Kitabı oku: «Logos Gottes und Logos des Menschen», sayfa 10

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4.1.2. Annäherungen des Judentums an die griechische Welt

Eine innere Neuakzentuierung erfährt der Schöpfungsglaube Israels nach-exilisch durch die im Judentum in den letzten Jahrhunderten vor Christus entstehende Weisheitsliteratur. Diese wird nach Ratzinger „vor allem von den ägyptischen Weisheitstraditionen beeinflusst, lässt aber dann immer mehr auch die Berührung mit dem griechischen Geist erkennen.“16 Zentral ist in der Weisheitsliteratur das Motiv der Weisheit als Schöpfungsmittlerin und erstes Geschöpf Gottes, „in dem sich die reine Urgestalt seines schöpferischen Willens und zugleich die reine Antwort ausdrückt, die er findet“17. Es geht dabei im Kern um eine rationale Weltdeutung auf dem Boden des Gottesglaubens. Die Vernunft, die sich in der Struktur der Welt zeigt, wird als Widerschein der schöpferischen Weisheit begriffen, die das Strukturprinzip der Welt darstellt.18 Dabei erfolgt eine Verknüpfung von kosmologischer und moralischer Vernunft, „weil die Weisheit, die die Materie und die Welt aufbaut, zugleich eine moralische Weisheit ist, die wesentliche Richtungen der Existenz ansagt.“19

Ratzinger selbst beobachtet in den Motiven der Weisheitsliteratur „eine Nähe zum griechischen Geist, einerseits zu Motiven des Platonismus, andererseits zu der stoischen Verknüpfung von göttlicher Deutung der Welt und Moral.“20 Er weist in diesem Zusammenhang auch auf die zeitliche und sachliche Parallele zwischen philosophischer Mythenkritik in Griechenland und prophetischer Götterkritik in Israel hin.21 Die „Bewegung des Logos gegen den Mythos, wie sie sich im griechischen Geist in der philosophischen Aufklärung zugetragen hat“22, steht für Ratzinger „in einer inneren Parallelität zu der Aufklärung, die Propheten- und Weisheitsliteratur betrieben in ihrer Entmythologisierung der göttlichen Mächte zugunsten des alleinigen Gottes.“23 Dabei liegt der gemeinsame Nenner beider Bewegungen bei all ihrer Gegensätzlichkeit für Ratzinger in ihrem Streben hin zum göttlichen Logos.24 Die Welt ist sowohl für den Schöpfungsglauben Israels und seine weisheitliche Tradition als auch für die philosophische Aufklärung Griechenlands nicht von launischen Göttern beherrscht, sondern ganz im Gegenteil von Vernunft durchzogen und strukturiert.

Diesem gemeinsamen Fluchtpunkt beider Kulturen entspricht für Ratzinger „der Übergang des Judentums in die griechische Welt“25, also die Entstehung des hellenistischen Judentums. Seines Erachtens deutet sich in diesem Hellenisierungsprozess und der damit einhergehenden Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische ein universalistischer Zug im Glauben Israels an, der sich für ihn in der Ersetzung des alttestamentlichen Gottesnamens JHWH durch das griechische ‚kyrios‘ in der Septuaginta zuspitzt.26 „So wird der geistige Gottesbegriff des Alten Testaments weiter vorangetrieben, was der Sache nach durchaus dem inneren Gefälle der angedeuteten Entwicklung gemäß war.“27 Denn weil Israel nicht einen rein privaten Gott anbetet, sondern sein Gott gleichzeitig als Schöpfergott der ‚Herr‘ aller Menschen ist, ist im Schöpfungsgedanken ein Universalisierungsprozess der Anbetung ebendieses Gottes schon angelegt. „Der Glaube Israels überschreitet hier deutlich die Grenze einer Volksreligion; er erhebt einen universalen Anspruch, dessen Universalität mit seiner Vernünftigkeit zu tun hat.“28

