Kitabı oku: «Strafrecht Besonderer Teil», sayfa 15

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1. Schlägerei (§ 231 Abs. 1 1. Alt.)

4

Eine Schlägerei liegt vor, wenn an einer mit gegenseitigen Körperverletzungen verbundenen Auseinandersetzung gleichzeitig mehr als zwei Personen aktiv mitwirken.[6]

5

Für das Merkmal der Schlägerei ist es ohne Bedeutung, ob sich ein Beteiligter rechtmäßig verhält, sich z.B. nur im Rahmen seines Notwehrrechts (§ 32) gegen zwei Angreifer wehrt, oder handelt, ohne dass gegen ihn ein Schuldvorwurf erhoben werden kann (vgl. aber Rn. 11). Allerdings genügt es nicht, wenn sich der Angegriffene auf bloße Schutzwehr beschränkt, weil es dann an gegenseitigen Körperverletzungen fehlt.[7]

Beispiel:

A und B schlagen auf C ein. Dieser hält lediglich seine Aktentasche schützend vor sich.[8] – § 231 Abs. 1 ist nicht erfüllt, jedoch § 224 Abs. 1 Nr. 5 (vgl. § 6 Rn. 31).

6

Die Tathandlung besteht in der Beteiligung an der Schlägerei. Beteiligung ist untechnisch zu verstehen, also nicht i.S. von Täterschaft und Teilnahme (vgl. § 28 Abs. 2).[9] Daher genügt jede physische oder psychische Mitwirkung an der körperlichen Auseinandersetzung in feindseliger Weise.[10]

Beachte:

Beteiligt sein kann nur, wer am Tatort anwesend ist. Abwesende können nur Teilnehmer gemäß den §§ 26 und 27 sein (vgl. Rn. 17).

7

Die Mitwirkung braucht nach h.M. nicht in einem Mitschlagen zu bestehen.[11] Ausreichend ist jede aktive Anteilnahme am Fortgang der Auseinandersetzung, etwa durch Anfeuern oder Reichen von Tatmitteln (z.B. Steine, Messer). Wer dagegen lediglich zu schlichten versucht („Abwiegler“) oder Erste Hilfe leistet, handelt nicht in feindseliger Weise und beteiligt sich aus diesem Grund nicht an der Schlägerei.[12]

2. Von mehreren verübter Angriff (§ 231 Abs. 1 2. Alt.)

8

Als zweite Alternative sieht § 231 Abs. 1 den von mehreren verübten Angriff vor.

Merke:

Darunter ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielende Einwirkung von mindestens zwei Personen zu verstehen.[13]

9

Dafür genügt es nicht, dass zwei Personen sich lediglich gemeinsam gegen den Angriff eines Einzelnen wehren. Da der Angriff nur auf den Körper des Angegriffenen abzielen muss, ist es für seinen Beginn nicht erforderlich, dass es bereits zu Gewalttätigkeiten gekommen ist.[14] Ausreichend kann schon die Verfolgung des Opfers sein.[15]

10

Die Tathandlung besteht auch bei der zweiten Tatbestandsalternative in der Beteiligung. Das zum § 231 Abs. 1 1. Alt. Ausgeführte gilt daher entsprechend (vgl. Rn. 6 f.). Zu ergänzen ist, dass die Angreifer nicht unbedingt mittäterschaftlich zu handeln brauchen, aber – im Unterschied zur Schlägerei, bei der eine Parteibildung nicht stattfinden muss – dergestalt zusammenwirken müssen, dass eine Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstands und des Angriffswillens besteht.[16]

3. Vorwerfbarkeit der Beteiligung (§ 231 Abs. 2)

11

§ 231 Abs. 2 regelt, dass nach Absatz 1 nicht strafbar ist, „wer an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist“. Ein derartiger Vorwurf kann dann nicht erhoben werden, wenn zugunsten eines Beteiligten ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund eingreift, und zwar für die gesamte Zeit seiner Beteiligung.[17]

Beachte:

Ist die Beteiligung nicht insgesamt durch einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund gedeckt, sondern nur eine Teilhandlung, die einen weiteren Tatbestand erfüllt, so ist nur die Verwirklichung dieses Tatbestands gerechtfertigt oder entschuldigt.

