Kitabı oku: «Logos Gottes und Logos des Menschen», sayfa 11

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4.3.2. Christentum als die Option für den Primat der Vernunft

Wie genau bezieht sich das Christentum nun aber auf die philosophische Aufklärung und ihre Vernunft? Der Kern von Ratzingers diesbezüglicher Argumentation liegt eindeutig in der johanneischen Bezeichnung Christi als Logos, also als die menschgewordene Vernunft des Schöpfers. Das Johannesevangelium drückt seiner Ansicht nach durch diese Bezeichnung „die Überzeugung aus, dass im christlichen Glauben das Vernünftige, die Grundvernunft selbst zum Vorschein kommt, ja, er will sagen, dass der Grund des Seins selbst Vernunft ist und dass die Vernunft nicht einfach ein zufälliges Nebenprodukt aus dem Ozean des Unvernünftigen darstellt, aus dem eigentlich alles stammte.“89 Dieses Zitat Ratzingers beinhaltet zwei Aussagen: einerseits die Aussage von der Offenbarung der schöpferischen Vernunft in der Person Christi und andererseits die grundlegendere Aussage vom Ursprung aller Wirklichkeit aus ebendieser Vernunft des Schöpfers.

Die zweite Aussage – also, dass die Welt aus der Vernunft Gottes kommt – ist, wie gesehen, nach Ansicht Ratzingers bereits im Schöpfungsglauben Israels angelegt, und gleichzeitig ist die vernünftige Strukturiertheit der Wirklichkeit eine Annahme der philosophischen Aufklärung der Antike. Für Ratzinger ist die Aussage des Johannesevangeliums, dass am Anfang der Logos war, eine Verdichtung des Schöpfungs- und Gottesglaubens Israels auf seine eigentliche Essenz: „Die Bilder fallen, es bleibt der reine Kern.“90 Dieser Kern lautet für Ratzinger: „Alles, was ist, kommt aus dem ‚Wort‘.“91 Das bedeutet, dass die Welt sinnvoll ist, dass wir nicht selbst Sinn machen, sondern er uns immer schon vorgegeben ist: „Der Sinn ist nicht eine Funktion unseres Schaffens, sondern seine vorausgehende Ermöglichung.“92

Die Entscheidung zum Gottesglauben ist deshalb eine Entscheidung für diese Vorgängigkeit des Sinns, der Vernunft Gottes, vor allen materiellen Wirklichkeiten. Christlicher Gottesglaube impliziert für Ratzinger den „Primat des Logos gegenüber der bloßen Materie. … Der Glaube bedeutet eine Entscheidung dafür, dass Gedanke und Sinn nicht nur ein zufälliges Nebenprodukt des Seins bilden, sondern dass alles Sein Produkt des Gedankens, ja selbst in seiner innersten Struktur Gedanke ist.“93

Christlicher Glaube hat es also nach Ratzinger mit einer alle Wirklichkeit durchwirkenden Vernunft zu tun. Vernunft ist demnach kein zufälliges Produkt der Evolution, sondern im Gegenteil das Strukturprinzip der Wirklichkeit. Der Glaube ist die Option dafür, dass es diese Wahrheit der Wirklichkeit, die Vernunft des Schöpfers, gibt und dass alle menschliche Vernunfttätigkeit nur ein Nachdenken dieser grundlegenden schöpferischen Vernunft ist, dass aller Sinn, den der Mensch erfährt, vom schöpferischen Sinn Gottes herkommt.

Aus dieser Überzeugung heraus vertritt Ratzinger im Anschluss an Romano Guardini nachdrücklich den Primat des Logos vor dem Ethos: „Vor dem Tun steht das Sein. Im Anfang war nicht die ‚Tat‘, sondern das Wort; es ist stärker als die Tat. Nicht das Tun schafft den Sinn, sondern der Sinn schafft das Tun.“94 Der Mensch kann sich seinen Sinn also nicht selbst machen, sondern muss ihn im grundlegenden Sinn der Schöpfung finden; er muss ihn vom Schöpfer her empfangen.95