4.2 Das Verhältnis von Religion und Philosophie in der Antike
4.2.1. Die Trennung von Religion und Wahrheit

Im Folgenden soll Ratzingers Sichtweise des Verhältnisses von Religion und Philosophie in der antiken Welt beleuchtet werden, um auf dieser Grundlage besser verstehen zu können, welche Stellung er dem Christentum im damaligen Spannungsfeld von jüdischem Schöpfungsglauben, philosophischer Vernunftwahrheit und antikem Götterglauben einräumt. Doch auch für ein Verständnis des philosophischen Gottesbegriffs der antiken Welt ist diese Verhältnisbestimmung nach Meinung Ratzingers unumgänglich, denn es „genügt zu seinem Verständnis nicht, eine bestimmte Definitionsformel zu kennen und zu übernehmen. Es muss vielmehr die Beziehung gesehen werden, in der dieser Gottesbegriff zu der geistigen und religiösen Welt steht, in der er gefunden und in die er so oder anders eingeordnet wurde.“29

Ratzinger selbst ist „kein Text der alten Christenheit bekannt, der für diese Frage ähnlich erhellend wäre wie Augustins Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie des ‚gelehrtesten der Römer‘ Marcus Terrentius Varro (116–27 v. Chr.).“30 Für Varro fallen Gott, den er nach der stoischen Tradition als vernünftige Weltseele denkt, und der Kult der Religion völlig auseinander: „Wahrheit und Religion, vernünftige Einsicht und kultische Ordnung liegen auf zwei völlig verschiedenen Ebenen.“31 Religion hat für Varro also nichts mit Wahrheit zu tun, sondern ist vielmehr eine Gewohnheit des Volkes, die für den Staat ein wichtiges Element darstellt, das er sich zunutze machen kann. „Nicht die Götter haben den Staat geschaffen, sondern der Staat hat die Götter eingerichtet, deren Verehrung für die Ordnung des Staates und das rechte Verhalten der Bürger wesentlich ist. Religion ist ihrem Wesen nach ein politisches Phänomen.“32

Varro unterscheidet in diesem Zusammenhang drei ‚Theologien‘, die sich in der Gesellschaft mit dem „Verstehen und Erklären des Göttlichen“33 beschäftigen, nämlich die ‚theologia mythica‘, die ‚theologia civilis‘ und die ‚theologia naturalis‘. Die ‚theologia mythica‘ ist die Theologie der Sänger und Dichter, die über die Götter singen und erzählen. Der Ort dieser Theologie ist das Theater, „das durchaus einen religiösen und kultischen Rang hatte“34, und ihr Inhalt sind die Götterfabeln. Die Theologen der ‚theologia civilis‘ sind die Völker, die den Götterkult betreiben. Dabei orientieren sie sich an den Inhalten der ‚theologia mythica‘, also an den Geschichten und Liedern über ihre Gottheiten.

Im starken Gegensatz zu diesen eng miteinander verbundenen ersten beiden Arten der Gottesrede steht die ‚theologia naturalis‘. Ihre Theologen sind die Philosophen, „die über die Gewohnheit hinaus nach der Wirklichkeit, der Wahrheit fragen“35. Ihr Ort ist der Kosmos und ihr Inhalt wird durch die Frage bestimmt, welche Beschaffenheit die Götter haben: „Ob sie – mit Heraklit – aus Feuer sind oder – mit Pythagoras – aus Zahlen oder – mit Epikur – aus Atomen, und so noch anderes, was die Ohren leichter innerhalb der Schulwände ertragen können als draußen auf dem Marktplatz.“36 Bei dieser Bestimmung wird deutlich, dass mit der natürlichen Theologie bei Varro ein Aufklärungsdenken beschrieben wird, das „kritisch hinter den mythischen Schein blickt und ihn naturwissenschaftlich auflöst.“37 Dies führt dazu, dass im Denken Varros Kult und philosophische Erkenntnis auseinanderfallen. „Der Kult bleibt als Sache der politischen Zweckmäßigkeit notwendig; die Erkenntnis wirkt religionszerstörend und sollte daher nicht auf den Marktplatz getragen werden.“38 Die eigentliche Wahrheit über die Götter hat nichts mit der religiösen Praxis zu tun, sondern bleibt Sache der Philosophen.

