Kitabı oku: «13 Jahre», sayfa 9

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Haft in Temeschburg

Schon im Erdgeschoss des Gefängnisses sahen wir die ersten Strafgefangenen, die durch ihre Zellenfenster neugierige Blicke auf uns warfen, jedoch von unseren Begleitern verscheucht wurden. Über ein Treppenhaus mit stark abgenutzten Bohlentreppen ging es in die erste Etage mit einem langen, verwinkelten Korridor und vielen teils nummerierten, teils beschrifteten Türen. So konnten wir das Zimmer des Arztes und daneben ein Krankenzimmer erkennen, in welches sogleich Andreas und Emmerich geführt wurden. Wir anderen, Harry und ich an der Spitze, hielten vor einer aus dicken Holzbohlen gefertigten Zellentür, die außen zusätzlich noch über ein eisernes Gitter verfügte, welches – wie wir später merkten – bei Nacht fest verschlossen wurde. Als die Tür geöffnet wurde, blickte ich in einen Raum der sich parallel zum Korridor erstreckte und mindestens 15 Meter lang und etwa 8 Meter breit war, also erheblich größer als die Zellen, die ich bei der Securitate kennengelernt hatte. Der Fußboden war mit abgenutzten Bohlen bedeckt, auf der Gegenseite gab es mehrere große Fenster in etwa zwei Meter Höhe, sodass es nicht möglich war, einen direkten Blick nach draußen zu werfen.

Der Empfang in der Zelle war beeindruckend: Da standen circa 20 Leute, zumeist zivil gekleidet, aufgereiht rechts und links der Tür und formten ein Spalier. Ganz auffallend war ein kleiner Mann, der am Ende des Spaliers allein in der Mitte stand. Er trug Hand- und Fußfesseln, die durch eine Kette miteinander verbunden waren, sodass er seine Hände nur etwa bis zum Mund anheben konnte. Er unterbrach auch als erster die Stille, als er sagte: „Vine şeful!“ („Der Chef kommt!“), womit er mich meinte. Meine Überraschung war total. Da er wegen der Ketten nur schlecht gehen konnte, hüpfte er mir entgegen und zog mich mit beiden Händen an seine Brust – umarmen konnte er mich ja nicht. Nachdem mich Ion Risti – so lautete sein Name – stürmisch begrüßt hatte, folgte sein Bruder Traian und dann die zahlreichen anderen Anwesenden, was zu einem turbulenten Durcheinander führte. Später stellte ich übrigens erstaunt fest, dass die Schellen an Ions Füssen so locker waren, dass er sie ohne Probleme über seine nackten Füße abstreifen konnte, was selbstverständlich verboten war, was er jedoch trotzdem jeden Abend vor dem Schlafengehen tat. Die zu weiten Schellen verdankte er der Freundlichkeit des Schmiedes, der – wie auch Risti – natürlich Zigeuner war. Die Begrüßung endete jäh, als die Durchreiche an der Tür geöffnet wurde und ein Planton (Kalfaktor) ins Zimmer rief, dass die Neulinge jetzt ihr beiseitegestelltes Essen bekämen. Tatsächlich wurden für meine acht Kameraden acht Schüsseln mit dem Mittagessen hereingereicht und nach weiteren zwei bis drei Minuten noch eine Extraportion mit der Bemerkung, diese sei für mich bestimmt. Dies war die zweite große, der Initiative des Plantons zu verdankende Überraschung. Überhaupt erfuhr ich erst jetzt, dass der Planton in der Regel ein zu einer geringen Strafe verurteilter Häftling ist, der im Gefängnis verschiedene Außendienstarbeiten wie etwa Saubermachen, Essenverteilen oder das Rasieren der Häftlinge zu verrichten hat. Das Interessante in unserem Fall war, dass es sich bei den sechs Plantons, die im Temeschburger Gefängnis damals Dienst taten, ausschließlich um junge deutsche Männer handelte, die wegen illegalen Grenzübertritts zu je sechs Jahren verurteilt waren. Sie gehörten zu jenen ehemaligen Waffen-SS-Männern, die nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause ins Banat wollten und dabei an der Grenze erwischt worden waren. Ihr damaliger Chef war ein gewisser Karl Seifert.

