in ein Wohnzimmer mündete. Im Haus brannte gedämpftes Licht. Es kam von einer Tischlampe, die zur Straße hin mit einer Zeitung abgeblendet war, das schwache Licht im Zimmer war von der Straße her nicht zu sehen.

Beim Betreten des Raumes erkannte ich mit dem ersten Blick Harry in der linken Ecke der Stube auf einem Stuhl sitzend. Ich grüßte die Anwesenden und fragte, mit wem ich die Ehre hätte. Ein Mann, zivil gekleidet, der bei einem Tisch saß, antwortete: „Wir sind die Securitate.“ Worauf ich bemerkte: „Dann bin ich beruhigt.“ „Wieso?“, fragte er mich. „Ja, sie hätten auch Banditen sein können, so wie sie mich mit ihren Waffen bedroht haben.“ Mit einem verschmitzten Lächeln meinte er: „Iti arde de glume, dar o săţi treacă:“ (Du hast Lust, zu spaßen, aber es wird dir vergehen) Der andere, wahrscheinlich auch ein Offizier, sagte nichts und wies mich in die rechte Ecke des Zimmers, wo ebenfalls ein Stuhl stand. Die Häscher, die mich bis zur Haustür geleitet hatten, verschwanden wieder in der Dunkelheit. Sie hatten Arbeitskleider an, und ich erinnerte mich an die in Overalls gekleideten Arbeiter, die uns vor einer Stunde in der Porumbescu-Straße aufgefallen waren. Ich vermutete, dass es sich auch bei diesen um Leute der Securitate gehandelt hatte, nur deren große Zahl von 20 bis 30 Mann wunderte mich. Nun saßen wir da, Harry und ich, in einem Zimmer, konnten höchstens Blicke tauschen, und auch das ging wegen der stark abgeschirmten Lampe schlecht. Irgendwann fragte mich der eine Offizier nach Fredi. Ich antwortete, dass ich nichts von ihm wüsste und ich eigentlich hergekommen sei, um ihn zu treffen. Ob er mir diese Antwort abnahm oder nicht, war nicht zu erraten, jedenfalls fragte er mich nichts mehr. Natürlich dachte ich an Fredi und hoffte, dass er meine Gefangennahme gesehen und sich aus dem Staub gemacht hatte.

Es mag gegen Mitternacht gewesen sein, als einer der Offiziere den Aufbruch befahl. Uns wurden Handschellen angelegt, man führte uns einzeln aus dem Haus und wir mussten zusammen mit zwei Begleitern und dem Fahrer einen Jeep besteigen. Obwohl ich gefesselt war, hielt während der gesamten Fahrt einer der Offiziere seine Pistole auf mich gerichtet. Wir fuhren in Richtung Stadtmitte. Als wir beim Capitol-Kino in die Loga-Straße einbogen, war klar, dass das Ziel unserer Fahrt der Sitz der Securitate sein musste. Ich kannte den Gebäudekomplex, bestehend aus dem ehemaligen deutschen Konsulatsgebäude und zwei weiteren Villen, darunter die bereits erwähnte Rieger-Villa, welche nunmehr der Staatssicherheit als örtliches Hauptquartier diente. Das gesamte Areal war gleich nach der Inbesitznahme durch die neuen Herren mit einer etwa drei Meter hohen Mauer umgeben worden. Der Wagen hielt vor dem großen Eisentor, welches keinen Einblick in den Hof gewährte. Auf das Hupen unseres Fahrers begann sich das Tor elektrisch gesteuert zu öffnen, während einer meiner Begleiter mir den Kopf hinunterdrückte, damit ich vom Hof nichts erkennen konnte. Trotzdem merkte ich, dass wir in Richtung des ehemaligen Konsulatsgebäudes steuerten, wo der Wagen in einem Raum hielt. Der Kerl, der mich unten hielt, drückte mir eine „Blinde Brille“ – sie hatte statt der Gläser Blechscheiben eingepasst – auf die Augen, bevor ich mich aufrichten durfte. Ich musste aussteigen, und jemand führte mich an der Hand. Wir erreichten eine Stelle, wo mir mein Begleiter sagte: „Pass auf, Treppen“, und ich merkte, dass wir hinunter in einen Keller stiegen. Er führte mich bis zu einer Tür, die er öffnete und mich hineinschob. Dann nahm er mir die Brille ab und er sagte: „Geh aufs WC, dort kannst du auch trinken.“ Er zeigte dabei auf den Wasserhahn nebenan. Ich hatte tatsächlich als Folge des vielen Radfahrens einen gewaltigen Durst. Nachdem ich meine leiblichen Bedürfnisse befriedigt hatte, setzte er mir erneut die Blechbrille auf und führte mich auf einer Treppe bis ins erste Obergeschoss. Dort öffnete er eine Tür und schob mich hinein. Als er mir die Brille abnahm, sagte er: „Genosse Kommandant, hier ist der Chef.“