Ratzinger geht sogar so weit, Gott selbst mit der schöpferischen Vernunft zu identifizieren, ohne dabei einen christologischen Bezug herzustellen. In einer 2004 in der Normandie gehaltenen Rede sagt er: „Gott selbst ist Logos, der rationale Urgrund alles Wirklichen, die schöpferische Vernunft, aus der die Welt entstand und die sich in der Welt spiegelt.“96 In einer Schrift aus dem gleichen Jahr bezeichnet er Gott „nicht als eine mythische Größe, sondern als eine Einsicht der Vernunft – als die Vernunft selbst, die unserer Vernunft vorausgeht und sie ermöglicht“97. Der Schöpfergott ist die Wahrheit der Welt, er ist selbst die Vernunft, die wir als Menschen nachdenken können. Dabei kann sich Papst Benedikt XVI. in seiner 2006 gehaltenen Regensburger Vorlesung ganz auf Johannes stützen: „Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott, so sagt uns der Evangelist.“98

In der christlichen Option für den Primat des Logos sieht Ratzinger des Weiteren auch die unerlässliche Grundlage für die Bemächtigung der Natur durch den Menschen mittels der technischen Vernunft. Denn das Gefügigmachen der Natur durch die Technik setzt seiner Auffassung nach „die christliche Entmythisierung der Welt voraus, durch die dem Menschen gewiss wurde, dass nicht geheimnisvolle göttliche Kräfte uns bedrohen, sondern dass wir in einer von Gott nach rationalen Mustern geschaffenen Welt leben und dass er uns diese Welt anvertraut hat, damit wir mit unserem Verstand die Gedanken seines Verstandes nachdenken und sie von seinen Gedanken her zu verwalten, zu ordnen und zu gestalten lernen.“99 Die Anerkennung des Primats der göttlichen Vernunft bringt die menschliche Vernunft nach Ansicht Ratzingers erst zu ihrem von irrationalen Ängsten befreiten Vollzug.

Dass die Rede von der schöpferischen Vernunft sich für Ratzinger nicht in der mathematischen Struktur der Wirklichkeit erschöpft, wurde bereits deutlich. „Denn ‚Logos‘ bedeutet eine Vernunft, die nicht bloß Mathematik ist, sondern die zugleich Grund des Guten ist und die Würde des Guten verbürgt.“100 Der Glaube an den Schöpfergott ist also zugleich Glaube daran, „dass der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist und daher an der unantastbaren Würde Gottes selbst teilhat.“101 Die schöpferische Vernunft ist nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Wahrheit, die dem Menschen einen Begriff des Guten vermittelt, an dem er sich in seinem Handeln ausrichten kann. Der göttliche Logos, der am Anfang steht, ist für Ratzinger theoretische und praktische Vernunft zugleich.

Diese schöpfungsmäßige Grundlegung ist es laut Ratzinger, die das Christentum „mit dem weiten Raum der ‚rechten Vernunft‘ verbindet“102, weil es seines Erachtens den Bezug zum Schöpfungslogos mit der philosophischen Vernunft gemeinsam hat: Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen sind ein einziger. Der Glaube bezieht sich genau auf jenen Urgrund des Seins, den die menschliche Vernunft in der Wirklichkeit vorfindet und dessen Vernunft sie nachdenkt.

