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III. Vertragsfreiheit

1. Grundgedanken

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Schuldverhältnisse beruhen oft auf Verträgen. Welche Inhalte Verträge haben, wird in der Praxis auch durch Parteivereinbarungen mitbestimmt. Das wird vom Prinzip der Vertragsfreiheit aufgegriffen. Die Vertragsfreiheit gehört zur Privatautonomie. Als schuldrechtliches Prinzip hat die Vertragsfreiheit eine wichtige Funktion: Sie berücksichtigt unser Bedürfnis, uns zumindest auch als freie und verantwortliche Menschen denken zu können.[15] Vertragsfreiheit umfasst die Abschlussfreiheit der Vertragsparteien. Private Akteure dürfen, soweit ihnen Abschlussfreiheit zukommt, frei entscheiden, ob sie überhaupt kontrahieren wollen, mit wem sie kontrahieren wollen und in welcher Form. Ähnliches gilt für den Inhalt der Verträge: Die Vertragsparteien – und nur sie – können im rechtlich vorgegebenen Rahmen eigenverantwortlich den Inhalt ihrer Verträge bestimmen und ändern (Vertragsinhaltsfreiheit). Man spricht insoweit auch von der Gestaltungsfreiheit und der Abänderungsfreiheit. Die einzelnen Facetten der Vertragsfreiheit werden durch viele gesetzliche Bestimmungen ausgestaltet.[16]

2. Formale und materielle Aspekte der Vertragsfreiheit

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Vertragsfreiheit hat – wie die Freiheit im Allgemeinen – formale („Freiheit von“[17]) und materielle („Freiheit zu“[18]) Facetten. Im Liberalismus des 19. Jahrhunderts wurden Privatautonomie und Vertragsfreiheit weitgehend formal konzipiert, also als Institute der Sicherung formaler Freiheit verstanden.[19] Es ging vor allem darum, „Freiheit von staatlicher Einmischung“ zu garantieren. Diese Konzeption wirkt bis heute fort: Vertragsfreiheit wird oft als Selbstgesetzgebung Privater verstanden. Vertragsinhalte gelten danach nicht etwa deshalb, weil sie aus einer überindividuellen Perspektive zweckmäßig oder gerecht sind, sondern schlicht, weil sie privatautonom gesetzt sind.[20] Freiheit ersetzt danach Gerechtigkeit.[21] Die als „frei“ und „gleich“ gedachten Menschen selbst, nicht aber der Staat, definieren den Inhalt privatautonom begründeter Rechtssätze. Dem Staat kommt lediglich eine „Nachtwächterfunktion“ zu: Er sichert vor allem die Geltung und die Vollstreckung frei verhandelter Vertragsinhalte.[22] Das Hauptanliegen dieser Konzeption besteht darin, die Verkehrssicherheit und den Wettbewerb zu fördern. Ein wichtiges Kennzeichen des formalen Verständnisses von Vertragsfreiheit ist die Abstraktion, die Ausklammerung individueller Besonderheiten und sozialer, ökonomischer und historischer Kontexte.[23] Vielen Normen des allgemeinen Schuldrechts liegt noch heute eine formale Konzeption zugrunde. Gerade das allgemeine Schuldrecht abstrahiert häufig von den individuellen Merkmalen der Personen und reduziert sie auf ihre grundlegenden Eigenschaften als „Schuldner“ bzw „Gläubiger“. Das zeigt sich fast durchgängig an allgemein gehaltenen Schuldrechtsnormen, beispielsweise gleich bei § 241: Für diese Norm scheinen wirtschaftliche Machtrelationen, Informationsgefälle und ähnliches irrelevant zu bleiben.

