Kitabı oku: «Beim nächsten Mann bleib ich solo», sayfa 2
4. Annabell, oh, Annabell
An der Kasse im Buchladen AnnaBella stand schon wieder so eine junge Frau, die ich nicht kannte. Und sie kannte nicht mal mich! Dabei hatte ich sechs Jahre lang im Laden mitgearbeitet! Gut, das war ein Weilchen her, Anfang der Neunziger, zu der Zeit hieß er noch AnnaConda und war ein Frauenbuchladen gewesen. Damals wechselten die Ladenfrauen kaum. Es waren immer dieselben zehn. Was auch daran lag, dass kaum eine bereit war, zwei Tage pro Woche irgendwo mitzuarbeiten, ohne Geld dafür zu kriegen. Bei AnnaConda gab es nur eine bezahlte Stelle, den Rest erledigte das sogenannte Kollektiv für lau. Diese Organisationsform musste sein, weil der Laden ein politisches Frauenprojekt war und nicht etwa ein kapitalistisches Geschäft. Den sich daraus zwingend ergebenden Überhang an Lehrerinnen, Arztgattinnen und Kinderlosen nahm das Ladenkollektiv in Kauf – welche Frau sonst hatte genug Zeit oder Geld und konnte sich eine Putzfrau leisten, die bei ihr daheim putzte, während sie selbst unbezahlt Bücher verkaufen ging? Gerechtigkeitshalber ließen wir die bezahlte Stelle jährlich rotieren; so erhielt jede im Kollektiv die Chance, im Laufe von zehn Jahren an die Reihe zu kommen. Das Rotationsprinzip an sich war kein Problem, weil damals alle alles oder nichts konnten. Sogar das Klo putzen. Mir fiel ein: Es gab da einen Mann, der sich bei AnnaConda als Kloputzer bewarb. Mit einem echten Bewerbungsschreiben, in dem stand, er wolle den Frauen unentgeltlich dienen, um damit seinen Beitrag zum Abtragen der Schuld für fünftausend Jahre Patriarchat zu leisten. Das Kollektiv diskutierte die Bewerbung und lehnte sie sehr zu meinem Bedauern ab.
Ich nickte der jungen Unbekannten an der Kasse freundlich zu – denn schon bald würde ich ihre neue Kollegin sein. Mein Plan war, bei AnnaBella als Aushilfe einzuspringen, um mich schnell unentbehrlich zu machen und am Ende die Geschäftsleitung zu übernehmen.
Da die Kollegin in spe offenbar noch zu tun hatte, besah ich mir die Ecke mit den Sachbüchern. Die Regalschilder ließen mich ungläubig den Kopf schütteln. Haufenweise »Lebenshilfe«! Sogar ein Fach mit »Trennungsratgebern«! Früher, da zeugten unsere Beschriftungen noch von feministischer Brisanz. Sie hießen »Subsistenzarbeit«, »Internationale Frauenbewegung« oder »Erotik / Sex / §218«! Unser neues Fach »Mager- und Esssucht« platzte bald aus allen Nähten, noch schneller das Brett »Sexueller Missbrauch«. Leider bescherte gerade dieses Schild uns den Besuch der Anarchas von der Roten Willma, die unserem Kollektiv null politischen Durchblick attestierten. Welche, die sexueller MISSbrauch schrieben, unterstellten ja wohl, dass es einen sexuellen GEbrauch gebe, der dann also okay sei?!
Was denn ihrer Meinung nach auf dem Schild stehen müsse, fragte ich die Roten Willmas. Auf dem Schild müsse stehen: »Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Lesben unter besonderer Berücksichtigung emotionaler sexualisierter Übergriffigkeit«, lautete die Antwort. (Zu der Zeit waren noch keine Sternchen über der Genderwelt aufgegangen.)