Unserem Essen, es handelte sich um eine elende Krautsuppe, konnten wir uns nicht lange widmen, denn schon bald wurde das Geschirr mit der Erklärung zurückverlangt, es gäbe demnächst schon wieder Abendessen. In der Tat war die Zeit durch die vielen neuen Eindrücke wie im Flug vergangen. Als bald danach die Durchreiche wieder geöffnet wurde und wir Karls Stimme hörten, erhielten wir Graupen, die ein wenig süß nach Marmelade schmeckten, eine seltene Besonderheit, wie uns die anderen Häftlinge versicherten. Dank unseres beträchtlichen Appetites bewältigten wir auch das Abendessen ohne Mühe, und kurz nachdem das Geschirr wieder abgegeben war, hörten wir auch schon die Schläge auf einer „Talanga“, die den Abendappell ankündigten. Die Talanga war eine etwas modernere Form der Urwaldtrommel, bestehend aus einem aufgehängten Stück Schiene oder Baustahl, gegen das mit einem Hammer geschlagen wurde.

Wenn sie erklang, musste die Belegschaft aller Zellen antreten und warten. In jedem Zimmer gab es einen Zimmerchef, welcher vom Kommandanten persönlich ernannt worden war. Bei uns war es ein etwas zwielichtiger Lehrer, dem man nicht recht trauen konnte. Er schien seine Rolle zu genießen, wenn er beim Morgen- oder Abendappell dem diensthabenden Offizier eine zackige Meldung machen durfte. Nach dieser Meldung grüßte der Diensthabende morgens mit einem „Buna dimineata!“ („Guten Morgen!“), worauf alle angetretenen Häftlinge laut rufen mussten: „Să trăiţi, domnule comandant!“ („Sie sollen hochleben, Herr Kommandant!“) Anschließend wurden wir abgezählt, was nicht immer auf Anhieb klappte und regelmäßig wiederholt werden musste, bis es stimmte.

Jetzt war es Abend, der Zimmerchef machte Meldung und sowohl der scheidende als auch der kommende Offizier machten es einfach und kurz. Wir wurden gezählt, alles stimmte und damit war die Sache gelaufen. Die Gruppe der Offiziere und Unteroffiziere verließ das Zimmer, die Tür wurde abgeschlossen und wir hörten, dass auch die Gittertür von außen gesperrt wurde. Wir konnten wegtreten. Um 22 Uhr war „Stingere“ (Zapfenstreich) und wir durften uns zum Schlafen hinlegen. Betten allerdings gab es nicht, nur Schilfmatten (Rogojini) und dazu für jeden eine alte Wolldecke. Zur Nachtwache in der Zelle wurden drei Leute eingeteilt, die der Reihe nach ihren Dienst verrichten mussten. Wozu dieser Nachtdienst überhaupt gut war, blieb ein Rätsel.

