Kitabı oku: «Der Parzival Wolframs von Eschenbach», sayfa 8

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Gurnemanz
Der väterliche Lehrmeister

Wieder reitet Parzival einen ganzen Tag lang. Warum beeilt er sich, eine solche Distanz zwischen sich und den Artushof zu bringen, war er dort nicht schon am Ziel seiner Wünsche angelangt? Versucht er jetzt, den Schauplatz des Verwandtenmordes so schnell und so weit wie möglich hinter sich zu lassen? Über konkrete Pläne und Ziele erfahren wir jedenfalls nichts. Es drängt ihn nach Abenteuern, vor allem aber will er ein guter Ritter sein. So reitet er einfach los und überlässt die Führung seinem neuen Ritterpferd.

Die Rüstung des Roten Ritters ist schwer, darunter trägt er immer noch die Narrenkleider, die ihm seine Mutter gefertigt hat. Dass er dennoch äußerlich eine «ritterliche» Erscheinung darstellt, wie sie «kein Maler von Köln oder Maastricht»1 besser entwerfen könnte, liegt nicht nur an seiner ritterlichen Abstammung, vielleicht mehr noch an den besonderen Fähigkeiten und der unbändigen Kraft, die das Pferd Ithers besitzt. Er kann diese Kraft kaum zügeln, selbst wenn er es wollte, und ohne bewusste Lenkung lässt er es scheinbar ziellos dahingaloppieren. So legt «der tumbe man» in voller Rüstung an diesem Tag eine Strecke zurück, die hätte ein «Klügerer ohne Rüstung in zwei Tagen» unmöglich schaffen können.

Die Beziehung des Reiters zu seinem Pferd, etwa inwieweit er ihm die Führung überlässt oder ihm seinen Willen aufzwingt, hat bei Wolfram stets eine bestimmte Funktion in einem umfassenden, auch kosmischen Sinnzusammenhang. Indem der Ritter sich – gewissermaßen beruflich – auf das Pferd setzt, verbindet er sich mit stärkeren Naturkräften, die nun aber nicht blind wirken müssen, sondern durch die instinkthafte Intelligenz des Tieres zugleich im Dienst einer höheren Weisheit, einer Schicksalsführung, stehen können – und damit Wege einschlagen, die der menschlichen Ratio allein verborgen blieben. Das Pferd bietet dem Reiter die Möglichkeit zu einer Steigerung seiner eigenen Kräfte, um «einer Berufung … in ein über das Reitersein hinausgehendes Rittertum vor Gott und der Welt zu folgen».2 So kann «Parzival dem Weg seiner höheren Bestimmung» folgen. «Durch ungebahnte Wildnis ohne Irren über Fernen trägt es ihn von Welt zu Welt und lässt ihn daran wachsen.»3

Nach anstrengendem Ritt erreicht Parzival am Abend eine Burg, deren zahlreiche Türme aus dem Wald hervorzuwachsen scheinen, als seien sie ausgesät. «Das Pferd und auch die Straße trugen ihn dorthin, wo er den sitzen fand, dem die Burg und auch das Land gehörten.» An solchen Wendungen wird deutlich, dass Parzival die Dinge mit sich geschehen lässt. Das Pferd des Erschlagenen, der ja alle Tugenden des Rittertums in sich vereinigte, trägt ihn ohne sein bewusstes Zutun eben zu jenem «Meister der wahren Erziehung (houbetman der wâren zuht)»4, der wie kein anderer geeignet ist, ihn zum Ritter zu machen. Der weißhaarige Burgherr namens Gurnemanz de Graharz sitzt allein im Schatten einer Linde und scheint den Gast zu erwarten, der wegen «großer Müdigkeit» den schweren Schild nicht mehr geradehalten kann. Die Szene hat etwas märchenhaft Verzaubertes. Der erhabene, würdevolle Herr grüßt den erschöpften Gast überaus höflich. Seine «grauen Locken» sind für Parzival das untrügliche Kennzeichen für den rechten Lehrmeister, wie es ihm seine Mutter anempfohlen hat. Als er dies erwähnt, nennt Gurnemanz auch gleich die einzige Bedingung für die Lehre: Er müsse seinem Rat Folge leisten. Und mit einer herrschaftlichen Gebärde unterstreicht er seine Forderung, indem er einen Sperber von der Hand aufsteigen lässt, um die Burgbewohner zu benachrichtigen.