Ich sagte, dann kapiere niemand mehr, was in dem Fach für Bücher stehen. Falls doch, ziehe es Triebtäter und Voyeure an. Eine Rote Willma entgegnete mir zornrot, dass wir Frauen vom AnnaConda-Kollektiv eh alle antifeministische Pseudas seien, weil wir Männer reinließen. Keine echte Frauenbuchlädin ließe Männer rein. Nicht mal Briefträger.
Wir kamen am Ende nicht wirklich zusammen. Die Willmas zogen ab und ließen im Raum stehen, uns gelegentlich einen Molotowcocktail vorbeizubringen, was schon damals keine Einladung zu einem Drink war. Trotzdem blieb ich eisern, was die Beschilderung anging. Ich beharrte außerdem darauf, dass es nicht scheißreaktionär sei, lesbische Liebesromane ins Schaufenster zu stellen.
Auch hierin erwies ich mich als Vorreiterin: Im Fenster von AnnaBella standen heutzutage sogar heterosexuelle Liebesromane! Tja. Generell waren die Zeiten an dieser Buchhandlung nicht spurlos vorübergegangen. Sonst ging aber vieles am Buchhandel vorüber: Der Laden war menschenleer. Was mir momentan nur recht sein konnte; wenn ich mich informieren oder spontan bewerben wollte, war ich am liebsten ungestört.
Ich hielt gerade einen dicken roten Schmöker mit dem Titel »Reich ohne Geiz« in der Hand, als mir eine ältere Dame unverfroren über die Schulter schaute.
»Willst du dich mal wieder von Albert trennen?«
Irritiert sah ich auf und erblickte Sieglinde Lamar-Schadler. So hieß sie jedenfalls vor dreißig Jahren in ihrer Ehe mit Steuerberater Wolf-Dietrich Lamar. Später hatte sie den Lamar vorteilhaft ersetzt, sich sozial hochgeheiratet und hieß heute Mein-Gatte-ist-Zahnarzt-Schadler. Damit war Sieglinde am Ziel, sie stand schon immer auf Ärzte. In der Zeit, als uns ein zaghafter Versuch von Freundschaft verband, hatte sie sogar phasenweise Albert nachgestellt. Da hatte sie sich aber vertan! Man kann Albert vieles unterstellen, aber nicht, dass er blind ist, was Frauen angeht. Als dann der Zahnarztdampfer aufkreuzte, änderte Sieglinde ihren Kurs und wurde sein Beiboot. Soweit ich wusste, begegnete Albert dem Paar gelegentlich noch auf Medizinbällen oder wo man sich ärztlich so trifft. Hin und wieder luden sie ihn auch zu sich ein, auf einen Drink unter Freunden und Kollegen. Ohne mich. Als Nichtmedizinerin und angeheirateter Appendix zählte ich nicht für Sieglinde, die eine Ausbildung als Zahnarzthelferin vorzuweisen hat. So hatten wir uns schon ewig nicht mehr gesehen.
Optisch war Sieglinde ganz bei sich angekommen. Kariertes Wollkostüm – das passte, auch wenn bei ihr der mittlere Knopf spannte. Der überm Bauch, nicht der überm Busen. Dazu Damenhandschuhe. Schon in unserer Jugend hatte sie ausgesehen wie ihre eigene Mutter. Ich verweigerte Make-up, Sieglinde stand die Gediegenheit im Gesicht wie fette Schminke. Ich warf meine BHs weg, Sieglinde trug ein Korsett aus Reife.
Wenn ich sie so ansah, fragte ich mich, ob wohl auch sie sich neun Jahre jünger fühlte. Angeblich tun das ja alle. Ich selbst fühle mich wie achtundvierzigdreiviertel, und nicht nur das: Ich sehe auch so aus.
Was suchte eine bekennende Nichtleserin überhaupt bei AnnaBella? Wenn mit Sieglinde hier an diesem Ort der Kultur öfter zu rechnen war, musste ich mein buchhändlerisches Comeback überdenken.
»Und wann lässt du deinen Zahnarzt ziehen und überbrückst ihn mit einem Professor der Medizin?« Ein gelungener Seitenhieb, der Sieglinde entging, denn sie lachte sich scheckig.