Am Morgen um 5.45 Uhr wurden wir dann wieder mittels der Talanga geweckt, mussten aufstehen und die Betten machen, das heißt unsere Decken zusammenfalten und am Kopfende unserer Schlafstelle ablegen. Bald darauf wurden die Türen aufgeschlossen und es erschien der Chef-Kalfaktor Karl, der „Ciubarul“ (Kübel) rief. Damit meinte er den großen Bottich, der in einer Ecke des Zimmers stand und als Abort diente. Wegen der vielen Leute im Zimmer – wir waren ja mehr als 30 Häftlinge – war der Bottich am Morgen ziemlich voll und dementsprechend schwer. Die Gefangenen, die gerade zum Zimmerdienst eingeteilt waren – die Reihenfolge wurde vom Zimmerchef bestimmt –, mussten den schweren Bottich aufnehmen und bis an das Ende des Korridors zum Abort tragen. Dort wurde der Bottich entleert, mit Wasser ausgespült und ins Zimmer zurückgebracht. Das ganze Prozedere erfolgte unter der Aufsicht von Karl Seifert, welcher nach den fast vier Jahren, die er mit seinen Kameraden hier schon zubrachte, über die nötige Routine im Gefängnisalltag verfügte. Zusammen mit den anderen Plantons hatte er sein Zimmer im Erdgeschoss des Gebäudes und musste dort, wenn er gerade nicht mit seinen Hausmeistertätigkeiten für die Gefangenen beschäftigt war, aus Weidenruten Körbe für die Anstaltsgärtnerei flechten. Er und seine Kameraden halfen den politischen Häftlingen, wo immer sie konnten, aber natürlich mit der gebotenen Vorsicht, denn sie wussten sehr wohl, dass es auch Schweinehunde gab, die für einen Schlag „Arpacaş“ (Grütze) ihre eigene Mutter verraten hätten und erst recht einen Mithäftling, der etwas Verbotenes getan hatte. Und verboten war sehr viel: zum Beispiel religiöse Handlungen, das heißt Beten oder gar eine Andacht halten, aber auch Schach spielen, Nachrichten verbreiten und vieles mehr. Es gab unter uns Spitzel, die Rumänen nannten sie „Ciripitor“ (Zwitscherer) oder „Turnator“ (Gießer). Diese Kerle wurden, wenn sie entlarvt werden konnten, von den anderen Häftlingen verachtet, so weit als möglich ausgegrenzt oder unter Umständen auch verprügelt.

Zusammen mit dem Abortkübel musste auch der etwas kleinere Wasserbottich hinausgebracht und mit Trinkwasser gefüllt werden, während das Zimmer mit einem vom Planton gebrachten Besen gefegt wurde. Ebenfalls wurden die Insassen des Zimmers in Gruppen zum Abort geführt. Es waren sogenannte türkische Klos, das heißt: Man musste sich fürs „Geschäft“ niederkauern. Die Stellung ist nicht sehr bequem, aber unter solchen Umständen hygienischer als bei regulären „englischen“ Klos. Klopapier gab es keines, man wusch sich mit Wasser aus einer Konservenbüchse. Später und anderenorts sollten wir noch schlimmere Bedingungen er- und überleben.

