Kitabı oku: «Winterfunke», sayfa 2

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Du lieber Himmel, das hier war die unabwendbarste aller Katastrophen. Sie hatte so lange gebraucht, um ihre Falle aufzubauen, hatte so viele Köder ausgelegt, dass Gabriel gar nicht in der Lage war, Nein zu sagen, und dass er keine Geschenke mit ihrem Sohn ausliefern wollte, weil er Arthur Anderson für einen rüpelhaften, ungebildeten Ochsen hielt. Und trotzdem konnte er das nicht tun. »Mrs. Anderson, ich kann wirklich nicht –«

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Du meine Güte. Schon halb zehn? Becky hat gerade erst einen neuen Job angefangen und der gute Big Tom ist bei der Morgenroutine keine große Hilfe. Bei der Vorlesestunde am Nachmittag werde ich mit ihnen zusammen vorbeischauen und dann können wir weiterreden.«

Gabriel sah zu, wie sie ging. Er war hin und her gerissen, ob er ihr nachrennen und um Gnade flehen oder ob er sich in seinem Büro einschließen und den Kopf zwischen die Beine stecken sollte. Das war schlimmer als die Kuppelei. Er sollte für die ganze Stadt ein fröhliches Feiertagsgesicht aufsetzen und zu einer Gala gezwungen werden, auf der er wie üblich an der Wand stehen und anderen Familien und Paaren beim Spielen und Glücklichsein zuschauen würde, während er allein bleiben würde. Er musste einen Weg aus der ganzen Sache raus finden.

Vielleicht musst du das gar nicht, tröstete er sich. Vielleicht wird Arthur ja das Protestieren für dich übernehmen. Was tatsächlich das wahrscheinlichste Szenario war. Denn das Einzige, was noch unvorstellbarer war, als dass Gabriel mit Arthur Anderson ausgehen würde, war, dass diese vulgäre männliche Hure den Weihnachtsmann spielte.

Kapitel 2

Der Schlitten war, um es milde auszudrücken, ein einziger Schrotthaufen.

Die Hälfte war verrottet, alles war verrostet und von dem gepolsterten Sitz war nichts mehr übrig. Theoretisch wusste Arthur, wie man ihn zu reparieren hatte, doch es war viel Arbeit und beinhaltete eine Menge Versuch und Irrtum und reichlich viel Fluchen. So viel Fluchen, dass eines Nachmittags im frühen November, als die Ersatzsperrholzplatte, die sie an ihren Platz zwingen wollten, mal wieder zerbrach, Thomas Hurensohn sagte, bevor Arthur es konnte.

Arthur zuckte zusammen. »Kumpel, du darfst nicht einfach Hurensohn sagen.«

Thomas beäugte ihn mit ernstem Blick. »Aber du sagst das die ganze Zeit. Und Fuck und Scheiße und gottverdammt.«

Scheiße. Arthur rieb eine Hand über seinen Nacken. »Ja, aber das sollte ich nicht tun. Jemand sollte mir den Mund auswaschen, wenn ich so was sage.«

»Okay.« Thomas kauerte sich hin und runzelte wegen der zerbrochenen Platte die Stirn. »Sie will sich nicht biegen. Das ist unser Problem.«

»Wohl wahr, Kumpel.« Mit einem Seufzen stieß Arthur das zersprungene Brett an. »Holen wir uns einen heißen Kakao, dann sehen wir nach, ob wir auf YouTube eine Lösung finden können.«

Thomas' Gesicht hellte sich auf. »Kakao mit Marshmallows?«

Arthur zerzauste seine Haare. »Und mit Schlagsahne und Streuseln.«

Nachdem sie sich ihre Getränke zubereitet hatten, eilten sie ins Arbeitszimmer, ehe sich Brianna ihnen anschließen oder Corrina ihnen noch etwas zum Reparieren geben konnte. Er würde seine Nichte später bespaßen, aber erst wollte er ein bisschen gemeinsame Zeit mit dem Jungen verbringen.

Thomas kletterte auf Arthurs Schoß und schmiegte sich an ihn, während sie darauf warteten, dass der Computer hochfuhr.

»Ich habe gehört, dass du dich an Halloween als Handwerker verkleidet hast«, sagte Arthur.

