Kitabı oku: «Logos Gottes und Logos des Menschen», sayfa 13

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4.4 Christliche Modifikationen des philosophischen Gottesbegriffs

Im Folgenden werden einige Modifikationen, die das Christentum am Gottesbegriff der antiken Philosophie vorgenommen hat und die im vorhergehenden Kapitel schon stellenweise implizit thematisiert wurden, noch einmal explizit herausgestellt und konkretisiert.

4.4.1. Trennung von Schöpfer und Schöpfung

Zunächst ist nach Ratzinger eine Trennung von Schöpfer und Schöpfung festzustellen, die das Christentum im Anschluss an das Judentum gegenüber der antiken Philosophie geltend macht. Diese hatte, wie gesehen, die Natur selbst mit der Gottheit identifiziert und Theologie als Naturwissenschaft betrieben: Sie war „nur Physik, nicht aber Metaphysik.“212 Auch der Gott der Christen ist im Gegensatz zu den mythischen und politischen Gottheiten der Antike ‚natürlich‘ im Sinne von ‚wirklich‘. „Aber gleichzeitig gilt nun: non tamen omnis natura est Deus – nicht alles, was Natur ist, ist Gott … Gott ist seiner Natur nach Gott, aber nicht die Natur als solche ist Gott.“213 So zieht der Glaube Ratzinger zufolge eine Trennlinie zwischen Gott und Natur, zwischen der sichtbaren Wirklichkeit und ihrem unsichtbaren Ursprung. „So erst treten nun Physik und Metaphysik deutlich auseinander. Nur der wirkliche Gott, den wir denkend in der Natur erkennen können, wird angebetet. Aber er ist mehr als Natur. Er geht ihr voraus, und sie ist sein Geschöpf.“214 Schöpfer und Schöpfung sind nicht mehr eins, sondern werden voneinander unterschieden. Erst durch diese Trennung wird nach Ratzinger die Metaphysik „im eigentlichen Sinn befähigt, Träger der Religion zu sein“215: Religion im christlichen Sinn bezieht sich nun nicht mehr auf bloße sichtbare Bilder, sondern auf den Ursprung alles Sichtbaren, dem dieses sich verdankt, der aber außerhalb dieser sichtbaren Welt steht.

Ratzinger ordnet in seiner Einführung in das Christentum dieses vom Schöpfungsgedanken geprägte christliche Wirklichkeitsverständnis in eine schematische Darstellung philosophischer Wirklichkeitsverständnisse ein. Dabei geht er davon aus, dass sämtliche Seins-Verständnisse der Philosophie versuchen, eine Antwort auf ein und dieselbe Frage zu geben, die er folgendermaßen formuliert: „Was ist in der Vielheit der Einzeldinge sozusagen der gemeinsame Stoff des Seins – was ist das eine Sein, das hinter den vielen seienden Dingen steht, die doch alle ‚sind‘?“216

Die Vielzahl der philosophischen Antworten auf diese Frage lassen sich nach Ratzinger grob in zwei Richtungen einteilen: in die materialistische und die idealistische. Der ‚materialistische Weg‘ geht davon aus, dass alles Wirkliche im Letzten Stoff und Materie ist. Sie ist „das Einzige, was als nachweisliche Realität immer wieder übrig bleibt; sie stellt folglich das eigentliche Sein des Seienden dar“217. Der ‚idealistische Weg‘ geht im Gegensatz dazu davon aus, dass alle sichtbare Materie im Letzten „Gedachtsein, objektiver Gedanke ist. So kann sie nicht das Letzte sein. Vor ihr steht vielmehr das Denken, die Idee; alles Sein ist letzten Endes Gedachtsein und ist auf Geist als Urwirklichkeit zurückzuführen“218.

