Kitabı oku: «Die Geburt der Schamanin», sayfa 4

Yazı tipi:

Théra war neugierig. Das kannte sie nicht. „Das ist alles sehr gut. Kannst du uns verschiedene Säfte an den Tisch bringen“, bat sie in ihrer Weltsprache. Die beiden Jungs, die inzwischen woanders bedient wurden, drehten sich um und sperrten die Münder beim Klang dieses Singsangs auf. Sie sahen Aysa lächeln. Dieses Mädchen hatte wirklich etwas Besonderes.

Innerhalb weniger Stunden hatte sich das Ereignis in dem großen Haus herumgesprochen. Théra war bekannt, längst bevor sie sich in diesem großen Haus selbständig machte und überall herumstapfte.

Aysa hatte Théra einen Orangensaft gepresst, gab ihr das Glas in die Hand und meinte: „Das andere bringe ich gleich.“

Als Théra zum Tisch zurückging, wurde ihr hochachtungsvoll Platz gemacht. Sie sah Papa und Laura leise lachen, stellte den Saft ab und rutschte auf ihren Stuhl. „Das andere kommt gleich“, sagte sie auf indianisch. Papa lächelte und bat. „Versuche hier in meiner Sprache zu sprechen, wenn du willst, dass du verstanden wirst.“

„Oh, Entschuldigung“, bat Théra mit einem Blick zu Laura und wiederholte den Satz mit ihren wenigen Worten deutsch.

Als Aysa kam, kostete Théra von allem. Der Geschmack war neu. Sie tunkte das Brot in den Saft und lutschte es aus. Sie probierte von den Laugenbrezeln und dem Schafskäse. Sie strahlte Papa an, und Laura sah, dass Théra eine kleine Genießerin war.

Laura hatte noch zu tun, und Dennis führte Théra ein wenig herum. Irgendwann bat sie Papa, sie zurück zu bringen. Sie sei jetzt müde.

Später in der Nacht wachte Théra auf. Sie hörte, wie Papa und Laura Liebe miteinander machten. Sie kannte diese Geräusche. Sie wagte es nicht, zu stören, und hörte zu, bis sie wieder einschlief. Später wachte sie noch einmal auf. Alles war ruhig. Sie lief in Lauras Zimmer und stand lange unschlüssig neben dem Bett. Dann machte Papa die Augen auf. Er sah sie an und fasste nach ihrer Hand. „Komm“, forderte er Théra auf. Sie kroch zu Papa und Laura ins Bett. Papa nahm sie in die Arme und deckte sie zu. Am Morgen hörte sie im Halbschlaf, wie sich Papa und Laura erneut liebten. Sie spürte, dass sie nicht ausgeschlossen wurde.

Théra hörte eine Weile zu, wie durch einen fernen Nebel, dann schlief sie erneut ein. Ihre Welt war in Ordnung.

Als Théra später aufwachte, lag sie alleine im Bett. Sie hörte in einem der andern Zimmer Geklapper und leises Lachen. Sie rieb sich die Augen und blieb einen Moment liegen. Sie nahm die Geräusche dieser fremden Wohnung in sich auf, sie hörte, dass Papa und Laura glücklich waren, dann stieg sie aus dem Bett und machte sich auf die Suche nach Papa und Laura.

Es gab hier eine große Küche. Papa hatte den Tisch gedeckt. Es duftete. Théra kannte diesen Geruch. Brötchen, Ei und Speck. Brötchen gab es in Peru eigentlich nicht, aber Moses hatte diese Frühstücks-Sitte im Hotel eingeführt. Théra wusste, dass die Hotelgäste diese kleinen Brötchen liebten. Es gab viele verschiedene Sorten, mit hellem und dunklem Mehl, mit Körnern, Sesam oder Mohn. Moses war in diesen Dingen ein Zauberkünstler.

Laura sah Théra als erstes. Sie bückte sich, nahm Théra auf den Arm und fragte, ob sie gut geschlafen hätte. Théra hatte längst Vertrauen zu dieser fremden Frau geschöpft. Sie legte ihre Arme um Lauras Hals und atmete wieder diesen Duft, den nur Laura hatte. Laura roch gut.

„Komm“, meinte Laura „es gibt Frühstück. Dann wird dich Papa ein wenig herumführen. Er hat mir erzählt, dass du zu Hause ein Buch über Berlin hast. Du wirst Berlin sehen. Nicht heute und nicht an einem Tag. Dafür ist Berlin viel zu groß. Papa wird dir Berlin zeigen und ich werde ihm ein bisschen dabei helfen, wenn du mir das erlaubst. Jetzt frühstücken wir. Später wird Papa dir unser großes Haus zeigen.“

Théra sah, dass Papa nickte.

