Kitabı oku: «Mary und das geheimnisvolle Gemälde», sayfa 5

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Mittlerweile hatte Franz sein Jurastudium mit Doktortitel erfolgreich beendet und sich in den letzten Jahren - wie einige seiner Kommilitonen - den Hambachern angeschlos­sen. Wie alle Studenten dieser Vereinigung trug auch Franz jetzt mit Stolz die schwarz-rot-goldene Kokarde in Form einer Blume am Revers. In der Paulskirche war er Beob­achter und auch Berater von Delegierten in juristischen Fragen wie Staats-, Straf- und Privatrecht. Franz Wagner konnte es kaum fassen, dass er unmittelbar am Ort des Geschehens war, wo deutsche Geschichte in seinem Sinne neu geschrieben wurde. Es waren Momente überwältigen­der Glücksgefühle in seinem jungen Leben. Obwohl sein Elternhaus Verbindungen zu Adelskreisen pflegte, fühlte Franz sich in seinem Herzen den Unterprivilegierten ver­pflichtet und spürte die Diskrepanz auch bei den fort­schrittlichen Kräften zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein Jahr später sollten seine Visionen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.

Zu den historisch herausragenden Leistungen der Frank­furter Nationalversammlung gehört das am 21. Dezember 1848 verabschiedete „Reichsgesetz betreffend der Grund­rechte des deutschen Volkes“. Zum ersten Mal erlangten damit Menschen- und Bürgerrechte Gesetzeskraft in Deutschland. Als Kernelemente zählten die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Ge­werbefreiheit etc.) sowie die Abschaffung der Todesstrafe und beeinflusste damit die Weimarer Verfassung und später das Grundgesetz. Der preußische König Wilhelm IV. lehnte sowohl die neue Verfassung als auch den Antrag der Natio­nalversammlung zu seiner Ernennung zum Kaiser im April 1849 ab. Die Ablehnung der Fürsten gab schließlich den Ausschlag zu den Erhebungen in Sachsen, kurze Zeit später in Baden und der Pfalz. Der Komponist Richard Wagner wurde wegen seiner Beteiligung am Dresdner Maiaufstand steckbrieflich gesucht und floh in die Schweiz. Bereits sechs Tage später, am 3. Mai 1849, wurde dieser Aufstand durch sächsische und preußische Truppen niedergeschla­gen.

1848 blieb es zunächst in der Pfalz von außen betrachtet noch ruhig, da in diesem Teil Bayerns die meisten der an­dernorts geforderten Rechte bereits gegeben waren. Im Inneren allerdings erwachte ein reges, wenn auch von den Eliten dominiertes politisches Leben. Ein als fortschrittlich erachteter Rationalismus wurde als bewusste Abgrenzung zum katholischen Altbayern propagiert und gilt als Vorspiel für die revolutionäre Erklärung der politischen Autonomie vom Mai 1849.

Als im Königreich Bayern, zu der die Pfalz damals noch gehörte, im Dezember 1848 die ersten Landtagswahlen nach dem erzwungenen neuen Wahlrecht stattfanden, ergab sich eine Mehrheit der Linken (Anhänger der Volkssouve­ränität und der Einheit Deutschlands). Insbesondere in der Pfalz hatten die Wähler alle Sitze mit Vertretern der Linken besetzt. Bei der Eröffnung des Landtages am 22. Januar 1849 versprach König Maximilian noch Reformen. Die Landtagsmehrheit hatte am 9. Februar den Grundrechtska­talog der Frankfurter Nationalversammlung in Kraft ge­setzt, der aber kurz danach vom König (und seiner Regie­rung) nicht anerkannt wurde. Von der Linken musste dies als Staatsstreich angesehen werden, denn die Wahlen zur Nationalversammlung waren legitimiert durch Landes­wahlgesetze, die noch in Kraft waren. Pfälzische Abgeord­nete der Nationalversammlung legten ihren Gemeinden eine Entschließung vor, wonach die Nichtanerkennung der Reichsverfassung eine strafbare Auflehnung gegen die neugeschaffene gesetzliche Ordnung, jeder gewalttätige Angriff ein Hochverrat gegen die deutsche Nation sei. Die „Märzvereine“ in den bayerischen Gebieten der Pfalz (zu der auch eine Gruppe der Hambacher - und damit auch Franz Wagner - gehörte), forderten nun über die Annahme der Verfassung hinaus auch wieder die Abschaffung der Monarchie und vor allem die Loslösung der Pfalz vom Königreich Bayern.

