Kitabı oku: «Klingen, um in sich zu wohnen 2», sayfa 4

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14.3 Vom Musizieren zum Reden

Die Anzahl der Möglichkeiten, von der Erfahrung eines Musizierens ausgehend ein Gespräch zu führen, sind so unendlich wie die Menschen und die Vielfalt ihrer klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten. Auf manches, was uns innerhalb dieser Vielfalt wesentlich ist, haben wir in anderen Zusammenhängen hingewiesen. Es zieht sich als therapeutische Haltung und damit verbundener Gesprächsmethodik durch all unsere Beschreibungen. An dieser Stelle wollen wir uns vor allem dem Fragen widmen. Selbstverständlich muss keine Frage am Anfang stehen. Der erste Satz des Therapeuten oder der Therapeutin kann ebenso aus einem Sharing bestehen („Ich habe Sehnsucht gespürt, als ich Ihnen zugehört habe.“) oder einem Feedback („Es gab sehr laute und sehr leise Phasen in Ihrem musikalischen Spiel.“) (s. Kap. 24.3). Dennoch: Fragen eignen sich für den Übergang vom Musizieren ins Gespräch eigentlich immer. Welche Frage stelle ich als erste? In dieser Unsicherheit können gerade MusiktherapeutInnen mit wenig Erfahrung offensichtlich Unterstützung brauchen. Deswegen wollen wir hier einige unserer Erfahrungen vorstellen und kommentieren:

 „Was ist jetzt?“ Diese Frage zielt auf den Nachklang, auf die Wirkung des Musizierens ab. Wir stellen sie gern, wenn wir einen solchen Nachklang hören und zum Beispiel am Gesichtsausdruck der KlientInnen beobachten und den Eindruck haben, dass das Musizieren eine Überraschung oder eine Veränderung im Erleben des Klienten oder der Klientin hervorgerufen hat. Wir verwenden diese Frage ebenfalls gern bei KlientInnen, die dazu neigen, ein Erleben schnell wegzuanalysieren, also über das, was war, zu reden und darüber Distanz zu gewinnen. Manchmal brauchen das die KlientInnen, um ihre Erregung zu verkraften und zu ordnen. Dann respektieren wir dies selbstverständlich. Oft leiden KlientInnen aber darunter, dass sie zu schnell etwas „wegreden“. Dann helfen wir mit dieser Frage, die Aufmerksamkeit auf den Nachklang und das unmittelbare Erleben nach dem Musizieren hier und jetzt zu richten.Abgesehen von all diesen Indikationen ist diese Frage, wenn sie ernst gemeint ist und man ihr und den damit verbundenen Leibregungen auf der Spur bleibt, universell: Sie kann im therapeutischen Prozess nicht falsch sein, hilft über Stockungen und Sackgassen – auch die der TherapeutInnen – professionell hinweg und lässt den Prozess weitergehen.

 „Was haben Sie erlebt?“ Diese klassische Frage fordert auf, so gut es geht, das, was im Musizieren als Erlebens- und auch Veränderungsprozess erfahren wurde, in Worte zu fassen. Häufig wünschen und brauchen KlientInnen solche Verbalisierung. Sie sehnen sich danach, das auszusprechen und zu verstehen, was in ihnen geschieht und zwischen ihnen und den TherapeutInnen. Ein solches Gespräch dient der Verdauung und der Integration.

 „Was haben Sie gehört?“ Diese Frage schieben wir manchmal vor die Frage „Was haben Sie erlebt?“. Sie ermöglicht, die Aufmerksamkeit zuerst einmal auf Klangbild, Melodie, Rhythmen, musikalische Themen, Veränderungen usw. zu richten. Diese Frage kann helfen, von außen nach innen zu gehen, vom Gehörten zum Erlebten, und somit einen kleinschrittigen Weg der Verarbeitung einleiten. Manche KlientInnen vermitteln allerdings mit ihrer Antwort, dass sie die Frage: „Was haben Sie gehört?“, unmittelbar synonym setzen mit der Frage: „Was haben Sie erlebt?“ Und das ist dann ja auch gut so.

 „Was haben Sie gemacht?“ Diese Frage richtet sich auf die Wahrnehmung des eigenen Tuns.

 „Was haben Sie gedacht?“ Diese Frage ist wichtig für Menschen, deren Gedanken kreisen und die glauben, darauf keinen Einfluss mehr zu haben.

