Kitabı oku: «Bauchgefühl & Gottvertrauen», sayfa 2

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„Guido, du schaffst das schon!“ entpuppt sich dabei manchmal als das Mantra, das ich mir nicht ausgesucht habe, aber das im Hintergrund unhörbar erklingt und mich immer noch hin und wieder dazu verleitet, mir mehr aufzubürden als gesund für mich ist. Andererseits hat sich dieser Satz in der Vergangenheit so oft als wahr erwiesen, dass er mir in Momenten der Unsicherheit und des Zweifels durchaus hilft. Selbst jetzt – in diesem Augenblick, in dem noch unklar ist, wohin mein Weg mich in Zukunft führt – lässt er mich zuversichtlich sein, dass es weitergeht und dass alles gut wird.

2. Der erste Warnschuss

Wenn ich aus Erfahrung wirklich klug geworden wäre, dann hätte ich mir bereits seit 1996 nie mehr zu viel zumuten dürfen. Denn im Alter von 25 Jahren schickte mir mein Körper eine deutliche Warnung, die mich aber leider nur vorübergehend demütig werden ließ.

Zu dieser Zeit war ich bereits professionell im Karneval unterwegs mit mehr als 200 Auftritten während der Session. Um mich für die kräftezehrenden Wochen zu belohnen, hatte ich mir einen Last-Minute-Urlaub in der Dominikanischen Republik gegönnt. Ein Bekannter hatte mich noch vor den dort grassierenden Magen-Darm-Viren gewarnt. Für Infektionen dieser Art bin ich durchaus empfänglich und tatsächlich habe ich während des Rückflugs den engen Gang zur Bordtoilette mehr als nur einmal passieren müssen. Und mit jedem Mal erntete ich mehr mitleidige Blicke von meinen Mitreisenden.

Vermutlich lag es am Mittagessen vom Vortag. Es war im Angebot des Tagesausflugs inklusive. Da sagt der innere Schwabe natürlich nicht nein. Reis, Bohnen und Hähnchen hatten mir wenig Sorgen bereitet, Zweifel beschlichen mich eher beim gereichten Avocado-Salat, denn der wird weder gekocht, gebraten noch frittiert, was Krankheitserregern im Zweifelsfall sehr entgegenkommt. Letztlich dachte ich mir: „Genieß ihn einfach! So reif und lecker bekommst du sie ab übermorgen nicht mehr.“

Der Durchfall wurde allerdings in den kommenden Tagen immer schlimmer, sodass mein Hausarzt schließlich eine Stuhlprobe zum Hamburger Tropeninstitut schickte. Es hieß abwarten und auf die Diarrhö-Tabletten vertrauen.

In diesen Tagen begann auch die Vorbereitung auf die Fußballsaison. Fußball ist meine große Leidenschaft, seit ich sechs Jahre alt bin. Doch womöglich hat sie maßgeblich dazu beigetragen, dass ich von heute – also von meinem 50. Lebensjahr – aus betrachtet, im Alter von 25 eine längere Halbzeitpause mit körperlichem Systemausfall erlebte.

Da ich in der heißen Phase des Karnevals wie jedes Jahr aus Zeitmangel mit dem Training pausieren musste, wollte ich mich in der Vorbereitung umso mehr beweisen und als Stammspieler etablieren. Mit Peter Klimke, dem ehemaligen Bundesligaprofi von Bayer Leverkusen, hatten wir zudem einen neuen Trainer, der ambitionierte Ziele verfolgte und neue Spieler mitbrachte, darunter auch solche mit Oberliga-Erfahrung. Insofern gab es im Team definitiv technisch versiertere Fußballer als mich. Mich aber zeichneten Leistungsbereitschaft und Kampfeswillen aus. Beides musste ich unter Beweis stellen.