Wenn das umfangreiche Morgenprogramm überstanden war, gab es Frühstück, welches von Karl und seinen Kameraden verteilt wurde. Jeder Häftling bekam etwa einen halben Liter „Terci“ (ein dünner Maisbrei), angeblich mit Marmelade oder etwas Zucker gesüßt. Mit entsprechender Fantasie konnte man die Süße sogar schmecken. Vermutlich war es so, dass es tatsächlich eine Zuteilung von Zucker oder Marmelade für den Maisbrei gab, nur dass die Köche – es waren Gemeinrechtler – einen Großteil davon abzweigten und damit Geschäfte machten. Dennoch war dieser Maisbrei gehaltvoller als der Muckefuck, den man uns bei der Securitate zum Frühstück reichte und der den Hunger erst recht weckte. Den Vormittag durfte jeder nach Belieben gestalten. Manche legten sich wieder hin und verschliefen so wenigstens einen Teil der Zeit, andere zogen es vor, zu diskutieren oder in der Zelle auf und ab zu spazieren. Ein beliebtes Thema waren Gespräche über verschiedene Speisen. Es war erstaunlich, mit wie viel Fantasie manche über dieses Thema stundenlang reden und sogar streiten konnten. Es wurde aus der Vergangenheit erzählt, wobei irgendwelche früheren Fressgelage eine gewichtige Rolle spielten. Gerne wurden auch Rezepte vorgestellt, die später in Freiheit unbedingt probiert werden sollten. Das Essen, auf welches wir in der Haftanstalt zurückgreifen konnten, war freilich weniger nachahmenswert. Als „Klassiker“ galt die Grütze mit Fleischfitzelchen, die ich noch zur Genüge kennenlernen sollte. Statt Fleischfitzelchen konnte sie auch Kutteln als Beigabe enthalten, was grundsätzlich nicht das Schlimmste gewesen wäre, wenn man diese vorher gründlich gesäubert hätte. Da dies aber nicht der Fall war, roch das ganze Essen nach Rindermist und es kostete trotz des Hungers viel Überwindung, diesen Fraß zu verschlingen. Aber auch die sonstigen Fleischzutaten in Form von Fitzelchen konnten aus undefinierbaren Geflügelabfällen, aus Flügelspitzen und Füßen oder aus Resten von Innereien bestehen. Ein weiteres häufiges Menü war mehr oder weniger wässriges Kraut, sowohl ungesäuert, im Sommer und Herbst, als auch im Winter als Sauerkraut. Überhaupt wurde in allen Haftanstalten viel Gemüse eingelegt. So auch in Temeschburg, wo das Gefängnis über einen eigenen Garten verfügte, welcher hauptsächlich von inhaftierten Frauen bearbeitet wurde. Leider weit seltener gab es Teigwaren in Form von Makkaroni, meistens „symbolisch“ mit einer Spur Marmelade gesüßt und sehr wässrig gekocht, oder Bohnen. Wenn diese Speise „dick“, das heißt mit vielen Bohnen versehen war, so war sie die „Krönung“ unserer Menüs, erst recht, wenn darin ein paar Fleischstückchen zu finden waren. Kartoffeln waren auch sehr beliebt, leider jedoch viel zu selten und in zu kleiner Menge. Den „kulinarischen Tiefpunkt“ bildeten Suppen mit gesäuerten Tomaten, die ohne jeden Nährwert waren und fürchterlich sauer schmeckten. Manche Optimisten versuchten sich und anderen einzureden, dass diese Suppen sehr viele Vitamine enthielten, was jedoch bezweifelt werden kann.

Das Essen in Temeschburg unterlag unverkennbar periodischen Schwankungen, was sowohl die Qualität als auch die Menge anging. Das war kein Zufall, sondern eindeutig so gewollt. Vermutlich eine „von oben“ genehmigte und vom Kommandanten „Pista“ (ungarisch: Stefan) umgesetzte Schikane. Pista, damals Leutnant, gewesener Kellner in einem Gasthaus in Lugosch, war ein sehr böswilliger Mensch. Wir wurden über ihn durch den Mithäftling Maniu informiert, welcher im Krieg als Major der rumänischen Abwehr unter anderem in Lugosch tätig gewesen war. Im Laufe des Krieges gelang es seiner Abteilung, die auf das Enttarnen von Geheimsendern spezialisiert war, in Zusammenarbeit mit dem deutschen Nachrichtendienst etwa 40 Geheimsender aufzuspüren. Die meisten dieser Sender wurden durch Juden betrieben, die im Banat beheimatet waren, und standen in Verbindung mit britischen Empfangsstellen. Fredi erzählte mir, wie er einmal mit Maniu und weiteren Häftlingen in einer anderen Zelle war, als auch Pista, der Gefängniskommandant, zur Zählung der Gefangenen erschienen. Er musterte jeden Einzelnen genau, und als er vor dem Major stehen blieb, fragte er nach dessen Namen und meinte dazu: „Dich kenne ich doch.“ Der Major nannte seinen Namen und sagte dazu: „Auch ich kenne sie. Ich hatte meine Dienststelle in Lugosch. Jeden Mittag aß ich damals in einem Lokal, in welchem sie Kellner waren und mich oft bedienten, und ich gab ihnen immer ein schönes Trinkgeld.“ Pista, mit seiner Vergangenheit konfrontiert, wurde krebsrot im Gesicht, stieß nur ein ordinäres Schimpfwort aus und verließ eilig das Zimmer. Solange der Major noch im Gefängnis von Temeschburg war, betrat Pista nie mehr dessen Zelle.

