Kitabı oku: «Glaube, Irrglaube und die Macht der Liebe», sayfa 4

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Die Kurfürsten ignorierten die Gefahr der Schweden, ahn­ten nicht, dass das Schlimmste noch bevorstand. Gustav Adolf sah (als militärisches Genie und hervorra­gender Stratege) die Chance gekommen, seine Ansprüche in Nord­osteuropa durchzusetzen. Er zwang Pommern, Mecklen­burg, Brandenburg und Sachsen zu einem Bünd­nis. Angeb­lich wollte der schwedische König die Protestanten, die ihn als ihren Heilsbringer sahen, unterstüt­zen, doch es steckte mehr dahinter. Der Schwedenkönig trat vor allem deshalb in Deutschland als Glaubenskämpfer auf, weil er damit seinem schwedischen Staat strategisch zu Stabilität und Macht verhalf. Die theologischen Diskussio­nen waren nur ein Vorwand, handfeste materielle Interessen durchzu­set­zen und Schweden einen geopolitischen Vorteil zu verschaffen.

Der Kaiser wollte Frieden schließen - strebte eine Über­einkunft mit den europäischen Mächten an - und die deut­schen Kurfürsten 1630 auf einem Reichstag versammeln. Den Vorsitz im Kurfürstenkollegium führte der Kurfürst von Mainz. Maximilian, Herzog von Bayern, Herrscher über fast eine Million Untertanen, hatte eine Stellung von unbestrittener Bedeutung. Seine Länder bildeten das Boll­werk zwischen Österreich und den mitteldeutschen Fürs­tentümern. Ihm gehörte neben der Kurpfalz auch die Ober­pfalz, ein verhältnismäßig armes, landwirt­schaftliches Gebiet zwischen der Donau und dem Böhmer­wald.

Die französischen Gesandten unterstützten die Pläne des Kaisers, Wallenstein zu entlassen. Sie versicherten, Schwe­den würde keinesfalls einmarschieren und Frankreich sich nicht in den Krieg einmischen. Zwischen Schweden und Frankreich entstand ein Vertrag. Schweden wurde mit einer Million Pfund unterstützt, um die kaiserlichen Kräfte zu schwächen. Ohne diesen Vertrag hätte Schweden keine Chance gegen den Kaiser gehabt.

In zehn Kriegsjahren hatte mehr als die Hälfte des Reiches das unmittelbare Elend von Truppenbesetzungen und ‑durchzügen zu ertragen, Vier Missernten in den Jahren 1625 bis 1628 hatten eine große Hungersnot für Menschen und Tiere zur Folge. Die Pest forderte unzählige Opfer. Armut und Hunger raubten einem von Natur fleißigen Volk Hoffnung und Scham, so dass es auch für achtbare Bürger keine Schande war zu betteln. Wenn keine Getrei­dekörner mehr zu finden waren, verwendete man gemah­lene Boh­nenstengel zum Brotbacken sowie Eicheln und Wurzeln. Im Frühling holten die Menschen sich die jungen Vögel oder Eier aus den Nestern. Wo ein Bach floss, such­ten sie Krebse oder Frösche. Selbst Schnecken waren besser als Hunger zu leiden.

Die Fürsten klagten höchstens darüber, dass ihre Ta­feln weniger reichlich ge­deckt wären oder über eine schlechte Weinernte, obwohl sie sich immer noch regel­rechte „Sauf- und Fress-Gelage“ leisten konnten. Kein Fürst kam, seines Heimes beraubt, in der Winterkälte um oder wurde mit Gras im Mund tot auf­gefunden und ganz wenige wurden von der Pest befallen. Während auf dem Land Kinder zu­schauen mussten, wie ihre Mütter verge­waltigt und umge­bracht wurden, wenn sie sich widersetzten oder ihre Väter mit dem „Schweden­trunk“ gefoltert, indem man ihnen mit Gewalt den Mund aufsperrte und Jauche hineinschüttete, bis die Därme platzten und nach dem Plündern das Haus angezündet wurde, führten die Fürsten ihr Leben wie in einer Parallel­welt weiter.

Die Not der Bevölkerung hinderte die Soldaten nicht, ihre Erpressungen fortzusetzen. Sie brannten Kirchen nie­der, in die sich die Bewohner geflüchtet hatten und setzten ganze Stadtviertel in Brand, um sie hinterher auszuplün­dern. Der maßlose Hass zwischen Soldaten und Zivilisten, der sich fast zum Wahnsinn steigerte, verschärfte die Gräuel des Krieges. Bürgerkrieg - mit täglichen Morden, Brandstiftungen und Racheangriffen auf Dörfer - wütete in Dithmarschen zwischen den Bauern und den Truppen, ließ sie völlig abstumpfen und machte jegliches Mitgefühl un­möglich.

