Kitabı oku: «13 Jahre», sayfa 8

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Gerichtstermin

Am 6. März etwa um 8 Uhr wurde ich vom Diensthabenden aus meiner Zelle geholt und in das Bad geführt, wo schon der mir bekannte „Frisör“ wartete. Ich wurde ganz schnell rasiert, was sich erwartungsgemäß erneut als wenig vergnüglich herausstellte, von mir jedoch als sicherer Hinweis auf ein bevorstehendes Ereignis gewertet wurde. Mit der Blechbrille auf der Nase ging es danach flugs durch einen Tunnel und die Treppen in den Hof. Dort angekommen legte man mir Handschellen an, und zu meiner Überraschung sagte der Feldwebel: „Komm, wir gehen zu Fuß.“ Das freute mich, und ich wagte die Frage: „Wohin?“ Er antwortete mir sogar und sagte: „Zum Gericht.“ Dann führte er mich auf dem kürzesten Weg an der Loga-Schule vorbei zum Gerichtsgebäude in der Popa-Sapca-Straße. Als wir an der Timişana-Bank vorbeikamen, musste ich an meinen Adoptivvater Herrn Boncea denken, der vermutlich nichts ahnend im Kassenraum der Bank arbeitete. Dieser Morgen war sehr kalt, ich schätzte, etwa minus 10 Grad. Schnee lag zwar keiner, aber es war alles bereift und nebelig. Ich fror in dem Anzug, den ich von daheim bekommen hatte und der für diese Witterung unzureichend war. Weil meine Schuhe keine Schnürsenkel hatten und ich zudem in Ermangelung eines Gürtels mit den gefesselten Händen meine Hose festhalten musste, war das Gehen recht beschwerlich. Aus diesem Grund verwarf ich auch die Gedanken an einen Fluchtversuch, die mir natürlich gleich gekommen waren, schnell wieder.

Beim Gerichtsgebäude angekommen wurde ich in ein Zimmer geführt, bekam die Handschellen abgenommen und ein Wachtmeister wurde angewiesen, mich zu bewachen. Während ich noch überlegte, was nun passieren würde, ging die Tür auf, und herein kamen mit Fredi an der Spitze alle meine Kameraden, unter ihnen auch Andreas gestützt von Dietmar und Egon. Ich empfand eine unbeschreibliche Freude, als wir uns begrüßten, denn ich hatte keine Ahnung gehabt, dass wir uns hier begegnen würden. Ich musterte sie aufmerksam und stellte fest, dass alle mehr oder weniger mitgenommen aussahen. Sie waren abgemagert, hatten zerknitterte Kleidung, ungepflegte Haare und Bärte. Am übelsten sah Emmerich aus, dessen Gesicht schrecklich aufgedunsen war. Er sagte mir, dass er Probleme mit den Nieren und der Blase habe, dass er aber medikamentös behandelt würde. Die Freundlichkeit, mit der ich von allen begrüßt wurde, freute mich sehr, hatte ich doch oft genug von meinen verlogenen Vernehmern hören müssen, dass meine Kameraden mich als allein Schuldigen bezeichnet und sich von mir losgesagt hätten. Jetzt bestätigte sich, welch fabelhafte Kameraden sie waren. Ich bedauerte, dass sie sich mit mir zusammen auf einem Leidensweg befanden, dessen Dauer und Härte nicht abzusehen war, aber ihre Haltung gab mir Kraft und den Willen, die Zukunft zu meisten, selbst wenn ich mein Leben dabei verlieren sollte. Die größte Sorge bereitete mir Andreas, der ohne gestützt zu werden keinen Schritt gehen konnte. Durch die Verletzung seiner Wirbelsäule, genauer des Rückenmarks, litt er an einer Lähmung der Beine.

