Kitabı oku: «Glaube, Irrglaube und die Macht der Liebe», sayfa 2

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Jetzt trat der König von Dänemark, als Herzog von Holstein, in den Krieg ein. Christian IV. lud die protestantischen Herzöge von Lüneburg, Lauenburg und Braunschweig, die Gesandten von England, Holland, Schweden, Brandenburg und Pommern sowie den vertriebenen „Winterkönig“ Fried­rich (der nur während eines Winters regierte) 1621 zum Konvent, um gemeinsame Maßnahmen gegen den Kaiser und zur Rückeroberung der Länder am Rhein zu beschlie­ßen. Damit begann der zweite Akt der deutschen Tragödie. Als Gegenleistung für die Unterstützung des bayrischen Königs, Maximilian, im böhmischen Krieg setzte ihn Ferdinand als kaiserlichen Kommissar der Oberpfalz ein.

Die Bayern und der Kaiser ließen ihre siegreichen Ar­meen nach Norden marschieren, um ihr neues Herrschafts­gebiet zu sichern. Der Schwerpunkt des Interesses hatte sich nun von der Moldau an den Rhein verschoben, und Ferdinand konnte - ungehindert von den Einmischungen von außen - in den Ländern der böhmischen Krone seine Gewaltherrschaft festigen.

Wenn Friedrich und Elisabeth sich bereit erklärt hätten, unter gewissen Bedingungen wieder in die Pfalz zurückzu­kehren, wäre es nicht zum Dreißigjährigen Krieg gekom­men.

Rubens, als Maler in ganz Europa an die Höfe geladen, wurde durch einen Geheimauftrag Isabellas überredet, zu spionieren. Ich wünsche mir ein goldenes Zeitalter und die Welt im Frieden, doch wir leben in der eisernen Zeit, schrieb er in einem Brief. Sein Dienst für Isabella, sein geheimes Doppelleben als Spion und Diplomat, galt einzig dem Frieden zwischen England und Spanien.

Durch den Zusammenbruch Böhmens hatte sich der Konflikt 300 Kilometer nach Westen verschoben. Aller Augen waren auf die Verbündeten des Kaisers, die Spanier, gerichtet, die mit ihrem Heer in der Pfalz lagen. Die Pfälzer wurden gezwungen, katholisch zu werden.

Die tieferen Ursachen des Krieges liegen also nicht in den böhmischen Ereignissen, sondern in den Antrieben der Menschen, d. h. in den Intentionen der europäischen Ver­antwortlichen, die im Territorium des Deutschen Reiches die Möglichkeit für die eigenen Ambitionen fanden:

In Frankreich bereitete Kardinal Richelieu (die graue Eminenz) eine absolute Monarchie - ohne Einmischung adeliger Einzelinteressen - vor. Dänemark, Schweden, Po­len und Russland konkurrierten um die Vorherrschaft über die Ostsee. Dänemark verbuchte durch den Besitz Norwe­gens, Südschwedens und großer Teile der schwedischen Westküste hohe Zolleinkünfte. Als 1611 der dänische Kö­nig Christian mit seinem Heer überraschend Kalmar (an der Ostsee) eingenommen hatte, musste Gustav Adolf für den Frieden mit Dänemark einen hohen Preis entrichten und schwächte damit die außenpolitische Stellung Schwedens. Dänemark dagegen war zur Ostseemacht geworden. Chris­tian hielt sich für einen gro­ßen Feldherrn und glaubte, über genug Geld für weitere Kriege zu verfügen.

Im Sommer 1620 hatte der spanische Heerführer Spi­nola - aus Flandern kommend - die linksrheinische Pfalz erobert, sich aber im Frühjahr 1621 wieder zurückgezogen. Die protestantischen Heerführer Christian von Braun­schweig-Wolfenbüttel, Mansfeld und der Markgraf von Baden-Durlach zogen im Frühjahr 1622 aus unterschiedli­chen Richtungen in die Pfalz. Spinola, der sich von den Unionsfürsten bedroht fühlte, lud sie zu einer Zusammen­kunft in Aschaffenburg ein, wo sie ihm zusicherten, ihn nicht anzugreifen und er seinerseits versprach, ihr Gebiet nicht anzutasten.

Mansfelds Truppen setzten auf ihrem Marsch durch das Elsass drei Dörfer und eine Stadt in Brand. In Straßburg, wo tausende Flüchtlinge mit ihrem Vieh Schutz gesucht hatten, drohte ihnen nun die Hungersnot. Das Land war so verödet und verwüstet, dass Mansfeld sein Heer nicht ver­sorgen konnte und nach Lothringen ziehen musste. Im Mai 1622 wurden die Truppen der Union vernichtend geschla­gen. Tilly vollendete die Unterwerfung der Pfalz und be­lohnte seine Truppen in herkömmlicher Weise, indem er ihnen gestattete zu plündern.

