Kitabı oku: «Bauchgefühl & Gottvertrauen», sayfa 4
5. Meine Ochsentour beginnt
Im Anschluss an den Vorstellabend in Köln wurde ich hochgejubelt. Plötzlich galt ich als der neue Shootingstar im Kölner Karneval. Gefühlt jeder, der auch nur eine winzige Lücke in einer seiner Sitzungen entdeckte, wollte mich nun noch schnell engagieren. Für 85 Auftritte wurde ich gebucht; für einen Anfänger ist das eine echte Sensation. Um das mal einzuordnen für die wenigen Menschen, die nicht mit den Dimensionen des Karnevals im Rheinland und der Anzahl seiner Veranstaltungen vertraut sind: In meiner Rekordsession, in der ich definitiv zu weit über meine Belastungsgrenze hinausgegangen bin, waren es insgesamt 307 unterschiedliche Sitzungen, die ich mit meinem ca. 25- bis 30-minütigen Programm bereichert habe. Heute trete ich ungefähr 200-mal in der Zeit von Anfang Januar bis Aschermittwoch auf.
85 Auftritte waren also ein beachtlicher Start und natürlich erfüllte es mich mit einem gewissen Stolz, dass man sich so um mich riss. Doch das böse Erwachen ließ nicht lange auf sich warten. Denn natürlich bekam ich auch Auftrittspositionen, die für einen im Karnevalsgeschäft noch unerfahrenen 20-Jährigen wirklich undankbar waren. Spätabends, wenn das Publikum schon seit mehr als vier Stunden sitzt, einen Saal noch mal hochzureißen, ist selbst für Profis ein Knochenjob.
Spätabends, einen Saal hochzureißen, ist ein Knochenjob.
Ein bekannter Name hilft einem durchaus dabei, spätabends zumindest zu Beginn die nötige Aufmerksamkeit zu erhalten. Trotzdem muss man natürlich liefern. Aber die Leute unterbrechen zunächst mal ihre Gespräche, weil sie denken: „Der hat bestimmt was zu sagen, da höre ich jetzt zu.“ Kommt dann in den ersten dreißig Sekunden nichts, was sie zum Lachen bringt, sagen sie vielleicht halblaut „Na ja, der war früher auch schon mal besser“ und warten noch ein bis zwei Minuten ab, ehe sie sich wieder ihren Nachbarn zuwenden.
Wenn aber kurz vor Programmende ein No-Name wie „Der Mann für alle Fälle“ auf die Bühne tritt, ein junger 20-jähriger Typ, den keiner kennt, mit roten Haaren und einem Tennisschläger in der Hand, der anfängt Boris Becker zu imitieren, werfen sie vielleicht nur einen einzigen kurzen Blick in Richtung Bühne und unterhalten sich direkt weiter.
Rote Haare – das ist übrigens kein Druckfehler! Das ist meine natürliche Haarfarbe, auch wenn ich sie selbst schon länger nicht mehr gesehen habe und sie inzwischen unter meinem regelmäßig nachgefärbten blond wahrscheinlich komplett ergraut ist.
Nach der Session bin ich früher regelmäßig mit Freunden in den Ski-Urlaub gefahren. Freundlicherweise haben die anderen immer extra bis Aschermittwoch auf mich gewartet. 1997 kam die Idee auf, dass wir uns vor dem Trip doch alle die Haare blond färben könnten. Auf dem Höhepunkt der Boygroup-Mania sind wir deshalb als die „Blondstreet Boys“ aus Köln in Tirol aufgeschlagen. Während die anderen ihre Erblondung hinterher wieder rauswachsen ließen, standen bei mir bald darauf die ersten Fernsehauftritte an. Selbst wenn sich die Zuschauerinnen und Zuschauer meinen Namen nicht gemerkt hatten, erinnerten sich doch viele an „diesen Blonden mit dem Porz-T-Shirt“. Auf einmal hatte ich ein Markenzeichen, das dafür sorgte, dass man sich an mich erinnerte. Und dass sich die Treue zum Blondschopf auch noch anderweitig lohnt, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet: Ich bin heute ein Anwärter auf die goldene Ehrennadel der deutschen Haarfärbemittel-Industrie für 25 Jahre Marken- und Produkttreue. Neben HP Baxter und Heino natürlich. Wer hätte das damals im Ski-Urlaub gedacht?