Ich befand mich in einem größeren Raum, vermutlich dem ehemaligen Empfangsraum des Konsulates. In der Mitte stand ein massiver Schreibtisch, an dem ein etwa 40 Jahre alter massiger Mann saß. Hinter ihm befanden sich im Raum noch weitere acht bis zehn Männer, einige in Zivil, andere in Uniform. Wegen der speziellen Beleuchtung – ich wurde von zwei Tischlampen geblendet – konnte ich das „Empfangskomitee“ nur schlecht sehen, alle Personen saßen für mich im Halbdunkel. Vermutlich war es der „Boss“, der meinte: „Schaut ihn an, wie ein Panzer.“ Er meinte damit wohl mein Aussehen, denn ich war damals ein durchtrainierter Zehnkämpfer. Als ich auf seine Frage antwortete, dass ich ein Leichtathlet sei, meinte er: „Schade, ich dachte, du wärst Boxer und wir könnten ein Match gegeneinander austragen.“ Ich zog es vor, auf diese höhnische Bemerkung nicht zu antworten.

Es folgten Fragen über persönliche Daten, beginnend mit Namen, Alter, Schulbildung, dabei wurde vom „Boss“ besonders thematisiert, dass ich sieben Jahre lang Schüler der Banatia, einer deutschen Schule, war, und er klagte, welch schlimme Elemente aus dieser Schule kämen. Dann wurde ich über meine Eltern befragt und ich beteuerte, dass sie von meinen politischen Tätigkeiten keine Ahnung hatten. Ferner interessierten ihn unser Vermögensverhältnisse und mögliche Beziehungen zum Ausland. Ich erteilte ihm die nötige Auskunft, verschwieg jedoch meinen Onkel Fritz, Bruder meines Vaters, der schon Mitte der Zwanzigerjahre nach Argentinien ausgewandert war. Er stand in regelmäßigem Briefverkehr mit meiner Großmutter, und ich hoffte, dass zumindest diese Beziehung von der Securitate nicht erkannt werden würde, um meinem Vater überflüssige Befragungen zu ersparen. Es folgten weitere unzählige Fragen über die Sportschule, die dortigen Lehrer und die Schüler. Ob ich eine Freundin in der Schule oder sonst wo hätte, wollte man ebenfalls wissen. Die Fragen prasselten ununterbrochen auf mich ein, und ich bemühte mich, ruhig zu scheinen und nur überlegte Antworten zu geben. Wenn ich auf eine Frage allerdings nicht schnell antwortete, wurde ich auf ordinärste Weise aus dem reichen Wortschatz der rumänischen Sprache beschimpft. Es hagelte Drohungen und man stellte mir in Aussicht, erschlagen, erschossen oder gehängt zu werden. Mit zunehmender Dauer schalteten sich weitere der anwesenden Personen in die Befragung ein, die ebenso wenig an Kraftausdrücken sparten. Als ich bei einer Antwort vermeintlich zu lange zögerte, sprang ein junger Kerl, auch zivil gekleidet, hinter mich und begann, mich mit einer großen Pistole an Nacken und Kopf zu stoßen und zu schlagen. Unter ordinärsten Beschimpfungen drohte er, mir „das Hirn aus dem Kopf zu blasen“.