Der Kurfürstentag von Regensburg bezeichnet das Ende des Abschnittes, der heute als die Zeit des deutschen Krie­ges genannt werden kann, und den Beginn der Epoche, in der auswärtige Mächte in den Krieg verwickelt waren. Nach 12 Jahren des Unheils hätte der Kurfürstentag Linde­rung bringen sollen, doch er kündigte nur die 18 Jahre an, die noch folgen sollten.

Die Gegner Frankreich und Spanien konnten sich beide keine offene Feindschaft erlauben. Ihr Kampfplatz war Deutschland. In den Augen Richelieus war Gustav Adolf ein willkommenes Werkzeug gegen die Habsburger. Wäh­rend er nach Süden ziehen wollte bis nach Bayern, plante Tilly eine Strafaktion gegen Magdeburg, das die Schweden unterstützte. Im Mai 1631 war die Stadt eine große Metro­pole im Heiligen Römischen Reich und das größte protes­tantische Bollwerk, eine wohlhabende, einflussreiche Stadt mit etwa 35.000 Einwohnern.

Die kaiserliche Armee war mittlerweile in einem he­runtergekommenen Zustand. Die Nahrungsvorräte waren aufgebraucht. Die mitreisenden Familien hungerten. Schwangere Frauen konnten sich oft nicht mehr auf ihren Beinen halten, viele verloren auf den Märschen ihre Kinder. Geburten endeten oft mit dem Tod des Neugeborenen und auch der Mutter. Viele Kinder starben an Mangelernährung.

Wallenstein, der auf seine Entlassung vorbereitet war, vertraute den Sternen, die es ihm angekündigt hatten und traf Vorbereitungen. Ein kaisertreuer Freiherr, der ihm die Nachricht überbrachte, wusste, dass es ihm vor allem um Macht und nicht nur ums Geld ging und meinte lächelnd, Wallenstein sei inzwischen so reich, dass er alle Straßen von Prag mit Gold pflastern könne. Wallen­stein schien seinen Abschied bereitwillig hinzunehmen, hing aber ins­geheim seinen Ra­cheplänen nach. „Die Ra­che“, sagte er, „ist wie ein edler Wein und wird um so feu­riger, je später man ihn schlürft.“ Vielleicht würde sein Traum, die Kö­nigskrone Böhmens zu tragen, dann doch noch wahr wer­den.

Tillys hungrige Soldaten liefen reihenweise ins schwe­dische Heer über. Sein Stellvertreter, Pappenheim, drängte ihn Magdeburg zu bezwingen, da die Stadt immer noch die Kapitulation verweigerte. Eigenmächtig führte Pappenheim am 17. Mai 1631 seine Truppen zum Angriff und schoss eines der Stadttore in Brand. Ein starker Wind trug mit dazu bei, dass am Mittag plötzlich an vielen Stellen das Feuer loderte. Magdeburg verließ sich auf seine starken Mauern und das schwedische Heer. Sie hätten ja Wort und Brief des Schwedenkönigs, sie dürften nicht zweifeln. Der Held und Gottesstreiter würde schon im rechten Augenblick eingrei­fen und sich auf den Feind werfen, um sie zu erretten. Gustav Adolf wage seine Krone, sein Reich, sein treues Volk, seine Frau und sein Kind, sein Glück und Leben, um seine Glaubensgenossen zu befreien.

Am Morgen des 20. Mai brannten die ersten Häuser. Bis tief in die Nacht loderte das Feuer, bald brannte die ganze Stadt. Nach drei Tagen war sie völlig zerstört. Es ging das Gerücht um, das Feuer selbst entfacht zu haben, um den Triumph Tillys im Augenblick des Sieges zunichte zu ma­chen.

Bevor die kaiserlichen Truppen in die Stadt stürmten, ließ Pappenheim Wein an die Soldaten verteilen, um ihre „Kampfeslust“ zu fördern. Die Zerstörung Magdeburgs wurde zu einem der schlimmsten Massaker der bisherigen Menschheitsgeschichte, zu einem maßlosen Exempel und bedeutete den Tod für die Hälfte der Bevölkerung. Nur wenige konnten fliehen. Unvorstellbares spielte sich ab in diesen Tagen. Es galt das Kriegsrecht: „Frauen kann man mitnehmen als Beute.“ Unter den Söldnern herrschte eine rohe sexuelle Gewalt, die als „Magdeburgische Bluthoch­zeit“ in die Geschichte einging.