4.3.3. Die Offenbarung des Schöpfungslogos in Christus

Betrachtet man nun den ersten Teil der zu Beginn des vorhergehenden Kapitels zitierten Stelle, nämlich die Aussage, „dass im christlichen Glauben das Vernünftige, die Grundvernunft selbst zum Vorschein kommt“103, so zeigt sich im Gegensatz zum bisher Gesagten das spezifisch Neue am Christentum. Dieses Neue ist eben nicht die Überzeugung, dass die Wirklichkeit aus einer schöpferischen Vernunft kommt. Diesen Gedanken kann das Christentum aus der jüdischen Tradition aufnehmen, und er verbindet es, wie gesehen, mit den Einsichten der griechischen Aufklärungsphilosophie. Neu ist vielmehr, dass hier der Logos, die Vernunft, die die Wirklichkeit durchzieht, nach christlicher Überzeugung in einem Menschen offenbar geworden ist: „Das in Christus menschgewordene Wort – der Logos – … ist der schöpferische Sinn, aus dem das All kommt, und den das All – der Kosmos – spiegelt.“104 Während für Ratzinger der Gedanke vom Primat des Logos, also von der Sinnhaftigkeit und vernünftigen Strukturiertheit des Seins, durchaus „einer Tendenz der menschlichen Vernunft entspricht“, so geschieht in der Behauptung der Menschwerdung des Logos „die geradezu ungeheuerliche Verknüpfung von Logos und Sarx, von Sinn und Einzelgestalt der Geschichte. Der Sinn, der alles Sein trägt, ist Fleisch geworden, das heißt: Er ist in die Geschichte eingetreten und einer in ihr geworden; er ist nicht mehr bloß das, was sie umgreift und trägt, sondern ein Punkt in ihr selbst.“105

Diese Aussage der Fleischwerdung des Logos aber steht laut Ratzinger gegen alle kulturellen Überlieferungen der Geschichte. „Was hier gesagt ist, ist ‚neu‘, weil es von Gott kommt und nur von Gott selbst gewirkt werden konnte. Es ist für alle Geschichte und für alle Kulturen das durchaus Neue und Fremde, in das wir im Glauben und nur im Glauben hineintreten können und das uns ganz neue Horizonte des Denkens und des Lebens eröffnet.“106 Der Logos des Schöpfers hat sich in Christus als Mensch offenbart: Dieser personal auf die Spitze getriebene Offenbarungsgedanke des Christentums hebt es deutlich von der Wahrheitsspekulation der antiken Philosophie ab. Denn diese kannte keine personale Verbindung zwischen dem Urgrund des Seins und dem Menschen. „Das platonische Grunddogma ‚zwischen Gott und Mensch gibt es keine Berührung‘ ist für Augustin aufgehoben in der vom christlichen Glauben bezeugten Grundtatsache ‚Gott ist Mensch geworden‘“107.

Deshalb wird die philosophische Wahrheitsfrage aber für die Interpretation der Offenbarung im frühen Christentum nicht unwichtig. Ganz im Gegenteil: Die christliche Überzeugung, dass sich in Christus die Wahrheit des Schöpfers zeigt, dass er tatsächlich der Sohn Gottes ‚ist‘, diese Christus-Ontologie ist nach Ratzinger der Synthese des Christentums mit der antiken Philosophie zu verdanken. So ist für ihn „die Begegnung mit der Ontologie der Griechen – mit der Frage nach dem ‚Ist‘ – nicht eine philosophische Verfremdung des christlichen Glaubens, sondern ihr unerlässlicher Ausdruck geworden.“108 In Christus ist der Schöpfergott tatsächlich Mensch geworden – diese für Ratzinger aufs Engste mit dem griechischen Seins-Denken verbundene Aussage ist für den christlichen Glauben seiner Überzeugung nach unverzichtbar. Denn ohne den Bezug zum Schöpfergott wird seiner Ansicht nach die Christologie auf bloße Religiosität reduziert, die keine Aussage mehr über die Wirklichkeit im Ganzen trifft. „[S]ie redet dann nur noch indirekt von Gott, indem sie sich auf eine besondere religiöse Erfahrung bezieht, die aber notwendig begrenzt ist und eine unter anderen Erfahrungen wird.“109

Wenn in einigen theologischen Strömungen die Ereignischristologie der Bibel der Seinschristologie des Konzils von Chalzedon gegenübergestellt wird, so ist das für Ratzinger ein Jesuanismus, der ins Unverbindliche und Leere läuft. Dem hält er entgegen, „dass nur dann sich etwas ereignet hat, wenn gilt, dass Jesus Sohn Gottes ist.“110 Denn wenn dies gilt, „wenn wirklich Gott Mensch wurde“,111 dann ist Christus nicht irgendein großer Mensch, sondern identisch mit dem Urgrund der Welt, mit Gott. „Wer Christus nur als großen religiösen Menschen sieht, sieht ihn nicht wirklich.“112