Das christliche Weltbild fällt nun nach Ratzinger weder mit dem Materialismus noch mit dem Idealismus zusammen. Denn im Gegensatz zum Materialismus erschöpft sich das Sein für christliches Schöpfungsdenken nicht in bloßer Materie, sodass Geist in ihm nur als zufälliges Nebenprodukt angesehen werden müsste, sondern ist, wie im Idealismus, ‚Gedachtsein‘: „Die Materie verweist selbst über sich hinaus auf das Denken als das Vorgängige und Ursprünglichere.“219 Aber im Gegensatz zum Idealismus hält christliches Schöpfungsdenken dabei Ratzinger zufolge am tatsächlichen Sein der gedachten Dinge fest, welches sich im Idealismus bei näherem Hinsehen nur als Schein – weil bloßes Gedachtsein – entpuppt. Während der Idealismus nämlich „alles Wirkliche als Inhalte eines einzigen Bewusstseins erklärt, ist für die christliche Ansicht das Tragende eine schöpferische Freiheit, die das Gedachte wiederum in die Freiheit eigenen Seins setzt, sodass es einerseits Gedachtsein eines Bewusstseins und andererseits doch wahres Selbersein ist.“220

Die Trennung von Schöpfer und Schöpfung ermöglicht damit nach Ratzinger die Identifizierung von Freiheit als Grundprinzip christlichen Schöpfungsglaubens. „Für ihn bedeutet nicht ein allumfassendes Bewusstsein oder eine einzige Materialität die Erklärung des Wirklichen insgesamt; an der Spitze steht vielmehr eine Freiheit, die denkt und denkend Freiheiten schafft und so die Freiheit zur Strukturform allen Seins werden lässt.“221 Die Welt entspringt nach christlichem Verständnis also nicht kosmischen Notwendigkeiten, sondern ist von Gott in Freiheit geschaffen und somit auch von Freiheit als ihrem Grundprinzip bestimmt. Gegenüber den Philosophien, die Freiheit und Vernunft gewissermaßen nur als ‚Abfallprodukte‘ der Notwendigkeiten betrachten können, „geht der Glaube, der den Logos als Anfang weiß, vom Primat der Freiheit aus. Nur die Bindung an den Logos gewährleistet die Freiheit als Strukturprinzip des Wirklichen.“222

Der Primat des Logos ist für Ratzinger also mit dem Primat der Freiheit aufs Engste verbunden. Denn nicht wo blinder Zufall oder strikte Notwendigkeit regieren, ist Freiheit, sondern nur dort, wo die Wirklichkeit auf eine in Freiheit wirkende schöpferische Vernunft zurückgeführt werden kann. Das philosophische Gottesbild wird so vom christlichen Schöpfungsgedanken durchbrochen: Der Urgrund des Seins ist nicht mit dem Sein selbst identisch, sondern steht ihm als frei Schaffender gegenüber.

4.4.2. Der liebende Logos

Nun soll die christliche Modifikation des philosophischen Gottesbildes der Antike vertieft werden, die schon etwas breiter herausgearbeitet worden war: Im Glauben des Alten und des Neuen Testaments hat der Gott, der für die Philosophie der Urgrund des Seins ist, sich den Menschen zugewandt. Die gerade gezeigte Trennung von Gott als Schöpfer von der Natur als Schöpfung ist nach Ansicht Ratzingers die Bedingung für diesen Gedanken. „Eben weil er nicht bloß Natur ist, ist er kein schweigender Gott. Er ist in die Geschichte eingetreten, dem Menschen entgegengegangen, und so kann der Mensch nun ihm entgegengehen. Er kann sich Gott verbinden, weil Gott sich dem Menschen verbunden hat.“223