Thomas sah ihm in die Augen. »Irgendwann bin ich ein richtiger Handwerker und arbeite mit dir zusammen. Und ich will drei Babys haben. Kleine Mädchen in Kleidern wie Brianna und April. Vielleicht einen Jungen, aber ich will auf jeden Fall zwei Mädchen haben.«

Arthur schmolz förmlich. »Das wäre bestimmt schön.«

Mit seinem Kopf unter Arthurs Kinn machte Thomas es sich gemütlich. »Wenn ich groß bin, will ich mit einem Jungen zusammenwohnen.«

Das war etwa das dritte Mal, dass Thomas das sagte, und er wusste, dass es bei Becky überhaupt nicht gut ankommen würde. Das Problem war, dass Arthur immer noch nicht wusste, wie er darauf antworten sollte. Er gab sein Bestes, um den Unbeteiligten zu spielen. »Wirklich?«

»Ja. Mädchen sind eklig. Mit Jungs macht Spielen viel mehr Spaß.«

Arthur konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ja, das macht es wirklich. Halt dir trotzdem alle Möglichkeiten offen, Kumpel. Wenn du mit zwölf immer noch so denkst, kannst du zu mir kommen und wir reden darüber.«

Besorgt richtete Thomas sich wieder auf. »Davor kann ich nicht mehr mit dir reden?«

Sechsjährige, die wortgetreusten Wesen auf der Welt. »Du kannst mit mir reden, wann immer du willst, Thomas. Patenonkel sind immer zur Stelle.«

Thomas entspannte sich sichtlich. »Okay.« Allerdings biss er sich auf die Lippe und Arthur wusste, dass er noch mehr zu sagen hatte.

Sanft schnippte er gegen Thomas' Kinn. »Was liegt dir auf dem Herzen, Zwerg? Ich sehe doch, wie es in deinem Köpfchen arbeitet.«

Thomas wand sich, starrte auf seine Jeans hinunter und zupfte an einem Loch am Knie. »Ich wollte Soupy mit in die Schule nehmen und den anderen zeigen, aber Mom hat Nein gesagt. Und jetzt ist Soupy traurig.«

Vom Regen in die Traufe. Denn im Grunde genommen war Soupy der Schandfleck der Anderson-Familie. Die Puppe, die Corrina irgendwann einmal für Thomas draußen in Duluth gekauft hatte und die Becky hasste, was bedeutete, dass Soupy das Spielzeug war, das Thomas überall hin mitnehmen wollte.

Arthur räusperte sich und verkniff sich all die Dinge, die er sagen wollte, für die Dinge, die er sagen sollte. Er konnte keinen verdammten Unterschied darin sehen, ob man nun Vater-Mutter-Kind mit einem Dinosaurier oder mit einer Babypuppe spielte, außer dass die Puppe um einiges näher an der Realität war. Warum musste Thomas den Ernährer von Monstern und Tieren spielen statt von unechten Menschen? Er konnte allerdings nichts sagen, denn das hier war sein Patenkind und Neffe, nicht sein eigenes Kind.

»Es tut mir leid.« Er strich Thomas übers Haar und der Ausdruck in dessen großen braunen Augen schmerzte ihn sehr. »Vielleicht will Soupy uns stattdessen helfen, den Schlitten zu reparieren.«

Thomas bedachte Arthur mit einem tadelnden Blick. »Onkel Arthur, Soupy ist ein Baby. Für Werkzeuge ist sie viel zu klein.«

Entschuldigend hob Arthur eine Hand in die Luft. »Du hast recht. Mein Fehler. Tja, was will Soupy denn dann machen?«

Das Zögern hätte ihm eine Warnung sein müssen. »Sie will in deinem Pick-up mitfahren. Und im Café Pommes essen.«

Fuck. Verzweifelt suchte Arthur eine Möglichkeit, die Situation zu meistern. Er hatte kein Problem damit, sich mit Thomas und seiner Babypuppe in der Öffentlichkeit zu bewegen. Becky allerdings würde den totalen Wutanfall bekommen, wenn sie es herausfand. Doch jetzt steckte Arthur in der Klemme, denn wenn er keinen Ausflug mit Thomas und der Puppe unternahm, würde er sich bei diesem Streit auf eine Seite schlagen. Seine Mutter würde ihn unterstützen, aber es fühlte sich falsch an, Beckys Wünsche nicht zu respektieren.