1623 verlor Friedrich die Kurwürde von Böhmen, die auf Maximilian von Bayern übertragen wurde. Die Rück­eroberung der Pfalz bot Maximilian Gelegenheit zu bewei­sen, dass er, als Vorkämpfer der Kirche, Ferdinand nicht nachstand. Als die bayrischen Truppen 1621 die Oberpfalz besetzten und in die Rheinpfalz einfielen, hatte sich der Krieg endgültig ins Innere Deutschlands verlagert.

Sobald Tillys Truppen sich festgesetzt hatten, über­schwemmten Missionare die ausgehungerte und von Seu­chen geschwächte Bevölkerung. Die protestantischen Kir­chen in Heidelberg wurden geschlossen, die Universität aufgelöst, die Bibliothek in Kisten verpackt und als „Dan­kopfer“ Maximilians für den Vatikan über die Alpen ge­schafft. Die Oberpfalz fiel an Bayern und wurde rekatholi­siert.

Frankreich wollte mit allen Mitteln die Vorherrschaft der österreichischen und spanischen Habsburger in Europa verhindern und wurde zum Hauptkonkurrenten des Kaisers. Der französische König Ludwig XIII. schloss nicht nur ein Bündnis mit Savoyen und Venedig, sondern initiierte auch ein Bündnis der protestantischen Herrscher in Nordeuropa gegen den habsburgischen Kaiser. 1625 kam es zur Grün­dung einer Allianz zwischen England, den Niederlanden und Dänemark. Ziel war, eine gemeinsame Armee unter Führung Christians von Dänemark zu unterhalten, mit der Norddeutschland gegen den Kaiser gesichert werden sollte. Christian warb sofort ein 14.000 Mann starkes Heer an und versuchte, auf dem Kreistag in Lüneburg 1625 die Kreis­stände zur Finanzierung weiterer Söldner zu bewegen. Doch die Stände wollten keinen Krieg und stellten die Be­dingung, dass das neue Heer nur zur Verteidigung des Krei­ses diene. Allerdings hielt der dänische König sich nicht daran.

Die Könige von Dänemark und Schweden brannten beide darauf, in Deutschland einzugreifen. 1625 trat das dänische Reich in den Krieg ein. In dieser Bedrohungssi­tuation bot der böhmische Adelige Albrecht von Wallen­stein dem Kaiser an, zunächst auf eigene Rechnung Krieg zu führen und stellte seine eigenen Truppen zur Verfügung. Die Heere trieben Abgaben in Form von Geld und Natural­leistungen ein. Das hieß, das Land, in dem gerade gekämpft oder das erobert wurde, musste für die Kriegskosten auf­kommen und Abgaben zahlen. „Der Krieg ernährt den Krieg“, wurde zur Parole. „Geld ist der Atem des Krie­ges!“, darin waren sich alle Feldherren einig. Die Finanzie­rung der riesigen Söldnerarmeen stürzte daher alle Kriegs­parteien in ständige Geldnot, ganz beson­ders die deutschen Fürsten, deren Territorien aufgrund der Dauer und der In­tensität des Konflikts schon bald weitge­hend ausgeblutet waren. Je länger der Krieg dauerte, umso mehr wuchsen sich diese willkürlichen Plünderungen - mit allen Begleiter­scheinungen von Raub und Mord - aus.

Wallenstein bezog mit seiner 50.000 Mann starken Ar­mee in Magdeburg und Halberstadt sein Winterquartier und besetzte so die Elbregion, während das Ligaheer unter Tilly weiter im östlichen Westfalen und in Hessen lagerte.

Wallenstein, eine rätselhafte, widersprüchliche und fas­zinierende Gestalt, legte Schiller entsprechende Worte in den Mund: Innen im Marke lebt die schaffende Gewalt, die sprossend eine Welt aus sich geboren. Er war brutal und skrupellos.