 „Was für eine Atmosphäre haben wir eben in den Raum gezaubert?“Dass Klänge häufig Atmosphären hervorrufen, haben wir schon betont.– „Was hätte ein kleines Mäuschen dort in der Ecke eben bei unserem Spiel erlebt, gehört, gedacht usw.?“ Oft brauchen KlientInnen helfende Beobachter. TherapeutIn und KlientIn können sich auch gemeinsam vorstellen, ein Spaziergänger wäre am Raum vorbeigegangen, hätte erstaunt innegehalten und gedacht: „Das klingt ja wie …“

 „Woran erinnert Sie das?“ Manchmal wird in den ersten Sätzen eines Klienten oder einer Klientin nach einer musikalischen Improvisation oder einem anderen musikalischen Agieren deutlich, dass ein Lebensthema oder Zusammenhang zu alten Mustern angeklungen ist. Dieser Frage sollte eine der oben genannten Fragen vorhergehen, damit zuerst einmal dem unmittelbaren konkreten Erleben Raum gegeben werden kann. Wenn das Besondere der klanglichen Strukturen, wenn das Besondere des klanglichen Erlebens im Musizieren deutlich geworden ist, kann man fragen, in welchen Zusammenhängen des Lebens solche Strukturen, solche Erlebnisqualitäten noch bekannt sind, und damit in Richtung Mustererkennung und Musterveränderung weiterarbeiten.Oft reicht die Frage einfach so, wie sie oben gestellt ist, und oft müssen TherapeutInnen die KlientInnen dabei unterstützen, Einfälle zuzulassen und ihnen zu vertrauen. Die inneren spontanen Antworten werden manchmal zunächst als zusammenhanglos, absurd oder vollkommen unverständlich erlebt und „weggesteckt“. Hilfreich sind neben ein wenig Hartnäckigkeit wahlweise folgende Anregungen: „An welche Situation oder Situationen erinnert Sie das? An welches Alter? An welche Lebensphase? An welche Atmosphäre oder Atmosphären? An welche Farben? An welche anderen Geräusche, Klänge, Stimmen? An welche Menschen?“

 Nach einem musikalischen Dialog reicht es oft nicht, die Klientin oder den Klienten nur nach dem persönlichen Erleben zu fragen. Es ist meist notwendig, sich speziell danach zu erkundigen, wie die Klientin/der Klient die musikalische Interaktion erlebt hat, z. B.: „Wie war der Kontakt mit mir?“, „Wie ist jetzt der Kontakt mit mir?“, „Was hat sich zwischen uns verändert?“, „Was hat gut getan, was hat beruhigt oder beunruhigt, was hat gestört?“, „Was haben Sie, was haben wir beide Ihrem Eindruck nach vermieden?“ KlientInnen haben häufig eine Scheu, ihr Erleben in Bezug zum Therapeuten oder zur Therapeutin zu setzen. Deswegen bedarf es in dieser Hinsicht der besonderen Ermunterung.Es ist sicher auch günstig, dass die TherapeutInnen an irgendeiner Stelle des Gesprächs nach einem musikalischen Dialog von sich aus diese Fragen beantworten, ein Feedback und ein Sharing geben und erzählen, wie sie die Beziehung erlebt haben.

 „Was brauchen Sie jetzt?“ Diese Frage liegt uns sehr am Herzen. Manchmal kann diese Frage, die häufig im späteren Gesprächsverlauf ihren Platz hat, sogar unmittelbar am Anfang nach einem Musizieren gestellt werden, wenn die KlientInnen sichtbar und hörbar aufgerührt und aufgewühlt sind und spürbar ist, dass sie irgendeine Art von Unterstützung oder Veränderung brauchen. Falls im Musizieren eine Unterbrechung eintritt, die entweder nach Aussage der KlientInnen („Ich weiß nicht weiter.“) oder atmosphärisch bzw. in der Resonanz der TherapeutInnen nach einer Fortsetzung verlangt, könnte diese Frage heißen: „Welchen Impuls haben Sie jetzt?“ Die meisten KlientInnen wissen zu ihrer eigenen Überraschung genau Bescheid: „mich neben Sie zu setzen“, „mich hinzulegen“, „Ich möchte mich an das Fenster stellen“, „Ich möchte das Instrument wechseln.“

 Unser beliebtester erster Satz nach einem Musizieren besteht darin, gar keinen Satz zu sprechen, also mit einer Pause zu beginnen, eine Pause zuzulassen. Oft fühlen sich gerade angehende, engagiert und ernsthaft arbeitende MusiktherapeutInnen unter Druck, nach dem Musizieren eine „schlaue“, zumindest aber „hundertprozentig“ treffende Frage zu stellen, und geraten dabei so in Eifer, dass sie sich selbst nicht die Zeit nehmen, das Gehörte zu verarbeiten und nachklingen zu lassen. Auch die Klientin/der Klient, braucht diese Zeit, braucht Stille, braucht Schweigen.

