Kitabı oku: «Die Geburt der Schamanin», sayfa 3
14.
Auch in diesem Winter ging Papa wieder fort. Théra würde bald drei Jahre alt werden. Sie wollte jetzt wissen, warum Papa im Winter fortgeht und sie an ihrem Geburtstag alleine lässt.
Papa war ehrlich. Er erzählte Théra von einer anderen großen Stadt, weit weg. Er erzählte, dass er dort viele Freunde hat. Er erzählte, dass dort viel Musik gemacht wird. Eine ganz andere Musik, wie bei den Quechua, hatte er gesagt. Dann hatte Papa von Conny der Geigerin, von Armando, dem Panflötenspieler und von Fatima, der Sängerin erzählt.
Théra hatte sich erinnert. Das war lange her gewesen, doch dann stieg diese Musik in ihr wieder auf, die sie damals gehört hatte, als Conny, Armando und Fatima das Konzert in „der großen Muschel“ gegeben hatten, dem Konzertsaal des Hotels.
Sie begann plötzlich zu singen, und ihre beiden Hunde stimmten schauerlich schön in den Gesang ein. Papa hatte gelächelt. „Wenn du etwas größer bist, dann nehme ich dich einmal mit nach Berlin. Dann wirst du Conny und Fatima wiedersehen. Du wirst Musik hören, die du noch nie zuvor gehört hast. Ich werde aber erst mit Mama darüber reden. Sie wird traurig sein, wenn du sie im Winter verlässt.“
Dann erzählte Papa von Bübchen, von Moses (dem Koch), von dem kleinen Spanier und anderen Freunden. Sie kommen alle aus Berlin, hatte Papa gesagt. Berlin ist eine sehr große Stadt. Sie ist ganz anders als unsere kleine Stadt hier. Ich werde dich darauf vorbereiten müssen.
Théra hatte ihre Arme um Papa gelegt und war irgendwann eingeschlafen. Sie träumte von einer fernen Stadt und stellte sich vor, dass es dort viele solcher Holzhäuser gab wie die, in der sie mit Papa und Mama lebte.
In diesem Winter wurde Théra drei Jahre alt. Onkel Bübchen besorgte wieder einen Baum mit vielen Lichtern und Kugeln und es gab Geschenke für Théra.
Die beiden schönsten Geschenke waren zwei Bücher. Eines über Tiere und Pflanzen. Es hatte viele Bilder und es gab dort viele Tiere, die Théra noch nie gesehen hatte.
Das andere war ein Bilderbuch über Berlin. Bübchen hatte sich das extra aus Berlin schicken lassen. Papa hatte es für sie ausgesucht. In den Folgetagen mussten Bübchen, Moses und der kleine Spanier immer wieder von Berlin erzählen. Théra lernte, dass auch die Wachleute des Hotels darüber Bescheid wussten, und sie löcherte sie mit vielen Fragen.
Das andere Buch war anders. Über den Winter hatten die Indios ihre Schulungen verstärkt aufgenommen. Die vielen Kinder der neuen Siedlung nahmen jetzt an dieser Schule teil. Théra ging oft mit Para dorthin. Sie nahm das Buch mit. Sie sah sich mit den anderen Kindern die Bilder an, sie lernte viel über Tiere und Pflanzen, und sie lernte die Zeichen für Tiere und Pflanzen kennen.
Die Siedlung der Indios war inzwischen noch einmal gewachsen. Es gab nun ein großes Zentrum, in dem sich die Aymara und Quechua trafen. Es gab dort viele Läden. Das Zentrum war beheizt. Es gab viele Tische und Bänke. Sie waren immer noch roh zusammengezimmert, aber das störte niemanden. Es gab die typischen Gerichte der Indios und es wurde viel gelacht und gesungen. Immer wieder begannen die Indios Geschichten zu erzählen. Vieles über ihre Traditionen war in Vergessenheit geraten. Langsam bildete sich ein ganz neues Bewusstsein über eine sehr alte Kultur.
Théra hätte gern über ihre eigenen Erlebnisse erzählt, von Königinnen und der alten Stadt, aber Para hatte ihr das verboten. „Alles das, was deine Mutter ausgräbt und was sie über unser Volk herausfindet, darüber dürfen wir sprechen. Das andere bleibt unser Geheimnis. Denk immer daran. Wir wissen manches, was andere nicht wissen. Es muss unser Geheimnis bleiben.“ Théra hatte solche Worte von Papa und Para schon oft gehört. Es tat manchmal körperlich weh, nicht über all diese Dinge sprechen zu dürfen. Théra hielt sich aber daran. Sie sprach nur mit Para, Papa und Mama über diese Dinge, die ein Geheimnis ihrer Familie waren.
