Kitabı oku: «Der arme Trillionär», sayfa 2
Anmerkungen
1
Interview mit Julie Marks, 17. 2. 2012.
2
Bosels Vorname ist in späteren Jahren oft mit einem langen „i“ geschrieben worden. Die ursprüngliche Schreibweise bestand aus einem Sigmund ohne „e“ wie bei Sigmund Freud.
3
Franz, Siegmund Bosel, 37 f.
4
Canetti, Masse und Macht, 206.
5
Wahl, Die Könige der Inflation, in: Joachim Riedl (Hrsg.), Wien, Stadt der Juden, 238 ff.; Kraus, Die Fackel Nr. 632 (1923), 150.
6
Berliner Tageblatt, 14. 11. 1926.
7
Dörmann, Jazz, 27 ff.; Schneider, Felix Dörmann, 345.
8
Interview mit Martha Genée, 14. 12. 2011; Franz, Siegmund Bosel, 12; Die Börse, 11. 11. 1926.
9
Habe, Eine Zeit bricht zusammen, 15; Die Stunde, 22. 7. 1923.
10
Die Börse, 11. 11. 1926.
11
BANB, 655/1925 Bankhaus Bosel: Rekapitulation der Effektenstände.
12
Wahl, Könige der Inflation, 240.
13
Lewinson, Die Umschichtung der europäischen Vermögen, 251; Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, 841.
14
SchobA, (Karton) 95, Schober: „Wie ich Herrn Präsident Bosel kennenlernte“.
15
Scheffer, Bankwesen, 374; Hanisch, Der lange Schatten des Staates, 283.
16
Hoffmann, Der Fall Sigmund Bosel, 17 ff.; SchobA 95, „Brief an den Verwaltungsausschuss“, 15. 10. 1919; Interview mit Ursula Schwarz (DÖW), 24. 10. 2012; Wienbibliothek, Plakat P225767; Wahl, Kaffeehäuser zu Bankfilialen, in: Konrad/Maderthaner, … der Rest ist Österreich, 66.
17
PA, Bericht Reisch im Unterausschuss für das PSK-Gesetz, 6. 11. 1926.
18
SchobA 95, SB an Johann Schober, 31. 12. 1929.
19
Frischauer, European Commuter, 96; Al Arabiya News, King Farouk: The Forgotten Memoirs, King Farouk’s Fabulous Wealth, http://english.alarabiya.net/en/special-reports/king-farouk (17. 1. 2016).
20
Algemeen Handelsblad, 23. 4. 1937; Reichspost, 17. 4. 1937.
21
Dieses Buch basiert auf meinen Recherchen für die TV-Doku „Der Massenmörder und der Trillionär“, die im Rahmen der ORF-Sendereihe „kreuz & quer“ im April 2013 erstmals ausgestrahlt worden ist.
Im Mittelpunkt dieser filmischen Doppel-Biografie steht das schicksalshafte Aufeinandertreffen Bosels mit dem berüchtigten Nazi-Kriegsverbrecher Alois Brunner. Nach der Arbeit an dem Film entstand der Gedanke, die Fülle des gesammelten Materials durch weitere Nachforschungen zu ergänzen und die mitreißende Bosel-Saga mithilfe der zusätzlichen Erkenntnisse in ein Sachbuch zu verpacken.
2 – DIE TOCHTER EINES KÖNIGS
Sigmund Bosel ist ein Mann gewesen, der sein Wohnzimmer mit auf Reisen genommen hat. Für die Superreichen seiner Zeit war es selbstverständlich, dass eine Fahrt mit der Eisenbahn eine Fahrt im eigenen Luxuswaggon zu sein hatte. Was heutzutage der Privatjet ist, war vor und nach dem Ersten Weltkrieg der Salonwagen, der meist an gewöhnliche Zugsgarnituren hinten angehängt wurde. Manchmal bekam so ein Waggon aber auch weiter vorne in der Zugsgarnitur eine Sandwich-Position zugewiesen – wenn ein „hochwohlgeborener“ Kunde diesen Sonderwunsch bei der Eisenbahnverwaltung angemeldet hatte, um sicherzugehen, dass der Waggon nur ja nicht entlang der Strecke versehentlich abgehängt werden konnte.