Diese Zuwendung Gottes zu den Menschen in seinem Logos, der Christus ist, hat nun aber weitreichende Konsequenzen für das Gottesbild: ‚Logos‘ bedeutet nämlich im Johannesevangelium eben nicht nur die Idee einer ewigen Rationalität des Seins wie in der Philosophie, sondern erhält durch den Bezug auf Jesus eine neue Dimension: „Er besagt nicht mehr bloß die Durchwirktheit alles Seins mit Sinn, sondern er kennzeichnet diesen Menschen: Der, der hier ist, ist ‚Wort‘.“224 ‚Logos‘ bedeutet johanneisch folglich nicht nur ‚ratio‘, also ‚Sinn‘ oder ‚Vernunft‘, sondern auch ‚verbum‘, also ‚Wort‘ und ‚Rede‘. Daraus folgt für Ratzinger: „Der christliche Gott ist nicht nur Vernunft, objektiver Sinn, Geometrie des Weltalls, sondern er ist Anrede, Beziehung, Wort und Liebe.“225 Gott ist nicht bloß objektiver Geist, sondern er zeigt sich in Christus als „Subjekt, in Beziehung zu mir.“226 Der christliche Glaube lebt davon, „dass es nicht bloß objektiven Sinn gibt, sondern dass dieser Sinn mich kennt und liebt, dass ich ihm mich anvertrauen kann mit der Gebärde eines Kindes, das im Du der Mutter all seine Fragen geborgen weiß.“227

Die Christen behaupten also Ratzinger zufolge einerseits die völlige Identität ihres Gottes mit dem Gott der antiken Philosophie, das „Unerhörte ihrer Position besteht aber darin, dass sie dem Gott der Philosophen die Grundqualität der Götter der Religionen beilegen: die Beziehung zum Menschen, nun freilich in einer absoluten Form, insofern sie Gott den Schöpfer nennen.“228 In Christus hat sich „die Vernunft des Weltalls … als Liebe offenbart“229, und genau hier liegt nach Ratzinger der „eigentliche Überschritt des christlichen Gottesbegriffs über den antiken“, nämlich „in der Erkenntnis, dass Gott Liebe ist.“230

Schon Platon hatte nach Ansicht Ratzingers erkannt, dass für den Menschen „die Hoffnung des ewigen Lebens in seiner Beziehung zur Wahrheit gründet. Aber die Wahrheit blieb letztlich ein Abstraktum.“231 Erst in Christus, der die Wahrheit in Person ist, wird dem Menschen eine personale Beziehung zu ihr möglich. „In der Beziehung zu Christus kann die Wahrheit geliebt werden“232.

Diese Beziehung zur Wahrheit aber entspricht nach Ratzinger zutiefst dem Menschsein: „Der Mensch lebt von der Wahrheit und vom Geliebtsein, vom Geliebtsein durch die Wahrheit. Er braucht Gott, den Gott, der ihm nahe wird und der ihm den Sinn des Lebens deutet und so den Weg des Lebens weist.“233 Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Er ist nicht auf Isolation hin angelegt, sondern braucht die Beziehung zum anderen.234 Diese anthropologische Einsicht bezüglich des Menschen als Wesen der Relation ist nach Ansicht Ratzingers eine Errungenschaft der Neuzeit. Während Antike und Mittelalter den Menschen als ein ‚Stück Welt‘ verstanden und seine Religion nur im kosmischen Sinne interpretieren konnten, wurde mit der neuzeitlichen Interpretation des Kosmos als ‚Sachlichkeit‘ auch deutlich, „dass das Personale, die Kommunikation von Ich und Du über allem Eshaften und Sachlichen eine gänzlich andere Ordnung ist. Als Wesen der Person erscheint nun die in geistiger Freiheit sich vollziehende Relationsfähigkeit.“235 Für Ratzinger ist aber gerade diese personale Relationsfähigkeit des Menschen das Wesen der Religion: „Das innerste Wesen der Religion ist personale Beziehung vom Ich des Menschen zum Du Gottes.“236 So kommt es, dass der Mensch „durch alle seine Beziehungen hindurch und in ihnen die Beziehung sucht, die der Grund seines Daseins ist.“237 Diese Beziehung findet er nach Ratzinger im Glauben an die christliche Offenbarung, der ihm das Geliebtsein durch seinen Schöpfer vermittelt.238

Zwar kann nach Ansicht Ratzingers der Schöpfungsglaube für sich allein genommen dem Menschen schon die Gewissheit geben, „dass die Wahrheit gut ist“239, dass Gott ihn als Geschöpf gutheißt. Doch seines Erachtens braucht der Mensch mehr als das. Da er ein gefallenes Wesen ist, das durch die Erbsünde von der Wahrheit getrennt ist und sich ihr sozusagen von Natur aus in seinem Eigenwillen verschließt, braucht er „nicht nur Gutheißung überhaupt, er braucht Gutheißung in der Gestalt der Vergebung“240. So braucht der Mensch „die Wahrheit nicht nur als das Gute des Seins, sondern als Güte, die auch den unwahr Gewordenen trägt“241.

