Kitabı oku: «Der große Aschinger», sayfa 6

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Sebastian erzählte ihr, wie er Uschi Venske kennengelernt hatte, wie sehr er sie liebte und was ihm gerade passiert war. Sie hörte seinem stockenden Bericht geduldig zu und strich ihm dabei über die Hände.

»So ist das nun einmal in der Jugend. Man lernt die eine oder den anderen kennen, und an mancher oder manchem bleibt man hängen und an anderen nicht. Oft ist es die Falsche, an der man hängenbleibt«, sagte sie nachdenklich. »Mir ist es nicht anders ergangen. Ich habe mich für den Falschen entschieden, und nun stehe ich da und muss bei Aschinger die Kaltmamsell abgeben.«

»Waren Sie denn verheiratet?«, fragte er erstaunt.

Sie nickte heftig. »Genau genommen bin ich es noch. Aber er ist auf und davon und hat mich mit dem Kind sitzenlassen.«

»Sie haben ein Kind?«

»Ja … nein … also, es ist mir vor zwei Jahren gestorben. An Scharlach.«

»Das tut mir leid.«

»Es war ein so schönes Mädchen … Aber der Herr gibt, und der Herr nimmt. Ich musste darüber hinwegkommen.«

»Und Ihr Mann ist einfach so … weg?«

»Ja, aber er ist nicht aus der Welt. Ich habe ihn einmal beim Umzug der Nazis gesehen. Geld für den Unterhalt hat der Kerl allerdings nie gezahlt. Ich bin auf ihn hereingefallen. Sei froh, dass du diese Uschi nicht mehr am Hals hast! Vergiss sie! Wenn sie nicht begriffen hat, dass sie auf einen Schatz gestoßen ist, dann hat sie dich auch nicht verdient. Du bist ein hübscher Bengel – selbst einer alten Frau wie mir gefällst du. Also weg mit den düsteren Gedanken!«

»Sie sind doch nicht alt!«, antwortete er verlegen und fühlte sich bereits ein bisschen besser.

»Ich könnte fast deine Mutter sein«, erwiderte sie.

»Aber nein, Sie sind doch jung, und alle in der Bierquelle mögen Sie!«, sagte er errötend. Seine Stimmung wurde immer besser. Es sah so aus, als wenn das, was ihm passiert war, vielen passierte. Und außerdem war es schön, mit einer richtigen Frau hier im Romanischen Café zu sitzen.

Gisela Kloppke bestellte zwei Cognac und prostete ihm zu. »Auf eine neue schöne Liebe, Johnny!«

»Auf eine neue Liebe!«, erwiderte er mit belegter Stimme. Nachdem er den Cognac getrunken hatte, fühlte er sich fast beschwingt. Es war ein warmer Sommerabend, er hörte die Menschen an den Nebentischen wispern, und mit der einbrechenden Dunkelheit hatte er nicht mehr das Gefühl, einsam und verlassen zu sein. Die Laternen gingen an und bildeten zum Kurfürstendamm hin eine gleißende Kette funkelnder Diamanten. Er hörte nebenan ein Pärchen flüstern und sah gegenüber einen jungen Mann mit einem Photoapparat hantieren.

»Nun erzähl doch mal, wie es dir heute beim großen Aschinger ergangen ist!«, sagte Gisela Kloppke und hörte nicht auf, seine Hand zu streicheln.

»Der Fritz Aschinger scheint ein guter Chef zu sein. Sie werden es nicht glauben, er hat mich heute bereits einmal gelobt!«

»Du kannst mich jetzt ruhig duzen. Wir arbeiten ja nicht mehr zusammen und sind jetzt nur noch gute Freunde.«

»Gerne. Ich fand dich ja vom ersten Augenblick an sympathisch. Und den Spitznamen verdanke ich auch dir«, fügte er verschmitzt hinzu.

»Du hast dein Glück gemacht, Johnny. Komm, ich habe zu Hause noch ein Fläschchen Sekt, und nach ein paar Gläschen hast du deinen Kummer vergessen. Es ist nicht weit, gleich bei der Spichernstraße.«

Sie wollte zahlen, aber Sebastian hatte längst gelernt, was ein Mann von Welt und Kavalier zu tun hatte, drückte ihr Portemonnaie weg und reichte dem Kellner das Geld.

»Danke, mein Bel-Ami!«, sagte Gisela Kloppke lachend. Sie hakte sich bei ihm unter, und sie gingen in schnellen Schritten zur Spichernstraße. Es waren noch immer viele Menschen unterwegs, und aus den geöffneten Türen der Lokale hörten sie die Gäste lachen und im Hintergrund die hohen Stimmen der Comedian Harmonists.