 Wir erinnern uns auch an musikalische Begebenheiten mit KlientInnen nach denen wir nichts gesagt haben. Sie sprachen für sich, jedes Wort hätte ein Erleben zerstört oder zerredet. Nach einer angemessenen Pause hören wir uns in der Erinnerung in solchen Situationen sagen: „Geht es Ihnen auch so, dass Sie am liebsten nicht weiter darüber sprechen mögen? Ich fand dieses musikalische Erlebnis so reich und so kostbar, dass wir es nicht zerreden sollten. Oder? Vielleicht später, vielleicht ein andermal.“

14.4 Wort + Musik = Lied

„Das Lied ist die fleischlichste und zugleich die geistigste aller Realitäten. Es beschäftigt Zwerchfell und Seele. Schon mit seinen ersten Noten kann es den Zuhörer in Verzweiflung stürzen oder ihn in Ekstase versetzen. Die singende Stimme kann in einer Kadenz die Seele zerbrechen oder heilen.

Organisch rückt uns das menschliche Lied in größere Nähe zur Tierhaftigkeit als jede andere Manifestation.“, schreibt George Steiner (1999, S.91). Lieder begleiten jeden Menschen durchs Leben. Nahezu alle KlientInnen erinnern sich an Lieder, die ihnen in verschiedenen Etappen ihres Lebens wichtig waren. Auch ohne dass die Biografie ausdrücklich Thema ist, können Lieder an jeder Stelle des therapeutischen Prozesses lebendig werden. Manche Lieder sind ständige Wegbegleiter, andere können über Jahre an Bedeutung verlieren und verschwinden, um dann plötzlich wieder aufzutauchen. Liedern wohnt eine besondere Qualität im Musikerleben und in der Musiktherapie inne. Vier Faktoren sind uns dabei vor allem wichtig:

 Lieder spielen, wie schon erwähnt, in der musikalischen Biografie eine wichtige Rolle. Das gilt nicht nur für die Lieder der Pubertät und Jugend, mit denen sich junge Menschen identifizieren und an denen sie sich „festhalten“, um diese schwierigen Übergangsjahre zu überstehen. Manche borgen sich ihre Identität aus Liedern, der wohl kulturell bedeutsamsten musikalischen Form des 20. Jahrhunderts. „Paint it black“, „Let it be“ oder „Oops … I did it again“ sind da nicht nur Songs, die man gerne hört, sondern werden Ausdruck der eigenen Lebensphilosophie, der eigenen Identität. Doch auch vorher schon sind Kinderlieder jeder Art Wegbegleiter der Kindheit. Das gemeinsame Singen von Liedern schafft Verbindungen in der Familie, im Kindergarten und in der Schule.Allein oder mit mehreren auf der Elternfeier oder dem Schulfest ein Lied vorzusingen, kann in Beschämung münden oder den eigenen Stolz festigen und als Erfahrung Bestandteil der Identität werden. In den meisten Liedern, die für KlientInnen in irgendeiner Weise Bedeutung haben, wird gleichzeitig biografisches Erleben transportiert.

 Jedes Lied verbindet Text und Ton. Damit sind beim Hören wie beim Singen zwei Ebenen der Resonanz angesprochen: Die Poesie als Sprache des Erlebens und die Musik. Vielleicht ist das der Grund, warum zahlreiche Lieder bei so viele Menschen eine so hohe Resonanzwirkung hervorrufen oder warum so vielen Menschen gerade auf Lieder mit besonders großer Resonanzbereitschaft reagieren.

