Kitabı oku: «Aufrichten in Würde», sayfa 3
2.4 Vier Konsequenzen, vier Essentials
Aus dem beschriebenen biologisch-neuronalen Prozess des Traumaerlebens und des Traumaerinnerns sind Konsequenzen für die Traumatherapie zu ziehen. Die vier wichtigsten sind:
2.4.1 Die traumatische Erfahrung ist ein Erlebensprozess
Jede Therapie mit Opfern sexueller Gewalt muss eine Therapie des Erlebens sein, denn die traumatische Erfahrung ist eine Erfahrung besonderen Erlebens. Diese besondere Erlebensstruktur gilt es in der Therapie zum Thema zu machen und zu verändern. Es geht nicht nur darum, ein bestimmtes Verhalten zu ändern oder ein bestimmtes Gefühl wie den Zorn auf einen Täter zuzulassen. Es geht nicht nur um kognitive Erinnerungen oder Denkweisen. Es geht nicht nur darum, dem Schrecklichen Positives gegenüberzustellen usw. All das sind Einzelaspekte. Es geht darum, die traumatische Erfahrung als Erfahrung besonderen Erlebens ernst zu nehmen und im therapeutischen Prozess zum Thema der Veränderung zu machen.
Nur dann werden wir unserer Überzeugung nach den Klientinnen und Klienten gerecht.
Wir nennen diese grundsätzliche Haltung leibtherapeutisch. Das Wort „Leib“ haben wir – um an dieser Stelle noch einmal zu wiederholen, worauf in Kapitel 1 schon hingewiesen wurde – aus der Phänomenologischen Philosophie übernommen. Leib bezeichnet den sich und seine Welt erlebenden Menschen. „Leib“ bedeutet „Leben“, „lebendig“. Leib meint den Menschen, der sich erlebt, ist also nicht synonym mit Körper, meint also nicht den gewogenen, gemessenen, äußerlich beschriebenen Menschen.
Die Phänomenologische Philosophie hat die Prozesse des Erlebens untersucht und dafür eine Reihe von Begrifflichkeiten entwickelt (u.a. Merleau-Ponty 1966, Fuchs 2000). Wir haben diese Begrifflichkeiten aufgegriffen und um Ergebnisse der Säuglingsforschung (u.a. Stern 1992, Dornes 1999) und Neurowissenschaften ergänzt sowie auf der Grundlage der Auswertung unserer Erfahrungen zu einem Bündel diagnostischer Kategorien des Erlebens und leiborientierter Wege therapeutischen Veränderns erweitert, das wir Kreative Leibtherapie nennen.
Traumatherapie muss sich auf die Besonderheiten des traumatischen Erlebens und seiner Nachwirkungen einstellen und diese zum Ausgangspunkt therapeutischen Einwirkens nehmen. Die beschriebenen Notfallreaktionen erklären z. B. die Bedeutung der Erregungsverläufe im Traumaerleben und betonen die Wichtigkeit, mit den Erregungskonturen in der Traumabewältigung zu arbeiten. Die Traumabewältigung ist wichtig, um die chronifizierte hohe Erregung zu reduzieren und die Erregungskontur zu flexibilisieren. Und die Veränderung der Erregungskontur ist notwendig, damit nicht jede hohe Erregung ein Trigger ist, ein Auslöser für die Reaktivierung der Amygdala und damit die Wiederbelebung des Traumaerlebens.
Um solche Erregungsprozesse und ihre Veränderungen zu verstehen und zu handhaben, ist es nützlich, auf die leibtherapeutischen Modelle der Erregungskonturen und die Arbeit mit ihnen zurückzugreifen. In Kapitel 3 werde ich die für die Traumatherapie relevanten leibtherapeutischen Modelle des Verstehens und Handelns vorstellen und illustrieren, wie ich mit ihnen arbeite.