In dieser Verbindung von griechischer Metaphysik und christlichem Offenbarungsglauben klingt gleichzeitig die enge Verbindung von Schöpfergott und Erlösergott, von Altem und Neuem Testament mit an. Diese Verbindung, auf die Ratzinger in seinen Texten häufig zurückkommt, ist für ihn schon im Schöpfungsbericht der Genesis angelegt: „Indem der Schöpfungsbericht ins Bundeszeichen des Sabbat mündet, macht er deutlich, dass Schöpfung und Bund von vornherein zusammengehören; dass der Schöpfer und Erlöser nur ein und derselbe Gott sein kann.“113 Die spannungsvolle Einheit von Altem und Neuem Testament, von Schöpfung und Heil, bedeutet für Ratzinger, „dass Jesus und der Schöpfer eins sind, dass das Sein und nicht nur die Geschichte Jesus zugehört: Ontologie gehört wesentlich zu dem auf der Einheit der Testamente beruhenden Glauben.“114 Das Festhalten der Kirche am Alten Testament ist für Ratzinger somit gleichbedeutend mit dem „Festhalten an einer ontologischen Interpretation der Gestalt Jesu Christi.“115

So bilden Metaphysik und Heilsgeschichte, also Denken vom Sein her und geschichtliches Denken in der Theologie, für Ratzinger von vornherein eine Einheit: Der Schöpfer des Himmels und der Erde, dessen schöpferischer Logos auch der Vernunft zugänglich ist, ist der gleiche Gott, dessen Logos sich in Christus in der Geschichte den Menschen offenbart hat.116 Indem er in Christus geschichtliche Existenz angenommen hat, hat Gott laut Ratzinger „die Zeit hinein in den Raum der Ewigkeit gezogen“117 So kann Christus als „Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit“118 bezeichnet werden.

Durch diese Inkarnation des von ihr gefundenen Schöpfergottes in Christus konnte die philosophische Aufklärung der Antike Ratzinger zufolge im Christentum Religion werden, „weil der Gott der Aufklärung selbst in die Religion eingetreten ist.“119 Das geschichtliche Reden Gottes ermöglicht die Anbetung des Gottes der Philosophen als Gott in der Geschichte, der nun kein bloßer Gott der Philosophen mehr ist und trotzdem mit der philosophischen Gotteserkenntnis in Einklang steht.120 „Die beiden scheinbar disparaten apologetischen Prinzipien des Christentums: Bindung an die Geschichte und Bindung an die Metaphysik, zeigen hier ihre wurzelhafte Einheit.“121 Sie bilden für Ratzinger gemeinsam die Apologie des Christentums als ‚wahre Religion‘.122

Der zuletzt zitierte Satz, der aus der Dissertation Ratzingers aus dem Jahre 1954 stammt, macht deutlich, dass sich Ratzinger von vornherein über diese beiden Pole christlicher Theologie, also Metaphysik und Geschichte, im Klaren war und weit davon entfernt ist, einen von beiden zu marginalisieren. Trotzdem kann man bei ihm – wie bereits im Kapitel über moralische Vernunft illustriert, nun aber auch innertheologisch – eine Akzentverschiebung von mehr heilsgeschichtlich zentriertem Denken hin zu ontologisch zentriertem Denken ab den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ausmachen. Diese soll kurz an einem Beispiel erläutert werden, auf das auch Dorothee Kaes bereits hingewiesen hat.123

Noch 1967 schreibt Ratzinger in einem Aufsatz im Zusammenhang mit einer Theologie der Auferstehung: „Wenn es so ist, dass für die Theologie das Prae des Handelns Gottes gilt, dass der Glaube an eine actio Dei allen anderen Aussagen vorausgeht, dann ist zunächst der Primat der Geschichte vor der Metaphysik, vor aller Wesens- und Seinstheologie klargestellt.“124 Die geschichtlich ergangene Heilstat Gottes ist das Vorgängige, aus der heraus erst die Ontologie des Glaubens folgt: „Und so impliziert sie [= die Tat Gottes; H. N.] notwendig jenes ‚Ist‘, das der Glaube alsbald explizierend formulierte: Jesus ist Christus, Gott ist Mensch“125.