Er entschied sich für den Mittelweg. »Ich würde dich und Soupy sehr gerne mitnehmen. Aber wenn ich das mache, wird deine Mom ziemlich sauer auf mich sein. Da komme ich nicht drum herum. Aber ich werde es durchstehen, wenn du das willst.« Er zwickte Thomas in die Nase. »Deine Entscheidung, Zwerg.«

Thomas sackte in sich zusammen. »Soupy mag es nicht, wenn Leute sich anschreien.«

War es falsch, dass Arthur ein wenig enttäuscht war? »Ich werde mit deiner Mom reden, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt. Vielleicht können wir eine Ausnahme machen. Nur dieses eine Mal.«

Thomas schüttelte den Kopf. »Lass uns den Schlitten reparieren, Onkel Arthur.«

Sie sprachen nicht mehr über die Puppe, aber sie arbeiteten jeden Abend, sobald Thomas von der Schule nach Hause kam, an dem Schlitten. Bis zum achten November hatten sie die Karosserie vollständig wiederhergestellt und Arthur führte seine Mutter zum Schuppen, um ihr sein Werk zu zeigen.

»Wir müssen noch eine letzte Bodenplatte erneuern und ihm eine neue Schicht Farbe verpassen, aber wir sind ziemlich nah dran. Was denkst du?«

Corrina schlug die Hände an ihre Wangen und strahlte ihn an. »Oh, Arthur, er ist perfekt. Er sieht jetzt besser aus als damals, als ich klein war, und dabei bist du noch nicht einmal fertig. Gabriel wird ihn lieben. Du musst ihn ihm zeigen. Ich werde ihn irgendwann zum Essen einladen und dann kannst du ihn herumführen.«

Arthur zuckte zusammen und begriff, dass die Kuppelei doch nicht aufgehört hatte. Und mein Gott, von allen potenziellen Dates. Gabriel. Der offen schwule Bibliothekar von Logan. Ein Strichmännchen, eingehüllt in einen Pullover und komplettiert mit einer Brille mit Plastikgestell. Ein netter Junge, wie er im Buche stand, und so weit von Arthurs Typ entfernt, dass er ein Navi brauchen würde, um wieder nach Hause ins Bärenland zu finden.

Corrina warf die Arme um seine Schultern und drückte ihn fest. »Vielen Dank. Du wirst der perfekte Weihnachtsmann zu Gabriels Elf sein.«

Blanker Horror stoppte jegliche Aktivität in Arthurs Gehirn. Als er wieder in der Lage war zu sprechen, stotterte er größtenteils. Das war zehn Mal schlimmer als Kuppelei. »Mom – was – willst du mich verdammt noch mal verarschen –«

Mit ernstem Gesichtsausdruck tauchte Thomas hinter dem Schlitten auf. »Oma Cory, du musst Onkel Arthurs Mund mit Seife auswaschen.«

Corrina glättete weiterhin Arthurs Mantel und sah aus, als würde sie gleich vor Freude weinen. »Ich habe alles arrangiert. Susan näht die Kostüme und ich habe es geregelt, dass du Fahrstunden bei Mr. Peterson nehmen und dir eins von seinen Pferden leihen kannst. Natürlich sprichst du dich mit Gabriel ab –«

»Mom.« Bei dem Drang, diesen Zug zu stoppen, bevor seine Mutter ihn auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt hatte, schnürte sich Arthurs Brust zusammen und es verlangte ihm Übermenschliches ab, nicht dabei zu fluchen. »Mom, ich werde mich nicht als Weihnachtsmann verkleiden, ich werde den Schlitten nicht fahren und ich spreche mich sicher nicht mit diesem –«

»Oh, Arthur. Du musst den Weihnachtsmann spielen. Du bist perfekt dafür und, ganz ehrlich, es gibt niemand anderes. Gabriel ist viel zu dünn. Würdest du das tun, Schatz? Für mich? Für die Kinder? Für die Bibliothek?«

Inzwischen stand Thomas neben ihnen und schaute Arthur bewundernd an. »Du spielst mit dem Weihnachtsmann?«

Corrina hockte sich auf Thomas' Augenhöhe. »Das stimmt. Der Weihnachtsmann kommt nach Logan. Onkel Arthur repariert seinen Schlitten und dann wird er alle damit in der Stadt herumfahren.«

Thomas nahm Arthurs Hand und drückte sie fest. »Onkel Arthur, darf ich auch mit dem Weihnachtsmann spielen?«

Oh Scheiße.

Arthur warf seiner Mutter einen letzten, verzweifelten Blick zu, doch sie war viel zu beschäftigt damit, Thomas zu versprechen, dass es ganz wundervoll werden würde, wenn der Weihnachtsmann Schlittenfahrten in Logan veranstaltete.

Wenn Arthur seinen Kopf aus dieser Schlinge bekommen wollte, musste er es selbst tun.

***

Gabriel liebte es, die Bibliothek zu öffnen.

