1.1.3 Unternehmenspolitik und Unternehmensführung
1.1.3.1 Unternehmensführung
Unternehmensführung wird oft mit dem (international bekannteren) Begriff Management gleichgesetzt und bezeichnet das Entscheiden und Gestalten von Unternehmensstrukturen und -systemen zur erfolgreichen Umsetzung der unternehmenspolitischen Ziele. Dabei kann zwischen Management als Institution und als Funktion unterschieden werden:
| institutionell, das für die Festlegung verbindlicher Unternehmensziele zuständige Management (z. B. Vorstand, Geschäftsführung) oder für wesentliche Teilbereiche (z. B. Bereichsleitung, leitende Angestellte), |
| funktional: Managen als Tätigkeit (z. B. planen, entscheiden, kontrollieren, verantworten, Mitarbeiter motivieren und fördern …). |
Zu den Hauptaufgaben des Managements gehören:
| die strategische Unternehmensplanung: langfristige Rahmenkonzeptionen für das Unternehmen und die Geschäftsfelder, |
| die Konzeption, Einführung und Pflege leistungsfähiger betrieblicher Systemstrukturen (operative Unternehmensplanung), z. B. Planungs- und Kontrollsysteme, Organisationssystem, Führungsmodelle, |
| die Mitarbeiterführung, z. B. Mitarbeiter motivieren, fördern. |
Besondere Schwierigkeit dabei ist, dass die Voraussetzungen für den erfolgreichen Ablauf der Unternehmensaktivitäten i. S. d. Unternehmensziele geschaffen werden müssen, ohne dass aufgrund begrenzter Kapazitäten und Informationen die letzten Details berücksichtigt werden können (s. a. Kap. 1.1.2: Ökonomische Prinzipien und Unternehmensziele, unter den Abschnitten Bedürfnisse und Güterknappheit sowie Problem der unvollkommenen Information).
1.1.3.2 Der betriebliche Umsatzprozess
Jedes Unternehmen ist im ständigen Austauschprozess (Güter- und Geldaustausch) mit anderen Marktteilnehmern (Unternehmen, Konsumentenhaushalte, Staat …). Entsprechend ist der Prozess der betrieblichen Leistungserstellung durch ständige Güter- und Geldströme charakterisiert. Vereinfacht verläuft der Geldstrom entgegen dem Güterstrom. Differenziert bedeutet dies aber nicht einfach zwei gegenseitig verlaufende Ströme, die auf die betriebliche Leistungserstellung gerichtet sind, sondern eine Vielzahl untereinander verknüpfter interdependenter Prozesse (s. Abb. 2).
ABB. 2: Betrieblicher Umsatzprozess5)
Aufgabe von Unternehmern bzw. Managern ist es, die Vielzahl der Prozesse gemäß den Unternehmenszielen und der entsprechenden Bereichsziele, wie z. B. Geschäftsbereichs- und Abteilungsziele, erfolgsorientiert zu steuern.
1.1.3.3 Unternehmenspolitik
Der Begriff Politik hat eine breite gesellschaftliche Bedeutung – vom bewussten Durchsetzen eines Willens (engl. politics) bis zum geschickten Agieren und Reagieren auf Herausforderungen (engl. policy making). Im Unternehmen bewegt sich die Unternehmenspolitik damit in den Dimensionen der willentlichen Gestaltung der Unternehmensziele und der Anpassung an interne und externe Rahmenbedingungen bzw. Einflüsse. Unternehmenspolitik beinhaltet somit eine umfassende langfristige Zielplanung für das Unternehmen und die Art und Weise, wie in Situationen relevanter Einflüsse hierauf reagiert wird. Unternehmenspolitik ist damit ein der Unternehmensplanung vorgelagerter Prozess, der dann in der nachgelagerten Planung operationalisiert und in Teilpläne gegliedert wird (z. B. Entwicklungs-, Produktions-, Finanz-, Personal-, Absatzplanung).