 In einem Lied spricht die Stimme des Sängers oder der Sängerin. Viele fremdsprachige Lieder wirken allein über die Stimme. Diese erzählt Geschichten, auch wenn der Text nicht in der eigenen Sprache und dadurch unverständlich ist. Eine Stimme in einem Lied zu hören, hat die Wirkung: Jemand spricht zu mir. Die Wirkung der Stimme ist ein Angebot, eine Beziehung zu stiften. Nicht selten begegnen wir in der Therapie erwachsenen KlientInnen, die eine beziehungsähnliche Verbindung zu einzelnen LiedermacherInnen oder SängerInnen eingegangen sind. Sie identifizieren sich nicht unbedingt mit dem Liedermacher oder der Sängerin, wie oben in Bezug auf die Pubertät und Jugendzeit erwähnt, sondern fühlen sich von ihm oder ihr verstanden. Jede neue CD wird mit Spannung erwartet, hoffend, ja wissend, dass die neuen Lieder wieder ganz speziell sie als die ZuhörerInnen ansprechen werden.

 Lieder beruhen auf dem Prinzip der Wiederholung. Die feste Strophenform, der zumeist eindeutige Reim und die Wiederholung des Wesentlichen im Refrain bieten einen sicheren Rückgriff, geben der Musik wie dem Text einen Rahmen und damit einen Halt. Die Wiederholung fördert, dass Texte und Melodien im Gedächtnis bleiben, und spricht vor allem die zahlreichen Menschen unter unseren KlientInnen an, die existenziell verunsichert sind und denen die Liedform Halt gibt. All dies macht ein Lied attraktiv zur Wiedererkennung und bietet die Möglichkeit eines sicheren Rückgriffs.

Die Bandbreite des Einsatzes von Liedern in der Musiktherapie ist sehr groß. Da werden in der biografischen Arbeit alte, schon vergessen geglaubte Lieder hervorgekramt, angehört und als Zugangsmöglichkeit zu verschüttetem Erleben genutzt. Da werden in der therapeutischen Gruppenarbeit von den TeilnehmerInnen Lieder angestimmt, um einem Gruppenmitglied Unterstützung zu signalisieren, Mut zuzusprechen oder Trost zu spenden. Da werden Lieder gesungen, um dem eigenen Erleben Ausdruck zu geben und diesen mit anderen Menschen zu teilen. In seinem Roman „Mister Aufziehvogel“ lässt Haruki Murakami einen Mann folgende Worte, die genau das illustrieren, „mit leiser, aber durchdringender Stimme“ (Murakami 2000, S.308) sprechen: „‚Wie Ihnen selbstverständlich allen bekannt ist’, (…) erleiden wir im Laufe unseres Lebens vielfältige Schmerzen. Körperliche Schmerzen und seelische Schmerzen. Ich weiß, dass ich in meinem Leben Schmerz in vielen verschiedenen Erscheinungsformen erlitten habe, und ich bin sicher, das Gleiche gilt für Sie. Ebenso sicher bin ich aber, dass es Ihnen in den meisten Fällen sehr schwer gefallen sein dürfte, einem anderen Menschen die Realität dieses Schmerzes zu vermitteln: ihn mit Worten auszudrücken. Man sagt, verstehen könne jeder nur den Schmerz, den er selbst empfindet. Aber ist das wirklich wahr? Ich zumindest glaube nicht, dass das zutrifft. Wenn wir jemanden sehen, mit eigenen Augen sehen, der wirklich leidet, erleben wir seinen Schmerz manchmal durchaus als den unsrigen. Das ist die Kraft des Einfühlungsvermögens. Drücke ich mich klar aus?’

Er unterbrach sich und sah sich noch einmal im Raum um.

‚Der Grund, warum Leute für andere Lieder singen, ist deren Wunsch, das Einfühlungsvermögen der anderen wachzurufen, aus der engen Hülse des eigenen Ich auszubrechen und ihren Schmerz und ihre Freude mit anderen zu teilen.’“ (a.a.O.)

Der Kollege und Musiktherapeut Martin Lenz komponiert und textet Lieder für Feiern in der psychiatrischen Klinik, in der er tätig ist. Zu Weihnachten schrieb er uns: „Ich hatte mir für dieses Jahr geschworen, kein Lied zu schreiben. Zu viele Verabschiedungssongs mussten in den letzten Wochen aus meinen humor-lyrischen Gehirnzellen gezeugt werden. Da wollte ich mal pausieren. Aber die KollegInnen hatten sich in meiner Abwesenheit für das Thema ‚Frieden’ für die Weihnachtsfeier entschieden und ich sollte ‚nur’ wieder die Lieder ‚zusammenstellen’. Hol’s der Teufel! Mir fielen nur Lieder wie ‚Für den Frieden der Welt steht die Menschheit auf Wacht’ oder ‚Kleine weiße Friedenstaube’ aus der Kampf- und Pionierliederkiste vergangener Tage oder christliche Friedenslieder sehr unterschiedlicher Qualität ein; vom wunderschönen „Dona nobis pacem“ bis zu eher frömmlichen Liedlein. Nichts passte für eine PatientInnen-Weihnachtsfeier in einer psychiatrischen Klinik. Da musste ich wieder ran …