Ein Salonwagen bestand im Regelfall aus einem üppig mit Holz und feinen Tapeten dekorierten Aufenthaltsraum, der mit Schreibmöbeln und Plüschsesseln bestückt war. Daneben gab es ein Schlafabteil, ein Waschkabinett und ein Spülklosett. Häufig war auch ein Extrazimmer für Diener oder Privatsekretäre eingebaut. Über die Einrichtungsdetails im Bosel‘schen Salonwagen weiß man, dass schwarze Klubfauteuils und zwei Tische mit Schreibmaschinen zum Mobiliar gehört haben. Überliefert ist auch, dass es „vornehm nach Leder gerochen“ habe.1
Auf Dienstreisen oder Vergnügungsfahrten versprach so ein Luxuswaggon den bestmöglichen Reisekomfort auf Schienen und den gebotenen Abstand zu neugierigen Normalsterblichen. Das eigene Hinterteil war besser gefedert, das edle Haupt ruhte auf einem richtigen Polster und das Ein- und Aussteigen vor salutierenden Stationsvorstehern war umnebelt von touristischer Theatralik.2
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Den Kindern bleibt der Beruf des Vaters verborgen: Sigmund Bosel mit Julie und Alfons. Foto: Franz Thurman, 1929.
Abgeschaut hatte sich Bosel das Reisen mit dem Salonwagen von den großen Industriebossen der Monarchie, die diese Gewohnheit wiederum von den hochherrschaftlichen Mitgliedern der Adelshäuser abgekupfert hatten. Auch der Philosoph Ludwig Wittgenstein wollte das Privileg eines Salonwagens auf Reisen nicht missen, obwohl der exzentrische Industriellensohn ansonsten ein Aussteigerleben als armer Dorfschullehrer führte.3 Vilmos Kestranek, als Generaldirektor der Prager Eisenindustrie-Gesellschaft ein Freund von Wittgensteins Vater, hatte vor seiner Villa am Wolfgangsee sogar eine eigene Zugshaltestelle. Als Zeichen der besonderen Ehre durfte Kestranek überdies für die Fahrt von Bad Ischl nach St. Gilgen den blauen Salonwagen von Kaiser Franz Joseph benützen.4 Nach dem Untergang der Monarchie kam dieser Waggon auf den Markt. Der Inflationsritter Camillo Castiglioni packte die Gelegenheit beim Schopf und kaufte sich das elitäre Fortbewegungsmittel. Sigmund Bosel wollte in dieser Hinsicht seinem großen Rivalen Castiglioni um nichts nachstehen. Der Moment war günstig, auch in der Weimarer Republik standen geschichtsträchtige Waggons zum Verkauf. Bosel besorgte sich einen Wagen aus dem Hofzug des deutschen Kaisers – womit sich die Frage erledigt, warum Bosels Salonwagen goldverzierte Wände hatte.5
Der Salonwagen war freilich nicht die einzige Erwerbung, mit der Bosel in Deutschland aufhorchen ließ. Er kaufte sich hier auch mehrere Häuser und die Privatbank Fester & Co., bevor er 1923 in Berlin die Wochenzeitung Der Montag Morgen aus der Taufe hob. Wien war Sigmund Bosel zu klein geworden.6
Daheim in Österreich war der Senkrechtstarter ohnehin schon eine legendäre Figur. Alle Geschäfte, die der geheimnisumwitterte Jungspund in die Hand nahm, schienen von Erfolg gesegnet zu sein. Bosel hatte sich zum Leithammel und „Kurs-Orakel“ der Wiener Börse entwickelt. Wenn der neureiche Finanzmagnat bestimmte Wertpapiere kaufte, dann kauften andere sie auch. Geschickt spekulierte Bosel mit Aktien und Fremdwährungen, um aus der anfangs schleichenden und später galoppierenden Geldentwertung Kapital zu schlagen. Eine junge Generation von Geschäftsleuten, die kühn und respektlos war, schien der alten zu erklären, wie der Kapitalismus künftig funktionieren würde. In der „Naturgeschichte des Reichtums“ sei die Epoche der „Geldentwertungskünstler“ angebrochen, jubelten Finanzjournalisten. Der Traum vom schnellen Geld hatte ein jugendliches Gesicht – das von Sigmund Bosel, dem „neuen österreichischen Vanderbilt“.7