Die Pfälzische Erhebung im Mai und Juni 1849 war zwar Teil der damaligen Reichsverfassungskampagne, dennoch hatte die Pfalz, die politische Heimat des Franz Wagner, ihre eigene, ganz spezifische Vorgeschichte. Die aus der französischen Zeit stammenden „rheinhessischen Institutionen“, die nicht nur eine moderne Bürokratie, son­dern auch die Verbürgung von Rechtseinheit, -gleichheit und -sicherheit garantierten, galten den Pfälzern als ihre eigentliche Verfassung und machten den Landesteil zu einem der politisch fortschrittlichsten in ganz Deutschland. Als solcher wurde er im gesamten „Vormärz“ zum Agitati­onsgebiet liberaler Vordenker einerseits und Sorgenkind des bayerischen Monarchen andererseits.

Nachdem das Königreich Bayern die Reichsverfassung abgelehnt hatte und der Landtag nicht mehr tagte, kam es in der Folge zu einer breiten Protestbewegung, unter ihnen Franz Wagner, der junge Doktor des Rechts, wie einige seiner Weggefährten, die sich in der Pfalz sogar zum Auf­stand auswuchs. Es verstand sich bei den Pfälzern von selbst, wenn der König von Bayern nicht mehr deutsch sein wollte, müsse die Pfalz aufhören bayerisch zu sein. Die Volksvereine riefen zum Widerstand auf und ihre Vertreter wählten einen provisorischen Landesverteidigungs-Aus­schuss, der von der bayerischen Regierung die Anerken­nung der Reichsverfassung forderte. Am 1. Mai 1849 fand ein Treffen mit 12.000 Menschen der demokratischen Volksvereine in Kaiserslautern statt, unter dem Motto: Wenn die Regierung zur Rebellion geworden, werden die Bürger der Pfalz zu den Vollstreckern werden. Die Provinz geriet innerhalb kurzer Zeit vollständig unter den Einfluss des Ausschusses. Es wurden Volkswehren formiert, Beamte mussten einen Eid auf die Verfassung schwören; der auf­gestellten Revolutionsarmee traten sogar Soldaten der kö­niglich bayerischen Armee bei. Am 17. Mai wurde eine provisorische Regierung gebildet. Diese bekannte sich zur Reichsverfassung und bereitete die endgültige Trennung von Bayern vor, die Ende Mai verkündet wurde. Bereits am 18. Mai wurde ein Bündnis mit der Badischen Republik geschlossen. Am 21. Mai forderte eine Mehrheit der Ab­geordneten im bayerischen Landtag die Anerkennung der Reichsverfassung, die insbesondere von der pfälzischen Bevölkerung freudig begrüßt wurde. Am nächsten Tag verweigerte die Regierung den pfälzischen Abgeordneten die Teilnahme am Landtag, worauf die Linke geschlossen das Parlament verließ.

Am 11. Mai 1849 begann der dritte badische Aufstand mit der Meuterei der badischen Truppen in der Bundesfes­tung Rastatt. Der Maiaufstand führte zur Flucht des Groß­herzogs Leopold von Baden am 13. Mai und zur Ausrufung der Republik Baden. Doch preußische Truppen rückten bereits gegen Baden vor.

Marx, der mit Engels die inzwischen verbotene „Neue Rheinische Zeitung“ leitete, entwickelte Visionen, aus dem kleinen Gebiet in Baden eine nationale Bewegung für ganz Deutschland zu entwickeln. Diese riesige revolutionäre Woge würde endgültig alle Könige und Fürsten auch in Wien, Frankreich und Russland beseitigen. Marx sprach von einem Krieg der europäischen Völker gegen ihre Un­terdrücker. Die Nationalversammlung hatte sich zu einem reinen Debattierklub entwickelt, darin war sich die ganze Gruppe der Revolutionäre einig. Die wichtigsten Zentren der Revolution nach Frankreich waren Baden, die Pfalz, Preußen, Sachsen, die Freistadt Frankfurt, Bayern, Öster­reich, Oberitalien und Ungarn. Auch in anderen Staaten und Fürstentümern kam es zu Aufständen und Versammlungen, bei denen die revolutionären Forderungen formuliert wur­den. Die Aufstände in Baden und der benachbarten Pfalz, der sich auch Wilhelm Liebknecht angeschlossen hatte, waren nur Teil eines Mosaiks, das von Paris bis Petersburg und von Kopenhagen bis Rom reichte. Überall waren die gleichen Kräfte in Bewegung, die wie in Wellen vordrangen und zurückwichen und wieder vordrangen, nichts konnte unbeweglich bleiben. Eine Welt war im Fluss. (aus „Lenz oder die Freiheit“ von Stefan Heym). Friedrich Engels (Freund und Mäzen von Marx), der selbst am pfälzischen Aufstand teilnahm, schrieb kritisch, spöttisch, aber nicht ohne innere Zuneigung über den Geist und die Bewegung, im Gegensatz zu den Verhältnissen in Baden:

