Kitabı oku: «Das Netz der Freunde», sayfa 3
Kapitel 2. Die Eingliederung in bestehende Gruppen ist nicht ganz einfach. Über die Notwendigkeit, sich zu erden. Gute Freunde sind wie das Salz in der Suppe. Irinas erste Liebe.
1.
In einer Woche wird Irina ihren 14. Geburtstag feiern. Sie hat jetzt so viel zu tun, dass sie nur ungern daran denkt. Mit Vera und Leon hat sie schon gesprochen. Ob man die Feier nicht nach hinten verschieben kann?
Vera und Leon sind einverstanden. Kein Problem. Vielleicht in den Herbstferien? Wenn wir uns hier alle eingelebt haben? Mit deinen Geschwistern zusammen? Mit Fred, Sofia und den anderen? Irina hat bei diesem Vorschlag gestrahlt. Das wäre prima. Jetzt will sie sich erst mal auf die Schule konzentrieren, und sich von nichts ablenken lassen.
Leon denkt daran, wie seine Tochter Chénoa damals gelitten hatte, als sie 14 wurde. Es ist so eine Sache mit der Pubertät.
Völlig unvorhersehbar, und er freut sich, dass Irina das so gelassen nimmt. Er ist vorgewarnt, und er spricht mit Vera darüber. Vera schüttelt vorsichtig den Kopf. Sie sieht da jetzt keine Gefahr.
Die Stadt ist klein. Das Werk liegt südlich der Stadt. Es gibt da eine breite Landstraße, die zur nächsten Autobahn führt, und eine Zugverbindung. Nicht allzu weit weg fließt die Elbe, breit und flach. Bekannt durch heftige Hochwasser mit flächendeckenden Überschwemmungen. Auch Wittenberge ist hin und wieder davon betroffen., aber das Werk liegt südlich hinter der Stadt, in Richtung Bad Wilsnack, leicht erhöht, und ein paar Km von der Elbe entfernt. Da wird das Hochwasser nie hinkommen, auch nicht bei einer Jahrhundertflut. Mit dem Wachstum des Werkes war Wittenberge viel größer geworden.
Es gibt sogar dichte Wälder. Einige Waldstücke liegen sogar auf dem Firmengelände. Leon hatte sie damals einfach stehen lassen, und Anordnung gegeben, diese Waldstücke als Recreation-Area für Werksangehörige während der Mittagspause stehen zu lassen. Es gibt dort sogar Wege zum Wandern und Joggen, und etliche Mitarbeiter nutzen das morgends vor ihrer Schicht, oder bevor sie mit dem Bus nach Hause fahren.
Es ist gut, in Wittenberge zu wohnen, zumindest seitdem das Werk hier großflächig für Arbeit gesorgt hatte.
Wie gesagt, das Werk liegt südöstlich der Stadt. Es gibt auch einen direkten Gleisanschluß, weil viele der Güter mit Kühlwagen der Bahn transportiert werden.
Die Schule liegt im Norden der Stadt, zwischen Cumlosen und Perleberg, am Rand mehrerer Waldstücke, und westlich einer großen Feldfläche, in der Bauernhof und das Gestüt liegen, die an die Schule angegliedert sind.
Das Haus von Leon und Vera liegt direkt neben dem Fabrikgelände in Richtung der Stadt. Natürlich, wenn man die Strecke zum Stadtzentrum und zur Schule laufen muss, dann ist das schon ein ziemliches Stück, und ein Bus verkehrt nur zwischen dem Marktplatz und dem Werkstor.
Leon geht deshalb mit Irina und Dimmy zum örtlichen Fahrradhändler und sie erstehen vier Fahrräder. Nichts wirklich teures. Leon hat den Kopf geschüttelt. “Es kommt vor, dass solche Räder in der Schule beschädigt werden. Hier ist das anders als in den USA. Wir wollen auch keinen Neid. Also etwas Solides, das leicht fährt, aber nichts exquisites. Wenn ihr Spaß daran habt, dann können wir immer noch was besseres kaufen. Wenn die andern Kids euch verspotten wollen, dass wir uns nichts schickes leisten können, dann werdet ihr damit klarkommen.