Als wir von mehreren Gerichtsbeamten in einen Saal geführt wurden, fiel uns auf, dass die Bilder von nur fünf der vormals sieben Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei an der Wand hingen. Die Plätze, wo vorher vermutlich die Bilder von Vasile Luca und Teohari Georgescu gehangen hatten, stachen hell von der ansonsten verrauchten Wand hervor. Was mit ihnen geschehen war, wussten wir natürlich nicht, doch die Tatsache, dass sie weg waren, war überraschend und erfreulich zugleich. Wie wir später erfuhren, waren sie kurz vorher ihrer Ämter enthoben und zu schweren Strafen verurteilt worden. Zuerst wurden unsere persönlichen Daten überprüft, und man teilte uns mit, dass wir weiter zu Verfügung der Securitate stünden. Die Anklage, die dann verlesen wurde, bestand aus den folgenden Punkten:

•politische Hetze (Flugblätter) und Anstiftung zum Aufruhr (Artikel Nr. 327/3 Strafgesetzbuch),

•Gründung einer bewaffneten Geheimorganisation (Artikel Nr. 209/3 Strafgesetzbuch),

•Zerstörung von Nachrichtenmitteln (Telefonleitungen),

•Verstoß gegen das Gesetz Nr. 199/1b aus dem Jahre 1952 für versuchtes Terrorverbrechen gegen die Staatsordnung (Strafmaß: Todesstrafe, lebenslange Zwangsarbeit oder 25 Jahre Zwangsarbeit),

•illegaler Waffenbesitz.

Die ganze Prozedur, von der wir kaum etwas verstanden, denn dazu hätten wir den Beistand eines Rechtsanwaltes gebraucht, dauerte vielleicht eine Viertelstunde. Dann wurde ich wieder von meinen Kameraden getrennt; sie wurden offensichtlich wieder ins Gefängnis geführt, während ich noch eine Weile warten musste, bis ein Jeep den Feldwebel und mich wieder zurückbrachte. Mit der von mir so geliebten Blechbrille auf der Nase fand ich mich bald wieder in meiner „trauten“ Zelle ein.

Andreas Verhaftung

Anlässlich unseres ersten Zusammentreffens bei Gericht hatte ich endlich auch die Möglichkeit gehabt, von Andreas zu erfahren, wie es seinerzeit zu seiner Verhaftung gekommen war. Nachdem er mit seinen 250 Flugblättern allein losgezogen war, begab er sich in sein Operationsgebiet, welches im südlichen Teil der Elisabethstadt lag. Es handelte sich um einen „besseren“ Bezirk, den er recht gut kannte, in welchem hauptsächlich Kleinbürger in ihren Einfamilienhäusern wohnten. Bis gegen 21.30 Uhr ging alles gut, er war fast fertig und hatte nur noch wenige Flugblätter zu verteilen. Als er sich in der Putna-Straße befand, traf er plötzlich auf einen gewesenen Klassenkollegen, Viktor Alexandrescu, genannt „Purschi“, welcher vor etwa einem Jahr wegen mangelnder Disziplin der Schule verwiesen worden war. Auf dessen Frage, was er, Andreas, hier mache, antwortete er, dass er Geta (Georgeta Georgescu), seine Ex-Freundin, nach Hause begleitet habe. Eigentlich keine gute Ausrede, denn „Purschi“ wusste von der Trennung der beiden, aber Andreas wollte seinen unerwünschten Gesprächspartner schnell loswerden. Dieser hatte aber anscheinend noch Lust zum Plaudern und ließ sich nicht so schnell abwimmeln, weshalb das Gespräch noch andauerte, als plötzlich ein Militärfahrzeug um die Ecke bog und in ihrer Nähe anhielt.

Ein junger Mann in Zivil stieg aus und näherte sich ihnen, während ein zweiter beim Wagen stehen blieb, in dem auch noch der Fahrer saß. Der zuerst Ausgestiegene hatte sie fast erreicht, als er sich mit der Frage an Andreas wandte, was er da mache? Andreas antwortete, er sei auf dem Heimweg. „Purschi“, der von Andreas zurücktrat, sagte unaufgefordert, auch er sei auf dem Weg nach Hause, und fügte hastig hinzu: „Ich habe nichts getan.“ So, als ob er gewusst hätte, dass Andreas etwas getan hatte. Die Frage, ob er tatsächlich etwas gewusst hatte, konnten wir nie klären. Der Mann hatte zwischenzeitlich Andreas erreicht, verlangte dessen Ausweis und packte ihn am Arm. Als dieser nicht sofort reagierte, sagte er, dass er von der Securitate sei, und versuchte gleichzeitig, Andreas zu umklammern. Andreas verpasste ihm einen Faustschlag ins Gesicht und stieß ihn zurück, konnte ihn jedoch nicht daran hindern, ihn noch im Fallen festzuhalten, als der zweite Mann, neben dem Geländewagen stehend, bereits einen Schuss abfeuerte.