Sperber sind schnelle und geschickte Jäger, die vor allem andere Vögel erlegen. Sie verhalten sich dabei besonders klug und überraschen ihre Opfer mit blitzschnellen Angriffen. Wer einen «Sperber auf der Hand hat», beherrscht die Jagd, denn er hat einen scharfgesichtigen Späher, der pfeilschnell zustoßen kann. Von jeher sind Greifvögel in Mythen und Märchen das Bild für Wachheit, Intelligenz und Scharfsinn gewesen, den freien Flug und die Beweglichkeit des Gedankens, des Begriffs assoziierend. Indem der Fürst einem Sperber gebietet, wird nicht nur seine Herrschaftlichkeit betont, sondern auch, dass er über Intelligenz und Umsicht verfügt. Im Folgenden lernen wir ihn dann auch als überaus klugen Lehrmeister kennen, der die Regeln und Gesetze der Ritterwelt überblickt und beherrscht. –

Parzival ist zwar nur mit Mühe von seinem Pferd zu trennen, dann unterwirft er sich aber dem weiteren Prozedere, das genau festgelegt ist. Nachdem ausgiebig für sein leibliches Wohl gesorgt wurde, fällt er in tiefen, erholsamen Schlaf. Am nächsten Vormittag führt ihn sein Wirt zur Messe und gibt ihm religiöse Unterweisungen. Dann erst erzählt Parzival davon, wie er zu dem Harnisch gekommen ist. Auch hier ist die Reaktion auf die Bluttat, wie schon in der Artusrunde, frei von jeder Verurteilung, ganz im Gegenteil: Gurnemanz sanktioniert sogar den unehrenhaften Totschlag, indem er Parzival den Namen des Roten Ritters in aller Form überträgt und ihn dabei regelrecht in die Pflicht nimmt. «Der Wirt kannte den Roten Ritter, und er seufzte: ihn erbarmte sein Unglück. Seinem Gast erließ er diesen Namen nicht: er nannte ihn den Roten Ritter (sînen gast des namn er niht erliez, den rôten ritter er in hiez).»

Die Ritterlehre

Darauf folgen die Belehrungen, die Parzival zum gebildeten Ritter machen sollen. Der Burgherr leitet den Unterricht zunächst damit ein, dass er noch einmal wiederholt, der Schüler müsse sich an seinen Rat halten, was er aber zugleich mit einer anderen Forderung verknüpft: Er möge endlich von seiner Mutter schweigen («‹ir redet als ein kindelîn, wan geswîgt ir iwerr muoter gar …?›»). Daran wird der gelehrige Schüler sich dann auch halten: Hat er bisher bei jeder Gelegenheit aus überschwänglichem Gemüt lauthals den Rat seiner Mutter verkündet, so tritt jetzt der Rat Gurnemanz’ zu schweigen an erste Stelle. Doch nur in seinen Worten – im Herzen bleibt die Mutter lebendig, dort schweigt sie nicht: «sîner muoter er gesweic, mit rede, und in dem herzen niht.»

Es ist auffallend, dass Gurnemanz in keiner Weise versucht, an Parzivals Kindheit und die Ratschläge der Mutter anzuknüpfen. Vielmehr ist er bemüht, die Mutter aus Parzivals Gedanken zu verdrängen, sodass in der Seele des Knaben ein Konflikt angelegt wird, der sich durch sein bisheriges Schicksal schon angedeutet hat – ein Konflikt zwischen dem «väterlichen» Rat, der mehr das Intellektuelle, die Verstandesbildung seiner Zeit beinhaltet, und dem mütterlichen Andenken, das sich mehr aus den Gefühls- und Gemütskräften nährt. Das wird später schwerwiegende Folgen haben, vor allem bei Parzivals erstem Besuch auf der Gralsburg.