Irina und Dimmy sparen sich ihr Geld auf. Leon spendiert die soliden Räder. Ein Tourenrad für Irina und ein Hardtail-Mountainbike für Dimmy, das allerdings mit einem Downhilllenker, oversized Reifen und einer 33 Gang Kettenschaltung ausgerüstet ist. Für sich selbst und für Vera nimmt Leon einfache Tourenräder. Nicht einmal einen Elektroantrieb gibt es. So oft werden Leon und Vera nicht damit fahren. Nur bequem müssen sie sein. Sie erhalten die Option, die Räder innerhalb von vier Wochen umzutauschen, wenn sie nicht gefallen. Das ist wirklich kulant. Nicht jeder bekommt solche Konditionen, das merkt Irina schnell. Leon ist in dieser Stadt nicht irgendwer.
Morgen wird der erste Schultag sein. Heute werden sie aber schon in die Schule gehen, für eine erste Einweisung. Mama hat schon wieder einen Kleinbus (im Moment geben sie wirklich viel Geld aus), und Mama bringt Irina und Dimmy in die Schule. Die Räder reisen im Kleinbus mit und wandern dort als erstes in einen der Fahrradständer an der Schule. Es gibt hier noch mehr Räder. Offenbar sind eine ganze Menge Schüler da, obwohl noch gar kein Unterricht stattfindet.
Dann gehen sie ins Sekretariat, das schon besetzt ist, werden aufgenommen und in den Block E geschickt, Zimmer 413.
Papa hatte die Formalitäten schon vorher erledigt, und Mama wird entlassen.
Irina und Dimmy erhalten einen Geländeplan, und weil die Schule ziemlich leer scheint, suchten sie nach Orientierungen und finden den Weg.
Die Tür ist offen. Sie finden noch etwa 30 Jungen und Mädchen in unterschiedlichem Alter und werden von einer blonden Frau in Hosen begrüßt.
Sie sei die Bettina Schneider und sie sollten sich erst mal einen Platz suchen, wo, das wäre egal. Sie sollten sich mit den andern bekannt machen - oder auch nicht. Das sei ihnen überlassen. Die Tische sind in Kreisform aufgestellt, so dass sich alle ansehen können. Auf jedem Platz liegt ein Stück Papier und ein Stift. Bitte Name drauf schreiben, steht da, knicken und aufstellen. Bettina Schneider wartet bis fünf nach acht. In dieser Zeit kommen noch mal 10 Jugendliche.
Dann steht Bettina auf. Sie sei Sozialarbeiterin und sie wird die Quereinsteiger erst mal betreuen. Sprache, Kenntnisse, wohnen und herumführen. Auch für das seelische Gleichgewicht sei sie da (sie lächelt). Sie erklärt das mit den Namensschildchen in mehreren Sprachen, und bittet dann alle, sich vorzustellen.
Im Laufe des Vormittags gibt es mehrere Tests. Schreiben, formulieren, Rechnen, Fremdsprachen. Vieles mündlich. Wichtig ist es, dass sie etwas über sich erzählen.
Eine große Gruppe ist schon an anderen Schulen dieser Art gewesen. In England, Spanien und Frankreich. Dann gibt es einige Neueinsteiger. Aus Berlin, Frankfurt, München und anderen Städten. Irina merkt, dass es einige Dünkel gibt. Es sind „gut betuchte“ Jugendliche unter den Neueinsteigern. Deutsche, Türken, mehrere Spanier, ein Afrikaner, ein Weißrusse und zwei Thailänder.
Es wird schnell klar, dass es einige Sprachdefizite gibt und Bettina nickt. Das ist immer so. Wir haben deshalb an den Nachmittagen spezielle Lerngruppen, die das sprechen, schreiben, rechnen und anderes trainieren. Ich sehe aber, dass ihr alle deutsch versteht, und ihr werdet ab morgen in die ganz normalen Klassen entlassen. Sie verteilt Zettel mit Nummern und Räumen, und dann bittet sie alle zum Aufbruch. Sie will ihnen endlich die Schule zeigen.
Obwohl sie ziemlich zügig geht, dauerte das seine Weile. Die Schule ist groß. Es gibt viele Nebengebäude und Außenanlagen. Sporthalle, Aula, Aufenthaltsräume, Fachräume (wie Werkstätten, Computer-, Video-, und Musikraum), eine Halfpipe, Tennisplätze, Felder, Gärten, Bauernhof und Ställe. Dort gibt es sogar eine Biogasanlage. Alle Dächer der Schule sind im Süden mit Solarpaneelen bestückt.
In den Fachräumen und auf den Außenanlagen finden sie eine Reihe von andern Schülern. Das sei immer so, erklärte Bettina. “In den Schulferien gibt es viele Arbeits-und Lerngruppen und andere Freizeitaktivitäten. Tomaten wachsen auch im Sommer, und die Kaninchen müssen auch in den Ferien versorgt werden. Außerdem haben wir ja unsere Werkgruppen, PC und Internetgruppen, Tanzworkshops, Bands, Chemiegruppen und andere, die oft bis in die Nacht zusammensitzen.”