Der schwedische Trompeter Magnus wurde von Gustav Adolf in die Stadt geschickt, um über die Lage dort zu be­richten. Als geschickter Reiter kam er auf seinem Pferd auch durch die entlegensten Gassen. Den Anblick der Bar­barei, die er dort zu sehen bekam, konnte er kaum ertragen: Die Söldner drangen in die Häuser ein, plünderten und richteten ein unvorstellbares Massaker an. Babys wurden an den Brüsten ihrer Mütter aufgespießt, die Elbe war blutrot. Mädchen stürzten sich hinein in Panik. Frauen, auch schwangere, wurden vergewaltigt und umgebracht.

Der Dom wurde verschont, weil der Domprediger für die wenigen Überlebenden um Verschonung bat. Drei Tage waren sie schon ohne Nahrung und ohne Wasser. Als Tilly auf seinem Pferd in den Dom ritt und das Elend sah, befahl er, die Überlebenden zu verschonen. Die kaiserlichen Söldner hatten in wenigen Tagen etwa 25.000 Menschenleben in einem Blutrausch ausgelöscht. Die Lebensmittel waren vernichtet. Zivilisten und Soldaten drohte eine Hungernot. Unter den Bürgern, die am Leben geblieben waren, befan­den sich vor allem Frauen, denn diese hatten sich die Sol­daten mit der Beute als erstes gesichert und ins Lager ge­schleppt. Als die Plünderung vorbei war, versuchte Tilly, Ordnung zu schaffen und beauftragte Priester, die Soldaten zu überreden, die Frauen entweder zu heiraten oder zurück­zuschicken. Um den Ausbruch der Pest zu verhindern, ließ Tilly die Leichen in die Elbe werfen.

Die Statue der Jungfrau, das Wahrzeichen der Stadt, wurde verkohlt und zerbrochen in einem Graben gefunden. Es hieß, sie war „umworben und genommen“ worden.

Die Grausamkeiten traumatisierten die Überlebenden fürs ganze Leben. Die Protestanten schrien nach Ra­che. Das Inferno von Magdeburg wurde über Flugschriften ver­breitet. „Magdeburgisierung“ galt nun während des Krieges später auch für das Niederbrennen anderer Städte wie Höxter, Zwickau und Heidelberg.

Im Heerlager der Schweden ging die Sorge um, dem Trom­peter könne etwas zugestoßen sein, da er schon drei Tage unterwegs war. Als er endlich völlig entkräftet und über­nächtigt am anderen Morgen ankam - der Feldprediger stimmte gerade das Gebet an -, ließ er sich erschöpft vom Pferd fallen. Seine Kameraden trugen ihn ins Zelt, wo er wie ein Toter zwei Tage schlief, ohne auch nur einmal die Augen zu öffnen.

Papst Urban VIII. bezeichnete die Eroberung Magdeburgs als Vernichtung des Ketzernestes. General Pappenheim notiert in seinem Tagebuch: Es ist gewiss seit der Zerstö­rung Jerusalems kein gräulicheres Werk und Strafe Gottes gesehen worden. All unsere Soldaten sind reich geworden. Gott mit uns.

Einige Frauen wurden als Zauberinnen vor Gericht gestellt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, nachdem sie weitere unter der Folter denunziert hatten. Alle wurden beschuldigt, die Elbe austrocknen zu wollen, damit Magdeburg eher eingenommen werden könne. Die politischen Intentionen dieses Krieges und die durch ihn verursachte Gewalt stan­den in keinem Verhältnis mehr zueinander.

Die Vernichtung hatte ein Ausmaß angenommen, das durch nichts mehr moralisch zu legitimieren war. Die Bela­gerung und Plünderung, die ganze Barbarei war ein Schlüs­selmoment. Bisher schienen nur die Protestanten gefährlich zu sein und nun erkannte man, dass auch die Katholiken brutal waren. Richelieu schrieb in der Gazette, die er ge­gründet hatte: Die Habsburger sind nicht länger Katholi­ken, sie sind Scheusale! (Die Gazette diente nicht nur den Nachrichten, sondern vor allem der Propaganda für Frank­reich und war der Beginn des Medienzeitalters.)