Der Schuss traf den ersten Mann, der noch immer an Andreas hing, an der Schulter. Der Getroffene begann zu schreien, Andreas ließ ihn los, aber der Verwundete fasste ihn noch einmal, diesmal an den Beinen, um ihn festzuhalten. Andreas geriet aus dem Gleichgewicht, stürzte fast und befand sich in einer Drehbewegung mit dem Rücken zum Wagen, als dort der zweite Schuss brach und ihn in den Rücken traf. Die Kugel drang zwischen den Schulterblättern ein und streifte die Wirbelsäule, was zur Folge hatte, dass Andreas von der Wunde abwärts nichts mehr fühlte. Nach vorne gefallen war er sich seiner schweren Verletzung bewusst und zog seine Pistole mit der Absicht, sich zu erschießen. Der zweite Agent war aber schon neben ihm, trat ihm auf die Hand und entriss ihm die Waffe. Unter wüsten Beschimpfungen wurde er dann zum Wagen geschleift und hineingeworfen. Andreas bekam noch mit, dass sie losfuhren, verlor aber dann immer wieder phasenweise das Bewusstsein. Der zweite Agent kümmerte sich ausschließlich um den von ihm angeschossenen Kollegen, während der Fahrer den Wagen im halsbrecherischen Tempo durch die Stadt lenkte und erst vor dem „Begasanatorium“ hielt. An diesen Moment erinnerte sich Andreas später noch, verlor aber dann wieder das Bewusstsein. Aus seiner Ohnmacht erwachte er erst am Nachmittag des 12. September und wurde dann auch zum ersten Mal vernommen. Der Verlauf dieser Vernehmung blieb ihm nur sehr unklar in Erinnerung. Übrigens wurde der angeschossene Securist vorerst im gleichen Krankenhaus versorgt.

Das Geschoss, welches Andreas von hinten getroffen hatte, hatte die Wirbelsäule zwischen dem 4. und 5. Rückenwirbel gestreift, weshalb Andreas von der Verletzung abwärts gelähmt war. Im „Begasanatorium“ wurde er von Dr. I. Mihailescu, einem Bekannten seiner Familie, behandelt, welcher später auch seine Eltern verständigte – ein sehr mutiger Schritt. Die Blutungen in der Lunge dauerten drei Wochen, dabei musste Andreas jeden zweiten Tag das ausgelaufene Blut aus der Lunge gepumpt werden. Später wurde er dann in die „Clinicile Noi“ (Neue Kliniken) verlegt und dort von Dr. Stefanovici, einem Neurologen, weiter behandelt. Infolge der Lähmungen waren viele Körperfunktionen wochenlang beeinträchtigt, und daher konnte er erst am 4. März 1952 in das Gefängnis an der Popa-Şapca-Straße verbracht werden. Vermutlich wurde auch unser erster Prozesstermin wegen seines Zustands nochmals um zehn Tage verschoben.

Meine letzten Tage bei der Securitate verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Am Abend des 13. März wurde ich noch einmal von unserem Frisör „zivilisiert“. Er rasierte mich und stutzte mir auch die Haare. Nachdem er fertig war und verschwand, durfte ich mich mit kaltem Wasser duschen. Sauberkeit war unter den gegebenen Bedingungen ohnehin mehr Illusion denn Wirklichkeit. Dann ging es wieder in die Zelle. In dieser letzten Nacht bei der Securitate habe ich wenig geschlafen. Die Aussicht, endlich fortzukommen und mit meinen Kameraden zusammen zu sein, erfreute mich ungemein. Wie sich unsere nächste Zukunft gestalten würde, konnte ich mir kaum vorstellen. Ich vermutete, dass wir nach der Verurteilung würden arbeiten müssen, ohne jedoch eine Vorstellung darüber zu haben, unter welchen Bedingungen und wie lange. Einzig sicher schien mir, dass es nicht leicht sein würde.