Somit kann Ratzinger resümieren: „Die civilische Theologie hat letztlich keinen Gott, nur ‚Religion‘; die ‚natürliche Theologie‘ hat keine Religion, sondern nur eine Gottheit.“39 Denn der Gott, den die Philosophen in der Natur vorfinden, kann nicht angebetet werden; er ist als abstrakter Urgrund des Seins, als Feuer, Zahlen oder Atome nicht ansprechbar.40 Die vorchristliche Philosophie unterscheidet nicht zwischen Gott und Natur: Gott und die Natur sind dasselbe, deshalb ist die Lehre von Gott gleichbedeutend mit der Lehre von der Natur, also mit Physik.41 Gott ist somit im stoischen Sinne „einfach die natura, die Weltseele, die innere Triebkraft aller Dinge. Dieser Gott stellt weder Ansprüche noch vernimmt er selbst des Menschen ‚Antworten‘. Religion ist also um des Menschen willen da, eine Sache von Menschen und unter Menschen“42.

Somit stehen nach dieser Darstellung in der antiken Welt die Kultreligion und die philosophische Suche des Menschen nach dem Grund und der Wahrheit der Dinge verbindungslos nebeneinander. Schon in der Weisheitsliteratur findet Ratzinger Hinweise auf die gefährliche Paradoxie, die in einem solchen Auseinanderfallen von Frömmigkeit und Wahrheit liegt.43 Paulus greift diesen Gedanken Ratzinger zufolge im Römerbrief auf, wenn er schreibt: „Es ist ja, was an Gott erkennbar ist, unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbar gemacht … Aber, obwohl sie Gott erkannten, haben sie ihm nicht als Gott Ehre und Dank erwiesen … Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit der Nachbildung eines vergänglichen Menschen, fliegender, vierfüßiger und kriechender Tiere“ (Röm 1,19-23). Die antike Religion geht also nach Paulus nicht den Weg des Logos, den Weg der Gotteserkenntnis, sondern bezieht sich stattdessen auf den wirklichkeitslosen Mythos.44 Damit aber trennt sie sich von der Wahrheit und verkommt zur bloßen Lebensgestaltung.

Diese Kluft zwischen Religion und Vernunfteinsicht musste für Ratzinger zwangsläufig zum Ende der antiken Religion führen: „Dass es nicht gelungen ist, beides in eins zu bringen, sondern dass in zunehmendem Maße Vernunft und Frömmigkeit auseinandergetreten sind, Gott des Glaubens und Gott der Philosophen sich trennten, das bedeutete den inneren Zusammenbruch der antiken Religion.“45 Denn ohne Wahrheitsanspruch konnte diese Religion auf Dauer nicht bestehen.46

4.2.2. Die neuplatonische Symbol-Theologie

Bemerkenswert ist nun, dass die antike Philosophie zwar durch ihre aufklärerische Kraft maßgeblich an der Erosion der antiken Religion beteiligt war, paradoxerweise aber, wie man am Beispiel Varros erkennen kann, versuchte, den Mythos wieder denkerisch zu legitimieren, indem sie „Religion als Sache der Lebensordnung und nicht als Sache der Wahrheit“47 behandelte.

Neben diesem ersten Legitimationsversuch des Varro gab es laut Ratzinger noch einen zweiten, der besonders in der neuplatonischen Philosophie seine Wurzeln hatte. Diese Philosophie, die als die letzte Phase der antiken Philosophie im 3.–6. Jh. n. Chr. bezeichnet werden kann, zeichnete sich besonders durch den Gedanken der ‚Vergeistigung‘ des Menschen aus, welcher seiner Seele durch philosophische Reflexion und Meditation den Aufstieg zum ‚Einen‘, zum Ursprung aller Dinge, ermöglichen kann.48 Die Vertreter des Neuplatonismus gingen in ihrem Verständnis der Göttermythen über die Position Varros hinaus, indem sie den Mythos nun „ontologisch interpretierten, ihn als Symbol-Theologie auslegten und ihn damit auf dem Weg der Auslegung zur Wahrheit hin zu vermitteln versuchten.“49