So findet die Gutheißung des Schöpfers Ratzinger zufolge ihren Höhepunkt in der personalen Offenbarung des Schöpfungslogos als Liebe, welche ihre Zuspitzung in der völligen Hingabe des Logos für den Menschen am Kreuz erfährt. Der Logos erscheint so „nicht nur als mathematische Vernunft auf dem Grund aller Dinge, sondern als schöpferische Liebe bis zu dem Punkt hin, dass er Mit-Leiden mit dem Geschöpf wird.“242 Auf diese Weise treten im Christentum der kosmische Aspekt der Religion, die Verehrung des Schöpfers und der existentielle Aspekt, die Erlösungsfrage, ineinander243: Der gekreuzigte Christus „ist die Gewissheit einer bis in die Tötung durchgehaltenen Liebe Gottes. Einer Gutheißung, die keinen Schritt von der Wahrheit abgeht – sonst bräuchte Gott nicht zu sterben – und die dennoch in der Wahrheit nicht aufhört, unbedingt verlässige Güte zu sein, die bis ins unterste Ende des Menschseins … hinunterreicht.“244 Denn „Wahrheit ohne Liebe braucht nicht sterben, nur richten; Liebe ohne Wahrheit braucht gleichfalls nicht sterben, nur nachgeben. Wo aber beide zusammen sind, ereignet sich das Kreuz.“245

Im Kreuz erweist sich Christus laut Ratzinger demnach in letzter Konsequenz als der liebende Logos Gottes, als die liebende Vernunft des Weltalls. So kann der Mensch in ihm Gottes erlösende Vergebung erfahren, die „Überwindung der Sünde durch die stärkere Liebe Gottes“246, indem er sich im Angesicht des Kreuzes von der Wahrheit, von der er sich als Sünder abgewandt hatte, geliebt weiß. „[W]er bis in den Tod geliebt wird, der weiß sich wirklich geliebt. Wenn aber Gott uns so liebt, dann sind wir in Wahrheit geliebt. Dann ist die Liebe Wahrheit und die Wahrheit Liebe.“247

In diesem Sinne kann Ratzinger Wahrheit und Liebe als die beiden Grundkategorien christlicher Offenbarung identifizieren.248 War der Gott der Philosophen ein bloß auf sich selbst bezogener Gott, so erscheint nun im Licht der Christusoffenbarung als die höchste Möglichkeit des Seins „nicht mehr das Sein dessen, der nur sich selber braucht und in sich steht. Die höchste Weise des Seins schließt vielmehr das Element der Beziehung ein.“249 Gott ist nicht nur reines Denken, sondern zugleich Liebe; er kann nur deshalb überhaupt schöpferisch sein, „weil er als Gedanke Liebe und als Liebe Gedanke ist.“250 So zeigt sich hier nach Ratzinger eine „Uridentität von Wahrheit und Liebe, die da, wo sie voll verwirklicht sind, nicht zwei nebeneinander oder gar gegeneinander stehende Wirklichkeiten, sondern eins sind, das einzig Absolute.“251

