Kitabı oku: «Die Erfindung der Rassen», sayfa 4
In Extinct Humans von Ian Tattersall und Jeffrey Schwartz, New Haven, 2001, fndet sich eine ausführliche und gut illustrierte Beschreibung der verschiedenen durch Fossilien dokumentierten Menschenarten. Für eine andere Sichtweise verweise ich auf das 14. Kapitel von J.H. Relethford, The human species, 6th edition, Boston 2005.
Artikel über die allerersten künstlerischen Ausdrucksformen der Neandertaler sind: D.L. Hoffmann et al., »U-Th dating of carbonate crusts reveals Neandertal origin of Iberian cave art«, in: Science 2018, S. 359: 912-915, sowie D.L. Hoffmann et al.: »Symbolic use of marine shells and mineral pigments by Iberian Neandertals 115.000 years ago«, in: ScienceAdvances 4, 2018, S. eaar5255.
Diese Forschungsergebnisse sind von praktisch allen Medien aufgenommen worden, etwa: http://www.bbc.com/news/science-environment-43115488. Darüber, wie die Neandertaler sich mit Adlerfedern geschmückt haben, schreiben: M. Peresani, I. Fiore, M. Gala, M. Romandini, A. Tagliacozzo, »Late Neandertals and the intentional removal of feathers as evidenced from bird bone taphonomy at Fumane Cave 44 ky B.P., Italy«, in: Proceedings of the National Academy of Science USA 108, 2011, S. 3888-3893.
Eine großartige Website, auf der sich viele Informationen über die ausgestorbenen Menschenarten finden, Bilder von Schädeln und Rekonstruktionen, ist die der BBC: http://www.bbc.co.uk/sn/preistoric_life/human/human_evolution/. Eine andere ausgezeichnete Website ist die von Nova, dem wissenschaftlichen Programm des öffentlichen Fernsehprogramms der USA (http://www.pbs.org/wgbh/nova/neanderthals/). Dort können wir die Schädel von Neandertalern und Cro-Magnon-Menschen miteinander vergleichen und einiges über die DNA dieser Urmenschen erfahren.
An der Rekonstruktion des Aussehens ausgestorbener Menschenarten arbeiten mit den wissenschaftlichen Methoden der Polizei drei großartige Künstler: Adrie und Alfons Kennis sowie Élisabeth Daynès. Ein Besuch ihrer Website (http://www.kenniskennis.com/site/Home/ und http://www.daynes.com/en/gallery-reconstructions-paleoanthropology.html) ist eine Erfahrung, die man nicht missen möchte, und ich übertreibe da nicht.
Über den Flores-Menschen gibt es einen ausgezeichneten Wikipedia-Eintrag. Wer damit noch nicht zufrieden ist und etwas Spezielleres sucht, sei verwiesen auf: M. Miraz.n Lahr, R. Foley, »Human evolution writ small«, in: Nature 431, 2005, S. 1043-1044.
Auch zum Denisova-Menschen gibt es einen ausgezeichneten deutschsprachigen Wikipedia-Artikel. Und für Spezialisten gibt es den Artikel: D. Reich et al., »Genetic history of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia«, in: Nature 468, 2010, S. 1053-1060.
Das Beispiel für die begrenzten kognitiven Fähigkeiten von Schimpansen habe ich dem Buch von Danilo Mainardi, L’animale culturale (Mailand 1975) entnommen.
Zu den moralischen Problemen, die sich ergäben, wenn wir gleichzeitig mit anderen Menschenarten lebten, empfehle ich sehr: L. Slobodkin, Complexity and Simplicity in Games of the Intellect, Cambridge, Mass., 1992, worin wirklich von allem die Rede ist, und deshalb auch von diesem Thema.
Schon immer haben die Neandertaler die Phantasie der Drehbuchschreiber von Filmen angeregt. Unter den literarischen Texten empfehle ich: H.G. Wells, »The grisly folk« (in: Complete Short Stories, P London 2001).Von dem Finnen Björn Kurtén, der Paläontologe war, bevor er Romane schrieb, gibt es den schönen Roman Der Tanz des Tigers, München 1986, von William Golding gibt es Die Erben, Frankfurt a.M. 1964, und von Alberto Oliverio Neanderthal, Mailand 1993.