Einen guten Eindruck von diesem Argumentationsmodell gewinnt man in der augustinischen Beschreibung dieser Synthese von neuplatonischer Erkenntnisphilosophie und Kultreligion, wie Ratzinger sie in seiner Dissertation wiedergibt: „Der Philosoph steigt in seinem Erkenntnisbemühen durch die einzelnen Sphären hindurch und rührt mit schier geblendeten Augen an das letzte Geheimnis des Seins … All den vielen, die diesen Weg nicht beschreiten können, die nicht aus eigener Kraft sich aufschwingen können in die höheren Bereiche, bleibt nur die Fremderlösung, d.h. die Zuhilfenahme der kosmischen Gewalten.“50 Der Nicht-Philosoph „muss sich mit den Mächten der höheren Bereiche verbinden, dass sie ihn in ihre Sphären hineinführen oder hindurchgeleiten zu höheren Sphären, indem sie zugleich die erforderliche Reinigung an ihm vornehmen. Dieses Bündnis geschieht durch den kultischen Dienst“51.

Während die neuplatonischen Philosophen also gewissermaßen exklusiv durch den inneren Reinigungsprozess und Erkenntnisaufstieg eine elitäre Erleuchtungserfahrung machen konnten, war das gemeine Volk auf den Götterkult als ‚Vermittlung‘ angewiesen, um eine Verbindung zu solchen höheren Seinssphären überhaupt herstellen zu können. Obwohl den Bildern als solchen also keine Wahrheit zukommt, werden sie als Annäherungen an die unaussprechliche Wahrheit gerechtfertigt.52 Hier kommt ein Grundgedanke des Neuplatonismus zum Vorschein, der in dieser Argumentation eine wichtige Rolle spielt. Ratzinger zitiert ihn von Porphyrius: „Latet omne verum – die Wahrheit ist verborgen.“53 Sie ist für den Menschen in seinem bloßen Denken nicht erreichbar, und genau das ist der Grund, weshalb er auf Symbole zurückgreifen muss, um sie irgendwie greifbar zu machen.

Ratzinger zitiert als Beispiel dieser Überzeugung den Ausschnitt einer von Senator Symmachus im Jahre 384 n. Chr. gehaltenen Rede im römischen Senat, in der dieser für die Wiederherstellung des alten Götterkultes in Rom wirbt: „Das Gleiche ist es, was alle verehren, eines, das wir denken, dieselben Sterne schauen wir, der Himmel über uns ist eins, dieselbe Welt umfängt uns; was macht es aus, auf welche Art von Klugheit der Einzelne die Wahrheit sucht? Man kann nicht auf einem einzigen Weg zu einem so großen Geheimnis gelangen.“54 Dieser Satz drückt die Überzeugung aus, dass kein Mensch die Wahrheit für sich beanspruchen kann, weil niemand sie ganz zu fassen vermag und sich ihr immer nur in jeweils wechselnden Symbolen nähern kann. Aus diesem Grund hat der Götterkult ebenso seine Rechtfertigung wie das damals in Rom schon etablierte Christentum.

Diese Überzeugung von einer Verborgenheit der Wahrheit ist für Ratzinger somit die eigentliche Philosophie eines jeden Polytheismus. „Denn Polytheismus bedeutet nicht die Behauptung einer Vielfalt des Absoluten (wie wir naiverweise gewöhnlich voraussetzen); er beruht vielmehr auf der Vorstellung seiner Unansprechbarkeit.“55 Weil das Absolute dem Menschen nicht zugänglich ist und verborgen bleibt, benötigt er die symbolische Hilfe der Bilder.