Wer die Pfalz nur einmal gesehen hat, begreift, dass eine Bewegung in diesem weinreichen und weinseligen Lande einen höchst heiteren Charakter annehmen musste. Man hatte sich endlich einmal die schwerfälligen, pedanti­schen altbayerischen Bierseelen vom Halse geschafft und an ihrer Stelle fidele Schoppenstecher zu Beamten ernannt. (Schoppenstecher ist ein typisch Mainzer Begriff und be­deutet: ein Weintrinker, der seine Nase in den Stecher - den zylindrischen Mainzer Weinbecher - hineinsteckt.) Man war endlich jene tiefsinnig tuende bayerische Polizeischi­kane los, die in den sonst so ledernen „Fliegenden Blät­tern“ ergötzlich genug persifliert wurde und die dem flotten Pfälzer schwerer auf dem Herzen lag als irgendetwas ande­res. Die Herstellung der Kneip(en)freiheit war der erste revolutionäre Akt des pfälzischen Volks. Die ganze Pfalz verwandelte sich in eine große Schenke, und die Massen geistigen Tranks, die „Im Namen des pfälzischen Volks“ während dieser sechs Wochen verzehrt wurden, übersteigen alle Berechnung. Obwohl in der Pfalz die aktive Teilnahme an der Bewegung lange nicht so groß war wie in Baden, obwohl es hier viele reaktionäre Bezirke gab, […] wurde selbst der reaktionärste Spießbürger und Bauer hineinge­rissen in die allgemeine Heiterkeit. […]…verschwand mo­mentan jeder andre Unterschied im geselligen Verkehr. Alle Klassen der Gesellschaft kamen in denselben öffentli­chen Lokalen zusammen; und ein sozialistischer Schwär­mer hätte in diesem ungebundenen Verkehr die Morgenröte der allgemeinen Brüderlichkeit sehen können. Wie die Pfalz, so ihre provisorische Regierung. […] Und doch ist nicht zu leugnen, dass diese lachenden Regenten sich bes­ser benommen und verhältnismäßig mehr geleistet haben als ihre badischen Nachbarn des „gesinnungstüchtigen“ Brentano (Vorsitzender der Revolutionsregierung Badens). Sie hatten wenigstens guten Willen und trotz der Schop­penstecherei mehr nüchternen Verstand als die spießbür­gerlich-ernsten Herren in Karlsruhe, und die wenigsten von ihnen entrüsteten sich, wenn man sich über ihre bequeme Manier des Revolutionierens und ihre impotenten kleinen Maßregelchen lustig machte.

Sehr hoffnungsvoll marschierten Ende Mai 1849 die neu mobilisierten Revolutionäre aus der Pfalz und aus Baden gemeinsam Richtung Frankfurt, um den vor sich hin schlummernden Funken des Aufstandes in der Paulskirche mit neuer Kraft wieder zur Flamme werden zu lassen, die sich über das ganze Land ausbreiten sollte. Es galt, auch die neue Verfassung mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Die pfälzer Revolutionäre scherten sich nicht um Unifor­men, sondern trugen ihre bequemen Blusen und hoben sich so ab von den badischen Revolutionären. Man hoffte, dass auch hessische Soldaten überlaufen und weitere Sympathi­santen sich der Revolution anschließen würden. Mit einer Kompanie Infanterie waren sie nach Ober-Laudenbach an die badisch-hessische Grenze gezogen, wo sich bereits etwa 5000 Menschen vor den Toren Heppenheims versammelt hatten, um für die Reichsverfassung zu demonstrieren. Sie kamen von überall her, aus Württemberg, Baden, der Pfalz und hauptsächlich aus dem Odenwald. Frauen, Kinder, mit wehenden Fahnen, Wagen, Pferden, bereit, sich mit den Hessen zu verbrüdern, als wollten sie singend, pfeifend und tanzend die Revolution unterstützen. In den Wirtshäusern wurden Bänkellieder gesungen, in denen die Bürger ihrem Unmut lauthals „Luft machten“. Unerwartet standen sie auf einmal hessischen Soldaten gegenüber, die kompanieweise vorrückten, die Offiziere den Reihen voran mit gezogenen Säbeln. Ein Regierungskommissar, der die Versammlung für ungesetzlich erklärte und vermitteln sollte, wurde an­geblich aus den Reihen der Revolutionäre erschossen. Diese waren jedoch der Überzeugung, dass er durch das Militär „geopfert“ wurde, um einen Grund zum Angriff zu haben.