Auf seinem Zug nach Leipzig fand Tilly mit seinen Of­fizieren lediglich eine Unterkunft im Haus des Totengrä­bers, da die Bevölkerung selbst alle anderen Gebäude der Vorstadt bereits abgebrannt hatten. Erschrocken traten sie zurück, als sie eine Unzahl von Totenschädeln sahen, die von der Decke herabhingen und in denen kleine Lichter brannten. Auch an den Wänden hingen kleine und größere Knochen, die der Totengräber als „Gewächse“ auf seinem Acker bezeichnete. Den Offizieren liefen Schauer über den Rücken und einer meinte, dies könne ein schlechtes Omen sein für die bevorstehende Schlacht.

Nördlich von Leipzig fand 1631 die erste große Ent­scheidungsschlacht bei Breitenfeld statt, auf der sich na­hezu 90.000 Mann gegenüber standen. Das vereinigte schwedisch-sächsische Heer war dem kaiserlichen, geführt von Tilly, überlegen. Außerdem waren ihre Waffen und ihre Taktik besser und die Zahl ihrer Geschütze höher.

Der Krieg hatte die Soldaten verändert. Mit ihren Lie­dern - wie das Nachtlied der Krieger - feuerten sie sich ge­genseitig vor der Schlacht an: „[…] hörbar wird der Feinde Tritt. Und die Trommel wird geschlagen. Und Trompeten schmettern mit. Rüstig schließen sich die Reihen. Jedes Herz schlägt Vaterland. Möge Gott den Sieg verleihen uns mit güt’ger starker Hand und das Recht wird Sieger sein.“

Pappenheim, dem der Wirklichkeitssinn fehlte, gab nun, wie in Magdeburg, ohne Abstimmung mit Tilly, den Befehl zum Angriff. „Gott mit uns Kameraden!“, rief er. „Lob und Leben oder ehrlichen Tod!“ „Lob und Leben oder ehrlichen Tod!“, wiederholte die Truppe im Chor. Dass ein Entkom­men nicht mehr möglich war, verdrängten sie. Mit dem Glauben an eine übermenschliche Kraft in ihnen, stürmten sie los. Die donnernden Geschütze und das Knallen der Gewehre, das metallene Scheppern der gepanzerten Rüs­tungen, das Krachen der Spieße und das Geschrei der Ver­wundeten und Angreifer ergaben zusammen mit den Trom­peten und Trommeln eine furchterregende Musik.

Im kaiserlichen Heerlager wurden nach der Schlacht die verletzten Soldaten und Söldner vom Feldscher behandelt, der mit brachialen Mitteln vorging und u. a. bei vollem Bewusstsein, Kugeln aus den Leibern schneiden musste. Wenige überlebten diese Tortur. Wundärzte waren in den Lagern selten und nur den Anführern zugewiesen. In letzter Not flehten die Soldaten verzweifelt zu Gott: „Warum? Warum das alles? Warum hast du das zugelassen? Warum lässt du es zu, dass Christen einander töten? Wann ist dieses Grauen zu Ende? Ich werde nicht mehr beten, ohne eine Antwort von dir!“

Die Niederlage bei Breitenfeld war für Ferdinand ein schwerer Schlag. Die überlebenden Soldaten begannen, mit Gott und der Welt zu hadern. Das schwedische Heer zog durch das protestanti­sche Niederösterreich Richtung Prag, wollte weiter nach Wien vordringen, griff Böhmen an und nahm grausame Rache an den Katholiken.

Die charismatische Persönlichkeit des schwedischen Königs und sein Glaube an sich selbst umgaben von nun an jede seiner Taten mit einem Nimbus des Wunders und der Unbesiegbarkeit. Schwe­den entwickelte sich nach dem Erfolg bei Breitenfeld schnell zu einer europäischen Groß­macht.

Der Siegeszug der Schweden durch West- und Süd­deutschland dauerte zwei Jahre.

Seit Jahren betrachtete die Äbtissin

allabendlich mit ihrem Fernrohr den Sternenhimmel. Heute war der Abend so still, dass kein Blatt sich regte im Wipfel der alten Kastanie, die das Kloster überragte. Der Krieg, der seit 12 Jahren im Land herrschte, war weit weg. Hin und wieder kamen Meldungen über den alten Anton, ihren Bo­ten vom Dorf. Täglich beteten die Schwestern in ihrer Ka­pelle für den Frieden. Aus den Worten Pater Bernhards in seiner letzten Predigt schöpften alle Kraft und vertrauten darauf, auch weiterhin verschont zu bleiben: „Freut euch in Hoffnung, seid geduldig in Trübsal und beharrlich im Ge­bet!“, zitierte er einen Römerbrief. „Denn das Gebet ist der Anschluss an die Kraftquelle Gottes. Wo keine Hoffnung ist, ist Traurigkeit.“

Heute durfte Lucinde länger aufbleiben. Mit roten Wan­gen saß sie neben der Äbtissin und konnte es kaum erwar­ten, durch das Fernrohr zu schauen. „Mutter, der Himmel ist heute so rot wie die Rosen an der Hauswand in unserem Garten!“

Lucindes Augen verfolgten den Sonnenuntergang, der ein zauberhaftes weiches Licht über die Landschaft legte. Mit Spannung wartete sie auf den allerletzten Augenblick, den geheimnisvollen Moment zwischen Tag und vollstän­diger Nacht, in dem die Natur zur Ruhe kommt, als ob sie für einen Augenblick den Atem anhalten würde.