Klimke wollte sehen, dass wir die Vorbereitung ernstnahmen. Einmal pro Woche mussten wir zum Wiegen antreten, dazu schleppte er sogar seine private, ziemlich schwere mechanische Waage auf den Platz. Einer nach dem anderen durften wir auf das Original-Badezimmeraccessoire des Ex-Profis treten, der mit einem Block in der Hand die Entwicklung notierte und wenn nötig mahnende Worte sprach.

Da ich ein durchaus ehrgeiziger Sack bin, habe ich im Training alles gegeben. Dass ich nach den ersten beiden Saisonspielen plötzlich Schmerzen in der Leiste spürte, schob ich aufs Training und bat Klimke um eine Pause beim Pokalspiel am Mittwoch. Ich hoffte, am Wochenende wieder fit zu sein. Doch noch in derselben Nacht hatte ich plötzlich vierzig Grad Fieber und Schmerzen im Bauchraum. Mein Vater vermutete eine Blinddarmentzündung, der Hausarzt hielt das am folgenden Morgen ebenfalls für die passende Erklärung und so fand ich mich im Troisdorfer Krankenhaus ein: Bauchdrücken, Fieber, erhöhte Leukozyten – mein Blinddarm sollte wenig später entfernt werden. Nur ein Routineeingriff, sagte man mir, ein paar Tage Ruhe und die Sache wäre erledigt. Ich rief meinen ehemaligen Schlagzeuglehrer und guten Freund Ilja an und er versprach, am Nachmittag vorbeizukommen.

Als er später tatsächlich in meinem Zimmer stand, fand er jedoch nur ein unbenutztes Bett vor. Er fragte die Schwester, wo ich sei. Sie sah ihn besorgt an und wollte wissen: „Sind Sie ein Verwandter?“ – Eine Szene wie aus einer Arztserie, nur ohne den Nachsatz: „Wir konnten leider nichts mehr für ihn tun.“ Tatsächlich hätte aber dafür nicht viel gefehlt.

Als ich wieder zu mir kam, lag ein Schlauch in meiner Nase, der mich mit Sauerstoff versorgte, und in meiner linken Armbeuge steckte ein Zugang, der direkt zum Herzen führte. An das Gefühl erinnere ich mich bis heute. Ich spüre noch genau die Stellen, an denen der Schlauch verlief. Am rechten Zeigefinger hing ein Pulsmessgerät, der Blick unter die Bettdecke ließ außerdem einen Blasenkatheter und ein Kabel in meinem Hintern erkennen, das wohl dazu diente, meine Temperatur zu messen. Komplett verkabelt, heute würde man sagen: Ich war online. Leider gab es noch kein W-Lan.

Warum so viel Aufwand für einen Blinddarm? Einmal unterm Messer wurde er zwar in die ewigen Jagdgründe geschickt, wies aber keinerlei Entzündung auf. Dafür fand man eine Flüssigkeit im Bauchraum, deren Herkunft sich niemand erklären konnte. Nach der OP bin ich dann im Aufwachraum blau angelaufen: Herzinsuffizienz linksseitig.

Nun lag ich also auf der Intensivstation. Mit über vierzig Grad Fieber. Eine Spezialdecke mit Dauerluftzug arbeitete daran, meinen überhitzten Körper wenigstens in die Nähe der Normaltemperatur zu kühlen. Es war die Art von Zudecke, die man sonst benutzte, um stark unterkühlte Lawinenopfer wieder aufzuwärmen. Offensichtlich konnte man sie auch für das Gegenteil einsetzen.

In den kommenden Stunden und Tagen probierte man diverse Antibiotika aus und setzte sie wieder ab, bis schließlich eins Wirkung zeigte. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich in dieser Zeit immer wieder laut fantasiert hätte. Ich kann mich an die Stunden nach der OP nur schemenhaft erinnern, weil ich alles durch meinen Fieberschleier wahrgenommen habe. Ich weiß allerdings noch, wie die Menschen um mich herum sehr hektisch wurden und aufgeregt durcheinandersprachen.