Es war seine Lieblingszeit des Tages, wenn alles still war und er die Möglichkeit hatte sicherzugehen, dass die Regale geordnet und makellos aussahen. Natürlich sah er jeden Abend nach dem Rechten, wenn er nach Hause ging, doch normalerweise verließ er die Bibliothek, bevor sie schloss. Und er mochte es, noch einmal durch die sieben Regalreihen zu schlendern, Buchrücken gerade zu rücken und den Geruch von muffigem, altem Papier und sich zersetzendem Klebstoff tief einzuatmen, bevor er die Türen aufschloss.

Der Geruch von Büchern. Wenn es einen schöneren Duft auf der Welt gab, kannte Gabriel ihn nicht.

Die Kinderabteilung mit ihren drei plumpen Kästen neben den Sitzsäcken war wie üblich ein einziges Durcheinander, doch eine Mutter und ihre zwei Töchter hatten sich sehr früh hier eingefunden, während Gabriel sich im hinteren Bereich aufgehalten hatte. Ein Mädchen ließ Spielzeuglaster entlang einer Reihe Bauklötze fahren, die andere versuchte, ihre Mutter zu überreden, eine Filzhandpuppe überzuziehen. Es war zwar erst fünfzehn Minuten vor zehn, aber Gabriel brachte es nicht übers Herz, das anzumerken. Stattdessen ging er in sein Büro, sank in seinen Stuhl und schloss die Augen. Dann klappte er seinen Laptop auf, loggte sich in den Chat ein und betete, dass Alex online sein würde.

Das war sie und sie begrüßte ihn sofort, als sein Chatprogramm gestartet war. Hey, Süßer. Wie ist die Bibliothek so, die von der Zeit vergessen wurde?

Er stellte sich vor, wie sie in ihrer sonnendurchfluteten Küche in Bloomington saß, während ihr Baby in seinem Laufstall gluckste, ihr kleines Kind sich einen Film ansah und sie an ihrem Kaffee nippte und Mutterblogs überflog. Er erinnerte sich an die Zeit, als er bei ihr um die Ecke gewohnt hatte, als er ihr Bibliothekar gewesen war.

Mit einem Seufzen beugte er sich über die Tastatur und tippte eine Antwort. Corrina Anderson will Schlittenfahrten als Benefizveranstaltung anbieten. Ich werde ein Elf sein und ihr Sohn der Weihnachtsmann.

Fast konnte er die Heiterkeit in ihrer Antwort sehen. Aww. Ich sollte vorbeikommen. Das klingt witzig.

Es ist ein Albtraum. Er schnitt eine Grimasse und tippte den Rest mit wütendem Nachdruck. Ich kann ihren Sohn nicht ausstehen. Er ist ein großer, einfältiger Trottel und ein Rotschopf. Ein wütendes Karottenrot. Es ist lächerlich. Welches Kind wird glauben, dass er der Weihnachtsmann ist?

Kinder sind leicht zu überzeugen. Die glauben alles. Und den Erwachsenen wird es egal sein.

Gabriel war es nicht egal. Sie versucht schon wieder, mich mit ihm zu verkuppeln. Ich würde eher nackt die Main Street runterrennen. Darf ich dich daran erinnern, dass die Höchsttemperatur gestern bei neunzehn Grad lag? Fahrenheit.

Wenn du dich nicht benimmst, schicke ich dir noch ein animiertes I-Aah-GIF.

Na klasse. Jetzt hatte er so sehr geschmollt, dass Alex in ihren Muttermodus gewechselt war. Ignorier mich einfach. Ich bin heute ein wenig launisch.

Du bist immer launisch, Süßer. Allerdings wirkst du heute besonders launisch. Ist der Kerl so schlimm?

Ja, Arthur war schrecklich. Er war grob und unhöflich – und klein. Wenn man auf rote, spitzbübische Bären stand, war er sicher ganz süß. Gabriel tat das nicht. Ich wünschte, Corrina würde aufhören, mich mit dem ganzen County verkuppeln zu wollen. Es ist nervtötend.

Vielleicht versucht sie es nur, weil sie sieht, wie einsam du bist.

Ich bin nicht einsam.

Süßer, ich kann von hier aus sehen, wie einsam du bist. Es entstand eine Pause und er wusste, was sie schreiben würde, bevor sie es tat. Du solltest zurück in die Citys kommen. Deine alte Stelle wird bald wieder frei. Denk an das Chaos, das wir zusammen anrichten könnten.

Er wusste, dass seine alte Stelle frei war, weil sie ihm letzte Woche angeboten worden war. Ich will meine alte Stelle nicht. Ich will in einer kleinen Bibliothek arbeiten.

Es muss auch kleine Bibliotheken geben, die sich nicht am Rand der Tundra befinden.

