Kitabı oku: «Einführung in die Praxis der Strafverteidigung», sayfa 7

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b) Die notwendige Verteidigung nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO

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Die Generalklausel greift ein, wenn nicht bereits ein Katalogfall gem. § 140 Abs. 1 StPO vorliegt. Da alle erstinstanzlich bei dem Oberlandes- und dem Landgericht anhängigen Strafsachen bereits von § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO und die Verfahren, in denen der Vorwurf eines Verbrechens erhoben wird, bereits von Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift erfasst werden, beschränkt sich ihr Anwendungsbereich auf alle in erster Instanz bei dem Amtsgericht anhängigen Verfahren, in denen Vergehen angeklagt sind sowie auf die solche Verfahren betreffenden Berufungssachen. Für alle nicht von § 140 Abs. 1 StPO und sonstigen speziellen Vorschriften[17] erfassten Fälle dient § 140 Abs. 2 StPO als Auffangtatbestand.[18]

aa) Die Schwere der Tat

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Die Schwere der Tat ergibt sich aus der Höhe der zu erwartenden Strafe oder der Schwere der Maßregel oder den sonstigen Auswirkungen der verhängten Sanktionen auf das Leben des Angeklagten.[19] Entscheidend ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller vom Tatrichter zu verhängenden Sanktionen. Dabei sind auch außerstrafrechtliche Nebenfolgen zu berücksichtigen, z.B. der drohende Verlust von Beamtenrechten, der Approbation als Arzt, Zahnarzt oder Apotheker, der Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft, die Ausweisung eines Ausländers.[20]

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In der Rechtsprechung wird überwiegend angenommen, dass bei einer Freiheitsstrafe von etwa einem Jahr mit oder ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist.[21] Beulke vertritt die Auffassung, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung wegen der Schwere der Tat immer bereits dann vorliegt, wenn überhaupt die Verhängung von Freiheitsstrafe zu erwarten ist.[22]

Dem ist zu folgen. Die Verbüßung von Freiheitsstrafe ist immer ein gravierender Einschnitt in das Leben des Betroffenen und seiner Angehörigen. Eine solche Strafe sollte daher aus rechtsstaatlichen Gründen nur in einem Verfahren verhängt werden, in dem durch die Bestellung eines Verteidigers die Waffengleichheit wenigstens in einem bescheidenen Umfang hergestellt ist. Ohne Belang ist dabei, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Widerruf der Aussetzung ist schließlich theoretisch nie auszuschließen.

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Nach der Änderung des GVG durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz ist das Schöffengericht nunmehr für Vergehen mit einer Straferwartung von mehr als zwei und bis zu vier Jahren zuständig, §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 25 Nr. 2 GVG. In Verfahren vor dem Schöffengericht ist daher nunmehr immer ein Verteidiger zu bestellen.[23]

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In der Rspr. wird z.T. vertreten, dass der „Grenzwert“ von einem Jahr auch in Jugendstrafverfahren gilt.[24] Demgegenüber setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass immer ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn die Verhängung von Jugendstrafe zu erwarten ist.[25] Dieser Auffassung ist beizutreten. Die oben dargelegten Überlegungen zur generellen Notwendigkeit der Verteidigung bei zu erwartender Verhängung von Freiheitsstrafe treffen hier im besonderen Maße zu.

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Bei der Prüfung, ob die Schwere der Tat die Bestellung eines Pflichtverteidigers gebietet, sind auch schwerwiegende Nachteile für den Angeklagten durch Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung und ausgesetzter Strafreste zu berücksichtigen.[26]