Ihre kleine Schwester Clara war nun ein halbes Jahr alt. Clara war äußerlich ganz anders als Théra. Théra hatte die dunklen Haare und die warmen braunen Augen ihrer Mutter. Clara hingegen war blond und hatte die leuchtendblauen Augen ihres Vaters. Nur der Körperbau der beiden Kinder war gleich und Théra spürte, dass auch Clara die gleiche Kraft in sich trug wie Papa, Para und wie Théra selbst.
Théra hatte noch etwas bemerkt. Bevor es Weihnachten wurde, war Mama wieder schwanger geworden. Théra hatte in den Bauch von Mama hineingehorcht. „Ich bekomme einen Bruder“, hatte sie mit Bestimmtheit gesagt.
15.
Ohne dass Théra das wusste, hatte sich in diesem Sommer etwas sehr wichtiges ereignet. Sie sah immer wieder, dass Papa mit einem fremden Mann sprach. Er kam ab und zu. Er hatte Wachleute dabei (Théra kannte den Unterschied zwischen Wachleuten und anderen Menschen) und er schien ein sehr wichtiger Mann zu sein.
In diesem Herbst hatten Dennis und der Ministerpräsident lange zusammengesessen. Dennis hatte über die Ausgrabung gesprochen und über die vielen Schichten aus Erde, die über dem ganzen Tal lagen. Erde, die vor vielen Jahrhunderten aus Asche entstanden war, die aus dem fernen Vulkan herabgerieselt war.
Er lag 120 Kilometer entfernt auf der Hochebene. Stets zeigte sich dort eine dünne Rauchsäule. Théra hatte sie schon oft gesehen.
Papa und Para waren - ohne dass Théra das wusste - schon oft in der Gestalt von Adlern dorthin geflogen. Sie hatten den Vulkan umkreist, und sie hatten auf dem Kraterrand gestanden und in den tiefen blauen See hinabgeblickt, in dem immer wieder Gasblasen aufstiegen.
An diesem Tag hatten Papa und der Ministerpräsident beschlossen, dass in dem Vulkan und an einigen Stellen außerhalb des Kraters Mess-Stellen errichtet werden, um die Aktiviät des schlafenden Vulkans ständig zu beobachten.
Der Vulkan ist schon zu lange still gewesen, hatte Dennis gewarnt. Irgendwann wird er wieder ausbrechen. „Wir wissen nicht, wann das geschehen wird. Wir wissen, wie viele Meter Asche damals herabgeregnet sind. Wir wissen inzwischen, wie viele Menschen von dem gewaltigen pyroplastischen Strom verbrannt worden sind. Es waren Zehntausende. Wir sollten gewappnet sein. Vulkane haben stets bestimmte Zyklen. Dieser Vulkan ist seit langem überfällig. Wir wollen unsere wertvolle Ausgrabung nicht noch einmal verlieren. Schließlich wohnen hier inzwischen viele Menschen. Sie und viele Ihrer politischen Freunde haben hier Häuser. Bauen wir ein Frühwarnsystem.“
Der Ministerpräsident hatte genickt. In den nächsten Wochen waren viele Experten befragt worden. Der Ministerpräsident hatte schließlich angeordnet, dass auf dem Berg und auch rundherum Frühwarnstationen errichtet wurden. Es gab dort bald sehr teure Messgeräte, und es gab dort ein festgebautes Haus aus Stein und Holz, in dem sich ständig ein oder zwei Vulkanologen aufhielten. Der Ministerpräsident hatte auch angeordnet, dass dieses Gebiet, das als Naturpark ausgezeichnet war, stets von mehreren Rangern bewacht wurde, die mit allen Indios Kontakt aufnahmen, die dort oben auf der Hochebene wohnten und Lamas züchteten. Straßen gab es hier oben nicht, aber Wildpfade und Trampelpfade der Lamaherden. Die Gefahr, dass Fremde hierauf kamen, war Gott sei Dank gering.
