Kitabı oku: «Die Erfindung der Rassen», sayfa 5

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Mendels Vererbungslehre

Die von Mendel entdeckten genetischen Gesetze beschreiben, wie Vererbung funktioniert. In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gelang dann auch der Nachweis, dass das Molekül*, das diese Regeln enthält, die DNA ist. Es findet sich viel verschiedene Materie in unseren Zellen, viele Typen von Molekülen: kleine und große Moleküle wie Zucker und Fette, Proteine – und die Nukleinsäuren, also RNA und DNA. Eines dieser Moleküle muss die Erbinformation enthalten, aber Mendel konnte es nicht kennen. Erst Avery, McLeod und McCarthy konnten nachweisen, dass die Erbeigenschaften des Lungenentzündungsbakteriums in der DNA der Zellen enthalten sind: Bakterien* mit unterschiedlicher DNA vererben bei den Mäusen, in die sie injiziert werden, ihren Nachkommen auch verschiedene Formen von Lungenentzündung. Im Laufe weniger Jahre bestätigten weitere Experimente, dass die DNA nicht nur für das biologische Erbe dieser besonderen Bakterien, sondern für das aller Lebewesen verantwortlich ist.

Doch woher kommt nun die genetische Variabilität, wenn die Umwelt nur aus ihr auswählen kann und dabei einen Teil des Erbes eliminiert? Müsste sie sich nach Jahrmilliarden natürlicher Selektion nicht vollkommen erschöpft haben? Lamarck hat keine Antwort darauf gefunden, Darwin hat sie nur in großen Linien erahnt, und Mendel hat sie auch nicht gewusst. Erst seit dem 20. Jahrhundert wissen wir, dass die Antwort in der Art und Weise besteht, wie sich die DNA vor jeder Zellteilung* repliziert, wobei aus einer Zelle mit einer bestimmten DNA zwei Zellen mit einem identischen DNA-Inhalt entstehen. Dasselbe geschieht in den Reproduktionsorganen bei der Entstehung von Eizellen und Spermatozoen, aus deren Verschmelzung die befruchtete Eizelle hervorgeht, und aus der wiederum ein neues Individuum. 1956 schließlich entdecken Watson und Crick, dass die DNA die Form einer Doppelhelix hat, und beschreiben den Mechanismus ihrer Replikation*. Jedes Mal, wenn eine Zelle sich reproduziert – sei es eine gewöhnliche Zelle unseres Körpers oder eine dieser hochspezialisierten Zellen, die das Leben eines neuen Organismus begründen –, wird ihre DNA sorgfältig kopiert; deshalb ist die DNA eines Kindes die exakte Kopie der halben mütterlichen und der halben väterlichen DNA.

Genau genommen ist es eine mehr oder weniger exakte Kopie. In Wirklichkeit ist der Kopiermechanismus der DNA zwar sehr genau, aber nicht unfehlbar. Immer wieder einmal kommt es in einer Region der DNA – in welcher, lässt sich nicht vorhersehen – zu einem kleinen Fehler. Diese Fehler nennen wir Mutationen*. Nach der Mutation ist ein winziger Abschnitt der DNA anders; einige Individuen werden ihn von ihren Eltern so vererbt bekommen, andere wiederum werden eine unveränderte DNA als Erbe empfangen: Es entstehen Unterschiede, die wir genetischen Polymorphismus oder eben Variabilität nennen. Die verschiedenen Varianten desselben Gens, die wir Allele* nennen, sind in unterschiedlicher Häufigkeit in den verschiedenen Populationen vorhanden: Sie sind das Material, mit dem die Evolution arbeitet.

Die natürliche Selektion oder einfach der Zufall führen zum Verschwinden mancher Allele, doch die Mutation schafft immer neue, und deshalb erschöpft sich die Variabilität nie.