Welch trauriges Ende für die große Volksversammlung, ging es Franz durch den Kopf, als die Soldaten im Auftrag des Großherzogs von Hessen das Feuer eröffneten. Die so hoffnungsvolle Gruppe der Revolutionäre - in der Gefolg­schaft von vielen Menschen der nahen Bevölkerung - war dem Massaker völlig hilflos ausgeliefert. Über vierzig Menschen starben, ein Bild des Grauens. In diesem ruhigen Land mit seinen lieblichen Tälern, wogenden Feldern, dem Wein auf den Terrassen der Hügel lagen jetzt diese Toten, steif, mit grausig zerfetzten Gesichtern, Finger in die Erde gegraben. Bauern liefen in panischem Schrecken umher, weinende Frauen, die toten Kinder in ihren Armen. Der Anblick erschütterte die, die sich noch retten konnten. Franz spürte zum ersten Mal in seinem jungen Leben pure Verzweiflung, ihm blutete das Herz.

In den nächsten Tagen gab es weitere Gefechte in un­mittelbarer Nähe, denen die Revolutionäre unterlagen und die ein entscheidender Wendepunkt in der badisch-pfälzi­schen Revolution waren. Die Preußen waren mittlerweile bis Rastatt vorgedrungen. Wo bisher in den Straßen immer wieder trotzig und mutig die Marseillaise erklang, war jetzt, nachdem sie verboten war, nur noch laute preußische Marschmusik zu hören: „Prinz Wilhelm hat gestrafet das rote Lumpenpack …“ und lähmte auch den letzten Mutigen der Gesinnungstreuen gegen die diktatorische preußische Übermacht.

Der badische Dichter Ludwig Pfau verfasste auf die Melo­die von „Maikäfer flieg“ ein Wiegenlied:

Schlaf, mein Kind, schlaf leis.

Dort draußen geht der Preuß!

deinen Vater hat er umgebracht,

deine Mutter hat er arm gemacht.

Und wer nicht schläft in guter Ruh,

dem drückt der Preuß die Augen zu.

Schlaf, mein Kind, schlaf leis.

Dort draußen geht der Preuß!

Schlaf, mein Kind, schlaf leis. […]

Dort draußen geht der Preuß!

Gott aber weiß, wie lang er geht

bis dass die Freiheit aufersteht.

Und wo dein Vater liegt, mein Schatz,

da hat noch mancher Preuße Platz!

Schrei, mein Kindlein schrei’s:

Dort draußen liegt der Preuß!

Längst war Franz - wie seine Genossen - im Strudel der Revolution mitgerissen worden. Treibend und getrieben und kaum in der Lage, die Triebkräfte dahinter zu erfassen. Niemals hatte er Gewalt gebilligt, war überzeugt, mit Wor­ten, mit Proklamationen und Parolen mitwirken zu können, um eine Neuordnung der sozialen Verhältnisse zu errei­chen. Zutiefst war er überzeugt, Gewalt erzeugt unver­meidlich wieder Gewalt. Aber er wusste auch, diese Revo­lution war nicht mehr aufzuhalten, er konnte nicht mehr anhalten und schon gar nicht mehr zurück. Da war kein Platz mehr, um abzuspringen, um nicht zu ertrinken. Er fühlte sich wie in einem Fluss, in dem er mit der Flut in Richtungen trieb, die er nicht geplant hatte, nach Gesetzen, die er nicht kannte.