Gisela Kloppke drückte sich an ihn, und plötzlich sah er in ihr nicht mehr die Kollegin und Kaltmamsell, sondern ein attraktives weibliches Wesen. Ihre Hüfte, die sich an ihn drängte, war weich, und er sah verstohlen auf ihren großen Busen, der unter der Bluse hin und her wogte. Er empfand nun die gleiche Erregung, die ihn befiel, wenn er Uschis Haut berührte. Sie gingen die Spichernstraße hinunter und in eine Seitenstraße und kamen zu einer typischen Berliner Mietskaserne.

»Hier ist es. Nichts so Dolles wie der Ku’damm!«, kommentierte sie.

Im Flur roch es nach Kohl. Sie stiegen drei Etagen hoch. Außer Atem zog sie den Schlüssel heraus und öffnete die Tür. »Bitte achte nicht auf die Unordnung, ich habe keinen Besuch erwartet.«

»Wieso hattest du heute frei?«, fragte er, während sie die Standlichtlampe anmachte. Es war eine gemütlich eingerichtete Wohnung. Nichts Großartiges, aber sehr anheimelnd. Ein breites Sofa, ein kleines Tischchen mit zwei Stühlen und ein Vertiko.

»Ick habe mir freinehmen müssen, weil ick bei Jericht war. Der Kerl is mir noch immer den Unterhalt schuldig. Aber es wird nüscht dabei herauskommen. Er behauptet, keine Einkünfte zu haben – aber wovon lebt er dann? Ick will, det der Kerl blutet. Frauen können sehr rachsüchtig sein, Johnny!« Sie hatte, als sie sich seinen Kummer anhörte, Hochdeutsch gesprochen und fiel nun wieder in den Berliner Dialekt. Aufgeregt mit der Hand wedelnd, ging sie in die Küche und kam bald mit einer Sektflasche und zwei Gläsern zurück. »Is een Henkel. Wat Jutes! Hab ick schon ne janze Weile stehen. So, nun machen wir es uns erst einmal jemütlich. Setz dir aufs Sofa!« Sie öffnete die Flasche mit einem sanften Plopp, aber ohne etwas zu verschütten, und goss die Gläser voll. »Prösterchen, Johnny!«, sagte sie mit funkelnden Augen. Als sie getrunken hatten, füllte sie sofort nach und rückte auf dem Sofa näher an ihn heran. Er spürte ihre Schenkel an seiner Seite und die Wärme, die sie ausströmte, und trank hastig das zweite Glas leer. »Ick habe dir von Anfang an jemocht, meen Johnny«, sagte sie und nahm seine Hand und drückte sie.

»Ich mochte dich auch sofort.«

Sie rückte ihm noch näher und legte seine Hand auf ihren wogenden Busen. »Willst du gut zu mir sein, Johnny?«

Er nickte, sah sie an und schluckte. Ihre blauen Augen bettelten um Zärtlichkeit.

»Erzähl mir, was deine Freundin mit dir gemacht hat.«

»Nichts, wir haben nichts gemacht«, stammelte er.

»Hast du ihre Brüste anfassen dürfen?« Er nickte. Sie nahm seine Hand und drückte sie kräftig auf ihre Brüste. »So?« Er nickte wieder, und sie öffnete die Bluse und schob seine Hand unter ihren Büstenhalter. »Streichle mich!«, sagte sie, und er tat es. »Hat se dir auch hier anjefasst?« Sie legte ihre Hand auf seinen Hosenstall und drückte ihn.

»Ja, das hat sie gemacht.«

»Hat sie ihn herausgeholt?«

»Ja«, sagte er atemlos, und sie öffnete seine Hose und schob die Unterhose beiseite, holte ihn heraus und umfasste ihn mit ihren weichen Händen. »Hat sie es so gemacht?«

»Ja, genau so.«

»Aber das hat sie vielleicht nicht gemacht«, flüsterte sie und beugte sich zu seinem Schoß und nahm sein Glied in den Mund. Ihr Kopf hob und senkte sich, und ihm wurde fast schwarz vor Augen.

»Das ist so schön«, keuchte er.

