Kitabı oku: «13 Jahre», sayfa 4

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Die Deportation in die Bărăgan-Steppe

Am 18. Juni 1951 zeigte das kommunistische Regime in Rumänien wieder einmal sein unmenschliches Gesicht – es begann die Deportation in den Bărăgan. Wir Stadtbewohner, die nicht unmittelbar betroffen waren, wussten zuerst nichts Genaues. Das erste, das man erfuhr, war, dass Leute aus diversen Banater Ortschaften in entfernte Gebiete im Osten des Landes umgesiedelt wurden. Einzelheiten der Deportation – etwa die Namen der betroffenen Dörfer – wurden nur allmählich bekannt. Diese lagen ausnahmslos innerhalb eines etwa 30 Kilometer breiten Streifens entlang der jugoslawischen Grenze.

Von den Angehörigen unserer Organisation war Jakob Stein – wenn auch nur indirekt – betroffen, da seine Eltern und weitere Verwandte aus der Gemeinde Tolvădia, die unmittelbar an der Grenze lag, verschleppt wurden. Er selbst entkam dadurch, dass er als Schüler in der Stadt wohnte. Sein Vetter Portscheller, der Kandidat der Organisation war, hatte weniger Glück. Er wohnte zwar als Schüler ebenfalls in der Stadt, war aber gerade zu Besuch daheim und wurde daher auch mitverschleppt. Genaue Einzelheiten erfuhren wir erst Ende August durch Jakob, der einige Tage zu Besuch im Bărăgan bei seinen Eltern war. Nach seiner geglückten Rückkehr – für illegale Besuche dieser Art war eine Haftstrafe vorgesehen – berichtete er uns von der fürchterlichen Lage, in welche die Verschleppten unschuldig geraten waren. Er hatte bei seiner Rückkehr auch seinen acht Jahre alten Vetter, der wegen der katastrophalen hygienischen Bedingungen, unter welchen die Deportierten litten, schwer erkrankt war und in Lebensgefahr schwebte, illegal aus der Zwangsaufenthaltszone mitgebracht. Bei seiner abenteuerlichen Rückreise musste er mit dem Jungen unter anderem Wasserarme in den Donauauen schwimmend durchqueren. Wir waren über das Gehörte hell empört und kamen zu dem Schluss, dass es Zeit sei, nun „richtig“ etwas gegen das verbrecherische Regime zu unternehmen.

Gleichzeitig verbreitete sich noch das Gerücht über eine weitere geplante Deportation, voraussichtlich im Herbst desselben Jahres. So beschlossen wir, als Protest eine Flugblattaktion zu starten. Zur Verfügung hatten wir ein primitives Stempeldruckset, eher ein Spiel- denn ein Werkzeug. Es bestand aus Rahmen, in welche bewegliche Buchstaben aus Gummi gesteckt werden konnten. Die Texte – sie sollten kurz und markig sein – waren in rumänischer Sprache verfasst, denn wir wollten ja die ganze Bevölkerung ansprechen.

Um Fingerabdrücke zu vermeiden, kauften wir neues verpacktes Papier, welches wir bei allen Operationen nur mit Handschuhen berührten. Die ganze vorbereitende Arbeit vom Verfassen der Texte über das Setzen und bis zum Drucken führte Fredi zusammen mit Emmerich, Herbert und Dietmar durch. Dabei war auch Edda Konrad, ein Freund und langjähriger Bekannter Fredis. Fredi, der vollstes Vertrauen zu Edda hatte, bestand darauf, ihn sofort, also ohne das langwierige Prüfungsverfahren, in die Organisation aufzunehmen. Ich hatte wegen der unbegründeten Hast erhebliche Bedenken und ebenso Harry, als er später hiervon erfuhr. Grundsätzlich bedauere ich noch heute mein damaliges Nachgeben, wenngleich es nicht erwiesen ist, dass dieses für uns tatsächlich schlimme Folgen gehabt hat. Jedenfalls waren bis zum September die geplanten 1200 Blätter fertiggestellt. Die Verteilung der Flugblätter – der „scharfe Einsatz“ – war für den 11. September 1951 vorgesehen. Dazu waren vier Einsatzgruppen bzw. -orte vereinbart worden, und zwar:

•Gruppe 1: MILDT u. SZILAGYI, II. Stadtbezirk,

•Gruppe 2: PRACK u. RESCH, III. Stadtbezirk,

•Gruppe 3: JASZBERENYI u. BRÖSSNER, III. Stadtbezirk und

•Gruppe 4: BAYER u. HOCHSTRASSER, IV. Stadtbezirk.