Was das Kino betrifft, gibt es The Neanderthal Man von E.A. Dupont (die Ankündigung wirbt mit dem Slogan »Halb Mensch, halb Bestie«). Der Schwarz-Weiß-Film von 1953 ist außerordentlich kitschig und daher sehr unterhaltend. Die Szene, in der sich der Wissenschaftler vor den Augen seiner entsetzten Katze das Serum spritzt und sich in einen sehr stark behaarten Neandertaler verwandelt, hat sich zweifellos die Strafe einer Fortsetzung auf YouTube verdient: https://www.youtube.com/watch?v=Eop8a_ZvFls.
3. KAPITEL
VON DER SCHÖPFUNG ZUM HUMANGENOMPROJEKT
Worin wir im Schweinsgalopp durch die Geschichte der Evolutionsbiologie und Genetik eilen
Die ältesten Mythen
Die Untersuchung menschlicher Fossilien beginnt erst im 19. Jahrhundert mit der Entdeckung der ersten Schädel einer Menschenart, des Neandertalers, in Gibraltar, im belgischen Engis und dann auch im Neandertal bei Düsseldorf, von dem er seinen Namen hat. Doch die Frage »Wer sind wir und woher kommen wir?« ist so alt wie die Menschheit.
Beginnen wir also mit dem Anfang. Am Anfang ist die Schöpfung. Jahrhundert über Jahrhundert sehen die Menschen um sich und stellen fest, dass die Erde von einer Unzahl unterschiedlicher Arten und von unzähligen Individuen jeder Art bevölkert ist; und sie fragen sich, woher sie kommen und was überhaupt der Ursprung des Lebens ist. Aber es ist nicht einfach, gute Antworten zu finden. Gewiss, es gibt Demokrit, Lukrez, Aristoteles und andere, die versuchen, das Universum auf materialistische Weise zu erklären.
Es sind brillante Köpfe, doch verfügen sie über nur wenige Kenntnisse – sie kommen nicht weit. Deshalb sind durch die Jahrtausende für alle, oder beinahe alle, Menschen das Universum und die Organismen, die es besiedeln, das Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsakts: Die Natur lässt sich nicht ohne übernatürliche Ursachen erklären. Und der Mensch hat in der Natur eine sehr privilegierte Stellung.
Am Ende des 17. Jahrhunderts beginnen Botaniker und Zoologen, die Verwandtschaften und Unterschiede zwischen Lebewesen genauer zu beschreiben.
Und manche, wie John Locke oder Gottfried Wilhelm Leibniz, glauben an ein Kontinuum, das unbelebte Gestalten mit den einfachsten Lebensformen verbindet, diese mit komplexeren und diese wiederum – möglicherweise – mit noch unbekannten Lebensformen mit größeren intellektuellen und sinnlichen Fähigkeiten als den unseren. Das ist die Anima mundi, die Weltseele, die große Kette der Wesen. Damit befinden wir uns erst am Eingang zum Zeitalter der Wissenschaft, doch man gewöhnt sich bereits an den Gedanken, dass die unterschiedlichen Arten – wir selbst eingeschlossen – miteinander verwandt sind, allerdings auf eine alles andere als klare Weise.
Unterdessen kommen die ersten Fossilien ans Licht: die von Mammuts, Höhlenbären und Säbelzahntigern. Diese Entdeckungen führen zu neuen Fragen: Gewiss, diese ähneln den Tieren von heute, aber nur ein wenig, nicht ganz und gar. Wie und warum sind sie verschwunden? Und was haben sie mit den Tieren von heute zu tun, denen sie doch sehr gleichen? Im Jahre 1785 stellt James Hutton der Versammlung der Royal Society in Edinburgh seine Einheitstheorie vor: Dieselben Phänomene, die in der Vergangenheit die fossile Biodiversität hervorgebracht haben – hätte er geschrieben, wenn er über unser wissenschaftliches Wörterbuch verfügt hätte – sind in der Gegenwart noch immer aktiv und erklären die heutige Biodiversität. Anders gesagt: Das Auftreten und Verschwinden der fossilen Lebewesen gehorcht denselben Kräften (besser konnte Hutton das nicht definieren), die auch noch auf die heutigen Arten einwirken und immer neue Unterschiede produzieren.
