Kitabı oku: «Im Schatten des Wolfes», sayfa 5
10.
Robyn versuchte sich den Fortlauf ihrer Reise vorzustellen. Sie war die Ehefrau eines Nordmannes. Sie würde sein Heim versorgen, seine Gefährtin in schwierigen Zeiten sein. Mit Selbstlosigkeit verbundene Gedanken jagten durch ihren Kopf. Es überraschte sie. Dann jedoch schweiften ihre Gedanken in eine andere Richtung. Ob er jemals eine Wiedergutmachung für ihr Leben verlangen würde?
Welches Leben, fragte sie sich. Sie hatte nicht darum gebeten. Er hatte ihre Schwäche ausnutzen können, sonst nichts.
Sie zog die Felldecke enger um sich. Das Feuer loderte noch friedlich, spendete angenehme Wärme, doch ihr Frösteln hatte nichts damit zu tun. Sie lag auf einer niedrigen Holzbank am Feuer, nachdem sie sich gewaschen und eine seiner Tuniken übergestreift hatte. Sie reichte bis zu ihren Knien. Sie hoffte, er würde ihr bald Kleider beschaffen können. Aber heute Abend genügte es vollkommen. Selbst etwas von dem Brot hatte sie gegessen und einen weiteren Schluck Met getrunken. Sie hatte sich davon etwas Schwere und Ruhe erhofft. Doch ihre Gedanken ließen sich nicht so leicht abstellen. Wieder und wieder kreisten sie um ihre Reise. Eine Reise, die sie allein ihm zu verdanken hatte.
Verdanken?
Sie schloss die Augen kurz.
Sollte sie Wulf dankbar sein?
Ath würde es so sehen, entschied sie dann. Wahrscheinlich wäre er enttäuscht von ihr, wüsste er, dass sie sich aufgegeben hatte.
Aber war sie dem hier gewachsen? Ehefrau? In einem Land fernab von allem, was sie kannte. Kalt, unwirtlich, abweisend.
Sie atmete lang und geräuschvoll aus. Seitdem sie sich hingelegt hatte, schmerzte ihr Ohr etwas weniger. Für kurze Zeit schien der Schlaf Nachsicht mit ihr zu haben.
Bevor sie ihn sehen konnte, hörte sie ihn. Ein kraftvolles Rauschen. Ein Aneinanderreiben und Aufbrausen unzähliger Blätter. Der Wind durchfuhr den Baum mit unsichtbarer Stärke, in unregelmäßigen Abständen. Wieder. Und wieder. Und wieder.
Sie konnte die Stärke des Baumes körperlich spüren. Ihr Atem ging tief, als atme sie sie ein. Sie atmete mit dem Wind, fühlte das Rauschen in ihren Ohren, meinte einen Schlag zu hören. Wieder. Und wieder. Und wieder. Es klang, als schlüge ein Herz. Sie wusste, sie lauschte dem Baum, seinem Herz, seiner Seele.
Ein Windstoß, lauter als all jene zuvor. Blätter wurden vom Baum abgetrennt und streiften ihre Wange mit einem kratzenden Geräusch. Er befahl ihr aufzuwachen.
Da hörte sie es. Schritte, leise, vorsichtig, nicht die Schritte eines Heimkehrenden. Wulf hätte sich dem Haus nicht so genähert. Die Tür im Nebenraum, wo der Stall war, hätte sich geöffnet. Aber das tat sie nicht.
Wieder Schritte. Als ging jemand das Haus von außen ab, um zu sehen, ob sich jemand darin befand. Der winzige Rauchabzug hatte ihn wahrscheinlich nicht überzeugen können.
Robyn wagte nicht, sich zu rühren. Vielleicht würden sich die Schritte wieder entfernen. Doch der Schnee knirschte auch weiterhin gedämpft.
Wie gelähmt hielt sie den Atem an. Die Schritte verstummten, doch sie konnte jetzt einen schweren Atem vernehmen. Direkt vor der Tür. Es klang mehr wie das Japsen eines Hundes.