Der 11. September 1951

Gegen 20 Uhr traf ich wie besprochen Fredi und Andreas gleich nach der Bischofsbrücke an der Ecke der Begazeile. Andreas hätte zusammen mit Dietmar kommen sollen, teilte uns jedoch mit, dass Dietmar aus irgendeinem familiären Grund seine Teilnahme an der Aktion absagen müsse, was er sehr bedauere. Spontan schlug ich vor, Andreas solle mit uns gehen. Er wollte jedoch nicht und erklärte sich vielmehr bereit, alle für Dietmar vorgesehenen Flugblätter zu übernehmen und allein zu verteilen, so als ob er wie zur Entschuldigung Dietmars Absage hätte wiedergutmachen wollen. Fredi und ich übergaben ihm nur einen Teil der für Dietmar vorgesehenen Blätter, und ich überließ ihm noch zu seinem persönlichen Schutz meine Frommer-Baby. Er kannte die Waffe, denn er hatte mit ihr bei Übungen geschossen. Ich hatte gleichzeitig Franzis FN bei mir, während Franzi mit seiner Sauer & Sohn gut gerüstet war. Ich hatte ein höchst ungutes Gefühl, als wir Andreas allein ziehen ließen, er jedoch war die Heiterkeit in Person und lachte uns unserer Bedenken wegen nur aus. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Fredi ihn mit den Worten „Andreas, zeige keinen Übermut, was wir tun, kann sehr gefährlich werden“ verabschiedete.

Das Einsatzgebiet der Gruppe 1, Harry u. Edi, war ganz gezielt in den Osten der Stadt in das Arbeiterviertel östlich der Stefan-cel-Mare-Straße gelegt worden. Gruppe 2, Fredi und ich, hatte als Einsatzgebiet die Zone westlich der Mihai-Viteazul-Straße, Gruppe 3, die nur noch aus Andreas bestand, sollte im Süden der Elisabethstadt die Flugblätter verteilen. Gruppe 4, bestehend aus Emmerich und Franzi, operierte im Südwesten der Josefstadt. Wir hatten hauptsächlich Stadtteile im Visier, die von Bürgern der Mittelschicht bewohnt waren. Bereiche wie die innere Stadt und die unmittelbaren Stadtteilzentren waren vom Einsatz ausgespart, denn es wäre zu gewagt gewesen, die stark beleuchteten Straßen der Zentren mit Flugblättern zu versorgen. In den zumeist weniger gut beleuchteten Außenbezirken hingegen war es viel leichter, den Leuten die Flugblätter direkt in die Briefkästen zu werfen, und dort bot sich auch im Falle einer Gefahr eher die Gelegenheit, zu verschwinden. Andreas entfernte sich in Richtung Lahovari-Platz, Fredi und ich wandten uns auf Höhe des Polytechnikums in Richtung Kreuzplatz und später mehr nach Süden. Mit Fredi durchstreifte ich Straße um Straße nach dem gleichen Muster, und zwar ging er immer auf der rechten Seite, etwa 20 Meter vor mir, mehr auf die Umgebung vor sich achtend, während ich, nach links versetzt, die schon durchstreifte Straße im Auge behielt. Es gelang uns, fast überall unsere Blätter in die Briefkästen zu werfen, und wir hatten die Arbeit bereits kurz nach 22 Uhr erledigt. Es war beschlossen worden, dass nach dem Einsatz ein Mann aus jeder Gruppe zur Berichterstattung auf die Lloyd-Zeile gehen sollte. Dort, in der ganzen Zone zwischen Oper und Kathedrale, flanierten an den Sommerabenden viele Leute, darunter sehr viele Studenten, also schien es uns ein guter, unauffälliger Treffpunkt zu sein.