Die nun anschließenden Unterweisungen in den Tugendregeln und Verhaltensnormen des Ritterlebens scheinen auf den ersten Blick in lockerer Gesprächsfolge und ohne Systematik vorgebracht, bei genauem Hinsehen erkennen wir aber, dass schon der Einstieg in die Thematik von erstaunlichem didaktischem Scharfsinn zeugt. Gurnemanz baut nämlich das ganze Lehrgebäude auf einem wohlbedachten Fundament auf – auf dem Gefühl der Scham. «‹So fange ich an: achtet geziemend darauf, dass Ihr niemals von der Scham lasst (ir sult niemer iuch verschemn).›» Eine solche grundlegende Wertschätzung der Scham ist für den heutigen Menschen nicht selbstverständlich. Der Begriff der Scham ist zumindest im alltäglichen Gebrauch nicht mehr mit einer solchen Wertigkeit besetzt, es sei denn in der Negation wie «schamlos» oder «unverschämt». Deshalb wird diese Stelle auch gern mit «Seid niemals unverschämt!» übersetzt, was aber am Sinn dieser Belehrung völlig vorbeigeht.

Im Unterricht ergibt sich hier die Möglichkeit, ein Thema anzusprechen, zu dem man sonst nur schwer einen Zugang finden wird. Denn die Scham erfreut sich gewöhnlich keiner großen Beliebtheit, scheint sie doch im täglichen Leben ebenso lästig wie unangenehm zu sein, eher sogar ein Zeichen von Unsicherheit und Schwäche. Wer sich schämt, wer errötet oder sonstwie verlegen wirkt, wird belächelt. Das Schamgefühl wird zunehmend als seelische Behinderung angesehen, die den Menschen in seiner freien Entfaltung einzuengen scheint. In der Tat lässt es ihn zutiefst sein eigenes Ungenügen spüren – dadurch wird es aber zugleich auch zum Motor der Veränderung, Wandlung und Entwicklung. Das Schamgefühl rührt sich nämlich stets dann, wenn der gegenwärtige Zustand mit dem idealen Bild kontrastiert, das der Mensch von sich entwirft. Das kann auch im übertragenen Sinne geschehen, indem man das Verhalten einer ganzen Gesellschaft als beschämend empfindet, wenn entwürdigende Verhältnisse herrschen, eine menschenverachtende Weltanschauung propagiert wird oder der öffentliche Diskurs verwahrlost. Jugendliche haben oft ein sehr differenziertes Empfinden von solchen Seelenstimmungen, können sie aber meist nicht artikulieren. Sie fühlen sich bestätigt und seelisch gestärkt, wenn sie aus gegebenem Anlass frei darüber sprechen können.

Die Fähigkeit, sich schämen zu können, kündet von unserem Menschsein. Deshalb sagt Gurnemanz: «‹Ein Leib, der sich nicht schämt, was taugt der noch? … Er verliert seine Würde (werdekeit) und wird zur Hölle gewiesen.›» Die Erfahrung des eigenen Ungenügens macht aber auch bescheiden und bewirkt Verständnis für das Unglück anderer Menschen, für die Erniedrigten und Beleidigten, die in beschämenden Verhältnissen leben. So lässt Gurnemanz die Hilfsbereitschaft daraus folgen. «‹Wehrt dem Kummer mit Milde und mit Güte: bemüht Euch dem Menschen zu dienen (vlîzet iuch diemüete). Denn ein edler Mann in Not ringt mit seiner Scham (der kumberhafte werde man wol mit schame ringen kann).›» Das wiederum erfordert das rechte Maß im Handeln («‹gebt rechter mâze ir orden›»): Weder solle man seine Habe verschleudern noch geizig Schätze anhäufen.