Beispiel:

A beteiligt sich grundlos an einer Massenschlägerei. In deren Verlauf greift B ihn mit einem Messer an. Um sich zu verteidigen, schlägt A seinerseits dem B einen Stein auf den Kopf. – Die gefährliche Körperverletzung gegen B (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, vgl. § 6 Rn. 18 ff. und 31) ist durch Notwehr (§ 32) gerechtfertigt. Dies ändert an der Strafbarkeit nach § 231 Abs. 1 jedoch nichts.[18]

Vertiefungs- und Aufbauhinweis:

Während über die Kriterien für die Frage der Vorwerfbarkeit der Beteiligung grundsätzlich Einigkeit besteht, ist die dogmatische Einordnung des § 231 Abs. 2 umstritten. Eine Meinung sieht in der Regelung allein einen Hinweis des Gesetzgebers auf das mögliche Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen.[19] Nach anderer Auffassung schränkt § 231 Abs. 2 die Tatbestände des § 231 Abs. 1 ein. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe wirken demnach ausnahmsweise bereits tatbestandsausschließend.[20]

Die zweite Ansicht ist vorzugswürdig. Nach ihr enthält § 231 Abs. 2 nicht nur den Hinweis auf eine Selbstverständlichkeit, sondern sie misst der Vorschrift eine eigenständige, wenn auch ungewöhnliche Bedeutung zu. Sie ist auch mit dem Wortlaut der Norm zwanglos in Einklang zu bringen. Denn dieser verbindet die Vorwerfbarkeit sprachlich eindeutig mit der Beteiligung, knüpft also inhaltlich unmittelbar an die tatbestandliche Handlung an.[21]

Wer der hier vertretenen Ansicht folgt, muss bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte § 231 Abs. 2 im Anschluss an den objektiven Tatbestand des § 231 Abs. 1 erörtern. Anderenfalls werden die in Betracht kommenden Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründe an üblicher Stelle geprüft. Einer Diskussion der dogmatischen Einordnung des § 231 Abs. 2 bedarf es jedoch bei der Lösung einer Aufgabe regelmäßig nicht.

II. Subjektiver Tatbestand

12

Die Merkmale des objektiven Tatbestands – einschließlich der für die Vorwerfbarkeit relevanten Umstände – müssen vorsätzlich verwirklicht werden.[22] Zu diesen gehört die objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht (vgl. Rn. 15). Dementsprechend sind darauf bezogene Irrtümer für die Strafbarkeit ohne Belang.[23]

III. Objektive Bedingung der Strafbarkeit

13

Die Beteiligung an einer Schlägerei ist stets verboten. Strafbar ist sie aber nur, „wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist“.[24] Bei dieser Voraussetzung handelt es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit.[25] Die insoweit erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken[26] sind nicht stichhaltig.

Merke:

Erforderlich ist insoweit nur die Kausalität zwischen der Schlägerei oder dem Angriff mehrerer einerseits und der schweren Folge andererseits.[27]

14

Ist sie gegeben, kann ein Beteiligter auch dann bestraft werden, wenn sich nicht klären lässt, ob gerade sein Verhalten den Tod oder die schwere Körperverletzung verursacht hat, oder wenn dies sogar ausgeschlossen werden kann.[28]

Beispiel:

A hat an einer Massenschlägerei teilgenommen, in deren Verlauf B den C unbemerkt von A durch einen Schlag gegen den Kopf getötet hat. – A ist allein wegen der Beteiligung an der Schlägerei, deren Risiko sich verwirklicht hat, nach § 231 strafbar.

15

Da es allein auf die Kausalität der Schlägerei oder des Angriffs – jeweils als Gesamtgeschehen begriffen – ankommt, ist es für die Strafbarkeit nach h.M. auch ohne Bedeutung, ob jemand gerade zum Zeitpunkt der Verursachung der schweren Folge beteiligt war, vorher ausgeschieden oder erst danach in die Auseinandersetzung eingetreten ist.[29] Diese Ansicht wird dem Zweck der Vorschrift gerecht, in der Praxis Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (vgl. Rn. 1).