Aber sind Mutationen nun gut oder schlecht? Das kommt darauf an. Viele Mutationen bewirken weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes, weil ein großer Teil unserer DNA, drei Viertel dessen, was wir zusammengenommen als unser Genom* bezeichnen, einfach in den Zellen vorhanden ist, ohne etwas zu tun. Darauf werden wir noch zurückkommen. Zunächst einmal halten wir aber fest, dass bei den Menschen wie bei den anderen Säugetieren das übrige Viertel von größter Relevanz ist, weil es die Anleitungen zur Produktion der Eiweiße enthält und somit alle unsere Erbeigenschaften bestimmt. Mutationen verändern zufällig die in der DNA enthaltene Botschaft; das dadurch verändert produzierte Protein kann fehlerhaft sein und Ursache einer Erbkrankheit werden. Mukoviszidose, Muskeldystrophie und weitere noch komplexere Krankheiten, darunter viele Krebsarten, sind die Folgen von Mutationen, die irgendeine Funktion des Organismus stören. In anderen Fällen sind die Folgen gering.

Es gibt Menschen mit den Blutgruppen A, B, 0 und AB, und ihnen geht es meistens gut. Die unterschiedlichen Blutgruppen werden in unterschiedlichen Kombinationen durch drei Allele determiniert, die wir IA, IB und I0 nennen; so haben beispielsweise die Blutgruppe AB Menschen, die von einem Elternteil das Allel IA und vom anderen IB geerbt haben, während die Blutgruppe 0 diejenigen haben, deren beide Elternteile bereits diese Blutgruppe hatten. Jedes dieser drei Allele ist das Ergebnis von Mutationen, die sich vor vielen tausend Jahren ereignet haben; sie sind in unserer Spezies erhalten geblieben und haben sich von Kindern zu Kindeskindern und so weiter vererbt, weil sie nicht weiter schaden.

Und schließlich gibt es noch einen Anteil von Mutationen, die ihren Trägern einen Vorteil bringen und sich deshalb tendenziell durch natürliche Selektion ausbreiten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Mendelschen Gesetze wiederentdeckt wurden, lag es nicht auf der Hand, sie mit der Idee der Evolution zusammenzubringen. Die Mendelsche Genetik beschreibt die Vererbung als Ergebnis der Weitergabe einzelner Einheiten, der Gene, von denen jedes für eine bestimmte biologische Funktion zuständig ist: Die Gene bestimmen, ob wir die Blutgruppe A, B, 0 oder AB haben; jeder von uns hat Allele für eine normale Blutgerinnung oder ist hämophil, also Bluter, und so weiter. Die Evolutionsforscher untersuchten vor allem die Anatomie der Organismen, in der die Eigenschaften kontinuierlich variieren, in denen also die Veränderung innerhalb eines Zeitintervalls einen bestimmten Wert erreichen kann: Der Flügel eines Vogels kann 8 cm, 8,1 cm, 8,2 cm etc. lang sein. Wie ist es möglich, dass diese kontinuierliche Variabilität von der Weitergabe von Genen abhängt, die diskontinuierlich wirkt? Es war nicht einfach, die Antwort auf diese Frage zu finden. Es waren schließlich die großen Theoretiker des 20. Jahrhunderts, denen das gelungen ist; wir können diese Antwort so zusammenfassen: Die kontinuierliche Variabilität resultiert aus dem Zusammenspiel zahlreicher Gene, deren Ausdruck durch die Umwelt beeinflusst wird. Auch heute begreifen wir noch nicht alle Aspekte dieser Interaktionen, und es wird noch mancher Arbeit bedürfen, um sie gründlich zu verstehen. Doch immerhin konnte Theodosius Dobzhansky 1937 ein Buch in den Druck geben, das den Titel Genetics and the Origin of Species trug, ein Buch, das Generationen von Biologen in großem Maße beeinflusst hat. Seitdem, seit der sogenannten modernen Synthese, sind Genetik und Evolution nicht mehr voneinander zu trennen.