Das war eine alte Diskussion; eine, die Alex nie verstehen würde. Er versuchte es trotzdem noch einmal. Es gibt hier oben Kinder, die mich brauchen.

Ich weiß, ich weiß. Kinder, wie du einst eines an der kanadischen Grenze warst, einsame homosexuelle Jungs und Mädchen, die gerettet werden müssen. Ich hoffe nur, dass deine Barmherzigkeit dich auch warm hält. Und ich hoffe, dass du diese kleine Stadt nicht als dein ganz persönliches Kloster siehst.

Gabriel zuckte zusammen. Alex traf immer den Kern der Sache, weil sie immer viel zu viel sah. Andererseits kannte sie ihn auch gut und hatte all seine Fehlschläge gesehen. Sie waren seit dem College befreundet und sie wusste über seine Katastrophen besser Bescheid als er selbst.

Trotzdem versuchte er, sich zu rechtfertigen. Ich bin kein Mönch.

Gehst du mit jemandem aus? Denn wenn du das nicht tust, bist du sehr wohl ein Mönch.

Dafür hatte ich keine Zeit. Es gibt so viel zu tun.

Natürlich, Bruder Higgins.

Er verdrehte die Augen. Ich brauche mit niemandem auszugehen. Ich bin glücklich, so wie es ist.

Ich habe dich bei vier Gelegenheiten glücklich gesehen und jedes Mal warst du betrunken und hast bei einem Kerl losgelassen. Bis du morgens aufgewacht bist und erkannt hast, wie sehr du dich hast gehen lassen. Du solltest dich mal bei diesem rothaarigen Weihnachtsmann gehen lassen, der dich so fuchsig macht. Klingt, als würde der Sex mit ihm fantastisch werden.

Wütend schnaubte Gabriel durch seine Nase und begann zu erklären, warum er lieber nackt und nass die Main Street runterrennen, als versuchen würde, sich mit Arthur Anderson anzufreunden, doch Alex tippte bereits, bevor er den Senden-Button drücken konnte.

Hey – das Baby ist wach. Ich muss los. Sei tapfer, Süßer, und halt mich auf dem Laufenden. Versuch, nicht alles so sehr zu hassen. Ich meinte es ernst, dass du das mit dem Kerl in Angriff nehmen sollst. Du musst ja nicht mit ihm schlafen, aber vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, einen Freund zu haben. Sie loggte sich aus.

Einige Minuten lang starrte Gabriel das leere Chatfenster an und bemitleidete sich selbst. Dann machte er noch einen Rundgang durch die Bibliothek. Die Mutter und ihre Kinder waren gegangen, sodass er die Abteilung aufräumen konnte. Die ganze Bibliothek war sauber.

Er nahm sich gerade vor, proaktiv zu sein, ein paar Flyer über Staatsfördermittel herauszusuchen und noch mal einen Blick in das Library Journal zu werfen, ob er irgendwelche potenzielle neue – günstige – Titel übersehen hatte, als die Tür geöffnet wurde. Lächelnd wandte sich Gabriel um, bereit, dem neuen Kunden die Bibliothek seiner Träume vorzuführen. Sein Lächeln erstarb, als er den roten Haarschopf über dem Gesicht mit rotem Bart erblickte.

Arthur Anderson lächelte ebenfalls nicht. »Hey. Wenn Sie 'ne Sekunde haben, müssen wir über diesen dummen Weihnachtsmannscheiß reden.«

Gabriel wünschte, er würde sich trauen, ein Vine-Video von Arthur zu machen, um Alex zu zeigen, wie lachhaft die Vorstellung war, irgendetwas mit ihm zu machen. Er verkniff sich den Tadel darüber, in der Bibliothek nicht zu fluchen, und nickte in Richtung der geschlossenen Tür neben seinem Büro. »Ich kann Ihnen zehn Minuten im Konferenzraum geben.«

Er wandte sich ab und ging in sein Büro, um sich eine Flasche Wasser und ein paar Tylenol-Tabletten zu holen, bevor er Arthur in den Raum folgte. Allerdings sagte ihm sein Gefühl, dass er sich ein Beruhigungsmittel wünschen würde, noch bevor das Gespräch beendet war. Nur konnte er sich nicht entscheiden, ob er sich selbst oder Arthur unter Drogen setzen sollte.