„In den Ferien?“ fragt einer der Neuen. Bettina nickt. „Das ist kein Zwang. Die Kids kommen, weil es ihnen Spaß macht. Unsere Biologen und Chemiker haben zum Beispiel im Moment ein Projekt zur Verbesserung von Düngemitteln. Sie unter-suchen das. Sie stellen alles mögliche her. Das ist zeit-aufwendig. Wir sind nicht nur eine Schule, sondern auch so etwas wie ein Freizeitzentrum und eine Forschungsanstalt.
Unsere Musikräume sind während der Ferien immer voll belegt. Bei uns wird viel Musik gemacht.“ „Wie - jetzt“, meint der Neue. „So richtig mit Gitarre und Schlagzeug?“ Bettina nickt. „Ja, und auch einen Aufnahmeraum haben wir. Ein richtiges Tonstudio.“
„Aber vielleicht mal was anderes: Wir hier sind eine Gemeinschaft. Eine Schule, die nur funktioniert, wenn wir lernen uns einzugliedern. Für manche ist das ein Fremdwort. Wie sollen wir euch aber verantwortungsvolle Aufgaben übertragen, wenn Chaos herrscht? Ihr habt hier etliche, nein, viele teure Geräte zur Verfügung, viel mehr als an anderen Schulen. Unbedachte oder mutwillige Zerstörung? Diebstahl? Es sind die Einrichtungen für alle. Achtung vor dem Gemeineigentum ist etwas, was ihr hier lernen müsst. Es ist fast wichtiger als all der andere Lernstoff, der uns durch die Schulbehörde vorgegeben wird. Ich hoffe, deshalb seid ihr hier. Wir geben euch hier wirklich jede Möglichkeit, eure Neigungen und Talente herauszufinden und auszuleben. Ihr bekommt viel Unterstützung und wir haben in unserer Schule neben den Lehrern über 50 spezielle Betreuer, die für euch da sind, und wir haben auch noch externe Mitarbeiter, die Vorträge halten oder nachmittags Seminare leiten, wie Tontechniker, Biochemiker und Rechtsanwälte.”
Mittags werden sie in einen großen Raum geführt. Es gibt da grüne Pflanzen und eine Freitreppe zum sitzen. Es gibt eine Essensausgabe und heute gibt es eine Selbstbedienungstheke. Jetzt kommen alle möglichen Kids aus den Fachräumen dazu, um Mittag zu essen. Mindestens fünfhundert, schätzt Irina. „Wir kochen hier selbst“, meint Bettina. „Wir backen Brot und Kuchen. Wir machen Quarkspeisen und solche Dinge. Mittags beliefert uns die Werkskantine. Bei uns könnt ihr Orangen und Bananen bekommen. Käse-oder Wurstbrötchen. Das Mittagessen ist im Schulgeld enthalten, Frühstück und Nachmittagskuchen kostet eine Kleinigkeit. Ihr braucht euch also nicht mit Broten von Zuhause abzuschleppen. Auch Schokolade und Müsliriegel haben wir, das sonstige süße Zuckerzeug gibt’s bei uns nicht, dafür haben wir in der Schule überall Wasserautomaten aufgestellt. Wir legen Wert auf Beweglichkeit im Kopf und im Körper und wir legen Wert auf ein gesundes Nahrungsangebot. Verstanden?“
Es gibt ein abschließendes Gespräch für Fragen, dann geht Bettina in den gemütlichen Teil über. Sie sehen den Skatern zu und sie fragt nach Vorlieben. Ob sie Tiere Zuhause hätten, ob sie schon mal geritten seien, ob sie schon mal ein Huhn geschlachtet hätten? Es gibt viele Fragen und schließlich entlässt Bettina die ganze Gruppe. Sie gibt jedem eine Telefonnummer. “Ich bin wirklich immer für euch da. Nur eine Bitte habe ich. Die Nummer wird von der Zentrale zu mir durchgestellt. Auch ich brauche hin und wieder meinen Schlaf. Ich bitte das zu respektieren.“ Sie runzelt die Stirn. „Im vorletzten Jahr haben einige Kids versucht, mich nachts zu tyrannisieren. Es ist ihnen nicht gut bekommen. Also, im Notfall bin ich auch nachts für euch da, aber wirklich nur im Notfall. Ist das klar?“
Als Irina und Dimmy sich mit ihren neuen Fahrrädern auf den Nachhauseweg machen, meint sie. „So riesig habe ich mir das nicht vorgestellt. Über 5000 Schüler. Sie ist ehrfürchtig. Das ist eine Wahnsinnsleistung.“ Sie denkt eine Weile nach. „Das Musikzentrum in Berlin ist viel größer, sicher, aber dort ist auch alles freiwillig. Ich bin wirklich gespannt.“
Dimmy nickt. Ich hab schon bemerkt, dass bei den neuen einige Stinkstiefel sind. Das wird noch Ärger geben.“ Irina nickt. „Du meinst diesen Jörg und diesen Yussuf?“ Dimmy nickt. „Auch dieser Afrikaner ist mir nicht geheuer, aber ich hab nicht genau hingesehen. Lassen wir uns überraschen.“
2.