Der genetische Code

Um 1960 legten die Studien von Gobind Khorana und Marshall Nirenberg den genetischen Code* offen. Wir können uns die DNA wie eine lange Kette vorstellen, in der sich in einer Fülle von Variationen eine nach der anderen vier Komponenten – das sind in diesem Falle Basen* – wiederholen, die wir mit den Buchstaben A, C, G und T bezeichnen (Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin). Variabilität oder Polymorphismus bedeuten, dass jemand in einem bestimmten Abschnitt* der DNA ein T und jemand anderes ein C hat, weil es sich um zwei verschiedene Allele handelt, das mit T und das mit C. Wenn wir die Genome der beiden Menschen miteinander vergleichen, finden wir durchschnittlich Unterschiede von einer Base pro tausend, während die anderen 999 identisch sind.

Ich weiß nicht, ob er selbst als Erster die Idee hatte, doch jedenfalls ist Francis Crick der Erste, der definiert hat, was er selbstironisch (Wissenschaft kennt keine Dogmen) das »Zentraldogma« der Biologie nennen wollte: Die DNA produziert die Proteine und nicht umgekehrt. Doch wie stellt sie das an? Das ist kein banales Problem. Auch die Proteine sind, wie die DNA, lange Ketten, die allerdings aus 20 verschiedenen Komponenten bestehen, den Aminosäuren*, während es in der DNA nur vier unterschiedliche Basen gibt. Um 20 verschiedene Dinge, nämlich die 20 Aminosäuren, mit einem Alphabet aus vier Buchstaben – den vier Basen der DNA – bezeichnen zu können, begriffen Khorana und Nirenberg, reichen Wörter, die aus nur einem Buchstaben bestehen (das wären maximal 4) nicht aus, auch nicht aus zwei Buchstaben gebildete (das wären maximal 16); vielmehr brauchen wir wenigstens drei Buchstaben. In einer langen Versuchsreihe gelang es ihnen zu entdecken, welche Aminosäuren von jeder der 64 möglichen Kombinationen der drei DNA-Basen dargestellt werden. Ihre Untersuchungen haben gezeigt, wie die in der DNA enthaltenen und über Generationen weitergegebenen Erbinformationen im Inneren der Zellen umgesetzt werden, um Proteine zu erzeugen, deren Aminosäuren-Sequenz* in der Basen-Sequenz der DNA hinterlegt ist. Das Auftreten einer Mutation verändert die DNA-Sequenz, schafft ein neues Allel und wirkt sich auf die entsprechende Proteinsequenz aus, indem es sie ebenfalls verändert. Die DNA-Sequenz enthält also die Befehle, dank denen nach einem komplett entschlüsselten und im Wesentlichen bei allen Lebewesen identischen Code die Proteine Gestalt annehmen, aus denen sich unsere Zellen zusammensetzen und die bestimmen, wie wir aussehen. Diese Befehle interagieren auf eine alles andere als simple Weise mit der Umwelt, von der wir Sauerstoff, unsere Nahrung, Anregungen und Kultur beziehen. Was wir sind, sind wir zum Teil, weil wir unsere eigene DNA haben (und nicht die von jemand anderem), zum Teil aber auch durch die Umwelt, in der diese DNA ihre Proteine produziert hat und weiter produziert, das heißt, in der sie sich ausdrückt.