Kapitel 3

Arthur betrat den Raum, während Gabriel in seinem Büro herumhantierte. Er schloss die Tür, atmete den Geruch von Reinigungsmittel und altem Teppichboden tief ein und war froh, dass es nicht der scheußliche Buchgeruch war, der ihm draußen im Hauptsaal die Kehle zugeschnürt hatte. Schon als Kind, als er jeden Samstag in diesem verdammten Gebäude festgesessen hatte, während seine Mutter Besorgungen erledigt hatte, hatte er diesen Gestank gehasst. Immer und immer und immer wieder hatte er die gleichen stinkenden Bücher gelesen und sie mit jedem Mal genauso sehr wie vorher gehasst.

Außer die Comics. Die hatte er gemocht. Es hatte drei Comic-Bücher gegeben, alles alte Peanuts-Sammelbände. Es waren nie neue dazu gekommen, nicht ein einziges Mal während all der Jahre, die er in der Bibliothek eingesperrt gewesen und mit den Launen einer einfallslosen Bibliothekarin hatte klarkommen müssen.

Es fühlte sich falsch an, einen Groll gegen Mimi zu hegen, doch selbst mit neununddreißig nahm er es Marcus' Mutter noch übel, dass sie versucht hatte, ihn dazu zu zwingen, Freude am Lesen zu haben. Comics waren keine richtigen Bücher, hatte sie gesagt. Diese Bemerkung hatte jedes Mal wehgetan, weil ihm dadurch weisgemacht worden war, dass das Einzige, was er in der gesamten Bibliothek wollte, nicht richtig war. Als er gesagt hatte, dass ihm das Lesen schwerfiel, war es nur noch schlimmer geworden – dann hatte sie ihn üben lassen. Er hatte den kleineren Kindern vorlesen und dumme Tests ablegen müssen, bis er schließlich bei der gottverdammten Nachhilfe gelandet war. Nichts davon hatte geholfen. In der Junior High hatte der ganze Albtraum mit einem Treffen von fünf Lehrern, dem Schuldirektor und seinen Eltern geendet, die ihm gesagt hatten, dass mit ihm alles in Ordnung war – er konnte lesen, er wollte es nur einfach nicht.

Arthur kotzte es immer noch an, dass sie ihn nicht selbst gefragt hatten. Er hätte ihnen das auch sagen können.

Die Tür des Konferenzraums öffnete sich, doch Gabriel blieb mit dem Knauf in der Hand stehen und sprach mit einer Gruppe Kindern und deren Eltern, die in die Bibliothek gekommen waren. Gelangweilt und unruhig musterte Arthur den Bibliothekar von oben bis unten und war wie immer verblüfft, wie sehr er sich nicht zu ihm hingezogen fühlte.

Okay, das war nicht fair. Im Gesicht war Gabriel ganz süß, trotz der Brille. Sie war nicht schlimm, aber sie erinnerte Arthur an Klugscheißer, was ihn niemals anmachte. Er musste zugeben, dass diese schlanken Hüften etwas Verführerisches hatten, obwohl die Knochen beim Ficken bestimmt höllisch wehtaten. Der Kerl war bei der Auswahl im Supermarkt genauso wählerisch wie Frankie und bat um irgendwelche seltsamen Spezialmist-Bestellungen. Ehrlich gesagt kam der Großteil von Arthurs fehlender Anziehung davon, dass der Kerl so verdammt groß war. Groß und dünn und drahtig.

Und diese verdammten Haare.

Arthur hatte seine eigenen dicken, widerspenstigen, orangeroten Haare gehasst, bis er Gabriel getroffen hatte. Und dann hatte er Gott für die kleinen Freuden des Lebens gedankt. Gabriels Haar war gelockt, mindestens zehn Zentimeter lang und straßenköterbraun. Theoretisch war Pauls Haar von derselben Farbe und genauso lockig, aber er trug sie kurz geschnitten. Gabriels Locken waren verdammte Ringellocken und sie sprangen und flatterten jedes Mal, wenn der Kerl seinen Kopf bewegte, hin und her. Soupys Haare waren weniger elastisch und sie sah schon aus, als wäre sie direkt aus dem Video zu Good Ship Lollipop gesprungen. Gut, Gabriels Locken wirkten weich und Arthur würde eine Menge Geld darauf verwetten, dass man sich großartig an ihnen festhalten konnte, aber er verspürte nicht das Bedürfnis es herauszufinden. So dürr und blass wie Gabriel war, ließ sein Haar ihn wie einen Wischmopp aussehen. Mit Brille.

Ja, danke, Arthur würde sich eher selbst einen runterholen, als so was anzufassen. Und ganz sicher würde er nicht mit so was ausgehen.