Lasst euch recht herzlich grüßen von einem, dem es besser geht, wenn er sich morgens im Spiegel anlächelt.“ Und er schickte uns beiliegend folgendes Lied:



Ein anderer Kollege, Lutz Debus, arbeitet mit KlientInnen daran, eigene Lieder zu entwickeln (Debus 2002, S.47ff. und: Debus 2001).

Er bittet die KlientInnen, auf einem selbst gewählten Instrument ihre aktuelle Stimmung zu suchen und ausdrücken. In einem zweiten Schritt soll der erzeugte Klang notiert werden. Dabei wird keine Notenschrift benutzt, sondern Buchstaben, die comicartig und lautmalerisch die Klänge beschreiben. Damit wird eine erste Brücke zwischen Klang und Text geschaffen. „Ausgehend von der Verklanglichung des vorherrschenden Gefühls füllten die Teilnehmenden einige Seiten mit Assoziationen, Geschichtsfetzen, Bildern, ersten Dialogen. Nach der Verdichtung, der Dichtung des Gefühls, folgte also die Dehnung, die Weitung, die Raum schuf für kreative Gestaltung. Die so entstandenen Texte wurden größtenteils vorgelesen. Im nächsten Schritt ging es um Schritte. Schreitend konnten die Teilnehmenden auf dem Hintergrund ihrer bereits verfassten Texte dichten. Zunächst wählte jede/r eine Schrittfolge. Jemand trippelte durch den Raum, eine Teilnehmerin stampfte, eine schlich. Nach einigen Schritten hielten die Teilnehmenden inne, notierten eine Zeile, schritten weiter. So entstanden unweigerlich Rhythmus durchtränkte Texte. Nun mussten die fast fertigen Lieder nur noch mit Melodien und Harmonien versorgt werden.“ (Debus 2002, S.58)

Auch andere Wege zum eigenen Lied sind praktikabel. Der Ausgangspunkt kann eine Melodie sein oder ein Klang. KlientInnen können damit beginnen, Gedanken niederzuschreiben, die sie beschäftigen, Sätze, die für sie Bedeutung haben und daraus einen Liedtext produzieren, der irgendwann musikalisch begleitet wird. Ganz gleich, auf welchem Weg ein eigenes Lied entsteht, Hauptsache, es ist ein eigenes – damit ist der Entstehungsprozess ein Vorgang intensiven Erlebens mit Scham und Scheu, Stolz und Freude, eine Entdeckungsreise von außen nach innen und von innen nach außen. Ein Kollege, Ralf Hollnack, der musiktherapeutisch in der Forensik arbeitet, berichtet von einem solchen, auch ihn überraschenden Prozess:

„Ein 24 Jahre alter Patient kommt zum ersten Mal in die Musiktherapie. Er sitzt mit gebeugtem Rücken, die Hände und Füße sind ständig in Bewegung. Er möchte Rap singen – Freestyle Rap. Ich frage ihn, wie das denn geht. Er erklärt mir, dass er spontan Texte improvisieren will, aber einfach nicht in den Rhythmus hineinkommt. Ich bitte ihn, doch einen Rhythmus zu klatschen, der ihm gefällt. Er beginnt, ich übernehme den Rhythmus, er beginnt zu sprechen. Er wirkt sehr angestrengt, deshalb biete ich ihm an, sich dazu zu bewegen. Er beginnt, auf und ab zu gehen, ich klopfe den Rhythmus weiter auf dem Gitarrenkorpus, improvisiere dann eine Basslinie über diesem Rhythmus. Jetzt sprudeln die Worte aus ihm heraus. Ohne Punkt und Komma in einem durch. Er spricht sehr schnell, ich kann nur Bruchstücke aufschnappen. Es geht um Musik, um Träume, um Drogen, ums Getriebensein, darum, sich wie eine Maschine zu fühlen. Zwischendurch nimmt er immer wieder Bezug zu mir, zu dem Rhythmus, zu der Gitarre. Das Zusammenspiel wird immer dichter. Ich reagiere mit meiner Gitarre auf seine Stimme, er nimmt jede Veränderung meines Spieles sofort auf. Zwanzig Minuten spricht er ohne Pause weiter und tanzt dazu. Ich wandle den harten Beat langsam in einen weicheren Reggae-Rhythmus um, er spricht langsamer, Sehnsucht ist jetzt das Thema und Enttäuschung. (Ich erfahre später, dass er in der Klinik ist, weil er seine Freundin aus Eifersucht bedroht hat). Ich werde leiser, er reagiert sofort, spricht immer leiser und flüstert schließlich über meinem letzten Ton:

,Vielleicht wäre es gut, einfach mal ganz ruhig zu sein.’

