Kitabı oku: «Beim nächsten Mann bleib ich solo», sayfa 3

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8. Durchblick

Nach dem ersten Wein sah ich klarer: Henri hatte mich überhaupt nicht erkannt! Sonst hätte er niemals ein Auge auf Mira-Olivia Jones geworfen. Henri sah so schlecht, dass seine Brillengläser dick wie Glasbausteine hätten sein müssen. Darum trug er Kontaktlinsen. Außer beim Sport und beim Sex, aus Angst, sie zu verlieren. Das hatte er mir irgendwann im Vertrauen gesagt.

Nach dem zweiten Wein sah ich den Mann. Er saß mir gegenüber vor einem Bier und spielte an seinem Smartphone herum. Lange Haare, breite Schultern, schlanke Hände … als Plunderstückchen ginge er durch. Zum Gesicht konnte ich nichts sagen, bisher hatte er kein einziges Mal den Kopf gehoben.

Wir waren die letzten Gäste in der Schleiereule.

Nach dem dritten Wein sah ich, wo es langging. Ich erhob mich von meinem Barhocker und umrundete die Theke.

»Hallo! Und du so?«

»Ich such ’ne Frau«, sagte der Mann, ohne aufzusehen.

»Na, schau mal an!«

»Mach ich ja«, sagte er, ohne zu gucken.

»Hier siehst du beispielsweise mich«, half ich nach.

»Nö«, sagte er und fuhr übers Display. Offenbar war ich heute Abend auf Männer mit Sehstörungen abonniert.

»Ich bin die einzige Frau im ganzen Laden.«

»Du bist aber nicht auf Tinder.«

Da legte ich zwei Finger unter sein Kinn und hob es an.

Einen Wein später stellte Ulf mir die wegweisende Frage.

9. Hoppla!

Ich erwachte, als Sonnenstrahlen mir im Gesicht kitzelten, und sah mich irritiert um. Vorsichtig äugte ich auf die Seite. Außer mir lag niemand im Bett. Dann fiel mir wieder ein, dass ich gestern Nacht nicht zu Ulf mitgegangen war, ihn aber auch nicht mit in Miras Gästezimmer genommen hatte, um Albert den Todesstoß zu versetzen. Ulf hatte mich noch bis zur Haustür begleitet und wäre mir gern weiter gefolgt, aber ich fand den Konjunktiv »hätte mitgenommen werden können« fürs Erste ausreichend. Außerdem war mir kotzübel von zu viel Alkohol.

Auf meinem frühmorgendlichen Weg ins Bad schlich ich an Miras Schlafzimmer vorüber. Die Tür stand offen. Das Designerbett war mit einer dieser sauteuren Bassetti-Garnituren überzogen, die Decke lag glatt und straff und unberührt.

Die Dusche staubtrocken. Auch im Becken keine Wasserspuren. Meine Gastgeberin hatte außerhäuslich genächtigt.

Das Glück, aber auch das Unglück einer Filmwissenschaftlerin liegt in ihrer Vorstellungskraft. Bei mir lief ein Film, den ich gar nicht sehen wollte. Darin wälzte sich Mira Jones ohne Fischkleid mit einem baumlangen Kerl in dessen Lotterbett. Wenigstens war es ein Stummfilm, aber leider in Farbe.

Ich sah aufs Handy. Die Whatsapp, in der ich ihr um halb drei noch viel Spaß gewünscht hatte, war ungelesen. Anscheinend hatte sie die ganze Nacht keine Hand frei gehabt!

Dafür hatte mir Albert, altmodisch wie er war, eine SMS geschickt: »Danke für die Blumen :o))«

Nicht zu fassen. Er bedankte sich für meinen Scheidungsantrag! Das war ja wohl der Gipfel emotionaler Blockiertheit! Oder die Spitze eines Eisbergs an Fiesheiten, die mir das Blut in den Adern gefrieren lassen würden, sobald ich heimkäme …

Ich grübelte die ganze Heimfahrt, was mich wohl erwartete, und überfuhr an der Wittelsbacher eine rote Ampel. Wildes Hupen rief mich zur Besinnung. Und da begriff ich: Was auch immer Professor Auerbach sich ausgedacht haben mochte – es konnte mir egal sein. Ich war von ihm getrennt!

Hoppla!, sagte ich, als Albert von mir abfiel.

Die Wohnung sah so aus, wie ich sie verlassen hatte. Alles wirkte ganz normal. Lächerlich normal. Als sei überhaupt nichts geschehen! Kein zerschlagenes Geschirr, keine verschlossenen Türen, keine gepackten Koffer. Nichts. Die schwarzen Rosen standen voll aufgeblüht in der Küche. Nur das Kärtchen mit meinem Scheidungsantrag fehlte. Und die Post-its waren weg.