Seine Schläge und Stöße gegen den Kopf waren eigentlich nicht schlimm, denn er achtete offenbar darauf, mich nicht ernstlich zu verletzen, und schlug nur mit der Seite der Waffe zu, die Nackenstöße hingegen waren ziemlich heftig. Zur Abwechslung spannte er ab und zu die Waffe, als ob er sie laden wollte, drückte sie mir in den Nacken oder an die Schläfe und zog sie ab. Mir war klar, dass man mit dieser Behandlung bezweckte, mich zu verwirren und zu ungewollten Aussagen zu bringen, und genau das trachtete ich unbedingt zu vermeiden, wenngleich auch die Stöße und das metallische Geräusch mir zugegebenermaßen erheblich zusetzten. Die Folge war, dass ich meine Antworten noch weiter verzögerte, was dem „Boss“ nicht gefiel und ihn endlich veranlasste, den „Pistolero“ zurückzupfeifen. Aber die Fragen prasselten weiter auf mich ein: Wer meine Freunde in und außerhalb der Schule seien? Wer zur Organisation gehöre? Anfangs wollte ich von einer Organisation noch nichts wissen, wurde jedoch bald eines Besseren belehrt. Während immer neue Fragen gestellt oder bereits gestellte Fragen wiederholt wurden, kamen regelmäßig irgendwelche Kerle in den Raum und legten dem „Boss“ Zettel vor.

Irgendwann sagte er: „Es ist klar, du bist der Chef. Wer gehört noch zur Organisation und von wem bekamst du die Befehle?“ Was Freunde betraf, trachtete ich, solche zu nennen, die mir im Sport nahestanden, mit denen ich aber keine politischen Beziehungen hatte, und bemühte mich insbesondere, die Beziehungen zu Deutschen herunter zu spielen. Der Versuch, irgendwie als Einzelgänger zu erscheinen, gelang mir freilich nur bedingt, denn meine Vernehmer hatten Listen, auf denen anscheinend sehr viele Personen vermerkt waren. Mir fiel auf, dass viele dieser Personen nur mit dem Vornamen erfasst waren. Unter den vollständig bezeichneten Personen waren alle Lehrkräfte der Sportschule, wie etwa Professor Cornel Iovănescu, Dr. Catina, der Schularzt, oder die Professoren Eilhardt, Bejan und Lache. Von Letzterem wusste ich sehr wohl, dass er politisch „belastet“ war, weswegen er den Sportklub des Innenministeriums „Dinamo“ hatte verlassen müssen, unter anderem weil er mit einer deutschen Frau, noch dazu der Nichte des inhaftierten katholischen Bischofs Augustin Pacha, verheiratet war. Als man mich über all diese Lehrkräfte befragte, wunderte es mich sehr, dass die Professoren Parsch und Höckl, ebenfalls Deutsche, nicht erwähnt wurden. Speziell bei Höckl meinte ich zu wissen, dass er als politisch belastet galt. Jedenfalls war ich über das Ausmaß der Untersuchungen in unserem Fall überrascht. Meiner Schätzung nach waren mehrere Stunden vergangen, und noch immer führte der „Boss“ das Verhör. Wie ich später von ihm persönlich erfuhr, war er der berüchtigte Securitate-Offizier Aurel Moiş.

Anhand der Namenslisten kamen dann meine Schulkollegen und -kolleginnen an die Reihe. Dann kam die Frage aller Fragen: „Gibst du zu, dass du der Chef einer geheimen staatsfeindlichen Organisation bist?“ Ich versuchte zu verharmlosen, er aber schnitt mir das Wort ab und brüllte mich an: „Du bist der Führer („Führer“ sprach er deutsch aus) von Verbrechern, Feinden des sozialistischen Rumänien. Du hast deinen Leuten befohlen, auf unsere Organe zu schießen. Einer unserer Offiziere ist von dem Banditen Jasberenyi beschossen und schwer verwundet worden. Das war auf deinen Befehl, und wenn unser Mann stirbt, so wirst auch du zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.“ Ich muss gestehen, dass ich für den Moment perplex war und nichts zu erwidern wusste. Moiş setzte fort: „Gibst du zu, dass du Jasberenyi den Schießbefehl gegeben hast?“ Ich verneinte, dass ich jemandem einen ausdrücklichen Schießbefehl erteilt hätte. Darauf sagte er nichts, fragte aber weiter: „Wer hat dir befohlen, eine Organisation aufzubauen und Aktionen durchzuführen?“ Ich bestritt, jemals von irgendjemandem Befehle erhalten zu haben, was er mir vorläufig nicht recht zu glauben schien.