In den letzten Jahrzehnten hat es eine explosionsartige Entwicklung von Techniken und von Wissen in der Genetik gegeben. Die Sequenz der DNA zu lesen war zunächst eine teure, komplizierte und langwierige Angelegenheit; heute ist sie schnell, preiswert und effizient. Von 1990 an hat ein vor allem amerikanisches und britisches Konsortium von Universitäten und privaten Forschungseinrichtungen damit begonnen, die komplette Sequenz des menschlichen Genoms auszulesen, und im Juni 2000 verkündeten der amerikanische Präsident Bill Clinton und der britische Premierminister Tony Blair in einer gemeinsamen Pressekonferenz (etwas vorschnell – es gab noch Fehler in der ersten veröffentlichten Sequenz) die Vollendung des Projekts. In einer jahrelangen Anstrengung wurden Milliarden DNA-Basen gelesen, so viele, wie die DNA einer unserer Körperzellen enthält. In einer solchen Folge von A, C, G und T sind die Informationen enthalten, die das genetische Projekt eines jeden von uns enthalten. Dazu gibt es allerdings noch viel zu tun. Statt einer einzigen haben wir heute Abertausende vollständige Sequenzen, von denen viele öffentlich gemacht worden sind, also im Netz den Wissenschaftlern zur Verfügung stehen. Wir haben sie gelesen, wir verstehen ihre einzelnen Wörter – das heißt, die Gene – und das ist bereits ein guter Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Methoden, um Krankheiten zu diagnostizieren, sie zu heilen und ihnen vorzubeugen. Doch noch begreifen wir nicht die Syntax des Genoms, also wie unsere Gene sich untereinander absprechen, wie sie angeregt und wieder abgeschaltet werden, und wie sie Botschaften aus der Außenwelt verarbeiten. Bevor wir diese Syntax verstanden haben, werden wir leider auch nicht verstehen, was die genetischen Grundlagen für unsere wichtigsten Unterschiede sind, zum Beispiel warum jemand unter hohem Blutdruck leidet und jemand anderes nicht, warum unter denselben Umständen jemand an Krebs erkrankt und jemand anderes nicht, warum unsere intellektuellen Fähigkeiten mit dem Alter nachlassen und warum dies bei den einen früher beginnt als bei den anderen. Darauf kommen wir im 8. Kapitel noch einmal zu sprechen.

Inzwischen haben sich auch unsere Fähigkeiten vervielfacht, die DNA-Sequenz zu interpretieren, das heißt, zu bestimmen, in welchen DNA-Abschnitten welche Proteine codiert sind. Bei der Analyse des menschlichen Genoms und dessen anderer Spezies, vom Huhn bis zum Reis, von der Fruchtfliege bis zum Schimpansen, wurde überraschenderweise entdeckt, dass ein Gutteil der DNA (drei Viertel, haben wir vorhin gesagt) eigentlich nichts codiert. Der Mensch besitzt sehr viele Gene, etwa 22000, und jedes produziert zumindest ein eigenes Protein (viele produzieren sogar zahlreiche, aber das spielt hier keine Rolle). Aber alle diese aktiven Gene nehmen nur ungefähr ein Viertel des Genoms ein, und wir wissen nicht genau, wozu die übrigen drei Viertel da sind, auch wenn es dazu viele Hypothesen und einige gute Daten gibt. Es ist oft darüber diskutiert worden, und es wird auch weiter darüber diskutiert, warum die Evolution in den Zellen der komplexeren Organismen so viel DNA übriggelassen hat, die keine Eiweiße produziert und auf den ersten Blick zu nichts nütze ist. Manche nehmen an, dass diese DNA dort stehengeblieben ist, weil sie nicht schadet und es deshalb keinen Grund für die Evolution gibt, sie zu beseitigen; andere wieder glauben, dass sie, da sie nun einmal da sind, vielleicht doch die eine oder andere Funktion haben, möglicherweise sogar Funktionen, die wir noch nicht verstehen.

Für unser Buch ist interessant, dass die nichtcodierende DNA* nicht der natürlichen Selektion unterliegt. Die Mutationen, die sie betreffen, verändern keinerlei Protein, bewirken also weder Gutes noch Schlechtes, und werden deshalb problemlos an die Nachkommen weitergegeben. Dadurch, also dank dieser Mutationen, bleibt in unserer DNA die Spur ältester Ereignisse erhalten, die wir heute zu identifizieren lernen. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Mutation vor 20 000 Jahren stattgefunden und zur Bildung eines neuen Allels bei einem Menschen geführt hat, der in Asien lebte und dessen Nachkommen sich über die Beringstraße nach Nordamerika und von dort aus weiter nach Südamerika ausgebreitet haben, werden wir dieses Allel bei einigen Asiaten und bei vielen indigenen Amerikanern finden, im Norden wie im Süden. Ausgehend von der Verteilung dieser Allele auf die geographischen Regionen, in denen sie heute vorkommen, und davon, wie weit sie dort verbreitet sind, ist es uns gelungen, die wichtigsten Wanderungen zu rekonstruieren, die zur Verbreitung unserer Spezies (und vieler anderer) auf dem Planeten geführt haben. Deshalb werden wir im Folgenden dieses Buchs diesen Allelen und den Mutationen, die zu ihnen geführt haben – Mutationen, die wir neutral nennen, weil sie weder gute noch schlechte Folgen haben – große Aufmerksamkeit widmen.