Ich schmiss die Tüte mit dem Croissant in die Ecke und kochte mir erst mal einen starken Kaffee. Dann saß ich wie benommen mit der dampfenden Tasse im Museum meiner Vergangenheit.

Etwas tropfte auf meine Hand.

Ich zog die Nase hoch und wischte mir über die Augen.

Weil Kreativität das beste Mittel gegen Trübsal ist, trottete ich durch den langen Jammer in das Zimmer, das ich als Atelier nutze, und machte mich an die Skizze eines neuen Werkes. Auf diese Weise würde ich aktiv meine Trennung verarbeiten.

Den Arbeitstitel hatte ich in null Komma nichts: »Selbst ist die Frau!« Auf meinem neuen Bild bohrt eine Heimwerkerin mit einem Schlagbohrer herzförmige Löcher in die Luft.

Irgendwie fand ich den Entwurf noch nicht ausgereift. Erschwerend kam hinzu, dass Constanze-Wechselburger-Auerbach-Werke bisher in keiner Galerie hingen, sondern nur im Frauenzentrum, als es das noch gab. Ich schuf Politisches, nicht l’art pour l’art. Die Frage war, wie ich meine Kunst zu Kohle machen konnte. Wie man Bücher verkauft, wusste ich – aber Bilder? Dazu braucht man Ausstellungen und Kunstmäzene und Sparkassenstiftungen und … all das rief nach einer Denkpause.

Kurz darauf lag ich in der Wanne und nahm ein Entspannungsbad, als Rosa anrief und mich mit ihrer Orgagruppe und dem Sommercamp vollquasselte. Erst hörte ich nur mit halbem Ohr hin, dann gar nicht mehr.

»Krass, oder? – Mama?!«

Ich nickte.

»Ist irgendwas? Ey, hörst du mir überhaupt zu?«

»Klar, mein Schatz. Alles supi!«

Für einen Moment schwang Skepsis im Äther, dann erklang wieder Rosas Stimme. »Na dann … Ciao-ciao und danke! Du bist einfach die beste Mama der Welt!«

Während ich mich einschäumte, staunte ich, seit wann meine Tochter so euphorisch reagierte, nur weil ich ihr mein mütterliches Ohr lieh. Wahrscheinlich hatten sie an der Uni gerade das Matriarchat oder nahmen Hannah Arendts Prinzip der Gebürtigkeit durch. Dass wir alle so auf die Welt kommen: aus Müttern heraus. Von Müttern niedergekommen werden. Gepressweht. Ins Leben gedonnert. Flutsch! Genau genommen ist das ja auch wirklich ein Hammer! Was für ein unbeschreibliches Gebären auf dieser Welt in endlosem Wehengewoge …!

Vor meinem inneren Auge glitschten blutverschmierte Babys aus geblähten Weiberleibern, Frauenschreie gellten an mein Ohr. Das Wasser verfärbte sich rot. Ich stieg eilig aus der Wanne und ließ es ab. Gurgelnd verschwand die Brühe aus Fruchtwasser und Blut im Siffon.

Zwei Minuten später saß ich in frischen Klamotten am Schreibtisch und fuhr mein Notebook hoch. Ich würde diese ganze brutale Schaffenskraft der mütterlichen Ursuppe jetzt sublimieren und endlich meine eigene Lebenskraft daraus schöpfen!

10. Schwarze Romantik

Ich schrieb ein Buch – also musste ich dranbleiben. Ich würde aber nicht den Fehler von Rowling wiederholen und mir dermaßen viel Arbeit beim Ausdenken machen. Mein Weg zum Erfolg würde Pilchers Pfaden folgen, aber natürlich feministisch gewendet.

Als ich Albert abends die Tür aufschließen hörte, stand der komplette Plot meines Liebesromans. Es ist die Geschichte der griechischen Studentin Gala und des englischen Managers Ron Steward, die sich an einem Kultkinoabend bei »Pretty Woman« kennenlernen. Ron erklärt Gala die Welt. Sein Geschöpf soll sie werden und so denken, wie er es will. Und sie findet das super, bis sie begreift, dass er sie entmündigt und bevormundet. Doch Gala hat einen eigenen Kopf und benutzt ihn. Als sie von Ron um ihrer selbst willen geliebt werden will, nimmt das Elend seinen Lauf, der alte Kampf beginnt …