Einflüsse auf die Unternehmenspolitik
Die Vielfältigkeit der Einflüsse auf die Unternehmenspolitik kommt schon durch die vielfältigen und teilweise auch unterschiedlichen internen und externen Anspruchsgruppen zum Ausdruck. Sie entstehen sachlich z. B. aus der Unternehmenstätigkeit bzw. -kultur und der Unternehmensentwicklung (z. B. Unternehmenshistorie, Standort, Kommunikationskultur mit dem Betriebsrat, Innovationsfähigkeit, Mitarbeiterqualifikation) und aus der Unternehmensumwelt, wie z. B. Märkte (Kapital-, Arbeitsmarkt …), Systeme (Rechts-, Steuer-, politisches System …) und gesellschaftliche Trends (Technologie, Wertewandel, Demografie …). Die Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seiner Umwelt sind unmittelbar durch die Marktaktivitäten des Unternehmens begründet und mittelbar durch die Unternehmensumwelt.
Ansprüche interner und externer Interessengruppen an Unternehmen
| Management (Arbeitszufriedenheit, hohes Einkommen, Selbstentfaltung, soziales Prestige, Einfluss und Macht, Bildungsmöglichkeiten, Karriere …), |
| Mitarbeiter (Arbeitszufriedenheit durch hohes Einkommen, soziale Sicherheit, Selbstentfaltung, gesunde Arbeitsbedingungen, Bildungs- und Karrieremöglichkeiten, soziale Kontakte …), |
| Belegschaftsgruppen (gruppenspezifische Ziele, z. B. der leitenden Angestellten, Jugendlichen, Frauen), |
| Eigenkapitalgeber (hohe Eigenkapitalrentabilität und Gewinnausschüttung, Vermögenssicherung/-zuwachs, Einfluss auf Unternehmensentwicklung …), |
| Fremdkapitalgeber (Sicherheit der Kredittilgung und Zinszahlungen), |
| Kunden (gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, Liefersicherheit, Nebenleistungen, Service, Beratung, Kundenkredite …), |
| Lieferanten (Zahlungsfähigkeit, anhaltende Liefermöglichkeit, günstige Konditionen …), |
| Konkurrenten (fairer Wettbewerb, Förderung des allgemeinen Branchenimage, Zusammenarbeit …), |
| öffentliche Hand (Staat, Land, Kommune: Abgaben und Steuern, Arbeitsplatzsicherung, Umweltschonung, Einhaltung von Gesetzen, regionale gesellschaftliche Interessen, Unterstützung der Wirtschaftspolitik …), |
| Tarifpartner (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften: Einhaltung und Mitgestaltung der Tarifverträge, Verhandlungsfairness …). |
| Weitere Interessengruppen sind u. a. Parteien, Kirchen, Kartellpartner, Verbände, die aus ihrer jeweiligen wertorientierten Sicht Ansprüche an Unternehmen formulieren (z. B. Einhaltung der Verbandstandards und Verträge, Engagement …). |
Einflussvariablen aus der Unternehmensumwelt
| Aufgabenumwelt (Märkte, Lieferanten/Kunden, Kapitalgeber …), |
| ökonomische Umwelt (gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen, Branchenentwicklung, Arbeitsmarkt, Finanzmärkte …), |
| rechtliche Umwelt (Steuer-, Umwelt-, Verbraucher-, Patentrecht, Unternehmensverfassung …), |
| gesellschaftliche Umwelt (Wertvorstellungen, Bildungssystem und -niveau, Bevölkerungsstruktur und -entwicklung, Einkommensverteilung …), |
| technische Umwelt (Innovationsentwicklung, Entwicklung der Informations- und Kommunikationssysteme …), |
| politische Umwelt (politische Willensbildung und Stabilität, Organisation des Gesellschaftssystems, Entwicklung des Politiksystems …), |
| ökologische Umwelt (Entwicklungen an den Rohstoffmärkten, ökologisches Gleichgewicht …). |
Beispiel: Unternehmensführungsrelevante Entwicklungen (Robert Bosch)6)