Dann wurde die Tür geöffnet, nicht vorsichtig wie das Abschreiten des Hauses zuvor vermuten ließ. Geräuschvoll schwang sie auf, blieb offenstehen, ließ kalte Luft und Schnee hinein. Leichter Flockenwirbel hatte draußen eingesetzt, doch Robyn sah nur den Mann, der in den Feuerschein getreten war. Sein Atem ging noch immer schwer. Und roch nach Met. Mehr als das. Der ganze Mann stank danach.
»Für eine Weile hatte ich fast geglaubt, mein Bruder hätte dich zu seinem kleinen nächtlichen Ausflug mitgenommen. Aber wie ich sehe, hatte er ein Herz und setzte dich in deinem neuen Heim ab.«
Ehe sie sich versah, kam er um das Feuer und packte ihr Fußgelenk, um sie an sich zu ziehen.
»Bevor er wiederkommt, haben wir beiden noch etwas Zeit. Nicht viel wahrscheinlich, aber du scheinst alt genug, um mir auch in kurzer Zeit zu meinem Vergnügen zu verhelfen.«
Seine andere Hand krallte sich ihr Handgelenk und er riss sie zu sich heran. Er wollte ihre Hand zwischen seine Schenkel legen, doch Robyns andere Hand kratzte nach seinem Gesicht. Er musste ihr Fußgelenk loslassen, um Schlimmeres zu verhindern, gab ihr jedoch damit die Gelegenheit, ihn zu treten. Und das tat sie. Mit aller Macht. Wie irrsinnig trat sie gegen seinen Unterleib, würgte am Schmerz und am Metgeruch, der ihn umgab wie eine betäubende Hülle.
»Aber, nicht so heftig«, amüsierte er sich. Seine Stimme war rau, sein Atem faul und süßlich zugleich. »Du scheinst rechtmäßig in Doras Fußstapfen getreten zu sein. Sie mochte es auch ein bisschen wilder ...«
Er stemmte plötzlich sein gesamtes Gewicht gegen sie, warf sie dabei neben der Holzbank auf den Boden und zerrte ihr die Decken fort.
»So gefällst du mir schon besser«, raunte er. Er blickte an ihr hinunter, auf ihre nackten Beine, das halbgeöffnete Hemd und leckte sich über die aufgesprungenen Lippen.
Robyn holte Luft, zog den Arm hervor, auf dem sie selbst und der Nordmann lagen und krallte ihre Hand in die roten Haare des ältesten Thronerben. Bereits in der Halle hatte sein Blick unentwegt auf ihr gelegen. Sie zog an seinem Haar, bis er zornig aufschrie. Er ließ sie für einen Moment los. Sie kämpfte sich unter ihm hervor und war halb aufgestanden, da packte er erneut ihr Fußgelenk. Sie fiel auf den Boden, konnte einen Schmerzensschrei nicht mehr verhindern. Das Echo in ihrem Kopf ließ sie zusammenzucken. Das gab Harold die nötige Zeit, um sich wieder auf sie zu stürzen.
Sie wimmerte kurz, doch er drehte sie rücksichtslos herum.
»Schluss jetzt! Er hat sich nicht um Dora gekümmert, er wird sich auch nicht um dich kümmern. Lass mich das für ihn erledigen.«
Er riss an der Tunika, schien mit weniger Widerstand zu rechnen. Doch er irrte. Robyn fasste diesmal nach seinen Handgelenken und versuchte sie wegzudrücken, was ihn nur noch wütender machte.
Er schlug ihr ins Gesicht, sie schrie auf, diesmal langanhaltend und ohne wieder aufzuhören. Der Schmerz in ihrem Kopf ließ sie die Verzweiflung und Machtlosigkeit herausschreien. Schreie, die in den Wald hallten. Und Gehör fanden.
Robyn strampelte unter ihm, halb besinnungslos vor Pein. Der sachte Wind von draußen fachte das Feuer an, sprühte Funken auf, die auf ihren nackten Beinen verglühten. Wie lange würde sie sich noch wehren können?
Harold hielt ihre Kehle umfasst, um sich selbst von seinem Umhang zu befreien. Sie bekam kaum noch Luft, sah den Schatten über Harold nicht. Erst als Harold von hinten ergriffen und von Robyn fortgezogen wurde, um dann, zwei Tischbeine durchbrechend, an die hintere Wand geschleudert zu werden.