»Entschuldigen Sie.« Gabriel schloss die Tür, wandte sich Arthur zu und deutete auf die Stühle am Tisch. »Möchten Sie Platz nehmen?«

Arthur räusperte sich, zog einen Stuhl hervor und parkte seinen Hintern. »Dieser Mist mit dem Schlitten und dem Weihnachtsmann – es ist okay, wenn Sie Geld sammeln wollen und so, aber da will ich echt nicht mitmachen. Ich werd den Schlitten reparieren, aber Sie werden jemand anderes finden müssen, der den fetten Mann spielt.«

Hinter seinen Brillengläsern wurde Gabriels Blick hart. »Das ist mir recht, weil ich Sie nämlich auch nicht dabeihaben will.«

Bei Gabriels schroffer Antwort blinzelte Arthur und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Okay – dann sagen Sie es meiner Mom und wir sind fertig.« Dann konnte Arthur endlich dieses unangenehme Gespräch aus seinem Kopf verdrängen.

Jetzt hoben sich Gabriels Augenbrauen über den oberen Rand seines Plastikbrillengestells. »Warum können Sie es ihr nicht selbst sagen?«

War der Kerl verrückt? »Ich kann ihr nichts abschlagen. Ich hab's versucht. Wenn Sie ablehnen, wird sie Ihnen zuhören.«

»Ich habe mein Widerstreben ihr Projekt betreffend bereits zum Ausdruck gebracht, aber sie und der Rest des Bibliotheksvorstands haben dafür gestimmt fortzufahren. Tatsächlich hat sie ihre Entschlossenheit diesbezüglich gestern noch einmal erneuert.«

Gott, dem Kerl nur zuzuhören ging Arthur schon auf die Nerven. Habe mein Widerstreben zum Ausdruck gebracht. Hat ihre Entschlossenheit erneuert. Arthur würde ihm widerstrebend und entschlossen mal beibringen. »Es ist Ihre verdammte Bibliothek. Sagen Sie ihr Nein.«

»Es ist nicht, Mr. Anderson, meine verdammte Bibliothek. Es ist die Bibliothek der Stadt Logan. Ich bin der Bibliotheksdirektor.«

»Ja, aber Sie haben das Sagen.« Die Logik von dem Kerl konnte Arthur nachvollziehen, aber der Gedanke, dass Gabriel ihn nicht aus der ganzen Sache rausholen konnte, versetzte ihn in Panik. »Sie mag Sie. Sie wird auf Sie hören.«

»Sie ist Ihre Mutter. Ich denke, das übertrifft jeglichen Einfluss, den ich auf sie haben könnte.«

Arthur schnaubte. »Wenn Sie das denken, sind Sie verdammt noch mal bescheuerter, als ich dachte.«

Gabriels Lippen bildeten eine schmale Linie, als er sich über den Tisch beugte. »Ich würde es Ihnen danken, wenn Sie keine derartig profane Sprache in der Bibliothek benutzen könnten. Es sind Kinder anwesend und da Sie praktisch ein lebendes Megafon sind, erreicht Ihre schändliche Ausdrucksweise mit Leichtigkeit junge, beeinflussbare Ohren.«

Arthurs eigene Ohren wurden heiß. Er wand sich und starrte auf die Tischplatte. »Entschuldigung.«

Die Haltung des Bibliothekars lockerte sich, auch wenn er sich nicht wirklich entspannte, aber er wirkte nicht mehr so steif und voreingenommen wie zuvor. »Für mich war es anfangs auch schwierig. Sie hören alles, was wir sagen, auch wenn es nicht an sie gerichtet ist.«

Arthur wollte Gabriel gerade von Thomas erzählen und dass er wusste, dass Kinder wie Schwämme alle möglichen Dinge aufsogen, doch dann wurde die Tür des Konferenzraums geöffnet und ein blonder, kleiner Junge, der etwas über einen halben Meter groß war, steckte mit großen Augen seinen Kopf in den Raum. »Mr. Higgins? Ist schon Vorlesestunde?«

Eine genauso blonde, verlegen errötende Mutter hob das Kind hoch. »Es tut mir so leid«, sagte sie zu Gabriel. »Er ist mir entwischt.«

»Ist schon in Ordnung, Julie.« Gabriel hatte die Mutter angelächelt, aber als er den Jungen ansprach, hockte er sich hin und hielt ihm seine Hände entgegen. Sein gesamtes Verhalten änderte sich und die Art, wie sich sein Gesicht lebhaft und fröhlich aufhellte, ließ Arthurs Atem für einen Moment aussetzen. »Noah, ich bin so froh, dass du heute da bist. Ich muss noch meine Unterhaltung mit Mr. Anderson beenden, aber ja, dann lesen wir zusammen Geschichten.«