Hutton hatte keine sehr genauen Vorstellungen und konnte sie auch nicht haben. Doch sein Beitrag ist fundamental, weil er auf eine Untersuchungsmethode verweist: Wir können nicht in der Zeit reisen, um zu erfahren, was den ausgestorbenen Arten zugestoßen ist, aber wir können etwas über sie erfahren, indem wir beobachten, wie die heutigen Spezies variieren und was diese Variationen verursacht. Der nächste Schritt ist das Verdienst von Georges Buffon, der im Zeitalter der Aufklärung entdeckte, dass Gesteinsschichten ein unterschiedliches Alter haben und damit die Grundlage für die Altersbestimmung der Fossilien legte, die sich in ihnen befinden. Buffon gelangt zu dem Schluss, dass die Erde mindestens 100 000 Jahre alt sein muss (heute wissen wir, dass es etwa 5 Milliarden Jahre sind) und lässt sich auch durch die empörten Reaktionen nicht davon abbringen, das könne doch nur eine Übertreibung sein, weil die Bibel von 6000 Jahren spricht. Und er entwickelt den Gedanken einer fortwährenden Veränderung der Lebewesen im Laufe der Zeit. So schreibt er: »Es ist vielleicht nicht unmöglich, dass […] alle Tiere der Neuen Welt einst dieselben wie die der Alten waren und von ihnen abstammen; man könnte sagen, dass sie, nachdem sie durch gewaltige Meere oder unwirtliche Landmassen voneinander getrennt worden sind, mit der Zeit den Wirkungen eines […] Klimas ausgesetzt waren und nach einer gewissen Periode durch diesen Einfluss sich verändert haben.«
Die Arten verändern sich
Der Gedanke der Veränderung ist fundamental. Bis zu Hutton und Buffon hatte noch niemand in Zweifel gezogen, dass alle Kreaturen der Welt gleichzeitig so aufgetaucht sind, wie wir sie um uns erblicken und wie sie in den Grabungen der Paläontologen ans Licht kommen. Im Extremfall konnten sie aussterben, aber alle waren seit der Schöpfung da. Doch nun beginnt man zu denken, dass es anders gewesen sein könnte, dass es im Laufe der Jahrhunderte, im Wechsel von der Alten zur Neuen Welt, wie Buffon sagt, zu Veränderungen gekommen ist. Im Unterschied zu Hutton ist Buffon Anhänger einer Katastrophentheorie: Er stellt sich vor, dass dereinst andere Kräfte am Werk waren als die, die wir heute kennen, und zwar extreme Kräfte: weltweite Fluten, mehr als nur eine einzige Sintflut. Trotz der Begrenztheit seiner Theorie legt Buffon die Grundlagen für etwas Neues, denn wenige Jahre später taucht die Rede von einer Evolution auf.