2.4.2 Worte allein reichen nicht
Gerade weil der Hippocampus die in der traumatischen Situation hereinströmenden Eindrücke und Erfahrungen nicht zu einem kognitiv sortierten Bild zusammensetzen kann, sind die Betroffenen auf Erinnerungen ihres Körpers und ihrer Sinne angewiesen und diesen oft hilflos und verständnislos ausgeliefert. Über keine konsistenten Erinnerungen zu verfügen, woran viele Klient/innen verzweifeln, weil sie an ihrem Erleben zweifeln, ist kein Mangel der Betroffenen, sondern Ausdruck des neuronalen Prozesses traumatischen Erlebens. Worte, die dies den Klient/innen erklären, sind hilfreich und notwendig für ihr Verständnis für sich und ihre Selbst-Sicherheit und ihr Selbst-Vertrauen. Auf diese erklärendenden Worte haben sie ein Recht. Auch auf deren Wiederholungen, wenn das Wissen darum wieder zu entschwinden droht.
Traumatherapie erfordert deshalb aber auch, an den Fragmenten und eingefrorenen Aspekten des Traumaerlebens anzusetzen, nicht nur an den kognitiven Reflektionen oder Bewertungen, sondern v.a. an sinnlichen Eindrücken wie Bilderfetzen, Geräuschen, Gerüchen sowie Erregungskonturen und körperlichen Aktionen und Reaktionen. Dies ist der tiefe Grund, warum Worte allein oft nicht reichen, warum Körperarbeit Zugänge verschafft und Veränderungen ermöglicht, warum z. B. Musiktherapie Erregungskonturen aufweichen und umwandeln kann und Kunsttherapie Bilderfetzen und andere sinnliche Fragmente re-integrieren kann.
Die Integration künstlerischer Medien in die Traumatherapie findet darin ihre Begründung und Legitimation. Entgegen manchen Vorurteilen ist die kreative oder künstlerische Therapie mehr als Basteln und mehr als das Malen eines Bildes, über das dann „therapeutisch“ geredet wird.
Künstlerische Medien in der Traumatherapie
ermöglichen Zugänge zum subverbalen und nonverbalen Erleben des Traumas,
bieten Chancen, Veränderungen des Erlebens und Verhaltens spielerisch-experimentell auszuprobieren,
ermöglichen Erinnern über die Sinneserfahrungen sowie gleichzeitig und darüber hinaus neue Erfahrungen der Sinne,
ermutigen und üben, zu greifen und zu ergreifen: Pinsel und Ton, Stoffe und Hände, Papier und Instrumente
öffnen Wege aus der Erstarrung,
bieten Chancen, ein Aufrichten körperlich-seelisch „probeweise“ zu er leben und individuelle Wege des Aufrichtens zu erproben,
geben Hinweise auf Spuren, die Dissoziierungen hinterlassen haben, und öffnen Wege der Entdissoziierung und Wiedergewinnung von Lebendigkeit,
lassen Unaussprechliches erklingen und ermöglichen niedrigschwellige Formen, mit dem Bruch des Schweigetabus zu beginnen,
ermöglichen neues Erleben und so auch neue und andere Worte,
können Erregungsverläufe hörbar und tanzbar und somit veränderbar werden lassen,
können Sinn und Spaß machen und Lebensfreude wiederbeleben
…
Traumatherapie ohne kreative Medien ist für mich nicht mehr vorstellbar. Das wird Ausdruck meiner persönlichen und therapeutischen Geschichte und Lebenserfahrung sein. Mir ist es ein großes Anliegen, alle Traumatherapeut/innen zu ermutigen, in dieser Richtung wenigstens das eine oder andere Experiment zu wagen. Sicherlich ist für die sichere Handhabung eine Aus-oder Weiterbildung in einer künstlerischen Therapie sinnvoll. Doch auch viele einzelne Elemente aus dem breiten Fundus künstlerischer Therapien können von erfahrenen Traumatherapeut/innen in ihre Arbeit integriert werden. Deswegen werde ich in Kapitel 4 einige dieser Methoden vorstellen, die sich in meiner traumatherapeutischen Praxis besonders bewährt haben und in der Fortbildung und Supervision von Traumatherapeut/innen Anklang und Bestätigung durch deren traumatherapeutische Praxis gefunden haben. Dabei bin ich mir bewusst, dass die schriftliche Beschreibung dieser Methoden das Erleben und das reflektierte Lernen in einer Aus- oder Weiterbildung nicht ersetzen kann.