bb) Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage

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Ob die Schwierigkeit der Sache die Rechts- oder aber die Sachlage betrifft, kann im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein. Da es auf die Unterscheidung nicht ankommt, werden beide Problembereiche gemeinsam behandelt. Von einer schwierigen Sach- oder Rechtslage ist auszugehen, wenn ein Nebenkläger oder die Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten Berufung eingelegt haben.[27] Dies gilt generell, wenn verschiedene Gerichtsinstanzen oder aber die Staatsanwaltschaft auf der einen und das Gericht auf der anderen Seite divergierende Rechtsauffassungen vertreten.[28] Hat eine sachgerechte Verteidigung Anlass, einen Befangenheitsantrag zu erwägen und ist diese Möglichkeit nach Aktenlage absehbar, gebietet die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers.[29] Auch wenn schwierige Fragen materiell-rechtlicher Art zu entscheiden sind, z.B. die Anwendung von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen, die Frage der Versuchsstrafbarkeit oder das Bestehen einer Garantenstellung, ist ein Verteidiger zu bestellen.[30] Die Problematik eines etwaigen Beweisverwertungsverbotes kann ein nichtverteidigter Angeklagter ebenfalls nicht bewältigen.[31]

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Von einer schwierigen Sach- oder Rechtslage ist ganz allgemein immer dann auszugehen, wenn eine beweisrechtliche Problematik vorliegt, die ohne die dem Verteidiger vorbehaltene vollumfängliche Aktenkenntnis nicht gelöst werden kann.[32] Dies kommt z.B. in Betracht, wenn das Wiedererkennen durch Zeugen zu beurteilen[33] oder ein Sachverständiger hinzugezogen worden ist.[34]

cc) Exkurs: Das „Recht“ des Beschuldigten auf Akteneinsicht

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Diese Ansicht greift zu kurz. Abgesehen von Fällen vollumfänglich geständiger Angeklagter in ausgesprochenen Bagatellsachen[35] ist aus dem Gesichtspunkt der sonst fehlenden Akteneinsicht stets die Notwendigkeit der Verteidigung herzuleiten. Die Führung einer Verteidigung ohne vorherige Akteneinsicht setzt den Verteidiger dem Vorwurf aus, grob fahrlässig agiert zu haben. Nur die Einsicht in die Verfahrensakten kann dem Beschuldigten die Kenntnis von den ihn belastenden Tatsachen und Beweismitteln verschaffen. Sie stellt nicht nur die Waffengleichheit gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem Gericht hinsichtlich des Informationsstandes her, sondern ist vor allem die Voraussetzung, dem Angeklagten rechtliches Gehör zu gewähren.[36] Wenn schon der professionelle Verteidiger der Akteneinsicht bedarf, ist nicht einzusehen, warum sich der nichtverteidigte Angeklagte ohne diese Informationsbasis verteidigen können soll. Das Gesetz gewährte nach altem Recht nur dem Verteidiger ein vollumfängliches Recht auf Akteneinsicht. Dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, durften lediglich nach § 147 Abs. 7 StPO Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet wurde und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstanden. Insoweit galt: Die Erteilung von Auskünften ist nicht einmal ansatzweise geeignet, die für eine sachgerechte Verteidigung in der Hauptverhandlung erforderliche Parität des Wissens herzustellen. Auch die Erteilung von Abschriften gibt hierfür keine Gewähr, zudem das Gesetz über deren Umfang schweigt. Lüderssen ist der Ansicht, der Beschuldigte habe nach § 147 Abs. 7 StPO ein subjektiv-öffentliches Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Gerichtes über die Erteilung von Auskünften und Abschriften aus den Akten.[37] Zweierlei bleibt hierbei jedoch unbeachtet: Zum einen ermöglicht auch eine noch so ermessensfehlerfreie Ablehnung der Erteilung von Auskünften und Abschriften dem Beschuldigten mangels Information nicht, seine Verteidigung sachgerecht vorzubereiten. Zum anderen kennt dieser mangels einer flankierenden gesetzlichen Belehrungspflicht noch nicht einmal sein „Recht“, die Gewährung von Informationen nach § 147 Abs. 7 StPO zu beantragen. Mangels Belehrung lief dieses „Recht“ also von vornherein leer. Zwar hat der Beschuldigte nunmehr nach § 147 Abs. 4 StPO ein eigenes Recht auf Akteneinsicht. Dies steht jedoch unter dem Vorbehalt der Gefährdung des Untersuchungszwecks und entgegenstehender schutzwürdiger Interessen. Vor allem sieht das Gesetz nach wie vor keine Belehrung des Beschuldigten über sein Recht vor. Daher ist i.d.R. – von den o.g. Ausnahmen einmal abgesehen – die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Nur dies gewährleistet rechtliches Gehör, Waffengleichheit und damit ein faires, rechtsstaatliches Verfahren.