Fragen und Drohungen kamen am laufenden Band, darunter auch Fragen nach mir unbekannten Personen oder solchen, die ich nicht kennen wollte. „Bist du dir dessen bewusst, ein schweres Verbrechen begangen zu haben? Bist du dir bewusst, nur dann eine Überlebenschance zu haben, wenn du jetzt kooperierst und alle nennst, die in deiner Bande mitgemacht haben? Beginnen wir mit Jasberenyi. Gestehe, dass du ihn zum Flugblätterverteilen mit einer Pistole bewaffnet losgeschickt hast. Jetzt ist er jedenfalls schwer verwundet, und ob er am Leben bleibt, ist unklar. Wenn ja, dann wird er für immer ein Krüppel bleiben.“ Ich gab zu, Andreas Flugblätter und eine Pistole ausgehändigt zu haben, bestritt aber, ihm einen Befehl zum Schießen gegeben zu haben.

Nun wusste ich zumindest, dass es offenbar eine Schießerei gegeben hatte, bei welcher Andreas und ein Securitate-Offizier verwundet worden waren. Als ich Moiş meinerseits nach den näheren Umständen von Andreas’ Verhaftung fragte, sagte er nur: „Das wirst du noch erfahren.“ Übrigens gab ich zu, dass die bei Andreas gefundene Pistole mir gehörte, obwohl ich fälschlicherweise dachte, der illegale Waffenbesitz würde als besonders schwerwiegendes Verbrechen gewertet werden. Wie sich jedoch später anhand unseres umfangreichen „Sündenregisters“ herausstellte, wurden wegen des Waffenbesitzes die kleinsten Strafen verhängt. Um eine Zeit ging Moiş hinaus und an seiner Stelle führte ein anderer zivil gekleideter Offizier meine Vernehmung fort. Da ich sehr müde war, fiel es mir immer schwerer, prompt und glaubwürdig auf seine Fragen zu antworten. Wen wundert es: Die Nacht nach unserer Aktion hatte ich auch aus Sorge um Andreas kaum geschlafen, und die folgende Nacht draußen an der Temesch mit unzureichender Kleidung und einer sehr dünnen Decke war auch nicht besser. Dazu kamen die etwa 100 Kilometer, die wir in diesen zwei Tagen auf Fahrrädern zurückgelegt hatten. Nunmehr in der dritten Nacht ohne richtigen Schlaf, aber stattdessen mit dem pausenlosen Verhör, war ich nahe daran, vom Stuhl zu fallen.

Man gab mir zu trinken und spritzte mich mit Wasser ab. Dann kam Moiş zurück und brüllte, ich solle gestehen, dass alle Deutschen aus unserer und der dritten Klasse Mitglieder meiner „Bande“ seien. Ich zögerte noch, um Zeit zu gewinnen, während er weiterbrüllte: „Gib zu, dass außer Jasberenyi auch Brössner, Mildt, Prack, Hochstrasser und Bayer dabei waren.“ Die Namen Szilagyi, Stein, Zirkl und Winkler fielen noch nicht, aber auch das sollte sich bald ändern. Aufgrund eines der vielen Zettel, die man Moiş nach und nach vorlegte, schrie er mich aufs Neue an: „Warum gibst du nicht zu, dass auch Stein und Zirkl dabei waren?“ Eben dieses hatte ich kurz vorher noch verneint, aber meine Vernehmer waren nicht so leicht hinters Licht zu führen und befragten mich besonders intensiv über weitere Klassenkollegen deutscher Nationalität, wie etwa Eugen Warga, Feri Krassl oder Ladislaus Willems. Bezüglich der Letzteren schien es mir kurzfristig gelungen zu sein, die Vernehmer von deren Unschuld überzeugt zu haben, doch ich sollte mich irren: Ein Leutnant betrat den Raum und flüsterte Moiş etwas ins Ohr, worauf dieser sofort mit ihm den Raum verließ. Ein anderer Vernehmer begann, mir belanglose Fragen zu stellen, möglicherweise mit der Absicht, mich zu beschäftigen und mir das Nachdenken zu erschweren.