2.4.3 Würdigen, was ist
Die Fragmentierung traumatischen Erlebens führt bei den meisten Betroffenen dazu, dass sie verunsichert sind und nicht mehr wissen, „woran sie mit sich dran“ sind, wie es eine Klientin ausdrückte. Das geringe Selbstwertgefühl, mit dem die meisten Klient/innen eine Therapie aufsuchen, ist Ausdruck davon. Traumatherapie ist deshalb immer auch Arbeit am Verständnis für die eigene Person, mit allen Fragmentierungen und Zerrüttungen, mit all den Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten.
Das Erleben einer existenziellen Bedrohung ist so chaotisch wie für viele Menschen die Folgen davon. Dieses Erleben sollte zuerst einmal so angenommen werden, wie es ist, ohne dass es zurechtgewiesen wird, weil es nicht in vorgegebene Phasen therapeutischer Behandlung oder in ideologische Vorannahmen der Therapeut/innen passt (dazu später mehr). Würdigen, was ist! In Kapitel 5 werde ich deshalb unser Konzept der 4 B (Boden, Beziehung, Begegnen, Bewältigen) vorstellen, mit dem wir diesem Erleben der Klient/innen gerecht zu werden versuchen, mit Blick auf die konkrete Person mit ihren konkreten Ressourcen und ihrem konkreten Leiden.
2.4.4 Beziehung, Beziehung, Beziehung
Das Erleben der traumatischen Situation ist eine existenzielle Bedrohung und somit eine Überforderung des betroffenen Menschen. Fight oder Flight, Freeze oder Fragment sind Ausdruck dieser Bedrohung und Überforderung. Das Handeln der Täter/innen kann nur deshalb auf Ohnmacht und Hilflosigkeit stoßen, weil die betroffenen Menschen ohne Hilfe, Beistand und Rettung sind.
Das traumatische Erleben ist ein Beziehungserleben in doppelter Hinsicht: Es ist das Erleben einer existenziell bedrohlichen Beziehung zu einem oder mehreren Täter/innen und es ist das Erleben einer Leere, des Fehlens von Hilfe und Unterstützung. Das Alleinsein in der traumatischen Situation setzt sich oft fort im Alleinsein „danach“.
Therapie ist ein Beziehungsangebot. Im therapeutischen Prozess wird die Beziehung zum Täter/zur Täterin ebenso lebendig wie das Erfahren von Leere und unterlassener Hilfeleistung. Und die therapeutische Beziehung ist eine Alternative zum Alleingelassen-Werden, eine Chance, Beziehung neu zu wagen und zu erproben. Deswegen werde ich in Kapitel 6 auf verschiedene Aspekte der therapeutischen Beziehung in der Traumatherapie eingehen.
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Essential „Leib“: Grundlegende leibtherapeutische Modelle des Verstehens und der Hilfe
3.1 Erregungskonturen und Erregungspulsieren
3.1.1 Vom Erregungsverlauf zur Erregungskontur
Eine Klientin, 32 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, halbtags im Bürotätig, kommt in die Therapiestunde und erzählt aufgeregt und mit hoher Stimme: „Ich bin den ganzen Tag unter Dampf, nie komme ich zur Ruhe. Immer wollen alle etwas von mir. Und wenn die mal Pause machen, fällt mir ein, was ich alles noch zu tun habe, und überlege, was ich wann mache und ob ich nicht etwas vergessen habe. Das ist bei der Arbeit so und zu Hause auch. Und abends falle ich dann vor dem Fernseher todmüde in den Tiefschlaf, ganz plötzlich bin ich weg. Aber morgens um fünf bin ich genauso plötzlich wach, mein Herz klopft mir bis zum Hals vor Angst und ich überlege, was ich alles vergessen habe und was ansteht und so weiter. Ich bin zu müde, um aufzustehen, und zu wach und aufgeregt, um einzuschlafen. Dann bin ich gerädert.“
Diese Klientin erzählt von ihrem Erregungserleben, das sich auf einem permanent hohen Niveau zu einer Erregungskontur dauerhaft verfestigt hat. Dauerhaft erhöhte Erregung ist ein Symptom des posttraumatischen Stresssyndroms, eine der häufigsten Lebensqualitäten chronifizierten traumatischen Erlebens.