Ohne das passende Antibiotikum hätte ich höchstwahrscheinlich nicht überlebt. Das Fieber ging nun zum Glück runter, aber eine Erklärung für meinen Zustand hatte immer noch niemand. Für die Mediziner war mein Fall ein spannendes Rätsel und das war alles andere als beruhigend. In den kommenden Tagen standen gefühlt sämtliche Ober- und Chefärzte bei mir am Bett und jeder durfte mal tasten, drücken, Blut abnehmen und dabei ernst gucken. Es kam mir vor, als hätte jeder einen Versuch frei. Ich fühlte mich wie ein Versuchskaninchen. Sie alle waren auf der Suche nach der Ursache für meinen Zustand. Und täglich half ich ihnen bei ihrer Spurensuche und beantwortete stets dieselben Fragen, nur dass sie von Vertretern aus unterschiedlichen Fachrichtungen gestellt wurden. Ob Urologe, Orthopäde oder Internist, sie alle hörten interessiert zu, bis jeder einzelne schließlich mit vollen Ampullen in der Hand mein Zimmer wieder verließ.

Ohne das passende Antibiotikum hätte ich höchstwahrscheinlich nicht überlebt.

Besonders schmerzhaft war allerdings die Prozedur mit der sogenannten Beckenmarkstanze. Eine Biopsie, bei der mittels einer langen Hohlnadel Knochenmark aus dem Beckenknochen entnommen wurde. Obwohl ich mit Schmerzmitteln bis oben hin vollgepumpt war, hätte ich am liebsten laut aufgeschrien.

Eigentlich fehlte am Ende nur noch, dass Studenten an mein Bett geführt wurden mit den Worten: „Schauen sie sich diesen interessanten Fall mal an.“ Doch selbst ohne Ärztenachwuchs fanden sich bei mir im Zimmer mehr Zuschauer ein als bei meinen ersten Auftritten bei Geburtstagsfeiern.

Es war zermürbend! Jeden Tag neue Tests, die keine eindeutigen Ergebnisse erbrachten und dazu die andauernden, heftigen Schmerzen. Die Erleichterung darüber, dass mein Fieber nicht mehr lebensbedrohlich war, geriet allmählich in den Hintergrund. Mein Zustand war schließlich nach wie vor schlecht. Jede Bewegung schmerzte und eine Besserung schien nicht in Sicht.

Ich wollte endlich Klarheit, ich wollte die Nachricht hören: „Ja, Sie kommen wieder in Ordnung, Sie stehen bald wieder auf dem Fußballplatz und auf der Bühne.“

Die Stimme ist mein wunder Punkt

Dass mein Körper nicht mehr mitspielen und meine Pläne durchkreuzen könnte, war mir seit zwei Stimmband-OPs in den Jahren 1991 und 1992 durchaus bewusst. Durch viele Auftritte und die Parodien hatte ich meine Stimmbänder überanstrengt und es hatten sich sogenannte Sängerknötchen gebildet. Im Zuge der beiden Operationen wurden sie abgeschält, erst auf der linken, dann auf der rechten Seite. Ein Eingriff, den man nicht unbegrenzt oft wiederholen kann.

Als meine Stimme das erste Mal den Dienst versagte, war ich noch bei der Bundeswehr. Beim zweiten Mal bekam ich meine Heiserkeit bei einem Karnevalsauftritt auf einer Radiositzung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) an Weiberfastnacht nicht mehr richtig in den Griff.

In den beiden Aufklärungsgesprächen wurde ich über die Risiken des Eingriffs informiert, dass bei der Operation meine Stimmbänder schlimmstenfalls dauerhaft beschädigt werden könnten. Was wäre also, wenn ich meinen ersten Satz sprechen würde und mir meine Stimme nicht mehr gehorchte? Dann wäre alles, was ich mir gerade aufgebaut hatte, mit einem Schlag wieder vorbei.

Nach den Eingriffen durfte ich jeweils fünf Tage lang nicht reden, ich habe nur schriftlich kommuniziert und war hochnervös. Ist alles in Ordnung? Ich versuchte, optimistisch zu bleiben und den Gedanken an den in diesem Moment größtmöglichen Albtraum wegzuschieben, aber die Wartezeit war trotzdem schwer auszuhalten. Ich konnte nur abwarten, hoffen und beten.