Als Irina am abend mit ihrer Familie zusammensitzt, fragt sie direkt, „Papa, unsere Betreuerin hat heute erzählt, das Mittagessen sei im Schulgeld enthalten. Frühstück und Nachmittagskuchen würden eine Kleinigkeit kosten. So wie ich das verstehe ist das ja eine Tagesschule, auch wenn die Kurse an den Nachmittagen zum größten Teil freiwillig sind. Wir sind also den ganzen Tag in der Schule?“
Leon nickt. „Wenn ihr wollt, dann schon. Das ist eure Entscheidung. Wir machen euch an den Nachmittagen ein Bildungsangebot, und ihr entscheidet, ob ihr daran teilnehmt. Einige Kurse sind allerdings Pflicht, etwa, wenn es um Förderkurse geht. Im Deutschen werdet ihr so einen Förderkurs unbedingt brauchen. Vielleicht auch in europäischer Geschichte, ich weiß nicht. Das sagen euch die Lehrer. Was ihr sonst nachmittags macht, Reiten, backen, Tomatenpflanzen setzen, Musik oder im Hofladen mitarbeiten, das ist euch überlassen. Ihr werdet in den nächsten Tagen von der Fülle des Angebots noch erschlagen. Wartet nur ab. Auch Ruheräume gibt es, wenn ihr mittags mal die Augen zumachen wollt, über Kopfhörer Musik hören, oder lesen wollt. Wir haben eine sehr große Bibliothek.“
„Wie jetzt“, meint Dimmy. „So richtig gedruckt? Nicht als E-book?“ Leon nickt. „Ein Buch zu lesen ist anders, als auf das Display zu starren. Vielleicht werdet ihr das noch feststellen. Jetzt aber zu den Frühstückskosten. Ihr bekommt natürlich ein Taschengeld, von dem ihr solche Ausgaben bestreitet.“
„Hmmm“, meint Irina. „Wie ist das nun mit dem Schulgeld?“ Leon schüttelt den Kopf. „Die Details weiß ich auch nicht, aber es ist schon so, dass Mac Best Food den Kindern von Werksangehörigen das Schulgeld komplett bezahlt. Wer Gast in unserer Schule ist, der zahlt selbst. Ich glaube, das sind so um die tausendfünfhundert Schüler und für die beträgt das Schulgeld 4.000 Euro im Monat plus Essen. Da musst du Oma Katharina fragen, oder unsere Buchhaltung.“ Dimmy ist interessiert, rechnet und hakt nach, „Mann, das sind ja sechs Millionen im Monat an Schulgeld, und wir? Was sind wir? Angehörige des Werks?“
Vera lacht. „Dimmy. Dein Vater ist im Werk beschäftigt, also seid ihr auch im weitesten Sinn Angehörige des Werks, so wie du das sagst.“
Irina schüttelt den Kopf. „Ich finde das ungerecht. Papa hat so viel Geld und das Werk zahlt für uns das Schulgeld?“ Sie überlegt kurz und fügt hinzu. „Sechsmillionen, das ist eine ziemlich große Summe. Ich kann mir gar nicht vorstellen, das das nicht reichen soll?“
Leon seufzt. „Irina, du hast ja recht, aber sieh es doch mal so. Die Stiftung (und natürlich unsere Firma und unsere Familie) übernimmt den größten Teil der Kosten dieser Schule. Ohne unsere Firma würde es diese Schule nicht geben. Was wir als Zuschuss vom Staat und von den privaten Besuchern bekommen, das reicht einfach nicht, und wir haben uns verpflichtet, den Kindern unserer Mitarbeiter die beste Bildung zu geben, die es gibt. Weil wir in Europa inzwischen einen einzigartigen Status haben, deshalb rennen uns die privaten Besucher die Türen ein. Wir könnten problemlos 3.000 Schüler pro Jahr zusätzlich aufnehmen, so viele Bewerbungen bekommen wir. Dann würden wir aber ersticken an dieser Flut. Jetzt schon sind wir bis an die Grenzen ausgelastet.“
„Jetzt mal zu deiner anderen Frage. 5.000 Schüler + etwa 200 Lehrer und 50 Sozialarbeiter mal 30 Tage mal 10 Euro Mittagessen. Wieviel ist das?“