DNA, Umwelt und menschliche Diversität

Jetzt aber wollen wir uns mit der menschlichen Diversität befassen. Da wir inzwischen verstanden haben, dass es für jedes Gen viele Allele geben kann, können wir sagen, dass die genetische Vielfalt der Menschen das Produkt aller dieser Allele ist. Doch um besser zu verstehen, was dies bedeutet, müssen wir noch einmal einen Schritt zurück tun zu den von Mendel entdeckten Vererbungsgesetzen. Die Gene, deren Funktionsweise Mendel verstanden hatte und die Avery und seine Mitarbeiter:innen in der DNA lokalisiert haben, sind in jedem von uns gegenwärtig, in jeder einzelnen unserer Zellen, und zwar in zwei Kopien, einer mütterlichen und einer väterlichen Ursprungs. Da nun alle unsere Zellen von der befruchteten Eizelle abstammen, enthalten sie sämtlich dieselbe DNA, die sehr getreu kopiert worden ist, wenn wir einmal von gelegentlichen Mutationen absehen.

Unser Genom, die Gesamtheit unserer DNA, enthält mehr als 6 Milliarden Basen, also über 3 Milliarden von jedem der beiden Elternteile. Um möglichen Verwirrungen vorzubeugen, nennen wir dasjenige Genom diploid*, das in einer doppelten Kopie vorliegt, also das der meisten Zellen, und haploid das, das nur in einer einfachen Kopie in den Eizellen und den Spermatozoen vor der Befruchtung vorhanden ist. In den Zellen der höher entwickelten Organismen gibt es nicht nur eine DNA-Kette, sondern eine ganze Anzahl davon, die wir als Chromosomen* bezeichnen. Wir Menschen haben 46 davon, 23 mütterlichen und 23 väterlichen Ursprungs, und auch hier können wir deshalb von einem haploiden Chromosomensatz (den 23 Chromosomen einer nichtbe-fruchteten Eizelle oder einer Spermatozoe) und einem diploiden Chromosomensatz reden (den 46 Chromosomen einer befruchteten Eizelle und allen weiteren aus dieser hervorgegangenen Zellen, aus denen unser Organismus besteht). Unsere 22 000 Gene verteilen sich auf 23 Chromosomen, die wir von unserer Mutter, und 23, die wir von unserem Vater geerbt haben; daher besitzen wir von jedem Gen zwei Ausfertigungen: eine mütterliche und eine väterliche. Aber Achtung, einige Chromosomen sind besonders wichtig. Zwei davon, das X- und das Y-Chromosom, werden Geschlechtschromosomen* genannt, weil sie unser jeweiliges Geschlecht bestimmen. Frauen haben zwei X-Chromosomen und geben eins davon an jedes ihrer Kinder weiter, gleich ob sie Mädchen oder Jungen sind. Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom und können daher ihren Nachkommen das eine oder das andere vererben: Wenn es ein X ist, wird das Kind ein Mädchen, wenn es ein Y ist, ein Junge. Folglich hängt das Geschlecht eines Kindes, das auf die Welt kommt, allein vom Vater und nicht von der Mutter ab. Das erinnert uns doch an die Frauen, die von ihren Männern, etwa dem Schah von Persien, verstoßen wurden, weil sie ihrem Gemahl nicht den heißersehnten männlichen Erben schenkten! Nein, Blödsinn: Schuld ist, wenn man überhaupt von Schuld reden kann, der Ehemann, auch wenn er der Schah von Persien ist.