Weil Fredi und ich wegen des Alleingangs von Andreas immer noch beunruhigt waren, kam auch Fredi zum Treffen ins Zentrum mit. Wir hatten den kürzesten Weg, kamen als erste an und stellten uns bei der Uhr in der Mitte des Platzes auf. Bald kam auch Emmerich gut gelaunt, denn bei ihnen hatte ebenfalls alles geklappt, an. Er erfuhr erst jetzt von uns, dass Andreas allein im Einsatz war, machte sich aber vorerst noch keine Sorgen. Er meinte aber, er habe den Eindruck, dass in der letzten Stunde mehr Pkw als sonst in den Straßen der Stadt umherfuhren. Tatsächlich waren auch Fredi und mir zwei oder drei sehr schnell fahrende Pkw in der Nähe des Polytechnikums aufgefallen. Als Harry ankam, war es schon nach 23 Uhr, auch bei ihm und Edi hatte es keine Zwischenfälle gegeben. Als er von uns erfuhr, dass Andreas allein zum Einsatz gegangen war, wurde er ziemlich verstimmt und machte mir Vorwürfe. Ich beteuerte, dass ich vergeblich versucht hätte, Andreas zu überreden, mit uns zu gehen. Jetzt war jedenfalls nichts mehr zu machen, wir konnten nur noch warten und hoffen. Aber die Zeit verging und Andreas kam nicht. Gegen 1 Uhr schickte ich Fredi und Emmerich heim und versprach, sie sofort zu verständigen, sobald ich etwas über Andreas erfahren würde. Harry blieb weiter mit mir am Opernplatz, und wir behielten die Zone des Treffpunktes im Auge. Nach 2 Uhr gaben auch wir es auf und machten uns auf den Heimweg. Zuvor aber näherten wir uns vorsichtig der Voltaire-Straße und dem Haus, in dem Andreas wohnte. In der ganzen Umgebung konnten wir nichts Auffälliges feststellen. Ich versprach Harry, am nächsten Morgen zu Andreas nach Hause zu gehen, um nach ihm zu sehen; die Entfernung von mir daheim zu Andreas’ Elternhaus betrug nur etwa 200 Meter.

Nach einer mehr als unruhigen Nacht, in welcher ich kaum geschlafen hatte, stand ich um 6 Uhr auf und begab mich in die Voltaire-Straße, ohne dort jedoch etwas Auffälliges zu sehen. Ich wartete noch ungeduldig bis 8 Uhr, klingelte dann und wurde von Andreas’ Mutter empfangen, die ich flüchtig kannte. Ich trachtete, so unbesorgt wie nur möglich zu erscheinen, und fragte nach ihrem Sohn. Die Frau war völlig ruhig und sagte nur, Andreas sei am Abend weggegangen, habe aber nicht gesagt wohin und auch nicht, ob er über Nacht fortbleiben würde. Ich bat sie, mich nach seiner Rückkehr sofort zu benachrichtigen, und verabschiedete mich. Da stand ich nun, ich armer Tor, und war so klug als wie zuvor.

Ich ging heim, verbarg zuerst das Druckerset, raffte noch andere belastende Sachen zusammen und fuhr mit dem Fahrrad direkt zu Harry. Das spurlose Verschwinden von Andreas konnte auch er sich nicht erklären. Uns war unverständlich, wieso die Securitate, sollte sie ihn erwischt haben, bis vor einer halben Stunde nicht zumindest bei ihm zu Hause aufgetaucht war, zumal sie bis spätestens um Mitternacht von unserer Flugblattaktion erfahren haben musste. Wenn aber Andreas doch nicht erwischt worden war, wo war er dann geblieben, warum meldete er sich nicht? Unsere Hoffnung schwand sozusagen von Minute zu Minute. Von Harry fuhr ich noch schnell zu Fredi, schilderte auch ihm die Lage, und wir gingen zurück zu Harry. Dort besprachen wir, was zuerst zu tun sei. Vor allem war es wichtig, Vorkehrungen für jene zu treffen, die von Andreas genannt werden konnten, denn wir waren uns im Klaren darüber, dass im Falle einer Festnahme wohl keiner von uns den harten Vernehmungsmethoden widerstehen und schweigen können würde, also mussten wir danach trachten, die Gefahr weiterer Verhaftungen so weit als möglich zu minimieren. Als am meisten gefährdet betrachteten wir Fredi und mich, also beschlossen wir, vorerst mal abzutauchen und zu beobachten. Ebenfalls galt es, belastendes Material in Sicherheit zu bringen, so etwa eine Menge Notizen, Landkarten und Übungspläne, die ich noch daheim hatte. Diese Dinge wollte ich durch Herbert verbergen lassen. Bei Harry lagerten beträchtliche Mengen an Dauerlebensmitteln, die ebenfalls getarnt werden mussten. Fredi verlagerte das bei ihm befindliche Depot mit Sanitätsmaterialien zu Bekannten.