Wenn Julie Marks an ihren Vater und dessen märchenhafte Karriere denkt, dann fallen ihr spontan die schwarzen Anzüge ein, die aus der Erinnerung nicht wegzublenden sind. „Schon als ich klein war, hab‘ ich mir gedacht, dass mein Vater gut aussieht. Er trug bis auf wenige Ausnahmen immer schwarze Anzüge mit weißen Hemden. Sogar im Winter beim Schlittschuhlaufen. Das war bei ihm wie eine Uniform.“8
Die Villa auf der Millionärsmeile
Eine standesgemäße Bleibe hatte sich Sigmund Bosel schon gesucht, als er noch nicht der verwegene Spekulant war, der mit seinen Übernahmeplänen die mitteleuropäischen Finanzmärkte aufscheuchte. Bosel fand das Objekt seiner Begierde – eine prunkvolle Herrschaftsvilla – im Wiener Nobelbezirk Hietzing. Und zwar in der gleichermaßen stillen wie vornehmen Gloriettegasse nahe der Schlossmauer von Schönbrunn.
Auch Kaiser Franz Joseph hatte seinerzeit eine besondere Beziehung zur Gloriettegasse. Denn auf Nummer 9 hatte der Monarch in einer Eckhausvilla sein Liebesnest mit der um 23 Jahre jüngeren Schauspielerin Katharina Schratt. Wenn Franz Joseph aus Schönbrunn auf Besuch kam zur „Gnädigen Frau“, wie er in Briefen seinen „heiß geliebten Engel“ bisweilen titulierte, so konnte er durch eine kleine Seitenpforte in der Schlossmauer den Palastgarten diskret verlassen. Er musste dann nur mehr die (heutige) Maxingstraße überqueren und konnte nach ein paar hundert Schritten an Schratts Tür klopfen. War man in Hietzing ein Frühaufsteher, so konnte man gegen halb sieben Seiner Apostolischen Majestät über den Weg laufen.9
Die besagte Tür in der Gartenmauer dürfte der Monarch schon früher für seine sexuellen Eskapaden mit der Wienerin Anna Nahowski verwendet haben, die in der Nähe der Gloriettegasse wohnte. 1889 machte Franz Joseph mit Nahowski Schluss, um sich gänzlich Katharina Schratt zuzuwenden, die einige Jahre später die Villa in der Gloriettegasse – die sie bis dahin nur gemietet hatte – mit Franz Josephs Hilfe kaufen konnte. Dem Kaiser gab das Domizil die Möglichkeit, aus der „Gefangenschaft seiner verwitterten Erhabenheit auszubrechen“, wie es Frederic Morton formuliert hat.10
Eine illustre Wohnadresse war die Gloriettegasse vor dem Ersten Weltkrieg aber nicht nur wegen der kaiserlichen Herzdame. Auch der Seidenfabrikant August Schopp, der Industrielle Robert Primavesi und der Bankdirektor Theodor Ritter von Taussig, der Verwalter des kaiserlichen Familienfonds, hatten ihre Residenzen ein paar Häuser weiter. Die Gloriettegasse konnte man getrost eine Millionärsmeile nennen.11