Jeder Mensch neigt zu bestimmten Erregungsverläufen. Manche neigen eher dazu, auf relativ gleichbleibendem Erregungsniveau zu leben, für andere gilt „himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt“, also rasch wechselndes Auf und Ab. Manche leben in stetig niedrigem Erregungsniveau, andere stehen „ständig unter Dampf“. Für einige ist ein stetiges Ansteigen und abruptes Abbrechen der Erregung charakteristisch, wieder andere steigen von Null abrupt auf „150“, wie es umgangssprachlich heißt.
In der Kreativen Leibtherapie wird Erregungsverläufen eine besondere Bedeutung zugemessen:
Bei vielen Menschen verfestigen sich Erregungsverläufe wie die genannten zu Erregungskonturen. Sie leiden darunter, in bestimmten immer wiederkehrenden Erregungskonturen gefangen zu sein, und suchen Wege der Flexibilisierung.
Erregungsverläufe und Erregungskonturen sind transkonkret, das heißt, dass z. B. abrupte Wechsel innerhalb eines Erregungsverlaufes sowohl bei freudiger Erregung als auch in Wut und zorniger Erregung geschehen können. Dies führt dazu, dass die Festlegung auf prägende Erregungskonturen in besonders vielfältiger Weise das Leben eines Menschen beeinflusst.
Erregungsverläufe sind die frühesten Muster, die in der Interaktion zwischen Säuglingen und ihren Müttern oder anderen Bezugspersonen entstehen. Die Art und Weise, wie z. B. die Mutter im körperlichen Kontakt beim Füttern, beim Wickeln usw. mit dem Säugling umgeht, verbindet sich mit den Eigenheiten des Säuglings und führt zum Entstehen erster Erregungskonturen. In Erregungskonturen sind folglich sehr frühe und sehr intensive Erfahrungen enthalten, sie bestimmen das Gesamtbefinden des Erlebens eines Menschen.
Umso gewichtiger ist es zu wissen, dass das Traumaerleben zumeist die Erregungskonturen eines Menschen nachhaltig beeinflusst. Dies kann unterschiedliche Ausdrucksformen haben:
Eine häufige Folge traumatischer Erfahrungen besteht darin, dass Menschen unter dauerhafter Hocherregung leiden. Ihre „normale“ Erregung läuft auf hohem Niveau ab bzw. sie geraten sehr leicht in einen stetig hohen Erregungsverlauf hinein. Erlebt wird das oft als chronische Hochgespanntheit, chronische (Über-)Anstrengung oder chronisches Auf-der-Hut-Sein. Die betroffenen Menschen beschreiben ihr Lebensgefühl als „Über-Angestrengtsein“. Ist die hohe Erregung in der Situation des traumatischen Ereignisses noch eine natürliche Schutzreaktion auf die existenzielle Bedrohung, so bindet ihre Chronifizierung zahlreiche Lebensenergien, beeinflusst soziale Kontakte und reduziert die Möglichkeiten, Ruhe und Entspannung zu finden.