Ich fuhr nach Hause, beobachtete längere Zeit aus der Ferne, ob sich bei unserem Haus irgendetwas Verdächtiges tat, konnte aber nichts Besonderes erkennen; die Kunden meines Vaters kamen und gingen unbehelligt. Also eilte ich ins Haus und bereitete ein beträchtliches Paket brisanten Inhalts vor, welches ich Herbert übergeben wollte. Anschließend raffte ich eilig mein vorläufiges Fluchtgepäck zusammen. Dabei wurde meine Mutter wahrscheinlich wegen meiner Hektik aufmerksam und stellte mich zur Rede. Jetzt konnte ich meine Lage nicht mehr verheimlichen, also rief ich auch meinen Vater herbei und eröffnete ihnen Folgendes: „Ich bin in eine illegale politische Aktion verwickelt, es könnte sein, dass mich die Securitate suchen und festnehmen wird. Aus diesem Grunde muss ich jetzt vorsichtshalber verschwinden.“ Meine Eltern zeigten sich verständlicherweise bestürzt, wollten wissen, was und mit wem ich etwas „angestellt“ hätte, erhielten aber natürlich keine nähere Auskunft. Ich erklärte ihnen nur, dass es besser sei, wenn sie nichts wüssten. Mein Vater machte dann folgenden Vorschlag: Er habe sowieso die Absicht, am kommenden Nachmittag mit dem Fahrrad nach Ghiroda (ein Ort östlich der Stadt an der Bega gelegen), genauer zwei Kilometer weiter Richtung Remetea am rechten Ufer der Bega zum Angeln zu fahren. Dort solle ich ihn um 17 Uhr suchen. Sollte dieses Treffen aus irgendeinem Grund nicht stattfinden können, so sollte ich, wenn notwendig, einen Tag später an den gleichen Platz kommen. Ich war einverstanden, und wir verabschiedeten uns in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch alles zum Guten wenden würde.

Als erstes führ ich in die Fabrikstadt zu den Winklers. Stefan war vor einigen Tagen nach Bukarest gefahren, er studierte dort im dritten Semester Musik. Sein Bruder Herbert wusste bis zu diesem Zeitpunkt von unserem Einsatz noch nichts, und ich klärte ihn auch gar nicht auf. Dafür übergab ich ihm zwei Pakete, die er verbergen sollte. Das eine enthielt Dokumente wie Pläne, Landkarten und verschlüsselte Weisungen sowie Notizen über Personen, die wir im Verdacht hatten, Spitzel der Polizei zu sein. Insbesondere diese „Schwarze Liste“ war höchst brisant. Das zweite Paket enthielt Munition und Sprengstoff. Ich wies ihn an, die beiden wasserdicht verschlossenen Pakete getrennt voneinander an einem bestimmten Platz jenseits des Stadtrandes zu vergraben. Auch schärfte ich Herbert ein, bis auf Weiteres weder zu mir noch zu Harry oder Fredi Verbindung aufzunehmen, bei Bedarf werde er von Harry Weisungen erhalten. Dann fuhr ich wieder zu Harry, wo auch Fredi bald eintraf. Wir besprachen mit Harry, dass er sich ganz vorsichtig nach Andreas erkundigen solle. Fredi und ich wollten vorerst hinaus an die Temesch fahren, um uns dort ein geeignetes Versteck zum Lagern zu suchen.