Am 1. Juni 1849 beschloss die bayerische Regierung die Entsendung der Truppen in die Pfalz. König Maximilian II. setzte sich mit seinem Onkel Friedrich Wilhelm IV. von Preußen in Verbindung. Am 6. Juni tagte der verbliebene Rest der Frankfurter Nationalversammlung in Stuttgart, wurde aber von württembergischen Truppen aufgelöst. Am 10. Juni wurde der Kriegszustand über die Pfalz verhängt.

Auf dem Marsch gegen die Preußen sangen sie noch hoffnungsvoll Allons enfants de la Patrie! […] (Auf, Kin­der des Vaterlands, der Tag des Ruhmes ist gekommen!) – Aux armes, citoyens, formez vos bataillons, marchons, marchons … (Zu den Waffen, Bürger, formt eure Truppen, marschieren wir, marschieren wir.). Amour sacré la Patrie, conduis, soutiens nos bras vengeurs, Liberté, Libere cherie. (Heilige Liebe zum Vaterland, führe, stütze unsere rä­chende Armee, Freiheit, geliebte Freiheit!) Die Marseillaise - seit April 1792 das Kriegslied der Rheinarmee - erreichte die Revolutionäre in Frankreich, die Seele der Nation, bis sie später, während des Ersten Weltkrieges, zur National­hymne wurde. Bis der Funke zündete, als wäre er in ein Pulverfass gefallen, reißt der Rhythmus sie in einhellige, ekstatische Begeisterung. Wenn sie auf ihrem Marsch müde wurden, brauchte nur einer die Hymne anzustimmen, und ihr mitreißender Takt verlieh ihnen neuen Schwung. Das französische Kampflied, das den leidenschaftlichen Vor­marsch der Revolution in Frankreich begleitete, wurde wie eine Verheißung in die nahe Rheinpfalz getragen. Es ge­hörte auch dort bald zu ihnen wie ihre Fahne, die sie stolz schwenkten, wenn sie singend durch die Dörfer marschier­ten, bis die staunenden Einwohner, die sich neugierig ver­sammelten, jubelnd mit in den Chor einstimmten.

Franz hörte den typischen trockenen Knall der preußischen Hinterlader und das scharfe bedrohliche Pfeifen ihrer Ku­geln. Die Revolutionäre rückten weiter vor zum Schlag der Trommeln, und plötzlich erkannte er die Kraft, die in ihrem gemeinsamen Zug lag und auch den Schwung. Er meinte, immer so weiter marschieren zu können, trotz zitternder Knie. Bajonett und Gewehr waren auf den Feind gerichtet, mit ihm verwachsen, wie er mit der ganzen Truppe. Er war Teil der großen Bruderschaft, die im Begriff war, die Zita­delle des Unterdrückers zu erstürmen. Alles hatte seinen Sinn gehabt, Studium und Arbeit, sein Suchen und seine geheimsten Gedanken, Verschwörung und Aufstand.

Im Gefecht bei Kirchheimbolanden (an der Grenze zwi­schen Hessen und der Pfalz), am 14. Juni 1849, gelang den Preußen die Niederschlagung der schlecht bewaffneten revolutionären Truppen. Deren Kommandeure waren u. a. Carl Schurz, Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht (Vater von Karl Liebknecht) und Gustav Struve. Die Revo­lutionäre wurden von den Generälen als Intellektuelle, Ad­vokaten, Anarchisten in einem Zuge mit Spionen und Ver­rätern genannt. Viele wurden getötet oder gefangen ge­nommen, wenige konnten fliehen. Die Unterstützung der breiten Landbevölkerung nahm deutlich ab, da der Radika­lismus des Pfälzer Aufstandes zunahm. Mit einem der hef­tigsten Gefechte am 17. Juni in der Nähe von Landau waren die Kämpfe auf pfälzischem Boden praktisch beendet. Die provisorische Regierung floh und die bayerischen Behörden wurden wieder eingesetzt. Der Rest der pfälzischen Revo­lutionsarmee zog sich am 18. Juni über die Knielinger Rheinbrücke bei Karlsruhe nach Baden zurück.