»Hahaha! Wo denkst du hin! Wir feiern nächste Woche fünften Hochzeitstag! Jetzt such ich für ihn ein Geschenk. Ich schenke meinem Mann grundsätzlich Bücher«, verriet sie mir. »Damit gehe ich auf Nummer sicher. Er kauft selber nie welche. Vorher schau ich hier im Laden vorbei und wenn mir eins gefällt, bestell ich es. Das ist heute ja unheimlich praktisch.«
»Wieso kaufst du es nicht gleich an Ort und Stelle?«
»In einer Buchhandlung? Aber da haben es doch schon tausend Leute betatscht!« Sieglinde schüttelte sich vor Ekel, ich verstand nun, wieso sie Handschuhe trug. »Die ganzen Bakterien! Außerdem kriegst du die Internetbestellung per Post zugeschickt. Bildbände sind ja so entsetzlich schwer!«
Sie war sich also auch als Anhängerin abartiger Kauftrends treu geblieben. Einmal hatte sie Wolf-Dietrich ein schlammfarbenes Tandem von Eduscho zum Geburtstag geschenkt.
»Komm, lass uns einen Kaffee trinken«, schlug Sieglinde vor, als seien wir zwei Freundinnen auf Shoppingtour.
Ich winkte ab. »Keine Zeit.« Als ich ihren verständnislosen Blick sah, sagte ich: »Ich recherchiere Literatur.«
»Besuchst du jetzt die Universität des dritten Lebensalters?«, kicherte sie. Ich fand das von Sieglinde ziemlich frech.
»Ich schreibe ein Buch.«
Sieglinde riss die Augen auf. Als sie sich wieder berappelt hatte, flötete sie mit einem Lächeln, das sie für weise hielt: »Das sagen viele!«
»Mag sein. Aber ich tu’s.«
Damit überließ ich sie ihrem ungläubigen Staunen.
5. Der Antrag
Ich schrieb ein Buch – im Gegensatz zu Menschen, die das nur von sich behaupten. Mein Konzept hatte ich in groben Zügen skizziert, seit zwanzig, dreißig Jahren lag es in irgendeiner Schublade. Keine Ahnung, in welcher, aber ich weiß auch so, worum es in meinem Buch gehen soll. Erstens um die Frauen. Zweitens um die Männer. Drittens um die Liebe. Den Rest würde ich ausarbeiten – und zwar bald. Darüber war ich mir soeben klar geworden. Es wurde Zeit, zu tun, was immer schon auf meinem Lebensplan stand: Bücher verkaufen und schreiben!
Nachdem ich im Buchladen alle vorrätigen Trennungsratgeber und Selbstfindungshilfen durchgeblättert hatte, ging ich in aller Ruhe allein Kaffee trinken. Bis Albert zu Hause auftauchte, wollte ich den Tag nutzen, um meine Zukunft voranzutreiben.
Kaum saß ich im Café Läuft, krähte das Handy. Der Hahnenschrei zeigt Nachrichten von Albert an (es gab keinen Kuckucksruf als Signalton). Mein Nochgatte ließ mich per SMS wissen, dass es spät werden könnte. Es stünden heute zwei, drei Not-OPs an.
Früher hatte mir imponiert, dass Albert als Arzt Leben rettet. Inzwischen beschlich mich der Verdacht, dass er auch das nur aus Geiz tat. Er wollte nichts umkommen lassen.
Ich trank zwei Espressi, rief alle meine besten Freundinnen an und unterrichtete sie von meiner Lebenswende. Drei gratulierten mir, zwei kondolierten mir, alle boten Unterstützung an.
Danach fühlte ich mich stark genug, die heimische Frontlage zu klären. Irgendwie und irgendwann musste schließlich auch Albert erfahren, dass ich mich von ihm trennte.
Auf dem Heimweg kaufte ich im Blumenladen Gothic Blooms dreißig schwarze Rosen.