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Dem allgemeinen Schuldrecht liegt oft aber auch die Konzeption material verstandener Vertragsfreiheit zugrunde.[24] Materielle Elemente gehen über die formale Freiheit hinaus: Vertragsfreiheit wird vielmehr mit verschiedenen Inhalten aufgefüllt: Danach dient die Vertragsfreiheit verschiedenen Zwecken wie der Erzielung eines gerechten Austausches zwischen den Beteiligten, die in Solidarität kooperieren. Material verstandene Vertragsfreiheit berücksichtigt auch die ökonomischen, sozialen und politischen Kontexte. Das zeigt sich etwa dann, wenn Aufklärungspflichten zum Schutz unterlegener Bevölkerungsschichten angenommen werden[25] und natürlich deutlich im Verbraucherrecht: Die Vertragsinhalte – jenseits der Hauptleistungspflichten („Ware gegen Geld“) – werden dort weitgehend von Regeln bestimmt, die zugunsten der Verbraucher zwingend sind.[26] Die materiellen Elemente des Schuldrechts sind nach Inkrafttreten des BGB zunächst vor allem in der Rechtsprechung entwickelt worden.[27] Im Laufe der Zeit kamen sie immer klarer auch in gesetzlichen Regeln zum Ausdruck. Seit den 1970er Jahren steht diese Entwicklung im Zeichen des europäischen Rechts: Der europäische Gerichtshof und der europäische Gesetzgeber treiben die Materialisierung des Schuldrechts immer weiter voran.[28] Viele schuldrechtliche Normen berücksichtigen Ungleichgewichtslagen und soziale, ökonomische und gesellschaftliche Kontexte, in denen Verträge geschlossen werden.[29] Das entspricht der Gerechtigkeitsperspektive der Verteilungsgerechtigkeit.[30] Materiell verstandene Vertragsfreiheit ist ein Funktionselement der Gerechtigkeit. Die Grenzen der Vertragsfreiheit sichern in diesem Verständnis nicht bloß die Bedingungen der Möglichkeit von Vertragsfreiheit. Vielmehr verfolgen sie eigenständige Gerechtigkeitsanliegen.

3. Der gesetzliche Rahmen der Vertragsfreiheit im BGB

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Die Vertragsfreiheit wird im BGB nur innerhalb der gesetzlichen Vorgaben gewährt. Dazu gehören beispielsweise Formvorschriften, deren Missachtung in der Regel zur Nichtigkeit der Verträge führt (vgl § 125).[31] Weitere wichtige Rahmenbedingungen ergeben sich aus den §§ 134, 138 und 242. Allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen zudem einer weitgehenden Kontrolle nach den §§ 305 ff. Im Bereich des Verbrauchervertragsrechts, in dem die regulative Perspektive klar im Vordergrund steht, ist die Vertragsinhaltsfreiheit jenseits der Hauptleistungspflichten nahezu bedeutungslos.[32] Ähnliches gilt für das Arbeitsvertragsrecht und das Wohnraummietrecht. Viele weitere Voraussetzungen der Vertragsfreiheit sind im besonderen Schuldrecht zu finden. So ist die Vertragsinhaltsfreiheit im Kaufrecht etwa durch Regelungen zu Gewährleistungsausschlüssen schwach ausgeprägt (vgl etwa §§ 444, 476). Dazu treten viele weitere Rahmenbedingungen in Spezialgesetzen, wie etwa der Gebührenordnung für Ärzte, die Preise nur in sehr engen Grenzen frei vereinbaren können. Im Gemeinwohlinteresse bestehen außerdem zahlreiche Kontrahierungszwänge, die die negative Vertragsfreiheit ausschließen.[33]