dd) Verteidigungsunfähigkeit

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Die Unfähigkeit, sich selbst angemessen zu verteidigen, muss nicht in der Person des Angeklagten begründet sein (z.B. bei einer Aidserkrankung oder einer Betäubungsmittelabhängigkeit).[38] Sie kann auch auf verfahrensrechtlichen Besonderheiten beruhen. So darf bei einem nicht nur unerheblichen Vorwurf ein jugendlicher Angeklagter nicht ohne Verteidiger belassen werden, wenn sich der Mitangeklagte eines Wahlverteidigers bedient.[39] Dies ist auch für erwachsene Angeklagte anerkannt, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich die Angeklagten gegenseitig belasten könnten. Dann gebietet das im Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens wurzelnde Prinzip der Waffengleichheit, dem nichtverteidigten Angeklagten einen Verteidiger zu bestellen.[40]

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Das gilt erst recht, wenn sich ein jugendlicher oder heranwachsender Angeklagter einem Nebenkläger gegenübersieht, der sich eines anwaltlichen Beistandes bedient.[41] Nicht anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn bei einer nicht ganz unproblematischen Beweislage dem erwachsenen Angeklagten in der Hauptverhandlung ein Nebenklägervertreter gegenübersteht.[42] Schlothauer nimmt hier zutreffend stets einen Fall notwendiger Verteidigung an.[43] Für den Fall der Beiordnung eines Opferanwaltes hat der Gesetzgeber dies in § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO ausdrücklich vorgesehen. Es kann jedoch nach richtiger Ansicht[44] keinen Unterschied machen, ob der Nebenklägervertreter oder Verletztenbeistand beigeordnet worden oder von seinem Mandanten bezahlt wird. In beiden Fällen sieht sich der Angeklagte einer Partei gegenüber, die nicht kraft Gesetzes zur Unparteilichkeit verpflichtet ist wie Gericht und Staatsanwaltschaft, sondern allein ihre individuellen Parteiinteressen durchsetzt. Daher ist die Bestellung eines Verteidigers unabdingbar, um die Waffengleichheit zu sichern.

ee) Notwendige Verteidigung im Jugendstrafverfahren

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Im Jugendstrafverfahren wird die allgemeine Vorschrift des § 140 StPO durch § 68 JGG ergänzt. Dem jungen Beschuldigten ist nicht nur dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn einem Erwachsenen ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müsste. Er hat auch dann einen Anspruch auf Verteidigerbestellung, wenn den Erziehungsberechtigten gem. § 68 Nr. 2, 3 JGG die Verfahrensrechte entzogen wurden, wenn zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten seine Unterbringung in Betracht kommt oder gegen einen jugendlichen Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird.[45]

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Streitpunkt ist regelmäßig die Beiordnung nach § 140 Abs. 2 StPO. Die Gerichtsvorsitzenden zeigen in aller Regel wenig Neigung, sich beim Ausleben ihrer erzieherischen Ambitionen durch den überflüssigen Verteidiger stören zu lassen.[46] Sie übersehen hierbei die obergerichtliche Rspr., nach welcher die Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende extensiv auszulegen ist. Hierzu das Saarl. OLG:

„Allerdings ist den Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe der „Schwere der Tat“ sowie der „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“ Rechnung zu tragen. Jugendliche und ihnen gleichgestellte Heranwachsende sind aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung sowie der psychischen und körperlichen Entwicklungsprozesse, in denen sie sich befinden, zur Wahrnehmung ihrer Interessen in der Regel weit weniger in der Lage als Erwachsene. Es kommt hinzu, dass das JGG für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Jugendlichen (§ 3 JGG), für die Rechtsfolgen (§ 5 JGG) und die Rechtsmittelbeschränkung (§ 55 JGG) komplizierte Sonderregelungen enthält. Es ist daher eine extensive und großzügige Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO zu Gunsten des jugendlichen oder heranwachsenden Angekl. geboten (...).“[47]

Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › II. Die Pflichtverteidigung › 4. Die Bestellung des Pflichtverteidigers

4. Die Bestellung des Pflichtverteidigers

a) Die Auswahl des Verteidigers

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Nach Erhebung der öffentlichen Klage entscheidet über die Bestellung der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist, § 141 Abs. 4 S. 1 StPO. Vor Erhebung der Anklage entscheidet das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat oder das Amtsgericht, in dessen Bezirk gerichtliche Vernehmungen und Augenscheinnahmen vorzunehmen sind, § 141 Abs. 4 S. 2, 1. HS i.V.m. § 162 Abs. 1 S. 3 StPO, in Fällen des Haftgrundes der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung (§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO) der Haftrichter (§§ 126, 275a Abs. 6 StPO).

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Zwar steht dem Vorsitzenden bei der Bestellung des Verteidigers ein Auswahlermessen zu. Dieses Ermessen ist jedoch pflichtgemäß auszuüben. Maßgebliches Auswahlkriterium ist, dass der Beschuldigte den Beistand eines Verteidigers seines Vertrauens erhält.

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Das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens verteidigen zu lassen, ist nicht nur durch § 137 Abs. 1 StPO und Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK gesetzlich garantiert, sondern zugleich durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verbürgt.[48] Das Rechtsinstitut der Pflichtverteidigung soll die grundsätzliche Gleichstellung des noch nicht verteidigten Beschuldigten mit demjenigen ermöglichen, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat.[49] Dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG, folgt aber auch aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK.[50]

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Um die Bestellung eines Verteidigers zu ermöglichen, welcher das Vertrauen des Beschuldigten genießt, bestimmt § 142 Abs. 1 S. 1 StPO, dass dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden „soll“, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Entgegen dem Gesetzeswortlaut handelt es sich bei der Einräumung des Bezeichnungsrechtes um eine Pflicht des Vorsitzenden. Anders ließe sich nämlich der verfassungsmäßige Anspruch des Beschuldigten, von einem Verteidiger seines Vertrauens verteidigt zu werden, von vornherein nicht realisieren.[51] Hat der Angeschuldigte zum Zeitpunkt der Erhebung der öffentlichen Klage noch keinen Verteidiger, ist ihm zunächst die Anklageschrift nur formlos mitzuteilen und ihm eine Frist zur Bezeichnung eines Anwaltes seines Vertrauens zu setzen.[52] Fraglich ist, welche Frist zur Bezeichnung des gewünschten Verteidigers angemessen ist. Die Bedenkzeit dürfte regelmäßig mit zwei Wochen zu bemessen sein.[53]

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Hat der Beschuldigte von seinem Bezeichnungsrecht Gebrauch gemacht, bestellt der Vorsitzende den bezeichneten Verteidiger, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, § 142 Abs. 1 S. 2 StPO. Ein wichtiger Grund ist nur solcher, der dem Gericht die Befugnis geben würden, einen Wahlverteidiger nach §§ 146a Abs. 1 S. 1, 146 StPO zurückzuweisen oder der einen Ausschluss nach §§ 138a f. StPO begründen würden.[54] Dies ergibt sich aus dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Angeklagte, welchem ein Verteidiger bestellt wird, muss grundsätzlich die gleichen Rechte haben wie derjenige, der sich einen Wahlverteidiger leisten kann.