Obwohl Théra all diese Dinge kannte, die es zum Frühstück gab, so schmeckte das doch anders als zu Hause. Alles in diesem fernen Land war anders. Der Geruch des Frühstücks war anders und auch der Geschmack. Es schmeckte gut, aber es war anders. Théra hielt sich ein wenig zurück. Auch die Milch und der Käse schmeckten anders. Sie würde würde sich daran gewöhnen.

Sie sah an diesem Morgen zum ersten Mal, dass auch Laura so ein kleines Sonnensymbol auf dem Arm trug, wie Papa. Sie fand das äußerst spannend. Als sie hörte, wie lange die beiden das gemeinsame Zeichen schon trugen, staunte sie noch mehr. „Bist du auch bei den Théluan Kriegern in der großen Stadt gewesen“, fragte sie Laura. Laura lächelte und schüttelte den Kopf. „So viel Kraft habe ich nicht, wie dein Vater. Aber ich kenne die Geschichten der Sonnenkönigin. Dennis hat mir davon erzählt.“

Théra sah Papa an. „Dann gehört Laura auch zu unserer Familie?“ Dennis wusste, was Théra meinte und er nickte. „Laura weiß, welche Kräfte wir haben. Bei ihr darfst du offen reden, so wie bei Mama auch. Wir sind eine Familie.“

4.

Laura musste zur Arbeit. Dennis und Théra kuschelten sich noch einmal ins Bett und erzählten. Théra wollte genau wissen, was es mit dem kleinen Sonnentattoo auf sich hatte.

Als Théra hörte, was dieses Zeichen in der alten Welt für eine Wirkung erzielt hatte, begann sie zu lächeln. Es war schon eigenartig, dass solch kleine Dinge eine solch große Wirkung haben können. Sie würde sich das gut merken.

Dann gingen sie ins Bad. Eine Dusche und eine Badewanne kannte Théra nur aus dem Hotel. In ihrem Holzhaus gab es das nicht. Sie benutzten dort Wasser aus Kanistern und wuschen sich in Schüsseln. Théra und Dennis duschten an diesem Morgen. Dann föhnte und bürstete Dennis ihre Haare und flocht ihr links und rechts zwei Zöpfe. Sie fanden mehrere bunte, lustige Klipps auf der Spiegelablage, die Laura extra für Théra besorgt hatte, um die Haare zusammenzubinden. Es gab Käfer, Schmetterlinge und bunte Gummis. Es sah hübsch aus. Théra betrachtete sich stolz im Spiegel.

Dann fuhren sie mit dem Aufzug zwei Etagen tiefer. Sie gingen zusammen in das große Appartement, das Laura und ihren Mitarbeitern als Büro diente. „Das ist das Herz dieses Hauses“, erklärte Papa. Wenn du dich einmal verläufst, oder wenn du Hilfe brauchst, dann frag nach diesem Büro. Während Théra zu Laura hüpfte und ihr für die schönen Klips dankte, ließ sich Dennis Belegungspläne vorlegen. Ein Teil der Räume war fest vergeben, andere standen verschiedenen Gruppen zur Verfügung. Es gab überall Proben. Die Pläne wechselten jeden Tag.

Dann ging Dennis mit Théra durch die vielen Gänge in die zentrale Halle, in der Théra schon einmal gewesen war. Es war noch früh am Tag. Es war jetzt hell, so dass Théra alles viel besser sehen konnte. Die Halle war an diesem Morgen noch recht leer. Es gab überall Geschäfte, es gab Gänge in andere Tieile des Gebäudes, es gab einige große Türen. Es gab Lieferanten die Rollwagen mit vielen Kartons durch den Raum schoben.

Zuerst besuchten sie Aysa, die gerade eine Lieferung entgegennahm. Sie hatte eine große Liste in der Hand und hakte einzelne Posten der Lieferung ab. Sie winkte ihnen zu, aber sie hatte gerade keinen Kopf, um sich um die beiden zu kümmern. Deswegen führte Papa Théra in ein anderes Geschäft. Es gab dort viele Musikinstrumente.