In meine junge Karnevalskarriere war ich damals voller Elan gestartet. Ich hatte ja keine Ahnung, dass so etwas wie schonendere Sprechtechniken überhaupt existierten. Hinzu kam, dass es damals in den Sälen noch kein Rauchverbot gab. Ich erinnere mich an Wochenenden, an denen ich am Sonntagvormittag – nach sieben Auftritten am Samstag – noch recht heiser auf der Bühne stand und in der ersten Reihe direkt unter mir jemand Zigarre rauchte. Zigarren waren bei Herrensitzungen damals ähnlich angesagt wie heute Smartwatches, die ihre Träger als fitte Leistungssportler auszeichnen sollen. Andere Zeiten, andere Statussymbole. Mit dem kalten Rauch in der Nase und einem Kratzen im Hals kämpfte ich mich durch die zwanzig Minuten meines Programms und freute mich auf die frische Luft draußen.

Abends im Bett fühlte ich mich dann manchmal selbst wie ein starker Raucher. Ich spürte einen Druck auf der Brust, als hätte jemand eine steinerne Gehwegplatte darauf abgelegt. Und das, obwohl ich die erste Zigarette meines Lebens erst im Alter von über vierzig Jahren probiert habe und nach übereinstimmender Meinung meiner Frau und meiner Managerin dabei peinlich aussah.

Bei einer Atem-, Stimm- und Sprechtherapeutin lernte ich nach den beiden Operationen meine Stimme ökonomischer einzusetzen. Seitdem inhaliere ich auch während einer Tournee oder der Session regelmäßig mit Salzwasser und absolviere vor dem ersten Auftritt ein paar Aufwärmübungen für die Stimmbänder. Bis heute ist die Stimme allerdings meine Schwachstelle, wenn ich krank werde, beginnt es immer mit Halsschmerzen und Heiserkeit.

Plötzlich hilflos

Die Stimmbandoperationen hatten mir meine Verletzlichkeit vor Augen geführt, doch dieser Krankenhausaufenthalt war von einer ganz anderen Qualität. Zwar versuchten alle Beteiligten, sich nicht anmerken zu lassen, wie besorgt sie in Wirklichkeit um mich waren, doch da sie keine professionellen Schauspieler waren, blieb mir das nicht verborgen.

Ich war völlig hilflos. Mit gerade mal 25 Jahren war ich auf einmal darauf angewiesen, dass mich Schwestern und Pfleger in meinem Alter oder sogar jünger wuschen. Ich lag da wie ein nasser Lappen, hatte einen Blasenkatheter und obwohl ich mich nicht so schnell geniere, war mit das unendlich peinlich.

Ich arbeitete selbstständig, verdiente mein Geld selbstständig, doch plötzlich war von meiner Selbständigkeit nichts mehr übrig. Mir das einzugestehen, fiel mir zunächst nicht leicht. Hilflos zu sein, widersprach zutiefst dem Bild, das ich von mir selbst hatte. Ich war der „Mann für alle Fälle“ und der Sportler, der vor zwei Wochen noch in der Landesliga gekickt hatte. Wie war ich nur in diese Lage geraten?

Nachts konnte ich kaum schlafen, nicht nur weil sich das Gedankenkarussell im Kopf unaufhörlich drehte. Hinzu kam, dass in meinem Fünfbettzimmer niemals wirklich Ruhe einkehrte. Ein Mitpatient stöhnte fast ununterbrochen, ein anderer riss sich immer wieder die Zugänge aus dem Arm und eines Nachts erlitt wieder ein anderer einen Herzinfarkt. Wäre ich nicht tagsüber in meinen Erschöpfungsschlaf versunken, hätte ich die Zeit nur schwer durchgestanden.