Einen letzten grundlegenden Schritt voran bringt uns Jean-Baptiste Lamarck, dessen trauriges Schicksal es sein wird, dass in den Schulbüchern stets an ihn als jemand erinnert wird, der unrecht hatte, während Darwin recht hatte. In Wahrheit sind die Dinge etwas weniger offensichtlich. Darwin hatte zweifellos mehr recht als Lamarck, doch Lamarck war sein wichtiger Vorläufer, auch wenn er einigen Irrtümern erlegen ist. In der Tat glaubte Lamarck wie übrigens auch Buffon, dass Leben fortwährend aus lebloser Materie entsteht – aus schmutziger Wäsche im Keller entstehen Mäuse und dergleichen. Er irrte sich, denn das Leben, so wie wir es kennen, ist vor mehreren Jahrmilliarden entstanden, die schmutzige Wäsche bringt nichts hervor, und die Mäuse hat ihre Mama im Keller zurückgelassen. Doch Lamarck war der Erste, der den Gedanken äußerte, dass ähnliche Organismen auf gemeinsame Vorfahren zurückgehen, sich aber verändert haben, und dass es die Umwelt ist, die den Wandel von einfachen zu immer komplexeren Formen vorantreibt. Und hierin hatte er einfach recht, Darwin hat das auch immer anerkannt. Lamarck war allerdings über die Art und Weise im Irrtum, wie die Umwelt die Evolution vorantreibt: Er glaubte, die Organismen änderten sich im Laufe ihres Lebens, um sich an die Umweltbedingungen anzupassen, indem sie kräftiger, größer oder schneller würden, und gäben diese erworbenen Eigenschaften dann an ihre Nachkommen weiter. Dies wird die Theorie des Gebrauchs und Nichtgebrauchs von Organen genannt. Lamarck hat sie gar nicht erfunden (zuvor hatte schon Darwins Großvater Erasmus davon gesprochen), und sie funktioniert nicht. Das typische Beispiel dafür ist der Hals der Giraffe, der sich infolge der Anstrengung irgendwelcher Giraffen-Vorfahren, die höheren Blätter an den Bäumen zu erreichen, verlängert haben soll, was dann dauerhaft weitervererbt worden sei. Es ist allgemein bekannt, dass es so nicht war, während nur wenige wissen, dass Lamarck hier eigentlich nur eine Idee von Erasmus Darwin aufgenommen hat. Alles in allem hätte es Charles Darwin ohne den so schlecht beleumundeten Lamarck, ohne dessen Studien, die in Wahrheit gar nicht nur seine waren, und ohne seine Giraffen viel schwerer gehabt.
Darwins Evolution
Vor Darwin kam dann noch Thomas Robert Malthus mit seinem Kampf ums Überleben oder »Kampf ums Dasein«, wie es im Deutschen meist heißt. Bevölkerungen haben, so Malthus, mehr oder weniger konstante Größen, doch in jeder Generation werden weit mehr Individuen geboren als nötig wäre, um ihre Eltern zu ersetzen. Deshalb sind viele von ihnen dazu verdammt unterzugehen, bevor sie sich reproduzieren konnten. Auf diese Weise wählt die Natur einige Glückliche aus der viel größeren Zahl der Individuen aus, die sich in einem heftigen Wettbewerb befinden. Für Darwin blieb das ein bestechender Gedanke. Während seiner Reisen sammelte er eine beeindruckende Zahl von Beobachtungen zu vielen Tier- und Pflanzenarten. Auch stellte er fest, dass die Nahrungsressourcen knapp sind und deshalb die Populationen nicht dadurch wachsen, dass mehr Individuen geboren werden, sondern dadurch, dass mehr Individuen es schaffen, bis zu dem Alter zu überleben, in dem sie sich reproduzieren können. Aus seiner Malthus-Lektüre schloss Darwin, dass die Evolution vor allem von der Mortalität* abhängt, was am offensichtlichsten wird bei traumatischen Ereignissen wie Hungersnöten und Epidemien. Von sich aus fügt Darwin dem hinzu, dass diese Mortalität sich nicht zufällig in einer Spezies verteilt, weil nicht alle Individuen mit den gleichen Voraussetzungen in den Wettbewerb eintreten. Es gibt Individuen mit Eigenschaften, die sie unter den gegebenen Umweltbedingungen begünstigen und die dadurch bessere Überlebenschancen und mehr Nachkommen haben werden. Diese Nachkommen haben dieselben Eigenschaften wie ihre Eltern, und so verbreiten sich diese Eigenschaften innerhalb der Spezies. Das ist die natürliche Selektion*.