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Man kann die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Vertragsfreiheit auch als „Grenzen der Vertragsfreiheit“ oder „Schranken der Vertragsfreiheit“ bezeichnen. Das ist eine durchaus übliche Terminologie.[34] Rhetorisch rufen die Bilder von „Grenzen“ und „Schranken“ freilich Assoziationen hervor, aus denen sich eine Rechtfertigungslast ergibt. Das ist durchaus gewollt: Gesetzliche Rahmenbedingungen der Vertragsfreiheit werden als rechtfertigungsbedürftiger „Eingriff“ in die Vertragsfreiheit „als solche“ gesehen. Analytisch ist das Bild jedoch irreführend: Denn die Rahmenbedingungen der Vertragsfreiheit sind kein Eingriff in eine abstrakte Freiheit „als solche“, die zuvor unberührt bestand. Sie verteilen vielmehr spezifische Freiheitsbefugnisse. Die Vertragsfreiheit als Prinzip sagt nichts über konkrete einzelne Befugnisse aus, die das Recht uns zuschreibt und denen logisch zwingend korrelierende Pflichten gegenüberstehen. Das Recht verteilt diese Befugnisse, so dass manchem mehr, manchem weniger Handlungsspielräume zukommen. Das zeigen Kontrahierungszwänge deutlich, die sich regelmäßig nur an eine bestimmte Personengruppe richten und damit spezielle Akteure im Wirtschaftsleben in den Blick nehmen. So verpflichtet das AGG die Clubbetreiberin, Menschen nicht wegen ihrer Hautfarbe von der Tür zu weisen.[35] Darin liegt eine Einschränkung der Freiheitsbefugnisse der Clubbetreiberin. Zugleich – und logisch zwingend – werden damit Freiheitsbefugnisse auf Seiten der betroffenen Menschen erhöht. Freiheitsaspekte werden durch die Regeln, innerhalb derer die Vertragsfreiheit wirkt, also immer (und fortlaufend) neu verteilt. Die entscheidende Frage ist stets, welche spezifischen Freiheitsbefugnisse begrenzt werden sollen oder nicht. Konkrete Antworten auf diese Fragen werden im politischen und juristischen Diskurs gegeben.

4. Praktische Bedeutung der Vertragsfreiheit

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Die Bedeutung der Vertragsfreiheit in der rechtlichen Praxis darf nicht überschätzt werden. Ihre Erklärungskraft für konkrete Rechte und Pflichten ist in der Praxis der Rechtsanwendung eher gering. Oft ist es auch schwierig, den vertraglich vereinbarten Willen zu ermitteln. Vertragsvereinbarungen sind oft lückenhaft oder unklar. Wenn der Vertragsinhalt durch (einfache) Auslegung nach §§ 133, 157 nicht zu ermitteln ist, kann die sog „ergänzende Vertragsauslegung“ erforderlich werden. Sie hat mit Vertragsfreiheit im Sinne der auf den wirklichen Parteiwillen ausgerichteten Privatautonomie aber nicht mehr viel zu tun: Bei der ergänzenden Vertragsauslegung entscheiden Richterinnen nach objektiven Gerechtigkeitskriterien.[36] Dabei wird zwar berücksichtigt und fortgedacht, was die Parteien vereinbart haben. Der als Maßstab eingesetzte „hypothetische“ Parteiwille ist aber eben dies: hypothetisch. Was die Parteien wirklich gewollt hätten, kann man nur vermuten; vielleicht hätten sie je unterschiedliche Inhalte gewollt und sich gar nicht geeinigt. Dazu kommt, dass Vertragsfreiheit „frei“ vereinbarte Inhalte voraussetzt. Über die Voraussetzungen dafür gibt uns die Vertragsfreiheit selbst keine Antworten. Wir sind insoweit vielmehr auf außerhalb des Parteiwillens liegende, heteronome Wertungsgesichtspunkte angewiesen.[37]

Teil I Grundlagen › § 1 Ziele und Prinzipien des Schuldrechts › IV. Der Grundsatz der Gleichbehandlung