Noah wippte auf seinen Fersen. Der Junge legte seine winzigen Hände in Gabriels und hielt ihn fest, als wäre der Bibliothekar ein Anker seiner Freude. »Können wir Doktor Entlein lesen, bitte, Mr. Higgins?«

»Es tut mir so leid, Kleiner, aber das Buch ist nicht hier. Weißt du noch, ich musste es von einer anderen Bibliothek ausleihen und letzte Woche wollten sie es wiederhaben.«

Es schmerzte Arthur körperlich, den Jungen zusammensacken zu sehen. »Aber ich liebe Doktor Entlein.«

»Ich weiß und ich wünschte, ich könnte ihn dir geben. Aber wir hatten es im letzten Monat und jetzt müssen wir warten, bis wir wieder an der Reihe sind.«

Die Augen des Jungen füllten sich mit Tränen und seine Mutter war erneut beschämt. Gabriel beschwichtigte sie und den Jungen mit hohlen Phrasen und substanzlosen Irgendwann-Versprechen. Alles, woran Arthur denken konnte, war, dass das wohl am Finanzierungsproblem liegen musste. Wenn die Bibliothek ein ordentliches Budget hätte, würde Gabriel das verdammte Buch bis zum Abwinken für den Jungen bestellen können.

Wenn das hier ein schicker Vorort gewesen wäre statt einer sterbenden Kleinstadt, hätte die Mutter das Buch schon vor langer Zeit für ihr Kind bestellen können. Vielleicht konnten einige Leute in Logan das sogar, aber Arthur kannte Julie Peters. Ihr Mann fuhr für das Sägewerk Lastwagen und war dementsprechend jetzt auch zeitweise arbeitslos. Sie hatten vier Kinder und ihre außerhäusliche Arbeit reichte nicht für die Kinderbetreuung aus, wenn sie die Stadt nicht verließ. Für Doktor Entlein-Bücher war kein Geld übrig. So wie die Dinge lagen, brachte Weihnachten die beiden wahrscheinlich schon ziemlich ins Schwitzen.

Die Mutter und ihr Kind verließen den Raum und Gabriel wandte sich Arthur zu. »Es tut mir leid, aber wie es scheint, beginnt die Vorlesestunde heute etwas früher. Ich kann Ihnen mit Ihrer Mutter nicht helfen, aber kurz gesagt stimme ich zu, dass das Schlittenprojekt ein gut gemeinter Plan ist, der aber wahrscheinlich nicht die Finanzmittel einbringen wird, die die Bibliothek braucht. Was uns am meisten weiterhelfen würde, ist ein Zuschuss, für den ich bereits einen Antrag gestellt habe, doch die sind heutzutage hart umkämpft und werden immer seltener. Mir ist es egal, wenn Sie sich aus der Benefizveranstaltung zurückziehen – ich bin mir sicher, dass wir keine Probleme haben werden, einen Ersatzweihnachtsmann zu finden –, aber Sie werden sich selbst aus der Sache herausziehen müssen. Einen schönen Tag noch.«

Arthur beobachtete, wie der Kerl wegging. Er wollte etwas einwenden, wusste aber nicht wirklich, was. Er war entlassen worden, doch er konnte sich nicht zum Gehen bewegen, weil er wusste, dass er den Weihnachtsmann tatsächlich spielen musste, wenn er es tat.

Und so nahm Arthur zum ersten Mal seit fast dreißig Jahren wieder an der Vorlesestunde in der öffentlichen Bibliothek in Logan teil.

Mit dem Rücken an der Wand lungerte er in der hintersten Ecke des Raums herum, nahezu in Gabriels Büro. Die Arme vor der Brust verschränkt, richtete er sich darauf ein, zuzusehen und zu warten. Der Saal war überraschend voll. Die Kinder saßen alle im vorderen Bereich in einem breiten Halbkreis um Gabriels Schaukelstuhl versammelt. Einige Mütter saßen bei ihren Kindern, aber andernfalls waren die Eltern und Großeltern sitzend und stehend im hinteren Teil des Raums verstreut. Einige Kinder stritten sich untereinander. Die Eltern in der Nähe waren zu sehr damit beschäftigt zu tratschen, als den Streit zu schlichten. Ein Vater bändigte ein widerspenstiges, junges Zwillingspaar und trieb sie beständig wie ein müder Schiedsrichter in den Kreis hinein. In der ersten Reihe beschwerte sich ein kleines Mädchen lautstark bei niemand Bestimmtem, dass ihre Unterwäsche kratzte und sie sie ausziehen wollte.

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