Weil sich also in Christus die Wahrheit des Schöpfers als vergebende Liebe offenbart, zeigt sich damit auch die Liebe als höchstes Ziel der Vernunft: „Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen.“252 Menschliche Vernunft ist also nach Ratzinger in ihrer höchsten Form, die sie in der Verbindung mit dem Schöpfungslogos im Glauben erreichen kann, nichts anderes als Liebe; aber keine schwärmerische Liebe ohne festen Bezugspunkt, sondern eine „Liebe in der Wahrheit“253, eine Liebe, die aus der Liebe zum Vater durch den Sohn entspringt. Denn „die Liebe ‚übersteigt‘, wie Paulus sagt, die Erkenntnis und vermag daher mehr wahrzunehmen als das bloße Denken (vgl. Eph 3,19), aber sie bleibt doch Liebe des Gottes-Logos“254. Im Glauben bleibt die Liebe an die Wahrheit gebunden.255

4.4.3. Überbietung der philosophischen Moral durch die Nächstenliebe

Auch die philosophische Morallehre der Antike wurde Ratzinger zufolge vom Christentum aufgenommen und christlich modifiziert. Der moralische Ernst des Christentums gründet schon für Paulus in der Deckung des Glaubens mit der moralischen Vernunft: „Das, was das Gesetz eigentlich meint, die vom christlichen Glauben ins Licht gestellten wesentlichen Forderungen des einen Gottes an das Leben des Menschen, deckt sich mit dem, was dem Menschen, jedem Menschen, ins Herz eingeschrieben ist, sodass er es als das Gute einsieht, wenn es vor ihn hintritt. Es deckt sich mit dem, was ‚von Natur gut ist‘ (Röm 2,14)“256. Die Moral, die besonders von der stoischen Philosophie als ‚Naturrecht‘ erarbeitet worden war, ist für die Christen also im Grunde deckungsgleich mit dem Willen des Schöpfers: Der Mensch kann nach Paulus anhand seiner moralischen Vernunft, in seinem Gewissen, den Willen des Schöpfers erkennen.

Wie bereits dargelegt, ist dies auch die Überzeugung Ratzingers: Im Schöpfungsgedanken treffen sich der Glaube an den Willen des Schöpfers mit der am Logos ausgerichteten moralischen Vernunfterkenntnis des Menschen. Ratzinger erläutert dies, in Anlehnung an den Katechismus der Katholischen Kirche, z.B. in Bezug auf den Dekalog. Denn wenn dieser dort einerseits „ganz im Kontext des Bundes und der Heilsgeschichte, als Geschehen von Wort und Antwort gesehen wird, so erscheint er doch zugleich als rationale Ethik, als Erinnerung an das, was eigentlich die Vernunft zu sehen vermag.“257 Mit der Bekundung seines Willens im Bundesgeschehen am Sinai appelliert der Schöpfergott also gewissermaßen an die Vernunft seines Volkes; er erinnert an das, „was zutiefst in unser aller Seele eingeschrieben ist.“258 Weil es auch im Christentum um die Beziehung zu ebendiesem Schöpfergott geht, folgt aus dem christlichen Glauben ein Ethos, „das auf die Vernunft der Schöpfung hört und darin den Widerhall der Vernunft des Schöpfers findet.“259

Doch aus dem bloßen Umstand, dass die moralischen Einsichten der Bibel auch auf dem Wege der Vernunft erlangt werden können und dementsprechend nicht originär auf die biblischen Autoren zurückzuführen sind, folgt für Ratzinger keinesfalls, dass das Christentum über keine spezifische Ethik verfüge. „Die Unterstellung, dass Überkommenes nie zu Eigenem werden könne, ist einfach falsch.“260 Die Verweisung der Moral an die bloße Vernunft ist für Ratzinger daher „mit der Feststellung der Herkünftigkeit der moralischen Aussagen der Bibel aus anderen Kulturen oder aus philosophischem Denken noch in keiner Weise gegeben – solches zu behaupten stellt einen denkerischen Kurzschluss dar, den man nicht länger hingehen lassen darf.“261 Denn es ist Ratzinger zufolge eben nicht so, dass z.B. die moralische Verkündigung des Paulus einen bloßen Verweis auf das von der Vernunft als richtig Erkannte darstellt.262 Vielmehr erweist sich für Paulus das Gewissen als Gewissen gerade dadurch, „dass es das Gleiche sagt, was Gott im Bundeswort den Juden gesagt hat; als Gewissen deckt es das Bleibende auf und führt so notwendig zur Gesinnung Jesu Christi hin.“263 Die Mahnung des Apostels hat also deshalb mit der moralischen Vernunfterkenntnis zu tun, weil die in Christus erfahrbar gewordene Gnade auf die Schöpfung und die darin erkennbare Wahrheit bezogen ist; beides gehört untrennbar zusammen.264