16

Besteht der bezeichnete Ursachenzusammenhang, ist es zudem unerheblich, ob der Verletzte oder Getötete ein unbeteiligter Dritter war (z.B. ein Passant),[30] ob er sich die Verletzung als Angegriffener bei der Verteidigung versehentlich selbst beigebracht hat oder ob er einer der Angreifer war. Demgemäß ist auch der Beteiligte, dessen Verletzung erst die Anwendbarkeit der Norm begründet, nach § 231 strafbar.[31] Ebenfalls strafbar ist, wer durch eine Notwehrhandlung selbst die objektive Bedingung der Strafbarkeit setzt (vgl. Rn. 5).[32]

Beachte:

Die schwere Folge braucht als objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht von Vorsatz oder Fahrlässigkeit eines Beteiligten umfasst zu sein.[33]

Aufbauhinweis:

Bei der Fallbearbeitung kann dies dadurch deutlich gemacht werden, dass die objektive Strafbarkeitsbedingung erst nach dem subjektiven Tatbestand erörtert wird.[34] Wegen der Nähe zum objektiven Tatbestand kommt aber auch eine an diesen anschließende Prüfung in einem gesonderten Gliederungspunkt in Betracht. Das Vorliegen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit sollte aus prüfungsökonomischen Gründen stets vor Rechtswidrigkeit und Schuld diskutiert werden.[35]

C. Täterschaft und Teilnahme, Versuch sowie Konkurrenzen

17

Jeder i.S. des § 231 Abs. 1 Beteiligte ist Täter. Für die Anstiftung und Beihilfe gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln der §§ 26, 27. Beihilfe kann etwa in einem allgemeinen Fördern einer Schlägerei bestehen, ohne dass für eine Seite Partei ergriffen wird.[36]

Beispiele:

Indem A fernab der Schlägerei die alarmierte Polizei daran hindert, sich an den Ort der Auseinandersetzung zu begeben, macht er sich der Beihilfe (§ 27) zum § 231 schuldig.

B schlägt C vor, sich an einer auf der gegenüberliegenden Straßenseite stattfindenden Schlägerei zu beteiligen. Kommt C dem Vorschlag nach, ist B wegen Anstiftung (§ 26) zu bestrafen.

18

Die nur versuchte Beteiligung an einer Schlägerei ist nicht strafbar. Auf der Konkurrenzebene kann § 231 infolge seines speziellen Rechtsguts (vgl. Rn. 1) grundsätzlich mit Tötungs- und Körperverletzungsdelikten in Tateinheit stehen (§ 52).[37] Gleiches gilt im Verhältnis zu den §§ 113, 125.[38]

D. Kontrollfragen

19


1. Welche Kriterien sind für die Prüfung der Vorwerfbarkeit i.S. des § 231 Abs. 2 heranzuziehen? → Rn. 11
2. Wie ist die in § 231 Abs. 1 vorgesehene schwere Folge dogmatisch einzuordnen? → Rn. 13 ff.
3. Welche Auswirkung hat diese Einordnung auf den subjektiven Tatbestand und den Prüfungsaufbau? → Rn. 12, 16

Aufbauschema (§ 231)


1. Tatbestand a) Objektiver Tatbestand (1) Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 1. Alt.) oder Beteiligung an einem von mehreren verübten Angriff (§ 231 Abs. 1 2. Alt.) (2) Ohne dass dies vorzuwerfen ist (§ 231 Abs. 2) b) Subjektiver Tatbestand – Vorsatz c) Objektive Bedingung der Strafbarkeit – Verursachung des Todes eines Menschen oder einer schweren Körperverletzung durch die Schlägerei oder den Angriff
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld

Empfehlungen zur vertiefenden Lektüre:

Leitentscheidungen: BGHSt 31, 124 – „Jockelfall“; BGHSt 33, 100 – „Gastwirtfall“; BGHSt 39, 305 – „Notwehrfall“

Aufsätze: Bock, Beteiligung an einer Schlägerei (oder an einem von mehreren verübten Angriff), § 231 StGB, Jura 2016, 992; Eisele, Die „unverschuldete“ Beteiligung an einer Schlägerei, ZStW 110 (1998), 69; Gottwald, Die objektive Bedingung der Strafbarkeit, JA 1998, 771; Henke, Beteiligung an einer Schlägerei (§ 227 StGB), Jura 1985, 585; Montenbruck, Zur „Beteiligung an einer Schlägerei“, JR 1986, 138; Rönnau, Grundwissen – Strafrecht: Objektive Bedingungen der Strafbarkeit, JuS 2011, 697; Rönnau/Bröckers, Die objektive Strafbarkeitsbedingung im Rahmen des § 227 StGB, GA 1995, 549; Wolters, Die Neufassung der Körperverletzungsdelikte, JuS 1998, 582