Der Ministerpräsident hatte Dennis später einmal gesagt: „Die Ausgrabung ist derzeit unser wichtigstes aussenpolitisches Aushängeschild. Wir müssen dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Sorgen Sie für die Sicherheit der Besucher in Ihrem Hotel. Ich sorge für die Sicherhheit der Region.“
Dennis hatte in diesem Herbst auch dafür gesorgt, dass dort neben der Solaranlage, die auf der Hochebene errichtet worden war, ein festes Haus gebaut wurde. Hier wurden Planen in ausreichender Zahl glagert, um die Solaranlage notfalls schnell abdecken zu können. Solche Planen gab es auch im Hotel, um die Solaranlage auf den Dächern zu schützen.
Théra hätte mit diesem Wissen damals nichts anfangen können. Sie wusste davon nichts. Später einmal sollte sie erfahren, wie weise die Vorraussicht von Papa und dem Ministerpräsidenten war.
16.
Als der Frühling kam, kam auch Papa wieder.
Théra hatte den Winter über gelernt, Verantwortung für ihre Schwester Clara zu übernehmen. Aber auch, wenn sie die Älteste war, so war sie doch immer noch Papas kleines Mädchen.
Als Dennis dann gekommen war, hatte Théra ihren Papa mit Beschlag belegt. Sie erzählte ihm von ihren Erlebnissen und sie bat auch Papa von seinen Erlebnissen in dieser fernen Stadt zu erzählen. Papa hielt Wort.
Immer wieder, wenn die Zeit dafür gut war, setzte er sich mit Théra zusammen in einen Liegestuhl, oder legte sich mit ihr auf eine Decke vor ihrem Holzhaus und er erzählte. Théra hatte viele Fragen. Sie lernte Berlin von seiner positiven Seite kennen, aber Papa erzählte auch, dass viele seiner Freunde im Verborgenen leben. Sie verstecken sich vor der Polizei, erzählte Papa.
Théra war in einer Welt aus Geborgenheit und Liebe aufgewachsen. Nur einmal hatte sie diesen Zusammenstoß mit dem Soldaten. Jetzt hörte sie Papa mit großen Ohren und Augen zu. Eine solche Welt war neu für sie.
17.
In diesem Sommer passierte noch mehr. Die Siedlung der Indios wurde fertig. Die Stadt entlang des Flusses wuchs und wuchs. Eine Brücke aus Stahlbeton war gebaut worden, welche die alte Holzbrücke ersetzte. Der Staudamm unten im Tal wuchs und wuchs, und schließlich wurde der See geflutet. Über den Staudamm führte eine Straße, die man als Fussgänger und mit Tieren begehen durfte. Man kam über diesen Staudamm viel schneller in die Ausgrabung hinüber.
Im Sommer wurde Théras kleiner Bruder Pesa geboren. Er war dunkelhaarig wie Mama und wie Théra, und auch er hatte diesen braunen warmen Augen seiner Mutter Alanque.
Théra lernte, dass sie Mama entlasten musste. Sie fühlte sich jetzt schon groß. Manchmal fegte sie mit Mama oder Papa das kleine Haus und sie machte Besorgungen. Mama lehrte sie mit Nadel und Faden umzugehen. Bei den Indios in der Siedlung lernte sie wie man aus der Wolle der Alpaccas Fäden sponn, Decken und warme Pullover webte. Sie lernte, manchmal auf Pesa aufzupassen. Mama nahm das Baby aber fast immer zur Arbeit mit.
Ihre Schwester war noch klein. Para kam oft mit in die Siedlung und trug Clara auf dem Arm. Sie wuselte überall unter den Indios umher und lachte sie alle an. Sie hatte inzwischen richtige Goldlocken bekommen und sie hatte dieselben energiegeladenen Hände wie ihre Schwester. In der Ausgrabung war entdeckt worden, dass zwei der Königinnen blondes Haar hatten. Die Indios wussten, dass Para, Dennis und Théra große Kräfte haben. Sie entdeckten, dass auch die kleine Clara sich genauso entwickelte. Sie konnte in die Menschen hineinhorchen. Sie galt den Indios bald als eine Art Wiedergeburt der Sonnengöttin, die dort in dem Sarkophag gefunden worden war. Die Indios glaubten an diese Dinge.