Das rechte Maß gelte es aber auch in der Rede zu halten: «‹Ihr sollt nicht viel fragen (irn sult niht vil gevrâgen)›», was vielleicht in dem Sinne gemeint ist wie «Ihr sollt die viele neugierige Fragerei lassen». Es bedarf der Geduld, um zu erfahren, was der andere mitteilen will. Aber mit der wohlbedachten Antwort, die auf die Frage des anderen eingeht, solle man nicht zögerlich sein. Dies wiederum setzt voraus, dass man aufmerksam ist, Augen und Ohren öffnet und die betreffende Situation genau beobachtet. «‹Ihr könnt hören und sehen, schmecken und riechen – das sollte Euch zu Verstand bringen (daz solt iuch witzen næhen).›»

Umsicht, Verstand und Augenmaß sind schließlich auch im Kampf angesagt: «‹Lasst bei aller Kühnheit auch das Mitleid zu (lât derbärme bî der vrävel sîn).›» Wenn einer im Kampf Sicherheit biete, so solle man das Angebot annehmen und ihn heil davonkommen lassen – es sei denn, er habe einem solches Leid zugefügt, dass das Herz zutiefst verwundet ist («‹ern hab iu sölhiu leit getân diu herzen kumber wesn›»).

Schließlich muss auch der Kampf selbst einen richtigen Stellenwert im Leben des Ritters einnehmen. Die Rüstung repräsentiert nur einen Teil des ritterlichen Lebens, ja sogar einen untergeordneten, der dem Leben am Hofe dienstbar ist. Deshalb müsse man sich den Eisenrost sorgfältig abwaschen, rät der Burgherr. «‹Dann nämlich seht ihr wieder liebenswürdig (minneclîch) aus. Das nehmen die Augen der Frauen wahr.›» «‹Seid männlich und habt guten Mut›» – das ist die eine Seite. «‹Und lasst Euch die Frauen lieb sein›» – das ist die andere Seite des Ritters. Hieran schließt Gurnemanz eine Lobpreisung von Aufrichtigkeit und Treue zwischen Liebenden. Die edle Minne sei achtsam gegen Lüge und Hinterlist. Wer ihre Missgunst erwirke, der werde entehrt «‹und immer die Qualen der Schande leiden (und immer dulten schemeden pîn)›».

«Schande» und «Scham» haben auch im Neuhochdeutschen denselben Wortstamm. Gurnemanz hat seinen Schüler damit, ausgehend von der Scham, durch den ganzen Kreis der ritterlichen Tugenden bis in die Gefilde der hohen Minne geführt, ohne in öde Aufzählung und starre Systematik zu verfallen – und mit der Schande einer unaufrichtigen Liebe kehrt er zur Scham zurück. Als Krönung seiner Rede stellt er schließlich die Beziehung von Mann und Frau in eine umfassende kosmische Ordnung: Beide gehören zusammen, ja sie bilden ein Ganzes, wie die Sonne und der Tag. «‹Das eine kann sich vom anderen nicht scheiden, sie blühen aus demselben Kern (si blüent ûz eime kerne gar).›»

Zeitbildung und Individualität

Will man sich hier in Parzivals innere Verfassung versetzen, so muss man sich auf sein besonderes Schicksal besinnen. Es war ihm verwehrt, als Kind in die Bildung seiner Zeit, in die Gesellschaft und das Rittertum hineinzuwachsen, weil ihm die väterliche Seite der Erziehung fehlte. So muss er sich die Begriffe und Regeln der ritterlichen Welt jetzt auf einer späteren, schon bewussteren Entwicklungsstufe aneignen. Gurnemanz übernimmt dabei die Vaterrolle. Aber wenn auch dessen Fürsorge so ist, «wie sie ein getreuer Vater an seinen Kindern nicht besser hätte erweisen können»,5 so fehlt doch die persönliche innere Beziehung zu diesem «Ersatzvater».