Mit der Story würde ich meinem Lieblingsschriftsteller George Bernard Shaw ein Denkmal setzen, denn meine Geschichte war natürlich eine Adaption seines »Pygmalion«! Der wiederum die Adaption einer Erzählung aus Ovids »Metamorphosen« war: Bildhauer Pygmalion hat eine so genial weibliche Statue erschaffen, dass er sich in sie verliebt und sie dadurch zum Leben erweckt: Galathea – die antike Gala eben, Vorbild so vieler Traumfrauen, deren Existenz seither von Männern diktiert wurde … Bei Shaw hieß sie Eliza Doolittle und war eine Londoner Blumenverkäuferin. Ein Professor Henry Higgins, Sprachwissenschaftler, wettete, dass sie als Herzogin durchginge, wenn er ihr nur gutes Englisch und gutes Benehmen beibrächte. Wie wir auch aus »My fair Lady«, der Musical-Inszenierung des Stoffes wissen, gelingt das Experiment – doch als Eliza merkt, dass Higgins sie als Frau und Mensch nicht respektiert, verlässt sie ihn.

Ich aber würde die Geschichte nicht so enden lassen! Meine Gala würde nicht wie Eliza einfach nur gehen, sondern sie würde ihren eigenen Weg gehen! Meine Gala würde nicht wie Vivian Ward in »Pretty Woman« zusehen, wie Edward auf ihre Feuerleiter steigt, sondern sie würde ihrem Ron aufs Dach steigen! Ich würde Galatheas Geschichte endlich zu Ende schreiben!

Die ersten drei Kapitel meines Romans standen bereits. Ich hatte sie vor ein paar Jahren runtergetippt, beim Wiederlesen fand ich sie ganz passabel. Jetzt musste ich nur der Handlung eine neue Wendung geben, denn: Das neue Ende sollte ein Happyend sein!

Diese Entscheidung hatte mich viel Hirnschmalz gekostet. Happyend heißt ja im Allgemeinen Unterwerfung der Frau. Kuss, Hochzeit und Schluss. Seid glücklich und mehret euch. Das Glück der Frau geht dann stracks Richtung Entzauberung, seines auch, aber um das Glück des Mannes schert sich sowieso niemand, nicht mal er selbst. Er funktioniert ganz klassisch, und das reicht, denn er ist Funktionsträger. Hinter dem ehelichen Glücksversprechen verbirgt sich das Interesse des Staats. Als idealer Gesamtkapitalist will er Nachwuchs, also die Kontrolle über die Reproduktionsfähigkeit der Frau, das wussten schon Marx und Engels, hatte mir Gottfried Schachtschnabel damals erklärt.

Einer Ideologie, die dazu dient, nackte Staatsinteressen zu versüßen und Frauen wie Männer unglücklich zu machen, sollte meine Heldin auf gar keinen Fall auf den Honigleim gehen. Es reichte, dass ich selbst sie dreißig Jahre lang mit Albert praktiziert hatte. Unsere Ehe gab der Marxschen Theorie recht und der Liebe eine schallende Ohrfeige. Wobei die Heiraterei Alberts Idee gewesen war. Was schlüssig ist, schließlich leben wir im Patriarchat.

Bisher hatte ich für meinen Roman einen offenen Ausgang geplant, um dem Geschlechterkampf Raum zu verschaffen. Jetzt aber wollte ich nicht mehr nur ein Buch schreiben, sondern ich schrieb einen Bestseller. Ich musste mir eine Existenz aufbauen! Der Bestseller an sich ist nicht das Problem, als Buchhändlerin weißt du, wie Bestseller gehen. Aber ein Bestseller braucht ein Happyend, auch mit Blick auf die spätere Verfilmung! Was wäre »Pretty Woman« ohne die Szene mit Julia und Richard auf der Leiter? Ein Flop, so viel stand fest.

Mein Happyend wäre allerdings weit weniger kitschig. Dafür schüfe ich ein emanzipatorisches Vorbild, das kein Herz kalt und kein Auge trocken ließe. Mein Happyend stellte ich mir so vor, dass Gala und Ron sich harmonisch trennten! Ein Triumph für die Geschlechterdemokratie! Schon deshalb und wegen des gigantischen Honorars, das auf eine Bestsellerautorin wartet, konnte ich mit dem geänderten Ende sehr gut leben.

Ich schwelgte noch in dem neuen Schluss, als plötzlich das Licht ausging. Um mich her tiefstes Schwarz. Irritiert tastete ich mich zur Zimmertür. Draußen auf dem Flur war es auch finster. Ich tappte den stockdunklen Jammer entlang. Aua! Etwas Spitzes hatte sich in meinen Oberarm gebohrt, das Geweih einer blöden Kuckucksuhr. Schnell drückte ich das Ding zurück an die Wand. Die ganze Wohnung lag nachtschwarz. Nur hinten in der Wohnküche glomm ein zittriges Licht.