Das Bersten des Holzes scholl in Robyns Ohren. Schnaufend holte sie Luft. Wulf kniete neben ihr nieder, umfasste ihr Gesicht, ohne Rücksicht auf ihre Verletzung. Ihre Nasenflügel vibrierten sichtlich, ihre Augen tränten ohne Unterlass, blickten ihn ebenso ängstlich an wie Harold nur Augenblicke zuvor. Seine Augen, seine Hände, eisige Kälte umgab ihn. Und schneidend war seine Stimme. Ungläubig lauschte sie seiner indirekten Anschuldigung.
»Hast du ihm Anlass gegeben hierher zu kommen?«
Wie konnte er glauben, sie hätte etwas mit seinem Erscheinen zu tun?
»Antworte mir, sonst führe ich zu Ende, was er begonnen hat!«
Ein Wimmern drang aus ihrer Kehle. Es entwich ihren Lippen.
»Wulf, nā ...«
Es dauerte einen Moment, dann erst verstand Wulf. Zu sehr überraschte ihn ihre Stimme. Sie war heiser, leise durch den Schmerz. Doch sie war dunkel und klang älter, als er sie eingeschätzt hatte. Und sie sprach angelsächsisch. Sie war keine Nordfrau, sie war eine Angelsächsin. Und für einen winzigen Atemzug nur schmerzte ihn die Erinnerung an eine Angelsächsin. Doch das ging schnell vorbei.
Nā. Nein. Sie hatte seine Frage verneint. Seine Augen hingen an ihren Lippen. Sie sprach weiter.
»Ič ne misdyde.« Ich tat nichts Böses.
»Warum ist er dann hier?«, stieß Wulf hervor. Er wurde sich bewusst, dass er noch immer die nordische Zunge sprach. Aber sie schien zu verstehen.
Schwer schlossen sich ihre Augenlider, öffneten sich mit ebenso viel Anstrengung.
»He ... he spræc of Dora ...« Er hatte Dora erwähnt.
Wulf lockerte bei Erwähnung dieses Namens augenblicklich seinen Griff.
Zu Robyns Überraschung entspannten sich seine Züge, ein zynisches Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Verzeih, Nixe. Ich tat dir Unrecht ... ich hätte es besser wissen sollen ...«
Fast entschuldigend strich er eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, drehte sich im selben Augenblick um und stand auf.
Harold hatte sich mühselig erhoben und ordnete seine Kleider. Er konnte kaum stehen.
»Du bekommst einfach nicht genug, nicht wahr?«
Harold grinste.
»Was meinst du, Bruder? Vom Met? Oder von deinen Frauen? Tu doch nicht so, als ob du es nicht gewusst hättest?«
Wulf packte ihn am Kragen, doch Harold konnte sich erstaunlich gut wehren. Sie rangen, stemmten sich gegeneinander.
»War der Bastard von dir?«
»Was glaubst du denn? Von Leif etwa? Der kann nicht mal ...«
Wulf stieß ihn an die hintere Wand. Harold holte mit dem Kopf aus, um ihn gegen den seines Bruders zu rammen. Wulf wich dem aus, dadurch konnte Harold sich etwas freimachen und sie schwankten durch den Raum, wo sie in der Mitte einen Moment voneinander ließen.
Robyn stand mühselig auf, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Harolds Hand schnellte nach ihr, griff ihre Haare.
»Sie gefällt mir, Bruder«, rief er, »wir können sie uns teilen ... vielleicht bringst du es ja diesmal fertig, dass die Nachkommen von dir sind ...«
Er stieß Robyn über die Bank vor dem Feuer. Diesmal blieb sie reglos liegen. Wulf nutzte seine kurze Unaufmerksamkeit, rammte ihm den Ellenbogen erst in den Unterleib und dann ins Gesicht. Er hörte den Knochen splittern, sah das Blut aus Harolds Nase schießen. Dieser Schmerz würde ihn lange genug betäuben. Harold krümmte sich vor Schmerz, seine Nase gab rasselnde Geräusche von sich. Für den Moment gab er sich geschlagen. Wulf fasste seine Schultern und zog ihn nach draußen in die Kälte, wo Harolds Pferd in der Nähe harrte. Harolds massiger, vom Met aufgedunsener Körper bereitete Wulf keine Schwierigkeiten. Er hievte ihn auf das Pferd, wo er nach vorn kippte und Halt am Hals des Pferdes fand.