An der Temesch angekommen wählten wir als Versteck ein größeres Dickicht am linken Ufer des Flusses. Ich kannte den Platz und die Umgebung sehr gut und wusste auch, dass gelegentlich Schäfer mit ihrer Herde hier vorbeikamen. Wir richteten unser Lager ein, sprachen über Andreas und suchten zum wiederholten Male nach einer Erklärung für sein geheimnisvolles Verschwinden. Trotz unserer Müdigkeit wurde es eine lange unruhige Nacht. Wir analysierten wiederholt die Vorkommnisse, ohne eine logische Erklärung zu finden. Dann studierten wir die mitgebrachte Wehrmachtskarte und suchten einen geeigneten Weg zur jugoslawischen Grenze, erwogen aber auch, falls notwendig, die Flucht über Ungarn nach Österreich. Ich optierte für eine Flucht über Ungarn, weil ich der Meinung war, dass es für uns der Sprache wegen einfacher gewesen wäre als über Jugoslawien. Ich sprach fließend Ungarisch und auch Fredi beherrschte die Sprache sehr gut, Serbisch hingegen konnte keiner von uns. Was einen eventuellen längeren Aufenthalt in der „Wildnis“ betraf, machten wir uns erst jetzt Gedanken über die fehlende Kleidung und sonstige Ausrüstung. Zu Mittag aßen wir nur sparsam von dem mitgebrachten Essen, in der Hoffnung, dass mein Vater Nachschub zu unserem geplanten Treffen bringen würde. Schon gegen 15 Uhr fuhren wir los, wissend, dass wir auf dem Weg zum Treffpunkt Umwege würden in Kauf nehmen müssen. Die Bega überquerten wir bei Ghiroda erst, nachdem wir die Umgebung der Brücke längere Zeit beobachtet hatten und sahen, dass man sie unbehelligt passieren konnte. Als wir auf meine Eltern trafen und sie Fredi erblickten, waren sie sehr überrascht, denn sie wussten noch nicht, dass wir uns zusammen auf der Flucht befanden. Sie waren auf getrennten Wegen, meine Mutter auf einem Ufer und mein Vater auf dem anderen, bis Ghiroda gefahren. Erst von dort fuhren sie gemeinsam bis zum Treffpunkt. Wir erfuhren, dass Andreas’ Mutter mich schon am Vortag gesucht hatte. Sie war wegen Andreas, der sich bis dahin noch immer nicht gemeldet hatte, sehr besorgt. Meine Mutter sagte ihr, ich wäre nicht daheim, ohne ihr aber zu erklären, dass ich mich abgesetzt hatte. Andreas’ Mutter wollte noch einen Tag zuwarten und anschließend Vermisstenanzeige bei der Miliz (Polizei) erstatten. Meine Eltern wussten jetzt natürlich, dass es zwischen dem Verschwinden von Andreas, Fredis Anwesenheit und meinem Absetzen einen Zusammenhang geben musste. Erneut versuchte meine Mutter, von mir zu erfahren, was wir denn angestellt hätten, ob es denn wirklich so schlimm sei? Das einzige, was ich ihr zur Beruhigung sagen konnte, war, dass wir niemanden totgeschlagen oder ermordet hatten. „Es geht um Politik, mehr kann ich euch jetzt nicht sagen.“

Mein Vater konnte uns von keiner verdächtigen Beobachtung berichten, was zwar beruhigend war, bezüglich des spurlosen Verschwindens von Andreas aber auch nicht weiterhalf. Meine Mutter fragte ich, ob sie die Bücher, Zeitschriften und sonstigen Papiere, die ich ihr zu Vernichtung übergeben hatte, auch verbrannt habe. Sie bejahte, meinte aber, ein Buch – es war das Liederbuch des BDM – sei noch hier und sie sei eben dabei gewesen, es zu verbrennen. Ich riss einige Blätter vom Anfang des Buches heraus und steckte sie ein, den Rest gab ich ihr zum Vernichten. In der nachfolgenden Hektik vergaß ich die Blätter in meiner Tasche. Dann machten wir uns daran, dass von meiner Mutter mitgebrachte Essen zu „vertilgen“. Obwohl Fredi gar nicht einberechnet worden war, war genug da. Für lange Zeit sollte es zum letzten Mal sein, dass wir so gut speisen konnten. Beim Abschied versprachen meine Eltern, auch am kommenden Tag mit Proviant und hoffentlich mit guten Nachrichten zu kommen. Meinem Vater, welcher sich an der Temesch gut auskannte, erklärte ich, wo wir ungefähr lagerten.