„Das hier ist meine Tochter Théra“, sagte Papa zu dem Verkäufer, den er gut zu kennen schien. „Louis, Wir brauchen zwei Headphones“. „Eins für Théra und eins für mich. Drahtlos und gut isoliert. Théra ist den Krach nicht gewohnt. Wir müssen ihre Ohren etwas schützen.“

Sie probierten das aus. In Théras Größe war das nicht ganz einfach. Schließlich stülpte Louis, der Verkäufer zwei bunte zottelige Überzieher über die Ohrmuscheln, die aussahen wie giftgrüne Haare. Er setzte Théra und Papa die Kopfhörer auf, drehte an mehreren kleinen Rädchen und in Théras Ohren verschwanden alle Geräusche. Sie sah, wie Papa anfing zu reden und hörte jetzt alles was Papa sagte ganz deutlich. Alles andere war weggeblendet. Der Verkäufer zeigte ihr, wie sie die Rädchen leise und laut stellen kann, so dass sie etwas mehr von der Umgebung hören konnte. Théra staunte. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Später am Tag sollte sie erfahren, wie nützlich diese Kopfhörer waren.

Dann gingen sie durch die große Halle. Dennis öffnete eine der Türen. Er sprach leise mit dem Mann, der dahinter Wache schob, dann gingen sie durch Stuhlreihen nach vorne, wo eine hell erleuchtete Bühne war. Dort gab es viele Tänzer. Musik lief, sie bewegten sich nach der Musik, und sie trommelten während ihres Tanzes mit den Füssen rhythmisch auf den Boden. Papa zog Théra auf einen der Sitze, so dass sie gut sehen konnte. „Das sind Stepptänzer“, erklärte Papa leise. „Heute ist Probe. Sie haben jetzt noch keine Kostüme an. Sie üben für ihren großen Auftritt morgen abend. Hören wir einfach zu.“

Mehrfach wurde die Musik unterbrochen. Einer der Männer, die vorne in der ersten Reihe saßen, stand auf und gab Anweisungen. Manchmal ging er auf die Bühne, machte Drehbewegungen vor oder zeigte, wie sie ihre Hände, Arme oder den Kopf anders halten sollten, damit es besser aussah. „Das ist der Choreograph“, flüsterte Papa. „Er leitet die Tanzgruppe. Er passt auf, dass die Handlung des Stücks vom Zuschauer auch genau verstanden wird. Das alles wird nur durch Tanz gezeigt, es ist also nicht ganz einfach, was die Tänzer machen. Sie tanzen nicht nur, das Ganze ist ein Schauspiel. Nur Tanz und Musik.

Sie sahen eine Weile zu. Théra ließ sich einfangen von den rhytmischen Bewegungen und dem klack klack klack der Füsse auf dem Boden. Dann stand Papa auf und winkte ihr, um zu gehen.

Sie gingen durch einen langen Gang in ein anderes Gebäude. Auch dort gab es Flügeltüren, auf die große Nummern gemalt waren. Théra hatte in dem großen Raum nur geflüstert, so wie Papa, jetzt hüpfte sie neben Papa her und stellte lauter Fragen.

Papa setzte Théra schließlich die Headphones auf und stellte sie ein. Er setzte seine eigenen Headphones auf und sie gingen durch eine der großen Türen.

Hier wurden sie nicht aufgehalten. Trotz ihrer Kopfhörer wusste Théra, dass die Musik in diesem Raum sehr laut war.

Auch hier gab es eine Bühne. Der Tanz war jedoch ganz anders. Es gab eine Musikgruppe, die spielte, es gab tanzende Lichter in vielen Farben, manchmal gleisend hell. Es gab Tänzer, die sich nach der Musik bewegten. Théra nahm Papas Hand und sah Papa an. Papa setzte sich neben die Türe auf den Boden, lehnte sich an die Wand und zog sie auf seinen Schoß. Théra hörte, wie Papa sagte: „lass uns eine Weile zuschauen und zuhören. Es ist hier so laut, dass wir uns ganz normal unterhalten können. Unsere Headphones sorgen dafür, dass wir uns verstehen können. Niemand anders hört uns.“

Die Musik war rhythmisch, schnell und aggressiv. Die Tänzer sprangen auf der Bühne herum und fuchtelten mit den Armen. Sie standen auf dem Kopf, machten Überschläge und schnelle Drehbewegungen. Die Lichter standen mal auf ihren Gesichtern, mal auf ihren Körpern, grün, rot, gelb, weiss, stakkatoartig. Dann wieder waberte das Licht wie Nebel. Auch hier gab es mehrere Jungs, die vor der Bühne saßen. Sie hatten ein großes Gerät vor sich. Später sollte Théra erfahren, dass dies ein Mischpult war, um den Ton, die Nebelmaschine und die Beleuchtung zu steuern. Die Musiker schienen sehr konzentriert, aber auch sie wackelten auf der Bühne herum und warfen die Köpfe hin und her. Die Musik wurde manchmal abrupt beendet. Die Musiker unterhielten sich, sie korrigierten ihre Musik, sie spielten manche Passagen drei oder viermal. Auch die Bewegungen der Tänzer wurden dann geändert und angepasst.