IV. Der Grundsatz der Gleichbehandlung

1. Gleichbehandlung als Rechtsprinzip des allgemeinen Schuldrechts

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Ein weiteres Prinzip des allgemeinen Schuldrechts ist der Grundsatz der Gleichbehandlung. Er hat vor allem im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einen zentralen Niederschlag gefunden. Auch außerhalb des AGG ist Gleichbehandlung in vielen Bereichen ein leitendes Rechtsprinzip. Ein Beispiel bietet der zumindest teilweise normierte (vgl §§ 612a BGB, 75 Abs. 1 BetrVG) arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.[38]

2. Diskriminierungsschutz durch das AGG

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Das AGG gewährt in Umsetzung von vier EU-Richtlinien[39] Schutz gegen Diskriminierungen. Es betrifft trotz der vielen Anwendungsfälle in diesem Bereich nicht nur das Arbeitsrecht, sondern ist auch für das allgemeine Vertragsrecht äußerst bedeutsam.[40] Das AGG ist ein besonders klarer Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit im Schuldrecht: Es verlangt, die jeweiligen sozialen Kontexte zu berücksichtigen und lenkt den Blick weg von den „abstrakten“ Figuren des Schuldners und des Gläubigers hin zu ihren konkreten Eigenschaften (etwa deren Geschlechtsidentität oder Religion). Vertragsrecht wird durch die Normen des AGG als Regulierungsinstrument eingesetzt, das dazu beitragen kann und soll, Menschen vor Diskriminierungen zu schützen.

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Viele Privatrechtswissenschaftler haben das AGG stark kritisiert: Es führe zum „Tod der Privatautonomie“[41], manche hörten gar für das ganze Privatrecht das „Totenglöcklein“[42] läuten. Die Autoren kritisieren damit letztlich eine konkrete Verteilung von Freiheitsbefugnissen zugunsten der Diskriminierten, üben also eine rechtspolitische Kritik. Aber für diese Verteilungsentscheidung des Gesetzgebers sprechen gute Gründe: Auch das Privatrecht kann zu einer inklusiven Gesellschaft und gelebter Toleranz anderen gegenüber beitragen.[43]

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Ziel des AGG ist gem. § 1 AGG die Verhinderung oder Beseitigung von Diskriminierungen nach acht personenbezogenen Merkmalen: Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Welche Geschäfte in das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot fallen, ergibt sich aus § 2 AGG iVm § 19 AGG.[44] Von höchster praktischer Relevanz für das allgemeine Vertragsrecht ist § 2 Abs. 1 Nr 8 AGG, der die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen regelt, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

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Das zentrale allgemein-zivilrechtliche Benachteiligungsverbot findet sich in § 19 AGG. Die Reichweite des Benachteiligungsverbots hängt vom Diskriminierungsverbot ab: In allen von § 2 Abs. 1 Nr 5-8 AGG genannten Schuldverhältnissen ist eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft unzulässig. Wer etwa in Münster einen Kiosk betreibt, darf niemandem den Verkauf einer Flasche Limo wegen seiner ethnischen Herkunft verweigern. Bei den übrigen Diskriminierungsgründen schränkt § 19 Abs. 1 AGG das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot auf bestimmte Vertragstypen ein.

§ 19 Abs. 1 AGG erfasst erstens Massengeschäfte – also Schuldverhältnisse, die „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 Abs. 1 Nr 1 2. Alt. AGG). Als Beispiele führt die Gesetzesbegründung Freizeiteinrichtungen wie Badeanstalten oder Fitnessclubs auf, die üblicherweise jedem offenstehen.[45]

Zweitens geht es um massengeschäftsähnliche Geschäfte, „bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“ (§ 19 Abs. 1 Nr 1 2. Alt. AGG). Ein wichtiges Beispiel ist die Wohnraumvermietung oder die Gewerbemiete, wenn große Wohnungsanbieter eine Vielzahl von Wohnraum anbieten.[46] Wenn ein Vermieter dagegen nur eine Wohnung zu vermieten hatte, greift die Norm nicht ein, weil die Person des Mieters hier eine wichtige Rolle spielt.[47] § 19 Abs. 5 S. 3 AGG bietet ein praktisch wichtiges Regelbeispiel zur Konkretisierung des § 19 Abs. 1 AGG: In der Regel kann § 19 Abs. 1 Nr 1 AGG nur erfüllt sein, wenn der Vermieter insgesamt mehr als 50 Wohnungen vermietet.[48]