Eine weitere Geschichte im Zusammenhang mit Pista erzählte mir Edi, der zugegen war, als dieser auf den recht bekannten Literaten Zoltan Franyo traf und diesem vorwarf, nicht bedacht zu haben, dass „das Rad der Geschichte sich drehe“. Franyo sagte darauf: „Ja, das stimmt, aber es dreht sich auch jetzt weiter.“ Diese Antwort muss Pista nicht recht geheuer gewesen sein, denn er murmelte nur halblaut: „Nein, nein, jetzt ist es angekommen“, und verließ dann schleunigst das Zimmer. Weswegen Franyo überhaupt in Haft war, wusste niemand. Er wurde auch nicht verurteilt, sondern nach etwa einem Jahr Haft entlassen. Jahre später, in der Ceauşescu-Ära, war er als deutschsprachiger Kulturschaffender sehr aktiv.

Während der Zeit in Temeschburg rasierte Edi als der Geschickteste unter uns seine Mitgefangenen in der Zelle, wenn einmal in der Woche das Rasierzeug der Anstalt ausgegeben wurde. Aus diesem Grunde wurde er auch mehrmals zu drei politischen Häftlingen geführt, die im Erdgeschoss des Gebäudes in einer Zelle schmachteten. Diese waren Tag und Nacht an Händen und Füßen mit schweren Ketten gefesselt, weil sie zum Tode verurteilt waren. An ihrer Zelle gab es anstelle der Vorderwand ein starkes Eisengitter, sodass sie ununterbrochen beobachtet werden konnten, und wenn andere Häftlinge vorbeigingen, mussten die Unglücklichen sich mit den Gesichtern zur Hinterwand drehen, damit man sie nicht erkennen konnte. Wenn Edi zu ihnen geführt wurde, um sie zu rasieren, war immer ein Wärter dabei, weshalb er leider nie mit ihnen sprechen konnte. Man wusste lediglich von ihnen, dass sie im Zusammenhang mit einer Widerstandsgruppe aus dem Banater Bergland verurteilt waren. Angeblich wurden zwei dieser Leute später hingerichtet, dem dritten wurde seine Strafe in lebenslange Haft abgemildert.

Eines Tages, es war schon gegen Mittag, wurden die Leute unserer Gruppe in ein gesondertes Zimmer geführt. Auch Andreas und Emmerich, die – wie schon erwähnt – gesondert untergebracht waren, stießen hinzu. Dann erschien ein Feldwebel, der uns das Ergebnis unseres Prozesses mitteilte. Man hatte uns zu Strafen zwischen sechs und 15 Jahren Zwangsarbeit und schwerem Kerker verurteilt. Sowohl der Staatsanwalt als auch unsere Verteidiger hatten Berufung eingelegt, weshalb es nach weiteren Monaten zu einem Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof in Bukarest kam. Die endgültigen, dort verhängten Strafen sollten uns in den Gefängnissen mitgeteilt werden, in welchen wir zu jener Zeit einsaßen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes aus Bukarest lautete auf Zwangsarbeit, und zwar für

•Friedrich BONCEA RESCH, 25 Jahre,

•Engelhard MILDT, 20 Jahre,

•Alfred PRACK, 18 Jahre,

•Dietmar BRÖSSNER, 18 Jahre,

•Emmerich HOCHSTRASSER, 15 Jahre,

•Egon ZIRKL, 14 Jahre,

•Herbert WINKLER, 13 Jahre,

•Franz BAYER, 12 Jahre,

•Edömer SZILAGYI, 12 Jahre,

•Andreas JASZBERENYI, 10 Jahre,

•Jakob STEIN, 10 Jahre.