Diese vergleicht Darwin mit etwas scheinbar ganz anderem, das er künstliche Selektion* nennt. Aufgrund der natürlichen Variabilität* gibt es bei Haustieren manche Hunde oder Pferde mit besonderen Eigenschaften; sie sind zum Beispiel schneller oder kräftiger. Die Züchter kreuzen unter ihnen nur diese Individuen, lassen die anderen beiseite, und nach wenigen Generationen sind diese Eigenschaften deutlich verstärkt. Dasselbe geschieht auch in der Landwirtschaft bei der Selektion von Pflanzenvarietäten, die widerstandsfähiger gegen Parasiten oder reicher an Zucker sind. Die natürliche Selektion, schließt Darwin, bewirkt in längeren Zeiträumen dasselbe, was die Züchter mit ihrem kontrollierten Kreuzen in kurzer Zeit erreichen: Durch die zunehmende Aussonderung oder die reduzierte Fortpflanzungsmöglichkeit der weniger Angepassten ändern sich mit der Zeit die Eigenschaften der Arten, und sie passen sich besser an ihren Lebensraum an.
Die Anpassung an die Umwelt* ist eines der beiden Schlüsselkonzepte der Evolution. Zu dem anderen Grundkonzept, den Veränderungen bei der Abstammung von denselben Eltern, war, wie wir gesehen haben, bereits Lamarck gelangt, und Darwin fasst es in einem berühmten Brief an den Naturforscher Leonard Jenyns wie folgt zusammen: »Der allgemeine Schluss, zu dem ich nach und nach, ausgehend von der entgegengesetzten Überzeugung, gelangt bin, ist der, dass Arten veränderlich sind und ähnliche Arten sämtlich von gemeinsamen Vorfahren abstammen.« Es besteht kein Zweifel daran, dass auch mehr als anderthalb Jahrhunderte nach der Veröffentlichung von Darwins Hauptwerk Die Entstehung der Arten im Jahre 1859 die Darwinsche Evolutionstheorie die Grundlage der modernen Biologie darstellt und der wichtigste Beitrag der Biologie zur Kultur der Welt ist (»nichts hat in der Biologie ohne die Evolution einen Sinn«, formulierte Theodosius Dobzhansky, einer der großen Genetiker des 20. Jahrhunderts). Wir möchten noch einmal Darwin zitieren, um dies zusammenzufassen:
Es fesselt uns außerordentlich, ein Hügelgewirr, das mit vielen Pflanzen vieler Arten bekleidet ist, wo die Vögel in den Büschen singen, mannigfache Kerbtiere herumschwirren und Würmer durch die feuchte Erde kriechen, zu betrachten und darüber nachzudenken, daß diese kunstvoll gebauten Formen, die so verschieden voneinander sind und auf so verwickelte Weise voneinander abhängen, alle durch Gesetze hervorgebracht worden sind, die um uns her wirken. Diese Gesetze sind, im weitesten Sinne genommen, das Wachstum mit der Zeugung, die Vererbung, die sich aus der Zeugung beinahe von selbst ergiebt, die Veränderlichkeit durch die unmittelbare und mittelbare Wirkung der Lebensbedingungen und den Gebrauch und Nichtgebrauch, ein Prozentsatz der Vermehrung, der so hoch ist, daß er zum Kampf ums Dasein und infolgedessen zur Naturauslese führt, die das Auseinandergehen der Merkmale und das Aussterben der weniger vervollkommneten Formen im Gefolge hat. So folgt das höchste Ergebnis, das wir uns denken können, die Hervorbringung der höheren Tiere, unmittelbar aus dem Kampf in der Natur, aus Hungersnot und Tod. Es liegt Erhabenheit in dieser Annahme, daß das Leben mit seinen verschiedenen Kräften vom Schöpfer ursprünglich nur einigen oder einer Form eingehaucht sei, und daß, während dieser Planet nach den festen Gesetzen der Schwerkraft sich gedreht hat, aus einem so einfachen Anfang unendlich viele Formen von hoher Schönheit und Wunderbarkeit sich entwickelt haben und noch entwickeln.