Wir sehen uns kurz an, lassen die Stille noch etwas wirken. Sein Rücken beugt sich langsam wieder nach vorne, aber er wirkt nicht mehr so gespannt, wie noch zu Anfang der Stunde. Er sagt, dass er so etwas noch nicht erlebt hat, sich selbst noch nie so deutlich gespürt hat.“

15

Rezeptive, aktive und themenzentrierte Musiktherapie
15.1 Rezeptive Musiktherapie und leibliches Hören

Wenn ein Mensch Klänge hört, dann ruft das in ihm eine innere Regung hervor. Wenn wir dem Rauschen des Meeres lauschen oder beim Schreien eines Babys aufmerken, wirken diese Klänge in uns, beeinflussen unser Erleben und Verhalten. Viele Menschen nutzen dies, sie hören eine bestimmte Musik, um in Schwung zu kommen oder aus einer schlechten Laune wieder aufzutauchen oder auch, z. B. wenn sie traurig sind, dieser Trauer einen Rahmen zu geben. Dass Klänge das Erleben und Verhalten von Menschen beeinflussen, ist altbekannt und wurzelt in frühen Zeiten. Schon unsere Vorfahren wussten, dass, wenn sie Vogelstimmen hörten, der Frühling nahte und die Not des Winters sich ihrem Ende zuneigte. Sie hörten die Geräusche der Tiere und wappneten sich zur Verteidigung oder zur Jagd. Fischer hören, auch wenn sie abends im dunklen Zimmer sitzen, am Geräusch des Windes, wie sich das Wetter verändert.

Geräusche beeinflussen das Erleben. Sie zu hören, heißt nicht nur, Informationen aufzunehmen und sie wie eine Datei im Computer abzuspeichern. Sie können wichtige, ja existenzielle Bedeutung für den Menschen haben. Der sich verändernde Klang des Windes kann darüber entscheiden, ob ein Schiff in Seenot gerät oder nicht. Das Zwitschern eines Frühlingsvogels kann die Hoffnung erwecken, dass die Zeit des Hungers und des knappen Überlebens im Winter zu Ende geht. Das Kreischen der Bremsen ruft Angst und Schrecken und vorsichtiges Verhalten hervor. Das Wimmern eines Babys bewirkt Impulse, zu helfen und sich zu kümmern. Klänge beeinflussen das Erleben der Menschen und diesem Erleben entspringen Regungen, die in Verhalten, Stimmungen, in Gefühle und anderes mehr münden können.

Menschen setzen Klänge gezielt ein: der Klang der Kirchenglocken soll Menschen bewegen in die Kirche zu kommen, die Kaufhausmusik soll bewirken, dass die Kunden mehr kaufen. Manchmal gelingt dies, manchmal nicht.

Die Klänge und die Wirkungen der Klänge auf das Erleben der Menschen therapeutisch einzusetzen, um Krankheiten zu heilen oder zu lindern, ist die älteste Form der Musiktherapie. Menschen nehmen Musik und ihre Wirkung auf, deswegen wird diese Musiktherapie rezeptive Musiktherapie genannt. Wir achten darauf, dass diese Art der Musiktherapie von Seiten der KlientInnen nicht nur passiv wahrgenommen wird, sondern dass sie eingebettet wird in den Dialog mit der Therapeutin oder dem Therapeuten und dass die KlientInnen Möglichkeiten finden, die Wirkungen des Erlebens in irgendeiner Weise auch zum Ausdruck zu bringen, z. B. durch Worte, durch Schreiben, durch Malen, durch musikalische Impulse.