Umweltentwicklungen
| Überraschend schnelle Erholung der Weltwirtschaft: Zuwachs der weltweiten Wirtschaftsleistung um 4 %, |
| grundsätzlich positive Aussichten trotz vorhandener Risiken, |
| Schwellenländer in Asien und Südamerika dienten als Wachstumstreiber; in den USA blieb der Zuwachs hinter den Erwartungen zurück, |
| Erholung des Kfz-Markts, insb. bei Kleinfahrzeugen, |
| verzögerte Verbesserung der Lage der spätzyklischen Investitionsgüterindustrie, |
| sich abzeichnender Klimawandel und Verknappung fossiler Energieressourcen, |
| demografischer Wandel hin zu einer immer älteren Gesellschaft, |
| wachsende Bedeutung von Dienstleistungen, Software und kundenspezifischen Gesamtlösungen, |
| Sparmaßnahmen zur Haushaltssanierung in europäischen Ländern. |
Unternehmensentwicklungen
| Kräftige Erholung der Bosch-Gruppe, Umsatz übertraf das Vorkrisenniveau von 2007, |
| besonders starkes Wachstum in den Unternehmensbereichen Kfz-Technik und Industrietechnik, |
| weiterer Ausbau der Präsenz in den Schwellenländern Asiens, |
| starker Anstieg des Umsatzes der Bosch-Gruppe in der Region Asien-Pazifik sowie in Südamerika, |
| umfangreiche Sparmaßnahmen und Halten der Kernbelegschaft, |
| Ausbau der Präsens auch in Südamerika, Mittel- und Osteuropa, aber auch Afrika/naher Osten, |
| fokussierte Diversifizierung verbunden mit einer hohen Innovationskraft, |
| Ausbau der Geschäftsfelder regenerative Energien und Telemedizin, |
| Bündelung der Internetexpertise in der Bosch Software Innovations GmbH. |
1.1.3.4 Umfeldszenario für Unternehmen
Megatrends bilden Signale in allen Lebensbereichen und setzen damit in der Folge wichtige Rahmenbedingungen für die Unternehmenspolitik und Unternehmensstrategien, z. B. für Produkte und Dienstleistungen für den Markt sowie Produktions- und Dienstleistungsprozesse in den Unternehmen. Megatrends gelten oft global und dauern i. d. R. mehrere Jahrzehnte an.
ABB. 3: Umfeldszenario für Unternehmen
Beispiel: Trend-Trio Gesundheit – Alterung – Frauen7)
Laut Kelkheimer Zukunftsinstitut (einem der bekanntesten Think Tanks der europäischen Zukunftsforschung) fegt der Megatrend Gesundheit mit enormen Tempo durch die Hemisphäre. Immer mehr Menschen konzentrieren sich am Arbeitsplatz und in ihrer Freizeit auf Lebensqualität, Sport und Gesundheit. In Deutschland schwitzen täglich fast 8 Mio. Menschen in Fitnesscentern und selbst bei Aldi stehen Bio-Produkte im Regal. Das sog. Trend-Trio Gesundheit – Alterung – Frauen bestimmt immer mehr Produkte und Dienstleistungen und auch die Unternehmen selbst. Denn die typisch weiblichen Fähigkeiten wie Team- und Dialogfähigkeit, emotionale Intelligenz und Organisationstalent werden in der vernetzten Wirtschaftswelt immer wichtiger. So wundert es nicht, dass ca. ab 2015 die Mehrheit der Studierenden Frauen sein werden. Die Wirtschaft wird weiblich – darin sind sich Trendforscher und Sozialwissenschaftler einig.
Beispiel: Bevölkerungsentwicklung
Schlagzeilen wie Niemand kann den Deutschen helfen, Zahl der Single- und Double-Income-Haushalte stark gewachsen, Größter Gebärstreik der Geschichte usw. sind heute täglich in allen Medien. Dahinter verbirgt sich das Phänomen, dass eines der reichsten Länder der Erde eine stetig sinkende Bevölkerungszahl hat. Das bedeutet eine starke Verschiebung der Altersstruktur der Gesellschaft mit immer weniger jungen und immer mehr älteren Menschen.