Schließlich hatten Para und Théra schon mehrfach Kinder der Indios auf wunderbare Weise geheilt. Es waren immer Krankheiten, bei denen das Wissen der Ärzte versagte. Immer wurden Para und Théra von einem geheimnisvollen Feuer umgeben, das manchmal statisch war, das sich manchmal aber auch wild bewegte. Manchmal sprühten Funken, manchmal legte sich dieses Feuer wie ein dichter Nebel über den Raum. Tiere, die in der Nähe waren, wurden still und geradezu andächtig. Sie stellten das Fressen ein. Sie legten sich hin, sie beobachteten das Geschehen, sie winselten manchmal leise. Die Indios wussten, dass sie darüber nicht mit den Weißen reden durften. Es blieb ein Geheimnis unter den Indios.
Para und Théra wurden bald so etwas wie Götter für die Indios. Sie wurden gerufen, wenn nichts mehr anderes half. Sie waren stets freundlich. Nie kam es vor, dass die beiden Geld nahmen. Sie ließen sich gern zum essen und trinken einladen. Sie saßen bei den Schulungen und beteiligten sich daran. Sie lernten, genauso wie auch die Indios selbst lernten. Sie waren ein Teil der Indiogruppe, und dennoch waren sie etwas Besonderes. Sie verlangten keine Unterwürfigkeit und sie hätten das strikt abgelehnt, aber sie besaßen die Hochachtung aller Indios. Diese Hochachtung wurde auch auf die kleine Clara übertragen.
Im Hotel war es nicht anders. Es gab dort viele Indios. Manche halfen in der Küche. Ein Großteil der Zimmermädchen waren Aymara-Indianer, einige bedienten die Gäste. Dennis und Bübchen hatten dafür gesorgt, dass sie englisch lernten. Einige lernten sogar französisch und japanisch. Dennis und Bübchen (der als Direktor alles im Hotel befehligte) sorgten gut für die Indios und sie honorierten jede gute Leistung.
Schließlich war auch die Siedlung von Papas Stiftung gebaut worden, in der alle diese Indios lebten. Die Indios hatten damals darüber diskutiert, sie hatten abgestimmt, sie hatten an den Bauarbeiten mitgewirkt, und sie hatten ihre Familien hergeholt. Ihr Herzblut steckte in dieser Siedlung. Inzwischen wohnten dort über 5000 Indios, Erwachsene und Kinder.
Die Familie von Dennis und ihre Freunde waren für die Indios wie das beschützende und sorgende Oberhaupt ihres Clans.
Théra hatte jetzt eine große „Familie“ bekommen. Alle diese Indios waren „ihre Familie“. Manchmal kam sie alleine mit ihren beiden Hunden und ließ sich von den Indios einladen. Sie aß mit ihnen. Manchmal schlief sie bei ihnen. Théra war ein Teil dieses Clans. Sie konnte überall ein- und ausgehen. Sie kannte nicht jeden der 5000 Indios, aber doch viele von ihnen. Auch bei den Kindern genoss sie eine seltene Hochachtung.
18.
Eigentlich durfte man nicht mehr nur von zwei Hunden sprechen.
Théra war im Frühjahr mit Papa einmal ins Tal des Wasserfalls gesprungen. Die Familie hatte drei Hütehunde, die Para ihnen besorgt hatte und die inzwischen schon wieder eigene Nachkommen hatten.
Papa fand, es sei an der Zeit, dass Théras großer irischer Wolfshund eigene Kinder bekommt. So wurde Suse (so hieß Théras Wolfshund) von dem Leitrüden der Hundemeute gedeckt.
Im Herbst brachte Suse sechs Welpen zur Welt. Es war eine Mischung zwischen Wolfshund und den großen struwweligen Hirtenhunden aus dem Tal des Wasserfalls. Zunächst hatten sie noch ein kurzes dichtes Fell. Sie waren blind. Später öffneten sie die Augen und wackelten auf ihren kurzen Beinchen herum. Sie hatten immer Hunger und piselten überall hin.
Théra und Clara liebten diese Welpen. Es war eine aufregende Zeit.
Clara, die längst gelernt hatte, mit den Tieren zu sprechen, lag manchmal mit der kleinen Meute in dem großen Hundekorb, der Suse und ihren Welpen als Bett diente. Die Welpen turnten auf ihr herum. Manchmal nahm Suse die Welpen ins Maul, und setzte sie von Clara weg, wenn sie gar zu aufdringlich wurden. Suse sorgte für Clara genauso gut wie für Théra und ihre eigenen Welpen.
Am liebsten hätten Théra und Clara alle sechs Welpen behalten. Aber Papa entschied, dass vier der Hunde ins Tal des Wasserfalls gebracht wurden. Théra und Clara durften sich jeweils einen der kleinen Welpen aussuchen.