»Aber das ist erst der Anfang, Johnny«, sagte sie. »Komm ins Schlafzimmer!«

Sie zog ihn hoch und ging mit ihm ins Schlafzimmer, streifte den Büstenhalter ab und rief: »Nun mach doch, zieh dich aus!«

Hastig knöpfte er sich das Hemd auf und legte die Hose ab. Sie zog ihn an sich, legte seinen Kopf auf ihre Brüste und ließ sich mit ihm nach hinten aufs Bett fallen. Er bedeckte ihren Busen mit Küssen, und sie streifte ihm die Unterhose ab und flüsterte ihm zu, was er machen sollte. Es war aufregend, schön und neu. Gewaltig entlud er sich, und einen Augenblick lang glaubte er, in einem Feuerball zu schweben. Er hatte das Glück, die Liebe von einer Frau kennenzulernen, die es gut mit ihm meinte, die einsam war, ihn mochte und nicht daran dachte, irgendwelche Ansprüche zu stellen.

»Du wirst einmal ein guter Liebhaber, wenn du dich daran hältst, dass auch die Frau ihre Lust haben muss«, flüsterte sie, als sie erschöpft nebeneinanderlagen.

Sebastian sah auf die Uhr. Es war bereits nach drei, und in vier Stunden musste er aufstehen. Beim Aschinger hatte er hellwach zu sein. Er erhob sich und zog sich an, Gisela machte das Licht an und sah ihm dabei zu.

»War es schön für dich?«, fragte sie.

»Sehr schön«, erwiderte er, während er in die Hose stieg und dabei ihr rosiges Fleisch betrachtete. Gern wäre er bei ihr geblieben.

»Du kannst immer zu mir kommen. Wirst du kommen?« Er nickte heftig und versprach es.

»Det sagste nur so«, erwiderte sie traurig. »Du bist so jung. Du wirst bald eine andere finden.«

»Nein, ich werde kommen. Bestimmt.«

»Ick weeß ja, dass ich nüscht Besonderes bin. Du wirst einmal een großer Herr sein. Aber vielleicht wirste dann trotzdem manchmal an deene Gisela denken.«

»Ich werde kommen«, versprach er noch einmal.

»Wann?«, fragte sie, als sie ihn an der Tür noch einmal umarmte und seine Hände auf ihre nackten Brüste legte.

»Bald.«

»Ja, komm bald!«

Er sah noch einmal in ihre bettelnden Augen und beugte sich zu ihr, gab ihr einen Kuss und stolperte hinaus. Ihren Seufzer hörte er nicht mehr. Und während er zurück zum Kurfürstendamm taumelte und daran dachte, was gerade passiert war, hörte er das Rauschen der Großstadt und ihre machtvolle Musik der Nacht, die niemals aufhörte. Nun weißt du, wie die Liebe ist, dachte er bei sich. Ausgerechnet die gute Gisela Kloppke hatte sie ihm gezeigt. Es war schön, und gewiss würde er wieder zu ihr gehen. Schade, dass sie nicht jünger war. An Uschi Venske dachte er nicht mehr, als er auf den Kurfürstendamm einbog.

Kapitel 6

»Wir fahren in den Zentralbetrieb in der Saarbrücker Straße«, sagte Fritz Aschinger ein paar Wochen später zu Sebastian, als der die Halle des Aschinger-Palais betrat. »Hier habe ich noch ein paar Direktiven, die ich gestern Abend festgelegt habe.« Er gab Sebastian im Gehen eine rote Ledermappe mit dem goldenen Aschinger-A , das jeder Berliner kannte. Mittlerweile hatte sich Sebastian daran gewöhnt, dass er jeden Morgen in dieser Mappe ein kleines Bündel von Zetteln mit Anregungen und Anweisungen fand, die er an die zuständigen Abteilungen weiterzuleiten, oft genug sogar den Abteilungsleitern persönlich zu übergeben hatte. »Sag mal, Johnny, warum ziehst du nicht zu uns in das Aschinger-Palais?«

Sie waren auf dem Weg zum Mercedes, der bereits mit Chauffeur vor dem Hause wartete. Sebastian blieb vor Überraschung stehen.

»Ich soll bei Ihnen … wohnen?«

»Ja. Platz genug haben wir weiß Gott. Du sparst die Miete für deine Wohnung oder dein Zimmer – oder was weiß ich, wie du wohnst –, und ich könnte mit dir jeden Abend den nächsten Tag vorbereiten. Ich würde eine Menge Zeit sparen.«

Sebastians Gedanken überschlugen sich. Wie konnte er, ohne Aschinger zu kränken, dieses Angebot ausschlagen? Er hatte wenig Lust, in Aschingers Haus zu wohnen. Wenn man der Sonne zu nahe kam, verbrannte man sich leicht. Er würde keine freie Minute mehr haben und dauernd unter Kontrolle des Konzernchefs stehen.