Insgesamt hängt die menschliche Vielfalt, die Summe der Unterschiede unter den Mitgliedern unserer Spezies, nur teilweise von den genetischen Unterschieden ab. Teilweise geht sie auch auf Faktoren zurück, die wir in Ermangelung eines besseren Worts Umwelteinflüsse oder kulturelle Einflüsse nennen können: darauf, was wir essen oder gegessen haben, wie viel wir unseren Körper bewegen oder bewegt haben, wie warm es ist oder wie warm es war, als wir klein waren.

Es ist nicht immer einfach zu unterscheiden zwischen dem, was auf unsere Gene zurückgeht, und dem, was Umwelt und Kultur bewirken. In vielen Fällen ist Letzteres sogar offensichtlicher als Ersteres. Wir kleiden uns auf verschiedene Weise, tragen die Haare lang oder kurz und laufen in Schuhen oder mit nackten Füßen herum. Ein Typ ohne Schuhe im Bus springt mehr ins Auge als der Träger einer genetischen Anomalie, doch es reicht, wenn er Schuhe anzieht, damit er wieder gleich ist wie alle anderen. Entsprechend geht es einer Frau ohne Kopftuch in Teheran. Es ist klar, dass solche Unterschiede die Art und Weise beeinflussen, wie wir uns verhalten; sie haben aber nichts mit unserer Biologie zu tun, und wir dürfen sie nicht in Betracht ziehen, wenn wir von Rassen sprechen.

Tatsache ist allerdings, dass die Umwelt auch auf eine subtilere Weise mit den Genen interagiert. Denken wir etwa an unser Gewicht. Natürlich hat das etwas mit unseren Genen zu tun: Schlanke Eltern haben im Allgemeinen schlanke Kinder, und dicke Eltern haben mit größerer Wahrscheinlichkeit dicke Kinder. Aber wie viele meiner 80 Kilo sind in den Genen eingeschrieben, die ich von Mutter und Vater geerbt habe, und wie viele stammen von den vielen Spaghetti der letzten zwanzig Jahre? Und wie viel von meiner Intelligenz – um auf ein höchst kontroverses Thema zu kommen, auf das wir noch einmal zurückkommen werden – habe ich einfach, weil sie seit meiner Geburt in meinen Genen angelegt war und zuvor in den Genen von Mutter und Vater, und wie viel davon habe ich durch Lernen und Üben entwickelt?

Darüber lässt sich endlos streiten, und darüber hat man auch endlos gestritten. Ich finde, dass eine Antwort darauf unmöglich ist, weil die Frage so falsch gestellt ist. Wir sind ebenso wenig die Summe der Einflüsse von Natur und Umwelt wie irgendein anderes Lebewesen. Die Wirkung der Gene von denen der Umwelt zu unterscheiden ist nur in wenigen Fällen leicht und im Allgemeinen schwierig. Unsere Blutgruppe ist A, B, AB oder 0, ganz unabhängig davon, wie unser Speiseplan war oder wie viel wir gelernt haben: Diese Eigenschaft hängt ausschließlich davon ab, wie sich die Allele eines unserer Gene in der Eizelle zusammengefügt haben, von der wir kommen. Hautfarbe, Statur, Gewicht, Einfühlungsvermögen und Intelligenz (was immer das Wort bedeuten mag) sind dagegen nicht das Produkt eines einzelnen Gens, sondern vieler, und werden vor allem durch die Sonneneinstrahlung, durch das, was wir essen, und das, was wir lesen, beeinflusst, davon, mit welchen Menschen wir uns treffen und wie viel Sport wir treiben.