Am Morgen gab es das übliche Programm, ich wurde zur Toilette geführt, konnte mich noch kurz waschen und bekam zum Frühstück den mir schon wohlbekannten Muckefuck, der durch seine Wärme und die Spuren von Süße angenehm war, aber ansonsten nur hungriger machte. Schon bald nach acht Uhr kam der diensthabende Feldwebel, um mich aus meiner Zelle abzuholen. Ich wurde in einen Raum geführt, wo mir ein Sack mit meinen Kleidern und sonstigen persönlichen Gegenständen aushändigt wurde. Nachdem ich den Empfang quittiert hatte, wurde ich – mit der obligatorischen Brille auf der Nase – in den Hof geführt und stieg in einen mit laufendem Motor wartenden Jeep. Ohne Wehmut verließ ich die Securitate von Temeschburg nach 178 Tagen Untersuchungshaft. Im Wagen saßen bereits mehrere Personen. Ich hörte das Tor quietschen und scheppern, es wurde geöffnet, der Wagen rollte los. Kaum auf der Straße, nahm mir jemand die Brille ab. Wir waren zu fünft im Wagen. Vorne neben dem Fahrer saß Deitel. Ich saß hinten zwischen einen Leutnant und einem Feldwebel, die mir beide unbekannt waren. Als sich Deitel zu mir nach hinten wandte, grüßte ich, was er nur mit einem ironischen Lächeln beantwortete.

Deitel fragte mich, wie ich mich fühlte und ob ich wüsste, wohin wir jetzt fuhren? Als ich antwortete, dass wir vermutlich auf dem Weg zum Gericht seien, sagte er, das sei richtig, wir würden jedoch noch einen kleinen Umweg fahren, denn er wolle mir noch einmal den Ort zeigen, wo ich als großer Sportler und Vorbild galt und wo es jetzt viele gebe, die die von mir begangenen Verbrechen und Dummheiten nicht verstehen könnten. Dann zählte er – wieder einmal – auf, wie ich mutwillig meine glänzend angelaufene Karriere verdorben und zudem noch zehn Freunde verführt und ins Gefängnis gebracht hatte. Ich kannte diese Vorwürfe schon zur Genüge und zog es vor, ihm nicht zu antworten. Ausführlich hätte ich unter den gegebenen Umständen sowieso nicht antworten können. Wir waren an der Ecke der Sportschule angekommen und Deitel befahl dem Fahrer, zu halten. Ich suchte aufmerksam den Hof und das Gebäude ab, sah aber niemanden. Es war die Zeit der ersten Unterrichtstunde, und die Schüler befanden sich daher alle in ihren Klassenräumen. Zu mir gewandt fragte mich Deitel, ob es mir nicht leidtue, diesen Ort für lange Zeit nicht mehr sehen zu können. Ich antwortete ihm, dass es für mich natürlich bedauerlich, aber wohl mein Schicksal sei, und dass ich nicht anders gekonnt hätte. Dazu meinte er: „Du bist ein Dummkopf! Was hast du dir eigentlich vorgestellt, dass du die Volksrepublik stürzen könntest? Merkst du nicht, dass sich die ganze Welt verändert, dass die Menschen vom Kapitalismus genug haben? Der Sozialismus wird auf allen Gebieten siegen, du wirst noch genügend Zeit haben, es zu erleben.“ Gott sei Dank unterbrach der mitfahrende Offizier seinen Monolog und mahnte zur Weiterfahrt.

Der Prozess

Als wir das Tor zur Haftanstalt neben dem Militärgericht von Temeschburg passierten, war ich ob der vielen Eindrücke und auch wegen des Gesprächs mit Deitel ziemlich erregt und auch etwas verwirrt. Es blieb mir bis heute ein Rätsel, was mit dem Vortrag während der Fahrt zum Gericht eigentlich bezweckt werden sollte. Vielleicht wollte er mich nur demütigen und beeindrucken, vielleicht aber auch vor dem beginnenden Prozess noch einmal verunsichern, ich weiß es nicht.

Dann öffnete sich ein weiteres Tor und meine Kameraden erschienen. Vorneweg, wie schon das vorige Mal, Andreas gestützt von Emmerich und daneben, sozusagen in Bereitschaft, Egon, um im Notfall einzugreifen. Andreas zeigte trotz seiner schweren Behinderung eine vorbildliche Haltung. Obwohl allen bewusst war, einen schweren Weg zu gehen, schienen sie froh, mich unter ihnen zu sehen. Wir waren bereit, das auf uns zukommende schwere Schicksal gemeinsam zu tragen.