Moiş kam bald wieder und überschüttete mich schon beim Betreten des Raumes mit den übelsten Schimpfwörtern. Seine Sätze strotzten von Genitalien, Müttern und was es sonst noch im reichen Fundus des gemeinsten rumänischen Wortschatzes gibt. „Verlogenes Schwein“ war noch das Harmloseste, was ich zu hören bekam. „Jetzt wissen wir genau, dass auch Jakob Stein und Egon Zirkl zu deiner Bande gehören. Du verdienst nicht die Kugel, die du bekommen wirst. Ich werde verlangen, dass du gehängt wirst.“ Damals wusste ich noch nicht, wer von uns schon verhaftet war. Erst viel später erfuhr ich, dass der erste, der nach Andreas festgenommen wurde, Dietmar Brössner war, und dass bei dieser Verhaftung wie auch bei der Festnahme von Andreas Viktor Alexandrescu, genannt „Purschi“, dabei war. Während die Fragen ununterbrochen auf mich hereinprasselten, griff Moiş zu den mir abgenommenen Sachen, die unweit von ihm auf dem Tisch lagen. Ich hatte nahezu 500 Lei in meiner Brieftasche, ebenso meinen Sportausweis und die Anglererlaubnis. Meinen Personalausweis hatte man mir bei der Verhaftung abgenommen. Außerdem waren da noch ein Taschenmesser und mein Taschenspiegel. Er nahm den Spiegel in die Hand, hob ihn hoch und verkündete: „Hier befindet sich das größte Geheimnis dieses Banditen. Hier drinnen stecken die Geheimdokumente des Verbrechers.“ Es wurde ganz still, alle – auch ich – schauten voller Spannung auf seine erhobene Hand. Sichtlich ungeduldig wandte er sich an seine nächsten Nachbarn. „Gebt mir ein Messer!“ Dienstbeflissen sprang ein junger Offizier zu ihm und reichte ihm mein geöffnetes Taschenmesser. Moiş griff zu und machte sich daran, die Rückseite des Spiegels, eine weiche, mit Tuch überzogene Füllung, aufzuschneiden, da seine blühende Kriminalisten-Fantasie ihn verborgene Geheimdokumente hinter dem Spiegel vermuten ließ.

Mit Übereifer stach er in den Überzug, das Messer glitt ab und er schnitt sich tief hinein, quer über die ganze Handfläche. Während er das Messer fallen ließ und über Gott und die Welt zu fluchen begann, sprangen seine Mitarbeiter entsetzt herbei, jemand schrie nach einem Sanitäter, ein anderer nach einem Arzt. Gestützt von seinen Helfern verließ Moiş das Zimmer und kehrte erst nach einer Viertelstunde zurück, sichtlich bemüht, einen gefassten und heroischen Eindruck zu machen. In der Zwischenzeit hatten andere Neugierige den Spiegel untersucht, unter dem Tuchüberzug aber lediglich einige Lagen Krepppapier gefunden, sonst nichts. Zumindest gab Moiş es jetzt auf und sagte: „Jetzt ist Schluss, bringt ihn in eine Zelle, und morgen sprechen wir weiter.“ Dieses „morgen“ war freilich etwas unklar, denn es war ja schon längst der nächste Tag, der 14. September, angebrochen. Zum Abschied verpasste er mir noch einen mächtigen Fußtritt in meinen linken Oberschenkel, den ich noch lange spüren sollte.

Es war bestimmt schon 3 oder 4 Uhr morgens, als ich mit der Blechbrille auf den Augen in den Keller des gleichen Hauses geführt wurde. Nach dem man mir die Brille abgenommen hatte, fand ich mich in einer Zelle von etwa vier Meter Länge und zwei Meter Breite wieder. Ein kleines stark vergittertes Fenster mit Milchglas spendete zwar Licht, aber keine Luft. In der Zelle standen zwei Betten, jedes mit Strohsack, Decke und Kissen ausgestattet – sonst nichts. Ich legte mich sofort nieder, denn ich fühlte mich wie gerädert und war unendlich müde, fand vorerst jedoch noch keinen Schlaf. Ich war zu aufgewühlt, tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Die Frage war: Wie konnte es sein, dass die Securitate schon so viel über unsere Organisation wusste? Gab es Verrat? Es war nicht auszuschließen.