Während der gesamten Darstellung des Lehrers hat Parzival schweigend zugehört. Nicht nur hat er, wie von ihm verlangt, von seiner Mutter geschwiegen und das Fragen unterlassen, er hat überhaupt kein Wort gesagt, sondern alles völlig kommentarlos über sich ergehen lassen. Am Schluss verbeugt er sich artig vor seinem Wirt als Dank für die Belehrung – man möchte sich fast wundern, dass der Schüler bei diesem Verfahren nicht eingeschlafen ist. Zu keiner Zeit bekommt die Unterweisung den Charakter eines Gesprächs. Hinzu kommt, dass der Lehrer den Schüler niemals beim Namen nennt, ja er interessiert sich anscheinend überhaupt nicht für die eigentlichen individuellen Merkmale seines Zuhörers. Er richtet seine Rede nicht an einen konkreten Menschen namens Parzival, sondern an die «hohe Art» und den «großen Herrn», dessen Herrschergeblüt er ahnt: «‹Ihr mögt wohl ein hoher Gefolgsherr sein. Da Ihr eine hohe Art habt und sie sich erhöhen soll, so bewahrt dies in Eurem Willen (ir mugt wol volkes hêrre sîn. ist hôch und hœht sich iwer art, lât iweren willen des bewart).›» –

Aber nicht nur, dass Gurnemanz an der Individualität seines Zuhörers vorbeiredet, er verweist auch nirgendwo auf den Grund der Dinge. An keiner Stelle seiner kunstvoll entwickelten Darstellung bietet er Parzival einen tieferen geistigen oder religiösen Begründungszusammenhang an. Entweder er bleibt bei bloßen Forderungen («Ihr sollt nicht viel fragen») oder er erklärt das tugendhafte Verhalten aus bloßen Nützlichkeits- oder Höflichkeitserwägungen heraus («So naht Euch Gottes Gruß» oder «Das nehmen die Augen der Frauen wahr»). Natürlich muss man das geringe Alter des Schülers berücksichtigen, denn Parzival ist noch «ohne Bart».6 Aber die Unterweisungen sind ja auch größtenteils keine Bilder, wie sie die Mutter gab, sondern an den Verstand gerichtete Gebote und Regeln, und die zu hinterfragen wäre er altersgemäß durchaus in der Lage. Zudem fällt auf, dass Gurnemanz nicht nur von «zu viel Fragen» abrät, er rechnet während seines ganzen «Vortrags» überhaupt nicht mit Äußerungen seines Zuhörers. So ist es fraglich, ob und inwieweit Parzival durch diese Art der «Bildung» überhaupt in seinem inneren Wesen gefördert wird – oder ob er sich diese ganze Tugendordnung nicht lediglich äußerlich überstreift, vergleichbar der Rüstung des Roten Ritters, die er sich überstülpte, ohne sie innerlich erfüllen zu können. Auf einer nunmehr intellektuellen Stufe ist Parzival im Grunde in einer ähnlichen Verfassung wie zuvor, als er die bildhaften Ratschläge seiner Mutter nur wortwörtlich aufnahm und beherzigte. Kein Wunder, dass er den Rat, nicht viel zu fragen, als absolut gültige Verhaltensregel und Handlungsanweisung auffasst, die ihm später die konkrete Situation auf der Gralsburg verstellt.

Auf die starken Gemütskräfte, die der Knabe aus der Soltane in die Welt getragen hat, setzen jetzt die Verstandeskräfte auf, aber die beiden wirken nicht so selbstverständlich zusammen, wie wenn sie sich gemeinsam entwickelt hätten. Es versteht sich, dass Parzival aufgrund seines besonderen Schicksals nicht wie seine Zeitgenossen die beiden Seelenkräfte instinktiv und gewohnheitsmäßig verbinden wird. Seine Erziehung begünstigt, ja fordert geradezu eine innere Auseinandersetzung mit dieser ungewöhnlichen Seelenkonfiguration, wobei das Zusammenwirken der Seelenkräfte bewusst bewerkstelligt werden muss. Das bedarf einer besonderen seelisch-geistigen Vertiefung, der Konzentration auf die Quellen des Bewusstseins, wozu er erst heranreifen muss. Das immer wieder gezeichnete Bild der Quelle ist Metapher für diese Annäherung der Seele an ihre ursprünglichen Quellkräfte, welche, wie sich zeigen wird, auch die schöpferischen Kräfte des Grals sind. Unter den verschiedenen Quellen nimmt die «Fontane la Salvatsche»7 eine zentrale Stellung ein. Dort wird ein viel tieferes Gespräch mit einem ganz anderen Lehrer stattfinden – mit Trevrizent, der wie Sigune an der «ursprünglichen Quelle» lebt. Die höfische Bildung der Zeit, wie sie Gurnemanz repräsentiert, vermag weder den Dingen auf den Grund zu gehen noch die Quellkräfte der Seele zu entdecken. Parzivals Biographie weist zwar schon über das instinktive Miterleben des Zeitenschicksals hinaus, er kann sie aber noch nicht bewusst ergreifen. Darin liegt ein wesentlicher Grund für sein späteres Scheitern in der Gralsburg.