Rezeptive Musiktherapie hat oft reaktualisierende Wirkung, knüpft an biografische Wurzeln an oder schafft erlebte Verbindungen zur Biografie (s. a. Kap. 2). „Mir begegnet es immer wieder in der Arbeit,“ so zitieren wir hier den Musiktherapeuten Ralf Hollnack, „dass Klienten, die ansonsten eher unbeteiligt von Ereignissen aus ihrer Vergangenheit berichten, ganz anders im Erleben sind, wenn sie eine Musik mitbringen, die sie in dieser Zeit gehört haben. Hören sie sie jetzt wieder, werden viele Kleinigkeiten erinnert, die plötzlich sehr wichtig sind, und viele sinnliche Wahrnehmungen aktiviert. Besonders aus der Geriatrie und aus der Psychiatrie berichten mir KollegInnen oft über erstaunliche Wirkungen, wenn die PatientInnen eine Musik hören, die vor ihrer Erkrankung eine wichtige Bedeutung für sie hatte. Manchmal taucht urplötzlich ganz viel Lebendigkeit und längst verloren Geglaubtes als Potenzial wieder auf. Ich habe bei meinen PatientInnen festgestellt, dass die Musik, die sie zurzeit hören, viel weniger ergiebig ist als die Musik, die sie früher gehört haben.“

Als Klient oder Klientin rezeptive Musiktherapie zu erfahren, bedeutet nicht, sich einfach „berieseln“ zu lassen. Sicher ist das Aktivitätsniveau anders, also viel niedriger als bei anderen Formen der Musiktherapie. Sicher ist der Musiktherapeut bzw. die Musiktherapeutin in der offensichtlich aktiveren Rolle, weil er oder sie musiziert oder singt bzw. die Musik auswählt, die vorgespielt wird, und die Klientin, den Klienten bittet, sich der Musik hinzugeben und ihrer Wirkung zu folgen.

Auf der Seite der KlientInnen ist dennoch immer sowohl Passivität als auch Aktivität gefordert.

Beginnen wir mit der passiven Seite. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in manchen Einheiten rezeptiver Musiktherapie sogar die konkrete Wirkung konkreter Musik hinter der Erfahrung zurücktritt, dass da ein Mensch ist, der für einen anderen Musik spielt. Allein dieser Vorgang wirkt nährend – Therapeut oder Therapeutin könnten relativ wahllos eine CD auswählen oder irgendwie musizieren, der Effekt bliebe ähnlich.

Auch bei anderen KlientInnen besteht ebenfalls relativ unabhängig von der konkreten Musik die Herausforderung im Zuhören. Das Interesse liegt darin, wie die Art und Weise des Zuhörens wahrgenommen wird:

 „Kann ich mich entspannen?“

 „Kann ich zuhören?“

 „Oder schweife ich ab?“

 „Komme ich, wenn ich abschweife, wieder zurück?“

 „Kann ich mich auf die Musik einlassen bzw. kann ich die Musik in mich hineinlassen?“

 „Kann ich meine Resonanz, mein Mitschwingen zulassen?“

 „Was kann ich zulassen, was nicht?“

Solche und ähnliche Fragen beschäftigen KlientInnen. Das Zuhören, das Rezipieren ist ein Prozess komplexer Erfahrung, den differenziert zu betrachten sich lohnt. In der Gruppenarbeit laden wir die einzelnen TeilnehmerInnen öfter ausdrücklich zu dem Experiment ein, einer Musik zuzuhören und sich selbst wahrzunehmen, wie sie mit ihrer Passivität, mit dem Zulassen umgehen. Wir stellen, während KlientInnen einer Musik lauschen, solche Fragen, mit denen wir versuchen, die Achtsamkeit auf den Prozess rezipierenden Erlebens zu lenken.

Rezeptive Musiktherapie ist ein Prozess des Erlebens – Hören ist in unserem therapeutischen Zusammenhang immer leibliches Hören. Wenn Menschen zuhören, entstehen und verändern sich Schwingungen, Gefühle, Gedanken und Bilder und es treten körperliche Reaktionen auf. Wir laden in der rezeptiven Musiktherapie dazu ein, auf eine Art und Weise zu hören, die den entstehenden Resonanzen Achtsamkeit schenkt und auf unterschiedliche Weise Ausdruck verleiht.