Von hier aus erklärt sich nun auch gleichzeitig das Wesen des Monotheismus. Dieser zeichnet sich nämlich für Ratzinger nicht einfach durch die Annahme der Einheit des Absoluten aus. Diese Annahme der Einheit des Absoluten ist seines Erachtens schon „eine Grundgegebenheit des menschlichen Bewusstseins, an der auch der Materialismus mit seiner Vorstellung von der Absolutheit der Materie festhält“56. Der Unterschied zum Polytheismus liegt also nicht im Denken des Absoluten als Einheit, sondern „vielmehr im Glauben an seine Ansprechbarkeit und sein eigenes Sprechenkönnen.“57

Auch der neuplatonische Versuch einer Legitimation des Götterkultes musste Ratzingers Überzeugung nach ins Leere laufen. Denn „was nur noch durch Interpretation bestehen kann, hat in Wirklichkeit aufgehört zu bestehen. Der menschliche Geist wendet sich mit Recht der Wahrheit selbst zu und nicht dem, was mit der Methode der Interpretation auf Umwegen als mit der Wahrheit noch vereinbar erklärt werden kann, selbst jedoch keine Wahrheit mehr hat.“58 So vermochte auch das neuplatonische Symbolverständnis des Götterkultes diesen nicht am Leben zu erhalten.59

4.2.3. Die Sehnsucht der aufgeklärten Vernunft nach dem Monotheismus

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Ratzinger das Verhältnis der antiken Philosophie mit ihrem Streben nach der Wahrheit zum damaligen Götterkult als eine unaufhaltsame, aber höchst schmerzliche Trennungsgeschichte charakterisiert. Er sieht die geistige Welt des Mittelmeerraums seit dem 5. Jh. v. Chr. als Schauplatz einer „langsam, aber konsequent voranschreitenden Aufklärung … die ihren Höhepunkt zu Beginn des christlichen Zeitalters erreicht und zunächst zum Zerfall der alten griechischen Gesellschaft, schließlich aber überhaupt zum Zerfall der griechisch-römischen Kultur und ihrer Welt geführt hat.“60 Wie gesehen, gab es innerhalb dieser Aufklärungsbewegung immer wieder Bestrebungen, die alte Staatsreligion vor der philosophischen Vernunfteinsicht zu legitimieren. Denn zwar war die Philosophie nach Ratzinger „zur Erkenntnis des einen geistigen Weltgrundes vorgedrungen, der allein den Namen Gott verdient, wenn auch in widersprüchlichen und im Einzelnen unzulänglichen Formen. Aber ihr religionskritischer Anlauf war bald erlahmt und immer mehr hatte sie sich, trotz dieses Grundcharakters, zugleich zur Rechtfertigung des Götterkultes und der Anbetung der Staatsmacht hergegeben. Das ‚Niederhalten der Wahrheit‘ war offenkundig.“61

So bedurfte die Philosophie Ratzinger zufolge dringend eines neuen Bezugspunktes in der religiösen Welt, der ihr nicht, wie der antike Götterkult, verbindungslos gegenüberstand, sondern die Vernunfterkenntnis mit der religiösen Praxis in Einklang zu bringen vermochte, um sie so, statt sie niederzuhalten, zu ihrer ganzen Größe zu bringen. Ausgehend von der sokratischen Aufklärung war eine „Sehnsucht nach der angemessenen und doch das eigene Vermögen der Vernunft überschreitenden Religion aufgebrochen.“62 Ratzinger hebt diese suchende Bewegung des sokratischen Denkens hier deutlich von den sophistischen Strömungen der griechischen Welt ab, in denen „der Skeptizismus oder gar der Zynismus oder der bloße Pragmatismus bestimmend“63 waren. Es ist nicht diese in sich verschlossene und nur am eigenen Nutzen orientierte Vernunft, die nach einer neuen religiösen Orientierung verlangt, sondern der sokratische Geist der Wahrheitssuche, der sich laut Ratzinger im Letzten nach der christlichen Botschaft ausstreckt: „In seiner höchsten Reinigung war der griechische Geist … Sehnsucht nach dem Evangelium geworden – offene Schale, die sich ihm entgegenstreckt.“64