Andere Opfer traumatischer Erfahrungen leben in einer plötzlich ansteigenden Erregungskontur, die äußerliches Eingefrorensein und innere Hocherregung kombiniert. Auslöser sind oft Erinnerungen an das traumatische Erleben oder Trigger, die unbewusst traumabezogene Reaktionen wiederbeleben. Oft beschreiben die Betroffenen das, was sie erleben, mit Formulierungen, die ihr Herz betreffen: „Mein Herz bleibt fast stehen.“ Oder: „Mein Herz klopft so wahnsinnig, als ob es gleich aus dem Körper springen möchte.“
In einer dritten Erregungskontur, die häufig bei Opfern sexueller Gewalt anzutreffen ist, ist nur die Erstarrung sichtbar. Sie wird auch von den betroffenen Menschen nur als „wie tot“ bzw. „tot“, „wie eine Salzsäule“, „eiskalt“, „leer“, „nichts, kein Gefühl“, „absolut gleichgültig“ beschrieben. Die Erregung ist nicht auszuhalten, sie wird dissoziiert und nicht wahrgenommen. Diese Starre ist eine Schutzreaktion auf eine nichtaushaltbare Hocherregung bzw. auf eine Erregung, die allein nicht aushaltbar ist. Die Erstarrung reißt die Betroffenen aus jeder Kontaktmöglichkeit. Wird allerdings in der therapeutischen Beziehung eine kleine Veränderung aus der Einsamkeit heraus möglich, z. B. ein Blickkontakt oder ein Ton, dann löst sich die Dissoziation und die Erregung wird spürbar und durch den entstandenen Kontakt aushaltbar.
Jede dieser Formen der Hocherregung kann zu einem abrupten Abfall führen, der in tiefste Erschöpfung mündet. Oft sackt der Kreislauf ab, die Menschen werden bleich und/oder um den Mund herum blau, der plötzliche Zusammenbruch kann bis zur Ohnmacht gehen.
Jede Traumatherapie muss deshalb den Erregungskonturen besonderes Augenmerk schenken. Dazu ist es notwendig, sie zuerst einmal zu identifizieren. Es gibt mehrere Anzeichen v.a. hoher Erregungszustände. Oft ist die Muskelspannung sehr hoch. Füße und Hände werden als kalt beschrieben, die Klient/innen erzählen, dass sie „immer frieren“. Das Herz beginnt zu rasen. Der Atem ist bei hohen Erregungszuständen verbunden mit starker Angespanntheit zumeist flach. Verändert er sich, ist dies kein Zeichen, wie sich die Erregungskontur entwickelt, aber ein Zeichen, dass sie dies tut. Bei manchen Klient/innen findet ihre innere Hocherregung auch in unwillkürlichen Bewegungen wie dem Ausschlagen einer Hand oder Zuckungen des Ellbogens ihren Ausdruck. Solche Bewegungen sind oft den Menschen bewusst, da auffällig, und werden oft auch von ihnen selbst als „Tiks“ bezeichnet. (zu unbewussten Bewegungen s. Kap. 4.9: Schattenbewegungen) In ihnen bricht sich oft zurückgehaltene innere Hocherregung ihre Bahn.
Die meisten Klientinnen und Klienten bringen ihre traumatischen Erfahrungen nicht in Verbindung mit den Erregungskonturen, unter denen sie leiden. Wenn ich solche Zusammenhänge erläutere, diagnostiziere (im Sinne von: Einsicht gewinnen), hat das positive Folgen, da die Klient/innen dann weniger mit ihren Erregungen und damit mit sich hadern und mehr Verständnis für sich aufbringen. Gleichzeitig sind solche Hinweise ein Einstieg, in der Therapie mit den Erregungskonturen zu arbeiten.
3.1.2 Erregungskonturen spielerisch-kreativ verändern
Mit Erregungen therapeutisch zu arbeiten, beinhaltet, sie mit kreativen Ausdrucksmöglichkeiten überhaupt sichtbar, spürbar, fühlbar werden zu lassen, sie wahrzunehmen und insofern zuerst einmal anzunehmen, also zu akzeptieren, dass sie Folgen einer traumatischen Erfahrung sind. Finden Erregungskonturen ihren Ausdruck, können sie verändert werden oder, so unsere Beobachtung, verändern Klientinnen und Klienten sie manchmal im Laufe des spielerisch-kreativen Ausdrucksprozesses von selbst ohne Aufforderung durch die Therapeutin oder den Therapeuten. Da vielleicht manchen Leser/innen das Wort „spielerisch“ im Zusammenhang mit dem schweren Thema Trauma unpassend erscheinen mag, möchte ich kurz die Bedeutung des Spiels definieren. Spiel ist der Weg, auf dem Menschen die Welt entdecken und sich aneignen. Spielen verknüpft Spontanität mit Ernsthaftigkeit sowie Regeln mit Zufall. Spielen ist experimentelles Ausprobieren. Spielen bedeutet, in Bewegung zu kommen.