Einige Möglichkeiten:

 „Hören Sie der Musik zu, die ich Ihnen vorspiele, und achten Sie währenddessen besonders auf Ihre körperlichen Reaktionen: Wo spüren Sie Ihren Körper? Wie spüren Sie ihn? Wie verändert sich Ihr Atem? Welche Impulse haben Sie …?“

 „Ich werde Ihnen drei verschiedene Musikstücke spielen. Bitte nehmen Sie sich drei Blatt Papier sowie einen Stift. Unterteilen Sie jedes Blatt in drei Spalten, eine für Ihre körperliche Reaktion, eine für Ihre emotionalen Resonanzen und eine für Ihre geistigen, bildhaften Assoziationen. Während Sie das erste Musikstück hören, notieren Sie bitte Ihre Reaktion in die jeweilige Spalte. Nach dem ersten Musikstück legen Sie das Blatt weg und greifen zum nächsten und machen das Gleiche.“

 „Ich werde Ihnen nun ein Musikstück vorspielen und bitte Sie, beim Zuhören Ihren inneren Bildern zu folgen. Nehmen Sie sich ein großes Blatt Papier und Stifte oder Farben und malen Sie, während Sie zuhören, die inneren Bilder, die Ihnen als Reaktion auf die Musik entstehen.“ Man kann auch sagen: „Lassen Sie die Musik durch ihr Ohr, Ihren Arm, Ihre Hand, Ihre Farbstifte auf das Papier fließen.“Diese Einheit verhilft besonders dann zu Einsichten, wenn man Zeit und Muße lässt mehrere Musikstücke nacheinander zu hören. Die Musikstücke sollten mindestens acht bis zehn Minuten lang sein, damit die KlientInnen in die Musik eintauchen und sich ihre inneren Bilder entfalten können. Manchmal ist der Hinweis notwendig, dass die KlientInnen nicht versuchen sollten, die Musik „abzumalen“, also den Rhythmus oder sonstige formale Aspekte der Musik wiederzugeben oder abzubilden, sondern dass es einzig und allein darauf ankommt, den inneren Bildern, die als Resonanz auf die Musik in ihnen hervorgerufen werden, einen gestalterischen Ausdruck zu verleihen.

 „Ich teile diesen Raum in zwei Räume. Der eine Raum heißt Eng, der andere Raum heißt Weit. Bitte hören Sie der Musik zu, die ich Ihnen nun vorspiele. Es sind drei kleinere Stücke, die etwas unterschiedlich sind. Folgen Sie Ihren Impulsen. Wo ruft die Musik eher Enge, wo eher Weite hervor? Begeben Sie sich je nach Ihren Impulsen in diesen Raum hinein oder in jenen. Folgen Sie der Musik und Ihren körperlichen Impulsen und bewegen Sie sich jeweils in die Räume.“Hier wird rezeptive Musiktherapie mit Verraumen kombiniert (s. Kap. 6). Welche Räume angeboten werden, hängt von den Themen und den Bedürfnissen der KlientInnen bzw. einer Gruppe ab. Vor allem die Konstitutiven Leibbewegungen (s. Kap. 3.3) bieten sich an.

 „Bitte lauschen Sie der Musik, die ich Ihnen vorspiele. Nehmen Sie Ihre Reaktionen wahr und vor allem Ihre Impulse, die als Antwort auf diese Musik entstehen. Wenn die Musik verklungen ist, greifen Sie zu einem Instrument oder nutzen Sie Ihre Stimme und antworten Sie mit eigenen Klängen auf das, was Sie gehört haben.“Hier ist es oft sinnvoll, die Spielregel einer Pause zwischen dem Hören und der Antwort einzurichten, z. B: „Machen Sie, bevor Sie musizierend antworten, eine Pause von drei Atemzügen“. Häufig braucht es Zeit und Muße, dass aus dem Gehörten Eigenes entstehen und nach außen dringen kann.

In vielen KlientInnen ist der „innere Ort der Bewertung“, wie ihn Carl Rogers genannt hat, unterentwickelt. Manchmal wurde er durch Missachtung, Beschämung und Gewalt geschädigt, die Bewertungskriterien und -möglichkeiten gebrochen, so dass es in der Therapie von Bedeutung ist, diesem inneren Ort der Bewertung Aufmerksamkeit zu schenken, ihn zu hegen und zu pflegen. Manche Menschen haben so intensive Erfahrungen damit, dass ihre Bewertungen nicht „zählen“, dass sie sich abgewöhnt haben, überhaupt Bewertungen vorzunehmen. Auch psychische Krisen oder chronifizierte psychische Erkrankungen führen zu einer existenziellen Verunsicherung, die in vielen Fällen Bewertungen reduziert oder gar verunmöglicht. Die rezeptive Musiktherapie kann wunderbare Möglichkeiten bieten, Bewertungen wiederzubeleben bzw. neu zu entwickeln.

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