Als Zeichen der Kenntnisnahme der „Urteilsverkündung“ musste jeder von uns unterschreiben. Damit war die Sache vorläufig erledigt.

Aus der Zeit, als ich mit Miodrag bei der Securitate in einer Zelle war, hatte ich Zigaretten mitgebracht. Ich wusste, dass Harry und Edi Raucher waren, und wollte ihnen anlässlich unseres Wiedersehens eine Freude bereiten. Als ich zur Gerichtsverhandlung musste, brachte ich daher meine etwa hundert zusammengesparten Zigaretten mit, was für die Kameraden tatsächlich eine freudige Überraschung war. Wenn ich mich in ihrer Gesellschaft befand, rauchte ich gelegentlich einen Glimmstängel mit. Feuer bekamen wir von den anderen Rauchern aus unserem Zimmer.

Diese Raucher hatten ihren Tabak fast alle beim Spaziergang im Hof aus weggeworfenen Kippen zusammengesammelt. Diese Kippen stammten sowohl von Bediensteten der Anstalt als auch von den Strafgefangenen, die im Hof verkehrten, wenn sie zur Arbeit in den Garten gingen oder von dort kamen. Sie hatten genügend Zigaretten, denn sie durften – im Gegensatz zu den politischen Häftlingen – Pakete von Zuhause empfangen. Manche von ihnen warfen im Hof absichtlich nur leicht angerauchte Zigaretten weg, um den „Politischen“ etwas Gutes zu tun, oder sie warfen auch aus den Zimmerfenstern im Erdgeschoss gezielt Kippen in den Spazierhof. Bei uns im Zimmer gab es wohl ein Dutzend Raucher, die allerdings über keine Zündhölzer verfügten. Trotzdem schafften sie es immer, Feuer zu bekommen, was für mich zu den sensationellen Erkenntnissen der ersten Haftzeit gehörte. Zum Beispiel hatte einer der Mithäftlinge als „Feuerzeug“ eine kleine Schuhcremeschachtel aus Blech, in welcher er stark verkohlte, aber nicht verbrannte Reste von Baumwollgewebe aufbewahrte. Außerdem besaß er einen Hosenknopf aus Glas, etwa 20 Millimeter im Durchmesser. Durch die Knopflöcher führte ein dünner, fester Bindfaden, dessen Enden verknüpft waren. Der Mann zog sich einen Schuh aus, legte das eine Ende der Schnur um eine Zehe und begann das andere Ende der Schnur zu drehen. Als er nun an der Schnur abwechselnd zu ziehen und nachzulassen begann, drehte sich der Knopf sehr schnell und schlug beim vorsichtigen Berühren der Blechschachtel eine Menge Funken, welche die verkohlten Tuchreste zum Glühen brachten. An dieser Glut entzündete der Mann nun seine Zigarette, bevor er seine Schuhcremeschachtel sorgfältig wieder verstaute. Der Mann, er hieß Josa, war übrigens auch kein politischer Häftling, sondern gehörte zur „Risti-Bande“, ebenso wie Ion und Trajan, die Brüder, die mich als erste in der Zelle begrüßt hatten. Josa erzählte, dass er früher Taschendieb gewesen sei, dass aber einmal – noch vor dem Krieg – ein Polizeikommissar in Arad, erbost darüber, dass er trotz der damals bereits über vierzig Festnahmen seine kriminelle Karriere nicht beenden wollte, ihm Zeige- und Mittelfinger absichtlich zerschlagen und so bandagiert hatte, dass sie krumm zusammenheilen mussten. An seinen Fingern konnte man noch deutlich die Spuren dieser „Behandlung“ erkennen. Es waren recht rüde Methoden, die sich auch nur als bedingt hilfreich erwiesen, denn statt als Taschendieb betätigte sich Josa fortan als Einbrecher.