Einem kalten Frühling folgte ein Schlechtwettersommer. Die Pest fegte über Europa und legte das politische und wirtschaftliche Leben lahm. Bis zum Herbst waren von Tillys 18.000 Mann 8.000 erkrankt. Der Winter nahte, sie waren mangelhaft bekleidet und ohne geeignete Winter­quartiere. Die hungrigen Soldaten meuterten und desertier­ten. Die Suche nach Lebensmitteln artete in Balgereien um Beute und Frauen aus. Eine unvorstellbare menschliche Grausamkeit kam zum Ausbruch. Tilly hatte den Dörfern und Städten Garantien für die Sicherheit der Bewohner gegeben, doch der Feldherr hatte seine Truppe nicht mehr im Griff. In blinder Zerstörungswut setzten die Soldaten Dörfer in Brand und schlachteten das Vieh ab. In ihrer Lust am Plündern gruben sie in Friedhöfen nach verborgenen Schätzen, durchstöberten die Wälder, in denen die obdach­losen Bauern Zuflucht suchten und schossen fast alle, die sie fanden, nieder, um ihre ärmlichen Bündel mit ein paar Münzen zu rauben. Und das alles, indem sie als Christen den Namen Gottes missbrauchten: „Wir wollen in Gottes Namen angreifen, gefangen nehmen, in Brand stecken, totschießen!“, riefen sie, bevor sie Kirchen verwüsteten und dem Pfarrer, der ihnen den Zutritt verweigern wollte, Hände und Füße abhackten und ihn auf dem Altar als Opfer für seinen „protestantischen Gott“ liegen ließen.

Die Zukunft des Deutschen Reiches und der Kaiser­krone lag im Ungewissen. Es waren alles andere als religi­öse Motive, die das Kriegsgeschehen auslösten und be­einflussten. Der Glaube galt nur als Vorwand, um von au­ßen einzugreifen. Das katholische Frankreich verbündete sich aus strategischen Gründen mit einigen protestantischen Parteien, das lutherische Sachsen mit dem Kaiser. Die gro­ßen unter den 2.000 Ständen des Reiches wollten eigene Staaten werden. Europas Großmächte zeichneten das Bild eines Krieges „Aller gegen Alle“.

Wer die jeweilige Schlacht auch gewann oder verlor, welche Religion sich auch durchsetzte und welcher Herr­scher auch reich werden mochte, die einfache Bevölkerung hatte für alles die Rechnung zu bezahlen und vor allem zu leiden. „Auf welcher Seite steht Gott?“ wurde für die ver­zweifelten Bürger zur zentralen Frage. Litten die Bauern zu Beginn des Krieges noch ohne zu murren, nahmen nun die Widerstände gegen die kaiserlichen Truppen zu.

Aus heutiger Sicht wird die Sinnlosigkeit dieses Kriegsge­schehens deutlich. So ähnlich mag es vielleicht auch schon damals manch Verantwortlichem ergangen sein, dem die Gründe für sein Tun im Verlauf des Krieges unklar wurden. Kurfürst Georg W. von Brandenburg schrieb an den Kaiser: Es ist mir die eigentlich Ursach‘ des Krieges unbe­wusst.

Friedrichs Kanzler, Christian von Anhalt, der ihm ge­schickt die Krone Böhmens vermittelt hatte, war sich mit dem Markgrafen von Ansbach einig gewesen, wir haben die Mittel zur Hand, um die Welt umzustürzen. Friedrich hatte die Hauptfäden der europäischen Diplomatie gezogen und die Interessen des protestantischen Deutschlands mit denen der Feinde der Habsburger in ganz Europa vereinigt. Von der Annahme der Krone Böhmens hatte ihm die eigene Familie und sogar sein Schwiegervater, der englische Kö­nig, abgeraten. Seine Frau Elisabeth allerdings griff mit Begeisterung nach der Krone.

Ferdinands Stellung im Reich war niemals stärker gewesen. Sein Ziel war die Neubelebung des deutschen Staates, in dem die Rechte der Fürsten begrenzt und der habsburgische Absolutismus im Verein mit der katholischen Kirche unum­schränkt herrschen würde. Doch außerhalb des Reiches zog sich ein schweres Unwetter zusammen: in Mantua und den Niederlanden und von Norden, von Schweden her. Die Furcht vor einem spanischen Angriff veranlasste Richelieu, einen Waffenstillstand zwischen den Habsburgern und den Schweden herbeizuführen.

1626 wurde der König von Dänemark besiegt. Im Sommer 1627 stieß Wallenstein nach Norddeutschland und auf die Halbinsel Jütland vor. Die dänischen Inseln blieben von den Kaiserlichen unbesetzt, da sie nicht über Schiffe verfügten.

Zur gleichen Zeit beschloss Ferdinand, die Kaiserin Eleonore in Prag krönen zu lassen. Die Feierlichkeiten sollten die Krönung von Friedrich und seiner Frau Elisabeth noch übertrumpfen. Wie damals floss aus den Springbrun­nen roter und weißer Wein. Die Bevölkerung konnte sich kostenlos betrinken und die Verbitterung über das erlittene Unrecht betäuben.