Wir müssen also ein anderes Verständnis von unseren Genen entwickeln: als Erbfaktoren, die die Grenzen dessen darstellen, was wir sein können. Diese Grenzen sind ziemlich weit gefasst; wo wir uns innerhalb ihrer ansiedeln, hängt von den unterschiedlichen Umständen ab, unter denen wir aufgewachsen sind und leben. Wir haben nicht alle dieselben Grenzen und wir werden nicht alle, auch wenn wir eifrig üben, den Nobelpreis oder die Tour de France gewinnen; bei guter Ernährung werden wir allerdings gewöhnlich größer – das können wir beobachten, wenn wir uns mit unseren Großeltern vergleichen. Doch niemand von uns wird drei Meter groß werden, weil das Gene erfordern würde, die wir nicht besitzen (die Giraffen, wie wir gesehen haben, dagegen sehr wohl). Ebenso haben manche Menschen genetische Voraussetzungen dafür, länger zu leben als andere, zum Beispiel, weil ihr Kreislauf weniger darunter leidet, wenn sie zu viele fette Speisen verzehren. Wenn wir aber darauf achten, was wir essen, und uns genug bewegen, verlängert sich die mittlere Lebenserwartung, und wir hoffen, sie noch weiter zu verlängern; doch gibt es, im Unterschied zu dem, was man neuerdings hört, biologische Grenzen der Langlebigkeit, und Unsterblichkeit ist ganz klar außer unserer Reichweite.

Wenn wir ein anderes Beispiel nehmen, können wir mit Übung und Training zuerst 50 Kilometer, dann sogar 100 Kilometer mit dem Rad zurücklegen, und manche, wie die Radprofis, schaffen sogar mehrere hundert Kilometer am Tag, doch unsere Maschinerie von Muskeln, Knochen und Gelenken, die in unseren Genen codiert ist, erlaubt uns nicht, mehr als durchschnittlich 90 Kilometer täglich zu radeln. Auf dem (von der monströsen Masse des Blödsinns, der dazu publiziert wird, bedrohten) Gebiet der Intelligenz sind unsere Fähigkeiten, zu rechnen und zu denken, groß, aber nicht unbegrenzt; mit etwas Übung können wir sie erweitern, mehr im Gedächtnis behalten und schneller kalkulieren – doch das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Mit etwas Übung können wir zwar schneller laufen oder tolle Punktzahlen bei Intelligenztests erreichen, doch es wird uns nie gelingen, unsere Zellen dazu zu bewegen, Chlorophyll herzustellen oder Penicillin zu produzieren, wenn wir es brauchen. Wir haben angeborene Grenzen; unsere menschlichen Gene ermöglichen vieles, aber so etwas nicht.

Wir sind, was wir sind, weil die Gene, die aus einer langen Reihe von Vorfahren auf uns gekommen sind – zuletzt von Mutter und Vater – sich auch in der Umwelt ausgedrückt haben, in der wir aufgewachsen sind und in der wir leben.

Um zu verstehen, ob es Rassen gibt – das heißt, deutliche genetische Unterschiede zwischen Menschengruppen – müssen wir den Einfluss der Umwelt beiseitelassen. Deshalb sollten wir nicht von Eigenschaften wie unserem Gewicht ausgehen, unserer Sprintgeschwindigkeit oder, was noch schlechter wäre, unseren intellektuellen Fähigkeiten, weil Gewicht, Schnelligkeit und die Fähigkeit, psychologische Tests zu bestehen, auf eine noch immer schwer verständliche Weise zwar auch von unseren Genen, aber ebenso auch von der Umwelt bestimmt sind, sowie von der Art, wie Umwelteinflüsse und unsere Gene miteinander verwoben sind. Um allmählich zu verstehen, ob und inwiefern die Unterschiede zwischen uns und den anderen um uns herum in den Genen festgeschrieben sind, müssen wir Gene befragen, deren Wirkung wir gut kennen. Und bevor wir damit beginnen, müssen wir uns einmal gründlich darüber verständigen, was wir unter Rasse verstehen.

Viele der in diesem Kapitel und den folgenden zitierten wissenschaftlichen Artikel kann man von den Websites der Zeitschriften, in denen sie erschienen sind, gratis herunterladen. Natürlich sind sie auf Englisch.

Eine ausgezeichnete Suchmaschine, mit der sich Artikel finden lassen, wenn man einen Schlüsselbegriff oder einen Autorennamen eingibt, ist: Medline: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed. Ein Großteil der Artikel des Autors lassen sich von der Website www.guidobarbujani.it. herunterladen.