Erfreulicherweise konnten wir feststellen, dass während des Verhöres niemand außer den schon verhafteten Mitgliedern der Organisation belastet worden war und deshalb weitere Verhaftungen hatten vermieden werden können. Als wir von mit Maschinenpistolen bewaffneten Milizsergeanten umstellt und in das Gerichtsgebäude geführt wurden, durchquerten wir auch wieder den Raum mit den Bildern der Oberhalunken der Partei- und Staatsführung. Viel lieber hätte ich sie persönlich anstelle ihrer Bilder hängen sehen. Allerdings fehlten noch immer Luca und Teohari, was wir mit Genugtuung quittierten, ohne freilich die Hintergründe zu kennen. Erst Jahrzehnte später konnte man aus dann frei zugänglichen Quellen ersehen, wie sich die „Wölfe“ seinerzeit untereinander zerfleischt hatten.

Wir kamen in ein Wartezimmer, in dem wir für kurze Zeit allein waren, selbst unsere bewaffneten Begleiter hatten uns verlassen. So blieben uns einige Minuten, um ungestört miteinander zu sprechen. Die Tür wurde erneut geöffnet, und zusammen mit einem Bewacher betraten zwei Zivilisten mit Aktentaschen und wichtigtuerischem Gehabe den Raum. Ihr Begleiter war ohne Waffe, denn diese hätte einer von uns „Desperados“ ihm entreißen und damit die Volksrepublik wieder gefährden können. Wie hatte doch Genossin Ana Pauker immer wieder unterstrichen: „Vigilenta“ (Wachsamkeit) sei das wichtigste Gebot vor dem Klassenfeind, der – so eine weitere Maxime der „genialen“ Politikerin – „nie schläft“. Die beiden Herren stellten sich als von Harrys Mutter und Emmerichs Eltern bestellte Rechtsanwälte vor, die die beiden verteidigen sollten. Sie verglichen die Daten aus ihren Akten mit denen ihrer Mandanten und versprachen, alles zu versuchen, um mildere Strafen zu erreichen. Emmerich zeigte sich von diesem Vorstoß seiner Eltern überrascht und meinte, dass er wenig Hoffnung auf Erfolg sehe. Harry sagte lediglich, dass seine Verteidigung keinesfalls die Belastung eines Kameraden als Grundlage haben dürfe, da er sonst auf eine anwaltliche Vertretung verzichten wolle. Als die beiden Rechtsanwälte uns kurz danach verließen, wandte sich einer von ihnen – während die Tür schon geöffnet war – mit einer Frage an seinen Begleiter, der so tat, als müsse er noch etwas in seiner Aktentasche suchen. Mit diesem Anhalten in der Tür wollten sie uns wohl die Möglichkeit geben, einen Blick in den benachbarten Raum zu werfen, wo unsere versammelten Eltern warteten. Fredi und Emmerich konnten auch tatsächlich einen kurzen Blickkontakt mit ihren Müttern erhaschen. Das war aber auch alles, denn der mitgekommene Bewacher schob die Genossen Rechtsanwälte zur Tür hinaus und verschloss diese von außen.

Die im Raum befindliche Wanduhr zeigte genau 9 Uhr an, als eine andere Tür geöffnet wurde und man uns befahl, in den Gerichtssaal einzutreten. Der Saal, den wir durch die Seitentür betraten, war etwa 20 mal 30 Meter groß und hatte um die 200 Sitzplätze. Andreas ging gestützt von Emmerich an der Spitze, dann folgten Harry und ich sowie alle anderen paarweise. Die erste Bankreihe auf der linken Seite war für uns, die Angeklagten, vorgesehen. Vorne im Saal befand sich eine zwei Stufen höhere Empore, auf welcher hinter einem massiven Tisch die Plätze der Richterschaft vorgesehen waren. Hinter den Stühlen der Richter prangte das große, erhabene Wappen der Volksrepublik und an der linken Wand ein Spruch, den ich bis dahin noch nie gehört oder gelesen hatte: „Nu legea este dreptate, ci dreptatea este lege“ („Nicht das Gesetz ist das Recht, sondern das Recht ist Gesetz“). Die Aussage war zugegebenermaßen voller Idealismus, doch die kommunistische Realität verhöhnte Tag für Tag und in allen Bereichen des Lebens diese hehren Worte. Von der Praxis der Rechtsprechung im kommunistischen Rumänien wussten wir damals zwar noch wenig, aber die sonstigen Versprechungen und Lügen des Regimes waren uns nur allzu bekannt, als dass wir uns der Illusion hingegeben hätten, dass der Wandspruch von den Richtern ernsthaft zur Richtschnur ihrer Entscheidung gemacht werden könnte. Sonst machte der Saal wie auch das ganze Gebäude einen gediegenen Eindruck, stammte es doch unverkennbar noch aus der vorkommunistischen Zeit.