Im März 1628 wurde Wallenstein von Ferdinand zum Herzog von Mecklenburg und Friedland ernannt. Die Kur­fürsten waren verärgert. Wallenstein war von Geburt nur ein böhmischer Adeliger, ein Untertan der Krone, und nun sollte er als unabhängiger Fürst neben den Herrschern von Württemberg und Hessen im Reich seinen Platz haben? Wenn des Kaisers Wort genügte, um einen regierenden Fürsten abzusetzen und eine seiner Figuren an dessen Stelle zu bringen, würde bald ganz Deutschland eine Provinz Österreichs sein. Die Spanier waren - wie die deutschen Fürsten - im Glauben, dass der Kaiser nur eine Schachfigur in der Hand seines Feldherrn sei.

Schon bald war es offensichtlich, dass Lucinde eine ganz besondere Gabe besaß,

eine Art des Hellfühlens und ‑sehens und instinktive Heil­kräfte. Erst neulich saß sie unter der alten Eiche, eine kleine Meise in ihrer Hand, deren Flügel verletzt war. Sie hob das Vögelchen ganz nah an ihren Mund, hauchte es zärtlich an, schloss die Augen und murmelte selbstvergessen. Als sie nach einer Weile den Arm zur Sonne hob, breitete der kleine Vogel seine Flügel aus und flog zwitschernd davon.

Der erstaunten Mutter erklärte Lucinde, dass die Fin­gerkuppen die Augen der Blinden wären. „Weißt du, wenn ich die Augen schließe, ertasten die feinen Polster an mei­nen Fingerspitzen, was ich mit den Augen nicht sehen kann.“

Der Sommer war heiß und trocken und wenn am Ende des Tages endlich der ersehnte Regen mit sanften Tropfen begann, hielt Lucinde es nicht mehr aus in der Kammer. Unwiderstehlich angezogen eilte sie hinaus, um mit ausge­breiteten Armen und erhobenem Gesicht sich vom himmli­schen Nass erfrischen zu lassen. Sie drehte sich im Kreis, brach in einen Freudengesang aus, tanzte bis die Schwes­tern an den Fenstern erschienen und sich lächelnd zunick­ten. Welch ein Geschenk hatte ihnen der Himmel gebracht mit diesem Kind!

Schon früh durfte Lucinde die Mutter täglich in die Ka­pelle begleiten. Heute wollte sie die Muttergottes, deren Bild auf die Stirnseite der Kapelle gemalt war, ganz alleine aus der Nähe betrachten. Sie bestaunte die zarten Füße, die auf einer Mondsichel ruhten und freute sich, dass auch die Gottesmutter offensichtlich am liebsten barfuß ging. Ihre Hände waren zum Gebet gefaltet. Der taubenblaue Umhang um ihren Kopf hüllte den zarten Körper ein. Ihre Lider waren gesenkt und ein unendlich gütiges Lächeln lag in ihrem Gesicht. Über ihrem Haupt schwebte an einer kaum sichtbaren Schnur eine silberne Taube mit ausgebreiteten Flügeln. Jetzt gerade schienen Sonnenstrahlen durch das kleine Fenster, dass die Taube hell leuchtete und ein sanfter Lufthauch sie in Bewegung brachte. Fasziniert sah Lucinde wie sie sich über dem Haupt der Maria bewegte und beob­achtete unentwegt die hellen Lichtstrahlen, die sich immer weiter ausbreiteten. Das Bild der Madonna an der Wand leuchtete, dass sie die Augen zusammenkneifen musste. Dann breitete sich das Funkeln wie von tausenden hellen Sternen immer mehr aus, bis die ganze Kapelle hell er­strahlte. Lucinde bemerkte nicht, wie die Mutter hereinkam, die sie überall im Kloster gesucht hatte. Sie fand das Kind mit verklärtem Gesichtsausdruck vor der Gottesmutter stehen. „Das Licht!“, flüsterte sie. „Schau doch nur, das Licht!“ Seit diesem Tag suchte Lucinde ganz alleine bei­nahe täglich die Kapelle auf, es war eine Sehnsucht in ihr, die Suche nach diesem Licht, der sie folgen musste.

Meist musste Anna ihren Schützling nicht lange suchen. Immer klang von irgendwoher ihre helle Stimme, weil sie entweder ein Lied auf den Lippen hatte oder einfach summte. „Du bist mein, ich bin dein, mein Herz ist rein, des‘ sollst du mir alle Tage gewiss sein. Du bist schöner als ein Falke, als im Feld ein Blümelein. Bleibst im Herzen mir beschlossen, verloren ist das Schlüsselein, du musst immer drinnen sein …“, hörte sie die Kleine gerade singen.