Natürlich wusste Darwin nicht alles. Vor allem wusste er nichts von der Genetik – und konnte es auch nicht wissen. Wenn er von Variabilität spricht, spricht er vage, lamarckianisch, von Gebrauch und Nichtgebrauch, was bedeutet, dass ihm ein grundlegender Aspekt der Vererbung entgangen war (aber auch, wie wenig dogmatisch sein Denken war). Die Regeln der Weitergabe des Erbguts, die Vererbungsgesetze, hat Gregor Mendel in Mähren fast zur selben Zeit entdeckt, doch Darwin wusste nichts davon. Es gibt zahlreiche – vermutlich falsche – Geschichten von Manuskripten, die Mendel an Darwin geschickt haben soll und die nach seinem Tode ungeöffnet aufgefunden wurden. Tatsächlich bekam Darwin im Jahr um die tausend Briefe und schrieb ebenso viele, und vielleicht hat er nicht alles, was ihm zugesandt wurde, gelesen. Wenn Mendel wirklich, wie es heißt, Darwin seinen Artikel geschickt und dieser ihn nicht gelesen hat, war dies für beide bedauerlich: für Darwin, dem bis zu seinem Tod eine zentrale Klammer seiner Theorie fehlte, nämlich das genaue Verständnis davon, nach welchen Regeln Erbeigenschaften über Generationen weitergegeben werden, und für Mendel, dessen Entdeckungen unbemerkt blieben, bis Anfang des 20. Jahrhunderts drei verschiedene Forscher sie gleichzeitig wiederentdeckten.
Die Verbindung der Darwinschen Evolutionstheorie mit der modernen Genetik nennen wir heute Synthetische Theorie oder Neodarwinismus*. Trotz einiger anfänglich ablehnenden und abwehrenden Reaktionen (berühmt ist vor allem die des Dubliner Naturforschers Samuel Haughton, demzufolge alles Neue bei Darwin falsch, und alles Richtige alt war) hatten Darwins Gedanken einen schnellen und umfassenden Erfolg. Allerdings wird auch heute noch weiter gegen den Evolutionismus polemisiert. In Der Ursprung der Arten kommt der Mensch nur selten vor, doch die Vorstellung, unsere Spezies sei nach denselben Naturgesetzen entstanden, die auch zur Evolution aller anderen Arten geführt haben, ist offenbar schwer verdaulich, und sie war es gleich von Anfang an. Auch heute noch versuchen alle möglichen fundamentalistischen Sekten, die Idee der Evolution in Büchern und Websites zu diskreditieren. Dabei handelt es sich vor allem um protestantische Gruppen in den USA, aber auch die islamische Welt meint es damit ziemlich ernst. Bei den Katholiken haben sich gewisse Kreise in der Polemik gegen einige von Johannes Paul II. verfasste kluge und ausgeglichene Textseiten zu einer antidarwinistischen Kampagne zusammengetan, die ihren bisherigen Höhepunkt in einem einflussreichen Artikel fand, den der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in der New York Times unterbringen konnte – einem äußerst arroganten Artikel, in dem er behauptet, dass diejenigen, die in der biologischen Welt nicht das göttliche Design sähen, ihre Intelligenz abgegeben hätten und schlechte Wissenschaftler seien. Trotz solcher Ausfälle lässt sich nicht leugnen, dass der Neodarwinismus ein voller Erfolg war. Niemand, und wohl nicht einmal der Wiener Bischof, wundert sich darüber, dass die Apotheken Jahr für Jahr einen anderen Grippeimpfstoff anbieten; doch die Mechanismen, nach denen das Influenza- Virus* sich entwickelt und die uns zwingen, immer neue Impfstoffe zu entwickeln, sind genau die, die Darwin – der allerdings noch nichts von Viren wusste – beschrieben hat. Kurz, Evolution hat es immer schon gegeben, und sie wirkt noch immer weiter; dank Darwin und seinen Vorläufern haben wir begriffen, wie sie funktioniert, und heute gibt es keine nichtdarwinistische Biologie mehr. Die antievolutionistischen Polemiken, die erstaunlicherweise – wenngleich glücklicherweise nur vorübergehend – in den Lehrplänen der Oberschulen etwa in Italien ihren Niederschlag gefunden haben, kommen aus der Ecke des extremen religiösen Fundamentalismus, und sie haben nichts mit der Wissenschaft zu tun, auch wenn sie versuchen, ihrem dogmatischen Anspruch ein wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen.