Als 1919 in der Gasse die Villa mit der Hausnummer 17 zum Verkauf stand, wird Sigmund Bosel nicht lange gezögert haben. Denn das zweistöckige Anwesen hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: ein schlossartiges Wohngebäude in bester Lage mit einem parkähnlichen Garten auf einem Gesamtareal mit über 13.000 Quadratmetern. Reizvoll war die feudale Residenz auch deswegen, weil sie mit illustren Vorbesitzern glänzen konnte. Der erste Eigentümer war der hannoveranische Bankier Israel Simon gewesen, der in Wien als Vizekonsul der Vereinigten Staaten auftrat und die Villa 1871 errichten hatte lassen. Sechs Jahre später zog ein anderer diplomatischer Würdenträger ein: Simon Zechany, Ritter von Racovizza. Er fungierte in Wien als Konsul für Griechenland, wie der Illustrierte Führer durch Wien und Umgebungen aus dem Jahr 1885 zu berichten wusste.12
1895 kam die Residenz in den Besitz des österreichischen Bankdirektors Julius Herz. Wie die gut erhaltenen und hübsch kolorierten Baupläne zeigen, die noch im Archiv der Wiener Baupolizei liegen, ließ Herz das imposante Gebäude 1897 erweitern. Seine Tochter Margarethe von Sonnenthal – die Schwiegertochter des berühmten Burgschauspielers Adolf von Sonnenthal, der auch mit Katharina Schratt auf der Bühne gestanden war – erbte das Anwesen im September 1914. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte es Therese Terry von Ortlieb, deren Ehemann einer der größten Holzindustriellen der Monarchie war. Laut Grundbuch hat Terry ihre Villa in der Gloriettegasse im Dezember 1919 an Sigmund Bosel verkauft. Bosel hatte damit ein wahrlich repräsentatives Domizil gefunden, um seine großbürgerlichen Ambitionen zu untermauern.13
Katharina Schratt und Sigmund Bosel dürften sich übrigens gekannt haben. Es ist zwar nicht überliefert, wann der zugezogene Multimillionär der berühmten Nachbarin vier Häuser weiter seine Aufwartung gemacht hat. 1922 war es aber jedenfalls so weit, dass die gute Frau Schratt wieder Geld gebraucht hat – so wie das früher öfters der Fall war, als Franz Joseph ihre Casino-Spielschulden in Monte Carlo begleichen musste. Was Katharina Schratt nun anzubieten hatte, waren zwei Schmuckstücke, die ihr der Kaiser einst geschenkt hatte und die sich Bosel ob seiner Schwäche für teure Preziosen nicht entgehen ließ.14
Leider ist kein einziges Fotos von der opulenten Einrichtung erhalten geblieben, mit der sich Sigmund Bosel umgeben hat. Weil Bosel jedoch 1926 riesige Steuerschulden aufgetürmt hatte und kurzzeitig sogar eine Pfändung im Raum stand, haben Gutachter den gesamten Hausrat damals genauestens katalogisiert. Die amtshandelnden Personen hatten nachher einiges zu erzählen – über den riesigen gelbweißen Teppich in der Eingangshalle, das pompöse Stiegenhaus mit den mannshohen chinesischen Vasen und die Salons, die mit Marmorbüsten römischer Kaiser, Standuhren in Versailles-Optik und üppigen Bronze-Lustern bestückt waren. Während der Inflationsjahre hatte Bosel zahlreiche Stilmöbel und Dekorationsgegenstände angeschafft, die vornehme Patrizierhaushalte verkaufen mussten, um finanziell über die Runden zu kommen. An den Wänden in der Gloriettegasse hingen flämische Gobelins, alte Meister, Bildteppiche mit Jagdszenen aus dem 17. Jahrhundert und persische Prunkteppiche.15
Die Nachteule auf dem Klappbett
Einiges deutet darauf hin, dass Sigmund Bosel seine Prunkvilla lange Zeit nur als Schlafquartier verwendet hat. Anfangs soll er in der Gloriettegasse sogar nur ein einziges Zimmer bewohnt haben. Bosel war statushungrig, aber im Alltag relativ bedürfnislos. Obwohl er sich so etwas wie einen kleinen Hofstaat leistete, schlief er oft tagelang mit einem Ohr neben dem Telefon auf einem Klappbett in seinem Bankhaus. Gelebt haben soll er nur von schwarzem Kaffee, Zigaretten und leicht verdaulichem Gemüse, das ihm ein Kammerdiener servierte.16