Zu Hause hängte ich als allererstes meine Kunst wieder auf. Abgehängt hatte Albert ausgerechnet meine feministisch-kritischsten Werke: »Er meint es doch nur gut«, »Beim nächsten Mann wird alles besser« und »Hilfe, ich bin die Weltputzfrau!« Das war in meinen Augen kein Zufall!
Sorgfältig arrangierte ich die Rosen in einem Putzeimer (!) auf dem Küchentisch und nahm mein pinkfarbenes Briefpapier aus der Schublade. Mit Füller schrieb ich in Schönschrift:
Albert —
willst Du mein Exmann werden?
Dann sag Ja zur Scheidung
Constanze
P.S.: u.A.w.g. bis morgen.
Ich steckte den Bogen ins magentafarbene Kuvert, bestäubte es mit einem Hauch Parfüm und schob es zwischen die Rosen. Mein Scheidungsantrag machte ziemlich was her.
Zuletzt stellte ich im Flur alle achtundzwanzig Kuckucksuhren auf fünf Uhr achtundvierzig und entsicherte die Schlagwerke. Albert würde ein frohes Erwachen haben! Höchste Zeit …
Dann packte ich meine kleine Reisetasche und verließ das Haus.
Als ich die Wohnungstür hinter mir zuzog, überkam mich Traurigkeit. Wie Albert wohl guckte, wenn er meinen Brief las? Würde er vielleicht sogar weinen? Vergrübe er verzweifelt den Kopf in meinem Duft? Hinge ihm Tinte an Nase und Stirn, wenn er sein tränennasses Antlitz wieder höbe, um dem Himmel seinen bitteren Schmerz zu klagen …?
Wie schade, dass ich das nicht sehen konnte!
6. Mamma Mia
Im Mamma Mia winkte mir meine beste Freundin Mira zu, als sei ich in Seenot und sie Sea-Watch-Kapitänin. Das war nett von ihr, aber unnötig. Die Schlafcouch, die sie mir großzügig für eine Nacht angeboten hatte, reichte vollkommen. Vorher würden wir zusammen essen und ausgehen, damit ich nicht vom Fleisch fiel und mich von dem Ärger mit Albert ablenken konnte. Analytische Gespräche über meine Trennung würde ich heute Abend nicht führen. Mira brachte für das Schicksal anderer Leute Empathie auf, aber höchstens für fünf Minuten. Dann richtete sich ihre innere Kompassnadel wieder auf sie selbst.
Im Mamma Mia war es voll, und das seit Jahren. Sobald Luigi aufschloss, stürmten die Leute den Laden. Die Pizzeria war die Arche im kulinarischen Untergang Bornheims und Luigi der Noah. Auf Archen retten sich gewöhnlich Paare; ich war und bin da die Ausnahme. Als Studentin zog ich allein durch Kneipen, seit meiner Heirat gehe ich allein in Restaurants. Albert arbeitet ja entweder, oder er spart. Bei Luigi esse ich, seit er vor zweiundzwanzig Jahren zum ersten Mal seine Pforten öffnete. Wenn ich ins Restaurant komme, stürzt er gleich auf mich zu, haucht mir einen Kuss auf die Hand und geleitet mich an einen freien Platz. Für mich hat er immer einen.
Ich schob mich durch die engen Reihen in den hinteren Teil des Raumes. »Konnte gerade noch den letzten Tisch für uns ergattern«, versicherte Mira in strahlendem Unwissen. »Gut siehst du aus!« Dabei glitt ihr Blick über mein Outfit.
Das sagt sie immer. Schwer vorstellbar, dass ihr meine Kleidung wirklich gefiel. Ich trage gern Farben. Möglicherweise brachte mein Stil in ihrem tiefsten Innern eine ungekannte Saite zum Klingen. Sie selbst kleidet sich passend zu ihrem blassen Teint. Wenn sie einem Farbrausch verfällt, schmeißt sie sich in dunkelblau. Heute trug sie ein Twinset, darüber ein Perlenkettchen mit Kreuz. Sie kam direkt aus dem Büro.