Dort saß Albert vor einer Kerze.

»Irgendwas kaputt? Sicherung rausgeflogen?«, erkundigte ich mich und hielt Ausschau nach durchgeschmorten Küchengeräten.

»Dir auch einen schönen Abend, Zuckerlämmchen«, gab Albert zurück. »Ja, es ist was kaputt. Offenbar unsere Ehe. Sicherungen sind auch rausgeflogen. Und zwar bei dir …«

Das war mal wieder typisch Albert! Den Krug einfach so lange zum Brunnen schleppen, bis er zerbricht und es aus ist, aber dann plötzlich beleidigt rumdüstern.

Ich nahm ihm gegenüber am Küchentisch Platz. Die Kerze flackerte vor seiner Nase und malte ihm ein bizarres Schattenspiel aufs Gesicht.

»Sehr witzig! Ich nehme an, du willst Strom sparen?« Mir kam eine neue Idee. »Wenn das hier ein romantischer Abend werden soll, kann ich nur sagen: Sei nicht albern, Albert.«

»Schwarze Romantik, Constanze! Passend zu deinen Rosen«, murmelte er grimmig.

»Monsieur Auerbach … Lass uns wie vernünftige Menschen reden. Wir sind erwachsen und dreißig Jahre verheiratet.«

»Stimmt. Und für mich gab es bis gestern nicht den leisesten Hinweis, dass du daran etwas zu ändern gedenkst. Ich fand den Brief echt lustig! Die Sache mit der Scheidung hab ich für einen Scherz gehalten! Dass du es ernst meinst, begriff ich erst, als du nicht heimkamst! Scheidung, out of the Blue! Wie sollte ich das ahnen? Du redest doch schon ewig nicht mehr mit mir, Constanze! Du interessierst dich weder für mich noch für meine Arbeit!«

Ich rollte die Augen. Natürlich wollte mein Mann nichts davon mitbekommen haben, dass wir uns schleichend auseinandergelebt hatten. Auseinanderschleichend gelebt hatten. Obwohl das nun schon Jahre so ging. Ich hätte aus dem Stand tausend Belege für unsere eheliche Entfremdung aufzählen können. Aber Albert war nun mal emotional völlig blockiert und ein Weltmeister im Verdrängen. Ein Aldi der Vernunft und des Gefühls. Bloß nicht zu viel investieren! Weder Hirn noch Schmalz!

»Also Albert, jetzt werd mal bitte wieder rational und lass uns eine harmonische Lösung –«

Weiter kam ich nicht, denn da erhob Professor Doktor Auerbach sein Stimmorgan und brüllte, dass die Wände wackelten: »Ich bin rational, Constanze! Ich bin harmonisch und erfülle dir deinen offenbar sehnlichsten Wunsch. Bitte sehr! Ich gebe dich frei! Ich trenne mich von dir! Aber!« Sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze. »Auf den Tag, an dem ich mich von dir scheiden lassen werde, kannst du warten, bis du so schwarz wirst wie deine Scheiß rosen! Punkt!«

Damit stürmte er aus der Küche. Im langen Jammer schepperte es, als der Schirmständer umfiel.

Kurz darauf krachte die Wohnungstür ins Schloss.

11. Arbeit am Lebensglück

Am Samstag Vormittag war Albert noch nicht wieder zurück.

Bestimmt hatte er die Nacht bei einer seiner OP-Schwestern verbracht, die ihn immer schon so toll und so süß fanden wegen seiner dunklen Locken. Nun gut, das war inzwischen zwanzig Jahre her und durch Alberts weißgrauen Haarschopf schimmert längst das Knie. Er ist eben älter geworden.

Seine Schwestern dagegen sind nach wie vor meist junge Hühner. Ich habe zwar keine Ahnung, welche ihm gerade nachrennt, Albert erzählt ja nie etwas. Aber, Pflegekräftemangel hin oder her, für ihn gab es immer genug Schwestern, das war klar. Ich sah sie im Pulk hinter Albert über die blanken Flure wetzen. Dicke, dünne, vollbusige, blonde, blauäugige, brünette, rehäugige … Herr Professor Doktor Auerbach, Herr Professor Doktor Auerbach!

Um die Szene loszuwerden, stieg ich unter die Dusche.