Zum Nachdenken blieb Franz schon lange keine Zeit mehr. Die Gedanken an die Eltern zu Hause drängten sich nur selten auf. Er wollte nicht zulassen, was er ohnehin schon wusste. Sie waren vom Beginn seiner Aufnahme bei den Hambachern gegen seine politische Haltung. Der Vater war überzeugt, einer seiner Professoren sei ein gefährlicher revolutionärer Geist und habe seinen Sohn - wie einige seiner Kommilitonen - beeinflusst. Zuhause saßen die El­tern wie auf heißen Kohlen und warteten ungeduldig auf eine Nachricht, weil sie bereits seit Monaten nichts mehr von ihm gehört hatten. Sie waren in großer Sorge um ihren einzigen Sohn, fanden nachts kaum Schlaf. Sie konnten nicht einmal wissen, ob er noch am Leben war. Die Gedan­ken an seine Eltern musste Franz bei Seite schieben. Er hatte sich nun einmal entschieden und jetzt galt es, durch­zuhalten - bis zu einem ungewissen Ende.

Adalbert Harnisch verfasste den Text zur Melodie des Lie­des aus dem späten Mittelalter „Prinz Eugen, der edle Rit­ter“ in Balladenform. Mehr als ein Jahrhundert später griff der Liedermacher Hannes Wader dieses Lied wieder auf, das als Bürgerlied auch von der Gruppe „Zupfgeigenhan­sel“ in ihr Repertoire aufgenommen wurde. Mit diesem Lied wird das Leben so vieler junger Menschen, ihr Mut und ihr Einsatz 1848/49 als Kämpfer für Freiheit und De­mokratie in unserem Land nie in Vergessenheit geraten:

Ob wir rote, gelbe Kragen, Helme oder Hüte tragen,

Stiefel tragen oder Schuh‘,

oder ob wir Röcke nähen und zu Schuhen Drähte drehen: das tut, das tut nichts dazu.

[…]

Aber ob wir Neues bauen oder Altes nur verdauen,

wie das Gras verdaut die Kuh,

ob wir in der Welt was schaffen, oder nur die Welt begaf­fen, das tut, das tut was dazu.

Ob wir rüstig und geschäftig, wo es gilt zu wirken kräftig, immer tapfer greifen zu,

oder ob wir schläfrig denken: ‚Gott wird’s schon im Schlafe schenken’, das tut, das tut was dazu.

Drum, ihr Bürger, drum, ihr Brüder, alle eines Bundes Glieder, was auch jeder von uns tu.

Alle, die dies Lied gesungen, wie die Alten, so die Jungen, tun wir, tun wir was dazu!

Doch die Revolution scheiterte wie die Hambacher, die so hoffnungsvoll die Fahne schwenkten, als Symbol für den Beginn einer neuen gerechteren Geschichtsepoche, in der die Menschen nicht mehr unterdrückt werden.

Die Preußen verlangten in Rastatt eine bedingungslose Übergabe, die nur eine Formsache sei, nur die Waffen soll­ten niedergelegt werden und versprachen dafür, dass es den Offizieren und ihren Mannschaften nicht schlecht ergehen solle. Sogar ihre Pferde dürften sie behalten. Die Revolu­tionäre glaubten den Versprechungen, hofften allerdings vergebens auf die Menschlichkeit der preußischen Truppen und des Großherzogs. Auch diesmal folgten, wie nach dem Hambacher Fest, zahlreiche Strafverfahren, die Strafen waren allerdings wesentlich härter. Viele Revolutionäre kamen für Jahre hinter Gitter, einige Todesurteile wurden verhängt und sogar vollzogen. Wegen Rebellion und Hoch­verrats wurden 333 Prozesse geführt. In Rastatt wurden Revolutionäre ohne Gerichtsverhandlung nach tagelanger qualvoller Haft erschossen. Von den zwei Todesurteilen gegen revolutionäre bayerische Offiziere wurde am 9. März 1850 in Landau das an Leutnant Graf Fugger vollstreckt, der mit ihm verurteilte Major konnte fliehen.

Doch gerade durch die Geschehnisse in diesen unruhigen Jahren der Revolution wurde den Menschen erneut klar: Für die Demokratie müssen wir uns einsetzen und - wenn nötig - sogar dafür kämpfen! Auch Franz Wagner hatte sich - wie einige seiner Hambacher Brüder, die die badische Revolution aus der nahen Pfalz unterstützt hatten - bereits in die Freiheit gerettet. Nach der Niederschlagung war er nun - wie seine Mitstreiter - als Landesverräter gebrand­markt. Im letzten Augenblick konnte Franz bei einer be­freundeten Familie untertauchen und sich so vor der Fest­nahme retten.