Übungsfallliteratur: Kretschmer, Übungsklausur Strafrecht: „Ein folgenschweres letztes Bier“, Jura 1998, 244; Kunz, Der praktische Fall – Strafrecht: Eine Schlägerei mit üblen Folgen, JuS 1996, 39; Laubenthal, Klausur Strafrecht: „Eine Festzeltprügelei“, JA 2004, 39

Anmerkungen

[1]

BGHSt 60, 166, 182; Lackner/Kühl § 231 Rn. 1; Bock Jura 2016, 992.

[2]

BGHSt 16, 130, 132.

[3]

BGHSt 60, 166, 180.

[4]

BGHSt 33, 100, 103 f. – „Gastwirtfall“; s. auch 39, 305, 308 – „Notwehrfall“.

[5]

Henke Jura 1985, 585, 586: Schaffen einer „Gefährdungsquelle“.

[6]

BGHSt 31, 124, 125 – „Jockelfall“; BGH NStZ 2014, 147, 148; NStZ-RR 2015, 274; Lackner/Kühl § 231 Rn. 2.

[7]

SK/Wolters § 231 Rn. 6; Otto § 23 Rn. 2.

[8]

BGHSt 15, 369, 371.

[9]

MüKo/Hohmann § 231 Rn. 15.

[10]

Differenzierend Lackner/Kühl § 231 Rn. 3.

[11]

A.A. unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG MüKo/Hohmann § 231 Rn. 9; Bock Jura 2016, 992, 994.

[12]

SK/Wolters § 231 Rn. 8; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 320; s. auch MüKo/Hohmann § 231 Rn. 7.

[13]

BGHSt 31, 124, 126 – ,,Jockelfall“; 33, 100, 102 – ,,Gastwirtfall“.

[14]

BGHSt 33, 100, 102 f. – „Gastwirtfall“; Lackner/Kühl § 231 Rn. 2.

[15]

Henke Jura 1985, 585, 587.

[16]

BGHSt 2, 160, 163; 31, 124, 126 f. – „Jockelfall“; 33, 100, 102 – „Gastwirtfall“.

[17]

BGH Urteil vom 24. Mai 2017 – 2 StR 219/16; Wessels/Hettinger/Engländer Rn. 322; Henke Jura 1985, 585, 586 m. Beispielen; s. auch Wolters JuS 1998, 582, 585.

[18]

BGHSt 39, 305, 308 f. – „Notwehrfall“; 43, 15; SK/Wolters § 231 Rn. 11.

[19]

SK/Wolters § 231 Rn. 9; Laubenthal JA 2004, 39, 44; Bock Jura 2016, 992, 1003.

[20]

Ausführlich Eisele ZStW 110 (1998), 69, 74 ff.; Henke Jura 1985, 585, 588; unentschieden Lackner/Kühl § 231 Rn. 4.

[21]

MüKo/Hohmann § 231 Rn. 20; vgl. zum § 227 a.F. Eisele ZStW 110 (1998), 69, 76.

[22]

BGHSt 2, 160, 163.

[23]

Gottwald JA 1998, 771, 773; Kretschmer Jura 1998, 244, 246.

[24]

SK/Wolters § 231 Rn. 4.

[25]

BGHSt 60, 166, 180; Lackner/Kühl § 231 Rn. 5; Gottwald JA 1998, 771; Kunz JuS 1996, 39, 42; Rönnau JuS 2011, 697; kritisch Roxin/Greco AT I, § 23 Rn. 12.

[26]

Vgl. Rönnau/Bröckers GA 1995, 549, m.w.N.

[27]

Wessels/ Hettinger/Engländer Rn. 325.

[28]

Eisele ZStW 110 (1998), 69, 70.

[29]

BGHSt 14, 132, 134; 16, 130, 132; BGHR StGB § 231 Angriff 1; a.A. Lackner/Kühl § 231 Rn. 5; Otto § 23 Rn. 6; Rengier BT II, § 18 Rn. 11: keine Strafbarkeit sich nachträglich Beteiligender; Krey/Hellmann Rn. 323: Strafbarkeit nur bei Beteiligung während der Zeit der Verursachung.