Nach dem Duschen ließ ich die Tropfennasen am Glas, meine Haare im Siffon und das Duschhandtuch auf dem Boden liegen. Außerdem quetschte ich einen Strang Zahncreme ins Waschbecken, und zwar schön mitten aus der Tube. Die legte ich unverschlossen auf den Beckenrand. Albert würde ausflippen. Wenn ihn eines noch fuchsiger machte als Verschwendung, dann Unordnung und Hygienemangel, wie er es nennt. Wie schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wenn er mein Post-it an der Badezimmertür entdeckte: »Sorry. War in Eile.«

Es stimmte. Ich hatte es wirklich eilig, hier wegzukommen!

Vor der Haustür fiel mir wieder ein, dass ich ja getrennt war. Der Herr Professor Auerbach konnte mir schnurzpiepegal sein. Mit diesem Gedanken schaffte ich es, Albert und seine Schwestern endlich an mir vorüberziehen zu lassen wie eine große weiße, nach Desinfektionsmittel riechende Chloroform-Wolke.

Der Himmel über der Wolke war blau.

Die Sonne schien. Ich setzte die Sonnenbrille auf und radelte in die Stadt, um an meiner neuen Existenz zu arbeiten.

Als Erstes schaute ich im Buchladen AnnaBella vorbei. Dort schließen sie Samstags schon um zwei Uhr, und ich musste dringend die Lage sondieren. Außerdem wollte ich ungern mit diesen sperrigen Einkaufstüten vom Second Chance da rein. Die Kundschaft fällt leicht drüber, und Buchhändlerinnen verdienen ja sehr wenig, sie sehen in vollen Tüten schnell eine Provokation, selbst in solchen aus dem Secondhand-Shop.

Diesmal stand wieder eine andere an der Kasse. Ich besah mir die Frau näher. Jung, aber mit Blümchenmuster wie von Oma. Vor mir standen noch zwei Kundinnen an, die zahlen wollten, eine dritte hielt einen Zettel in der Hand. Während ich wartete, vibrierte mein Handy. Ich warf einen kurzen Blick darauf.

Mira hatte mir ein albernes Filmchen geschickt. Schnäbelnde Flamingos. Vor einer Stunde hatte sie mir schmusende Einhörner gesendet, gestern kopulierende Pandabären. Seit Freitag versuchte ich sie anzurufen, sie ging aber nicht ran. Offenbar hatte die Clubnacht ihr nicht nur den Verstand geraubt, sondern auch die Sprache verschlagen.

Ich klickte die Flamingos weg und besah mir das Angebot an der Ladentheke. Lesezeichen, Schlüsselanhänger, alberner Non-Book-Schnickschnack. Genau dort würde eines Tages mein Bestseller liegen. »Wo habt ihr die Wechselburger? Ich brauch sie unbedingt zum Verschenken!« – »Ich auch!«, »Ich auch!« – »Hier bitte!« Lässiger Griff der Buchhändlerin zum sprichwörtlichen Platz an der Kasse. Wenn mein Werk erst einmal draußen war, hatte dieser Billigkram da nichts mehr verloren!

Die mit dem Zettel drängelte sich vor.

»Sagen Sie, ich such ein Buch. Soll ziemlich gut sein, von einer Julia. Nachnamen weiß ich leider nicht, aber was mit C.«

»Sachbuch oder Roman? Wissen Sie vielleicht den Titel?« Die Neue kassierte weiter, ohne aufzusehen. Auch auf ihrem Unterarm saßen grüne und gelbe und rote Blümchen. Früher waren Buchhändlerinnen nie tätowiert.

»Irgendwas mit Vögeln«, murmelte die Kundin und setzte entschuldigend hinzu: »Ich soll’s jemand mitbringen.«

Haha! ›Irgendwas mit Vögeln‹ war ja mal ein origineller Titel!

Die Buchhändlerin händigte der nächsten Kundin das Wechselgeld aus, in ihrem Hirn lief dabei schon die Suchabfrage. Ich wartete gespannt. Fragen an eine Buchhändlerin sind wie Ich-sehe-was-das-du-nicht-siehst. Die Antwort fiel denkbar enttäuschend aus: »Schauen Sie sich schon mal um. Ich bin gleich bei Ihnen, nur noch die Dame hier.«

Die Dame hier war ich. Die Augen der Buchhändlerin richteten sich auf mich. Im Blick las ich ein: Mach schon. »Was kann ich für Sie tun?«

»Also ich wollte fragen – vielleicht hätten Sie da ja was für mich«, begann ich und brach ab. Ich klang selbst schon wie eine, die weder Titel noch Autor kennt. »Wissen Sie, ich bin früher mal hier im Laden gewesen und darum dachte ich, ob Sie eventuell –«

Das Telefon klingelte. Die Buchhändlerin ging ran.