Als Geschichte des biologischen und evolutionstheoretischen Denkens zu empfehlen ist: E. Mayr, Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt: Vielfalt, Evolution und Vererbung, Berlin 1984.

Über die große Kette der Wesen informiert sehr gut der gleichnamige Wikipedia-Artikel.

Das Darwin-Zitat in Anführungszeichen ist der letzte Absatz von Der Ursprung der Arten in der im Projekt Gutenberg abrufbaren Übersetzung von Richard Böhme.

Die Bemerkungen von Haughton berichtet Darwin selbst in seiner Autobiographie: Charles Darwin, Mein Leben, zuletzt Frankfurt 2008

Zur Geschichte der Evolutionstheorie kann man etwa das 1. Kapitel lesen von: Mark Ridley, Evoluton, Neuausgabe, New York 1993. Ich persönlich empfehle wärmstens: Telmo Pievani, La teoria dell’evoluzione, Bologna 2006.

Denjenigen, die sich besonders für die Evolution des Giraffenhalses interessieren, empfehle ich: S. Gould, »The tallest tale«, in: Natural History 105, 1996, S. 18-27, auch wenn Carla Castellacci, der ich dafür danke, mich auf einen Artikel hingewiesen hat von: R.E. Simmons, L. Scheepers (1996), »Winning by a neck: Sexual selection in the evolution of Giraffe«, in: American Naturalist, 148, 1996, S. 772-786, der eine ganz andere Evolutionsgeschichte vorschlägt.

Die Botschaft von Johannes Paul II. an die Accademia Pontificia delle Scienze vom 22. Oktober 1996 findet sich auf dieser Website: http://fbertoldi.free.fr/culturanuova/accademia/GP2_evoluzione.php. Sie wurde wiederveröffentlicht in Quarterly Review of Biology 72 von Dezember 1997, S. 381-406, zusammen mit den Kommentaren von vier Wissenschaftlern (allzu kritisch kommt mir der von Richard Dawkins vor), und wurde noch einmal aufgenommen von Stephen Jay Gould, in einem Essay mit dem Titel »Non overlapping magisteria«, in Natural History 106, 1997, S. 16-22.

Der Brief des Wiener Erzbischofs Christoph Schönborn über die Evolution ist in der New York Times vom 7. Juli 2005 erschienen.

Die Beobachtung von Steve Jones darüber, dass tausende Jahre der Beschneidung nicht zur Evolution erworbener Eigenschaften geführt haben, habe ich gefunden in Adam Rutherfords wunderbarem Buch Eine kurze Geschichte von jedem, der jemals gelebt hat: Was unsere Gene über uns verraten, Reinbek 2018, in dem es um viele interessante Dinge geht, wie etwa die Gene der ersten Europäer und das Humangenomprojekt.

Die Möglichkeit, das menschliche Leben unbegrenzt zu verlängern, wird von Edoardo Boncinelli und Galeazzo Sciarretta diskutiert, in: Verso l’immortalità: la scienza e il sogno di vincere il tempo, Mailand 2005. Für eine entgegengesetzte und gut belegte Ansicht lohnt sich der sehr wissenschaftliche und sehr klare Artikel von John Maynard Smith et al., »The evolution of non-infectious and degenerative disease«, in: Evolution of Health and Disease, hg. von Stephen Stearns, Oxford 1999, S. 267-272.

Es gibt zahlreiche gute Einführungen in die Genetik, aber es lohnt sich nur, sie zu kaufen, wenn man Lust hat, sie wirklich zu studieren. Ein guter, wenn auch nicht mehr ganz junger Text über die menschliche Diversität ist immer noch: Richard Lewontin, Human Diversity, Boston 1987. Doch es lohnt sich, sich auch mit dem bereits erwähnten Buch von Jay Gould zu befassen: Der falsch vermessene Mensch, Frankfurt 1988, in dem es um Versuche geht, dem Rassismus einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Dasselbe gilt für Uomini per caso von Olga Rickards und Gianfranco Biondi, Rom 2001, und Luca Cavalli-Sforza, Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation, München 1999.

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