»Und jetzt erzähl!« Mit dieser Aufforderung tarnt Mira immer den Beginn eines ihrer Monologe. Einen Sepia mit Gemüse später wusste ich alles über ihren neuen Job. Wer wen mag, wer sein Büro neben wem hat, wer wessen Boss ist und wer wessen Bitch. Ihre neue Vorgesetzte glich der alten bis aufs Haar, was Mira nicht davon abhielt, mir auch die neue Vorgesetzte haarklein zu beschreiben. Ich kannte keine von beiden, hätte sie aber sicher auf der Straße erkannt.
»Sie also so: Das und das gehört dann auch zu Ihrem Tätigkeitsfeld. Sie machen das ja wohl nicht zum ersten Mal, oder? Und dann schaut sie mich an, weißt du. Genau so, wie mich früher die Schmitter immer angeschaut hat. Mit diesem Blick, bei dem ich nie wusste, will die mich jetzt provozieren, damit ich was sage, worauf sie dann sagen kann: Aber Frau Birger, das versteht sich doch wohl von selbst – bei Ihrem Portfolio! Wie das die Schmitter halt gemacht hat, du weißt ja.«
Ich wusste es, als hätten wir all die Jahre im selben Büro gesessen. »Was macht die neue Firma nochmal?«
»Financial Outsourcing.«
»Aha. Also dasselbe wie die alte.«
Mira sah mich groß an. »Nee, was ganz anderes! HCPT war ja der Shareholder für den Megadeal mit Forcythe Geografics!«
Wie hatte ich das vergessen können! Ich bestellte mir noch einen Rotwein. Falls es zum Härtesten käme und ich mir einen Job suchen musste, würde ich das Finanzwesen meiden.
Während Mira mir der Reihe nach ihre neuen Chefs vorstellte und einen ausführlichen Überblick über die Aufgaben in ihrem neuen Job gab, dachte ich über den Sinn des Lebens und der Liebe nach.
Wenn man solo lebt wie zum Beispiel Mira, sucht die Libido nach Ersatzbefriedigung und wirft sich schamlos aufs Feld der Arbeit. Das hatte schon der alte Sigmund durchschaut und Triebsublimierung genannt. Geiz ist geil, fand dagegen Albert, und in der Tat war es seit Jahren das einzige, was ihn noch geil machte. Seine protestantische Ethik blies ins selbe Horn. Mir erschien das alles zu lustfeindlich. Warum soll Geld mehr Spaß machen als Sex?
Mira sah mich erwartungsvoll an. Hatte ich laut gedacht? Ich schaute erwartungsvoll zurück.
»Wie auch immer«, gab sie sich selbst die Antwort. »Letzten Endes habt ihr nie wirklich zusammengepasst. Jedenfalls herzlich willkommen im Club! Let’s go!«
Ich nickte, obwohl ich mir nur schwer vorstellen konnte, mit Mira in ein und denselben Club zu gehen. Zuletzt war das vor rund einem Jahrzehnt vorgekommen.
Wir tranken die Grappini, die Luigi uns spendierte, und machten uns auf den Weg.
7. Ein Abend mit Olivia
Im Riverside tanzte der Bär, obwohl es erst kurz vor neun war. Das machte den Laden jeden zweiten Donnerstag im Monat zum Hotspot für das reifere Alter. Man musste nicht erst vorschlafen und um elf Uhr nachts von der Couch hochkommen, um sich müde aufzubretzeln, sondern konnte direkt nach dem After-Shopping-Häppchen in den Club gehen. Um zwanzig Uhr schlossen die Geschäfte und das Riverside öffnete.
FOURTYPLUS hieß das Motto dieser Donnerstagabende und ziemlich viel Plus bot auch Usch, die DJane. Ihre Musikauswahl war aber große Klasse.