»Sachbuch oder Roman? Titel? – Ach so ja, das grüne. – Ja. – Haben wir da, stell ich Ihnen gern zurück.«

Als sie aufgelegt hatte, war ihr Blick leer. Ich verdrückte mich mit einem »Hab’s-eilig«-Lächeln. Gerade konnte ich mich jobmäßig nicht sehr gut rüberbringen.

Draußen vor der Tür blieb ich stehen und atmete durch. Bis zum nächsten Mal würde ich meinen Auftritt vorm Spiegel üben. Ich betrachtete mich im Schaufensterglas: Frau zwischen Büchern. Kein Zweifel, ich sah aus wie genau die Buchhändlerin, die in diesem Laden fehlte! Das musste ich ihnen bloß noch klarmachen. In der Auslage alles Romane. Einer stach mir besonders ins Auge.

Ich machte kehrt, riss die Ladentür auf und schrie Richtung Kasse: »Hey, von wegen Vögeln! Sie meint Juli Zeh! Unterleuten! Das mit dem Wiedehopf drauf! Liegt im Fenster!«

Die Buchhändlerin hob den Kopf. »Der Vogel auf dem Cover von Unterleuten ist ein Kampfläufer.«

Und der Vogel an der Kasse war eine Schnepfe! Aber das schluckte ich runter und rief lieber: »Hey, ich kenne mich mit Büchern aus! Hab früher hier mitgearbeitet! Ich bin die Conny! Bestimmt erinnert sich eine noch an mich. Constanze Wechselburger. Ihr könnt mich jederzeit anrufen, wenn ihr im Laden Hilfe braucht.« Ich wuselte ins Geschäft, kramte eine Visitenkarte aus der Tasche und warf sie auf den Tresen.

Die Schnepfe sah mich an, als wollte ich ihr einen Wiedehopf aufbinden. »Das alte Kollektiv gibt’s längst nicht mehr.« Aus ihrem Munde klang das so, als sei es kollektiv auf den Friedhof übergesiedelt. Egal. Ich hatte den Wiedehopf am Schopf gepackt und eine Spontanbewerbung hingelegt.

Dafür hatte ich mir jetzt eine Belohnung verdient.

Auch wenn ich nichts suche, im Second Chance werde ich immer fündig. Leider haben sie dort nicht Männer im Angebot. Aber die Auswahl an Vintageklamotten ist riesig, sodass man der ein oder anderen Versuchung erliegt. Meistens gleich beiden und mehr. Beim Eingang nahm ich mir einen großen blauen Plastikeinkaufswagen und zog los. Männer nehmen den Aufzug, Frauen nehmen sich einen Wagen. Anfangs hatte ich solche Rieseneinkaufswagen albern gefunden. Die Frauen sehen damit so seltsam entschlossen aus. Als ginge es um was. Als zögen sie in die Schlacht, um möglichst viel an sich zu raffen. Kampfkäuferinnen. Aber inzwischen wusste ich aus bitterer Erfahrung, dass spätestens nach drei Gängen die Arme schwer werden unter der Last der Kleider, die du anprobieren willst, und die Bügel hinterlassen Striemen auf der Haut.

Nach einer halben Stunde hatte ich mich mit meinem vollen Wagen in die mittlere Etage vorgearbeitet, wo immer so nette Oberteile hängen. Hier waren alle Umkleidekabinen besetzt, aber ganz oben gab es bestimmt freie. Außerdem findet man dort voll geile Siebzigermode. Man kann da auch eigenes Zeug abgeben, das man loswerden will. Praktischerweise klingelte in diesem Moment direkt neben mir der Aufzug. Die Metalltüren gingen auf und entließen eine runde, bunt gekleidete afrikanische Mutter mit zwei süßen Kleinen. Stimmt, Kinderklamotten gibt es auf dieser Etage. Eilig manövrierte ich meinen Traktor in den Lift. Er war leer bis auf einen älteren Mann. Sicher fuhr der auch hoch, jedenfalls brauchte er dringend neue Klamotten und Schuhe und Herrensachen sind oben. In seinem Zeug sah er aus wie eine Kreuzung aus Klabautermann und Kapitän Blaubär. Er trug eine Windjacke, am Hals leuchtete ein roter Rollkragen. Der Schirm seiner Cap ragte über eine Sonnenbrille, den unteren Teil des Gesichts verhüllte ein weißer Vollbart.

Ruckend setzte sich der Aufzug in Bewegung.

»Fährt ja gar nicht runter«, brummte der Seemann.

Scharfsinnig bemerkt.