Zwischen Jubel und Niederlagen
In meiner erst Session schimmerte mein Haupthaar allerdings noch rötlich und mit meinem Ohrring sowie den Blousons, die ich gern trug, orientierte sich mein Äußeres an dem Duo „Bros“, das mit Hits wie „When will I be famous“ auf sich aufmerksam gemacht hatte. Vielleicht brachte mich unbewusst meine eigene Suche nach Berühmtheit auf die Spur dieses Brüderpaares, musikalisch spricht aus meiner heutigen Sicht wenig für diese Vorliebe. Der scheppernde Plastikpop klingt inzwischen ausgesprochen dünn und entfaltet noch nicht mal mehr Retro-Charme, sondern wirft eher die Frage auf, ob die Kopfhörer vielleicht kaputt sind.
Ruhm wollte sich mit einem solchen Outfit nicht einstellen. Im Gegenteil, ich bin zum Start ein paarmal richtig vor die Wand gelaufen. Und ich hatte zahlreiche Auftritte, nach denen ich gedacht habe: „Verdammt noch mal, warum hat das eigentlich nicht funktioniert?“
Ich musste noch lernen, Reaktionen richtig einzuschätzen und nach und nach erkennen, dass es Konstellationen gibt, die für einen Redner wirklich ungünstig sind. Das Gute war, dass ich gar nicht die Zeit hatte, um mich von einem missglückten Auftritt demoralisieren zu lassen. Meistens wartete kurz darauf schon der nächste. Und da ich schon an anderer Stelle erlebt hatte, dass ich das Publikum mitreißen konnte, reichte mein Selbstbewusstsein aus, um nach einer Niederlage nicht am Boden zu bleiben. Schließlich waren die vielen Hundert Menschen, die mir bei den Vorstellabenden zugejubelt hatten, weder allesamt Freunde noch Verwandte gewesen, das führte ich mir in diesen Augenblicken vor Augen. Ich analysierte nüchtern die Faktoren, die jedes Mal anders waren und zog daraus meine Schlüsse.
Mittlerweile, nach dreißig Jahren im Karneval und sonstigen Festivitäten aller Art, habe ich die möglichen Fallstricke natürlich verinnerlicht. Ich kenne die unter schiedlichsten Auftrittsorte, Zeiten und örtlichen Gegebenheiten und stelle mich auf sie ein.
Nach dreißig Jahren im Karneval habe ich die Fallstricke verinnerlicht.
Ich bin nicht verwöhnt
Wie selbstverständlich auch widrige Auftrittsumstände für mich sind, wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, als mich mein Kollege Eckart von Hirschhausen mal einen Abend lang begleitete. Im Jahr 2000 absolvierten wir in Köln gemeinsam mit vielen anderen Kollegen die Sommerakademie der von RTL initiierten Köln-Comedy-Schule. Ein zehntägiges Comedyseminar, das sich explizit an Menschen mit viel Bühnenerfahrung richtete. Wir haben uns damals mit Impro-Comedy aufs Glatteis begeben und hatten ein Showcase vor Fernsehleuten. Darunter befanden sich sogar mehrere Unterhaltungschefs großer Fernsehsender, bei denen keiner von uns das gemacht hat, was er aus dem Effeff kann. Alle mussten wirklich komplett unvorbereitet improvisieren.
Diese Tage waren spannend, anstrengend und sehr lehrreich. Für Eckart brachte aber auch das Freizeitprogramm eine ganze besondere Erfahrung mit sich, nämlich den Eintritt in eine neue Welt. Es war der Samstag, wir hatten unsere Stunden absolviert, Sonntag war Seminarpause und Eckart hatte sich entschieden, in Köln zu bleiben. Als ich ihm erzählte, dass ich abends noch drei Auftritte hatte, wollte er mich gerne dahin begleiten.
Wir fuhren also zu einem Festzelt irgendwo im Westerwald. Als wir dort ankamen, war Eckart entsetzt: „Wie? Hier ist doch totales Chaos im Zelt, es ist ganz schlecht beleuchtet und die Tonanlage ist auch nicht besonders. Gehst du hier jetzt ernsthaft auf die Bühne?“
Natürlich ging ich auf die Bühne, das ist schließlich mein Job. Ich absolvierte meine 25 Minuten Programm und es lief richtig gut. Was sollte mir auch passieren? Für alle Fälle hatte ich ja einen Arzt dabei.