„Das alles hat keine Handlung“, erklärte Papa über die Headphones. Sie spielen und tanzen, weil sie wissen, dass es viele Menschen gibt, die solche rhytmischen Bewegungen lieben. So und nicht anders. Es ist eine Bühnenshow.“ Théra kannte Musikgruppen aus der großen Musikhalle an ihrem Hotel. Jetzt sah sie zum ersten Mal, dass es richtige Arbeit war, all das einzuüben. Sie verstand, dass Musik und Tanz zusammenpassen mussten, auch wenn das da nicht ihre Musik und nicht ihr Tanz war.

Sie war schließlich froh, als Papa sie über die Kopfhörer fragte, ob sie genug gesehen hätte.

Sie gingen zurück in die große Halle. Théra hatte Papas Hand genommen. Sie ging schweigend und nachdenklich neben Papa her. Schließlich sah sie zu Papa auf. „Gibt es hier viele verschiedene Arten von Musik“, fragte sie. Papa nickte. „Sehr viele. Nicht alles davon muss dir gefallen. Du wirst noch ganz andere Dinge sehen und du wirst auch Fatima wiedersehen. Ich weiss, dass du Fatimas Gesang liebst.“ „Fatima“, fragte Théra, und dann erinnerte sie sich, und sie fing an ihr besonderes Wort von Musik zu summen, das klang wie ein Gemisch aus Geige, Panflöte und Gesang.

So kamen sie zu Aysa, die jetzt Zeit für sie hatte. Théra summte immer noch. Sie war in sich versunken, sie dachte an diesen Abend damals, der so lange zurücklag, dass die Einzelheiten alle weggewischt waren. Nur dieser Klang war geblieben.

Aysa hörte einen Moment zu und sah Dennis an. „Klingt, als wenn ich das kenne“, meinte sie. „Kann ich euch was bringen?“ Dennis stubste Théra an, die wie aus einem Traum aufwachte. Sie sah Aysa an und meinte, „oh, hallo Aysa. Gibst du uns was zu trinken?“

Dennis winkte Aysa und flüsterte ihr etwas ins Ohr, Aysa lächelte und nickte. „Klar. Heute hab ich etwas Besonderes für dich. Lass dich überraschen.“ Wenig später brachte sie zwei große Gläser mit einer cremigen Flüssigkeit. Obendrauf war Schaum. Auf dem Schaum lagen einige Schokoladenstückchen. Ein großer bunter Strohhalm und ein kleiner roter Papierschirm steckten in dem Schaum. „Oh“, sagte Théra, „das ist hübsch. Ist das für mich?“ „Lass es dir schmecken“, meinte Aysa und setzte sich.

Théra nippte daran. Es schmeckte süß. Es lag ein kleiner Löffel dabei, mit dem sie die Schokostückchen und den Schaum löffeln konnte. Sie kannte Bananen aus dem Hotel, das hier schmeckte wie flüssige Banane. Das hatte Moses ihr noch nie gemacht. „Hmmm“ meinte Théra. Dann rutschte sie von ihrem Stuhl und kletterte auf Aysas Schoß. Sie lehnte sich an und sie kuschelte sich an Aysas weiche und warme Brust. Aysa legte die Arme um Théra, und Théra begann mit ihren vielen Fragen. Ob es noch viele solcher Getränke gibt, ob Aysa gerne Musik hört, ob sie auch hier im Haus wohnt und ob sie einen Mann hat, ob sie jeden Tag hier ist und ob sie Kinder hat.

Aysa war geduldig und lachte mit ihr. „Du hast da einen schönen Gesang gehabt, vorhin, als ihr gekommen seid. Magst du mir das noch einmal vorsingen?“ Théra drehte den Kopf zu Aysa, dann sah sie zu Papa und fing an zu summen. Das Summen wurde zu einem Gemisch aus Worten und Gesang. Dennis sah, wie sich einige Köpfe vor dem noch ziemlich leeren Lokal zu Théra hindrehten. Er sah, wie sie die Gespräche einstellten. Théra sang, summte und trällerte.