Immer wieder gingen mir quälende Fragen durch den Kopf: Was ist, wenn das alles nie mehr wieder in Ordnung kommt? Wenn du nicht zurück auf die Bühne kommst? Nie wieder Fußball spielen kannst? Wenn die Dinge, die dir am meisten Freude machen in deinem Leben für immer passé sind?

Ich neige nicht zur Schwarzmalerei, aber mein Zustand begann mir Angst zu machen. Ich war ins Krankenhaus gegangen mit der Aussicht, nach einem simplen Routineeingriff unbeschwert in mein altes Leben zurückzukehren, nun aber war mein Leben an sich infrage gestellt. Wollte der liebe Gott mich etwas auf die Probe stellen? Wollte er vielleicht testen, ob diese Krankheit mein Vertrauen in ihn erschüttern könnte? – Nein, das entsprach nicht meinem Gottesbild.

Irgendwann wich meine Verzweiflung und verwandelte sich Schritt für Schritt in Trotz. Da war es auf einmal wieder, dieses: „Guido, du schaffst das schon!“ Und ich weigerte mich, einen Plan B für mein Leben zu entwickeln. Nicht nur für die Zeit im Krankenhaus, sondern auch für danach. Nein, sagte ich mir, wenn ich hier raus und wieder auf die Beine käme, dann würde ich das machen, wofür ich am meisten brannte. Keine faulen Kompromisse oder halbherzigen Versuche, in irgendeinem Beruf zu landen, der nur dazu diente, meine Verwandtschaft zu beruhigen. Ich wollte auf die Bühne und in Zukunft Entertainer sein.

ich weigerte mich, einen Plan B für mein Leben zu entwickeln.

Blicke ich heute auf mein bisheriges Leben zurück, dann hatte sich dieser Wunsch eigentlich schon immer abgezeichnet. Egal ob ich in einer Band Schlagzeug spielte, Hauptrollen im Schultheater übernahm oder bei Familienfeiern die Erwachsenen unterhielt: Ich stand einfach gern im Mittelpunkt und genoss dieses Gefühl, dass andere Spaß an dem haben, was ich tat.

Allerdings hinkte mein körperlicher Zustand meiner inneren Aufbruchstimmung erst mal noch weit hinterher, was folglich wieder meine Ängste schürte, dass ich nicht vollständig genesen könnte. Allein das Aufstehen war immer noch streng verboten. Ich habe dann irgendwann die Schwestern und Pfleger fast angefleht, mich doch wenigstens mit dem Rollstuhl zur Toilette fahren zu lassen, damit ich nicht auch noch die Bettpfanne benötigte. Sie waren so nett, mir das zu ermöglichen, auch wenn das für sie sehr viel mehr Arbeit bedeutete.

Als es mir dann ein bisschen besser ging, hatte ich plötzlich das Bedürfnis, endlich mal wieder ein Getränk mit Geschmack zu genießen. Meine Versorgung mit Flüssigkeit regelte eigentlich der Tropf. Plötzlich bildete ich mir ein, unglaublich Lust auf Apfelsaft zu haben. Ein Pfleger war so nett, mir ein Glas zu besorgen. Ich genoss den Apfelduft in der Nase, er fühlte sich fast an wie ein Spaziergang durch eine Apfelplantage am Bodensee … Und dann der erste Schluck, er beamte mich gedanklich zurück in meine Kindheit. Ich sah mich zu Hause in unserer Küche stehen: Ein kleiner Junge, gerade mal so hoch wie die Platte unseres Küchentischs, der das Glas vorsichtig mit beiden Händen hielt. Dieser Saft schmeckte endlich mal nicht nach Krankenhaus, sondern nach vergangenen Kindertagen, nach Sorglosigkeit und In-den-Tag-hineinleben.