Die nächste Station war ein bisschen weniger chaotisch oder wirkte zumindest so, weil wir uns nun in einem Saal befanden und nicht mehr im wackeligen Zelt. Aber auch hier verharrte niemand in ehrfürchtigem Schweigen, weil er den großen Cantz seit Stunden so sehnsüchtig erwartet hatte, um dann mit dem Erscheinen des Maestros endlich erlöst zu werden. Ein Auftritt im Rahmen eines Sommerfestes oder einer Vereinsfeier ist kein Soloprogramm, bei dem Fans Tickets speziell wegen einer Person kaufen.
Die Haltung ist in etwa so, wie sie die Band Nirvana in ihrem Klassiker „Smells like Teen Spirit“ beschreibt: „Here we are now, entertain us!“
Eckart jedenfalls war inzwischen so fasziniert davon, dass er selbst auch ein bisschen in diese Welt eintauchen wollte. So kam es, dass er beim dritten Auftritt mit auf die Bühne kam und Zaubertricks vorführte.
An diesem Abend wurde mir jedenfalls klar, dass ich, was Ansprüche betrifft, um einen Saal zu unterhalten, wirklich überhaupt nicht verwöhnt bin. Und schon bald musste ich feststellen, auch nicht von der Kritik. So schrieb die BILD-Zeitung über meine zweite Session: „,Mann für alle Fälle‘: schade, Guido Cantz, Chance vertan. Der Mann für alle Fälle öffnet eine bunte Wundertüte, ein bisschen Politik, ein Trabi-Witzchen, ein paar Schweinigeleien, alles lieb und nett, aber irgendwie fehlt der Brüller. Noch ein weiter Weg zur Spitze.“4
Mit zwei von fünf möglichen Narrenkappen wurde meine Leistung dann auch entsprechend benotet. Diese Kritik hing tatsächlich sehr lang an meinem Bildschirm, ich kann gar nicht genau beantworten, warum. War es gelebter Masochismus oder sollte sie mich motivieren? Jedenfalls war dieses vergilbte Stück lange Zeit ein treuer Begleiter in so mancher Stunde vor dem Computer, während ich an neuen Programmen feilte.
Rückschlag als Motivationshilfe
Die folgende Session begann mit einer krachenden Niederlage. Im Kolpinghaus in Köln-Ehrenfeld veranstaltete mein Stammtisch Kölner Karnevalisten einen internen Redner-Vorentscheid, um die Teilnehmer des nahenden Vorstellabends zu ermitteln. Es gab wie immer mehr Bewerber als Auftrittsmöglichkeiten, deshalb musste eine Jury entscheiden, wer die begehrten Plätze bekam. Ich gehörte nicht dazu, man sagte mir: „Dieses Mal hat es leider nicht gereicht, du hast zu wenig Neues im Programm!“
Das war eine schallende Ohrfeige, die mich kalt erwischte. Ich fragte mich, wie das denn überhaupt ging, ein neues Programm aus dem Boden zu stampfen. Vieles von dem, was ich zu diesem Zeitpunkt auf die Bühne brachte, hatte sich schließlich über Jahre entwickelt.
Für mich war dieser Rückschlag ein Ansporn, beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder dabei zu sein. Manchmal brauche ich einen Tritt in den Hintern, der dann ungeahnte Kräfte freisetzt.
Ich glaube, in solchen Momenten hilft mir meine Erfahrung vom Fußballplatz. Mit meinen Mannschaften bin ich insgesamt dreimal auf- und dreimal abgestiegen. Ich war also schon vertraut mit Erfolgen wie Negativserien und wusste, dass es mich niemals weiterbringen würde, das Schicksal zu beklagen. Das Schlüsselwort lautete vielmehr: Training. Ich musste also außerhalb des Karnevals trainieren. So einfach und gleichzeitig schwierig war das.
Ich fing folglich an, Material zu sammeln, Ideen aufzuschreiben, Witze zu notieren und traf mich dann auch zweimal mit einem erfolgreichen Karnevalsredner, um mir von ihm Tipps und weiteren Input abzuholen. Letzten Endes bestätigte er mich nur in dem, was ich jetzt ohnehin schon tat: Ich hielt die Augen offen und scannte meine Umgebung nach Gag-Potenzial.