Die Praxis des Glaubens darf deshalb einerseits nicht losgelöst von seiner Bindung an die Wahrheit geübt werden; dies war schon in der Wendung des ‚Primats des Logos vor dem Ethos‘ angesprochen worden.265 Andererseits darf sie aber auch nicht einer sich als vom Glauben unabhängig verstehenden Vernunft überlassen werden, als ob moralische Praxis nichts mit christlichem Glauben zu tun hätte. Beide Wege bedeuten für Ratzinger eine „Verketzerung der Vernunft: Im einen Fall wird ihr die Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis überhaupt bestritten und der Verzicht auf die Wahrheit zur Methode erhoben; im anderen Fall wird der Glaube aus dem Raum der Vernunft herausgezogen und das Vernünftige nicht als möglicher Inhalt auch der Welt des Glaubens zugelassen.“266 Entgegen dieser Entwürfe wird christliche Lebenspraxis Ratzinger zufolge weder unabhängig von der Vernunft noch unabhängig vom Glauben entwickelt, sondern vielmehr in ihrer wechselseitigen Kommunikation.267 Dies ist möglich, weil nach Ratzinger beide auf ihre Weise auf die moralische Wahrheit der Schöpfung bezogen sind.

Was macht nun aber das Spezifikum christlicher Ethik aus? Die Zuwendung zu Christus im Glauben ist mit der Zuwendung zu seinem Weg identisch: Zu ihr gehört untrennbar „die Praxis des Glaubens; Orthodoxie ohne Orthopraxie verliert das Zentrum des Christlichen: die aus der Gnade kommende Liebe.“268 Hier wird deutlich sichtbar, was das Neue an der Moral des frühen Christentums im Vergleich mit der Morallehre der antiken Philosophie ausmachte: die Orientierung an der Praxis der Nächstenliebe. So überschritt das Christentum „die ethische Theorie zu gemeinschaftlich gelebter und konkretisierter Praxis, in der die philosophische Sicht vor allem durch die Konzentrierung aller Moral auf das Doppelgebot von Gottes- und Nächstenliebe überboten und in reales Handeln übersetzt wurde.“269

Durch die Überzeugung, dass Gott sich den Menschen in Christus als liebender Gott offenbart hat, wird in der christlichen Ethik eine neue Stufe der Humanität erreicht270: Sie ist eine ‚dialogische Ethik‘, weil ihr sittliches Handeln aus der Beziehung zu Gott in Christus entspringt. Christliches moralisches Handeln ist nach Ratzinger lebenspraktische Antwort auf die Liebe Gottes.271 So ergibt sich, was Papst Benedikt XVI. in seinem ersten Jesus-Buch knapp auf den Punkt bringt: „[D]ie wahre ‚Moral‘ des Christentums ist die Liebe.“272

Die damit erläuterten Modifikationen der christlichen Theologie an der antiken Philosophie zeigen, wie das Christentum nach Auffassung Ratzingers im Gottesgedanken Liebe und Wahrheit zu einer mächtigen Synthese vereinte. Diese Synthese bewies in der antiken Welt eine enorme Durchschlagskraft, die auch auf das Selbstverständnis der christlichen Botschaft zurückzuführen ist, alle Menschen anzugehen. Im Folgenden wird Ratzingers Verständnis dieses christlichen Universalitätsanspruchs beleuchtet. Dabei soll insbesondere untersucht werden, wie sich seine spezifische Sichtweise des christlichen Wahrheitsanspruchs auf sein Denken in Bezug auf christliche Universalität, Mission und interreligiösen Dialog auswirkt.

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