Kaum hatten wir die Mäntel abgegeben, verschwand Mira schon wieder aufs Klo. Anscheinend litt sie unter Blasenschwäche. Ich schob mich an die Theke, von der aus man die Tanzfläche im Blick hat, und überflog die wogenden Häupter ein Geschoss tiefer. Nur vereinzelte grauweiße Schöpfe und wenige kahlnasse Glatzen. Also wieder kaum Männer da.
Zwischen den zuckenden Leibern trudelte eine bunte Kugel wie in einem Flipperautomaten. Kaum stieß sie an einen anderen Körper, löste sie sich wieder und trudelte weiter. Offenbar hatte vor Beginn der Disko ein Kontakttango-Workshop stattgefunden. Gerade umkreiste die Kugel einen langen Kerl, der wie ein Mast aus dem Gewoge ragte. Sein weißes Hemd machte sich gut als Segel. Überraschenderweise hatte der Kerl dichtes Haar, ja sogar eine Haarfarbe und war mir kein Unbekannter – sondern mein Quasi-Lover Henri! Was für ein Zufall! Um ein Haar wären Henri und ich vor fünf, sechs Jahren im Bett gelandet, doch mit Rücksicht auf Kinder und Ehepartner hatten wir uns in sexuellem Verzicht geübt. Henri und ich waren zum leibhaftigen Beweis geworden, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau möglich ist. Leider mussten wir unseren Angetrauten diesen Triumph verschweigen. Dabei hätten sie stolz auf uns sein können. »Sie haben einen echt tollen Mann! So sexy und dabei unkaputtbar treu!«, hätte ich Henris Frau am liebsten gesagt, als ich die beiden beim Edeka traf.
Während ich mich zu erinnern versuchte, auf welche Weise Henri eigentlich in mein Leben ein- und wieder aus ihm hinausgetreten war, drängelte sich eine aufgedonnerte Diskotussi neben mich an den Tresen. Ihre Parfümwolke drängelte mit.
»Zwei Apero!«
Die Tussi war sehr stark geschminkt und hoch toupiert. Mein Blick blieb an ihrem schillernden Schuppenkleid hängen, das dem Fischschwanz einer Seejungfrau zur Ehre gereicht hätte. Oder dem Kleid einer Dragqueen.
»Hier, für dich!«, sprach die Erscheinung und schob mir einen der Aperos zu. »Alles klar?«, fragte sie, als ich stumm blieb. »Tja, da staunst du, was?« Sie stippte die bauschige Haarwolke zurecht und verzerrte ihren grellroten Mund bis zu den Ohren.
Nun verstand ich. »Du hast eine Wette verloren und musst als Olivia Jones gehen.«
»Wieso, welche Wette denn? Nö, wir lassen heute einfach mal die Sau raus.« Zwei tiefe Grübchen erschienen in Miras Wangen, als sie am Strohhalm sog. Im Nu war das Glas leer. »Und? Hast du die Männerlage gepeilt? Was ich bisher so sehe, macht mir Lust, mich zu besaufen.« Ihr Blick blieb an meinem kaum berührten Prickelzeug hängen. »Wenn du nicht magst, gib her.«
Wortlos reichte ich ihr das Gesöff. »Seit wann haben sie hier eigentlich einen Kostümverleih?«
Mich traf ein strafender Augenaufschlag. »Spaßbremse! Und so was nennt sich beste Freundin! Ich hab natürlich alles dabei, Push-up, Make-up, künstliche Wimpern – oder dachtest du, ich tanze im Businessoutfit?« Damit zuzelte Mira auch meinen Apero aus, ließ den Strohhalm geräuschvoll über den Grund schnorcheln und schob das leere Glas von sich.
»Los, come on! Let’s dance!«
Auf silbernen Riemchen-High-Heels stakste sie vor mir her zum Parkett.