Dimmy tippt den Betrag in seinen Armbandchronographen, der so ein richtiger Alleskönner ist. „Mann, Papa, das sind fast 1.6 Millionen Euro im Monat nur für Mittagessen.“
Leon nickt. „Ja, wenn du das sagst…, aber das ist nur ein kleiner Posten in der Rechnung der Schule. Löhne, Gesundheitsvorsorge, Unterhaltskosten, Strom und Wasser, Steuern, Tierpflege, Anschaffungen wie Internet und PC Programme. Überlegt mal, wieviel Klopapier wir täglich brauchen für 5.000 Schüler. Wenn ihr Genaues wissen wollt, dann müsst ihr mit Oma Katharina darüber reden.“
Er schließt: „Ich finde es ja gut, wenn ihr euch Gedanken macht, ich möchte aber doch vorschlagen, ihr lebt euch erst mal ein. Wenn ihr dann auf dieses Thema zurückkommen wollt, dann gerne. Dann wird Oma Katharina für euch auch einmal ein paar Aufgaben im Wirtschaftsrechnen finden. Die Finanzierung der Schule ist nämlich ganz schön verzwickt.“
3.
Die Schule beginnt. Es gibt hier ein Kurssystem. Irina und Dimmy kommen erst mal in die regulären Basisklassen, um ihr Wissen zu testen. Später werden sie in Leistungsklassen wechseln können.
Es wird schnell klar, dass sie in englisch in eine Leistungspruppe wechseln, da sind sie wirklich gut. Sie sitzen jetzt sogar zusammen in dem Englisch-Leistungskurs, obwohl Irina in die neunte und Dimmy erst in die achte geht.
In andern Fächern wird das erst nach einem viertel-oder halben Jahr entschieden werden.
Europäische Geschichte hatte in den USA nie auf ihrem Lehrplan gestanden und in deutscher Schrift sind sie völlig ungeübt.
Für solche Fälle gibt es Nachmittagsgruppen und sie werfen sich an den Nachmittagen erst mal in diese Pflichtkurse, die notwendig sind, wie deutsch schreiben und lesen und außerdem in Kurse, die ihnen Spaß machen. Irina geht auf den Bauernhof, Dimmy zur in die Halfpipe, in einen Videokurs und in einen PC Kurs.
Auf dem Bauernhof gibt es dieses Biogasprojekt, dann gibt es alle möglichen Treibhäuser, Freilandanbau und Blumenfelder mit Topfblumen (für den Verkauf), Schwertlilien, Mohn und alle möglichen Ziersträucher und Stauden. Mal gibt es Veilchen, mal Tulpen, mal Herbstblumen. Es gibt Felder mit Schnittlauch, Petersilie, Kresse, Silberzwiebeln und andere Gewürze, wie Thymian, aber auch Erdbeeren, Bohnen und Tomaten. Es gibt Hühner, Gänse, Ziegen, Schafe, Kaninchenställe, einige Kühe und Schweine. Die müssen alle versorgt werden. Die Ställe müssen regelmäßig ausgemistet werden, und es gibt eine große Scheune für Heu und Stroh. Traktoren, Heustapler, und eine Bewässerungsanlage.
Irina merkt schnell, dass es hier eine ganze Menge an freiwilligen Helfern gibt. Arbeitsgruppen, welche schon früh morgens die Tiere füttern, Gruppen, die für die Bewässerung zuständig sind, oder die Ernte von Gemüse oder Treibhaustomaten. Die Eier der Hühner und der Gänse werden regelmäßig eingesammelt und es gibt einen Hofladen, der von Schülern und Erwachsenen zusammen betreut wird. Da hier alles biologisch und ohne Chemie angebaut wird, sind die Produkte ziemlich begehrt. Für die Masse der Schüler hätte die Ernte nie gereicht, aber für den Hofladen ist das ein willkommenes Zubrot. Viele Schüler kaufen dort ein, und bringen das am Abend nach Hause mit. Die Schüler, die im Hofladen arbeiten, lernen schnell abwiegen, im Kopf rechnen, Preise unterscheiden und mit Geld umzugehen. Das sind Dinge, die man in der Regelschule nicht lernen kann.