Egon und Jakob

In Bezug auf Egon und auch Jakob etwa habe ich mich gründlich geirrt, denn beide standen bereits auf der Liste der Geheimpolizei, als ich noch hoffte, sie aufgrund ihrer schon länger währenden Abwesenheit von Temeschburg heraushalten zu können. Sie waren nämlich zum Antritt ihrer Tätigkeit als Turnlehrer schon nach Cugir beziehungsweise nach Carei – beides Orte in Siebenbürgen – abgereist. Dort wurden sie jedoch nicht gleich verhaftet, sondern standen zehn bis zwölf Tage unter Beobachtung, vermutlich weil man sehen wollte, ob sie an ihren neuen Standorten ihre geheimen politischen Aktivitäten fortsetzen. Im Nachhinein erinnerte sich Jakob, wie man ihn etwa eine Woche vor seiner Verhaftung in die Kanzlei der Schule rief, wo er von zwei jungen Männern erwartet wurde, die seine Meinung über die Erziehung „im sozialistischen Sinne“ an der Schule hören wollten. Er erklärte damals, dass er erst seit zu kurzer Zeit an dieser Schule wäre, um über eine so wichtige Angelegenheit eine kompetente Meinung äußern zu können. Das ganze Auftreten der beiden „Inspektoren“ ebenso wie ihre jugendliche Erscheinung machte ihn stutzig, ohne dass er sich jedoch einen Reim auf ihre Absichten hätte machen können. Auch bei einem Schülerball, veranstaltet einige Tage nach dem seltsamen Besuch, fielen ihm mehrere Typen auf, über die er später erfuhr, dass sie sich nach den neuen Lehrkräften der Schule erkundigt hätten.

Weder Jakob noch Egon wussten zu diesem Zeitpunkt etwas von unserer Verhaftung, und erst nachdem am 24. September unsere ehemalige Schulkollegin Martha Bozoki ebenfalls in Carei ankam, erfuhr Jakob von unserer Festnahme und auch, dass Andreas schwer verwundet in einem Krankenhaus lag. In Temeschburg war das Gerücht in Umlauf, dass es bei unserer Verhaftung einen Kampf mit Toten und Verletzten gegeben habe. Martha berichtete auch von zahlreichen Verhaftungen und Vernehmungen von Schülern und Professoren, die es in diesem Zusammenhang gegeben hatte. Als Jakob dies hörte, war ihm sofort klar, dass auch ihm größte Gefahr drohte, und er packte noch am gleichen Abend seinen Rucksack mit dem Notwendigsten, um am kommenden Tag Carei in Richtung der ungarischen Grenze zu verlassen und die Flucht in den Westen zu versuchen. Er kam aber nicht mehr dazu, denn noch in der gleichen Nacht wurde er verhaftet. Es konnte nie geklärt werden, ob die Verhaftung kurz nach der Ankunft Marthas reiner Zufall war oder ob sie missbraucht wurde, um Jakobs Reaktion auf die überbrachten Nachrichten zu prüfen. Zur selben Zeit wurde auch Egon Zirkl in Cugir festgesetzt, was wir ebenfalls erst erfuhren, als wir alle zusammen in der Haftanstalt in Temeschburg waren.

In meiner Zelle bei der Securitate hatte mich irgendwann meine unsägliche Müdigkeit doch übermannt und in einen unruhigen Schlaf sinken lassen, aus dem ich erst erwachte, als der Riegel der Tür geräuschvoll zurückgeschlagen wurde und ein bulliger Feldwebel erschien. Er reichte mir ein Kännchen Muckefuck und befahl mir, mein Bett zu machen, also die Decke über das Bett zu breiten. Nach zehn Minuten kam er wieder, verpasste mir die Blechbrille und führte mich etwa zehn Schritt weit in einen Raum mit Wasserhahn und einem sogenannten türkischen WC. Nachdem ich fertig war, ging es – wieder mit Brille – zurück in die Zelle.

Etwa um 10 Uhr kam der Feldwebel wieder und führte mich durch den Vorraum in einen zweiten, von wo es dann vier bis fünf Treppen hinunterging. Es folgte ein ziemlich enger Tunnel, der weniger als einen Meter breit, aber mindestens 15 Meter lang war, und am Ende waren wieder vier bis fünf Treppen, die nach oben führten. Dieser war einer jener drei Tunnel, die schon 1948 gebaut wurden, das heißt im ersten Jahr der Inbesitznahme der drei Villen, die gemeinsam den Gebäudekomplex der Securitate bildeten sollten. Als Schüler der gegenüberliegenden Schule hatte Herbert Winkler schon im Sommer 1948 aus seinem Klassenzimmer im zweiten Obergeschoss die Bauarbeiten im Hof der Geheimpolizei, die ansonsten wegen des schon hochgezogenen gemauerten Zaunes von der Straße nicht sichtbar waren, genau verfolgen können, ohne zu ahnen, dass nur drei Jahre später auch er durch diese unterirdischen Gänge geführt werden sollte. Ich vermutete, dass sich meine Zelle im Keller des gewesenen deutschen Konsulats befand und dass ich jetzt im Keller der Villa Rieger angelangt war. In dem mir seit dem Herbst 1945 bekannten Treppenhaus erkannte ich die abgenutzten Stufen trotz der Blechbrille.