Er hatte noch mehr zu sagen: »Dachte eigentlich, ich hätt auf null gedrückt.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Tja. Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.«

Mein gehobenes Niveau ließ Kapitän Blaubär verstummen. Verblüfft löste er sich von der Wand, hakte einen Finger hinter den Steg seiner Sonnenbrille und zog sie auf die Nasenspitze. Augen wurden sichtbar, die mir den Atem stocken ließen. Sie waren … honigfarben, mit einem Kranz weißer Wimpern!

»Constanze?«, fragte der Seemann.

Zehn Minuten später saßen Björn und ich im Café am Zoo. Den Kleiderwagen hatte ich mir bis abends zurückstellen lassen. Wenn ich nicht mehr zum Anprobieren käme, war es auch egal. Mit meinem ehemaligen Kommilitonen einen Latte zu trinken ging vor.

Wir schwelgten bald in alten Zeiten. Wie wir in Berlin zusammen auf die Straße gegangen waren! Wie wir zusammen in die Kneipe gegangen waren! Wie wir zusammen ins Kino gegangen waren! Wie wir zusammen ins Bett gegangen waren!

»Und jetzt so? Wohnst du etwa in Frankfurt?«, fragte ich weiter.

Er schüttelte den Kopf und schenkte mir einen seiner Honigblicke. »Ich bin nur kurz hier, die Bude meiner Eltern auflösen. Sind beide gestorben, da bleibt jetzt alles an mir hängen.«

Ich nickte heftig. Da blieb wohl einiges an Björn hängen! Er war, wie ich wusste, Einzelkind und die Bude ein riesiger Edel-bungalow in Kronstein, im Frankfurter Speckgürtel. Das Haus besaß einen Innenpool, den ich von einer Party her kannte, weil ich nach Mitternacht übermütig hineingesprungen war. Björns Vater hatte jahrzehntelang als Stararchitekt den Taunus mit Villen im Edward-Hopper-Stil bebaut, die Mutter die Bauherren und -damen dazu mit edlen Häppchen bewirtet. Sohn Björn hatte für das Leben seiner reichen Erzeuger nichts als Spott und Häme übrig und lieber Häuser besetzt. Jetzt war er millionenschwerer Immobilienerbe. Das fand ich witzig.

»Bin bei dem Secondhand-Laden gerade einen Haufen Hutschi-Gucchi von Muttern losgeworden. Ist ja irre voll da drin! Warum die Leute nur so viel Klamotten kaufen müssen!«

Ich nickte und sagte, dass ich dort immer hingehe, um meine alten Sachen abzugeben, weil mir ökologische Nachhaltigkeit am Herzen liegt. Dass ich jedes Mal einen Haufen Zeug von dort heimschleppe, verschwieg ich ebenso wie die Tatsache, dass ich den gepackten Altkleiderkram meist zu Hause vergaß.

»Und wie lange bleibst du noch?«

Er schaute so traurig wie ein verlassener Hund. »Morgen geht’s leider schon zurück nach Lissabon.«

»Du lebst in Portugal?!« Das wurde ja immer besser!

»Mal hier, mal dort. Die letzten Monate bin ich die Algarve entlanggesegelt, das war supertoll«, versicherte er, sah dabei aber gar nicht glücklich aus. Sein Handy brummte, er überflog eine Nachricht. »Du, ich muss los. War echt toll, dich wiedergetroffen zu haben!«

Er winkte den Kellner herbei, zahlte für uns beide und lieh sich einen Kugelschreiber. Als er meine Hand ergriff, sie umdrehte und mir seine Nummer hineinschrieb, lief mir ein Trupp Tausendfüßler über den Rücken. Wie romantisch!

Ich war die Julia Roberts in einem neuen Film.

Der Titel des Filmes lautete »Second Chance«!

Am Sonntagnachmittag saß ich allein in der Wohnung und war in mein Romanprojekt vertieft. Der Manager Ron hatte die wunderschöne dunkelhaarige Gala nach dem Kino noch in eine Bar eingeladen, da riss mich das iPhone aus meiner schöpferischen Arbeit. Es krähte nicht, also kein Albert. Das war schon mal gut. Ich sprang vom Schreibtisch auf und rannte ins Klo, wo ich es liegen lassen hatte.

Auch kein Björn. Seine Nummer hatte ich natürlich gleich unter den Kontakten gespeichert. Das hier war eine unbekannte Nummer. Zögernd ging ich ran.

Es war Sieglinde. Sie sagte, sie riefe nur an, um mir zu sagen, dass Albert sie angerufen hätte. »Um ein Essen abzusagen, zu dem ich ihn eingeladen hatte. Das fand ich schon seltsam. Natürlich habe ich gleich gefragt, ob es ihm gut geht. Und da hat er mir alles erzählt.« Sie fände es einen Hammer, dass Albert sich von mir getrennt habe! »Er sich von dir! Und da frage ich dich gestern noch, ob du dich von ihm trennen willst!« Sie lachte köstlich über ihre Dusseligkeit. Ach, was lachte ich mit.