Seine Herkunft soll der spartanisch lebende Aufsteiger nie vergessen haben. „Bosel ist an sich ein milder, gütiger Mensch, der mit innerer Zärtlichkeit an seinen alten Freunden hängt, die … mit ihm noch dritter Klasse gefahren sind, ehe ihm die erste Klasse und der Salonwagen offenstanden.“ War der Millionensassa ein Emporkömmling mit Bodenhaftung oder hatten untertänige Journalisten hier etwas dick aufgetragen? Bosel konnte sich bei solchen Schilderungen alle Finger abschlecken. Er war zwar einer der berühmt-berüchtigten „Könige der Inflation“, die den Kapitalismus auf die Spitze getrieben hatten. Aber er war viel besser angeschrieben als andere Spekulanten. „Als Mensch sticht Bosel vorteilhaft von vielen seines Schlages ab. Er war nie zugeknöpft, ja teilweise gab er mit vollen Händen“, schrieb der gewerkschaftsnahe deutsche Wirtschaftsjournalist Paul Ufermann.“17
Interessierte Zeitungsleser konnten erfahren, dass Bosel ein ungeheuerliches Arbeitspensum absolvierte. Bis zwei Uhr früh sei er in seinem Bankhaus über den Abrechnungen gesessen. „Wer ihn sprechen wollte, musste zu ihm kommen, auch Frauen, die ihm die Sorgen von der Stirn wegstreicheln wollten“, wusste Die Börse zu berichten. „Der große Milliardär Bosel ist an den Freuden des Lebens vorbeigegangen.“18
Bosel war auch zu scheu und viel zu wortkarg, um sich auf rauschenden Banketten wohlzufühlen. Bei gesellschaftlichen Verpflichtungen ließ sich er sich häufig von einem früheren österreichischen Vatikan-Botschafter vertreten, der in seinen Diensten stand. Die Nachtclub-Szene dürfte Bosel jedoch gut gekannt haben – vor allem die Femina-Bar in der Wiener Innenstadt. In den „sündigen Jahren der Inflationszeit“, wie Hugo Bettauer in seinem Roman Der Kampf um Wien schreibt, war die Femina ein angesagtes Revuelokal. Die Figuren in Bettauers Roman landen – nachdem sie vergnügungssüchtig um die Häuser gezogen sind – bisweilen in der Femina. Wer dort mit wem turtelte oder geheimnisvoll mauschelte, blieb Bosel nicht verborgen. Er war ein „nachtaktives Arbeitstier“ mit vielen Informanten, und ab 1926 dürfte die Femina überhaupt zur Hälfte ihm gehört haben.19
Bei Tageslicht ließ sich Sigmund Bosel selten in der Öffentlichkeit blicken, weil die Gefahr von Attentaten aufgetaucht war. Der Wiener Polizeichef Schober ließ Bosel daher auf Schritt und Tritt bewachen. Sowohl vor dem Bankhaus Bosel am Friedrich-Schmidt-Platz als auch vor der Hietzinger Villa waren ständig Sicherheitsbeamte postiert. Auf allen Autofahrten saß ein Kripobeamter neben dem Chauffeur. Eine Ahnung davon, dass Bosel als jüdischer Milliardär gefährdet war, konnte man im Februar 1924 bekommen, als Zeitungen in Wien und Prag über einen Attentatsplan gegen ihn berichteten. Ein Beamter hatte der Polizei den Hinweis geliefert, wonach ein Arbeiter in einem Wiener Gasthaus gesagt hätte, er werde „Bosel erschießen“. Die Polizei nahm den Mann fest und fand in seiner Wohnung einen Armeerevolver mit 70 Patronen. Im Verhör soll der Arbeiter, der ein Nazi-Parteimitglied war, zugegeben haben, dass er einen Anschlag auf Bosel geplant hatte, weil dieser als Spekulant die wirtschaftliche Notlage verschuldet hätte.20