Ein wenig später erhellten der Mond, der Mars, der Sa­turn, die Venus und der Jupiter den Nachthimmel. „Als wollten sie alle ein Fest feiern!“, rief Lucinde. „Ja, mein liebes Kind, sie wollen uns ermahnen, das Fest des Lebens an jedem Tag zu feiern. Ein Dankesfest für unseren Schöp­fer.“

Lucinde nickte, deutete zum Himmel und hörte auf­merksam zu. „Schau, dort oben ist der Jupiter. Er ist der größte Planet; sieh, welche Ruhe und Souveränität er aus­strahlt, wie er die rechtwinklige Geometrie der Waage an­führt. Als ob er in uns Menschen die geistige Kraft, das Denken und die Erkenntnis unterstützen möchte“, erklärte die Mutter. Stumm hing Lucinde an ihren Lippen.

„Wir müssen lernen zu erkennen, was falsch ist im Le­ben, denn oft finden wir erst dann im Gegenteil das Rich­tige. Immer noch folgte Lucinde mit großer Aufmerksam­keit den Worten der Mutter. „Mit der Wahrheit verhält es sich völlig anders: Wenn wir etwas als wahr erkennen, ist das Gegenteil ebenso die Wahrheit. Und um zur Wahrheit zu gelangen, müssen wir uns zuerst von unserem gelernten Wissen befreien und das neu erworbene neu ordnen.“

Nach einer langen Pause, in der Anna beobachtete, wie Lucinde über das Gehörte nachdachte, fragte sie: „Mutter, du hast gerade von der geistigen Kraft gesprochen. Was ist denn der Geist?“ „Geist und Seele gehören eigentlich zu­sammen, Lucinde. Man kann auch sagen, dass die Seele der Ursprung des Geistes ist. Oder dass sozusagen der Geist von der Seele geboren wird. Wenn die unsterbliche Seele und der sterbliche Körper in diesem Erdendasein mit unse­rem Denken und Fühlen in Harmonie sind, kann das zum Vorschein kommen, was wir Geist nennen und dann öffnen sich für uns die Geheimnisse des Himmels und der Erde.“

Als Lucinde die Augen zu den hellen Sternen hob, glaubte Anna den Widerschein dieses Glanzes in den ge­heimnisvollen Augen des Mädchens zu sehen. Anna war vom Glauben durchdrungen, dass in diesem Menschenkind Fähigkeiten verborgen liegen, die nur darauf warten, ent­deckt zu werden. „Sonne und Mond, preiset den Herrn! Ihr Sterne des Himmels, preiset den Herrn!“, begann Mutter Anna mit ihrer Sopranstimme, die Lucinde so gerne hörte. Wie ein Echo klang das Son­nenlied des Alten Testamentes in den nächsten Tagen in ihr nach.

Lucindes Lehrerin sein zu dürfen, seit dem Tag, als ihr dieses Kind in die Arme gelegt wurde, war Anna inzwi­schen ebenso wichtig wie ihre Aufgaben als Leiterin des Kon­vents. Und wichtiger als ihr eigenes Leben; denn ein inneres Ahnen sagte ihr, dass eines fernen Tages, wenn sie vielleicht gar nicht mehr auf dieser Erde wäre, auf Lucinde eine große Aufgabe warten, dass sie zum Segen für unzäh­lige Menschen werden würde. Mit jeder Faser ihres Her­zens glaubte sie inzwischen unerschütterlich daran. Gleich­zeitig war ihr bewusst, dass sie nicht nur den Auftrag hatte, das Kind, das ihr anvertraut war, zu lehren, sondern, dass sie selbst dadurch Tag für Tag auf neue Erkenntnisse stieß, dass sie selbst Tag für Tag dazulernen durfte.