ABB. 4: Entwicklung der Alterspyramide in Deutschland
Die Einschnitte in der mittleren Altersstatistik (1983) erklären sich z. B. durch die Gefallenen im 2. Weltkrieg (daraus resultiert auch der Frauenüberhang in diesem Abschnitt), durch Geburtenausfälle aufgrund der Kriege und der Weltwirtschaftskrise, der Erfindung der Antibabypille und in der neueren Zeit durch den Wertewandel zu mehr Singles und Dinks-Beziehungen (Double Income, no Kids).
Die dramatische demografische Veränderung zeigt sich für ein Unternehmen nicht nur bei den Kunden sondern z. B. auch bei den Schulabgängern (s. Abb. 5). So hat die sinkende Nachfrage nach Ausbildungsplätzen aufgrund der geringeren Schulabgängerzahl (bei gleichzeitig steigendem Trend zu studieren) personelle Konsequenzen für die Unternehmen einer Region (hier am Beispiel der Region Bonn):
| Unternehmen/Branchen, die schon zu wenig Ausbildungsbewerber haben, werden auch künftig mit geringen Bewerberzahlen rechnen müssen (z. B. Handwerk, Hotels, Gaststätten, mittelständische Gewerbebetriebe bei gewerblich-technischen Ausbildungsplätzen). |
| Der Kampf um qualifizierte Bewerber wird zunehmen, Personalmarketing (z. B. Ausbildungsmessen) bindet hohe Kosten. |
| Ganze Branchen und auch regionale Konkurrenten müssen zusammenarbeiten, um das Branchenimage zu stärken oder überregional Auszubildende in die Region zu holen. |
| Unternehmen müssen Alternativen zur herkömmlichen und lange bewährten Berufsausbildung schaffen (z. B. duales Studium, Ausbildung für Ältere). |
| Neue Zielgruppen müssen für die traditionelle Berufsausbildung erreicht werden (z. B. ausländische Jugendliche, Ausbildung mit integriertem Schulabschluss für Jugendliche ohne Schulabschluss). |
ABB. 5: Altersstatistik der 17- bis 19-Jährigen
Auch international wird die demografische Entwicklung ebenso wie für andere westliche Industriestaaten kritisch gesehen: A bigger worry is what will happen as ageing Swabians retire. By 2025 a quarter of the workforce will be older than 55, compared with 15 % now, and the number of school-leavers will shrink by a third. Within ten years the region will be short of 60,000 workers, 7,500 of them engineers, the soul of the ‘Mittelstand’ … The number of children per woman dropped below the replacement rate of 2.1 in the 1970s. The women born then in relatively small numbers are in turn having small families. Until 2002 Germany let enough immigrants to stave off demographic decline, but the influx has slowed. In 2008, for the first time in a quarter-century, more people left the country than came in.”8)
Diese demografischen Entwicklungen sind nicht nur ein nationales, sondern auch ein internationales Problem, was insb. auch international tätige Unternehmen spüren. Sie sind jeweils in den Industrie-, Schwellen- oder Entwicklungsländern ähnlich (s. Abb. 6).
Solche komplexen und gravierenden Auswirkungen auf die Unternehmensführung lassen sich auch für andere Szenariofelder, z. B. technologische Entwicklung, Wertewandel oder Internationalisierung, abbilden.