Gleich darauf bückte Lucinde sich, strich mit ihren klei­nen Händen über den duftenden Thymian, steckte schnup­pernd ihre Nase hinein, hüpfte vor Freude und ihr anste­ckendes perlendes Lachen drang bis in Räume des Klosters. Schwester Anna hörte das Kind, blieb aber fern. In sol­chen Momenten gehörte Lucinde nur sich selbst und einer ande­ren, ihr fremden Welt, die sie jedes Mal doch so sehr be­seelte, dass sie hinterher mit ihrem Kraut zur Mutter eilte. Dann war ein Leuchten in den blauen Augen, das Annas Herz ergriff, so rein strahlte die Liebe aus diesem Kind, mit einer Heil­kraft, die das ganze Wesen durchdrang.

Bald begann Lucinde, Notizen unter ihre Zeichnungen in ihrem Heft zu machen. Sie nahm einen Stift und notierte mit ihrer Kinderschrift in Großbuchstaben: Das Leuchten, das ich in den Menschen und den Tieren, in den Pflanzen und in allem in der Natur sehe, ist das Geheimnis des Gött­lichen! Unbemerkt war Lucinde in ihrer Gemeinschaft zur kindlichen Vermittlerin geworden zwischen der Welt, mit der sie mit allen Sinnen verbunden war und der Welt, in der die Schwestern in ihren klösterlichen Aufgaben aufgingen. Für Anna war es bald offensichtlich, Lucinde war schon geboren worden mit diesem Talent, sie hatte es sozusagen mitgebracht in dieses Leben.

Obwohl die Ehrwürdige Mutter sorgfältig darauf achtete, dass der Bischof die kleine Lucinde nie zu Augen bekam, wurde er eines Tages doch auf sie aufmerksam, als er sie zufällig bei seinem Besuch im Klostergarten beobachtete. Das Mädchen sollte unbeschadet in diesen gefährlichen Kriegszeiten heranwachsen können. Hätte der Bischof von der geheimnisvollen Herkunft des Kindes gewusst, wäre Lucindes Leben in Gefahr gewesen. Schwester Adelgunde hatte als erste das auffällige Verhalten des Bischofs be­merkt und warnte: „Nix issou foi gespunne, es kimmd doch alles oandie Sunne!“ (Nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch alles an die Sonne.) Doch nun schien der Zeit­punkt gekommen, unauffällig und vor allem unverdächtig - so ganz nebenbei - von einem Waisenkind zu erzählen. In diesen Kriegszeiten waren solche Schicksale keine Selten­heit.

Der Bischof, eine Persönlichkeit, die sich bei seinen Be­suchen gerne selbst erhöhte, bemühte sich immer der Überlegene zu sein, um seine Macht und Herrschaft zu demonstrieren. Durch seine Vorschriften zeigte er, alles besser zu wissen. Vor allem glaubte er, das Leben im Kloster ab und zu überprüfen zu müssen, denn in der letzten Zeit war er misstrauisch geworden. „Ich hab den Eindruck, der Bischof will bei uns den Anschein erwecken, ebenso mächtig zu sein, wie jenes Unnennbare, das das Werden und Vergehen aller Dinge bestimmt und das wir Gott nen­nen“, flüsterte Schwester Hedwig der alten Mutter Josefine ins Ohr. Schwester Adelgunde hatte die Ohren gespitzt und bekam einen Lachanfall. Worauf die Augen der alten Äbtis­sin immer größer wurden und sie bedeutungsvoll den Zei­gefinger auf ihren Mund legte.

Immer noch galt der Erlass des Mainzer Erzbischofs Aspelt, dass in ihrem Kloster nicht mehr als 32 Frauen leben dürfen. Selbst ohne Lucinde waren sie inzwischen 34! Anna ignorierte freundlich den Missmut des Bischofs und besprach mit ihm die Beteiligung des Konvents an dem feierlichen Hochamt zum Erntedankfest in der Stiftskirche St. Peter und St. Alexander in Aschaf­fenburg, dem Bischof­sitz, um ihn abzulenken. Offensicht­lich war der Bischof nicht gewillt, dem Kloster mehr Ei­genständigkeit zuzuge­stehen. Als Äbtissin wusste Anna allerdings zu genau, dass ihr Kloster abhängig war von der kirchlichen Unterstüt­zung. Vor allem hatte sie die Verant­wortung für ihre 33 Mitschwestern.