Wer im Bereich Pflanzen und Ernten zuständig ist, der lernt, mit Lieferanten zu feilschen, die richtigen Sämlinge einzukaufen, sie zu setzen, das Wachstum zu überwachen und den richtigen Zeitpunkt für die Ernte zu finden. Es gibt Wochen - so wird erzählt - da ersticken sie fast in Salatköpfen oder Blumenkohl. Manchmal in Tomaten oder Mohrrüben. Immer gibt es genügend sogenannter Bioabfälle, die sind für Hühner, Ziegen oder Schweine. Irina lernt, dass Schafe im Sommer geschoren werden müssen. Sie lernt, dass die Hühner nur in den ersten zwei Jahren gut Eier legen, dann sind sie für den Suppentopf. Ziegen und Kühe müssen gemolken werden, und manchmal werden sie geschlachtet. Die Zeit bis zu den Herbstferien vergeht auf diese Weise ziemlich schnell.
Auf dem Bauernhof findet Irina dann auch die kleine Schwester und den Neffen von Mo Li wieder.
Sie hatten sich entschlossen, den Hof als Ausgangspunkt zu nutzen. Sie werden jetzt einfach in die Freiwilligengruppen integriert und eingewiesen. Wie ein Intensivpraktikum. Es gibt überall Dinge, wo man helfende Hände und ein paar mitdenkende Hirne gebrauchen kann. Das ist viel mehr, als nur ein Bauerhof. Es ist ein Teil der Schule, und englisch ist auf diesem Bauernhof die zweite “Amtssprache”. Für die Familie von Mo Li ist das äußert hilfreich.
4.
Blicken wir ein paar Wochen zurück. Irina fand schnell eine Freundin. Schon bei der Einweisung war ihr ein Mädchen aufgefallen. Sie ist Spanierin aus der Nähe von Madrid. Sie hat einen Bruder, der ein Jahr älter ist, und sie sind bei einer Familie in der Stadt untergebracht. Der Hauswirt hat selbst zwei Kinder, und er arbeitet im mittleren Management in der Fabrik. Die Frau arbeitet halbtags in einer Anwaltskanzlei für Wirtschaftsrecht. Sie beziehen ihre meisten Aufträge von Mac Best Food.
Carmen und Claudio sprachen natürlich spanisch. Sie waren dort in Spanien schon auf die vergleichbare Schule gegangen und sie wollen hier zwei Gastjahre verbringen. Deutsch lernen und Kontakte knüpfen. Irina hatte sie bei dem Rundgang auf spanisch angesprochen. Carmen hatte sie angelacht und auf spanisch geantwortet. „Nein, was für ein Zufall. Du bist in Mexiko geboren? Claudio, komm doch mal her… .“
Sie fand schnell heraus, dass sich Carmen für Musik, Tanz und Pferde interessierte, und als Carmen sie im Stall mit den Pferden sah, wusste sie sofort, dass Irina kein Neuling ist. „Dein Onkel hat eine Pferdezucht?“ Als Irina den Namen von Nakoma del Sol nannte, staunte Carmen noch mehr. Du meinst doch nicht etwa diesen Indio in Peru, diesen Pferdeflüsterer?“
„Du hast von Nakoma gehört?“ Sie hatten Gesprächsstoff, und durch einen Zufall war Carmen in der selben Klasse wie Irina. Carmens Englisch war verbesserungswürdig und Irina meinte nur: „das ist kein Problem“ und redete in englisch weiter. Die Mädchen hatten wirklich eine ganze Menge an Gemeinsamkeiten. Das Deutsch von Carmen war nicht sehr gut, weder im sprechen, noch im Schreiben, und sie hatten schon damit begonnen, gemeinsam zu üben.
Es gab noch andere Schüler, mit denen Irina schnell Freundschaft schloß. Sie waren alle in Gruppen auf dem Bauernhof. Pauline und Elfi, Pit und Sascha. Aber mit Carmen, das war etwas Besonderes.
5.