Hier wird deutlich, dass philosophische Vernunft für Ratzinger ihren Höhepunkt in ihrem Ausstrecken nach einem ihr entsprechenden Glauben findet. Wenn Vernunft als ‚sokratische Vernunft‘ nach der Wahrheit des Seins selbst fragt, ist sie für Ratzinger eine Vernunft, „die Sehnsucht geworden ist, im Entbehren ahnt, was ihr fehlt.“65 Es geht ihm dabei um eine Vernunft, die sich ganz auf den Logos als ihren eigenen Ursprung besinnt, sich an diesem Logos ausrichtet und versucht, die Dinge der Welt im Lichte dieses Logos zu verstehen.66 Nur eine Vernunft, die sich auf die Suche nach einem solchen umfassenden Verstehen macht, bildet für Ratzinger den richtigen Boden für die Antwort des christlichen Glaubens. Denn die Sehnsucht, die durch das auf den Niedergang der alten Religionen folgende Sinnvakuum ausgelöst worden war, konnte nicht allein durch philosophische Reflexion befriedigt werden, „sondern nur durch einen vitalen Monotheismus, der aus realen religiösen Kräften kam, religiöse Realität und nicht Postulat des Denkens war.“67

4.3 Die christliche Synthese von Glaube und Vernunft
4.3.1. Der Anschluss des Christentums an die philosophische Aufklärung

Wie nun positionierte sich nach Ansicht Ratzingers das Christentum in dieser Spannung von philosophischer Aufklärung und antikem Götterglauben? Der entscheidende Hinweis liegt für Ratzinger in der Entscheidung Augustins, das Christentum in der Trias der Theologien nach Varro ohne zu zögern mit der ‚theologia naturalis‘ und damit mit der philosophischen Aufklärung zu identifizieren.68

Was bedeutet das? Das Christentum ist für Augustinus seinem Selbstverständnis nach eben nicht die Fortsetzung der antiken Religionen, sondern hat seinen Ort im Anschluss an den Glauben Israels vielmehr in der philosophischen Aufklärung der Antike. Es „beruht nach Augustin nicht auf mythischen Bildern und Ahnungen, deren Rechtfertigung schließlich in ihrer politischen Nützlichkeit liegt, sondern es bezieht sich auf jenes Göttliche, das die vernünftige Analyse der Wirklichkeit wahrnehmen kann.“69 Der Glaube der Christen beruht also weder auf Poesie noch auf Politik, so wie es nach Varro die antiken Religionen taten, sondern auf vernünftiger Erkenntnis. „Er verehrt jenes Sein, das allem Existierendem zugrunde liegt, den ‚wirklichen Gott‘. Im Christentum ist Aufklärung Religion geworden und nicht mehr ihr Gegenspieler.“70

Mit dieser Auffassung steht Augustinus nach Meinung Ratzingers in vollkommener Kontinuität mit den frühen Theologen des Christentums und der Götter- und Mythenkritik bei Paulus und in den Schriften Israels.71 Gerade die in der Schöpfungstheologie Israels angelegte Götterkritik ist es seiner Ansicht nach, an die das Christentum in seinem Selbstverständnis als Aufklärung anschließen konnte. Ratzinger verweist dabei besonders auf Deuterojesaja, der im Schöpfungsgedanken die Tatsache ausdrückt, dass Israel keinen speziellen Volksgott verehrt, sondern den absoluten Weltgrund selbst.72 So wurde für Ratzinger „im Inneren Israels selbst jene Synthese von Griechischem und Biblischem vorbereitet“73, die die Kirchenväter später vollzogen.

Die Schöpfungstheologie des Alten Testaments findet für Ratzinger in christlicher Sicht dann ihr Ziel im Johannesprolog, den er als den „endgültigen maßstäblichen Schöpfungsbericht der Heiligen Schrift“ bezeichnet, „der für den Christen der Maßstab gebende und die Auslegung aller Schöpfungstexte bestimmende Schöpfungsbericht ist.“74 Die ersten drei Sätze des Prologs, die Ratzinger dabei besonders hervorhebt, lauten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alles ist durch das Wort geworden. Und nichts ist geworden ohne das Wort“ (Joh 1,1–3). Indem Ratzinger diese Stelle als ‚maßstäblichen Schöpfungsbericht‘ der Heiligen Schrift bezeichnet, wird deutlich, dass seiner Ansicht nach das Christentum in seinem Selbstverständnis das Aufklärungspotential des Schöpfungsglaubens Israels übernimmt und zu seiner letzten Konsequenz bringt.75