Bei jedem Besuch des Bischofs stellte sich eine innere Anspannung in ihm ein, als ob er sich bedroht fühlte von der weiblichen Lichtkraft in diesem Kloster, obwohl sie ihn doch gleichzeitig anzog. Dazu kam die Sorge, die Schwes­tern könnten ihn und seine Absichten durchschauen. Sein Gesicht glich immer mehr einer undurchdringlichen Maske. Die Schwestern konnten nicht ahnen, dass der Mann, der sich so übermächtig gebärdete, von einer tiefsit­zenden Angst beherrscht wurde. Mit jedem Kontrollbesuch, wenn er dieser in Liebe verbundenen weiblichen Kraft im Kloster gegenüber stand, fühlte er sich wie ein mächtiger Baum, der umgeben war von unzähligen schnellwachsen­den Efeuschlingen, die sein Leben bedrohten. Manchmal hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und hatte es sehr eilig, wieder zu gehen. Draußen vor dem Tor musste er stehen bleiben und die frische Luft tief einatmen. Dann schüttelte er sich und eilte davon. Die Last der Ver­antwor­tung für dieses Frauenkloster, das eine so eigentüm­liche Faszination auf ihn ausübte, wollte er dennoch nicht an einen anderen Geistlichen abgeben. So lag er ständig auf der Lauer, Verfehlungen gegen die Klosterordnung zu fin­den, um die Nonnen dadurch klein zu halten und sie in die Schranken ihrer einfachen kirchlichen Dienste zu verwei­sen.

Die Äbtissin, die schon seit längerer Zeit die Schriften von Johannes Kepler las, hatte vom Hexenprozess seiner Mutter erfahren und wusste, wie schnell Frauen in dieser Zeit in Verdacht gerieten. Zwischen 1615 bis 1620 hatte Kepler die eigene, als Hexe angeklagte Mutter mit Hilfe eines juristischen Gutachtens verteidigt. Ein Mitbürger hatte begonnen und in kurzer Zeit gesellten sich weitere dazu, die ihre Anklagen vorbrachten, weil Katharina Kepler unbequem wurde: Ein Schuster, der jahrelang täglich ein Plauderstündchen bei ihr verbrachte, behauptete plötzlich, sie habe ihm mit einem Glas Wein etwas Zauberisches beigebracht, wodurch er krank geworden war. Der Barbier bezichtigte Katharina, seine Schwester, die unter Ver­krümmung ihrer Gliedmaßen litt, unheilbar verzaubert zu haben und verlangte, die alte Hexe müsse gezwungen wer­den, die Kranke wieder gesund zu machen. Katharina hatte es sich vielleicht mit manchen ihrer Bekannten verdorben, weil ihre Augen viel sahen und sie sorglos unliebsame Wahrheiten sagte. So hatte sie erklärt, die Krankheit der Frau könne damit zusammenhängen, dass sie heimlich mit einem Mann zusammen gewesen war und versucht hätte, das Kind abzutreiben. Freimütig gab sie auch zu, kranke Kinder, zu denen man sie geführt habe, mit allerlei Versen besprochen zu haben, wie das von altersher Brauch war und immer eine gute Wirkung gebracht hatte. Vorwurfsvoll fügte sie hinzu, dass es ihr unmenschlich vorkäme, dass die Eltern, die früher um ihre Hilfe gebeten und ihr gedankt hätten, dies nun als abscheuliche Missetat bezeichneten. Katharina Keppler war durch die jahrelange Haft und Folte­rung so geschwächt, dass sie kurz nach ihrer Freilassung an den Folgen starb.

Die kleine Lucinde, die den Bischof bei seinen Besuchen heimlich beobachtete und vor allem auf den Klang seiner Stimme lauschte, hatte ihn längst durchschaut und warnte ihre Mitschwestern vor seiner Zerstörungskraft, die er hin­ter einer strengen Maske zu verbergen suchte. Mühelos erkannte sie seine Schliche und Tricks. „Mutter, die Seele des Bischofs ist verdunkelt, das erzählt mir seine Stimme.“ Anna wunderte sich nicht, denn sie wusste längst, wie ein­fühlsam ihr kleiner Schützling in der Körpersprache der Menschen wie in einem offenen Buch liest. Aus den win­zigsten Hinweisen im Tonfall und im Gesichtsausdruck entnimmt sie ihre Gedanken. Dank einer angeborenen vi­sionären Kraft hatte Lucinde daher auch immer öfter hell­sichtige Eingebungen.