Dass die «Ritterlehre» des klugen Gurnemanz nicht auf Individualität («Ungeteiltheit») hin angelegt ist, zeigt sich auch in der auffallend strengen Zweiteilung von Theorie und Praxis. Der an die Sinne gebundene Verstand, den Gurnemanz in Parzival wecken will, findet nicht den Weg zum Herzen, so wenig wie der Schnellkurs in Sachen Ritterkampf, den Parzival dank seiner «hohen Art» in vierzehn Tagen durchfliegt, geeignet ist, Bewusstsein für die im eigenen Tun wirkenden Willens- und Schicksalskräfte zu wecken. Dieser Mangel an geistiger Tiefe korrespondiert mit einer zweifelhaften, nur vordergründig «christlichen» Moralität: Man würde doch erwarten, dass in einer moralischen Belehrung über Mitleid und Barmherzigkeit sich wenigstens Hinweise auf das Mysterium des Gottessohnes fänden – nichts dergleichen. Gurnemanz vertritt auch das Ideal der Nächstenliebe nicht im christlichen Sinne, wenn er das Erbarmen für den Fall ausnimmt, dass man vom Gegner tiefes Herzensleid erfahren habe.8 Die Angst der von Parzival besiegten Ritter vor der Rache Gurnemanz’ in der folgenden Aventüre bestätigt diese Lesart.9

Dass die höfische Gesellschaft, auf die Gurnemanz den jungen Parzival vorbereitet, nicht gänzlich von christlicher Nächstenliebe durchdrungen ist, wird auch durch die Tatsache belegt, dass er alle seine drei Söhne im Kampf verloren hat. Wie wir schon in den Gachmuret-Aventüren sehen konnten, birgt die ritterliche Minnewelt zwar ein gewaltiges Erziehungspotenzial für die mittelalterliche Gesellschaft. Sie kann die im Menschen tobenden Triebkräfte und Leidenschaften bis zu einem gewissen Grade bändigen, ist aber weit davon entfernt, sie völlig verwandeln zu können. Deshalb sehen wir immer wieder Menschen, auch aus dem Gralsgeschlecht, sich vom höfischen Leben abwenden, um in der Askese den Quellen ihres Daseins nahe zu sein und einer geistigen Berufung dienen zu können, wie Sigune, Herzeloyde und Trevrizent.

Vielleicht ahnt Gurnemanz etwas von einer solchen Wandlungskraft in Parzival, wenn er ihm die Ritterschaft in der Nachfolge des ermordeten Ither überträgt. Jedenfalls scheint er in ihm Neues zu erkennen, eine offene Zukunft. So versucht er den «Roten Ritter» für seine Tochter Liaze zu interessieren, auch in der Hoffnung, ihn an sich binden zu können und somit wieder einen Sohn zu gewinnen. Wäre Parzival nur von der «hohen Art», wie es Gurnemanz’ Verstand konstatiert, hätte dieses Werben vielleicht auch Aussicht auf Erfolg und er würde diese Rolle erfüllen. Allein, der «Rote Ritter» wird einen individuelleren Weg gehen. Schon die nächste Aventüre wird zeigen, dass er sich in seinem Streben und seinen Handlungsmotiven weder von gesellschaftlichen Konventionen noch von der «Art» seines Vaters Gachmuret bestimmen lässt.

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9783772543586
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