Durch die Fehlschläge der Revolution wurden viele Men­schen, die die jungen führenden Revolutionäre anfangs unterstützten, nun als kleine Leute mit großen Mäulern bezeichnet, die jetzt auf der Flucht vor der eigenen Courage waren. Dazu zählten Ladeninhaber, Kleineigentümer, Be­amte, Advokaten, Schreiber, Bürger der „Petits Bourgeoise“. Im Gegensatz zu einigen wenigen, die bis zum Schluss kämpfen wollten.

Mit der Einnahme von Rastatt durch preußische Trup­pen endete die badische Revolution und damit auch sym­bolisch die Deutsche Revolution 1848/49.

Es ist so gut wie unbekannt, dass sich auch jüdische Mit­bürger an der Revolution beteiligten. In unserer Gemeinde, Gailingen am Hochrhein, sollen es etwa dreißig gewesen sein. Einige von ihnen konnten ins Exil fliehen, andere wurden zu langjähriger Haft verurteilt. Zehn Jahre nach der Revolution lebten von nahezu zweitausend Einwohnern mehr als die Hälfte Juden in der Gemeinde in friedlichem Miteinander. Zwischen 1870 und 1884 gab es mit Leopold Guggenheimer sogar einen jüdischen Bürgermeister. In diesem Zeitraum wurden alle Gailinger Kinder in einer christlich/jüdischen Simultanschule unterrichtet. Mit der Sprengung der großen Synagoge, den grausamen Miss­handlungen jüdischer Bürger - in der Reichspogromnacht 1938 und 1940 durch die Deportation in die Vernichtungs­lager - gehörte die einst blühende jüdische Gemeinde der Vergangenheit an. Der Verein für jüdische Geschichte, die zum Bürgerhaus und Museum umfunktionierte jüdische Schule und der Synagogenplatz sind heute Zeugnis einer gelebten Erinnerungskultur.

Wäre die Revolution nicht durch die Armeen des preußi­schen Prinzen Wilhelm und Königs Maximilian II. nieder­geschlagen worden, hätte sich möglicherweise eine euro­paweite Demokratie etablieren und uns vor den beiden Weltkriegen mit über 70 Millionen Toten bewahren kön­nen.

17 Jahre später wurde die „Freistadt Frankfurt“ durch preu­ßische Truppen annektiert und verlor dadurch über Nacht ihre Selbstständigkeit. Die FAZ resümiert: Die Besetzung des „Demokraten-Nestes“ war für Bismark ein Racheakt und eine Strafe für antipreußische Haltung. Der Konserva­tive konnte nun sein „Mütchen“ an dem ihm verhassten Zentralort der liberalen Demokratie abkühlen. Ohne die Aktion Bismarcks wäre Frankfurt heute ein Stadtstaat wie Hamburg oder Bremen. Schon die sog. „Septemberrevolu­tion“ 1848 in Frankfurt, ausgelöst durch einen Streit zwi­schen der Nationalversammlung und Preußen, wurde durch preußische Truppen blutig niedergeschlagen.

Ein vorläufiges, eher bitteres Resümee verfasste 1873 der sozialistisch-revolutionäre Dichter Georg Herwegh, der an der badischen Revolution beteiligt war:

Achtzehnhundert vierzig und acht,

als im Lenze das Eis gekracht.

Tage des Februar, Tage des Märzen,

waren es nicht Proletarierherzen,

die voll Hoffnung zuerst erwacht,

achtzehnhundert vierzig und acht?

[…]

Aber wir Armen, verkauft und verraten,

denken der Proletariertaten.

Noch sind nicht alle Märze vorbei,

Achtzehnhundert siebzig und drei.

Herweghs Frau, Emma, eine emanzipierte Revolutionärin wie Amalia Struve, wurde in einer Skulptur (sitzend auf einer Kanone) vom Künstler Peter Lenk etwa 150 Jahre später in Schopfheim gewürdigt.