Das zierliche Mädchen besaß eine zarte Gesundheit, aber einen hellen, wachen Geist und schien seinem Alter gemäß weit voraus zu sein. Dieses wissenshungrige junge Leben und ihre eigene reiche Erfahrung waren Gegensätze, die jeder neue Tag durch das Lernen ins Gleichgewicht brachte und im Gleichgewicht hielt. Mit Lucinde erst ent­deckte Anna selbst das Geheimnisvolle und die Tiefe des alltäglichen Lebens, den leisen Klang im Rhythmus der Natur, der sie sanft mit seiner Melancholie an die Endlich­keit ihres Lebens erinnerte.

Manchmal hatte sie den Eindruck, dass die Augen des Mädchens Dinge schauen konnten, die ihren eigenen ver­borgen blieben. Dann schien Lucinde ihr wie ein Wesen aus einer besseren Welt, als habe Gott einen Engel auf die Erde geschickt. Alles ist miteinander verwoben, nichts geschieht zufällig, dachte Anna. Und wird zu einem heili­gen Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart zusam­mentreffen.

Wer mag nur Lucindes Mutter gewesen sein? Leben nun in ihrer Tochter die unerfüllten Ambitionen, das nicht Ge­lebte durch ihren frühen Tod weiter? Ist dies nicht sogar das allgemeingültige Gesetz der Weiterentwicklung der ganzen Menschheit? Anna war fest entschlossen, diesem Kind, das eine außerordentliche Begabung zeigte, zu die­nen. Sie wusste, das Vermächtnis - diese blitzschnelle Form der spontanen inneren Einsicht - das seit Generatio­nen von der Mutter auf die Tochter übertragen wird, kann verschüttet sein oder in den Hintergrund des Bewusstseins gedrängt werden, doch nichts Essentielles kann jemals endgültig verlorengehen. Sie zweifelte nicht daran, dass dies für alle Frauen gilt. Wir können sicher sein, dass alles verloren Geglaubte weiterhin in der Seele vorhanden ist, denn was verdeckt ist, kann irgendwann neu entdeckt wer­den.

Anna wusste, dann wartet ein Geschenk auf alle, die sich auf diesen Weg einlassen: Ein unbestechliches Zeu­genbewusstsein, das ermöglicht, alle eigenen Schwächen und Stärken sowie die der anderen Personen zu erkennen und rückhaltlos anzunehmen. Das Wahrgenommene nicht zu bewerten und unerschrocken jede noch so gut versteckte Schattenseite anzunehmen, alle Negativitäten, alle Unge­reimtheiten zu akzeptieren, ermöglicht uns, mutig den nächsten Schritt im Leben zu gehen. Wie sie es selbst er­lebte, seit sie sich auf dieses Leben in der Abgeschiedenheit ihres Klosters eingelassen hatte, dass jedes negative Gefühl, jeder negative Gedanke vom eigenen Bewusstsein durch­drungen, sich selbst auflöst und sich in eine neue Vitalität wandelt und uns mit einer magischen Kraft mit Seelen­freunden verbindet.

Erst dann können wir Frauen erkennen, was wir wirk­lich brauchen, wonach wir uns zutiefst sehnen und uns die Frage stellen: Was ist es, das ich jetzt im tiefsten Seelen­grund will? Doch ein gutes Unterscheidungsvermögen zu entwickeln ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Es erfordert Mut, Willenskraft, seelische Stabilität und vor allem Geduld.

Am Nachmittag wurde die Äbtissin unruhig, weil Lucinde nicht – wie gewohnt – zur Andacht erschienen war. Als sie aus der Kapelle kam, schaute sie zuerst besorgt in ihrer Zelle nach, fand sie aber dann nach einer Weile im Garten unter dem Birnbaum. Sie traute ihren Augen nicht und blieb erschrocken stehen, als sie das Mädchen sah. Lucinde saß im Gras und streichelte einen Wolf, der den Kopf in ihren Schoß gelegt hatte. Fassungslos hielt Anna die Luft an, wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Der Wolf musste bereits ihre Nähe gewittert haben. Er hob den Kopf und be­wegte angespannt lauschend seine Ohren, blieb aber sitzen. Da schaute auch Lucinde auf.