Als Ratzinger den betreffenden Aufsatz im Jahre 1982 in seine Aufsatzsammlung Theologische Prinzipienlehre aufnimmt, fügt er dem das letzte Zitat beinhaltenden abschließenden Absatz des Aufsatzes die Anmerkung hinzu: „Stärker, als es hier geschehen ist, würde ich angesichts der fundamentalen Bedeutung des ‚Ist‘ heute die Unersetzlichkeit und Erstrangigkeit des Ontologischen und damit der Metaphysik als Grundlage jedweder Geschichte betonen.“126

Diese Vorrangigkeit der Metaphysik vor der Geschichte ist Ratzinger offenbar besonders in der Auseinandersetzung mit einer die ontologische Dimension des Glaubens verkürzenden und nur noch die Heilsgeschichte betonenden Christologie klar geworden, wenn er 1979 in Bezug auf den von Guardini verteidigten Primat des Logos vor dem Ethos schreibt: „Ich gestehe, dass mir erst durch die Entwicklungen der letzten Jahre deutlich geworden ist, um welch grundlegende Frage es sich hier handelt.“127 Denn der Sinn der Christologie wird für ihn gerade dann verfehlt, „wenn sie im geschichtlich-anthropologischen Kreis geschlossen bleibt und nicht zu eigentlicher Theo-logie wird, in der die metaphysische Wirklichkeit Gottes selbst zur Sprache kommt.“128 So sah sich Ratzinger offenbar durch die theologischen Verkürzungen seiner Zeit dazu genötigt, die metaphysische Dimension der Christologie und somit ihr Erbe der antiken Philosophie als grundlegende Bedingung aller geschichtlichen Offenbarung in den Vordergrund seiner Theologie zu stellen und bis heute nachdrücklich zu betonen.

4.3.4. Die Weitung der menschlichen Vernunft durch den Christusglauben

So hat sich in Christus aber nach Überzeugung der Kirchenväter genau die Vernunft offenbart, die auch nach antik-philosophischem Verständnis der Grund aller Dinge ist. In diesem Sinne kann Ratzinger sagen, dass christlicher Glaube Gewissheit ist, „dass sich Gott gezeigt und uns den Blick auf die Wahrheit selbst eröffnet hat.“129 Denn in Christus wird die Wahrheit, die schöpferische Vernunft Gottes, den Menschen als Mensch, als Person zugänglich: „Es gibt eine absolute Wahrheit, und sie ist im Christentum sichtbar und zugänglich geworden.“130

Was bedeutet dies für die Vernunft des Menschen? Ratzinger greift zur Erläuterung dieser Frage auf eine Unterscheidung der Kirchenväter bezüglich des Vernunftbegriffs zurück. Diese hatten „bei ihrer Rede von der Vernünftigkeit des Christentums zwischen ratio, dem bloßen Verstand, und intellectus, der geistigen Sehfähigkeit des Menschen, unterschieden, die weiter reicht als der bloße Verstand.“131 Ratzinger bezeichnet diese ‚geistige Sehfähigkeit‘ des Menschen auch als Weisheit. Weil nun Christus der Person gewordene Logos Gottes ist, ist Glaube an Christus Einsicht in die Wahrheit. Es ist ein „Glaube, der Weisheit ist“, der als ebendiese Weisheit „die Verengung des bloßen Verstandes aufsprengt und das weite Sehen wieder zu Kräften bringt, zu dem der Mensch berufen ist.“132 Der Glaube an Christus bringt den Menschen in Berührung mit der Wahrheit des Schöpfers, die die Wahrheit der Wirklichkeit ist, und führt so die begrenzte menschliche Vernunft zu ihrer wahren Erkenntnisquelle. „Er will ja Eröffnung der Augen, Eröffnung des Menschen für die Wahrheit sein.“133