Franz Wagner wurde – wie die ganze Gruppe der Revolu­tionäre – als Landesverräter verfolgt. Doch er konnte, wie einige andere, sich der Festnahme und damit jahrzehntelan­gem Gefängnis oder sogar einem Todesurteil entziehen, indem er unmittelbar die Gefahr erkannte und sofort han­delte. Während er nach Mainz floh, wurde ihm bewusst, dass er sich keinesfalls seinem Elternhaus nähern durfte. Auf Schleichwegen ging er in der Nacht zur Faktorei ans Rheinufer. Dort bekam er sofort Unterstützung; ein Helfer eilte zum Elternhaus und holte einen Sack mit Kleidern und Wäsche, dazu soviel Gulden, wie sein Vater ihm kurzfristig besorgen konnte und einige Kreditbriefe. Die dramatisch geballten schicksalsträchtigen Stunden drängten nun eine Entscheidung herbei, drängte sie zusammen auf einen ein­zigen Tag, eine einzige Stunde, eine einzige Minute.

Da Franz wusste, dass seine Eltern bereits den An­schluss an die Hambacher kritisch betrachteten und seine Handlungsweise als aktiver Revolutionär niemals billigen würden, hatte er versucht – so lange es ihm möglich schien – zu Hause seine Aktivitäten zu verbergen. Als Großherzoglicher Medizinalrat und Kreisarzt verkehrte sein Vater in wohlhabenden Kreisen, die den Idealen der jungen Studenten sehr ablehnend gegenüberstanden und sie als „die Roten“ beschimpften. Franz wollte den unweigerlichen Streitgesprächen aus dem Weg gehen und war daher immer seltener im Elternhaus gewesen.

Aufgewühlt und in einer inneren Anspannung, die er bis in die Haarwurzeln spürte, aber äußerlich heil, gelangte Franz auf dem nächsten Floß in Dordrecht an. Umgehend reiste er mit einem kleinen Schiff weiter nach Rotterdam und von dort weiter nach England, wo er vorerst bei Bekannten unterkam. Zum ersten Mal konnte Franz aufatmen. Endlich bin ich in Sicherheit!

Bei der Englisch-Ostindischen Company fand er kurz­fristig eine Anstellung und bekam einen Arbeitsvertrag als Advokat. Doch er erkannte bald, dass für ihn dort als Aus­länder ein weiteres Hochkommen schwierig war. Sein Mut war ungebrochen und so kündigte er kurzentschlossen und steuerte mit seinem mittlerweile angesparten Geld die Neue Welt an. Sein Kontakt mit anderen „Achtundvierzigern“, die sich bereits in St. Louis angesiedelt hatten, lockte ihn mit ihren verheißungsvollen Berichten über die Freiheit und die beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, sich ein neues Leben dort aufzubauen. Zudem spornte ihn das Verspre­chen an, dass deutsche Rechtsanwälte bei den zahlreichen Deutsch-Amerikanern hoch im Kurs standen.

Friedrich Hecker, Advokat wie Franz Wagner, flüchtete zunächst über die Schweiz und ging später ebenfalls in die USA ins Exil, wo er sich, ebenso wie Franz, in St. Louis niederließ, den er dort wieder treffen wollte.

Überfahrt nach New York

Der 12. Mai 1850 war ein prachtvoller Abend, als Franz sich inmitten einer zahlreichen und buntgemischten Gesell­schaft von mehr als 800 Passagieren auf dem Amerika­dampfer befand, der alle mit großen Erwartungen in das Land ihrer Hoffnungen trug.

Er stand an der Reling - der Dampfer glitt dahin, mit ei­ner Mischung von Erwartung und Erleichterung, aber auch einer Wehmut, die ihm Tränen in die Augen trieb - den Hafen von Le Havre hinter sich. Franz war mit einem der ersten Dampfsegelschiffe unterwegs, die die Segelschiffe abgelöst hatten. Mit diesen neuen Schiffen konnte die Fahrtzeit in der Regel um acht Tage verkürzt werden, und die Zahl der Passagiere ließ sich von 250 auf 800 steigern. Er hatte sparsam gelebt und konnte sich die Fahrt im Dampfer leisten, obwohl sie etwa doppelt so teuer war wie die Reise mit den Seglern, die aus Kostengründen von vie­len noch lange bevorzugt wurden.

Gerade ging der Vollmond an dem unbeschreiblich kla­ren sternübersäten Himmel über dem Horizont auf und spielte mit seinen glänzenden Strahlen auf der weiten blau­grünen Fläche des Meeres und die Wellen hinter dem Dampfer wurden schäumendes Silber. Sein Blick verlor sich im Spiel, das der Fahrtwind mit den dunklen Rauch­wolken der Schlote trieb und lenkte Franz ein wenig von seinen trüben Gedanken ab.

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