Als sie schließlich endete, entstand eine tiefe Stille. „Mann“, sagte einer der Jungs, der extra aus dem Lokal gekommen war um zuzuhören. Dennis erkannte in ihm einen der Musiker, der durch den Einfluß des Musikzentrums in den letzten Jahren sehr erfolgreich geworden war. „Das war Granate. Von so was träumt jede Band.“ Er sah Dennis an und überlegte. „Deine Tochter?“ Théra sah, dass Papa den Jungen stolz und glücklich anlächelte, als er nickte.

Dennis wusste, was Jerry meinte (so hieß der Junge). Was Théra da eben gesungen hatte, war keine bühnenreife Leistung, aber Théra hatte das, was man eine Aura nennt. Sie hatte die Menschen um sie herum einen Moment lang verzaubert. Sie hatten in diesem Moment ihren Alltag vergessen und die Zuhörer hatten in diesem Moment all ihre Sorgen abgelegt. Théra hatte die Menschen mit ihrem kindlichen Gesang völlig in ihren Bann gezogen. Dennis sah lauter glückliche Gesichter und er wusste in diesem Moment intuitiv, dass Théra das Geheimnis der Musik in sich trug, nach dem Conny und er so lange gesucht hatten. Er sah, dass Aysa Tränen des Glücks in den Augen hatte.

Als die beiden das Lokal verließen, sah Aysa den beiden noch lange nach. Sie hatte gespürt, wie bei Théras Gesang eine unglaubliche Wärme auf sie übergesprungen war. Die Wärme war aus diesem kleinen Körper gekommen, der auf ihrem Schoß saß. Sie war in sie eingedrungen und sie war ihr in den Kopf gestiegen. Aysa hatte in diesem Moment gespürt, wie sich ihre Sinne schärften, und sie hörte in diesem Moment viel mehr, als alle anderen um sie herum. Die Musik von Conny, Armando und Fatima war vor ihr aufgestiegen, aber sie hatte sich durch diesen kindlichen Gesang verändert. Sie war zerbrechlicher und unschuldiger und sie war zugleich ungeheuer kraftvoll.

Nie hatte Aysa so etwas vorher gehört. In dieser Nacht lag sie in den Armen ihres Mannes und erzählte von Théras Gesang. Roman (der ein guter Freund von Dennis aus den gemeinsamen Kindertagen war) hielt sie fest. Er sah, dass Aysa sehr bewegt war, er wusste, dass sein Freund Dennis eine gewaltige Aura hat, aber er kannte dieses Mädchen noch nicht und er hatte diesen Gesang noch nicht gehört. Er ahnte in diesem Moment, dass er noch viele Geschichten über Théra hören würde, aber er begriff dieses Ereignis noch nicht in seiner ganzen Tragweite.

5.

Als Théra und Papa das Lokal verließen, meinte Papa, er müsse jetzt mal ein bisschen arbeiten. Er erklärte: „Du kannst dich an den Jungen erinnern, mit dem du gestern aneinandergeraten bist? Der hat gesagt, er hat Probleme. Er ist auch ein Musiker und er ist sehr erfolgreich. Ich höre hier den Menschen zu. Ich lasse mir von ihren Sorgen erzählen und es ist gut, wenn ich ihnen helfen kann. Das gelingt nicht immer, aber wir in unserer Familie wissen Dinge, die andere nicht wissen.“

Théra dachte an Para und Clara. Sie wusste, dass sie den Kindern in ihrem Indioviertel schon oft geholfen hatte und sie wusste, was Papa damit sagen wollte. Sie war Théra. Sie war die Tochter der Sonne. Sie trug die Kraft der Sonne in sich und sie hatte einen wunderbaren Papa, der sie liebte und dem sie vertraute und der alle diese Kräfte auch hatte.

Sie gingen hinunter in den Keller des Gebäudes. Es gab viele Gänge. Es gab Notbeleuchtungen, die angingen, wenn sie sich ihnen näherten und die ausgingen, wenn sie die Lampen hinter sich ließen. Dann kamen sie an eine Tür, die auch eine Nummer trug. Papa setzte Théra ihren Kopfhörer wieder auf und sie betraten den Raum.