Als wir den Saal betraten, sahen wir zu unserer Überraschung ziemlich viele Leute, alle den Blick auf uns gerichtet, und es war ein Raunen zu vernehmen. Der erste, den ich erkannte, war mein Vater, der rechts des Eingangs nur zwei Schritt von mir entfernt stand. Er schien gebrochen, wie ein alter Mann. Er sah so unheimlich mitgenommen aus, dass ich richtiggehend geschockt war und mich instinktiv an ihn wenden wollte, woran mich die begleitenden Milizleute natürlich sofort hinderten. Da erblickte ich meine und Harrys Mutter links von uns. Sie winkten aufgeregt und riefen gestikulierend aufmunternde Worte. Auf der rechten Seite des Saales erkannte ich zu meiner Überraschung eine größere Anzahl gewesener Mitschüler. Wie wir Jahre später erfuhren, war der Verband der kommunistischen Jugend (UTC) aufgefordert worden, eine Abordnung von Schülern der Sportschule zum Prozess zu schicken. Unser Fall sollte wohl als abschreckendes Beispiel dienen. Der kurze Blick reichte zwar nicht, um alle anwesenden Schüler zu erfassen, doch konnte ich schon erkennen, dass keine dabei waren, die mir irgendwie nähergestanden hatten. Auch Inge, Fredis Freundin, war nicht dabei. Es waren anscheinend überhaupt keine deutschen Schüler zur Verhandlung abgeordnet worden, was sicher damit zusammenhing, dass man die Gefahr von spontanen Sympathiebekundungen vermeiden wollte. Unter den älteren, uns unbekannten Personen, die ebenfalls im Saal saßen, waren vermutlich von der Partei ausgewählte „Genossen“, denen man einmal richtige „Klassenfeinde“ vorzuführen gedachte. Von der Securitate waren uns Deitel und Neda bekannt, aber um sie herum saßen noch weitere Zivilpersonen, die nach Geheimpolizei „rochen“.

Die Gerichtsverhandlung wurde durch eine einleitende kurze Rede des Vorsitzenden eröffnet. Sie bestand im Wesentlichen aus einer harten Kritik an unserem Verhalten gegen die „Volksdemokratie“, ein Verhalten, welches, so der Vorsitzende, von Reminiszenzen an unsere Erziehung in der „faschistischen Epoche“ Rumäniens zeugte. Dann wurden wir einzeln nach vorne gerufen, es wurden die persönlichen Daten eines jeden überprüft und seine soziale Herkunft umrissen. Als letzter kam ich an die Reihe. Ich wurde einerseits als verbohrter Nazi charakterisiert, andererseits als dummer Junge, der den Gang der Geschichte noch nicht erkannt hatte, nämlich dass der Faschismus endgültig erledigt sei und die Zukunft der „Volksdemokratie“ gehöre. Diese Pflichtübung des Präsidenten beeindruckte uns noch nicht, doch dann folgte der Staatsanwalt. Seine Anklagerede strotzte vor „Gift und Galle“. Wir waren, mit mir an der Spitze, eine Bande von Verbrechern, die nur darauf aus waren, den volksdemokratischen Staat zu zerstören und den Faschismus in Rumänien wieder einzuführen. Dafür wären wir bereit gewesen, auch Menschen zu ermorden. Aus diesem Grunde forderte er für die drei Hauptangeklagten Prack, Mildt und Boncea-Resch die Todesstrafe, denn solche Elemente wie wir müssten in der rumänischen Volksrepublik ausgemerzt werden. Für die anderen Mitglieder der Organisation wurden Haftstrafen zwischen zehn und 25 Jahren gefordert. Das gesamte Plädoyer dauerte ungefähr eine halbe Stunde und zeugte von einem geradezu bodenlosen Hass des Anklagevertreters gegen uns, verkommene „Bourgeois“ und „Faschisten“. Wie er diese beiden Eigenschaften unter einen Hut zu bringen verstand, musste verwundern. Jedenfalls war kein zustimmendes Aufbrausen in den Reihen der Zuhörer zu vernehmen, vielmehr schauten die meisten der Anwesenden mit betretenen Mienen drein und hörten schweigend die schweren Vorwürfe.