Um die Bedeutung der Genetik zu begreifen, ist es sinnvoll, noch einmal auf die Giraffen zurückzukommen. Wir können Experimente anstellen, um festzustellen, ob »Gebrauch oder Nichtgebrauch« sich vererben, wie Lamarck behauptete. Diese Experimente zeigen, dass dem nicht so ist, und wir müssen sie auch nicht an Giraffen anstellen, die ziemlich platzraubend sind und viel fressen. Es reicht auch, auf Mäuse zurückzugreifen, ihnen den Schwanz abzuschneiden und sie sich reproduzieren zu lassen. Auch nach zwanzig Generationen, werden die Mäuse weiter mit einem Schwanz geboren, auch wenn er ihnen zu nichts nützt. In gewissem Sinne, sagt Steve Jones, führen die Juden schon seit Jahrtausenden ein solches Experiment durch, in dem sie die Beschneidung der Söhne durchführen, was jedoch noch nie zur Geburt bereits beschnittener Kinder geführt hat.
Wie der Hals der Giraffe wachsen konnte, hat Darwin intuitiv erfasst, und neuere genetische und molekularbiologische Untersuchungen haben dies bestätigt. Eigentlich, sagt Darwin, gibt es Variabilität schon immer, und sie entsteht nicht durch Gebrauch oder Nichtgebrauch eines bestimmten Organs. Indem sie sich bemühen, an die obersten Zweige der Bäume zu gelangen, können Giraffen allenfalls ihren eigenen Hals lang machen, aber nicht den ihrer Nachkommen verlängern. Die Variabilität ist schon vorher da: Giraffen werden mit unterschiedlich langen Hälsen geboren, heute genauso wie in der Vergangenheit. Und diese Variabilität wird vererbt: Giraffen mit einem langen Hals bringen gewöhnlich Giraffen mit langen Hälsen hervor, die mit verhältnismäßig kurzen Hälsen Nachkommen mit kurzen Hälsen. Erstere haben einen leichten Vorteil, weil sie, wenn alle Blätter an den niedrigen Ästen bereits abgefressen sind, auch an die gelangen, die etwas höher wachsen. Diesen Giraffen steht also dank ihrer ererbten Eigenschaft – dem langen Hals – eine Umweltressource in größerem Maße zur Verfügung als anderen. Die Umwelt, erklärt uns Darwin, schafft keine Variabilität, doch sie wählt die Eigenschaften aus, die zu einem gegebenen Zeitpunkt für die Individuen günstiger sind. Wenn nur die an die Umwelt besser angepassten Giraffen – das heißt, die mit dem durchschnittlich längeren Hals – sich reproduzieren können und wenn die Giraffen mit den kürzeren Hälsen im Überlebenskampf verlieren, werden die Giraffen mit jeder neuen Generation etwas vorteilhaftere Hälse haben, während die weniger angepassten Hälse allmählich verschwinden. Dies ist nichts mehr und nichts weniger als die natürliche Selektion.
Gegenüber der Lamarckschen Theorie hat die Darwins freilich einen Nachteil: Die Vererbung erworbener Eigenschaften ist immerhin eine – wenn auch falsche – Erklärung sowohl für den Ursprung der Variabilität als auch für die gelungene Anpassung an die Umwelt. In Darwins Theorie, die die Anpassung korrekt erklärt, bleibt der Ursprung der Variabilität im Dunkeln. Darüber sollte jemand anderes, nämlich der Augustinermönch Gregor Mendel, forschen, und die Bedeutung seiner Entdeckung hat wenigstens nach seinem Tod Anerkennung gefunden.