aa) Interessenkollision als „wichtiger Grund“

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Die Rspr. sieht dies anders. So haben das OLG Frankfurt/M. und der BGH entschieden, dass die Bestellung des vom Beschuldigten vorgeschlagenen Verteidigers zu unterbleiben hat, wenn ein Fall der Wahrnehmung widerstreitender Interessen nach § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA vorliegt.[55] Nach Auffassung des OLG Frankfurt/M. ist der Gerichtsvorsitzende nicht grundsätzlich daran gehindert, mehreren Angeklagten, welche derselben Tat beschuldigt werden, Pflichtverteidiger beizuordnen, die in einer Sozietät verbunden sind. Eine Ablehnung der Bestellung der gewünschten Verteidiger ist nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie zu einer sachgerechten Verteidigung außer Stande sind, insbesondere ihre Verteidigung grob pflichtwidrig an den Interessen des Mitangeklagten bzw. der Sozietät ausrichten werden. Der BGH hat entschieden, dass die Bestellung des vom Beschuldigten gewünschten Verteidigers nicht allein wegen einer möglichen Interessenkollision abgelehnt werden darf, die sich aus einem Fall sukzessiver Mehrfachverteidigung ergibt. Dies folge aus der Gleichwertigkeit von Wahl- und Pflichtverteidigung, da das Vorliegen einer sukzessiven Mehrfachverteidigung die Zurückweisung eines Wahlverteidigers nach § 146a StPO nicht erlaube. Anderes gelte jedoch in Fällen der konkreten Gefahr einer Interessenkollision.

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Dem ist nicht zu folgen. Es ist Sache des Verteidigers, seinen Berufspflichten, insbesondere dem Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen zu entsprechen und nicht Aufgabe des Gerichts, den Verteidiger dahin zu überwachen. Die Rspr. begründet ihre Ansicht damit, dass die Abberufung des Pflichtverteidigers anders als beim Wahlmandat, welches ohne weiteres entzogen werden könne, ausschließlich in der Hand des Gerichtsvorsitzenden liege. Dies ist so nicht richtig. Das Institut der Pflichtverteidigung soll auch sicherstellen, dass der Beschuldigte von dem Verteidiger seines Vertrauens verteidigt wird. Dieses Zweckes wegen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers dann zurückgenommen werden kann, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Verteidiger gestört ist. Die Rspr. verlangt vom Beschuldigten, substanziiert Tatsachen vorzutragen, die belegen, dass vom Standpunkt eines „vernünftigen und verständigen Beschuldigten“ aus das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist.[56] Erkennt der Gerichtsvorsitzende die konkrete Gefahr einer Interessenkollision des Pflichtverteidigers, wird er den Beschuldigten und den Verteidiger hierauf hinzuweisen und nachzufragen haben, ob die Bestellung trotz der nahen Gefahr einer Interessenkollision bestehen bleiben soll. Bittet auch nur einer von beiden um die Rücknahme der Bestellung, hat der Gerichtsvorsitzende dem nachzukommen. Der substanziierten Darlegung der Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses bedarf es dann nicht. Die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses ist beim Vorliegen der konkreten Gefahr einer Interessenkollision und dem gleichzeitigen – auch einseitigen – Begehren auf Auswechslung des Pflichtverteidigers unwiderlegbar zu vermuten. Wünschen hingegen Beschuldigter und Verteidiger, die Bestellung aufrechtzuerhalten, muss der Vorsitzende dem entsprechen. Allerdings wird er i.d.R. Anlass haben, einen zweiten Verteidiger, einen sog. „Sicherungsverteidiger“, zu bestellen. Die hier vorgeschlagene Verfahrensweise trägt im Unterschied zu autoritären Vorstellungen der Rechtsprechung vom Institut der Pflichtverteidigung der Autonomie des Beschuldigten und seiner Verteidigung hinreichend Rechnung.

bb) Der „auswärtige“ Pflichtverteidiger

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Die gesetzliche Einschränkung in § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO a.F., nach welcher der Vorsitzende den zu bestellenden Verteidiger möglichst „aus der Zahl“ der im Gerichtsbezirk zugelassenen Anwälte auswählen sollte, hat der Gesetzgeber dankenswerter Weise aufgehoben. Damit ist auch die die freie Verteidigerwahl einschränkende Rechtsprechung gegenstandslos, nach welcher die Gerichtsnähe des Verteidigers eine wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung sein sollte.[57]