Drittens sind Versicherungsgeschäfte erfasst (§ 19 Abs. 1 Nr 2 AGG).[49] Ausgenommen sind gem. § 19 Abs. 4 AGG familienrechtliche und erbrechtliche Schuldverhältnisse. Auch im Anwendungsbereich des § 19 AGG können Ungleichbehandlungen aber gerechtfertigt werden. Zunächst ermöglicht § 5 AGG eine Rechtfertigung durch positive Maßnahmen, die bestehende Diskriminierungen verhindern oder beseitigen sollen.[50] Klassisches Beispiel für eine solche unterschiedliche Behandlung wäre etwa der bevorzugte Vertragsschluss mit Frauen zur Erzielung einer angemessenen Ratio der Geschlechter, etwa in einem Fitnessclub.

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Nach § 20 Abs. 1 AGG ist das Benachteiligungsverbot nicht verletzt, wenn ein sachlicher Grund für die Benachteiligung wegen Religion, Behinderung, Alters, sexueller Identität oder des Geschlechts vorliegt. Benachteiligungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sind allerdings nicht erfasst. § 20 Abs. 1 S. 2 AGG beinhaltet Regelbeispiele für das Vorliegen sachlicher Gründe, § 20 Abs. 2 AGG eine Sonderregel für Versicherungsverträge.

3. Gleichbehandlung außerhalb gesetzlich und richterrechtlich anerkannter Tatbestände?

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Traditionell wird bzw wurde der Gleichbehandlungsgrundsatz als rechtfertigungsbedürftige Einschränkung der Privatautonomie verstanden.[51] Wie oben gezeigt,[52] ist diese Annahme spätestens seit dem Inkrafttreten des AGG zu kurz gegriffen. Denn der Grundsatz der Gleichbehandlung ist durch weitreichende Diskriminierungsverbote gesetzlich anerkannt. Umgekehrt nehmen manche sogar an, dass sich aus dem AGG und den weiteren Diskriminierungsverboten ein einheitlicher Gleichbehandlungsgrundsatz im Privatrecht entwickelt habe, der jede Ungleichbehandlung grundsätzlich rechtfertigungspflichtig werden lässt.[53] Ein einheitlicher Gleichbehandlungsgrundsatz im Privatrecht wäre in der Tat ein bedeutsamer Schritt hin zu einer toleranteren, inklusiveren Gesellschaft. Allerdings sollte in der praktischen Rechtsanwendung aus Gründen der Rechtssicherheit Gleichbehandlung nur mit großer Zurückhaltung über die gesetzlich normierten (vor allem im AGG) und richterrechtlich anerkannten Tatbestände hinaus eingefordert werden. Andernfalls wäre die Sicherheit der Rechtsanwendung gefährdet.

Teil I Grundlagen › § 1 Ziele und Prinzipien des Schuldrechts › V. Vertrauensschutz

V. Vertrauensschutz

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Auch der Vertrauensschutz gehört zu den Prinzipien des allgemeinen Schuldrechts.[54] Manchmal ist das Vertrauensprinzip ausdrücklich im Gesetz angesprochen. Das bekannteste Beispiel aus dem Allgemeinen Teil ist § 122, der das Vertrauen des Anfechtungsgegners auf die Wirksamkeit des Vertrags durch einen Schadensersatzanspruch schützt. Auch die in § 179 geregelte Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht schützt das Vertrauen desjenigen, der auf die Vertretungsmacht vertraut hat. Im allgemeinen Schuldrecht greifen die §§ 284 und 311 das Vertrauensprinzip explizit auf. § 284 schützt den Gläubiger in seinem Vertrauen auf den Leistungserhalt: Wenn dieses Vertrauen zu letztlich vergeblichen Aufwendungen geführt hat, kann er unter Umständen Aufwendungsersatz verlangen.[55] Und nach § 311 Abs. 3 S. 2 kann ein Schuldverhältnis insbesondere dann einem Dritten gegenüber begründet werden, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat.[56]