Pointen konnten überall lauern: in Schlagzeilen, Werbespots, Fernsehsendungen, Alltagssituationen, Gesprächsfetzen, die man im Bus aufschnappte. Man musste sie nur zuspitzen und dann überprüfen, ob die Pointen auch wirklich gut waren. Dabei half mir, dass ich nun so gut wie jedes Wochenende bei unterschiedlichsten Gelegenheiten vor Publikum aufgetreten bin. Mein heutiger Geschäftspartner und Kompagnon Horst betrieb damals eine Agentur namens „Glückwunsch Office“, die unterschiedliche Gratulationen für Geburtstage, Firmenjubiläen, Silberne Hochzeiten etc. anbot. Er selbst war als glücksbringender Schornsteinfeger im Einsatz, ich war als Stimmenimitator für die Gratulationen durch einen Prominenten zuständig.
Auftreten, auftreten, auftreten
Für 390 D-Mark ließ ich Boris Becker, Helmut Kohl oder Otto auf die Geburtstagskinder los. 140 D-Mark bekam die Agentur, den Rest ich. Die Show dauert ungefähr zwanzig Minuten und der Preis war auch für Privatleute erschwinglich, die sich mal etwas Besonderes für einen speziellen Anlass gönnen wollten. Das Angebot wurde entsprechend gut angenommen.
Mir gaben diese Auftritte Gelegenheit, neue Ideen und Gags zu testen und die besten davon auf meine Liste für den kommenden Karneval aufzunehmen.
Ich spielte wirklich überall: in Vereinsheimen, in Kneipen, auf Tennisplätzen, Kegelbahnen, bei Privatleuten im Garten. Der Rahmen war so unterschiedlich wie die Anzahl der zu bespaßenden Personen. Einmal allerdings kam mir die Kulisse besonders kümmerlich vor.
Ich hatte kurzfristig einen Auftritt in der Eifel reinbekommen, irgendwo im Nirgendwo. Ich war dahin zeitig aufgebrochen, um vor Ort nicht in Hektik zu geraten. Trotzdem stürzte mir schon, als ich das Auto parkte, eine Frau ganz aufgeregt entgegen und fuhr mich vorwurfsvoll an: „Ja, da sind Sie ja endlich! Wo bleiben Sie denn die ganze Zeit?“
Ich war verdattert und überzeugt, deutlich zu früh da zu sein. „Nein, Sie sind zu spät, die Gäste sind alle weg, aber jetzt kommen Sie erst mal rein!“ Ich betrat einen Raum, in dem sich außer mir nur noch die besagte Dame, ihr Sohn und ihr Mann befanden. Der Ehemann kam mir seltsamerweise bekannt vor, aber er bestritt es vehement, mich zu kennen, und forderte mich auf, endlich anzufangen. Ich schlug vor, das Ganze auch lassen zu können, wenn die Gäste ohnehin schon gegangen waren. Seltsamerweise bestand er aber auf meinen Auftritt.
Ich spielte also vor nur drei Zuschauern, die von Anfang an nicht wirkten, als seien sei bei der Sache, was letztlich weder angenehm noch weiter schlimm war. Plötzlich begannen sie allerdings, wild miteinander zu streiten. Die Frau blaffte ihren Mann an: „Trink nicht so viel!“ Der protestierte: „Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kram, wenn du nicht so eine furchtbare Spaßbremse wärst, wären die Gäste noch da!“ Nach einer Weile schaltete sich der Sohn ein, der sich nach eigenen Angaben schon immer andere Eltern gewünscht hatte. Die nächste Eskalationsstufe zu einem noch lauteren Familienzwist schien unmittelbar bevorzustehen …
Trotzdem habe ich es irgendwie geschafft, die Lage zu beruhigen, indem ich mein Programm einfach durchzog. Als ich fertig war, gaben sich die streitlustigen Herrschaften als Darsteller der ZDF-Sendung „Chiffre“ zu erkennen. In diesem Format spürte die Moderatorin Geschichten hinter Kleinanzeigen nach und hatte es in dieser Folge auf Leute abgesehen, die man buchen konnte, um andere zu belustigen. Neben mir hatte man für die besagte Ausgabe noch einen Zauberkünstler, eine Bauchtänzerin und andere Kollegen in die Kamerafalle gelockt.