[30]

Bock Jura 2016, 992, 1000.

[31]

BGHSt 33, 100, 104 – „Gastwirtfall“; Bock Jura 2016, 992, 1001.

[32]

BGHSt 39, 305, 308 f. – „Notwehrfall“.

[33]

BGHSt 33, 100, 103 – „Gastwirtfall“; a.A. – Vorhersehbarkeit erforderlich – jeweils Roxin/Greco AT I, § 23 Rn. 12; Rönnau JuS 2011, 697, 698; vgl. dazu Montenbruck JR 1986, 138, 139.

[34]

Gottwald JA 1998, 771, 772; Kretschmer Jura 1998, 244, 245 Fn. 19; allgemein Freund JuS 1997, 331.

[35]

Ebenso Rönnau JuS 2011, 697, 699.

[36]

MüKo/Hohmann § 231 Rn. 30; s. auch SK/Wolters § 231 Rn. 8.

[37]

BGHSt 33, 100, 104 – „Gastwirtfall“ zum § 224; BGH Urteil vom 2. Oktober 2008 – 3 StR 236/08; kritisch Montenbruck JR 1986, 138, 141: Konsumtion des § 231 Abs. 1 2. Alt.

[38]

BGHSt 14, 132, 136; MüKo/Hohmann § 231 Rn. 32; SK/Wolters § 231 Rn. 13.

Teil I: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit › Kapitel 2. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit › § 10. Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c)

§ 10. Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c)

Inhaltsverzeichnis

A. Grundlagen

B. Tatbestand

C. Täterschaft und Teilnahme, Versuch sowie Konkurrenzen

D. Kontrollfragen

A. Grundlagen

1

§ 323c Abs. 1 soll mitmenschliche Solidarität in akuten Notlagen sichern.[1] Geschützt werden die in der jeweiligen Situation bedrohten Individualrechtsgüter.[2]

Beachte:

Die Tat ist ein echtes Unterlassungsdelikt. Für seine Verwirklichung ist daher anders als bei unechten Unterlassungsdelikten keine Garantenstellung erforderlich.[3] Die Prüfung des § 323c Abs. 1 ist bei entsprechender Fallgestaltung daher stets in Betracht zu ziehen, wenn eine Strafbarkeit wegen eines unechten Unterlassensdelikt mangels Garantenstellung ausscheidet.

Vertiefungshinweis:

Mit Wirkung vom 30. Mai 2017 ist der Tatbestand der Behinderung von hilfeleistenden Personen als Absatz 2 angefügt worden.[4] Danach wird ebenso bestraft, wer in einer der in Absatz 1 bezeichneten Situationen (vgl. Rn. 3 ff.) eine Person behindert, die bereits Hilfe leistet oder dies tun will. Es kann sich um einen „privaten“ Helfer handeln; dieser muss also nicht etwa der Feuerwehr oder einem Rettungsdienst angehören.[5] Behindern setzt eine nicht unerhebliche Störung der Rettungsbemühungen voraus, insbesondere durch den Weg versperrendes „Gaffen“, aber etwa auch durch Beschädigen technischen Gerätes, Blockieren der sog. Rettungsgasse oder Erschweren der Hilfe in Notaufnahmen von Krankenhäusern.[6] Die Vorschrift ist mithin nicht als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet, kann aber – unter den Voraussetzungen des § 13 – auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Erforderlich ist ein zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten (vgl. Rn. 15).

B. Tatbestand
I. Objektiver Tatbestand

1. Begründung der Hilfspflicht

2

Die jedermann treffende Hilfspflicht wird durch das Vorliegen eines Unglücksfalls, einer gemeinen Gefahr oder Not ausgelöst.

3

a) Unter Unglücksfall ist ein plötzliches Ereignis zu verstehen, das eine erhebliche Gefahr für Personen oder Sachen schafft oder zu schaffen droht,[7] etwa überraschend eintretende Bewusstlosigkeit.[8] Der Begriff der Plötzlichkeit darf dabei nicht zu eng ausgelegt werden.[9] Sie liegt vor, wenn zur Abwendung der Gefahren ein sofortiges Eingreifen geboten ist.[10] Zu den Unglücksfällen zählt auch ein überraschendes Ereignis, bei dem Schaden noch nicht angerichtet ist, aber ernste Gefahr unmittelbar droht, weil andernfalls unter Umständen die Hilfe zu spät kommen würde.[11]

Beispiele:

Unfälle;[12] unmittelbar drohende Gewalttaten;[13] eine sich rasch verschlimmernde Krankheit kann ebenfalls zu einem Unglücksfall werden;[14] dies gilt jedoch nicht für eine sich langsam entwickelnde Krankheit;[15] abgelehnt worden ist ein Unglücksfall auch für leichtere Verletzungen.[16]

Beachte:

Es ist ohne Bedeutung, ob das Ereignis vorsätzlich, fahrlässig oder überhaupt schuldhaft herbeigeführt wird.[17]

4

Auch der Eintritt einer bloßen Sachgefahr genügt.[18] Jedoch wird sie betreffend die Abwägung, welche Hilfe zumutbar ist, zu einer restriktiven Anwendung des § 323c Abs. 1 führen.

5

Umstritten ist die Frage, ob auch ein Selbsttötungsversuch (stets) als Unglücksfall anzusehen ist, wie dies die Rechtsprechung annimmt.[19]

6

Ein Teil der Literatur vertritt die gegenteilige Auffassung, nach der wegen des Selbstbestimmungsrechts des Menschen grundsätzlich kein Unglücksfall vorliegt.[20]

7

Eine vermittelnde Position nimmt die h.L. ein. Sie hält frei verantwortliche Selbsttötungsversuche nicht für Unglücksfälle, wohl aber diejenigen, bei denen keine überlegte Entscheidung zugrunde liegt.[21]

8

Angesichts des Umstands, dass nach empirischen Erkenntnissen die Mehrzahl der Selbsttötungsversuche von hilfsbedürftigen, verstörten Menschen und nicht von frei verantwortlichen Bilanzsuizidenten unternommen wird,[22] ist die vermittelnde Auffassung der h.L. vorzugswürdig. Sie vermeidet Wertungswidersprüche zu § 216 und wird zudem dem Ausnahmefall der Bilanzselbsttötung ebenso gerecht, wie der „Masse“ der Fälle, in denen ein „Unglück“ vorliegt (vgl. zur Problematik auch § 1 Rn. 20 f. und § 3 Rn. 12). Weil aber regelmäßig für denjenigen, der zu einem Selbsttötungsversuch hinzukommt, nicht erkennbar ist, ob dieser „frei verantwortlich“ oder „nicht frei verantwortlich“ ist,[23] kommt die h.L. zumeist zum selben Ergebnis wie die Rechtsprechung.

Vertiefungshinweis:

Ob das Vorliegen eines Unglücksfalls aus der ex-post-[24] oder ex-ante-Sicht[25] zu beurteilen ist, ist ebenfalls umstritten. Da § 323c jedoch nicht das Vertrauen selbst, sondern nur Individualrechtsgüter schützen will, ist zutreffend mit der h.M. auf die ex-post-Sicht abzustellen. Beide Ansichten dürften aber kaum zu unterschiedlichen Endergebnissen kommen, da es jedenfalls für die Erforderlichkeit der Hilfeleistung auf eine ex-ante-Sicht ankommt (vgl. Rn. 11).

Beispiel:

A sieht den blutüberströmten B an einer einsamen Bushaltestelle liegen. Ob B schon tot ist oder noch lebt und hilfebedürftig ist, ist für A nicht erkennbar. A geht weiter. Tatsächlich war B zu diesem Zeitpunkt schon tot. – Nach der h.M. liegt schon kein Unglücksfall vor, da B keine Gefahr mehr droht. Nach der a.A. liegt zwar ein Unglücksfall vor, jedoch ist Hilfe nicht mehr erforderlich (vgl. Rn. 11). Nach beiden Ansichten ist das Verhalten des A nicht tatbestandsmäßig.

9

b) Gemeine Gefahr wird wie bei § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 definiert (zu den Details vgl. § 35 Rn. 159). Unter gemeiner Not ist eine die Allgemeinheit betreffende Notlage zu verstehen, wie beispielsweise eine Überschwemmung.[26]

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9783811487291
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