Wer seine hohe Erregung musiziert, tanzt oder in großflächigen Bildern gestalterisch zum Ausdruck bringt, tendiert dazu, im Verlauf der kreativen Improvisation die Erregung herunterzufahren, zumindest zu verändern. Gelingt dies nicht allein, laden wir dazu ein, indem wir als Therapeut/innen uns an dem kreativen Ausdruck beteiligen und diesen im Dialog fortführen. Bei einer Klientin äußerte sich chronifizierte Erregung als Traumafolge u.a. in Schlafstörungen, unter denen sie aktuell sehr litt. „Jede Nacht das Gleiche. Das überfällt mich. Ich komm da nicht raus.“
Ich bat sie, die Schlafstörungen als Bewegung darzustellen. Sie sprang sofort aus ihrem Sessel auf und begann, im Kreis umher zu laufen. „In meiner Vorstellung ist das immer gleich, ich dreh mich im Kreis, immer das Gleiche …“, sagte sie resignierend.
Ihre Erregungskontur hatte einen Ausdruck gefunden: den Kreis. Dabei geschah die erste Veränderung: Die Klientin selbst bewegte sich im Kreis, sie war aktiv, immer noch gefangen, aber aktiv sich bewegend, nicht nur den Schlafstörungen ausgeliefert, die sie nachts „überfallen“, als würden sie nicht Teil ihrer selbst sein.
Im nächsten Schritt regte ich mit meinem Vorschlag an, diesen Ausdruck zu konkretisieren. Ich bat sie nun, in den Kreis, den sie beschritten hatte, Musikinstrumente zu legen. Sie legte mehrere Instrumente hinein: eine Mundharmonika, eine Trommel, einen Gong, eine Rassel und mehrere Klangstäbe. Die Wahl der Instrumente kommentierte sie: „Der Gong ist das Knallen, wenn ich aufwache. Dann kommt die Trommel, mein Herz rast und klopft. Dann werde ich langsam ruhiger im Herzen, aber in mir rasselt es, manchmal ist das auch ein Quietschen, wie so ein hoher Ton …“ Die zweite Veränderung vollzog sich: Der Kreis war nicht mehr eintönig, nicht „immer das Gleiche“, sondern wurde von ihr durchaus differenziert beschrieben und erlebt.
Ich ermutigte sie nun, diese Instrumente oder wenigstens das eine oder andere von ihnen auszuprobieren und zu spielen. Dabei gab es mehrere Überraschungen. Einige Klänge waren ganz anders, als die Klientin erwartet hatte. Sie schlug den Gong beim ersten Mal sehr laut, meinte dann aber: „Das stimmt so nicht.“ Sie probierte unterschiedliche Klangmöglichkeiten des Gonges aus, bis sie bei sehr leisen Tönen, die aus leichten Schlägen an den Rand des Gongs entstanden, energisch nickte und sagte: „Das ist es.“
„Was hören Sie?“, fragte ich. „Ein Wimmern“, antwortete sie, „so hab ich früher oft in meinem Bett gewimmert.“ „Wann?“ „Nachts. Viele Nächte.“
Sie probierte weiter aus. Von der Mundharmonika erwartete sie einen quietschenden hohen Ton, einen „ganz nervigen“. Aber es gelang ihr nicht, diesen Ton aus der Mundharmonika hervorzubringen. „Das ist ja ganz zart. Vielleicht hätte ich das gebraucht, so etwas Zartes und Tröstendes, wenn ich früher allein in meinem Bett vor mich hin gewimmert habe.“ Das Ausprobieren der Instrumente führte die Klientin in unterschiedliche Aspekte ihres Erlebens, die in der Erregungskontur enthalten waren, leidvolle und stärkende und tröstende. Ein solches Aufweichen fester Erregungskonturen ist der erste Schritt, oft die Voraussetzung für die weitere therapeutische Arbeit, die notwendigerweise folgen muss, um die Triebkraft hoher Erregung dauerhaft zu verändern.