Hinter einem roten Vorhang entdeckte ich dann auch die für heutige Verhältnisse gar nicht mal so gut getarnte Linse. Wer hätte das gedacht! Mein erster Kontakt mit der versteckten Kamera. Nur heutzutage hätten wir mit zwanzig fast unsichtbaren Mini-Kameras jeden Winkel dieses Raums filmen können. Und plötzlich war mir auch klar, woher ich den Vater-Darsteller kannte. Ich hatte ihn tatsächlich schon mal in einem Film im WDR-Verbrauchermagazin „Markt“ gesehen. Das bestätigte er mir jetzt.
Im Nachhinein war ich selbst erstaunt über mich, dass ich so unbeirrt weitergemacht hatte, obwohl diese Familie gerade komplett aus dem Ruder lief, bis an die Grenze der Peinlichkeit und darüber hinaus. Wahrscheinlich erschien mir diese ganze Situation so absurd, dass mein System einfach auf Autopilot umgeschaltet hat.
All die vielen unterschiedlichen Auftritte haben sich in jedem Fall auf mein Routinekonto eingezahlt. Eine harte Schule, die ich nicht missen möchte. Jede einzelne Buchung war ein Sprung ins kalte Wasser. Ich wusste vorher weder, ob es vor Ort ein Mikrofon geben würde (Ich mach’s auch ohne Mikro), geschweige denn eine Bühne. Ich musste deshalb zwangsläufig lernen, mich in jeder Situation bemerkbar zu machen und ein sehr unterschiedliches Publikum bei der Stange zu halten.
Zu den Auftritten, an denen ich nur wachsen konnte, zählten die sogenannten Sparauszahlungen in Kölner Kneipen. Eine Tradition, die man vor allem im Rheinland und im Ruhrgebiet kennt. Die Stammgäste zahlen einmal in der Woche, meistens am Freitag, etwa zehn Euro ein, damals natürlich noch zehn D-Mark, jeder hat ein Sparkästchen mit eigener Nummer. Das Geld wird auf einem Konto deponiert und genau Buch darüber geführt, wie viel jeder Einzelne angespart hat. Gegen Ende des Jahres, im November oder Dezember findet dann die Sparauszahlung statt. Von der Gesamtsumme wird ein gewisser Prozentsatz für die Party abgezweigt. Man gönnt sich ein kleines Buffet, einen DJ oder Alleinunterhalter und manchmal eben auch einen Komiker. An dieser Stelle kam ich dann häufig zum Einsatz.
In meiner Kindheit gab es noch den Weltspartag, ein Ereignis, dem wir damals tagelang entgegenfieberten. Wir stolzen kleinen Besitzer eines Sparbuchs fanden uns an diesem Tag in unserer Stammfiliale ein und bekamen Malbücher, Buntstifte, Luftballons oder – ganz uneigennützig von der jeweiligen Bank – ein neues Sparschwein geschenkt. Unausgesprochen stand dann nämlich sofort im Raum: „Wenn du hier nächstes Jahr auch wieder was bekommen willst, musst du es schön fleißig füttern.“ Erst mal überwog jedoch die Freude über die Präsente.
Sparauszahlungen sind sozusagen die Erwachsenenvariante des Events aus unserer Jugend. Sie finden allerdings abends statt und anstelle von Buntstiften steht Bier im Vordergrund. Es gibt leichtere Aufgaben als an einem Freitagabend um 23:45 Uhr in einer Kneipe in Köln-Ehrenfeld zu stehen und Menschen, denen nicht ausschließlich die Freude über ihr plötzlich dickeres Portemonnaie die Zunge schwerer werden ließ, zwanzig Minuten lang mit Scherzen und Parodien zu unterhalten. Wenn ich Glück hatte, gab es einen DJ oder Sänger mit Keyboard, dessen Mikrofon ich mitbenutzen konnte, darauf verlassen konnte man sich allerdings nicht.
Einmal war dummerweise das Mikrofonkabel so kurz, dass ich nur hinter der Theke auftreten konnte. Bei meiner Körpergröße kam ich mir vor wie ein Hobbit, der bei Aldi in Mittelerde versucht, über das Kassenband zu gucken.