Mit einer tonlosen inneren Stimme - und manchmal mit nahezu unheimlicher Präzision - erkannte Lucinde, was Wahrheit oder was Täuschung war. Als hätte sie einen inneren Kompass, der ihr sagte, welche Richtung sie ein­schlagen solle. Offenbar konnte das Kind mit einem un­trüglichen Orientierungssinn aus alten Weisheitsquellen schöpfen. Anna war überzeugt, Lucinde ist eine geheimnis­volle Botschafterin, die uns von der göttlichen Vorsehung geschickt wurde.

Dennoch war sich die Äbtissin bewusst, dass sie in ih­rem Kloster trotz allem vorsichtig und zurückhaltend sein mussten. Erst vor etwa 20 Jahren wurde in Italien der Priester Giordano Bruno der Ketzerei und Magie beschul­digt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Als Astronom hatte er die Unendlichkeit und ewige Dauer des Univer­sums verkündet. Unlängst hörte Schwester Josefine sogar von der Hinrichtung einer Glaubensschwester, die Nonne in einem Kloster in der Nähe von Würzburg war.

Die Äbtissin hielt es für klüger, denn sie wusste, es war zu Lucindes Schutz, dass sie die Wahrheit über ihre geheim­nisvolle Herkunft noch nicht erfahren solle. Und wenn der Bi­schof dies zu Ohren bekäme, wären sie alle in Gefahr. Sollte er sein Wissen zum Papst nach Rom tragen, würde sich sehr schnell eine Kommission zu ihrem Kloster bege­ben, um an Ort und Stelle die Verhältnisse zu untersuchen. „Zuallererst müssen wir Gott gehorsam sein und dann erst dem Papst. Mag uns doch der Bischof traktieren, wir wissen uns schon zur Wehr zu setzen!“, stellte Schwester Hedwig fest. „Jawoll“, bestätigte Schwester Adelgunde: „Woufä hoad uns doann de liewe Godd unsän Västoand unn unsä Mundwaisch gäwwe?“ (Wofür hat uns denn der liebe Gott unseren Verstand und unser Mundwerk gegeben?) Die Äbtissin schmunzelte, Schwester Hedwig bekam einen Lachanfall und hielt sich den Bauch.

„Moi Summere!“ (Mein Sommerau), klang es stolz, wenn Schwester Adelgunde von ihrer Kindheit erzählte. Im ersten Augenblick schien sie stämmig und knorrig wie eine alte Spessarteiche, doch sobald sie den Mund auf­machte, lag in ihrem Dialekt eine Herzlichkeit, die alle anzog. Mit ihrem bodenständigen Wesen und ihren urigen spessarter Ausdrücken, die sie bei jeder Gelegenheit parat hatte, war sie sehr beliebt bei ihren Mitschwestern. Ihre pragmatische Frömmigkeit drückte sie gerne mit markanten Sprüchen aus: „Hälf dä sälwä, sou hilfdä aa Godd!“ (Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.)

Aufmerksam, die Beine überkreuzt und den Kopf in die Hände gestützt, saß Lucinde auf dem Boden vor Schwester Adelgunde und lauschte hingebungsvoll ihren Geschichten. Ein verträumter Ausdruck lag in Schwester Adelgundes Gesicht, wenn sie von ihrem Heimatdorf erzählte, den sanften Hügeln, den Kühen auf den saftigen Wiesen und den leuchtend bunten Wäldern im Herbst. Mit strahlenden Augen und lebhaften Gesten beschrieb sie die Elsava, die sich wie eine Lebensader durch das Tal schlängelt, bis sie sich bei Elsenfeld mit dem Main vereinigt und in der sie sich im Sommer mit ihren Freundinnen vergnügt hatte.

Noch nie zuvor hatte Mutter Anna ein Kind gesehen, das sich so liebevoll der Natur zuwandte. Keine Blume, die im Garten wuchs, kein Kraut, deren Namen sie nicht wissen wollte. Oft beobachtete sie, wie Lucinde vor einer Blume saß, sie ausgiebig betrachtete, lauschte und dabei flüsterte, als ob sie Zwiesprache mit ihr halten würde; anschließend nahm sie ihr Heft und zeichnete sie sorgfältig nach. Sie war so ver­tieft, dass sie die Mutter, die schon eine ganze Weile neben ihr stand, erst bemerkte, als sie sich räusperte.