3.1.3 Den Fuß in die Tür bekommen …
Entscheidend ist oft die Arbeit mit der Frage: „Was war los, bevor es losging, bevor die Erregung anstieg oder explodierte?“ Hier gilt es, bei immer wieder gleich oder ähnlich laufenden Erregungsverläufen gleichsam den „Fuß in die Tür“ zu bekommen, um Änderungen zu ermöglichen. Die Klient/innen haben fast immer schon vieles versucht, z. B. Ausbrüche explodierender Erregung „in den Griff“ zu bekommen oder bei hoher Dauererregung Entspannung zu suchen – zumeist vergeblich. Ist die Erregung erst einmal auf hohem Niveau, ist sie nur schwer zu stoppen, sie ist allenfalls zu reduzieren. Hilfreich ist die Frage nach dem „Was war vorher?“ Dazu als Beispiel die Beschreibung des Prozesses einer Therapieeinheit:
Eine Klientin leidet unter abrupt explodierenden Erregungsschüben. Sie malt sie. Ich frage sie: „Wo ist die spannendste Stelle?“ Sie zeigt auf eine Stelle in dem Bild, an den Anfang der Explosion. Ich bitte sie nun, für diese spannendste Stelle einen Platz im Raum zu suchen. Sie bestimmt einen Platz in der Mitte des Raumes. „Wählen Sie nun für diese Stelle ein Musikinstrument und nehmen Sie es mit an diese Stelle.“ Die Klientin wählt das Bandoneon.
„Wählen Sie nun ein Instrument für die Zeit oder den Moment davor.“ Sie wählt das Cello. „Wählen Sie nun ein Instrument für danach.“ Sie wählt eine große Trommel.
Dabei schaut sie mich fragend an: „Warum ich diese Instrumente ausgewählt habe, weiß ich nicht. Keine Ahnung, die kamen mir nur so in den Sinn.“
Ich kann ihre Frage auch nicht beantworten, weil ich nicht mehr weiß als sie, lediglich auf ihre Weisheit vertraue, und sage: „Vertrauen Sie Ihren Impulsen und Eingebungen. Herausbekommen können Sie einiges über sich und ihre Erregungen, wenn Sie diese Instrumente erklingen lassen. Lassen Sie sich überraschen. Beginnen Sie mit dem Instrument für die spannendste Stelle, mit dem Bandoneon.“ Sie greift zu dem Bandoneon, probiert ein wenig herum, indem sie verschiedene Tasten und Rhythmen ausprobiert und wiederholt dann einige schräge Töne. „Das hört sich an wie mein Vater. Und das wie meine Mutter.“
Oft wird, so wie hier, bei dem, was die Klient/innen als spannendste Stelle aussuchen, etwas Vertrautes sichtbar oder hörbar. Und aus dem Ausdruck entsteht ein Impuls des Veränderns, eine irgendwie geartete Weiterentwicklung. Die Klientin drückt das Bandoneon weiter zusammen und zieht es auseinander, hört aber auf, dabei auf die Tasten zu drücken. Es entstehen Töne, die wie Atem klingen, immer leiser werdend. „Das erinnert mich an mich selbst, wie ich fast verschwinde, darin untergehe.“
„Was war vorher?“ Der für den Prozess oft am ehesten weiterführende Impuls entsteht aus dieser Frage. So auch hier. Sie ergreift das Cello, streicht mit dem Bogen hin und her und beginnt, leise zu weinen. In ihr entsteht ein Bild, wie sie allein in ihrem Zimmer ist, voller Tagträume, sich mit ihrer Einsamkeit träumend arrangiert. Diese Erinnerung ist traurig, schafft aber auch Zugang zu einer ihrer Ressourcen. „Dass ich so viel geträumt habe, war ja auch gut. Es hat mir geholfen. Ich habe mir ganze Welten erschaffen, was hatte ich für Fantasien!“, erzählt sie. Und sie stockt, bricht ab.