»Scher dich nach Hause, Bruder. Geh zu deinem Met. Und vergifte weiter das Ohr unseres Vaters ...«
»Zum Teufel mit dir«, stieß Harold hervor.
»Nein, zu ihm nicht. Ich werde in Walhalla sein und warten, dass wir Verrätern wie dir den Hals umdrehen.«
Er berührte die Kruppe des Pferdes, worauf es sich in Bewegung setzte. Es würde seinen Weg zum Dorf und zur Halle allein finden.
Wulf wandte sich ab. Der Rappe stand abwartend vor dem Eingang, im Lichtschein der Tür, wo er ihn stehengelassen hatte, als er ins Haus gestürmt war. Ihre Schreie hatten durch den Wald gehallt. Sie hatte die ganze Zeit nicht geschrieen, keinen Ton von sich gegeben, trotz allem. Die Reise, die Abneigung der Nordmenschen, wortlos hatte sie alles über sich ergehen lassen, hatte ihre Schmerzen verborgen, die Zähne zusammengebissen.
Doch jetzt hatte sie geschrieen.
Und ihm war plötzlich nach Lachen zumute. Doch es war bitter. Und es schien nie anders gewesen zu sein. Er konnte sich nicht mehr erinnern, je anders gelacht zu haben.
Die Nixe, wer immer sie war, hatte verweigert, was wenige Frauen hier ausgeschlagen hätten. Vor allem hatte es Dora nicht. Vor allem sie nicht.
Der Rappe wandte ihm den Kopf zu, als er nähertrat. Wulf fuhr kurz über die Stirn des Pferdes.
»Ah, Sleip, wir waren zu lange fort«, murmelte Wulf.
Der Rappe ließ ihn nicht aus den Augen. Das Feuer drinnen schien auf sie, umrahmte sie gegen den dunklen Wald hinter ihnen.
Ohne die Zügel des Pferdes aufzunehmen, ging Wulf zum Stall, wohin ihm Sleip folgte. Er öffnete die Tür, ließ das Pferd an seinen angestammten Platz gehen, wo Arnulf ihm bereits am Morgen Wasser und Heu hingetan hatte. Wulf streifte ihm Sattel und Trense ab. Er legte das Zaumzeug achtlos an die Wand. Er würde sich später darum kümmern. Sleip war gut versorgt, so dass er durch die zweite Tür zurück ins Haus ging. Nachdem er die andere Tür auch geschlossen hatte, stand er für kurze Zeit am Feuer und blickte auf seine Frau. Die Unordnung, die der Kampf angerichtet hatte, interessierte ihn nicht. Er sah nur sie.
Sie hatte ihre Wahl getroffen. Seinen Bruder abzuweisen, bedeutete alle hier abzuweisen. Zumindest die meisten. Wenige hielten zu Wulf. Sie respektierten ihn, aber trauten ihm nicht. Und Wulf erging es ebenso.
Sie würde keine Sklavin sein. Aber seine Frau zu sein, war nicht bedeutend einfacher.
Doch sie hatte sich entschieden.
Er wickelte das Bündel auf, nahm den Armreif.
Als er sich zu ihr niederließ, zögerte er noch kurz, ergriff dann aber ihr Handgelenk. Der Verschluss klickte kurz, das Licht des Feuers brach sich im Gold. Sie würde den Reif nie selbst abnehmen oder abstreifen können, er war zu eng, der Verschluss nur mit beiden Händen zu öffnen.
Er betrachtete den Reif kurz, ihren Arm. Er hatte sie in Arnulfs Haus so gesehen. Mit dem Reif. Es schien richtig.
Wulf umfasste ihre Schultern mit dem einen, ihre Beine mit dem anderen Arm und zog sie zu sich heran. Ihr Kopf lehnte an seinem Oberarm.