Henri lächelte innig, als er uns kommen sah. Er hatte mich sofort wiedererkannt, schließlich wirke ich heute keinen Tag älter als vor fünf, sechs Jahren. Er dagegen hatte ein paar Falten mehr, das konnte ich sogar im Licht der Spots erkennen. Aber sie standen ihm. Überhaupt sah er sehr gut aus. Sein dunkelblondes Haar war noch immer voll, er trug es etwas länger als damals, das schmeichelte seinem kantigen Profil. Das weiße Hemd saß wie angegossen, womit ich nicht meine, dass es verschwitzt an ihm geklebt hätte. Nein, Henri besaß, wie ich wusste, ein extra Deo für ultraheiße Momente. Der Mann kannte sich aus! Auch seine Hose saß und brachte immer, wenn er sich drehte, einen ausnehmend hübschen Apfelpo zur Geltung.
Und Henri drehte sich oft.
Alles in allem war dieser Mann eine echte Sahneschnitte. Und die begegnete mir gleich am Abend meiner Trennung! Wenn das kein Wink des Schicksals war! Henri und ich würden noch heute mit unserer platonischen Vergangenheit brechen.
Wir tanzten, was Uschs Plattenteller hergaben.
Henri drehte und drehte sich und jedes Mal, wenn er sich drehte, umwehte mich ein Hauch von Zitrus, Zeder und Zaubernuss, und ich sah auf diesen verführerischen …
»I’m so happieee!!!«, schrie Mira in meine Andacht hinein, während sie schon wieder mit wedelnden Armen um uns herstakste, und erneut drehte Henri sich wie am Gummiband gezogen und gönnte mir seine Hinteransicht. »Happy-happy as could beee …«, grölte Mira den Refrain mit und hüpfte wie angestochen am Platz, während Henri um sie herumtänzelte.
Drei, vier Lieder später tanzten sie noch immer. Ich kehrte an die Theke und zu der platonischen Verbindung zwischen Henri und mir zurück. Offenbar war sein Allerwertester für mich das Aussichtsreichste an ihm.
Zum Glück war ich auf diesen Arsch nicht angewiesen!
Bestimmt war er weiterhin verheiratet und genoss genehmigten Ausgang, weil seine Frau heute Mädelsabend hatte.
Ich bestellte mir einen Prosecco und nahm das verbliebene Material in Augenschein.
Wie war ich froh, inzwischen keine faulen Kompromisse mehr zu machen! Es tat gut, sich selbst zu genügen und von keinem abhängig zu sein. Das Letzte, was eine Frau wie ich braucht, ist ein männliches Surrogatextrakt, wie es hier mit Bierflasche in der Hand an der Wand lehnte. Geschweige denn, zu Hause meine künstlerischen Bilder an die Wand stellte!
Erhobenen Hauptes schritt ich zur Garderobe. Als ich bereits im Mantel war, kam Mira-Olivia vom Klo.
»Willst du schon gehen?«
»Wonach sieht’s denn aus?«, versetzte ich.
»Aber ich dachte, du pennst heute bei mir?«
»Ach wirklich?« Ich sandte ihr einen Schlafzimmerblick.
»Aber Conny! Klar schläfst du bei mir! Das war doch so abgemacht. Du wirst ja wohl nicht zurück zu Albert! Warte, bin gleich wieder da!« Entschlossen wandte sie sich zur Garderobe und wedelte mit ihrer Marke.
»Hey, du musst doch jetzt nicht mitkommen«, rief ich, aber da hielt sie schon ihre Sachen in der Hand. Nach kurzem Kramen zerrte sie einen Fellbommel aus ihrer Umhängetasche und reichte ihn mir.
»Hier, mein Zweitschlüssel! Wirf ihn morgen in den Briefkasten. Gute Nacht, meine Süße!«
Sie schmatzte mir zwei Busenfreundinnenbussis auf die Wangen, gab ihr Zeug wieder ab, und weg war sie.
Ich verließ das Riverside im Gefühl einsamer Größe. Was ging mich Henri an. Das Glück einer unabhängigen Frau hängt einzig und allein von ihr selbst ab, nicht vom Begleiter.