Dann hörte sie auf zu lachen und ergänzte mit Grabesstimme: »Wenn du mich fragst: Das ist ein Hilfeschrei. Der Mann braucht dringend therapeutische Zuwendung.« Sieglindes Diagnose ging dahin, dass Albert an Burn-out litt. »Oder an einer Wechseljahresdepression. Männer haben das auch, man merkt es bei ihnen oft bloß nicht«, wusste Sieglinde. Albert sei jedenfalls völlig am Ende. O-Ton Sieglinde: »Ein gebrochener Mann! Ich will dir nur gesagt haben, ich halte Albert für suizidgefährdet.«

Das ließ mich aufhorchen.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Er hat gesagt, dass er sich verkleinern will.«

»Na und? Er will doch sonst auch immer sparen!«

»Er hat gesagt, er will in einen Bauwagen ziehen! Als Klinikdirektor und Medizinprofessor!«

Mir gefiel Alberts Idee. Hauptsache, er zog aus. »Und? Soll er doch!«

»Wir haben ihm angeboten, dass er seine Kuckucksuhrensammlung gern bei uns in der Villa aufhängen kann, wir sind gut versichert und das ganze Grundstück ist videoüberwacht.«

»Was hat er dazu gesagt?« Meine Laune schlug Purzelbäume auf geweihbefreitem Flur, aber Sieglindes nächste Worte fuhren schneidend dazwischen.

»Er hat wortwörtlich gesagt, die Uhren seien ihm scheißegal! Und Conny, wenn ein Albert Auerbach so etwas sagt, muss man mit allem rechnen!«

Ich konnte mich nicht bei Albert persönlich nach seinen Suizidplänen erkundigen, denn er kreuzte auch die nächsten Tage nicht zu Hause auf, und anrufen kam für mich nicht infrage. Ich rufe und laufe keinem Mann nach, schon gar nicht meinem eigenen.

Mittwochs dann ein Lebenszeichen per SMS: »Heute 19:00 Abholung Wäsche usw.«

Die nächsten Stunden über wappnete ich mich für den Auftritt Auerbach. Ich trank Magentee, nahm ein Beruhigungsbad und besprühte mein Ego mit Égoïste. Das roch eklig, aber Addicted hatte ich noch am Tag der Trennung in die Tonne geschmissen.

Dann setzte ich mich gesammelt an meinen Schriftstellerinnenschreibtisch und stellte fest, dass mir nichts einfiel, was ich hätte schreiben können. Mir fiel auch nichts Sozialkritisch-Feministisches ein, was ich hätte malen oder zeichnen können. Stattdessen kritzelte ich Strichmännchen aufs Blatt und murmelte dazu mein Mantra der Unabhängigkeit.

Zwischendurch blickte ich in die Abgründe meines Ex. Dass er selbst die Uhren seinem Geiz opferte! Mir kam ein schrecklicher Verdacht. Vielleicht hatte Albert sie gesammelt, um mich zu ärgern? Ich malte dem Strichmännchen ein Hirschgeweih und verwarf den Verdacht. Das wäre für Albert viel zu komplex.

Gegen neunzehn Uhr ließ mich die Türklingel zusammenfahren. Offenbar hatte der Herr Auerbach seinen Schlüssel vergessen. Oder wollte, dass ich für ihn das Hausmädchen gab. Da konnte er lange klingeln! Andererseits wollte ich, dass er sein Zeug einsammelte. Also erhob ich mich und ging öffnen.

Vor der Tür stand ein Engel.

»Guten Tag«, säuselte der Engel und strich sich eine klischeeblonde Haarwelle aus der Stirn. »Der Herr Professor Auerbach schickt mich. Ich soll ein paar Sachen für ihn holen und Ihnen ausrichten, dass er für die nächste Zeit weg ist. Machen Sie sich keine Mühe, ich bin bestens instruiert.« Ein eng bekritzeltes gelbes Zettelchen zwischen Zeige- und Mittelfinger reckend, verschwand die Erscheinung zielstrebig im langen Jammer. Ich folgte ihr durch den Gang ans andere Ende der Wohnung bis ins Frankfurter Bad, wo Albert schlief, seit er aus unserem Schlafzimmer ausgezogen war, schon wegen des Schnarchens. Sein Bett hatte genau an die Stelle der alten Badewanne gepasst. Genial!

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