Leider fehlt auf Apfelsaftflaschen der Hinweis auf die Risiken und Nebenwirkungen. Ich hatte kaum Appetit und deswegen auch so gut wie nichts im Magen, doch schon nach kurzer Zeit spürte ich, wie die Fruchtsäure alles in Aufruhr versetzte. Ich hatte eine tickende Apfelzeitbombe im Darmtrakt und war angesichts des nicht zu unterschätzenden Vorlaufs, den es für die Reise benötigte, bis ich endlich auf dem Topf saß, auf Hilfe angewiesen wie bei einem Formel-1-Boxenstopp: Ich brauchte Schmerztropfen, damit meine empfindliche Leiste überhaupt bereit war, das Ganze mitzumachen. Der Thermometerfühler musste aus meinem Hintern entfernt und diverse Infusionen von der Halterung über meinem Bett an einen Infusionsständer mit Rollen umgehängt werden. Zudem benötigte ich Hilfe, um mich in den Rollstuhl zu hieven. Danach rollte ich dann sehr langsam in Richtung Toilette, während mir eine Schwester den Infusionsständer hinterherschob. Wenn ich den gekachelten Raum dann endlich erreicht hatte, wartet noch der Kraftakt, mich vom Stuhl aufs Porzellan umzusetzen, diesen Teil erledigte ich dann wirklich allein, auch wenn mich das kräftemäßig fast an die Grenzen brachte. Wenn ich nach solch einem Toiletten-Ausflug endlich wieder im Bett lag, war ich auch so – ohne den Apfelsaft-Kick –jedes Mal fix und fertig wie Andere nach einem Marathonlauf.

Geistlicher Beistand welcome!

Am Wochenende besuchte dann der Krankenhausseelsorger die Intensivstation. Als ich gefragt wurde, ob er bei mir vorbeischauen solle, war ich sofort einverstanden. Zwar war meine Zeit als Messdiener längst vorbei und regelmäßige Besuche der Gottesdienste waren in diesem Alter auch nicht unbedingt Teil meiner Vorstellung von einem gelungenen Wochenende, doch jetzt, in diesem Moment, als dem Leben, wie ich es kannte, plötzlich der Stecker gezogen worden war, fing ich wieder an zu beten. Ich bat Gott um seine Kraft und Hilfe, damit ich wieder auf die Beine käme. Deswegen freute ich mich auch darauf, hier auf der Station die Heilige Kommunion zu empfangen und kurz mit einem Geistlichen zu sprechen. Ich erwartete zwar nicht, dass der Herr persönlich ihm eine Botschaft für mich mitgeben würde, aber man kann ja nie wissen. Allein das Gefühl, dass der Seelsorger sich Zeit nehmen und vielleicht tröstende Worte finden würde, sorgt bei mir für Vorfreude.

Ich war zwar nicht mehr aktiv in der Gemeinde, aber immer noch gläubig und suchte in dieser Situation wieder die Nähe zu Gott. Denn mir wurde plötzlich bewusst, wie zerbrechlich mein Leben ist. Dass ich eben doch nicht alles im Griff habe, auch wenn ich das bis vor Kurzem noch geglaubt hatte. In den letzten Jahren war ich einfach in dem Vertrauen durchs Leben gegangen, dass alles immer so weitergehen und im Zweifelsfall sogar eher besser werden würde. Schließlich verdiente ich gutes Geld und seit einiger Zeit bekam ich mehr Anfragen, als ich annehmen konnte. Doch jetzt, in dieser Krisensituation, verstummte die große Klappe, die ich auf der Bühne an den Tag legte. Ich war mit einem Mal ungewohnt kleinlaut und demütig.

Ich suchte in dieser Situation wieder die Nähe zu Gott.


In den Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie habe ich oft an meinen Krankenhausaufenthalt zurückgedacht, wenn ich mit meiner Familie in einer Messe saß, in der zu dieser Zeit ja nicht gesungen werden durfte, die uns aber trotzdem in den unsicheren Zeiten ein bisschen mehr Halt gegeben haben.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, was der Krankenhausseelsorger damals im Detail gesagt hat, ich weiß nur, dass mir seine Nähe guttat. Seine Verbindung mit Gott, der Urquelle unserer Lebenskraft, hat ein bisschen auf mich abgestrahlt und das war in diesem Augenblick die Hauptsache.