Wir, die Angeklagten, hörten nicht minder beeindruckt dem Staatanwalt zu. Meine Kameraden, die ja schon seit Längerem in der Haftanstalt von Temeschburg gewesen waren, hatten durch geheime Nachrichtenverbindungen erfahren, dass vor Kurzem das Strafmaß für politische Vergehen erheblich verschärft worden war. Offiziell begründet wurde dies mit der internationalen Lage, wie etwa dem Koreakrieg, der dauernden Aufrüstung der kapitalistischen Westmächte Großbritannien und USA und neuestens auch mit den Vorschlägen zur Wiederaufrüstung Westdeutschlands. Der Kalte Krieg hatte richtig begonnen. Die Anklage des Staatsanwalts war in ihrer Formulierung heftig, ohne jedoch in entscheidenden Punkten konkret zu werden. So vermied er es zum Beispiel tunlichst, den Inhalt unserer Flugblätter vorzutragen. Dieser war nämlich derart offenkundig, dass der Vertreter der Staatsmacht es nicht wagen konnte, ihn vor der anwesenden Öffentlichkeit auszubreiten. Sicher sah man die Gefahr einer zumindest heimlichen Zustimmung der Anwesenden.

Die Anwälte, die von den Familien Mildt und Hochstrasser mandatiert worden waren, plädierten sehr vorsichtig für ein milderes Urteil und führten als Hauptargumente das jugendliche Alter ihrer Mandanten an. Sie bezeichneten uns als irregeleitete Opfer eines dekadenten Bürgertums. Eine Bezugnahme auf Recht und Verfassung, in denen die Meinungsfreiheit festgeschrieben war, wagte natürlich keiner. Überraschend war die Stellungnahme des Gerichtsvorsitzenden, der uns als Opfer einer falschen Erziehung sah und die Ansicht vertrat, dass man uns nicht zu schweren Gefängnisstrafen verurteilen, sondern umerziehen sollte, um uns wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können. Diese Äußerung sollte zweifellos beweisen, wie human die kommunistische Rechtsprechung war, für das ohnehin eingeschüchterte Publikum gewiss eine Farce mit nachhaltiger Wirkung.

Gegen Ende des Prozesses wurde angekündigt, dass Professor Cornel Iovanescu, unser Schuldirektor, sich als Zeuge der Verteidigung angemeldet habe. Für uns war dies eine Überraschung, zeugte es doch von seinem Mut und seiner freundschaftlichen Haltung seinen gewesenen Athleten gegenüber. Allerdings, als er dann als Zeuge aufgerufen wurde, war er nicht mehr aufzufinden. Sicher hatte ihm die Securitate zwischenzeitlich nahegelegt, sich herauszuhalten. Vermutlich war dies auch besser so, denn er hätte ohnehin nichts für uns erreichen können, sich selber aber vermutlich große Schwierigkeiten bereitet.

Interessant war, dass auf die zum Verhandlungsbeginn verlesene Anklageschrift später weder durch den Staatsanwalt noch durch die Verteidiger Bezug genommen wurde. Es schien unwichtig, was wir getan hatten und warum dies geschehen war. Entscheidend war lediglich, dass es sich bei uns um „Volksfeinde und Mitglieder einer faschistischen Organisation“ handelte, wie der Staatsanwalt betonte. Als wir den ersten Wolkenbruch von Vorwürfen hinter uns hatten, wurde jedem von uns seine eigene Anklageschrift vorgelesen, was der Staatsanwalt mit sichtlicher Genugtuung tat. Etwa gegen 13 Uhr war der Prozess zu Ende und wir wurden – nach einem letzten, kurzen Blickkontakt mit unseren Angehörigen – durch den Hof in die Haftanstalt geführt. Diese schloss direkt an das Gerichtsgebäude und die anliegende Kaserne an.

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