Die zwei Übrigen der Bande – es waren alles Zigeuner – waren mit den Ristis zerstritten, weil man sich gegenseitig Betrug beim Verteilen der Beute, aber auch unnötige Geständnisse zum Schaden der anderen vorwarf. Ion, der Kopf der Bande, mischte sich in die häufigen Streitgespräche für gewöhnlich nicht ein. Einmal allerdings, als einer in der „Hitze des Gefechtes“ drohte, er würde im „Fall der fünf Schwaben“ noch gelegentlich etwas klarzustellen haben, sprang Ion ihm trotz seiner Ketten an die Gurgel und brüllte ihn an, zu schweigen, da er ihn sonst auf der Stelle töten werde. Bei den „fünf Schwaben“ aus dem Ort Paulisch handelte es sich um Deutsche, die im September 1944 von den Russen ermordet worden waren, wobei es – wie sich später herausstellte – wohl so war, dass die Russen erst von den Zigeunern herbeigeholt und angestiftet worden waren, um anschließend ungestört plündern zu können.

Die ungefähr vier Wochen in der Haftanstalt Temeschburg – im Häftlingsjargon nach der Straße, wo sie sich befand, Popa Sapca genannt – vergingen relativ schnell. Wir trachteten, von den erfahreneren Häftlingen so viel wie möglich über die Bedingungen in den anderen Gefängnissen zu erfahren, und rätselten vor allem darüber, wohin man uns wohl verlegen würde. Damals sprach man viel über die Arbeit am Donau-Schwarzmeer-Kanal, aber von unseren Zimmergenossen war noch niemand dort gewesen. Während unseres Aufenthaltes hatte man uns lediglich vier- oder fünfmal zum Hofgang geführt und immer darauf geachtet, dass wir keine Verbindung zu den „normalen“ Strafgefangenen, die im Erdgeschoss untergebracht waren, aufnehmen konnten. Wenn wir im Hof in dem dazu vorgesehenen Areal spazierten, durften wir nicht sprechen und mussten mit gesenktem Kopf einzeln im Kreis gehen. Dieser Hofgang dauerte jeweils nicht mehr als eine halbe Stunde und war die einzige Zeit, in der auch Andreas und Emmerich mit uns zusammen sein konnten. Andreas gab sich große Mühe, selbstständig zu gehen, was ihm anfangs noch sehr schwerfiel, doch allmählich besserte sich sein Zustand. Wir hofften natürlich alle, dass sich sein Gehvermögen eines Tages normalisieren würde. Wenn wir im Hof waren, durften die regulären Strafgefangenen nicht an ihren Fenstern stehen.

Schon beim ersten Hofgang fiel mir eine Landkarte von „Großrumänien“ auf, also eine Karte, auf welcher auch Bessarabien, das ja jetzt sowjetisch war, und das „Quadrilater“, also die Süddobrugea, welche die Rumänen 1940 an die Bulgaren abtreten mussten, abgebildet waren. Das Bild war zwar übertüncht, aber nur so leicht, dass man unter dem Kalkanstrich die Umrisse noch sehr gut erkennen konnte. Es hieß, das Bild zu malen sei der letzte Wunsch einer nach der Rebellion vom Januar 1941 zum Tode verurteilten Legionärin, einer Studentin, gewesen. Ihrem Wunsch wurde stattgeben. Später wurde sie und noch ein weiterer Legionär neben dieser Landkarte erschossen. Das Bild soll – kurz nachdem wir es noch gesehen hatten – endgültig vernichtet worden sein.