Für Dimmy schien es zunächst einfacher. Er nahm nachmittags einige dieser Lerngruppen in Anspruch. Deutsch schreiben, das war bisher sein großes Problem, aber bei den Cracks auf der Halfpipe, bei den Computerfreaks und in der Videogruppe konnte sich Dimmy austoben. Bei den Kids werden solche Leistungen wirklich anerkannt. Es gab ein paar alberne Querelen, aber Dimmy hatte das ziemlich schnell im Griff.
Einer der Kids (er ging zwei Klassen höher), der war auch so ein Obercrack auf dem Board, aber er konnte es nicht ab, dass jemand noch besser ist als er. Es gab da so eine Ingroup. Eine feste Gruppe, die niemanden an sich heran ließ.
Dimmy wollte nur seinen Spaß haben. Er wollte üben. Er würde sicher genauso gut werden wie sein Vater Frederik damals gewesen war, dort in Berlin, aber dieser Junge da, dieser Steffen, der fuhr ihm immer wieder in die Parade. Manchmal sogar ziemlich gefährlich. Stunts sind nun mal eine riskante Angelegenheit. Dimmy hatte zwar Ellbogen-und Knieschützer, aber bei Stürzen konnte man sich schwer verletzen.
Steffen zog über Dimmy her. Er verletzte das ungeschriebene Gesetz der Skateboarder auf Fairness und gegenseitige Achtung. Er gebrauchte dieses hässliche Wort vom Analphabeten, weil Dimmy im Deutsch lesen und –schreiben so schlecht war und er rempelte immer wieder und wieder. Er verdrängte Dimmy geradezu aus der Halfpipe. So hatte sich Dimmy das nicht vorgestellt. Er kannte solche Gruppen als eine eingeschworene Gemeinschaft von Freunden, nicht als Ausschluss von Einzelnen, weil sie erst neu dazukamen. Dimmy war bereits ein Crack. Er wollte nur trainieren und mit den anderen lachen.
Schließlich reichte es Dimmy. Er biss zurück. Als Steffen wieder einmal einen dieser Saltos machte, wo man am Ende der Kurve hoch in die Luft springt, sich dreht, überschlägt und mit den Füssen wieder auf dem Board landet, bevor man in den Abhang rauscht, da ließ Dimmy das Board mit seiner übersinnlichen Kraft ein Stück weiter weg fliegen, als normal. Steffen fiel ins leere und krachte halb auf die Kante und halb auf die Schräge der Halfpipe. Er brach sich den Knöchel und den rechten Oberarm, der Kopf schlug hart auf, und er bekam eine Gehirnerschütterung. Er sah ziemlich verdreht aus, und sie mussten einen Notarztwagen rufen. Mit Halfpipe war erst mal Schluß. Dimmy sagte nichts dazu. Er zuckte nur mit den Schultern. „Sowas kann passieren…“ Im selben Moment erhielt er einen Energiestrahl von Großvater, der ihm sagte. „Das war gefährlich. Mach was aus der Situation.“ Dimmy nickte innerlich und signalisierte. „Mamma hat immer gesagt, Stinkstiefeln muss man die Drüse ziehen.“
Opa.
Irgendwie war es immer so, dass Opa ihn begleitete, verbunden durch seine Energie. In diesem Moment war ihm Dimmy dankbar dafür.
Er hatte sich schon manchmal gefragt, ob es gut sei, dass Opa immer wusste, was er gerade denkt, wenn der das wirklich will. Dimmy hatte schon ein paar mal mit seinem Großvater darüber gesprochen, und Leon hatte geseufzt. „In unserer Familie gibt es schon enorme Kräfte, aber du musst wissen, dass es auch mir verboten ist, meine Kräfte zu missbrauchen. Manchmal nehme ich Kontakt zu dir auf, und du merkst es nicht einmal. Das ist meine Plicht. Vergiss nicht, Chénoa oder ich sehen vieles, aber wir müssen nicht über alles reden. Wir mischen uns nur ein, wenn es absolut notwendig ist.“ Dimmy hatte damals genickt. Es gibt Dinge, da war es gut, wenn Opa sich einmischt, wie ein Korrektiv, so wie gerade eben. Er hatte es aber noch nie erlebt, dass Leon ihm irgendwelche Vorschriften macht. So seltsam das klingt. Leon war bisher immer fair gewesen.
Mama hat diese Kräfte nicht, und sie ist in vielen Dingen viel strenger als Großvater Leon. Sie setzt Regeln und sie verlangt, dass sie eingehalten werden. Es sind Regeln, die das Miteinander bestimmen. Mama fordert Verlässlichkeit und Fairness. Dimmy kennt das nicht anders. Es war ihm bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Auch wenn es in seinem Alter typisch ist, sich aufzulehnen, so hatte er noch nie einen Grund dafür gesehen. Mama und Großvater waren in ihren Argumenten bisher immer überzeugend.