19.
In diesem Jahr passierte noch etwas. Papa baute unweit der Hütte ein großes Haus. Es hatte einen Keller aus Stahlbeton und vier Etagen. In der obersten Etage würde eine Wohnung für die Familie gebaut. Zum See hin würde es sogar einen Balkon geben mit einem wunderbaren Ausblick. In den unteren Etagen würden Büroräume entstehen.
Noch wohnte die Familie in diesem Holzhaus, das Théra so liebte. Im nächsten Frühling würden sie umziehen. Théra nahm ihrem Vater das Versprechen ab, das Holzhaus nicht abzureißen. Théra wollte es behalten.
Mit ihren kindlichen Worten hatte Théra Papa erklärt: „Du hast mir viel von der Geschichte unserer Familie erzählt. Auch dieses Holzhaus ist ein Teil unserer Geschichte. Es ist mein Leben. Bitte laß es so, wie es jetzt ist. Wir Kinder können das Haus zum spielen und toben benutzen. Ich möchte dort noch oft mit den Spinnen, den Tausendfüsslern und den Mäusen reden und ich möchte das auch meinem kleinen Bruder zeigen.“
Dennis hatte genickt. Das war ein sehr vernünftiger Vorschlag und er hatte Théra versprochen, das Holzhaus würde bleiben.
Kapitel 2. Die neue Welt Théras Erlebnisse in Berlin und ihre Rückkehr nach Peru
1.
In diesem Winter nahm Dennis seine Tochter Théra zum ersten Mal mit nach Berlin.
Er hatte die Reise gut vorbereitet. Er hatte mit seiner „Frau“ in Berlin darüber gesprochen. Er hatte im Sommer immer wieder mal mit Théra, Bübchen, Moses oder einem andern der deutschen Freunde zusammengesessen. Es gab inzwischen einige davon, die in Peru lebten, und bei diesem gewaltigen Projekt des Hotels mitarbeiteten.
Sie hatten deutsch geredet. Théra hörte diese fremden Laute. Sie konnte bereits vier Sprachen sprechen. Indianisch, spanisch, die Sprache der Familie von Para (dieses alte indianisch) und die Weltsprache, die sie von Para und Dennis gelernt hatte. Sie prägte sich diesen neuen Singsang ein, den diese andere Sprache hatte, und sie hörte genau zu. Dann verfiel sie in ihren Singsang, diese universelle Sprache, die auch Para und Papa beherrschten, und sie merkte, wie sich ihre Sinne schärften. Sie begann einzelne Worte dieser fremden Sprache viel besser zu verstehen, später immer mehr. Bald konnte Théra einfache Sätze in deutsch sprechen. Immer dann, wenn sie selbst in diese universelle Sprache verfiel, konnte sie alles verstehen was gesagt wurde. Es war stets, als wenn ihre Sinne um ein vielfaches schärfer und wacher wurden, wenn sie diese universelle Sprache benutzte.
Papa hatte genickt, als Théra das erzählte. Das war auch bei ihm so. Théra lernte, dass die Amerikaner, die Chinesen, die Japaner (einfach alle, die eine ganz andere Sprache sprachen als in Peru) verstanden, was Théra sagte, wenn sie in ihre Weltsprache verfiel. Dieser ganz spezielle Singsang, der in Worte überging, die aus ihrem Innersten kamen, und die Théra selbst kaum beeinflussen konnte. Es war, wie wenn jemand in ihr sprach, den sie nicht kannte, der ihr aber seltsam vertraut vorkam. Niemand konnte diese Sprache sprechen, außer Papa, Para und Théra und sie lernte im Herbst, dass auch Clara begann, diese geheimnisvolle Sprache zu entwickeln.
2.
Papa packte mit Théra zusammen einen kleinen Rucksack mit all ihren wichtigen Dingen, und noch einen großen Rucksack, in dem Papa seine Dinge mitnahm. Théra erhielt neue Kleidung. Papa besorgte sie im Laden der Indios.
Dann sprang Papa mit Théra nach Lima. Es gab dort eine sehr kleine Wohnung, in der es nur ein Bett, einen Schrank, einen Tisch und einen Stuhl und einen Kühlschrank gab. Théra lernte das zum ersten Mal kennen. Von Papa erfuhr sie, dass Papa und Para mehrere solcher kleinen Wohnungen unterhalten, in die sie jederzeit unerkannt springen können.