Nach 20 Uhr fuhren wir wieder nach Temeschburg, diesmal in Richtung Elisabethstadt. Aus Gründen der Sicherheit hatten wir den größten Teil unserer Ausrüstung, die Landkarten, den Kompass und die von Franzi geliehene FN-Pistole im Versteck zurückgelassen. Unsere Fahrt war wegen der Umwege, die wir bei den Druschplätzen machen mussten, beschwerlich und zeitraubend. Unser erstes Ziel war Harry. Es war 21 Uhr vorbei. Unter den großen Bäumen, die an diesem Platz standen, war es sehr dunkel. So näherten wir uns vorsichtig dem Haus, welches still und unbeleuchtet dalag. Wir warteten eine Weile, und erst als ich Harrys Onkel Willy im Hof hörte, er hustete und ging anscheinend wieder in seine Wohnung, wagte ich mich ans Tor und klingelte. Es geschah nichts. Also war weder Harry noch seine Mutter daheim. Jetzt war guter Rat teuer.

Wir fuhren über den Lahovary-Platz (Nicolae Bălcescu) Richtung Fredis Elternhaus. Unweit der Ecke der Vadul-Călugăreni-Straße, wo Fredi wohnte, sahen wir eine auffallende Gruppe junger Männer, die alle eine gleichfarbige Arbeitskleidung trugen. Sie waren gerade dabei, in einen bereitstehenden Lkw zu steigen. Das war schon seltsam, und wir wussten uns keinen Reim darauf zu machen. Jedenfalls wollten wir nicht direkt zum Haus Prack gehen, sondern fuhren bis zur ersten Parallelgasse zurück. Die Gruppe der vermeintlichen Arbeiter, die wir zuvor gesehen hatten, war anscheinend mit dem Lkw abgefahren. Trotzdem meinte Fredi, es sei etwas in seinem Viertel nicht wie gewohnt, man höre fremde, ungewohnte Geräusche. In der von uns anvisierten Straße, damals noch ohne Namen, später hieß sie Strada-Ulpia-Traiana, gab es damals auf der rechten Seite nur zwei Häuser, und es folgte eine mit Mais bebaute Fläche, die bis hinüber in die Vadul-Călugăreni-Straße reichte. In dieser Jahreszeit war der Mais hoch und sehr dicht gewachsen, also schlug Fredi vor, durch dieses Maisfeld zu gehen, um von dort die Straße und sein Haus zu beobachten. Wir ließen unsere Räder am Rand des Maisfeldes und durchquerten dieses ganz vorsichtig, um das Rascheln der Maisblätter möglichst zu vermeiden. Es war kurz nach 22 Uhr, als wir das Ende des Feldes genau dem Haus gegenüber erreichten. Von drüben hörte man keinen Laut, es brannte auch kein Licht.

Der Unsicherheit überdrüssig beschloss ich, zum Haus zu gehen. Fredi, der sich vor einem Zusammentreffen mit seinem Vater scheute, wollte zurückbleiben. Ich bat ihn, zu beobachten und – sollte mir etwas zustoßen – nach eigenem Ermessen zu handeln. Ich durchquerte erneut das Feld, nahm mein Rad und fuhr los. Kurz vor dem Haus stieg ich ab und ging zu Fuß bis zum Tor. Durch das dichte Gebüsch auf der Innenseite des Zaunes und wegen der Finsternis konnte ich im Vorgarten nichts erkennen. Vor dem Tor blieb ich stehen und griff nach dem Zugdraht der Glocke. Die Glocke erklang einmal.

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