Diesem Moment der Stockung Aufmerksamkeit gebend, frage ich nach: „Und was war dann? Was war zwischen den Fantasien in Ihrem Zimmer und den Stimmen der Eltern?“ „Da ist die Lücke. Das Schlimme.“ Sie holt auch dafür ein Instrument, eine Schelle. Sie schlägt die Schelle mehrmals. „Das ist die Gewalt. Das ist das Dazwischen.“
Sie schaut auf das Bandoneon. „Das hat mir nicht geholfen. Da bin ich verschwunden.“
Ich verweise auf die Trommel: „Sie haben noch ein Instrument ausgewählt, eines für das Danach.“ Sie geht zu den Trommeln und beginnt zögernd zu schlagen. Allmählich wird sie kräftiger, dann schnell und verzweifelt, schließlich findet sie ihren Rhythmus, gar nicht so laut, aber klar und eindeutig. Und sie richtet sich, während sie in diesem Rhythmus schlägt, auf.
In den Zwischenbesprechungen und in der Nachbesprechung dieses hier komprimiert dargestellten Prozesses wird deutlich, dass die Klientin ihrem Traumaerleben dabei begegnet ist. Dies war aber nichts Neues im Sinne einer bewusst herbeigeführten „Trauma-Konfrontation“. Sie begegnet ihrem Traumaerleben fast täglich, nämlich in ihren Erregungskonturen, in ihren explosiven Ausbrüchen, an denen sie und ihre Familie leiden. Dadurch, dass sie diese Erregungskontur malerisch und musikalisch ausdrückte, wurde das Drama der ausweglosen Wiederholung beendet (zumindest einmal konnte sie diese Erfahrung machen, an die sie wieder anknüpfen kann, wenn die Alltagserfahrung weitere therapeutische Anläufe und Durchgänge notwendig macht). Entscheidend ist dabei, nicht nur auf den Aspekt zu schauen, der für die Klientin im Vordergrund steht (hier das Explosive), sondern darüber hinaus minutiös nach dem Davor bzw. dem Davor vor dem Davor oder dem Dazwischen zu fragen. Das, was im Erleben in Bruchteilen von Sekunden quasi automatisch und unbewusst passiert, wird zeitlich gedehnt und damit dem Bewusstsein und der aktiven Veränderung zugänglich. Gehen Klient/innen mit unserer Unterstützung dieser Frage nach, begegnen sie dem Leiden, oft der Gewalt, ohne dass diese unweigerlich sehr in den Vordergrund treten muss. Ob sie sich mit dieser Phase ihres Erlebens näher beschäftigen wollen oder müssen, hängt von der Phase des gesamten Therapieprozesses und der aktuellen Befindlichkeit ab. Sie haben auch die Chance, ihren Kraftquellen zu begegnen. Zumindest wird die Fokussierung auf einen bestimmten Erregungsaspekt aufgeweicht, aus einem sich wiederholenden So-Sein wird ein Prozess, aus Starre wird Bewegung, aus einer leidvollen Erregungskontur Erregungspulsieren. In dem früheren Traumaerleben der Klientin mündete die Traumaerfahrung in Alleinsein und Untergehen, ja Verschwinden unter den Stimmen ihrer Eltern. Hier mündet das Erleben in etwas anderes, in den Widerstand, in das Finden des eigenen Rhythmus, in das Aufrichten.
All das kann in einer Erregungskontur verdichtet enthalten sein. Die Weisheit der Klient/innen beginnt in der Wahl der Instrumente, ihrer Bewegungen, ihrer Bilder und Gestaltungen. Alles weitere entsteht aus den Impulsen des Prozesses, wenn sie sich darauf einlassen und ihrer Begleitung vertrauen.