„Schau mal Mutter, wen ich heute gefunden habe! Der Arme war humpelnd um unser Kloster herum gestrichen. Ganz bestimmt wusste er, dass wir ihm helfen können. Eine Pfote ist schwer verletzt, vielleicht war er in eine Falle geraten. Sieh doch nur, wie mager er ist. Ich glaube, er hatte schon lange nichts mehr zu fressen.“ „Aber Lucinde, er ist ein wildes Tier und gefährlich!“, rief die Mutter entsetzt. „Nein, nein, mein Wolf ist doch noch ein Kind!“, sagte sie schnell. „Ich hab seine Wunde bereits mit Ringelblumen­salbe behandelt und die Pfote verbunden. Sie sah gar nicht gut aus. Hoffentlich gibt es keinen Wundbrand.“

In den nächsten Wochen wurde Zita, wie Lucinde ihr Wolfskind nun nannte - weil Anton festgestellt hatte, dass es ein „Mädchsche“ (Mädchen) war - eine Spielgefährtin, die ihr wie ein junger Hund auf Schritt und Tritt hinterher lief. Am Abend schlief sie vor ihrem Bett ein und am Mor­gen wartete Zita schon darauf, dass Lucinde endlich die Augen aufmachen würde. Die Schwestern, die zuerst zu­rückhal­tend und ängstlich auf das wilde Tier reagierten, verloren bald ihre Scheu und lachten, wenn sie sahen, wie Lucinde und Zita im Garten umher tollten. Der treue alte Anton, der den Schwestern in seinem Rucksack aus dem Dorf immer wieder Spenden der dankbaren Bürger brachte, hatte bald auch für Zita etwas im Gepäck. Inzwischen war sie zwar auch mit gekochten Kartoffeln und Gemüse zu­frieden. Doch wenn Zita schon von weitem Antons Schritte erspähte, sprang sie ihm mit lautem Freudengeheul entge­gen, weil er stets einige Knochen oder Fleischreste dabei hatte.

Im Schatten der Nachmittagssonne saß die Äbtissin und murmelte im stillen Gebet die Stationen des Glorreichen Rosenkranzes, während die Perlen andächtig durch ihre Finger glitten. Doch heute schoben sich immer wieder Ge­danken dazwischen, die sich nicht mehr verscheuchen lie­ßen. Seufzend hielt sie mitten im Gebet inne, steckte den Rosenkranz in die Tasche ihres Kleides und ließ ihren Ge­danken freien Lauf:

Mit jedem Jahr, in dem Anna in dieser Ordensgemein­schaft ihr Leben mit anderen Frauen teilte, hatte sich die Gewissheit verstärkt, dass die Eltern die richtige Entschei­dung getroffen hatten, dass das so frühe Versprechen der Eltern in völliger Übereinstimmung mit ihrer, damals noch völlig unbewussten inneren Sehnsucht war. Annas wirkli­che Familie war seit vielen Jahren diese Klostergemein­schaft. Hier fühlte sie sich zugehörig. Hier war sie zuhause.

Ihr Vater hatte der Äbtissin bei ihrer Aufnahme eine nicht geringe Summe für das Kloster überreicht und ein Gebetbild dafür bekommen, auf dem er die Heilige Agatha sah, der das Kloster geweiht war. Einige ihrer Mitschwes­tern kamen aus armen Verhältnissen. Da waren die Eltern froh, eine Esserin weniger am Tisch zu haben. Andere hat­ten einen adeligen Titel, den sie mit dem Eintritt ins Kloster ablegen mussten. Es war unwichtig, woher sie kamen. Alle ordneten sich ein in die Regeln des Heiligen Benedikts. In ihrer klösterlichen Gemeinschaft durfte die Herkunft keine Rolle spielen.

Am frühen Abend saß Lucinde alleine auf der Bank im Garten und schaute nachdenklich zu den Sternen, die so unendlich fern schienen, so fern wie die Erinnerung an ihre Mutter, von der sie durch die Äbtissin nur wusste, dass sie – nachdem sie ihr das Leben geschenkt hatte – gestorben war. Und doch verging kein Tag, an dem sie nicht in Gedanken so innig bei ihr war, dass sie irgendwann ein Bild ihrer Mutter in ihrem Herzen hatte, an dem sie festhalten konnte. Gewiss, die Äbtissin war wie eine Mutter zu ihr und sie spürte nicht nur Dankbarkeit, sondern aufrichtige Gefühle der Zuneigung. Doch die Mutter, die sie geboren hatte und die sie in ihrem Herzen trug, die sie auf Schritt und Tritt begleitete, gab ihr ein ganz besonderes Gefühl, es war an­ders als die Liebe der Mutter Anna. Die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte, war eine Begleiterin, mit der sie Zwiesprache hielt, auf deren Stimme sie lauschte, deren Melodien sie summte und deren Lieder sie sang, andere Lieder als die, die sie im Konvent hörte. Manchmal schrieb sie spontan kleine Botschaften für ihre Mut­ter auf Zettel­chen.