Théra hörte trotz ihres Ohrschutzes, dass es schrecklich laut war. Sie kannte gefühlsmäßig den Unterschied zwischen wohltönenden Klängen und Dissonanzen. Dies hier klang sehr schräg. Nichts schien zusammenzupassen. „Oh wie grässlich“, murmelte sie. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Dennis war bei den ersten Klängen erschrocken zusammengefahren. Mein Gott, was war denn hier los. Dann sah er, dass die Leadsängerin der Gruppe fehlte.

Dennis ging zu der Gruppe, die noch gar nicht bemerkt hatte, dass er in den Raum gekommen war und zog den Stecker. In die entstehende Stille sagte Papa: „Schluß damit.“ Er zog sich den Kopfhörer vom Ohr. „Und jetzt erzählt mir erst mal, was hier los ist.“

Es war tatsächlich die fehlende Leadsängerin, welche die Gruppe völlig durcheinandergebracht hatte. Sie hatte die Band nicht einfach verlassen. Sie hatte vor zwei Wochen einen tödlichen Motorradunfall erlitten. Seitdem war die Gruppe völlig neben der Spur. „Nichts klappt mehr“, jammerte Robert. „Alles löst sich in Luft auf. Wir haben unsere Tournee abgesagt, aber am Wochenende haben wir noch einen Gick. Wir konnten den Termin nicht mehr abblasen, sonst wären wir ruiniert gewesen.“ Dennis nickte. Er kannte die Höhe solcher Schadenersatzforderungen und Robert fuhr fort: „Ich hab keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen. So wird das nichts. Wir haben schon Ersatz gesucht, aber wir finden auf die Schnelle niemanden.“

Ohne dass Dennis das bemerkt hatte, war Théra zu Robert gegangen. Sie hatte seine Hand genommen und dann begann sie leise zu summen. Es war sehr leise.

Aber der Klang füllte langsam den Raum aus. Wie Nebel, der durch die milde Kraft der Morgensonne langsam aufsteigt. Es war zugleich anders als in Aysas Café. Kraftvoller. Pure Energie strömte aus Théra heraus und begann die Musiker einzufangen. Théras Summen wurde nuancierter. Es veränderte sich zu einer Art Sprechgesang. Dennis zog ihr das Headset wieder auf. Er sah, dass Théra völlig neben sich stand. Sie war völlig konzentriert. Sie bekam nichts mehr sonst mit. Sie war nur noch Gesang.

Dennis ging zu dem Schlagzeuger, er drückte ihm die Besen in die Hand und bedeutete ihm, leise und zart einen Rhythmus vorzugeben. Er hörte, wie sich der Gesang von Théra veränderte. Er wurde rhythmischer und ging schließlich ganz im Rhythmus der Sneer auf.

Dennis ging zu dem Bassisten, der sein Instrument schon umgehängt hatte und nickte ihm zu. Er begann das Spiel zu begleiten. Plong plong plong machte die Bassgitarre. Zart und im Rhythmus der Sneer.

Robert hatte zugehört, jetzt hängte er seine Rhythmusgitarre um und begann zart Akkorde zu der Musik zu entwerfen. Es war nicht ihr ureigener Stil. Es war eine Art Jamsession. Er fing an zu summen. Dennis ging an das Mischpult und bediente die Knöpfe. Er achtete darauf, dass die Töne leise waren und den Gesang von Théra nicht übertönten.

Plong plong plong machte der Bass. Der Drummer ersetzte nun die Besen durch Stöcke, aber er spielte ganz zart und konzentriert und gab den Takt leise und behutsam vor.

Dennis merkte, wie der Drummer den Takt langsam veränderte. Er hörte, wie Théra ihren Gesang an diesen geänderten Takt anpasste. Er hörte, wie Robert anfing, eines der Stücke zu singen, die Dennis kannte. Er hatte nicht die starke Stimme der Leadsängerin. Aber Robert war behutsam. Seine Stimme klang weich und in diesem Moment schaltete Dennis das Bandaufnahmegerät an und ließ es mitlaufen.

Théra sang und summte. Sie war völlig weggetreten. Dennis hörte das altindianisch der Théluan, das nur Para, Théra und Dennis sprachen. Er spürte, dass von Théra gewaltige Energiewellen ausströmten, die diesen kleinen Körper bald kraftlos machen würden, aber Dennis mischte sich nicht ein. Er ließ Théra singen. Das hier war ihre Veranstaltung. Er würde sie später wieder zusammenflicken müssen.

Nach zwei Stunden brach Théra zusammen. Mitten im Spiel.