Im Fall 1 zeigt sich die Wirkweise des § 311 Abs. 3 S. 2, der zu Ansprüchen aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 führen kann. Der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 setzt zunächst ein Schuldverhältnis voraus. Das könnte sich aus § 311 Abs. 3 ergeben. V hat sich als Auto-Expertin bezeichnet und unter Berufung auf diese Sachkenntnis die Funktionstüchtigkeit der Bremsen behauptet. Dadurch hat sie iSd § 311 Abs. 3 S. 2 in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und den Vertragsschluss zwischen K und S erheblich beeinflusst. Somit liegt zwischen V und K ein Schuldverhältnis aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 vor. V hat K gegenüber auch fahrlässig die Pflicht zur Aufklärung über die defekten Bremsen verletzt (vgl §§ 241 Abs. 2, 276 Abs. 2). K kann daher von V Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 verlangen.

Teil I Grundlagen › § 1 Ziele und Prinzipien des Schuldrechts › VI. Treu und Glauben (§ 242)

VI. Treu und Glauben (§ 242)

1. Treu und Glauben als allgemeines Rechtsprinzip

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Ein weiteres wichtiges Prinzip des allgemeinen Schuldrechts ist der Grundsatz von Treu und Glauben. Er hat in § 242 eine Regelung für den Inhalt der Schuldverhältnisse gefunden. Weit über den konkreten Regelungsgehalt des § 242 hinaus gilt Treu und Glauben als tragendes Rechtsprinzip nicht nur des gesamten Bürgerlichen Rechts, sondern auch des Prozessrechts und des öffentlichen Rechts.[57]

2. Funktionen

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Die Funktionen des Grundsatzes von Treu und Glauben sind vielschichtig. § 242 fordert Fairness im Rechtsverkehr ein[58] und kann als methodisches Instrument zur Verwirklichung der Gerechtigkeitsidee eingesetzt werden. Auf § 242 gestützt können rechtliche Befugnisse begründet werden. Man spricht insoweit von der Begründungsfunktion des § 242. In der Rechtsanwendung besonders häufig ist aber die Begrenzungsfunktion der Norm, die prima facie bestehende Befugnisse eben auch eingrenzen kann. Daneben kann § 242 zu konkreteren Anforderungen an die Leistungsmodalitäten führen. Insoweit kommt der Norm also auch Konkretisierungsfunktion zu.

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§ 242 dient zudem als Einbruchsstelle für die Berücksichtigung höherrangiger Rechtsnormen wie dem Verfassungsrecht oder dem Unionsrecht. Die Norm ist deutlicher Ausdruck der Verbindung von Recht und Moral, weil der Begriff „Treu und Glauben“ als inhaltlich offene Generalklausel in der Praxis des Rechts auch unter Rückgriff auf moralische Wertungen ausgefüllt werden kann. So wird das Recht flexibel und entwicklungsoffen. Generalklauseln wie § 242 sind in hohem Maße dazu geeignet, das Schuldrecht fortzuentwickeln und es aktuellen Entwicklungen anzupassen. Das zeigt die Rechtsentwicklung im deutschen Schuldrecht deutlich: Auf § 242 gestützt hat die Rechtsprechung zentrale schuldrechtliche Institute entwickelt, die später gesetzlich geregelt wurden. Dazu gehören beispielsweise die Inhaltskontrolle bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 307 ff) und der Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313). Für die Anwendung dieser Normen ist die zuvor zu § 242 ergangene Rechtsprechung weiterhin nützlich.

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