Von hier aus ist es nach Ansicht Ratzingers auch zu verstehen, dass der frühchristliche Philosoph und Apologet Justin (bis 167) im christlichen Glauben die ‚wahre Philosophie‘ erkannt hatte. „Mit seiner Christwerdung hatte er seiner eigenen Überzeugung nach die Philosophie nicht abgelegt, sondern war erst ganz Philosoph geworden.“134 Ratzinger unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass das Verständnis des christlichen Glaubens als Vollendung der Philosophie noch weit über die Väterzeit hinaus in Geltung blieb.135 „Freilich war die Philosophie dabei nicht als akademische Disziplin rein theoretischer Natur verstanden, sondern vor allem auch praktisch als die Kunst des rechten Lebens und Sterbens, die jedoch nur im Licht der Wahrheit gelingen kann.“136 Nur die Wahrheit, die dem Menschen im Glauben zugänglich wird, gibt der Vernunft den weiten Raum, den sie für ihren Dienst am Menschsein benötigt.

Möglich wird diese Verbindung der menschlichen Vernunft mit der Vernunft Gottes, weil sich in Christus beide, also der Logos des Schöpfers und das Menschsein, durchdringen. Die Vernunft des Menschen, die dieser dem Überschritt „vom Animal auf den Logos hin, vom bloßen Leben zum Geist“137 verdankt, kommt in der Gestalt Christi nun in einem zweiten Schritt zu ihrem definitiven Ziel, wenn in ihm „der Logos selbst, der ganze schöpferische Sinn, und der Mensch ineinandertauchen“138. Die menschliche Vernunft lebt in Christus in perfekter Einheit mit der Vernunft des Schöpfers: Der Logos Gottes und der Logos des Menschen sind in Christus eins geworden.

So ist in Christus die Menschwerdung zum Ziel gekommen; als ganz auf den Logos Gottes hin Geöffneter und mit ihm Vereinter ist er der ‚exemplarische Mensch‘.139 Diese Einheit Jesu mit dem Vater wird von Ratzinger als eine Willenseinheit aufgefasst, wobei er sich auf die Aussagen des 3. Konzils von Konstantinopel (680–681) bezieht. Dieses Konzil hat laut Ratzinger „die Frage nach Zweiheit und Einheit in Christus konkret an der Frage des Willens Jesu analysiert. Es hält nachdrücklich fest, dass es einen eigenen Willen des Menschen Jesus gibt, der nicht vom göttlichen Willen absorbiert ist. Aber dieser menschliche Wille folgt dem göttlichen Willen und wird so nicht auf naturale Weise, sondern auf dem Weg der Freiheit ein einziger Wille mit ihm: Die metaphysische Zweiheit eines menschlichen und eines göttlichen Willens wird nicht aufgehoben, aber im personalen Raum, im Raum der Freiheit, vollzieht sich beider Verschmelzung, sodass sie nicht natural, aber personal ein Wille werden.“140 So kann Ratzinger vom Beispiel Christi ausgehend sagen, dass „die Aufnahme des menschlichen Wollens in den Willen Gottes Freiheit nicht zerstört, sondern erst wahre Freiheit entbindet.“141

Die Tatsache, dass in Christus also der Logos Gottes und der Logos des Menschen eins sind, ist untrennbar mit dem Gedanken der Willenseinheit in Christus verbunden: Sein menschlicher Wille stimmt ganz in den Willen des Schöpfers und damit in seine Wahrheit ein und wird auf diese Weise eins mit ihm. So hat die Christologie Ratzingers zwei Seiten: Einerseits ist Christus als Logos Gottes ganz den Menschen zugewandt, andererseits ist in ihm der Logos des Menschen auch ganz dem Vater zugewandt und in der Willenseinheit mit ihm auch gleichzeitig der ‚exemplarische Mensch‘, das Sinnbild des Menschseins, das den Menschen die Möglichkeit ihrer wahren und letzten Vermenschlichung zeigt, welche in der Einheit des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes und somit auch in der Einheit der menschlichen Vernunft mit der Vernunft des Schöpfers liegt. Deshalb besteht für Ratzinger die letzte Erkenntnis des Willens des Schöpfers, seiner Wahrheit, im Einstimmen des Menschen in den Willen des Sohnes, der mit dem Willen des Schöpfers in unauflöslicher Einheit steht: „Unser Wille muss Sohneswille werden. Dann können wir sehen.“142 In der Menschwerdung des Logos in Christus hat sich den Menschen ein menschlicher Weg zu dieser Willenseinheit eröffnet: Im Einstimmen in den Willen des Sohnes, welches im Glauben erfolgt, kann der Mensch immer mehr auf die Wahrheit des Schöpfers zugehen. So kann die Verleiblichung des Logos in Christus die ‚wahre Vergeistigung‘ des Menschen bewirken143: Indem der Logos Gottes ihm als Mensch begegnet, kann der Mensch in der personalen Willenseinheit mit dem Sohn zu ebendiesem Logos finden: In der Einheit mit dem Sohn wird seine Vernunft aus ihrer eigenen Begrenztheit befreit zur Weite der Vernunft des Schöpfers.