»Ich fühle mich sehr geehrt, aber …«

»Ja, ich weiß«, schnitt ihm Aschinger das Wort ab und musterte ihn durch seine Brillengläser. »Das bedeutet noch mehr Arbeit für dich. Doch was würdest du sagen, wenn du das Gehalt eines Direktors bekämst? Ich meine ohnehin, dass wir dich jetzt offiziell als meinen persönlichen Sekretär führen sollten, und natürlich ist die Position dem Rang eines Direktors gleichgesetzt.«

Sebastian hatte bereits gehört, dass ein Direktor bei Aschinger mehr als das Zehnfache seines jetzigen Gehaltes bekam, und musste schlucken. »Ich würde mich … freuen«, stotterte er.

»Nun ja, dann gilt es. Du kannst in den nächsten Tagen einziehen. Ich habe dem Majordomus bereits entsprechende Anweisungen erteilt. Du bekommst drei schöne Zimmer mit Blick auf den Kurfürstendamm.«

Sebastians Gefühle waren etwas zwiespältig. Er hatte schon erlebt, dass Aschinger recht launisch sein konnte. In der neuen Position würde er sich Fritz Aschinger mit Haut und Haaren verschreiben. Doch nachdem er sich von der Überraschung erholt hatte, gewann er der Veränderung einiges Positive ab. Er, der Bauernsohn Sebastian Lorenz, würde nun in einem der vornehmsten Häuser von Berlin wohnen.

Die letzten Wochen waren wie im Flug vergangen. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass er als rechte Hand des Konzernchefs galt, und die Belegschaft schien es auch zu akzeptieren. Er hatte sich auf Fritz Aschingers Arbeitsrhythmus eingestellt, auf den quirligen Vormittag, auf die manchmal unangenehmen Gespräche mit den Abteilungsleitern, auf Aschingers Plauderstunden. Die Vormittage waren nicht immer einfach, da er am Schluss oft unangenehme Anweisungen bekam, die Plauderstunden aber waren ein Vergnügen. Jeden Tag, während oder kurz nach dem Mittagessen im Fürstenhof, das er gemeinsam mit dem Chef einnahm, kam dieser meist auf Literatur zu sprechen, und sie diskutierten über Spengler, Remarque, Jünger und die Mann-Brüder, und oft sagte Fritz Aschinger dann zum Schluss: »Siehst du, das hat mir gefehlt: jemand, mit dem ich über gute Bücher diskutieren kann. Genau so einen Menschen habe ich in meiner Nähe gebraucht.«

Doch die angenehmste Seite seiner Tätigkeit war, dass ihn Fritz Aschinger mit in die Oper oder ins Theater nahm. Wenigstens einmal in der Woche saßen sie in der Staatsoper Unter den Linden oder sahen sich eine Max-Reinhardt-Inszenierung an, und er lernte die großen Schauspieler wie Gründgens und George kennen. Als sie über den Alexanderplatz fuhren und er die Berolina sah, erinnerte er sich, wie es mit Uschi Venske zu Ende gegangen war. Sie war am verabredeten Samstagabend erschienen, hatte ihm wie immer einen Kuss auf die Wange gegeben und sich bei ihm eingehakt.

»Du machst so ein finsteres Gesicht. Ist was?«

»Nein, nichts.«

»Na, dann sei doch friedlich!«

»Liebst du mich, Uschi?«

»Was soll die Frage? Du weißt doch, dass ich dich gern habe. Würden wir sonst jeden Samstag zusammen sein?«

»Warum nicht auch an den anderen Tagen?«

»Da hättest du keine Freude an mir. Ich bin jeden Abend fix und fertig. Steh du mal den ganzen Tag bei der Damenkonfektion herum!«

»Du könntest aufhören zu arbeiten.«

»Was soll ich? Bist du verrückt? Millionen sind arbeitslos – und ich soll meine Stelle aufgeben? Ich glaube, du spinnst!«

»Ich habe Geld genug.«

»Ach, ein kleiner Bierzapfer bei Aschinger hat plötzlich Geld wie Krupp oder ein Rolf Singer?«

»Ich bin Assistent beim großen Aschinger geworden, und vielleicht ist das erst der Anfang. Fritz Aschinger hält große Stücke auf mich.«

»Du hast ’ne Meise, mit so etwas macht man keine Scherze!«

»Es stimmt aber. Wenn ich die Probezeit überstehe, werde ich ganz offiziell sein Sekretär.«

»Wirklich?«

»Ja, wirklich.«

»Was verdienste denn?« Er sagte es ihr, und sie bekam große Augen und drängte sich enger an ihn. »So viel? Das ist ja mehr, als zwei Abteilungsleiter bei Wertheim verdienen.«

»Fritz Aschinger ist kein Knauser.«

»Dann brauche ich wirklich nicht mehr arbeiten? Du willst, dass wir … heiraten?«

»Nein«, sagte er grob, »ich wollte dir nur zeigen, was du dir vermasselt hast.«

»Wie meenste det?«, fragte sie erschrocken und blieb stehen. »Wohin gehen wir eigentlich? Wollen wir nicht ins Dixieland?«

»Hoffst du, da den Klaus wiederzusehen?«, fragte er feindselig. Er hatte es sich so vorgestellt, dass er ihr unter die Nase reiben wollte, was sie verpasst hatte, um dann einfach tschüs zu sagen und sie stehenzulassen. Und nun ließ er sich doch in eine Diskussion mit ihr ein.

»Wie kommste denn uffn Klaus?«

Sebastian hatte mittlerweile bemerkt, dass sie immer dann berlinerte, wenn sie angespannt war oder sich gehenließ. »Ich habe euch gesehen. Er hat dich vor dem Wertheim abgeholt.«

»Ach das! Wir haben uns zufällig getroffen.«

»Ach ja? Ihr habt euch geküsst.«

»Spionierst du mir etwa nach? Det is doch die Höhe!«

»Nein, ich wollte dich abholen und dir von meiner Beförderung erzählen – und da seh ich euch Arm in Arm.«

»Mit dem Klaus, det is nüscht. Nur eine alte Freundschaft, sonst nüscht. Ehrenwort!«

»Und deswegen knutscht ihr miteinander?«, höhnte er.

»Nein, ham wir nich!« Sie stampfte mit dem Fuß auf, doch ihr Gesicht zeigte nicht nur Empörung, sondern auch die Angst, dass sie einen großen Fisch an der Angel gehabt und nun verloren hatte.

»Ich habe euch zusammen gesehen.«

»Det hatte nüscht zu bedeuten, glaub mir!«

Nun sah er sie so, wie sie war: eine kleine intrigante Lügnerin mit einem hübschen Gesicht und Kussmund, mit billigen Kleidern nach der neuesten Mode, die aber trotzdem gewöhnlich an ihrem schönen Körper wirkten. Ein Flittchen, mit nichts anderem im Kopf, als sich zu amüsieren. »Leb wohl!«, sagte er und drehte sich um.

»Du bist verrückt! Du kannst mir hier doch nicht so einfach stehenlassen!«, rief sie ihm hinterher, lief ihm nach und hakte sich wieder bei ihm ein. »Sebastian, sei doch vernünftig! Ick liebe doch nur dich«, beteuerte sie.

»Und den Klaus und wer weiß wen noch.«

»Du bist ’n Schuft!«, schrie sie und ließ seinen Arm los. »Ja, ick liebe den Klaus! Det is een richtiger Mann, der weiß, wie man mit Frauen umjeht, und nicht so eine Memme und Landei. Det is noch een Kerl, und er sieht tausendmal besser aus als du und hat stets die richtigen Klamotten an. Wir sind seit Jahren ein Paar, und wenn er mir will, dann braucht er nur mit dem Finger zu schnippen. Hau ruhig ab, du Spießer! Klaus hat janz recht, dass de keinen Arsch in der Hose hast.«

»Dann wissen wir ja beide bestens über uns Bescheid«, hatte er kalt erwidert und war gegangen, Uschi heulend zurücklassend. So hatte sie geendet. Seine erste große Liebe. Davon war etwas zurückgeblieben, woran er nicht gern dachte. Von der ersten Verwundung der Liebe blieb ein vager Schmerz übrig.

Sebastian hatte sich später von Gisela Kloppke trösten lassen, aber bald danach auch diese Beziehung beendet. Nicht dass er sie weniger mochte, aber der Altersunterschied hatte für ihn doch etwas Peinliches. Er war ihr dankbar für das, was er mit ihr erlebt hatte, denn auch die Liebe will gelernt sein, aber ein Verhältnis daraus zu machen erschien ihm dann doch unpassend. Es war viel Egoismus dabei, dass er nicht mehr zu ihr ging. Doch Gisela Kloppke hatte es genau so erwartet und klammerte nicht. Sie wusste, dass er auf dem Weg nach oben war, und verstand, dass sie ihn dabei nur stören würde.

Ihr Mercedes war nun in der Saarbrücker Straße angekommen, und Sebastian tauchte aus seinen Erinnerungen auf. Der Zentralbetrieb am Prenzlauer Berg sah von weitem aus wie eine Nibelungenfestung. Mit einem riesigen Turm überragte er alle anderen Häuser. In dem trutzigen Bau schlug das Herz der Bierquellen, Bäckereien, Konditoreien und Luxushotels. Eine Fabrik, die mit neuesten Produktionsmethoden arbeitete. Es war Fritz Aschingers Angewohnheit, hier einmal in der Woche unangemeldet aufzutauchen und nach dem Rechten zu sehen. Wie sein Vater veranstaltete er sogar gern Führungen, um die Presse, wichtige Kunden oder Politiker von der Qualität der Speisen, von der Sauberkeit und technischen Raffinesse des Betriebs zu überzeugen. Die Zeitungen honorierten dies mit hymnischen Kommentaren über die Modernität des Aschinger-Konzerns, die sich wie bezahlte Werbung lasen.

Fritz Aschinger nahm Sebastian bei der Schulter und zeigte ihm stolz, dass sein Zentralbetrieb so etwas wie der »Bauch von Berlin« war. »Wenn wir doch einen Zola hätten, der könnte beschreiben, was mein Vater und mein Onkel hier geschaffen haben!«

Und Sebastian musste ihm recht geben, dass hier in der Saarbrücker Straße einer der ersten Betriebe in Deutschland war, in dem Lebensmittel auf industrielle Weise hergestellt wurden. Zuerst führte Aschinger ihn in die Großschlachterei, in der an den Fleischerhaken unzählige Schweine hingen, und sie sahen zu, wie sie aufgeschnitten und die Innereien herausgenommen wurden und dann in großen Bottichen zur Weiterverarbeitung verschwanden. Mit kleinen Wolken vor dem Mund erklärte Aschinger ihm, wie viele Würste sie produzierten.

»Wir können die Kapazität mühelos auf fünfzigtausend Bierwürste hochfahren. Merke dir, das Problem in der heutigen Zeit wird bald nicht mehr die Produktion, sondern der Absatz sein. Deswegen, mein Junge, schätze ich deine Ideen. Im Vertrieb braucht man Köpfchen. Auf die Vermarktung müssen wir uns konzentrieren, denn nur dann können wir diese Maschinerie am Laufen halten.«

Sie gingen aus dem großen Kühlraum mit den unzähligen Schweineleibern, die wie überdimensionale Frösche an den Haken hingen, in die Wursterei, wo an langen Tischen die Därme mit Fleisch prall gefüllt wurden. Aschinger zeigte ihm die riesigen Bottiche, wo die Würste mit großen Schaufeln in das kochende Wasser eintauchten. Würste wurden hier an langen Fließbändern so industriell wie Automobile hergestellt. In einer anderen Abteilung saßen fünfzig Frauen an einem langen Tisch, mit nichts anderem beschäftigt, als Kartoffeln, die vorher in einem Bad gereinigt worden waren, nun mit flinken Händen zu schälen und in riesigen Bottichen zu sammeln. Der gesamte Produktionsprozess wurde ständig von Kontrolleuren überwacht, die mit Argusaugen auf Sauberkeit und Hygiene achteten. Dann führte Aschinger Sebastian in den zweiten Stock und zu einem überdimensionalen Eierkocher, der fast tausend Eier aufnehmen konnte. »Das macht uns in Deutschland so schnell keiner nach!«, kommentierte Aschinger stolz.

Auch die riesige Fischabteilung war beeindruckend. Es roch nach Meer und Salz, aber der Geruch war nicht unangenehm.

»Unser Fisch ist frisch. Wir haben Verträge mit Fischergenossenschaften in Stralsund und in Hamburg und natürlich auch mit den Flussfischern rund um Berlin. Es wird täglich angeliefert, denn das Geheimnis einer guten Mahlzeit ist nun einmal Frische«, erklärte Aschinger und drehte dabei an seiner roten Nelke im Knopfloch.

War all dies schon beeindruckend genug, so wurde es noch von der riesigen Backhalle übertroffen, die nicht nur für die berühmten Aschinger-Brötchen sorgte, sondern in der auch Pfannkuchen sowie alle möglichen Torten und je nach Jahreszeit Apfel-, Kirsch-, Pflaumen- oder Nusskuchen gebacken wurden.

»Unsere Sachertorte kann sich mit der in Wien ohne weiteres messen!«, behauptete Aschinger. Er zeigte Sebastian außerdem die Kaffeerösterei und die Wäscherei für die Hotels, wo Hunderte von Mädchen dabei waren, die Bettwäsche zu bügeln. »Wir stellen sogar unseren Mostrich, unsere Limonade und unser Selterwasser selbst her. Wir sind in der Lebensmittelherstellung autark, nur leider bleibt bei dem ganzen Aufwand zu wenig hängen«, seufzte Aschinger. Dann führte er Sebastian zu den Lagern, riesigen Hallen mit Tausenden von Säcken voll Zucker, Rohkaffee, Schokolade, mit Weinregalen sowie Bierfässern. Sebastian musste Aschinger recht geben: Der Zentralbetrieb hier in der Saarbrücker Straße war der Bauch von Berlin. Und über all dies herrschte Fritz Aschinger.

In den verschiedenen Höfen drängten sich Lastwagen und Pferdegespanne mit der Aufschrift Aschinger AG.

»Eine ungenutzte Möglichkeit«, sagte Sebastian spontan.

»Was ist ungenutzt?«, fragte Aschinger verblüfft.

»Diese Lastwagen sind doch ständig in Berlin unterwegs. Sie sollten noch irgendeinen Appell an den Seitenflächen haben. So etwas wie ›Wer klug ist, isst gut bei Aschinger‹. Und natürlich das Aktionsangebot der Woche.«

»Hm, du hast recht. Sprich mit Harry Damrow darüber!«

»Man könnte Plakate an den Seitenwänden befestigen mit der Aufschrift ›Gänsewochen bei Aschinger‹. Die Wagen stehen überall in den Straßen herum, wenn sie die Bierquellen beliefern. So werden die Lastwagen zu unseren fahrenden Annoncen.«

»Sehr gut, so machen wir es! An dir ist wirklich ein Reklamefachmann verlorengegangen.«

Sebastian hatte von Domizlaff gelernt. Ihm war klargeworden, wie Reklame und Marken funktionierten, wie Signale zu Botschaften wurden und durch ständige Wiederkehr eine verführerische Wirkung in den Köpfen der Massen erzielen konnten. Er wusste, wie wichtig dabei der Unternehmer war, und er hatte erkannt, dass Fritz Aschinger im Gegensatz zu seinem Vater keine Führungspersönlichkeit war. Er war zu entscheidungsschwach, zu liebenswürdig, fast scheu. Er delegierte gern da, wo er selbst entscheiden sollte. Er spielte den Magnaten, oft durchaus überzeugend, aber wer ihn näher kannte, durchschaute bald seine Maskerade. Der eigentliche Chef des Unternehmens war Hermann Teichmann, den Sebastian verabscheute und der ihn doch faszinierte. Die Logik und Kälte seines Denkens, die Skrupellosigkeit und sein unbedingter Erfolgswille, dem er alles unterordnete, machten ihn zur treibenden Kraft im Konzern. Seine zynische Art trieb den anderen Direktoren, wenn sie in der Großen Lage Bericht erstatten mussten, regelmäßig den Angstschweiß auf die Stirn. Er war es auch, der Fritz Aschinger manipulierte, dessen Denken beeinflusste. Wenn Aschinger der König war, so war Teichmann sein Mephisto. Dieser Vergleich war Sebastian eingefallen, als er im Preußischen Staatstheater am Gendarmenmarkt den großen Gustaf Gründgens gesehen hatte. Es war jedoch nicht so, dass Fritz Aschinger seine Abhängigkeit von Teichmann nicht erkannt hätte, und manchmal rebellierte er sogar gegen dessen Vorstellungen, aber dies geschah selten und nicht in wesentlichen Dingen.

Sebastian wusste nun auch, warum ihn Aschinger geholt hatte. Er sollte ein Prellbock gegen die Dominanz Teichmanns sein und ihn, Aschinger, zu einer übergeordneten Instanz erhöhen. Sebastian war nun für die Terminkoordination zuständig, und Teichmann musste bei ihm anfragen, wann er Aschinger außerhalb der Großen Lage sprechen konnte. Doch dieser hatte durchaus Aschingers Absicht erkannt und behandelte Sebastian mit kalter Höflichkeit. Aber immerhin mit Höflichkeit, derer er sich nicht einmal bei den anderen Direktoren befleißigte.

»Hast du heute Abend etwas vor, Johnny?«, fragte Aschinger nach der Besichtigung des Zentralbetriebs auf der Rückfahrt zur Friedrichstraße.

»Nein, ich wollte nur die letzten Seiten von Domizlaff noch einmal durchgehen.«

»Domizlaff ? Ach ja, dieser Markenprophet. Das Buch hast du wohl von Harry Damrow?«

»Ja. Es ist eine Anleitung dafür, wie man ein Unternehmen zu einem Markenbegriff macht, der Vertrauen schafft.«

»Und was lernst du daraus für Aschinger?«

»Wir machen schon vieles richtig. Das stilisierte A , die konsequente Verwendung der blauen bayerischen Rauten, all das sind Signale, die für unsere Botschaft stehen. Die immer gleiche Einrichtung der Bierquellen, die gleiche Qualität, das überall gleiche Angebot steht für die immer gleiche Botschaft: Gut – Schnell – Preiswert. Manchmal glaube ich, dass Domizlaff die Geschäftsführung Ihres Vaters studierte, ehe er die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens schrieb.«

»Na ja, von meinem Vater allein wird er das nicht haben, denn dieser Domizlaff hat ein Gedankengebäude errichtet, das sogar erfolgreich bei Zigaretten funktioniert hat. Aber mein Vater war zweifellos ein Großer. Von ihm und von Domizlaff habe ich gelernt, dass es auf die Idee ankommt, dass man erst zu einem Begriff wird, der Vertrauen und Wünsche auslöst, wenn die Idee in allen Gliedern des Unternehmens umgesetzt wird.«

»Sie haben das Buch also auch gelesen?«

»Natürlich, aber es ist schon eine Weile her.«

»Warum fragten Sie, ob ich heute Abend etwas vorhabe, Herr Aschinger?«, nahm Sebastian den Faden des Gesprächs wieder auf.

»Ich wollte mal wieder im Wintergarten nach dem Rechten sehen. Heute Abend treten dort die Comedian Harmonists auf. Wie wäre es, wenn du mich begleitest?«

Er konnte den Vorschlag seines Chefs kaum abschlagen, und in den Wintergarten hatte er schon lange einmal gehen wollen, und so sagte er zu.

Am Abend desselben Tages stellte er sich pünktlich um acht bei Fritz Aschinger ein. Der Diener führte ihn nach einer steifen Verbeugung in die Bibliothek. Staunend stand Sebastian vor den zimmerhohen Regalen mit den Tausenden von kostbar eingebundenen Büchern, die nach Romanen, Politik, Wirtschaft, Geographie und Technik geordnet waren. Er nahm sich The Sun Also Rises von Ernest Hemingway heraus, das Buch der génération perdue , die das Stahlgewitter, wie Ernst Jünger es nannte, überlebt hatte. Er war froh, dass er dieser Generation nicht angehörte. Gerade hatte er mit dem Buch in dem Chesterfield-Sessel Platz genommen und ein paar Zeilen gelesen, als Viktor, der Majordomus, eintrat. Ein eleganter schmaler Mann mit einem zierlichen Kopf und grauen Schläfen, den Sebastian stets nur im Frack gesehen hatte. Nach einer höflichen Verbeugung sagte Viktor mit einem unverbindlichen, distanzierten Lächeln: »Herr Aschinger hat mich darüber informiert, dass Sie bei uns Quartier nehmen werden. Darf ich Ihnen Ihre Zimmer zeigen? Sie sind frisch renoviert und in dem Zustand, den Sie erwarten können.«

»Ich werde am Sonntag einziehen, da habe ich meinen freien Tag.«

»Wie Sie wünschen. Aber selbstverständlich darf dadurch kein Lärm entstehen.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Sebastian und konnte sich einen ironischen Unterton nicht verkneifen.

»Wir können uns gleich, bis Herr Aschinger so weit ist, die Zimmer ansehen. Sie werden kaum viel mitbringen müssen.« Er ging voran in die Halle und über die große Wendeltreppe bis in den vierten Stock hoch. »Wir hätten auch den Fahrstuhl nehmen können«, sagte Viktor. »Aber ich will Ihnen die Anlage des Hauses zeigen. Wir haben fünf Etagen. Im Keller befinden sich die Küche und die Vorratsräume. Im Parterre ist ein kleiner Empfangsraum sowie ein Bankettsaal, die Bibliothek und das Billardzimmer. Im ersten Stock sind der große Esssalon sowie ein kleineres, intimes Wohnzimmer und zwei Salons, die später einmal das Reich der Hausherrin sein werden. Der ganze dritte Stock wird von Herrn Aschinger bewohnt. Hier im vierten Stock sind meine und auch Ihre Zimmer. Im fünften Stock wohnen der Hausdiener, die beiden Köchinnen sowie ein Zimmermädchen und der Chauffeur. Die Garagen befinden sich hinter dem Haus in dem großen Garten, den Sie und ich in unserer Freizeit nutzen dürfen. Dem übrigen Personal ist dies natürlich nicht erlaubt.«

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23 aralık 2023
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9783955521844
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