Bevor sie in Lima den Flieger bestiegen, zeigte Papa ihr das Meer. Théra war schwer beeindruckt. Diese Weite. Diese Wellen. Dieser lange Sandstrand und dieses salzige Wasser..., das war wunderbar. Théra bat Papa, das einmal länger erleben zu dürfen, zusammen mit Clara und Pesa. Papa hatte genickt. Später einmal. Jetzt fliegen wir erst mal nach Europa.
Auch das war neu für Théra. Sie hatte noch nie ein Flugzeug gesehen. Ihren kleinen Rucksack durfte sie behalten. Papa musste seinen großen Rucksack abgeben. Er behielt nur eine kleine Umhängetasche bei sich.
In diesem glänzenden Flugzeug war alles anders als das, was Théra kannte. Reihen von Sitzen mit vielen Menschen. Stewardessen, die immer freundlich schienen. Dann dieses Gebrüll der Turbinen und das Abheben der Maschine. Dieses seltsame Gefühl im Bauch. Théra hatte einen Fensterplatz. Plötzlich sah sie, dass sie schwebten. Sie sah, wie das Flugzeug hinaufflog in den blauen Himmel mit den kleinen weißen Wolken.
Théra war aufgeregt. Sie plapperte und sang. Sie belästigte die Stewardess mit tausend Fragen. Sie wollte alles wissen über diesen großen stählernen Vogel.
Irgendwann wurde sie müde. Papa nahm sie auf seinen Schoß und sie schlief ein. Später wurde sie von Papa aufgeweckt. Sie würden nun bald landen. Nein, Europa war das noch nicht. Sie würden auf dem Kennedy Airport landen, in Amerika.
Théra setzte sich auf ihren Stuhl und sah aus dem Fenster. Unter sich sah sie eine riesige Stadt, die zur Hälfte von Meer umgeben war. Es gab hohe Häuser, eins neben dem anderen. Der Flughafen war gigantisch. Sie stiegen in eine andere Maschine um und hoben wieder ab. „Später einmal“, hatte Papa gesagt, „werde ich dir New York zeigen. Jetzt sollst du erst mal meine Heimatstadt Berlin kennenlernen.“
Es gab noch einen langen Flug. Théra war wieder eingeschlafen.
Schließlich wurde sie von Papa geweckt. Sie flogen über grünes Land, das weit unter ihr lag. Sie sah viele kleine Seen. Dort lag eine große Stadt. „Das ist Berlin“, sagte Papa.
Dieses Berlin, dachte sich Théra, ist ja wirklich weit weg. Sie sah Papa lächeln. Er hatte ihre Gedanken erraten. Théra hielt Papas Hand beim Anflug auf Berlin fest und war gespannt, was jetzt kommen würde.
Papa und Théra wurden am Flughafen abgeholt. Eine blonde Frau stand dort. Genauso blond wie Théras kleine Schwester Clara. Théra sah, wie sich Papa und diese fremde Frau umarmten. Dann wurde sie von Papa auf den Arm genommen.
„Das ist Laura“, erklärte Papa. „Bei ihr werden wir wohnen.“ Théra sah Laura mit Interesse an, dann bat sie Papa, sie auf den Boden zu lassen. Théra schaute zu der Frau hoch. Die Frau hockte sich vor sie hin. Théra nahm spontan die Hände dieser Frau und hielt sie fest. Théra schloß die Augen. Sie horchte in diese Frau hinein. Sie spürte, dass die Frau eine Spur von der Kraft hatte, die Théra mit Dennis und Para verband. Viel schwächer, aber dennoch spürbar.
„Bist du meine Schwester“, fragte Théra in ihren wenigen Worten Deutsch. Sie sah die fremde Frau lächeln. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein. Mit Dennis verbindet mich etwas anderes. Wir lieben uns.“ Théra bat Dennis, sich neben Laura zu hocken, dann nahm Théra auch Papas Hand. Sie schloß die Augen erneut, und sie sah in die beiden hinein. Lange und sehr konzentriert. Théra sah eine intensives Band zwischen Dennis und Laura. Energie verband die beiden miteinander. Eine ähnliche Energie wie bei Mama und Papa. Es war ein dichtes und eng geflochtenes Band aus vielen einzelnen Strängen. Dann hatte Théra plötzlich genickt. Sie hatte verstanden.