Er wischte den Gedanken schnell wieder weg. Er hatte jetzt eine Aufgabe.
Weil Steffen erst mal ausfiel, hat Dimmy etwas mehr Platz und Ruhe. Jetzt fängt er an zu summen und fängt die Gruppe ein. Er will keine Führerschaft. Er will einfach nur seinen Sport machen. Er will keinen Ärger, sondern nur einer von vielen sein, die auf der Pipe fahren, und er will, dass Neue sich da problemlos eingliedern können. Nicht nur er. Es dauert eine Weile, dann begreifen sie das.
Als Steffen wiederkommt, versucht er die Führung wieder an sich zu reißen, aber Dimmy summt jetzt. Dagegen ist nichts zu machen. Zum erstenmal in seinem Leben spürt Dimmy diese Kraft, die ihm Leon gezeigt hatte. Diese Beeinflussung anderer Gehirne. Dimmy triumphiert innerlich darüber, aber er schweigt. Leon sieht ihn jetzt manchmal schräg an und lächelt. Leon weiß Bescheid und Dimmy sieht seinen Großvater innerlich lachen. Dimmy ist Großvater dankbar dafür, dass er nichts sagt.
Seit dieser Zeit sind die Karten in der Halfpipe neu gemischt. Dimmy fäng an, mit den andern Kids echt zu kommunizieren.
In der PC Gruppe ist das ganz anders. Auch da gibt es echte Cracks. Dimmy will etwas lernen. Die Kids sind viel besser als er, aber sie sind alle hilfsbereit.
Schon immer hat es dieses System Windows gegeben, dieses Basisprogramm von Microsoft. In den USA hatte Dimmy einen Mac gehabt, der liegt jetzt Zuhause. Für die Schule hat Leon ihm einen zweiten Laptop gekauft. Deine privaten Daten musst du nicht mit in die Schule nehmen, hatte er gesagt.
Schon lange hat es auch dieses freie System gegeben, dieses Linux und eine ganze Reihe von Open Source Programmen. Ein Textprogramm und vieles andere mehr. Vor rund zehn Jahren hatte Linux einen Ableger gegründet, der nannte sich Basics. Ein Programm, ähnlich einfach zu bedienen wie Microsoft, aber als offene Version. Es gab da alle möglichen Hilfsprogramme, auch zum DVD schreiben, Foto bearbeiten, Videoschneiden oder um Internetseiten zu schreiben, alles kostenlos, weil das von vielen Interessierten rund um die Welt selbst geschrieben worden war und ständig verbessert wurde, und der internationalen Gemeinschaft auch zur Verfügung gestellt wurde. Jeder der wollte, konnte daran mitarbeiten. Alles auf freiwilliger und unbezahlter Basis. Es war eine gewaltige Weltgemeinschaft, die ständig miteinander kommunizierte. Über alle möglichen Plattformen und Tauschbörsen.
Du kamst an die Codecs ran, jeder war aufgerufen, das System und die Programme zu verbessern. Es gab auch Virenschutzprogramme dafür, alles als Open Source entwickelt. Das System lief auf dem Windows PC und auf dem Mac. Sogar als Zweitsystem in einer Partition.
So etwas hat Dimmy jetzt auch wieder, aber für den Windows PC. Einige der Cracks arbeiten bereits auf dieser Plattform mit, und sie schreiben Programme. Sie tauschen sich im Internet gegenseitig aus. Mit Cracks aus China, Indien, Pakistan, den USA, Russland oder Nordafrika, die alle irgendwelche Phantasienamen im Netz benutzten. „ModulX“ oder „Synti2000“, „Cyber2“ oder „Blackjack“, manche nennen sich „dogwood“ oder „Greyhound“. Irgendwas halt. Es gibt große Plattformen zum Tausch solcher Informationen, und an dieser Schule gibt es wirklich ungeheuer gute Leute. Der freie unbegrenzte Zugang zu Informationen bestimmt die Kommunikation.
Dimmy war im Bereich PC bisher nur ein geschickter User gewesen, jetzt fängt er an, sich langsam für das Programmieren zu interessieren. CSS, PHP, HTML, MySQL, Perl, Javascript und all diese Schriften, um gebrauchsfähige Programme zu entwickeln, oder um dynamische Seiten im Internet zu erstellen.