Dem Klinikpersonal bin ich bis heute unendlich dankbar, die Schwestern haben mir sogar Kassetten von zu Hause mitgebracht, denn Walkman hören war so ziemlich der einzige Zeitvertreib, der mir in der ersten Phase meiner Krankheit möglich war.

Und auch mein guter Freund und Fahrer zu allen Karnevalssitzungen Martin hat mir in dieser Zeit beigestanden und mich aufgemuntert. Er war das einzige Nicht-Familienmitglied, das mich auf der Intensivstation besucht hat. Wie er das geschafft hat? – Er gab sich einfach frech als mein zweiter Bruder aus. Und ich werde seine drei Mitbringsel nie vergessen: eine Flasche Cola, ein Snickers und die aktuelle Ausgabe des Playboy. Ich hätte damals nicht sagen können, nach welchem dieser drei Präsente mir der Sinn am allerwenigsten stand.

Um meine Stimmung zu heben, malten wir uns unseren gemeinsamen Tripp nach Las Vegas aus. Martin hatte bei einer Karnevalssitzung zwei Flüge dorthin gewonnen, im September sollte es losgehen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er einen Arzt zu diesem Zeitpunkt schon nach den Aussichten eines USA-Trips mit mir in diesem Herbst gefragt hatte. Dessen Antwort lautete: „Das können Sie sich gepflegt von der Backe schmieren. Aber sagen Sie es ihm vielleicht nicht unbedingt.“ Während ich also in meinem Intensivbett gedanklich den Las Vegas Strip entlangschlenderte, suchte Martin bereits Ersatz.


Als ich die Intensivstation schließlich verlassen durfte, war ich selbst überrascht über meine Reaktion: Obwohl mich nun ein Einzelzimmer erwartete, heulte ich Rotz und Wasser. Ich hatte das Gefühl, dass ich anderswo unmöglich so gut betreut werden könnte wie von diesem Team, das mir so ans Herz gewachsen war. Möglicherweise trugen auch die Medikamente ihren Teil zu meiner sehr emotionalen Reaktion bei.

Insgesamt dauerte mein Krankenhausaufenthalt noch fast weitere drei Wochen. Ich hatte zehn Kilogramm verloren, das meiste davon Muskelmasse, und brachte nur noch 62 Kilogramm auf die Waage. Meine Oberschenkel waren spindeldürr, sodass ich auf der neuen Station mit der Unterstützung einer Physiotherapeutin und einer Art Rollator erst wieder laufen lernen musste. Ich schlich mit meiner rollenden Stütze über den Gang und freute mich, wenn ich fünfzig Meter schaffte, ohne zwischendurch pausieren zu müssen.

Als ich gerade wieder mal mit dem Gehwagen unterwegs war, besuchte mich mein Freund Olli und zog mich auf: „Du kannst ja gar nichts!“, weil er mich ein bisschen provozieren und motivieren wollte. Ich nahm das allerdings nur gleichgültig zur Kenntnis und absolvierte weiter mein Pensum.

Meine Gesundung ging langsamer voran als ich, es mir erhoffte. Inzwischen war ich aber schon ein Profi-Patient: Wenn mir morgens Blut abgenommen wurde, unterbrach ich nicht mal mehr das Frühstück, sondern kaute weiter mein Brötchen, während sich langsam die Ampulle füllte. Ich freute mich einfach über jeden kleinen Fortschritt. Außerdem durfte ich nun endlich Besuch außerhalb des engsten Familienkreises empfangen. Mein Trainer kam vorbei und versicherte mir, dass das Team an mich denken und ich selbstverständlich wieder spielen würde, sobald ich wieder fit sei. Später besuchten mich auch noch ein paar Spieler und einige Mitglieder unseres eigenen Porzer Karnevalsvereins. Ich hatte endlich Kontakt zu meinem Leben da draußen und wollte es so schnell wie irgendwie möglich wieder aufnehmen.