Dennis hob sie auf. Er zog seinen Kopfhörer ab und sagte: „Hört euch das Band an. Ihr habt dort alles, was ihr braucht. Macht das Beste daraus. Ich werde in den nächsten Tagen noch ein paar mal bei euch vorbeischauen.“ Dann verließ Dennis die Gruppe, die betroffen zurückblieb.

Er trug Théra in die Wohnung hinauf. Er legte sich zu ihr ins Bett und wärmte sie mit seiner Energie.

Als Laura am Abend kam, erschrak sie. Sie sah das käsig bleiche Gesicht Théras, ihre fahlblauen Lippen und ihre dunklen Augenringe. Die Augen waren geschlossen und die Haut wirkte fast durchsichtig. Jedes noch so kleine Blutgefäß zeichnete sich ab.

Sie sah, dass sich um Dennis und Théra ein Energiefeld gebildet hatte, das hin und herwanderte. Sie drang vorsichtig, um nicht verletzt zu werden, in das Energiefeld ein, und legte die Arme um Dennis und um Théra.

Am nächsten Morgen verließ sie Dennis und Théra, so wie sie die beiden am Abend angetroffen hatte. Sie ging hinunter ins Büro und telefonierte herum. Nach einer Stunde wusste Laura, was passiert war. Sie hatte Robert aus dem Schlaf geklingelt und sich berichten lassen.

Sie meldete sich im Büro ab, und besorgte auf dem Weg mehrere Früchtetees. Sie wusste, dass Dennis das in solchen Situationen manchmal braucht.

Dann nahm sie sich ein Buch und setzte sich in die Ecke des Zimmers. Sie wartete ab. Dennis und Théra schliefen und schliefen.

Am Abend wachte Dennis kurz auf und bat um Wasser. Er benetzte Théras Lippen und wusch ihren kleinen Kopf. Er trank selbst etwas Wasser und legte sich wieder schlafen. Die Energiewelle waberte und leuchtete. Laura legte sich dazu und umschloss Dennis und Théra wieder mit ihren Armen. Sie wurde ein Teil dieses Prozesses. Sie spürte, wie Dennis in Théra hineinkroch. Sie spürte, wie er sie wärmte und ihr seine Kraft gab. Sie spürte, wie sich der kleine Körper neben ihr langsam, ganz langsam wieder mit Leben füllte.

Am nächsten Morgen wachte Dennis kurz auf, er bat um Wasser. Er wiederholte den Ritus des Benetzens und des Waschens und legte sich wieder zu Théra.

„Du kannst uns jetzt alleine lassen“, sagte er. „Das schlimmste ist jetzt überstanden.“ Dann fiel er wieder in Trance und die Energiewolke breitete sich wieder über Dennis und Théra aus.

Laura ging zur Arbeit. Sie sah mittags noch einmal nach Dennis und Théra. Abends fand sie die beiden wach vor. Dennis hatte eine Hühnersuppe gekocht. Er hatte zwei Eier hineingesetzt. Der Kräutertee dampfte und er saß neben Théra am Küchentisch. Théra war noch sehr schwach. Dennis fütterte sie. Er aß selbst etwas von der Brühe, dann setzte er sich Théra auf den Schoß und berichtete Laura.

Laura nickte. Sie kannte die Geschichte. Sie hatte Robert noch einmal angerufen und war zu ihm in den Probenraum gegangen. Sie hatte das Band (zumindest teilweise) angehört. Sie sah und hörte, was Roberts Gruppe „Terran“ jetzt aus der Musik machte. Sie sah, dass sich die Musik der Gruppe fast völlig verändert hatte. Sie hatte zugehört und noch einiges korrigiert. Sie hatte sich an die Bandmaschine gesetzt und einen Mitschnitt gemacht. Die Stimme von Roland war ganz anders als die der früheren Leadsängerin. Er konnte sie nicht ersetzen, aber er hatte etwas Neues daraus gemacht. Die Musik war noch rhythmisch und fetzig wie früher, aber sie war leiser und sanfter geworden. Das Publikum würde überrascht sein. Es würde sich an einen neuen Sound gewöhnen müssen.

Am nächsten Tag ging Dennis mit Théra und Laura hinunter zu der Gruppe. Er setzte sich in die Ecke. Er zog die Kopfhörer wieder auf. Er sprach manchmal leise mit Théra und er unterbrach die Gruppe manchmal.