Trotz Harolds Übergriff roch sie gut. Seife schien ihr kein Fremdwort. Selbst ihr Haar fiel feucht über ihre Schultern. Er bemerkte die geraden Enden. Jemand schnitt ihr das Haar. Keine der Nordfrauen hier tat das, sie ließen es wachsen. Obwohl sie während der Fahrt nur Suppe zu sich genommen hatte, spürte Wulf, dass sie gut genährt war. Kein Zeichen von Armut. Und sie sprach nicht das Angelsächsisch der niederen Leute. Wulf konnte unterscheiden, er hatte unter dem Kaiser von Byzanz lange mit Angelsachsen gedient. Er hatte ihre Sprache gelernt, ihre Kultur und gesellschaftliche Gliederung.
Der Daumen jener Hand, die ihre Beine hielt, strich über ihre nackte Haut. Sie war weich, so weich wie jene der adligen Frauen in Byzanz, die ihre Zeit in Bädern und bei Massagen verbrachten.
Wulf atmete lang und tief aus.
Diese Angelsächsin hätte einiges Geld eingebracht, hätte man sie weiterverkauft. War sie zudem in der Lage, einen Mann zufriedenzustellen, stieg ihr Preis ins Unermessliche. Dies herauszufinden, würde er später Gelegenheit haben.
»Menschen leben, um zu sterben ...«
Wulfs Blick schnellte zu ihren Lippen. Die Worte waren leise, doch deutlich. Ihr Blick war starr, auf das Feuer geheftet, dessen Wärme sie nun, da die Tür wieder verschlossen war, erreichte und ihre Füße und Beine wärmte. Sie sprach noch immer angelsächsisch, wissend, dass auch er sie verstand.
»Wir leben, um zu büßen ... Wir werden ewig für meine Rettung büßen ... Du hättest mich sterben lassen sollen ... sterben ...«
»War es das, was du wolltest?« Seine Worte veranlassten sie, ihren starren Blick zu lösen. Ihren dunklen Augen sahen ihn einen Moment lang an.
»Was glaubst du?« Da war kein Vorwurf in ihrer Stimme. Sie erwartete auch keine Antwort.
»Nixe«, sagte er dann, »was auch immer ich vom König halte, ich werde mich seinem Willen beugen. Und das solltest auch du tun. Es gibt kein Zurück mehr.«
»Muss ich mich dem Willen deines Bruders etwa auch beugen?« Diesmal war es ein Vorwurf.
Er antwortete nicht, stieß nur verärgert die Luft aus.
»Verzeih«, sagte sie müde. Sie krallte eine Hand in sein Hemd, um sich in eine bequemere Position zu bringen. Sie musste nach ihrem Ohr greifen, lehnte sich mit der Hand daran wieder kraftlos an ihn.
»Bist du gesprungen, bevor das Boot unterging?«, wollte er wissen. Er trug ihr den Vorwurf nicht nach.
»Ja.«
»Sie haben dich geraubt?«
Sie nickte leicht.
»Wo?«
»Jorvik.«
Wulf ließ die Antwort kurz auf sich wirken. Ein langer Weg lag hinter ihr. Sie war fernab ihrer bekannten Welt. Es gab kein Zurück mehr. Nicht jetzt, nicht im Frühjahr. Niemals.
Er sah, dass sie ihr Handgelenk betrachtete, es leicht hin und her bewegte.
Dann blickte sie ihn fragend an.
»Später, Nixe. Wenn die Zeit gekommen ist.«
Sie sagte nichts darauf, schwieg einen Moment, als müsse nun sie etwas wirken lassen. Robyn wusste, dass es eine Hochzeitsgabe war. Die Angelsachsen teilten einen solchen Brauch mit den Nordmännern. Es band sie an ihren Mann, aber gleichzeitig ehrten die Männer ihre Frauen auch damit. Wulf gab ihr das Recht und sein Einverständnis hier zu sein, er akzeptierte, dass sie für sein Haus verantwortlich sein würde. Und er tat all das, ohne sie zu kennen. Ohne zu wissen, ob sie würdig dafür war.
»Wer ist Dora?«, fragte sie dann leise, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Jene, die deinen Platz vorher einnahm. Auf dieselbe Weise dazu kam. Unter Zwang.«
»Dein Vater hat dich zweimal gezwungen eine Frau zu nehmen?« Robyn quälte jedes ihrer Worte, der Schmerz wurde nur durch ihre stützende Hand etwas gedämpft.
»Ja, zweimal, Nixe. Aber fast will mir scheinen, das zweite Mal bin ich nicht ganz unschuldig an der Situation.«
»Bereust du deine Entscheidung?«
»Dich zu retten?« Er sah sie erstaunt an.
Sie nickte leicht.
»Was glaubst du?«, wiederholte er ihre eigenen Worte, doch ihre Antwort überraschte ihn.
»Es tut mir leid.« Ihre Stimme war so leise, dass es die Ehrlichkeit nur noch mehr hervorhob.
»Sieh mich an, Nixe«, forderte er sie auf. Sie leistete ihm Folge.
»Warum bist du gesprungen?«, verlangte er ein zweites Mal zu wissen.
»Um zu st...«
»Denk nach, Nixe«, unterbrach er sie jedoch, »geh in dich, geh tief in dich und sag mir, warum du gesprungen bist!«
Robyn fürchtete die Tiefgründigkeit dieser Frage, doch sie schloss kurz die Augen, ging zurück zum Schiff der Nordmänner, zum krachenden Sturm, zum Sprung ins Wasser, zu ihrer Kindheit, zu Ath, zu ihrem Raub, zu jenem Nordmann tief in ihrer Erinnerung. Sie schnappte überrascht nach Luft, sah Wulf erschrocken an. Der Bilderrausch vor ihren Augen erlosch, und nur seine Silhouette blieb.
»Ich wollte nicht sterben«, gab sie zu. Sein Gesicht kam dem ihren plötzlich sehr nah.
»Deshalb tut mir nicht leid, dich aus dem Wasser gezogen zu haben. Das Schicksal ist ein nicht zu unterschätzender Verbündeter, Nixe. Nimm es an, sei dankbar und lass uns das Beste daraus machen. Gib dem hier Zeit und hoffe.«
Robyn atmete ein und aus, bevor sie ihm antworten konnte.
»Du scheinst deine Zeit in Byzanz nicht nur in Waffen verbracht zu haben. Du sprichst mit den Worten eines weisen Mannes.«
Wulf ließ die Anerkennung zu, die ihn mit einem Mal für sie durchzog. Es war sehr lange her, dass er für eine Frau etwas Derartiges empfunden hatte.
»Und du? Eine Angelsächsin, der Seneca nicht unbekannt ist ... die meisten hier halten eine kluge Frau für gefährlich. Ich jedoch denke, es wird dir von Nutzen sein. Du wirst es brauchen, Nixe, denn Freunde um uns sind rar und schwer zu erkennen.«
Seine Stimme hatte sich unmerklich geändert, doch Robyn spürte die Wahrheit in seiner Warnung. Seine Stimme war rauer, verbittert, gefährlich, doch nicht sie musste sich fürchten. Sie stellte erstaunt fest, dass die Gefahr für jene bestand, die ihr zu nahetreten würden. Wulf und sie waren zu dieser Ehe gezwungen worden, doch seine Pflicht ihr gegenüber, ihr ein Heim zu geben und sie zu schützen, würde er ohne Widerspruch erfüllen.
Wulf studierte ihre dunklen Augen, fand darin, was er erhofft hatte: Verstehen.
Zufrieden lehnte er sich wieder zurück. Zum ersten Mal an diesem Tag entspannte er sich etwas. Nicht ganz, das hatte er seit vielen Jahren nicht mehr gekonnt, aber doch genug, um tief auszuatmen und mit seiner Frau im Arm aufzustehen und sie hinüber zum Lager zu tragen. Er legte sie neben die Holzwand des Hauses, legte zwischen sie und die Wand ein Fell und deckte sie dann zu.
Kurz darauf hielt er Annijas Salbe in der Hand.
»Reib deine Verletzung damit etwas ein. In ein paar Tagen sollte der Schmerz vergehen. Hörst du mit dem Ohr schlecht?«
Robyn war überrascht, dass er derart gut über die Verletzung Bescheid wusste. Sie hatte ihn in dieser Hinsicht unterschätzt.
Sie gehorchte, rieb die Stelle vorsichtig mit der aromatisch riechenden Salbe ein und gab ihm die Dose zurück.
»Manchmal höre ich ein bisschen, sehr leise«, antwortete sie ihm.
»Stell dich darauf ein, dass es nicht mehr besser werden wird. Dein Sprung ins Wasser hat deinem Gehör großen Schaden zugefügt.«
»Aber mein Leben gerettet«, fügte sie hinzu.
Sie sahen einander daraufhin lange schweigend an. Robyn musste diesen Blick nicht ertragen. Sie erlebte ihn, während er neben ihr auf dem Lager saß. Die Decken, die er um sie gelegt hatte, wärmten sie. Sie hatte nicht das Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein, obwohl er später neben ihr liegen würde, ein fremder Mann und doch ihr Mann.
»Nixe, bevor ich die erste Nacht bei dir verbringe, verrate mir den Namen meiner Frau.« Seine Stimme war wieder rau, aber aus einem anderen Grund.
»Robyn, mein Name ist Robyn.«
»Robyn«, Wulf überlegte kurz, »hat es in deiner Sprache nicht eine Bedeutung ...«
»Ein kleiner Vogel mit rotem ...«
»Ja, ich weiß, ein Rotkehlchen ...«
Robyn hörte ihn das nordische Wort aussprechen, erinnerte sich daran, nickte. Es entsprach ihrem Namen.
»Eine kleine Beute für einen Wolf«, meinte Wulf.
»Zu klein vielleicht«, entgegnete Robyn schläfrig. Plötzlich jedoch fühlte sie seine Hand auf ihrer Wange.
»Irre dich nicht. Ein Wolf ist vielseitig. Unter bestimmten Umständen ist er sehr anpassungsfähig, ändert seine Beute.«
»Aber wie lange jagt er eine Beute?« Robyn war atemlos. Sie spürte, dass sein Daumen über ihre Lippen strich.
»Ein Wolf ist ein sehr geduldiger Jäger. Er wartet und respektiert seine Beute.« Er zog seine Hand zurück. »Schlaf, Nixe. Es war ein langer Tag.«
Robyn beobachtete ihn mit halbgeschlossenen Augen. Sie konnte noch lange nicht schlafen, ruhte jedoch in diesem, ihrem Haus entspannt, atmete den aromatischen Geruch der Salbe ein, nahm die Wärme des Feuers wohlwollend auf. Sie sah Wulf eine Weile Ordnung schaffen, dann Stunde um Stunde am Feuer sitzen, etwas Met trinken. Er hatte sich so niedergelassen, dass die Wärme sie ohne Unterlass bestrahlte, sein Profil zeichnete sich scharf in dem Lichtschein ab. Seine Gesichtszüge, seine Augen, seine ganze Haltung blieben während dieser Nacht gedankenschwer. Ein-, zweimal strich er sich durch den Bart, der sein Kinn und seine Oberlippe bedeckte, seine Hände drehten das Methorn oft, als sei er unschlüssig, ob er daraus trinken solle oder nicht.
Robyn würde diese erste Nacht in seinem Haus niemals vergessen. Für eine unendlich lange Zeit schien ihr Wulf wie ein Trugbild, unwirklich, aus einer anderen Welt. Sie sah seine Wangenmuskeln spielen, seine Augen, die sich von Zeit zu Zeit verengten, wieder entspannten, sich schlossen, als weile er weit entfernt, sich wieder öffneten. Robyn beobachtete ihn im Halbschlaf bis ins Morgengrauen. Erst dann erhob er sich, entledigte sich seiner Schuhe und legte sich neben sie auf eines der Felle, deckte sich jedoch nicht zu.
Als sie wenig später seine gleichmäßigen Atemzüge wahrnahm, tat sie es für ihn, zog vorsichtig eine Decke über ihn. Sie bemerkte die winzige, überraschte Unregelmäßigkeit seines Atems nicht.
* * *