Die deutsche Übersetzung des griechischen Begriffs λόγος (= ‚Logos‘) als ‚Wort‘ darf dabei laut Ratzinger nicht dazu führen, diesen auf den Gedanken der geschichtlich ergangenen Gottesrede zu verkürzen.76 Vielmehr muss ‚Logos‘ auch als ‚Vernunft‘ verstanden werden. Damit stellt Johannes nach Ratzinger „eine philosophische, näherhin eine ontologische Behauptung auf“77, also eine Behauptung über die Wirklichkeit im Ganzen: Die Welt ist nach dieser Sichtweise von einem ‚schöpferischen Intellekt‘ her zu verstehen; sie kommt aus der Vernunft des Schöpfers und ist von ihr her vernünftig strukturiert.78

Aufgrund dieses ontologischen Bezugs kann man Ratzinger zufolge gerade bei Johannes „das innere Zugehen des biblischen Gottesglaubens und der biblischen Christologie auf das philosophische Fragen in seiner Konsequenz wie in seinem Ursprung studieren.“79 Durch diesen johanneischen Ausgriff auf die Ontologie wird der biblische Glaube der Auffassung Ratzingers nach aber keinesfalls hellenistisch verfremdet, denn Johannes steht damit, wie gesehen, in der Tradition der jüdischen Weisheitstheologie.80

Die Kirchenväter folgen nun dieser biblisch vorgegebenen Linie und finden die ‚Samenkörner des Wortes‘, d.h. den Anschluss der Welt an den Glauben, gerade nicht in den Religionen, sondern in der griechischen Philosophie, „das heißt im Prozess der kritischen Vernunft gegen die Religionen, in der Geschichte der voranschreitenden Vernunft, nicht in der Religionsgeschichte.“81 Indem sich das Christentum auf diese Weise laut Ratzinger bewusst gegen einen Anschluss an die antike Religionswelt entscheidet, weil es sie als „Trugwerk und Blenderei betrachtet“82, gibt es zu verstehen: „Nichts von alledem verehren und meinen wir, wenn wir Gott sagen, sondern allein das Sein selbst, das, was die Philosophen als den Grund alles Seins, als den Gott über allen Mächten, herausgestellt haben – nur das ist unser Gott.“83

Die aus dieser Einstellung folgende Ablehnung der Religionen brachte dem Christentum in der antiken Welt schnell den Vorwurf des ‚Atheismus‘ ein.84 Denn dass der von den Philosophen gefundenen αρχή (= Arché), dem höchsten Prinzip der Wirklichkeit, nun religiöse Verehrung zuteil werden sollte, war dem damaligen Denken fremd. „Der metaphysische Rang bedeutete dem antiken Menschen noch lange keinen religiösen Anspruch.“85 Der Gott der Philosophen war kein Gott der Religion, sondern eine „außerreligiöse Wirklichkeit. Nur ihn stehen zu lassen und einzig und allein zu ihm sich zu bekennen, erschien als Religionslosigkeit, als Leugnung der religio und als Atheismus.“86

Die Entscheidung des Christentums für den ‚Gott der Philosophen‘, die, wie gezeigt, im Anschluss an die aufklärerischen Traditionen Griechenlands sowie den Glauben Israels stattfand, bezeichnet Ratzinger als die „definitive Entmythologisierung der Welt und der Religion.“87 An dieser Formulierung wird deutlich, dass Ratzinger im christlichen Glauben einen Zielpunkt sieht, in dem die vorhergehenden aufklärerischen Entwicklungen zu ihrem definitivem Vollzug gelangen. Der Monotheismus des Judentums vereinigt sich im Christentum mit dem philosophischen Aufklärungswissen der griechischen Antike zur ‚religio vera‘, zur wahren Religion, die sich auf die Wahrheit des Seins bezieht.88 Diese Verbindung verbürgt nach Ratzinger somit den Wahrheitsanspruch des Christentums.

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