ABB. 6: Bevölkerungsstrukturen im internationalen Vergleich
1.1.3.5 Shareholder Value- und Stakeholder-orientierte Unternehmenspolitik
Traditionelle Unternehmensbetrachtungen konzentrieren sich auf das Innenleben der Unternehmen, z. B. die optimale Kombination der Produktionsfaktoren zur Gewinnmaximierung (vgl. faktortheoretischer Ansatz, Kap. 1.1.1). Entsprechend werden auch die konstitutiven Bedingungen (z. B. Unternehmensstandort, -rechtsform) optimierend betrachtet ohne ihre gesellschaftliche Relevanz. In den letzten Jahren wird i. d. R. in der Diskussion einer gesellschaftsrelevanten Unternehmensführung immer mehr zwischen zwei Polaritäten der Unternehmenspolitik unterschieden:
| Shareholder-Value-Ansatz, |
| Stakeholder-orientierte Unternehmenspolitik. |
Während der Shareholder-Value-Ansatz als Stabilisierungspolitik die Interessen der Shareholder (Eigenkapitalgeber) sowie teilweise von Fremdkapitalgebern (abhängig von der Form und Fristigkeit des Fremdkapitals) in den Vordergrund des Unternehmensinteresses stellt und sich auf die Bestands- und Überlebenssicherung des Unternehmens konzentriert, zielt der Stakeholder-Ansatz als Entwicklungspolitik vornehmlich auf die Interessen aller Stakeholder des Unternehmens (z. B. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber) ganzheitlich bzw. je nach Stakeholder-politischer Ausrichtung auf eine langfristige Unternehmensentwicklung.
In der Realität bewegen sich Unternehmen als Folge der für das Unternehmen relevanten Situationsfaktoren und unternehmenspolitischen Entscheidungen oft zwischen beiden Polaritäten. Diese können zeitweise schwerpunktmäßig verfolgt werden oder in großen Unternehmen in verschiedenen Unternehmensbereichen unterschiedlich gewichtet sein.
Shareholder-Value-Ansatz (Stabilisierungspolitik)
Es ist allgemein üblich, Unternehmenserfolge durch Vergleiche mit der Vorperiode oder einem Planbudget zu ermitteln. Wie hoch das investierte bzw. eingesetzte Kapital effektiv verzinst ist, kommt dabei i. d. R. nicht zum Ausdruck. Für die Eigenkapitalgeber oder Eigentümer des Unternehmens steht aber oft die tatsächliche Vermögens- und Ertragssituation im Vordergrund des Interesses. Der Shareholder Value (nach A. Rappaport) bezeichnet den Anteil des Eigenkapitals am Wert des Unternehmens (vereinfacht ausgedrückt ist der Shareholder Value der Unternehmenswert - Fremdkapital). Ziel ist die Steigerung des Unternehmenswerts und damit des Eigenkapitals. Dargestellt wird dies meist durch den Cashflow als Discounted Cashflow (DCF) oder durch Kennzahlen wie Economic Value Added (EVA) und Cashflow Return on Investment (CFROI).9)
Merkmale des Shareholder-Value-Ansatzes
| Ziel ist vornehmlich die Bestands- und Überlebenssicherung des Unternehmens. |
| Interessen der Eigenkapitalgeber (Shareholder) sowie teilweise der Fremdkapitalgeber (abhängig von Form und Fristigkeit des Fremdkapitals) stehen im Vordergrund. |
| Man zielt auf eine möglichst kurzfristige Unternehmenswertsteigerung bzw. kurzfristige Gewinnmaximierung und -abschöpfung. |
| Entsprechend sollen bestehende Erfolgspotenziale des Unternehmens gehalten, abgeschöpft oder ausgebaut werden. |
| Dies erfordert als Situationsfaktoren z. B. relativ stabile Märkte bzw. Umwelt, überschaubare Erfolgsfaktoren sowie eine starke Macht der Eigenkapitalgeber im Unternehmen. |
| Die Shareholder Value-orientierte Unternehmenspolitik wird entsprechend auch oft als stabilitätsorientierte oder konservative Unternehmenspolitik bezeichnet. |
Stakeholder-Orientierung (Entwicklungspolitik)
Die traditionell eindimensionale Betrachtung unternehmerischer Zielsetzungen, i. d. R. der Eigenkapitalrentabilität, wird immer mehr in Frage gestellt. In den meisten Unternehmen spielt der Fremdkapitalanteil eine dominierende Rolle bei der Unternehmensfinanzierung (z. B. Kredite als angespartes gesellschaftliches Vermögen). Auch gibt es in den meisten Unternehmen eine Trennung zwischen Eigentum und Verfügungsgewalt (Anteilseigner und Management). Dazu existieren viele rechtsstaatliche Ansprüche gesellschaftlich relevanter Einzel- oder Gruppeninteressen (z. B. Mitarbeiterinteressen durch Mitbestimmung, Interessenverbände und Behörden) und gesellschaftlich anerkannte moralische Ansprüche.