Wie aber erfolgt diese personale Einheit mit dem Sohn konkret? Zur Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, zu sehen, dass für Ratzinger in der Fleischwerdung des Wortes auch schon dessen Hingabe am Kreuz mit inbegriffen ist. Seiner Ansicht nach kann man nicht „die Oster-Theologie der Synoptiker und des heiligen Paulus einer vermeintlichen reinen Inkarnations-Theologie des heiligen Johannes gegenüberstellen. Die Fleischwerdung des Wortes, von der der Prolog spricht, zielt eben auf die Hingabe des Leibes am Kreuz, die uns im Sakrament zugänglich wird.“144 Denn im Kreuz offenbart sich nach Ratzinger die in der Inkarnation angelegte Einheit des Sohneswillens mit dem Willen des Schöpfers in ihrer letzten Konsequenz, bis in die völlige Aufgabe der Autonomie des menschlichen Willens hinein. So wird das Sakrament der Eucharistie „als die immerwährende große Gottbegegnung des Menschen sichtbar, in der der Herr sich als ‚Fleisch‘ gibt, damit wir – in ihm und in der Teilhabe an seinem Weg – ‚Geist‘ werden können.“145

Es ist also das Sakrament der Eucharistie, in dem der Mensch laut Ratzinger seine personale Einheit mit Christus vollziehen kann. Im Brot begegnet dem Menschen der durch Kreuz und Auferstehung hindurchgegangene, fleischgewordene Logos Gottes. Der Vorgang des Essens wird dabei zum Ausdruck für die „innere Durchdringung zweier Subjekte“146. Vergleichbar zur Assimilation der Nahrung durch den Leib wird dabei „mein Ich demjenigen Jesu ‚assimiliert‘, ihm verähnlicht in einem Austausch, der immer mehr die Trennlinien durchbricht.“147 In dieser Assimilation aber wird der Mensch hineingenommen in die Offenheit des Menschen Jesus für den Logos Gottes, sodass „die scheinbar unübersteigliche Grenze meines Ich aufgerissen wird und aufgerissen werden kann, weil zuerst Jesus sich selbst ganz hat auftun lassen, uns alle in sich hineingenommen und sich uns ganz übergeben hat.“148 Im Sakrament erhält der Mensch so in personaler Weise Anteil am Logos Gottes.

Indem diese Verschmelzung mit der Existenz Christi und die damit verbundene gleichzeitige ‚Entschränkung des Ich‘ auf den Logos Gottes hin bei allen Kommunizierenden stattfindet, werden sie „alle diesem ‚Brot‘ assimiliert und werden so untereinander eins – ein Leib.“149 Diese ekklesiologische Einschmelzung des Ich in den einen Leib Christi ist aber für Ratzinger keine „Auflösung des Ich, sondern seine Reinigung, die zugleich seine höchsten Möglichkeiten erfüllt.“150 Denn indem im Zuge der personalen Öffnung auf die Wahrheit des Schöpfers hin die Grenzen der menschlichen Vernunft aufgebrochen werden, erfährt diese im Logos Gottes ihren wahren Bezugspunkt, sodass der Glaube „die verbogene Vernunft hell machen“151 kann.