Ende 1924 bekam es Bosel auch mit einer Erpressungsserie samt Todesdrohungen zu tun. Den ersten Erpresserbrief erhielt er im Dezember 1924. Ein junger Mann verlangte, dass beim Portier eines Wiener Hotels 150 Millionen Kronen deponiert werden. Wie vom Erpresser verlangt, ging Bosel mit dem Inserat „Schreiber, Wien, XIII – Bewilligt“ in der Tageszeitung Die Stunde auf die Forderung ein. Die Kriminalpolizei observierte den Ort der Geldübergabe – das „Hotel zur Goldenen Birne“. Der Erpresser hatte jedoch einen Dienstmann geschickt, der das Kuvert abholte und damit zum Wiener Westbahnhof fuhr. Hier konnten die Polizisten den bewaffneten Erpresser bei der Geldübernahme überwältigen.21
Durch den Vorfall hatte Die Stunde, an der Bosel nebenbei bemerkt finanziell beteiligt war, eine heiße Story auf Lager: „Es ist das Schicksal reicher Leute, dass sie von Zeit zu Zeit von Erpressern oder politischen Narren mit Drohungen, die sich gegen ihr Leben und ihren Besitz richten, belästigt und in Schrecken versetzt werden. Eine der beliebtesten Persönlichkeiten bei diesen Verbrechern ist der Präsident der Unionbank, Sigmund Bosel“, so das Blatt. „Nach den Hakenkreuzlern, die es als eines der wichtigsten ihrer politischen Ziele betrachten, Herrn Bosel um die Ecke zu bringen“, habe diesmal ein 21-jähriger Mann aus gutem Hause die weitere Sicherheit des Finanzmannes an das geforderte Erpressungsgeld geknüpft.22
Dass Attentate gegen prominente Persönlichkeiten eine reale Gefahr waren, führt der Tod von Hugo Bettauer vor Augen. Bekannt geworden war der umstrittene Bestsellerautor durch seine sozialkritischen Fortsetzungsromane. Den Roman Der Kampf um Wien hatte Bettauer in der Tageszeitung Der Tag herausgebracht, die von Sigmund Bosel finanziert wurde. Der wahre Aufreger war aber Bettauers Erotik-Zeitschrift Er und Sie, mit der sich dieser für eine progressive Sexualmoral starkmachte. Obwohl man Bettauer in einem Pornografie-Prozess freisprach, wurde er von rechtsgerichteten Gegnern und Antisemiten als „Jugendverderber“ und „perverses Kloaken-Tier“ verteufelt. Nazi-Propagandaschriften riefen zu „radikaler Selbsthilfe und Lynchjustiz gegen den Volksschänder“ auf. Bettauer bekam Morddrohungen, Polizeischutz lehnte er jedoch ab.23
Der Anschlag passierte schließlich am 10. März 1925 in Bettauers Büro. Der junge NSDAP-Anhänger Otto Rothstock streckte den Autor mit fünf Revolverschüssen nieder. Zwei Wochen später starb Bettauer an seinen Verletzungen. Die Ermordung des Schriftstellers, der ein Aushängeschild seiner Zeitung war, dürfte Bosel darin bestärkt haben, dass Leibwächter ihre Berechtigung hatten. Auch der Verleger Imre Békessy, mit dem Bosel geschäftlich zu tun hatte, bekam Polizeischutz, nachdem man in den Räumlichkeiten der Nazi-Jugendorganisation eine „Todesliste“ gefunden hatte. Bosel hatte sich bereits Monate davor eine unauffällige Autonummer besorgt, damit sein Wagen nicht mehr wie eine Staatskarosse daherkam.24 Aus dieser Zeit stammt wohl auch das Gerücht, dass Bosel nie einen Fuß in den Garten seiner Villa gesetzt hätte. Irgendeine Erklärung musste es geben, warum der steinreiche Workaholic mit den dunklen Augen immer so blass war.