Zum Duschen führte man uns einmal in der Woche in das Erdgeschoss, wo sich ein Baderaum befand. Es gab leidlich warmes Wasser und auch genügend Zeit und Seife, um sich gründlich zu waschen. Die Wäsche wurde alle zwei Wochen abgeholt und gewaschen wiedergebracht. Zum Rasieren wurde uns einmal in der Woche das Rasierzeug ins Zimmer gereicht. Die Messer waren in Ordnung, es gab Rasierseife und auch einen Riemen, auf dem man die Messer abziehen konnte. Desinfiziert wurde mit flüssigem Chloramphenicol, ein ordinäres, aber gut wirkendes Mittel. Für uns alle war – wie schon erwähnt – Edi der Frisör. Ein zweiter „Figaro“, mit dem wir in guten Beziehungen standen, war Herr Ilca, ein Chemieingenieur, dessen Bruder unser Turnlehrer an der Sportschule gewesen war. Er hatte Chemie an der Charlottenburger Universität in Berlin studiert und erzählte gerne und oft von seiner Studienzeit in Deutschland. Von ihm erhielten wir manch nützlichen Ratschlag für unsere Zukunft im Gefängnis, war er uns doch, was diese Erfahrungen anging, damals noch haushoch überlegen. Von den Priestern und Ordensleuten, die im Prozess gegen Bischof Pacha und die katholische Kirche verurteilt worden waren, befand sich in jener Zeit anscheinend keiner mehr im Temeschburger Gefängnis. Meine Kameraden, die man ja Monate vor mir hier hergebracht hatte, waren noch einigen begegnet, jetzt schienen sie jedoch alle schon in andere Haftanstalten verlegt worden zu sein.

Draußen war es inzwischen zwar Frühling geworden, jedoch waren die Tage und vor allem die Nächte noch ziemlich kalt. Deshalb gab es oft heftigen Streit, weil man sich über das Öffnen und Schließen der Fenster nicht einigen konnte. Manche sprachen sich für mehr frische Luft aus, andere zogen die Wärme vor, frei nach dem Motto: „Erstunken ist noch keiner, jedoch schon viele an der frischen Luft erfroren.“ Mit so vielen Leuten im Zimmer, es waren ja über 30, und dann noch mit dem Abortbottich war freilich klar, dass ein Fenster dauernd offen stehen musste; die Frage war nur, welches Fenster. Am Tage einigte man sich noch irgendwie, aber bei Nacht konnten die Leute, die direkt unter dem offenen Fenster lagen, nicht schlafen. Aus diesem Grunde wurde alle 24 Stunden ein anderes „Dienstfenster“ offen gehalten. Der leidige Streit endete erst mit dem tatsächlichen Beginn der warmen Jahreszeit.

Anlass zu Streit bot auch der Zimmerdienst regelmäßig, zu welchem wir durch den Zimmerchef eingeteilt wurden, mit Ausnahme derjenigen, die schon zu alt und gebrechlich oder krank waren. Wenn es etwa darum ging, den Bretterfußboden zu waschen, gab es immer wieder den einen oder anderen Schlaumeier, der sich zu drücken wusste. Besonders die Zeugen Jehovas fielen in diesem Zusammenhang auf, hatten sie doch besonders raffinierte Tricks auf Lager, um die Arbeit zu umgehen. Es waren übrigens die ersten Erfahrungen überhaupt, die ich mit religiösen Sekten, wie etwa den Zeugen Jehovas oder den Pfingstlern, machte, deren Existenz – mit Ausnahme der Baptisten – mir vorher völlig unbekannt war. Eine der unangenehmsten Erfahrungen jener Anfangszeit waren die etwa alle zwei Wochen überraschend stattfindenden Durchsuchungen. Dazu stürmten mehrere Wärter in das Zimmer, wir mussten unsere armselige Habe ausbreiten, es wurde alles durchwühlt und die „Caralii“ machten sich einen Spaß daraus, auf allem herumzutrampeln. („Caraliu“, Mehrzahl „Caralii“, ist Zigeunerisch und heißt „Wärter“. Diese Benennung, obwohl von der Verwaltung natürlich verboten, war dennoch im gesamten rumänischen Gulag gebräuchlich.)

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