Im ersten Stock wurde eine Tür geöffnet, und mein Begleiter, der bullige Feldwebel, schob mich in einen Raum. Als man mir die Brille abnahm, stand ich in einem länglichen Zimmer, dessen verhangene Fenster in Richtung Konsulatsgebäude zeigten. Hier wartete ein Offizier in Uniform, ein Oberleutnant. Zu meiner Überraschung stellte er sich als Ernst Deitel vor und sagte: „Ich bin der Chef-Vernehmer und werde euren Fall untersuchen.“ Ich bekam einen Bogen Papier, Feder und Tinte. Dann begann er zu fragen, und ich musste antworten und die Antwort sogleich niederschreiben. Bei der Formulierung meiner Antworten ergaben sich oft Probleme, denn er beanstandete deren Form und ich merkte, dass er versuchte, meine Formulierungen zu unseren Ungunsten zu ändern. Das wollte ich nicht akzeptieren, was zu Streit und seinerseits zu Drohungen führte, ohne dass er sich jedoch solch ordinärer Schimpfworte bediente wie vor ihm Moiş. Um eine Zeit kam ein weiterer Offizier herein, den ich noch nicht kannte, setzte sich auf einen Stuhl und hörte vorerst zu. Als ihn Deitel anredete, erfuhr ich, dass er Neda hieß. Erst sehr viel später, 1975, erfuhr ich seinen Vornamen, Octavian, und dass er aus der Gegend von Oraviţa im Banat stammte.

Zusätzlich zu den schon in der Nacht beim Verhör genannten Kameraden kamen noch Edi und Herbert dazu. Ich weiß nicht mehr, wie die Rede auf die beiden kam, jedenfalls wusste die Securitate bereits, dass sie zur Organisation gehörten, und ich gab zu, dass Edi mit Harry gemeinsam Flugblätter verteilt, und auch, dass ich Herbert kleinere Aufträge erteilt hatte. Ich war entschlossen, so weit als möglich keine weiteren Personen – Mitglieder wie auch Mitwisser – preiszugeben. Insbesondere dachte ich dabei an Leute wie Edda Konrad, Eugen Warga, Walter Heinrich, Albert Milles und weitere Freunde und Bekannte, die, wenn schon nicht Mitglieder, doch Förderer unserer Organisation waren. Ebenso Hans Portscheller, ein Freund und Landsmann Jakobs und, ohne es zu wissen, Aufnahmekandidat der Organisation. Durch seine Teilnahme an der Aktion gegen den russischen Militärklub am Begaufer hatte er seine „Eintrittsprüfung“ bestanden, war jedoch schon vor unserer Verhaftung in den Bărăgan verschleppt worden.

Personen, mit denen ich im Interesse der Organisation allein Kontakt hatte, bereiteten mir weniger Sorgen. So zum Beispiel der Schwager von Franzi Bayer, der mein wichtigster theoretischer Ausbilder in Sachen Taktik war, dann Ernst Höhr oder Andreas Berta. Von Letzterem wusste nur Harry, daher machte ich mir seinetwegen keine großen Sorgen. Jahre später nach meiner Heimkehr aus der Haft bedankte er sich ausdrücklich dafür, dass ich seinerzeit „dichtgehalten“ hatte, und half mir auch materiell. Schade, dass er den Sturz des Ceauşescu-Regimes nicht mehr erleben durfte.

Nach Edda Konrad wurde ich zu meiner Beruhigung nicht einmal gefragt, machte mir jedoch noch längere Zeit Sorgen, dass seine Mitgliedschaft nachträglich auffliegen könnte. Nach der Haftentlassung erfuhren wir jedoch, dass Edda inzwischen ein Studium beendet und eine erfolgreiche politische Karriere unter den Kommunisten eingeschlagen hatte, die ihm letztendlich das Amt eines Vizebürgermeisters von Temeschburg bescherte.