„Der Gesang“, sagte Dennis. „Versuche mit deiner Stimme nichts, was du nicht kannst. Sei ganz du selbst. Du hast nicht den Tonumfang und die Kraft von Ines. Aber deine Stimme ist weich. Sie wird die Mädchen umhauen.“ Er gab ihnen Tipps, wie sie die Instrumente etwas anders nuancieren. „Jedes Instrument hatte jetzt seinen eigenen vollen Klang. Seine eigene Bedeutung. Kein Mischmasch mehr von Tönen, sondern eine klare Bestimmung, in der man jedes Instrument einzeln und deutlich heraushörte. Robert war auf die Leadgitarre umgestiegen, das verstärkte diese Art des Spiels noch. Zwischen dem Gesang spielte er mitreißende Soli, die dann wieder in die begleitende Rhythmusgitarre übergingen. Als Gitarrist war er ein Genie.

Papa sagte: „Ich denke, wir sollten am Wochende dabei sein, Théra, Laura und ich. Ich werde euch ankündigen. Ihr habt noch denselben Namen, aber ihr seid eine völlig neue Formation geworden. Ihr seid noch besser als vorher, aber man muss euren Fans den neuen Stil erst verkaufen, sonst sind sie enttäuscht.“

Dennis hielt sein Versprechen. Die einleitenden Worte überließ er Laura. Sie kannte die Gruppe besser. Sie konnte mehr erzählen über dieses schreckliche Schicksal, dass die Band durch den Tod ihrer Sängerin erlitten hatte.

„Die Gruppe war völlig aus dem Tritt, erzählte Laura. Ich glaube, jetzt haben sie sich gefangen. Die Jungs haben ihre Musik in den letzten Tagen verändert. Ihr werdet eure Gruppe kaum wiedererkennen. Hört einfach nur zu, staunt und lasst die Musik auf euch wirken. Das ist „Hammer“. Ihr werdet überrascht sein.“

Théra und Dennis hatten ihre Headphones auf. Théra saß auf Papas Schoß. Sie beobachtete die Menschen. Sie hörte die Musik. Sie sah, wie die Menschen anfangs verunsichert waren über diese neuen Klänge, welche die alten Stücke völlig verändert hatten. Sie sah, wie sie abwartend und fast kritisch zuhörten. Sie hörte die einzelnen Instrumente der Band klar und deutlich und sie hatten nichts mehr zu tun mit dieser schrecklichen Musik vor ein paar Tagen.

Die Leadgitarre brachte Roberts ganzes Können zum Vorschein. Der Bass – plong, plong plong – hämmerte sich in die Körper der Zuhörer, bis sie anfingen im Rhythmus zu zucken. Sie hörte die weiche und melodische Stimme von Robert, sie hörte Gleichklang und gegenläufige Akkorde, die sich stimulierten und den Herzschlag der Zuhörer im Takt der Musik veränderte, ja manchmal sogar aussetzen ließ, um sie danach schneller als vorher schlagen zu lassen. Das Schlagzeug wurde viel nuancierter eingesetzt. Rhythmus, Wirbel und Bassdrum schlugen sich in die Köpfe und sie sah, wie die Mädchen in der Menge anfingen, die zu diesen Klängen fast kontrastierende weiche Stimme von Robert in sich aufzunehmen und sie zu lieben. Sie war einfühlsam und appellierte an die Sehnsüchte der Zuhörer. Fast leise und sehr erotisch. Zum Ende des Konzerts erlebte Théra schreiende, begeisterte, ja tobende Mädchen. Die Gruppe hatte ihren neuen Weg und ihr Publikum gefunden.

Théra konnte mit dem Ergebnis ihres Gesangs zufrieden sein.

Nach dem Auftritt wurden die abgesagten Konzerttermine erneut anberaumt. Die Werbung für die Gruppe erhielt einen neuen Schwerpunkt. Die Konzertagentur änderte ihre Strategie.

Théra sollte den großen Erfolg der neuen Gruppe in diesem Jahr nicht mehr miterleben. Sie blieb nicht lange genug. Sie hatte das erste Mal in ihrem Leben die Initiative ergriffen und sie hatte angewandt, was sie von Para und Papa gelernt hatte. Sie hatte diese Menschen geheilt.

Robert suchte am nächsten Tag nach Théra. Er fand sie bei Aysa und er sah ihr tief in die Augen. Er stand vor ihr. Er reichte ihr die Hände, und sie sah, dass er Wasser in den Augen hatte. Er sagte nichts, aber seine ganze Körperhaltung war ein einziger Dank. Sie hatte einen Freund gewonnen.

₺513,92

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
360 s.
ISBN:
9783942652506
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre