Kitabı oku: «Der Parzival Wolframs von Eschenbach», sayfa 7

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Pietà – der Logos der Seele

An der Gestalt Sigunes kann uns nicht nur die eigentümliche Bewusstseinsverfassung Parzivals als Gralssucher deutlich werden, sondern auch die Erkenntnisproblematik des neuzeitlichen Menschen. Es gehört zu den Merkmalen der modernen Seelenkonfiguration, die Rudolf Steiner als «Bewusstseinsseele» bezeichnet, dass die traditionellen Quellen, aus denen der Mensch dank seiner geistigen Herkunft bislang noch schöpfen konnte, versiegen. Sigunes Verschwinden weist uns auf den schrittweisen Verlust alter Geisteskräfte, die uns biografisch noch eine Zeit lang begleiten können, sofern sie in einer geistgemäßen Erziehung gepflegt werden, die uns aber in dem Maße verlassen, in dem wir die Verantwortung für unsere Entwicklung selbst übernehmen. Zwischen dem «nicht mehr» und dem «noch nicht» aber lebt der moderne Mensch wie in einem Niemandsland.

Dass die Gestalt Sigunes, trotz aller Intimität und persönlichen Nähe, über das Einzelschicksal Parzivals hinausweist, kann in der dritten Begegnung besonders nachempfunden werden. Es ist ja Karfreitag. Während Sigune bisher stets als Gewissensstimme und Wegweiser den individuellen Lebensweg Parzivals begleitet hat, offenbart sie sich dem österlich geweiteten Blick darüber hinaus als Weltgewissen, das den Menschen auf die Spur bringt zu verstehen, warum er im Zustand des Zweifels und der Geistleere lebt und der Gral sich ihm entzieht. Denn jenes Bild der Jungfrau mit dem toten Geliebten trägt unverkennbar die Züge jener trauernden Frömmigkeit, die an das Mysterium von Golgatha erinnert, an den, der «in deinem und meinem Namen» den Opfertod erlitten hat, an den auf der Schädelstätte geopferten Weltenlogos.

Die Imagination der Pietà tauchte im hohen Mittelalter aus den Seelentiefen der Menschen auf und nahm nicht nur in der Kunst, sondern auch im philosophischen und theologischen Denken vielfältige Gestalt an. Sie verbreitete sich mit fortschreitender Verstandesentwicklung, und nicht zufällig waren es gerade die Dominikaner, bei denen die «imago pietatis» lebendig war, kreiste doch ihr Bemühen besonders um die Erschließung der christlichen Substanz im menschlichen Denken. Als Andachts- und Vesperbild wurde sie seit dem 13. Jahrhundert zu einem zentralen Motiv in der bildenden Kunst, zunächst im deutschsprachigen Raum, um schließlich in Italien, an der Schwelle zur Neuzeit, zur höchsten Meisterschaft entwickelt zu werden: in der Kunst Michelangelos. So bietet es sich an, wenn man das Thema der Sigune-Handlung anschaulich erarbeiten will, dies mit einer Betrachtung der Pietà im Schaffen Michelangelos zu verbinden, wo dieses Motiv eine zentrale Bedeutung einnimmt. Wir werden an späterer Stelle ausführlich darauf zurückkommen.19

Was sich so als ein Schicksalsmotiv in der Entwicklung Parzivals verdichtet, können wir hier mit Einsichten aus der anthroposophischen Geistesforschung noch vertiefen. Dass der Mensch sich der Welt bewusst gegenüberstellen und sie sich dienstbar machen kann, verdankt er der Tatsache, dass die lebendige Kraft des Logos in seiner Seele erstorben ist und in der Form abstrakter Begrifflichkeit seiner subjektiven Willenstätigkeit verfügbar wurde. Der Preis für die Entwicklung zur freien Individualität ist der Tod des göttlichen Wortes in der Seele. Indem der Mensch in die Welt tritt und sich den Dingen zielstrebig urteilend gegenüberstellt, wird er schon schuldig am lebendigen Weltwesen. Damit aber die Seele nicht in geistiger Isolation dem Tod überlassen werde, ist in Jesus Christus der Logos selbst individueller Mensch geworden und «in deinem und meinem Namen» in den Opfertod gegangen. Dass die Verbindung zur geistigen Welt auch im Individuum nicht abreißt, verdankt der Mensch der in die Erdenaura eingegangenen Erlösungstat von Tod und Auferstehung. Die Empfindung für dieses umfassende kosmische Ereignis ist Folge einer höheren Gewissensbildung, die sich in der nächtlichen Begegnung mit dem Christuswesen vollzieht. Rudolf Steiner hat des Öfteren auf den «Zusammenhang des Gewissens mit der größten Erscheinung in der Menschheitsentwickelung, mit dem Christus-Ereignis»20 hingewiesen. «Wie ein Schatten folgt das Gewissen dem Christus-Impuls, wie er eintritt in die weltgeschichtliche Entwickelung.»21

In der Imagination der Pietà begegnet das menschliche Gewissen sich selbst. Durch Andacht kann die Seele einen bewussten Bezug zum Christus-Geist herstellen, wenn sie aus individuellen Kräften den Logos dieses Bildes – hier: den Sinn der Sigune-Imagination – zum Erleben verdichtet. Das ist die Spur, die zum Gral führt. «Wenn wir uns … durch das Gewissen sozusagen Wahrheiten sagen lassen, die nicht aus der Sinneswelt kommen – wenn es möglich ist, so in fremde Wesenheiten einzudringen und uns Wahrheiten in die Seele hereinsprechen zu lassen nach jenem Muster, wie das Gewissen spricht, dann ist eine Aussicht vorhanden, in eine andere Welt als diejenige, die uns für unser Wachbewusstsein vom Aufwachen bis zum Einschlafen gegeben ist, einzudringen.»22

In dem Bild, das Parzival in stufenweiser geistiger Vertiefung erscheint, ertönt jene Stimme, die dem Menschen als Geistverbundenheit, als Überrest geistiger Inspiration verblieben ist. «Jedes Einschlafen ist eine Fragestellung, eine unbewusste Fragestellung an die geistige Welt, jedes Aufwachen ist ein unbewusstes Antwortgeben aus der geistigen Welt. Wir stehen fortwährend gewissermaßen mit unserem Unterbewusstsein mit der geistigen Welt in einer Korrespondenz, indem wir aus dieser geistigen Welt heraus uns die Antworten darüber holen, wie wir innerlich als Mensch eigentlich sind … Sie tragen das, was die geistige Welt an Ihnen gestaltet, herein in Ihr physisches und Ihr ätherisches Dasein. Damit tragen Sie die Stimme des Gewissens herein. Im wachen Leben verwandelt sich das, was man als Antwort bekommt in Gestaltung und Tingierung, in die Stimme des Gewissens.»23 Und wie das Gewissen in der menschlichen Seele sich zu der dumpf empfundenen «inneren Stimme» entwickelt hat, so wird es sich einmal in einen wachen Dialog mit der geistigen Welt verwandeln. «Das Gewissen ist durchaus noch ein Vermächtnis der geistigen Welt. Nur allmählich, indem wir die Welt wieder verstehen lernen, indem wir sie wieder geistig zu fassen wissen, wird sich uns eine Summe von Moralprinzipien ergeben, die sich beleuchtend verhalten werden zu dem, was wie eine instinktive Moral aus unserem Gewissen kommt. Eine immer leuchtendere Moral wird auftreten – wenn die Menschheit sie sucht, selbstverständlich …»24

Es entspricht deshalb der Logik der Bilder, wenn Parzival bei der vierten Begegnung Sigune nur noch tot vorfindet, wie zum Gebet in die Knie gesunken.25 Parzival lässt den Stein des Sarges aufheben und Sigune zu dem unverwesten Leib Schionatulanders legen. Während ihm so das Bild entschwindet, das ihn auf seinem bisherigen Entwicklungsweg begleitete, hat sich ihm die Gebärde Sigunes verwandelt. Nicht mehr die leidende und trauernde Seele, die den Tod trägt, steht ihm vor Augen, sondern die Gralsträgerin, der Inbegriff der Freude, Repanse de Schoye.26

Der Rote Ritter
Ein eigennütziger Fischer

Kehren wir zurück zu der ersten Begegnung mit Sigune, nachdem der Knabe mit seinen anfänglichen Schritten in die Welt sein erstes Unheil angerichtet hat. Parzival ist zunächst weit entfernt davon, sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein, und auch der «in seinem Namen» getötete Ritter in den Armen der Jungfrau hält ihn nicht etwa zur Selbstbesinnung an, sondern befeuert seinen stürmischen Tatendrang noch zusätzlich. Es drängt ihn nach Rache: «‹Wenn ich das rächen kann, so will ich es gern vollbringen.› Da zog es ihn unversehens in den Kampf (dô was im gein dem strîte gâch).» Sigune weist ihm aber einen falschen Weg. Das Schicksal meint es gut mit ihm; in seinem blinden Kampfeseifer wäre er sonst ins sichere Verderben gelaufen.

Parzival reitet nun den ganzen Tag auf seinem Klepper und in Narrenkleidung, artig jeden grüßend, der ihm begegnet, stets mit der Erklärung, dies habe ihm seine Mutter geraten. So kommt er am Abend müde und hungrig zum Haus eines Fischers. Von dem erwartet er nicht nur, dass er ihn zur Nacht beherbergt, sondern auch, dass er ihm den Weg zum Artushof zeigt. Die Szene weist hiermit auf die Zukunft, nämlich auf den Ritt zur Gralsburg, auf dem er auch am späten Abend von einem Fischer, der ihn dann beherbergt, den Weg gewiesen bekommt. Sie ruft uns aber auch den Vortag in Erinnerung, an dem er den «Rat» der Mutter treu befolgte und einen ganzen Tag am Flussufer entlangritt, um das dunkle Wasser zu meiden, bis er eine «helle Furt» fand. Der Fischer holt ja seinen Fang aus unergründlichen Tiefen, allerdings lässt Wolfram keinen Zweifel daran, aus welchen dunklen Untiefen der Fischer schöpft, der Parzival den Weg zum Artushof zeigen soll: aus egoistischen Instinkten. Er ist böse (ein arger wirt), an ihm ist kein gutes Haar. Allein der Hunger zwingt Parzival zur Einkehr. Aber der Wirt ist hart: «‹Ich gäbe Euch nicht ein halbes Brot, auch nicht nach dreißig Jahren.›» Und dann offenbart er ihm die inneren Triebkräfte seines Handelns: «‹Ich sorge mich um niemanden als um mich selbst, danach um meine Kinder.›» Da zeigt sich unverhüllt die Habgier, die sich in den Blutsbindungen zum Familienegoismus weitet. Sie lebt auf Kosten anderer. «‹Ihr kommt mir heute nicht hier herein. Hättet Ihr Geld oder ein Pfand, dann wäre ich bereit Euch aufzunehmen.›» Wie verschafft sich Parzival nun Zugang zu dieser Gesellschaft, womit befriedigt er die Bedürfnisse des Fischers? Mit der Spange, der Beute seines Raubes an Jeschute, mit dem er eine menschliche Beziehung, genau genommen eine familiäre Bindung, zerstört hat. «Als der Dörfler das sah, da lachte sein Mund …» – durch dieses «Wunder» also kommt Parzival in die Gesellschaft des Königs Artus: «‹ich pringe dich durch wunder für des künges tavelrunder.›» Das ist, wie man unschwer erkennt, wahrlich keine «lautere Furt».

Der Fischer kann Parzival allerdings nicht direkt zu Artus bringen, sondern muss ihn in gebührendem Abstand vor den Toren von Nantes absetzen, denn die «Gesellschaft bei Hof ist von solcher Art», dass ein «gemeiner Bauer» ihr nicht nahekommen darf. Die eigentliche Beziehung zur Tafelrunde wird durch eine andere Gestalt hergestellt, die der Knabe allein vor der Stadt antrifft: den «Roten Ritter». Wie sich später herausstellen wird, ist er ein naher Verwandter Parzivals, der Schwager seines Vaters Gachmuret nämlich. Ither von Gahavies, König von Kukumerland, hat der Tafelrunde den Fehdehandschuh hingeworfen und fordert sie zum Kampf heraus, weil er das Erbe seines Vetters Artus beansprucht. Parzival gerät also sofort mitten in eine Familienfehde, ohne seine eigene blutsmäßige Verknüpfung damit zu erahnen. In der nun folgenden Szene übernimmt er eine merkwürdige, alles andere als ehrenwerte Doppelrolle, die er ganz für seine eigenen habgierigen Wünsche ausnutzt. Zunächst bietet er sich Ither als Bote an, vor der Tafelrunde aber dreht er den Auftrag so, dass er mit Billigung von König Artus dessen Interessen gegenüber Ither vertreten darf – letztlich allein, um dessen glänzende Rüstung zu erstreiten.

Das Lachen Kunnewares

Man empfängt Parzival in der Gesellschaft der Tafelrunde wie einen hohen Gast, da «Gott ihn als Bild der Vollkommenheit erdacht (an dem got wunsches het erdâht)»1 und ihm «niemand Feind» sein kann. Immer wieder erlebt Parzival, wie man ihm größtes Wohlwollen entgegenbringt, ja sogar Achtung und Verehrung. Dies ist vor allem ein Geschenk, das ihm aus der Vergangenheit zufließt, sein Erbe, seine «hohe Art», wie es Gurnemanz später bezeichnen wird. Aber es gibt auch jemanden am Artushof, der einen tieferen Blick für das Innere, für den individuellen Wesenskern und das besondere Schicksal dieses Knaben hat: die «stolze und schöne» Frau Kunneware («dâ saz frou Cunnewâre diu fiere und diu clâre»).2 Diese eigenwillige und selbstbewusste Dame hat beschlossen, niemals zu lachen, bis zu dem Augenblick, da sie den zu Gesicht bekomme, der «den höchsten Ruhm (den hôhsten prîs) auf Erden hätte oder erwerben sollte». Und mit ihr innigst seelisch verbunden ist noch eine weitere, ebenso merkwürdige wie rätselhafte Person: der schweigsame Antanor, der sein Sprechen an dieselbe Bedingung geknüpft hat: «ern wolde nimmer wort gesagn», er wollte niemals mehr ein Wort sagen, bis sie, die ernste Kunneware, lachen werde. Wie kann man das verstehen?

Machen wir uns die Situation, in die Parzival hier geraten ist, noch etwas genauer klar. Artus und die Tafelrunde, der Inbegriff der ritterlichen Tugend- und Minnewelt, liegen in bitterbösem Streit mit dem Roten Ritter um die Herrschaft über das Erbland. Die Kluft ist tief, so tief, dass Artus sie nicht überbrücken kann – er ist im Grunde ratlos. Der Rote Ritter sollte eigentlich einen Ehrenplatz an der Tafelrunde einnehmen; wie wir aus der späteren Totenklage entnehmen können, gebührt ihm der höchste Ruhm. Stattdessen zerstört er deren Frieden – ein anscheinend unlösbarer Konflikt! Deshalb kann auch der berechnende und gewalttätige Keye mit seinen Einflüsterungen bei Artus landen: Dass es ihm gelingt, Artus dazu zu bewegen, den naiven Knaben auf Ither loszulassen, ist Ausdruck äußerster Hilflosigkeit der Tafelrunde. «Artus’ Einwilligung zu diesem unwürdigen Spiel wirft einen düsteren Schatten auf das Bild des Königs.»3 Keye wird so aber auch zum unfreiwilligen Helfer für Parzivals Schicksal, der sich nun an die «Konfliktlösung» macht, die eigentlich von der Tafelrunde gefunden werden müsste.

Wenn Bumke in seiner Kritik an Artus fortfährt, der Schatten, der hier auf Artus fällt, helle sich «erst am Ende der Dichtung auf, wenn Artus zum großen Friedensstifter wird», so ist das nur die halbe Wahrheit. Artus kann, wie wir noch sehen werden, erst wieder zum Friedensstifter werden, nachdem Gawan die Klinschor-Macht überwunden und ganz neue soziale Fähigkeiten entwickelt hat. Und dies wiederum wird nur möglich, weil er sich – in innerer Verbundenheit mit Parzival – der Gralssuche verpflichtet hat. Ohne die geistige Kraft des Grals, so darf man deshalb behaupten, ist Friede nicht mehr zu verwirklichen, sind die Konflikte, die aus den Forderungen des Blutes, aus den «Erbschaftsansprüchen» der Verwandten entstehen, nicht mehr zu lösen. Hier klingt die Thematik des Nibelungenliedes an, doch wird die ritterliche Gesellschaft nicht im Blut ertrinken, wie es dort der Fall ist, sondern was sich im Nibelungenlied nur wie ein ferner Lichtstreif am Horizont andeutet, wird in der Welt Parzivals und Gawans zur Lebensgestaltungskraft verdichtet. Daraus erklärt sich nicht nur das Lachen Kunnewares und das Sprechen Antanors, sondern auch die wunderliche Tatsache, dass Artus sich völlig seiner königlichen und ritterlichen Macht begibt und Parzival bedingungslos gewähren lässt.

Parzival «löst» den gordischen Knoten mit einem Gewaltstreich, indem er Ither erschlägt. Er hat dadurch Artus vor der großen Schande bewahrt, einen Erbfolgekrieg führen zu müssen, und die Tafelrunde enthält sich in ihrer Trauer um den edlen König von Kukumerland wohl auch deshalb jeder Schuldzuweisung. Dass Kunneware bis zu Parzivals Ankunft nicht lachte und Antanor sprachlos war, weist uns auf die schwere Not der Tafelrunde hin – und die Hoffnung, es werde einer kommen sie zu erlösen. «Kunneware» sieht in Parzivals Inneres und nimmt die «Kunde» von der großen Zukunft «wahr», die dem Knaben vom Schicksal zugedacht ist – «kunnen» bedeutet «kennenlernen» und «verstehen», «wâr» heißt «wahrhaft», «ware» die «Wahrnehmung» – Wortspiele bieten sich zahlreiche an. Ihr Lachen ist intuitiv, folgt unmittelbar auf die Wahrnehmung der erlösenden Kraft, die von dem Knaben ausgeht. Der aber hat sich mit diesem Mord eine schwere Schuld aufgeladen. Er will sich das Rittersein, das ihm in der Kindheit vorenthalten worden ist, ertrotzen, aber er zahlt dafür einen hohen Preis.

Die ganze Szene wird nun dadurch noch besonders vielschichtig, dass man das Auftreten Parzivals durchaus auch als belustigend im äußeren Sinne empfinden kann – zunächst wenigstens. Das Lachen Kunnewares ist hingegen Ausdruck tiefster geistiger Freude und steht im Kontrast zu dem Gelächter über den naiven Knaben und zu der herabsetzenden Schadenfreude Keyes. Aus dieser herzlichen, wahrhaftigen Freude Kunnewares wird in Antanor wieder das Wort geboren, das Menschen verbindende, vermittelnde, Frieden stiftende Wort. So verstehen wir auch Keyes Gereiztheit. Er bemerkt, dass da etwas vor sich geht, das er nicht begreift, ja dass er gerade zum Handlanger weisheitsvoller Schicksalskräfte geworden ist, die er nicht durchschaut. Er spürt den Weltenhumor, der in dieser Szene lacht – und in seiner Hilflosigkeit wird er gewalttätig. Es ist ja auffallend, dass die ganze ehrenvolle Tafelrunde nicht eingreift, als Keye die wehrlose Kunneware und den stummen Antanor scheinbar grundlos verprügelt. Man scheint es gar nicht wahrzunehmen – die Gesetze der Tafelrunde sind offenbar nicht in Kraft. Nur einer spürt, was hier vorgeht: Parzival. Das Erlebnis prägt sich tief in seine Seele ein. Das grundlose Wüten der Gewalt erlebt er hier zum ersten Mal als zutiefst ungerecht, und bei seinem nächsten Zusammentreffen mit der Tafelrunde wird er – anstelle von Artus – Keye für die unritterliche Schurkerei bestrafen.

Kunneware aber, auch das sei hier schon vorweggenommen, wird in Parzivals späterem Ritterleben eine ganz besondere Rolle spielen: Sie wird eine Art «Friedensmission» übernehmen. Ihr wird er alle jene schicken, die er im Kampf besiegt hat und die ihm «Sicherheit geboten» haben. Sie wird zum Inbegriff der Friedfertigkeit und erhält damit eine große soziale Aufgabe am Artushof: Sie besänftigt und integriert die ehemaligen Feinde, wobei sie eine Atmosphäre des Friedens schafft. Wer zu ihr kommt, ist wie verwandelt, selbst die ärgsten Feinde Parzivals oder der Tafelrunde werden bei ihr friedlich und umgänglich. Dass Kunneware zugleich die Schwester von Orilus und Lähelin, der Erzfeinde der Grals- und Artussippe, ist, kann uns nicht nur ein Bild dafür sein, wie nahe Krieg und Frieden benachbart sind – es deutet auch auf die soziale Wandlungsmacht der Seele, die sich – über alle Blutsbindungen hinweg – liebevoll in den Dienst des Friedens stellt.

Die Bluttat

Wenn wir den Schicksalsfäden von der Zukunft her folgen, klärt sich ein merkwürdiger Widerspruch im Verhalten Parzivals. Einerseits hat der Knabe offenbar so viel Bewusstsein, dass er von der Brutalität der Szene zwischen Keye und Kunneware abgestoßen wird und sich darüber empört, andererseits hat er aber noch so wenig Unrechtsempfinden, dass er sich anmaßt, von Ither in unverschämtem Ton die Rüstung zu verlangen und dessen ganze Ritterlichkeit damit infrage zu stellen – bis zum bedenkenlosen Mord. Anscheinend spricht die Prügel gegen eine wehrlose Frau für sein Herz eine deutliche Sprache, sicherlich dank seiner mütterlich geprägten und liebevollen Erziehung. Die Sprache der Gewalt hingegen ist es, die Ither gegen die Tafelrunde ins Feld führt, und die Empörung über die Züchtigung wird wohl den seelischen Boden für den Wutausbruch gegen den Roten Ritter bereitet haben.

Die instinktive Brutalität und spontane Zielstrebigkeit, mit der Parzival vorgeht, ist aus der Psyche eines jähzornigen Knaben dennoch schwerlich zu erklären. Die Frage nach den eigentlichen Triebkräften seines Handelns kann uns indessen auf einen tieferen geistigen Zusammenhang aufmerksam machen. Denn zieht man die intuitive Verbundenheit Kunnewares mit dem Schicksal Parzivals von der Zukunft her, aus der Perspektive des Gralskönigtums, in Betracht, kann man sagen: Gerade in der Verwandlung und Überwindung jener Kräfte des Rittertums, die Ither repräsentiert, besteht der «hôhste prîs», dem die friedliebende Kunneware ihr Lachen schenkt. Es berührt Parzival in seinem tiefsten Wesenskern, dass sie für ihren hellsichtigen Blick brutal misshandelt wird, und bestärkt in ihm die gegen den Roten Ritter gerichtete Entschlossenheit, wenn ihm das auch nicht bewusst ist.

Der edle Ritter ist immerhin darum bemüht, den kecken Knaben nicht unnötig zu verletzen, indem er ihn mit dem stumpfen Ende des Speeres zu Boden schickt. Dennoch zögert Parzival keine Sekunde, ihn zu töten, und stößt ihm sein Gabilot, seinen Sauspieß, ins Visier. Will man das als Jähzorn erklären, dann müsste der Knabe wenigstens beim Anblick des Toten einen Ansatz von Reue und Mitleid zeigen. Schließlich hat er ja auch die erlegten Vögel beweint. Aber nichts dergleichen geschieht, im Gegenteil. Die vergnügliche Selbstzufriedenheit, mit der er dem starren Körper die schwere Rüstung auszieht, die kecken Bemerkungen über den Ermordeten, dazu noch die Unterstützung durch den Artus-Knappen und die Billigung durch Artus selbst lassen die ganze Szene zum makabren Schauspiel werden, wenn wir sie nur äußerlich als Raub und Leichenfledderei ansehen.

Genau genommen war aber die Gestalt des Roten Ritters schon von Anfang an nicht im gewöhnlichen Sinne realistisch. Allein die Darstellung seiner sinnlichen Erscheinung erhebt den König von Kukumerland zur Symbolgestalt. Seine Rüstung ist rot, das Pferd ist rot, Kleidung und Waffen sind rot, und das Haar ist natürlich auch rot. Selbst der geraubte Becher glänzt rot, und rot ist schließlich die Farbe des Blutes, das in der Streitszene reichlich fließt.

Die Farbe Rot vereinigt in ihrem Symbolgehalt wie in ihren Empfindungsqualitäten die widersprüchlichsten Aspekte. Das rote Feuer etwa ist Bild der Zerstörung und des Untergangs, zugleich aber auch der prometheischen Schöpferkraft und damit der menschlichen Individualität, wie es uns in den pfingstlichen Feuerzungen veranschaulicht wird. Wir können in Hass entbrennen oder in Begeisterung erglühen. Rot kann aggressiv wirken, es kann aber auch die Seele wärmen. Besonders aber ist das Rot die Farbe des Blutes, in dem sowohl die niedersten Triebe und Begierden brodeln als auch die Tatkraft der menschlichen Individualität pulsiert. Damit kennzeichnet es sich als Farbe der Wandlung. In der Meditation des Rosenkreuzes etwa, wie sie Rudolf Steiner darstellt, wird diese Wandlung zum Thema und geistigen Vollzug.

Indem Parzival die Rüstung des toten Ither anlegt, kündigt sich ein Wandel von großer Tragweite an. Er wird damit nicht irgendein Ritter, sondern der Rote Ritter. In den folgenden Aventüren, auch in den Abenteuern Gawans, taucht nun immer wieder das Bild des Roten Ritters auf, als glühendes Emblem eines großen menschheitlichen Themas: als Symbol der Wandlung und der freien Suche nach dem Gral. Die alten, sippengebundenen Blutskräfte werden durch das Feuer der menschlichen Individualität verwandelt – in der Begeisterung, die aus der Liebe zum Gral erwächst.

Der Verlust des leiblichen Vaters und der frühe Tod der Mutter kennzeichnen einen Schicksalsweg, der die blutsgebundenen Kräfte des Menschen zu übersteigen sich anschickt. Da ist es kein Zufall, dass Parzivals Ritterschaft durch einen Verwandtenmord eingeleitet wird. Individuelle Tat und Schuld sind untrennbar miteinander verknüpft, wie es uns am Bild des Schwertes deutlich werden kann, das Parzival nun an sich nimmt. Es wird uns später wieder begegnen, wenn er mit ihm, und nicht etwa mit dem Gralsschwert, gegen seinen Halbbruder Feirefiz kämpft. Trevrizent wird ihn vorher darüber aufklären, dass er in Ither einen Verwandten getötet hat, und er wird es in einen Zusammenhang stellen: Das Blut, das beim Brudermord von Kain und Abel zur Erde rann, wird durch das Blut, das im Kreuzestod Christi sich mit der Erde vereinte, verwandelt. Wie der Brudermord mit dem Ereignis von Golgatha, so ist – wie noch genauer zu zeigen ist – der Verwandtenmord Parzivals mit jener Szene verknüpft, in der Parzival seinem Blutsbruder begegnen wird – und das Schwert des Roten Ritters zerbricht. –

Als Parzival mit der erbeuteten Rüstung davonreitet, ist er nicht nur ohne jedes Schuldgefühl, er ist sogar äußerst zufrieden mit sich: «‹Lieber Freund›», so sagt er zu dem Knappen Iwanet, «‹ich habe hier erworben, worum ich bat.›» Dieser solle Artus seinen Dank ausrichten. Und im selben Atemzug beklagt er sich, dass seine Ehre verletzt worden sei, weil eine Dame seinetwegen verprügelt wurde. Auch im folgenden Wehklagen der Artusritterschaft über den Tod des Roten Ritters hat man den Eindruck, dass die Tat Parzivals überhaupt nicht moralisch gewertet wird. Die Königin Ginover selbst spricht die Totenklage. In ihren Worten hebt sie noch einmal die Einzigartigkeit und Bedeutung des Toten hervor, ohne dabei aber den anzuklagen, der in seine Rolle geschlüpft ist.4 «‹Weh, ach o weh! Artus’ Würde muss zerbrechen an diesem Ungeheuerlichen (Artûss werdekeit enzwei sol brechen noch diz wunder)! Dass der, dem der höchste Ruhm der Tafelrunde gebührt hätte, nun vor Nantes erschlagen liegt. Sein Erbteil hat er gefordert, Sterben hat man ihm gegeben.›» Und sie endet ihre Klage mit den rätselhaften Worten: «‹dir was doch wol sô rôt dîn hâr, daz dîn bluot die bluomen clâr niht rœter dorfte machen. du swendest wîplich lachen.›» – Man hat diese schönen, aber dunklen Verse mit den unterschiedlichsten Übersetzungen aufzuhellen versucht. Etwa wörtlich könnte man lesen: «‹Dir war doch wohl so rot dein Haar, dass dein Blut die reinen Blumen nicht röter machen durfte. Du machst weibliches Lachen zunichte.›» Zweimal rot: man könnte das «rote Haar» hier als Tatendrang und Lebensfeuer verstehen, als blühendes Leben, zu dem der Tod, das die Blumen rötende Blut, im scharfen Kontrast und Gegensatz steht. Die Blumen in ihrer Reinheit und Schönheit werden durch das aus triebhafter Habgier vergossene Blut verdorben. Verständnislos, so scheint es, steht Ginover diesem scheinbar sinnlosen Schicksal gegenüber. Auffallend ist im Ausklang ihrer Klage der Verweis auf das Verschwinden des «weiblichen Lachens» angesichts des Toten. Ergänzen wir dieses Bild durch die lachende Kunneware, wird die Trauer in Hoffnung verwandelt und eine Brücke in die Zukunft geschlagen. Ein Wunder, tatsächlich, ist geschehen: die Verwandlung des Roten Ritters vom toten König von Kukumerland, der um seine Erbschaft stritt, in den tatendurstigen Jüngling Parzival, den Spross aus der Vereinigung der Grals- und Artussippe, der aus ureigenster innerer Kraft den Weg zum Gral gehen wird.

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