Mit ihrer kindlichen Auffassungsgabe hatte sie begriffen, dass hier noch eine Mutter vor ihr stand. Dass Papa zwei Frauen hatte, die er liebte.
Sie kannte die Energieströme, die zwischen Mama und Papa hin und herliefen. Sie waren anders, als die Energiewellen, die zwischen ihr selbst und Papa hin und herliefen. Théra hätte den Unterschied nicht zu beschreiben gewusst.
Genau diese andersartigen Wellen hatte Théra gerade zwischen Papa und dieser Frau gespürt. Sie würde bald erfahren, dass es wirklich Liebe war, welche die beiden miteinander verband. Papa und diese Frau, die ihr jetzt, wo Théra in sie hineinhorchte, plötzlich gar nicht mehr so fremd erschien. Théra ließ Papas Hand los und legte die Arme um Lauras Hals. Sie legte ihren Kopf an ihre Wange und atmete ihren Duft tief ein.
Dann sah Théra zu Papa, der ihr aufmerksam zugeschaut hatte. „Wir können jetzt gehen“, sagte Théra, dann nahm sie Lauras und Papas Hand in ihre, und begann zwischen den beiden hin und herzuhüpfen. So verließen sie den Flughafen und stiegen in ein Taxi, das sie hinaus brachte in dieses große Gebäude, das vor den Toren Berlins lag.
3.
Laura hatte eine große Wohnung. Sie lag im obersten Stock dieses Gebäudes. Man konnte aus den Fenstern viel dichten Wald sehen. Es war ein grauer Tag. Théra hatte schon auf der Fahrt bemerkt, dass sie Luft in Berlin ganz anders roch, als in ihrer kleinen Stadt. Irgendwie dumpf. Sie konnte die verschiedenen Gerüche nicht zuordnen. Nur der Duft von Laura war Théra in der Nase geblieben. Er roch frisch und fröhlich.
Théra war aufgeregt. Die große Wohnung verwirrte sie etwas. Sie war so ganz anders, als ihre kleine Holzhütte. Auch ganz anders als das Hotel, das sie von Zuhause kannte.
„Lass uns etwas essen gehen“, hatte Laura vorgeschlagen, und sie gingen mit Théra durch dieses große Gebäude. Es gab hier viele Türen und viele Gänge. Viele Hallen und viele Menschen. Théra hielt die Hände von Papa und Laura fest.
Laura führte sie in eine große Halle, in der eine Art riesiger Treppe stand, auf der Théra viele Menschen sitzen sah. Gegenüber gab es eine Leinwand aus Licht, die Bilder zeigte. Théra kannte Fernseher. Das hier war ein gigantisch großer Fernseher.
In der großen Halle gab es viele Geschäfte und Cafés. Laura steuerte eines davon zielgerichtet an. Es standen hohe Tische davor, an denen Menschen standen und lachten. Es gab einige kleine Tische mit Stühlen, die Armlehnen hatten. Einer der kleinen Tische wurde gerade frei und sie nahmen Platz.
Eine dunkelhaarige Frau kam heraus und schrie vor Freude auf, als sie Papa sah. Sie lief zu ihm und umarmte Papa. Dann sah sie zu Théra. Sie hockte sich hin, sah ihr in die Augen und sagte: „Du musst Théra sein. Dein Papa hat mir schon viel von dir erzählt.“ Théra verstand, dann fiel sie in ihre Weltsprache. „Du bist auch eine Freundin von Papa“, fragte Théra. Sie sah die Überraschung in diesem Gesicht, dann schaute Aysa kurz zu Dennis. „Was ist das für eine Sprache?“
Auch Papa fiel jetzt in diesen Singsang. „Das ist Aysa“, erklärte er Théra. „Aysa ist eine von unseren vielen Freunden, mit denen wir hier zusammenleben. Wenn du einmal etwas brauchst, dann kannst du dich immer an Aysa wenden.“
Aysa sah Dennis erstaunt an. Diese Sprache hatte sie nie zuvor gehört, aber sie verstand alles, was Dennis und Théra eben gesagt hatten.
Théra verstand auch. Sie lachte Aysa an, dann rutschte sie aus ihrem Stuhl und legte ihre Arme um Aysas Hals. „Wenn du eine Freundin von Papa bist, dann bist du auch meine Freundin“, sagte sie in ihrem Singsang.