Merkmale der Stakeholder-Politik
| Ziel ist in erster Linie eine langfristige Unternehmensentwicklung, wobei zus. zu den Interessen der Kapitalgeber gleichwertig die Interessen der Betroffenen im Unternehmens sowie von außen (z. B. Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter) in den Fokus der Unternehmensführung rücken. |
| Unternehmenspolitik zielt so besonders auf die Suche und Schaffung von neuen unternehmerischen Erfolgspotenzialen, wofür als fördernde Situationsfaktoren dynamische und komplexe Märkte und Umwelten gelten, z. B. bzgl. Nachfrage, Werten, Technik, Politik. |
| Entsprechend wird dieser Ansatz auch oft als entwicklungsorientierte oder progressive Unternehmenspolitik bezeichnet. |
Kritik am einseitig orientierten Shareholder-Value-Ansatz
Wenn auch in den 1990er Jahren der Shareholder-Value-Ansatz für viele Unternehmen das Maß aller Dinge erfolgreicher Unternehmensführung war, indem sich Unternehmenserfolg am steigenden Wert der börsennotierten Aktien ablesen ließ, ist zu bedenken, dass sich Unternehmenswerte nicht nur auf Aktienindizes beschränken. Außerdem sind Kursschwankungen nicht allein Ergebnis mehr oder weniger erfolgreicher Unternehmensführung. So wird die Börse erfahrungsgemäß nach einem mehrjährigen Boom auch wieder stagnieren. Würde der Shareholder Value ein ideales Steuerungsinstrument der Unternehmensführung, setzt das voraus, dass er eine definierte Zielgröße oder Instrumentarium ist. Die Funktion und die Interessen der Shareholder sind aber in den Unternehmen sehr unterschiedlich. Die Kapitalgeber haben u. a. eine Finanzierungsfunktion für das Unternehmen, womit sie auch eine Risikofunktion übernehmen und indirekt auch eine betriebliche Leistungsfunktion. Das Interesse der Kapitalgeber ist nach Art und Anzahl der Interessen am Unternehmen aber sehr unterschiedlich. Auch sind von den ca. 1,8 Mio. Unternehmen in Deutschland nur ca. ein Sechstel Kapitalgesellschaften, und davon ist nur ein Bruchteil börsennotiert. Deshalb stellt sich auch die Frage, was der Shareholder Value sein muss. Ist es der notierte Börsenkurs (seine Differenz oder Entwicklung), die erwirtschaftete Rendite (Gewinn oder Dividende) oder der Cashflow? Zusammenfassend kann man feststellen, dass auch die Entwicklung der unterschiedlichen Shareholder-Interessen sehr dynamisch und vielfältig ist, dass die relativ kurzfristige Betrachtung eines Shareholder Value der strategischen Unternehmensführung widerspricht und die Interessen (und damit die Macht) der Stakeholder immer mehr zunehmen.