Die sich in der Eucharistie vollziehende Einheit des Menschen mit dem fleischgewordenen Logos Gottes führt den Menschen also zu seiner wahren Vergeistigung; sie wird zur „‚Leiter‘, auf der wir schauend, fühlend, erfahrend aufwärts gehen können.“152 In dieser durch die Inkarnation ermöglichten Aufwärtsbewegung des menschlichen Geistes kommt seine schon thematisierte Selbsttranszendierung zum Vollzug: Während der Leib sich selbst überschreitende Bewegung in den Geist hinein ist, ist der Geist nach Ratzinger sich selbst überschreitende Bewegung in Gott hinein.153

Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass diese Bewegung des menschlichen Geistes über sich selbst hinaus, diese Weitung seines geistigen Horizontes und damit auch seiner Vernunft in die Wahrheit Gottes hinein, für Ratzinger den Charakter der Kreuzesnachfolge hat. ‚Kreuz‘ bedeutet seiner Auffassung nach genau dieses „[H]inausgehen über sich selbst“154, es bedeutet „die Umwandlung unseres Willens in die Willensgemeinschaft mit Gott hinein“155. Es geht um Bekehrung des Menschen, aber „Bekehrung ist im paulinischen Sinn etwas sehr viel Radikaleres als etwa die Revision einiger Meinungen und Einstellungen. Sie ist ein Todesvorgang. Anders ausgedrückt: Sie ist ein Subjektwechsel. Das Ich hört auf, autonomes, in sich selbst stehendes Subjekt zu sein. Es wird sich selbst entrissen und in ein neues Subjekt eingefügt. Das Ich geht nicht einfach unter, aber es muss sich in der Tat einmal ganz fallen lassen, um sich dann in einem größeren Ich und zusammen mit diesem neu zu empfangen.“156

Wie Christus am Kreuz seinen Willen ganz dem Willen des Vaters übereignet hat, muss auch der glaubende Christ in der Nachfolge Christi seine Autonomie ablegen und seinen Willen ganz dem Willen Gottes unterordnen. In dieser Übereignung meines Willens an Gott geschieht auch gleichzeitig die Übereignung an die Wahrheit. Denn „Gottes Wille ist nicht ein Gegenwille zu dem unseren, sondern sein Grund und die Bedingung seiner Möglichkeit. Nur stehend im Willen Gottes wird unser Wille überhaupt wahrer Wille und wird frei.“157 Besteht der Sündenfall des Menschen gerade in der Stellung des ganz-für-sich-sein-wollenden menschlichen Willens und der Verschließung gegen den Willen und die Wahrheit Gottes, so liegt nun in der Übereignung des Eigenwillens an Gott, in der Öffnung des Eigenwillens für den Willen des Schöpfers, die Wahrheit für den Menschen: „Nicht mein Wille – sondern der deine – das ist das Wort der Wahrheit“158.

So geht es also im christlichen Glauben, der den Menschen zur Wahrheit führt, für Ratzinger im Kern um „die eine große Grundbewegung der Freiwerdung der Selbstherrlichkeit des Ich, die Grundbewegung der Hingabe … die in Christi Kreuz aufgerichtet ist zum Zeichen für die ganze Menschheit.“159 Diese Hingabe, diese Aufgabe der Autonomie bedeutet für Ratzinger nichts anderes als ‚Liebe‘. Denn wenn „das Innerste des Christentums ist, Gott und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, so bedeutet das nichts anderes als die radikale Entthronung des Selbst, das Freiwerden vom Ich: Die Bewegung des Todes ist mit der Bewegung der radikalen Liebe identisch.“160

So ist Ratzinger zufolge durch die liebende Hingabe Christi am Kreuz die Wahrheit des Schöpfers für den Menschen zu einem Weg geworden, auf dem er Gott in der gleichen liebenden Hingabe, die das Einstimmen seines Willens in den Willen Gottes bedeutet, nachfolgen kann.161 Daher ist für Ratzinger „Kreuzesgemeinschaft der letzte und entscheidende Maßstab“162 für wahres Christentum. Erst in ihr kommt der Mensch zur Erkenntnis der Wahrheit, zur Erkenntnis des Logos Gottes, und erst in dieser kommt die Vernunft des Menschen zu ihrer vollen Weite.

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