In den Augen der Äbtissin war Lucinde wie eine kleine Mystikerin, geleitet von instinktivem Wissen aus Genera­tionen von Frauen vor ihr. Wenn an manchen Tagen der Novembernebel das Kloster in einen Schleier hüllte, selbst ein Baum den anderen im Garten nicht mehr erkannte, huschte das kleine Mädchen hinaus und tastete sich mit einem sicheren Gespür durch die Natur. Hin und wieder war ihr helles Jauchzen durch das Gemäuer zu hören. Wenn sie dann leichtfüßig wieder zur Türe hereinschwebte - wie sie sich immer durch die Räume bewegte, dass ihre Schritte kaum hörbar waren für das Ohr der Mitschwestern, weil sie plötzlich unerwartet überall auftauchen konnte -, erzählte sie von den Naturgeistern, die gerade jetzt mit den Nebel­schwaden zu ihr kamen, um sie zu besuchen.

Vehement weigerte sich Lucinde, Schuhe zu tragen. „Mutter, ich kann doch nicht mit Augenbinden an den Fü­ßen durch die Welt gehen!“, musste sie sich anhören, wenn sie das Kind ermahnte, wenigstens jetzt im Winter nicht mehr barfuß zu gehen. Lucinde, die „Vieläugige“, wie sie von den Mitschwestern gern scherzhaft genannt wurde, ließ sich leiten von ihren tausend Organen der Intuition. Mit der Zeit wurde sie zu einer kindlichen Heilerin mit all der Me­dizin aus der Apotheke Gottes (wie Lucinde die Kräuter bezeichnete), ihren Träumen, ihren Geschichten, ihren Gesängen, den Zeichen und Symbolen. Und die Äbtissin beobachtete, wie immer mehr Mitschwestern sich mit ihren kleineren und auch größeren Leiden an sie wandten.

Immer mehr erkannte Anna die Verbundenheit des Kin­des mit der eigenen Instinktnatur, der Lucinde wie traum­wandlerisch folgte. Es war, als kämen ihre Eingebungen direkt aus ihrem Herzen. Offenbar hatte sie unmittelbaren Zugang zum Ursprung alles Femininen, zum Urfunken alles instinktiven Wissens, das jemals existierte. Wie eine Seele dieser Urkraft schien Lucinde ihr. Gerade beobachtete sie, wie das Mädchen in Trance verharrte, die ausgebreiteten Arme zum blauen Himmel hob und zu singen begann - hell und leise und dann plötzlich immer lauter und tiefer -, mit einer veränderten Stimme und einer Inbrunst, die der Mut­ter Tränen in die Augen trieb.

Fremd klang Lucindes Stimme nun an ihr Ohr, fremd wie aus einer fernen Welt, wie eine Schöpfungshymne über das Licht des ewigen Lebens, des ewig neuen Entste­hens, das das Mädchen einem fernen Horizont zustreben lässt. Ein Gänsehautschauer rieselte Anna über den Rücken.

Abends in ihrer nun eigenen kleinen Zelle, die die Mit­schwestern seit ihrem achten Geburtstag für sie liebevoll eingerichtet hatten, schloss Lucinde die Augen und lauschte wie so oft auf die innere Stimme. Seit sie denken konnte, hatte sie bei ihrer lieben Mutter Anna auf einem kleinen Lager geschlafen. Nun war sie in ihrem eigenen Reich. Hier konnte sie völlig ungestört ihren Gedanken nachgehen.

Auch weiterhin kam Lucinde täglich mit Fragen zu Anna. Doch längst konnte sie nicht mehr alle beantworten. „Mutter, mir scheint, die Tiere sind viel klüger als die Men­schen!“ „Na, na“, meinte Anna kopfschüttelnd. „Doch, liebe Mutter, wie kann es sonst sein, dass manche Men­schen so dick und kurzatmig werden, weil sie zu viel essen oder im Übermaß Alkohol trinken, dass ihre Leber krank wird? Keine Taube, keine Amsel stopft sich so voll, dass sie nicht mehr fliegen kann. Und ein Wolf fastet regelmä­ßig. Woher wissen die Tiere, welche Arznei in der Natur ihnen hilft? Warum wissen Hunde oder Katzen, dass sie das vom Morgentau feuchte Gras fressen sollen, um ihren Bauch zu reinigen? Wer sagt den Zugvögeln, wann sie im Frühjahr wieder zu uns kommen und ihre Nester bauen sollen? Und woher wissen sie, wann sie im Herbst wieder in die warmen Länder fliegen müssen? Wie be­stimmen sie ihren Sammelplatz und wer führt sie auf ihrem Weg?“ „Moi liewes Kind, des waas doch blouß unsä Hä­godd!“ (Mein liebes Kind, das weiß doch nur unser Herr­gott.), stöhnte Schwester Adelgunde, die die ganze Zeit zugehört hatte und zuckte mit den Schultern.

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