Beispiel: Eine Kritik an diesem Prinzip formulierte schon H. Ford, einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Unternehmer im 20. Jh. (s. a. Kap. 7.1: Der Fordismus): Wie heißt der Leitgedanke der Industrie … der wahre Leitgedanke heißt nicht Geldverdienen. Der industrielle Leitgedanke erfordert Schaffung einer nützlichen Idee und deren Vervielfältigung ins Abertausendfache, bis sie allen zugute kommt … Produzieren und wieder produzieren; ein System ersinnen, aufgrund dessen das Produzieren zu einer hohen Kunst wird; die Produktion auf eine Basis stellen, die ein ungehemmtes Wachstum und den Bau immer zahlreicherer Werkstätten, die Hervorbringung immer zahlreicherer nützlicher Dinge ermöglicht – das ist der wahre industrielle Leitgedanke. Aus der Spekulation anstatt aus der Arbeit Gewinn schlagen, bedeutet jedoch die direkte Verneinung des industriellen Gedankens … Hier möchte ich gleich bemerken, dass ich es nicht für richtig halte, übermäßige Gewinne aus unseren Wagen zu erzielen. Ein mäßiger Gewinn ist berechtigt, ein allzu hoher nicht. Dabei ist es auch von jeher mein Prinzip gewesen, die Preise der Wagen so rasch herabzusetzen, als die Produktion es irgend erstattete, und den Vorteil davon den Verbrauchern und den Arbeitern zukommen zu lassen … Eine solche Politik harmonisiert allerdings nicht mit der allgemeinen Ansicht, dass ein Geschäft so geleitet werden müsste, dass die Aktionäre eine möglichst große Summe Bargeld aus ihm herausziehen können. Ich kann daher Aktionäre im üblichen Sinne des Wortes nicht brauchen – sie helfen nicht, die Gelegenheit zur Dienstleistung zu vermehren. Mein Ehrgeiz geht vielmehr darauf aus, immer mehr Arbeiter zu beschäftigen, und, so weit es in meiner Macht steht, die Wohltaten des industriellen Systems, dass wir zu begründen versuchen, immer weiteren Kreisen zugute kommen zu lassen. Wir wollen helfen, Existenzen und Häuser aufzubauen. Dazu ist es nötig, dass der größere Teil des Gewinnes wieder in ein produktives Unternehmen zurückfließt. Daher ist bei uns kein Platz für nicht mitarbeitende Aktionäre.10)
Und der langjährige Daimler-Benz Vorstand und spätere Vorstandsvorsitzende E. Reuter formulierte: In Wirklichkeit kann der Wert eines Unternehmens eben nicht mit der Latte der Aktienkurse gemessen werden … diskutieren deswegen längst über Bewertungskriterien, die sich nicht an den kurzfristigen Zufälligkeiten von Börsenspekulationen, sondern an der längerfristigen Entwicklung eines Unternehmens ausrichten und damit auch die Berücksichtigung von strategischen Entscheidungen ermöglichen, die nach der Natur der Sache Vorleistungen für eine erfolgreiche Verbesserung der Wettbewerbssituation ermöglichen.11)
Noch deutlicher drückt es der bekannte deutschsprachige Managementforscher F. Malik aus: Die Mehrheit des deutschen Top-Managements und seiner Consulting-Entourage orientiert sich seit Jahren unkritisch an amerikanischen Managementpraktiken. Statt selbst darüber nachzudenken, was richtiges Management ist, wird jede Mode imitiert … Die Doktrin des Shareholder Values ist als Theorie der Unternehmensführung eine der schädlichsten Irrlehren, die je entwickelt wurden … dass die Anwendung dieser Theorie zum Gegenteil dessen führte, was sie versprochen hat: Zu einer Orgie von Bilanzschönung und Bilanzfälschung, Desinformation des Publikums, Wertevernichtung und Bereicherungsexzessen – systemimmanent und nicht etwa als vereinzelte Pannen. Und weiter: Zweck des Unternehmens ist die Transformation von Ressourcen in Nutzen für den Kunden … als einzig richtiger Unternehmenszweck, womit er den gängigen Theorien der Unternehmensgewinnmaximierung oder -wertsteigerung direkt widerspricht.12) Für ihn gilt Kundennutzen statt Shareholder Value und Konkurrenzfähigkeit statt Wertsteigerung. Damit ist der Gewinn nicht das Unternehmensziel sondern nur ein (zwangsläufiges) Ergebnis) eines richtigen Zwecks.13)
Entsprechend dieser inzwischen weit verbreiteten Kritik wird der Shareholder Value-orientierte Ansatz in den letzten Jahren immer öfter als langfristige Orientierung dargestellt, die auch Stakeholder-Interessen einbeziehen sollte.