An diesem ersten Tag dauerte meine Vernehmung bis gegen Mittag, wonach ich in meine Zelle geführt wurde und zu essen bekam. Im Allgemeinen war das Essen bei der Securitate in Temeschburg nicht gerade schlecht, aber für meinen Hunger doch zu wenig. Nach der Mittagspause wurde ich erneut in das gleiche Zimmer zu Deitel geführt. Ich musste immer wieder Fragen beantworten. Dabei wurden mir die gleichen Fragen in verschiedener Folge gestellt. Als noch unerfahrener Untersuchungshäftling reagierte ich auf wiederholte Fragen mit der Bemerkung: „Das habe ich doch schon gesagt.“ Worauf Deitel nur antwortete: „Dann sag es noch einmal.“ Allmählich gelang es mir, mich zu beherrschen, und ich trachtete, meine Antworten kurz und einfach zu formulieren, um sie mir zu merken, wissend, dass man mir die gleichen Fragen über kurz oder lang wieder stellen würde. Ich erkannte, dass, wenn es mir nicht gelang, auf die gleiche Frage die gleiche Antwort zu geben, der Vernehmer sofort hellhörig wurde, denn er hatte ja meine früheren Antworten schwarz auf weiß vor sich. So konnte eine ungenaue Antwort beim Vernehmer neue Vermutungen wecken, und es folgten unweigerlich neue bohrende Fragen. Dazu versuchten alle Vernehmer, die mich im Laufe der folgenden Wochen und Monaten immer wieder verhörten, durch Querfragen zu verwirren, um mich zu ungewollten Geständnissen zu verleiten. Nach längeren Verhören hieß es dann plötzlich: „So, jetzt ist Schluss mit dem Verhör, jetzt sprechen wir von Mensch zu Mensch.“ Und Deitel war reich an Vorschlägen. Da kam allerlei ins Gespräch, Sport natürlich, meine Erfolge bei Wettkämpfen, wobei er nicht an Vorwürfen sparte, etwa dass ich meine Zukunft durch die begangenen „Dummheiten“ verdorben hätte, statt mich auf das Lernen und den Sport zu konzentrieren. Einmal ging es um Literatur und er fragte mich, was ich so gelesen hätte. Dazu bemerkte er, dass wir daheim viele Bücher hätten, und wollte wissen, wer die angeschafft habe und ob ich sie alle gelesen hätte. Ich sagte ihm, dass unsere Büchersammlung zum Teil noch von meinem Großvater stammte, dass aber mein Vater und auch ich schon vieles gekauft hätten. Ich vermutete hinter der ganzen Fragerei den Versuch, meine Kenntnisse und Fähigkeiten genauer einzuschätzen, um meine „Gefährlichkeit“ ermitteln zu können. Ich wurde deshalb mit zunehmender Dauer der Gespräche vorsichtiger und hielt mich mit persönlichen Meinungen zurück.

Wissen wollte Deitel auch, warum ich mich früher so viel in der Umgebung der Securitate herumgetrieben hätte, was ich erst verneinte, bis er klarstellte, es gehe um meine regelmäßigen Besuche im gegenüberliegenden Haus in der Beethoven-Straße 5. Ich gab zu, dass ich dort oft bei Familie Winkler war, und stellte beruhigt fest, dass er sich mit dieser Auskunft zufriedengab. Ich fürchtete nämlich, dass es nun mit Fragen in Bezug auf die Familie des Obersten a. D. Galgotzi losgehen würde, die ebenfalls im selben Haus wohnte, die ich gut kannte und die ich einmal in einer dramatischen Lage unter großem eigenen Risiko unterstützt hatte. Aber Gott sei Dank fragte er mich nicht nach dieser Familie. Als ich am Spätnachmittag endlich in meine Zelle entlassen wurde, war ich ziemlich fertig. Die viele Stunden dauernden Verhöre, bei denen ich sehr angespannt war, immer darauf konzentriert, Fehler unbedingt zu vermeiden, die möglicherweise zu weiteren Verhaftungen führen und auch meine eigene Lage verschlimmern könnten, nahmen mich erheblich mit. Deitel verzichtete zwar auf Drohungen der Art, wie sie bei Moiş schon in den ersten Vernehmungen üblich waren („Dein Schießbefehl gegen unsere Leute und deine Schuld an der schweren Verletzung eines unserer Offiziere machen dich reif für eine Kugel, oder noch besser für den Strick.“), aber sein Stellvertreter Leutnant Neda, der nach und nach meine Vernehmung übernahm, drohte dafür umso mehr. Er sagte, er würde meine Hinrichtung zwar nicht befürworten, könne sie aber auch nicht ausschließen.

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