Mein Entschluss, jetzt alles auf die Entertainer-Karriere zu setzen, wurde dadurch noch einmal bestärkt. Ich nahm mir einen Block und einen Stift und begann an meiner Nummer für die Karnevalssession 1997 zu schreiben.

Ich war hochmotiviert und sagte mir: „Jetzt erst recht, jetzt greifst du an! All das hier war ein Zeichen, dass du eine Entscheidung treffen sollst. Und jetzt gib Gas und mach was draus!“

Kurz vor meiner Entlassung wurde ich dann zu einem Nuklearmediziner nach Siegburg zur Knochenmarkszintigraphie gefahren. Als ich ihm meine Bilder in die Hand drückte, reichte ihm ein kurzer Blick und er war sich seiner Sache sofort sicher: „Sagen Sie nichts, ich gebe einen Tipp ab. Sie spielen Fußball, mindestens drei- bis viermal in der Woche. Sie haben eine Arthritis im Schambein, typische Fußballerkrankheit durch Überbeanspruchung.“

Nun hatte ich immerhin eine Teilantwort, was genau mich allerdings in diese ungünstige Gesamtlage gebracht hatte, blieb weiterhin unklar. Da Dr. House erst acht Jahre später seine Arbeit aufnahm, ist die verlässliche Differentialdiagnose nie erstellt worden. Letztlich sieht es so aus, als habe mein vom Dauerfalldurchfall geschwächter Kreislauf unter dem Einfluss der Vollnarkose endgültig kapituliert und die Arthritis im Schambein ihren Teil zu den Schmerzen beigesteuert.

Am Abend meiner Entlassung feierte ein Freund von mir Geburtstag. Die Party war keine vierhundert Meter vom Haus meiner Eltern entfernt, also beschloss ich, kurz vorbeizugucken. Es war das Jahr 1996, alle haben noch geraucht und der „blaue Dunst“, wie er damals noch in den Anti-Raucher-Kampagnen genannt wurde, hat mich massiv gestört – auch wenn es damals noch uncool gewesen wäre, das laut auszusprechen. Ich schnappte mir ein Radler, ein Getränk, das sonst nicht meine erste Wahl wäre, und sah mich im Raum um. Zu viele Menschen, zu dicht gedrängt und viel zu laut. Als hätte ich die letzten Jahre als Eremit in einer Höhle verbracht und wäre schlagartig in eine überfüllte Fußgängerzone gebeamt worden. Ich war völlig überfordert und noch nicht in der Lage, mit so viel Input umzugehen. Nach noch nicht mal einer Viertelstunde habe ich mich heimlich wieder verdrückt.


An der Arthritis habe ich noch einige Monate laboriert und fühlte mich insgesamt schwach. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis ich wieder auf dem Fußballplatz stand. Doch diese erzwungene Auszeit hat mich schlussendlich auf den Weg geführt, den ich seitdem verfolge.

Vielleicht war diese Pause wirklich kein Zufall. Ich neige generell nicht dazu, an Zufälle zu glauben. Ich bin überzeugt, dass jeder von uns im Leben eine Aufgabe hat und dass meine darin besteht, andere Menschen zu unterhalten. 1996 war ich mir sicher, dass ich von nun an den Tag meiner Entlassung aus dem Krankenhaus wie einen zweiten Geburtstag feiern würde. Doch das geriet überraschend schnell in Vergessenheit.

Jeder von uns im Leben hat eine Aufgabe

Heute könnte ich noch nicht einmal mehr das Datum benennen. Doch heute stelle ich auch fest: 25 Jahre später stehe ich wieder an einem Wendepunkt. Zwar ist das Ganze nicht lebensbedrohlich, aber meine Zukunft liegt auch dieses Mal im Ungewissen. Nur dass ich diese Ungewissheit selbst gewählt habe.

In dieser Situation hilft mir die Erfahrung von damals, dass ich nicht allein die Fäden in der Hand halten muss, sondern dass jemand auf mich aufpasst. Das hat etwas ungemein Befreiendes.

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