Wenn es mir aber tatsächlich gelang, vor dem Tresen volle Aufmerksamkeit und laute Lacher zu generieren, dann erfüllte mich das damals mit einer Befriedigung, die womöglich nicht wesentlich kleiner ausfiel als die, die heute mein Kollege Mario Barth bei seinen Stadionweltrekorden empfindet.
Häufiger übernahm ich nun auch Moderationsjobs, die für mich sehr lehrreich waren, zum Beispiel Rheinische Abende bei Schützenvereinen oder eine Feier der IG Bergbau Chemie im Ruhrgebiet. Zwischen meinen einzelnen Parts nutzte ich stets die Gelegenheit, mir die auftretenden Künstler genau anzusehen.
Wie interagierten sie mit dem Publikum? Wo setzten sie beim Sprechen Pausen? Welchen todsicheren Gag brachten sie wahrscheinlich immer? Hinter den Kulissen nutzte ich dann auch die Chance, ihnen Fragen zu stellen. So gaben mir zwei Schotten, die damals viel in Deutschland auftraten, die „Ward Brothers“, beispielsweise Tipps, wie ich beim Servieren meiner Pointen mein Timing verbessern konnte. So entwickelte ich immer mehr Routine darin, vor ganz unterschiedlichen Zielgruppen zu stehen und sie bestmöglich zu unterhalten.
Meine Enttäuschung darüber, dass ich 1993 nicht zum Vorstellabend eingeladen wurde, trieb mich dazu an, mich weiterzuentwickeln. Und das durchaus mit Erfolg, wie ich dem Presse-Echo zu meinen Karnevalsauftritten ein Jahr später entnehmen kann. In Berichten über die ersten Veranstaltungen, durfte ich mir Passagen anstreichen, in denen es hieß: „Wie man es besser macht, bewiesen in der Abteilung Nachwuchs – Guido Cantz als Mann für alle Fälle.“
In einer anderen Zeitung las ich: „Wieder in Form zeigte sich der ‚Mann für alle Fälle‘ Guido Cantz. Er nahm besonders die Unterhaltungssendungen aufs Korn in bester Form …“ Was auch immer das heißt.
Ich habe diese Ausschnitte nicht umsonst aufgehoben, denn der Stammtisch Kölner Karnevalisten hatte mein Programm nur mit „durchschnittlich“ bewertet – auf der Skala von „überragend“ und „stark“ bis „schwach“ die zweitschlechteste Note.
Ein Jahr später erhielt ich dann meine bis dahin beste Bewertung: 5 von 5 Narrenkappen in der BILD-Zeitung. „Guido Cantz, der Mann für alle Fälle kriegt doch noch die Kurve. Sicher, die Themen kennt man schon, FC, Mallorca, Berti Vogts, aber er trampelt auf deinem Zwerchfell herum. Du kannst dich gegen ihn nicht wehren. Der Durchbruch.“5
Als Nachwuchskünstler galt ich selbstverständlich immer noch. Das lag vermutlich daran, dass ich mit Anfang zwanzig unter den Rednern auf den großen Bühnen altersmäßig deutlich herausstach. Der Nächstältere war Bernd Stelter mit Anfang dreißig alle anderen zählten zur Altersgruppe vierzig plus. Unabhängig davon gilt auch heute noch im Kölner Karneval die Faustregel: Zehn Jahre lang der Kategorie „Nachwuchs“ zugerechnet zu werden, ist völlig normal.
Als ich 1991 nach dem Vorstellabend im Sartory so unglaublich gefeiert wurde und mir gefühlt jeder auf die Schulter klopfte, blaffte mich plötzlich einer der sehr erfahrenen Bühnenkollegen von der Seite an: „Damit eines mal klar ist, hier in Köln wirst du als Redner erst mit vierzig ernst genommen, das kannst du vergessen!“ Ich war erst mal baff und kurz sprachlos, dann entgegnete ich nur: „So lange kann ich aber nicht warten.“
Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Das jecke Entertainment ist auch ein ganz normales Business, in dem manche eben Angst vor potenzieller Konkurrenz haben. Im besagten Fall womöglich auch zu Recht.
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