Während es gerade draußen in Strömen regnete, saß Lu­cinde am nächsten Tag in ihrer Zelle am Tisch und schrieb: Geliebte Mutter, ich möchte dir sagen, dass ich mein Leben für dich weiterleben werde, deine Träume erfüllen werde, mein Glück zu deinem Glück mache. Als der Regen auf­hörte und ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken dran­gen, trug sie das Blatt in den Klostergarten und legte es auf den verwitterten Buntsandstein über dem ältesten Grab an der Mauer, der letzten Ruhestätte der ersten Leiterin des Ordens vor 400 Jahren, dessen Inschrift kaum noch zu lesen war. Als sie einen Kieselstein im nahen Bach suchte, sah sie, wie mit einem Mal ein Regenbogen über dem Tal stand, zauberhaft und geheimnisvoll leuchtend. Er schien Lucinde wie eine Brücke ins Jenseits, wie ein Zeichen der Liebe, die die Lebenden mit den Toten verbindet. Tränen glänzten auf ihren Wangen als sie ihre Botschaft unter den Stein legte. Der Quarz funkelte und glitzerte in der Nach­mittags­sonne wie tausend Sterne vom Himmel gesandt, wie ein Gruß der Mutter.

Tief versunken fand Anna das Mädchen. Im gleichen Augenblick wusste sie, wo Lucinde jetzt in ihren Gedanken war. Behutsam legte sie eine Hand auf ihre Schulter. Lu­cinde schaute auf und war so beseelt, dass sie Mutter Anna sofort mitteilen wollte, was sie gleich darauf in ihr Heft schreiben würde: „Meine Mutter war bei mir. Da gibt es eine Brücke zwischen der Welt der Verstorbenen und unse­rer. Der Schlüssel und die Brücke zu dieser Welt ist unsere Liebe. Da gibt es einen Ort, wie ein Raum zwi­schen der geistigen und unserer Welt, in dem ich meine Mutter traf. Liebe ist Licht, denn Licht ist Liebe. Durch unsere Liebe bleiben wir auf immer in unserem Menschsein mit unseren Verstorbenen verbunden. Denn das Licht in uns kann nicht zerstört werden. Es verlässt unseren Körper nur im Augen­blick des Todes, um sich wieder mit dem unend­lichen Licht zu vereinigen.“

Eine tiefe Freude ließ Annas Herz schneller schlagen und sie schickte - wie so oft in den letzten Jahren - einen Dank zum Himmel. Welch göttliche Fügung hatte ihr dieses Kind geschickt?

Wo sie doch allen weltlichen Freuden entsagt hatte an dem Tag, als sie mit 15 Jahren von ihrem Vater hierher gebracht wurde. Die Mutter hatte ein Gelübde abgelegt, als ihr Mann an einer lebensbedrohlichen Krankheit litt. Mit beiden Händen auf ihrem schon deutlich gewölbten Leib war sie in der Marienkapelle am Ortsrand von Kleinwall­stadt niedergekniet und hatte der Gottesmutter versprochen, eines Tages dieses Kind in den Dienst der Kirche zu den Benediktinerinnen des Klosters Maria an der Sonne am Schmerlenbach zu geben. Ein Haus, von dem sie wusste, dass es bereits im 13. Jahrhundert von Kugelnberg, einem Domherr zu Würzburg, aufgrund eines Gelübdes, gestiftet wurde. Abend für Abend, wenn die Mutter am Bett mit der kleinen Anna betete, erinnerte sie ihr Kind feierlich an dieses Versprechen: „Meine liebe Tochter, du bist ein gott­geweihtes Kind, seit du in unsere Wiege gelegt wurdest.“

Als der Tag des Abschieds gekommen war, die Ent­scheidung für ihr weiteres Leben nie in Frage gestellt wor­den war in all den Jahren, durfte auch Anna keinen Zwei­fel aufkommen lassen an dem Versprechen ihrer Mutter. Die junge Frau fügte sich rasch ein in das Ordensleben, war beliebt im Konvent, zeigte großes Talent in der Pflege des Klostergartens und war bald im Chor der Frauenstimmen mit ihrem Sopran unentbehrlich. Er verlieh ihren Gesängen eine Innigkeit, die die Herzen aller bewegte. Für Schwester Josefine, die durch ihr hohes Alter geschwächt war, wurde sie schon in kurzer Zeit zur zweiten Hand. Und so war es keine Über­raschung, dass nach ein paar Jahren Schwester Anna ein­stimmig vom Konvent zur neuen Äbtissin gewählt wurde. Mit großer Demut übernahm Anna den ehrenvollen Auf­trag, das verdienstvolle Wirken von Mutter Josefine fortzu­setzen.

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