Théra hörte Papa lachen. „Auch wenn du türkisch sprichst, dann wird Théra dich verstehen“, sagte er zu Aysa. Das gehört zu unseren Geheimnissen.“ Dann fragte er Théra, indem er in die deutsche Sprache fiel. „Es gibt hier wunderbare Säfte. Willst du einmal mit Aysa gehen und dir das zeigen lassen? Suche auch einen Saft für Laura und mich aus. Egal welchen. Sie schmecken alle gut.“ Er wandte sich an Aysa. „Bring uns doch bitte etwas Oliven, Schafskäse und türkisches Brot. Wir haben Hunger.“
Aysa nahm Théra an der Hand. Sie führte sie in den Laden. Es gab da allerlei Apparate und Pressen. Es gab Schalen mit Äpfeln, Orangen, Mohrrüben und Paprika. Schalen mit Nüssen, Käsestücken und Dingen, die Théra noch nie gesehen hatte. Es gab Kräcker, Salzbrezeln und große rote Krabben, die Théra bereits aus dem Hotel kannte.
Aysa setzte Théra auf die Theke und griff nach einer Orange und einem Messer. Sie schnitt die Orange entzwei, dann presste sie die Hälften aus und goß den Saft in ein Glas. „Probier mal“, sagte sie. Théra kostete. Es schmeckte süß und etwas sauer und es schmeckte frisch. Etwas ähnliches kannte sie von Zuhause. Moses hatte ihr das manchmal gemacht. Aysa sah sie an. „Gut“, fragte sie auf türkisch und Théra fiel in ihren Singsang. Sie wurde unterbrochen.
Zwei Jugendliche kamen herein. „Was zu trinken“ bestellten sie, und als Aysa nicht reagierte, meinte einer: „Los Schnepfe, mach hin.“
Théra drehte sich zu diesem Jungen um. Das war kein freundlicher Ton. Ihr Wolfshund Suse hätte ihn jetzt angesprungen, diesen Jungen. Sie wäre fuchsteufelswild gewesen. Instinktiv handelte Théra. Sie rutschte von der Theke. Sie fasste nach dem Bein des Jungen und dann gab es eine gewaltige Entladung. Es war wie ein Blitz, der aus Théras Hand kam. Der Junge schrie auf, er fasste sich ans Bein und stöhnte.
Théra sah plötzlich ihren Vater neben sich. „Laßt gut sein, Jungs“, sagte er. „Seid friedlich und wartet, bis ihr dran seid. Warten hat noch niemandem geschadet.“ Die beiden Jungs drehten sich um. Sie sahen Dennis an und Théra sah ihre Augen aufblitzen. Sie sah, dass die beiden Dennis kannten.
Ihre Feindseligkeit erlosch, wie wenn ein Tropfen Wasser auf einer heißen Herdplatte verdampft. „Oh Sorry“, sagte einer der beiden. Wir sind gerade schlecht drauf. Schön dass du wieder da bist. Wir könnten da deine Hilfe brauchen...“
Théra sah, wie Papa nickte. „Klar doch Robert. Übrigens. Das hier ist Théra, meine Tochter.“ Dennis zeigte auf Théra. Sie ist etwas Besonderes. Behandelt sie gut. Sie wird euch noch viel nützen können.“
Robert hatte eben diese Kraft gespürt, diesen Schmerz, der durch seinen Körper gefahren war. Er schaute zu Théra hinunter, dann streckte er ihr zögernd die Hand hin. „Ich bin Robert. Besuch mich mal. Dein Vater weiß, wo ich zu finden bin.“ Dann fuhr er, zu Dennis gewandt, fort. „Wär schön, wenn ich dich in den nächsten Tagen sehen kann.“ „Wie immer im Probenraum“, fragte Dennis und der Junge nickte.
Aysa sah die Jungs an. „Laßt euch heute mal von jemand anders bedienen. Ich habe zu tun.“ Dann hob sie Théra wieder auf die Theke. Aysa nickte Dennis zu, der wieder nach draussen ging.
„Das war eine eindrucksvolle Demonstration“, meinte Aysa. „Aber nun zu unseren Säften. Ich werd dir mal Äpfel und Gemüse auspressen. Versuch das und sag mir dann, wie dir das schmeckt und was du dir zu Trinken aussuchst.“ Sie presste in aller Ruhe Äpfel aus, sie gab Théra zu kosten, dann machte sie einen Gemüsesaft und noch einen und noch einen, und ließ Théra alles kosten. Sie war nur für Théra da.