Kitabı oku: «Das Wunderjahr (1566)», sayfa 5
V
Da zog sie mit einem schwarzen Stabe einen Kreis auf den Boden: da mußte ich mich mitten hinein stellen: dann brachte sie allerlei seltsame Dinge in den Kreis, und so viel ich merken konnte, so däucht mich, waren es Löwenklauen, Hundsaugen, Wolfszähne, Bocksblut, Eselsohren u.s.w.
Duyfken en Willemynken.
An demselben Tage, an welchem Lodewyk seine Reise angetreten hatte, und von Liebesträumen seines Weges entlang begleitet, seiner Gertrud gedachte, gingen in Godmaert’s Hause Ereignisse vor, deren Kunde unserm Junker manche bittere Thräne gekostet haben würde.
Es war gerade zwei Uhr Nachmittags; Godmaert und seine Tochter saßen ruhig im Gespräche über gleichgültige Dinge beisammen.
»Vater,« unterbrach ihn Gertrud, »dieser Spanier hat s doch nimmermehr die Macht, seine Drohungen zu verwirklichen?«
»Welche Drohungen, meine Tochter?« frug der Geuse betroffen.
»Die Dienstboten sagten mir, Valdes habe Euch das Gefängniß zugelobt – wißt Ihr das nicht?«
»Gefängniß!« seufzte er, »das Gefängniß!« und düstere Sorge überzog sein Gesicht. Er faßte die Hand seiner Tochter und drückte sie liebevoll.
»Gertrud!« fuhr er wehmüthig fort, »der Spanier ist ein reicher und arglistiger Mann – Sage mir, falls das Schicksal Dich einmal von Deinem alten Vater scheiden sollte, würdest Du diesen schmerzlichen Schlag wohl ertragen können?«
»Aber Vater,« antwortete das Mädchen traurig, »Ihr habt ja doch keine Uebelthat begangen. – Die Richter würden Eure Unschuld bald erkennen und nicht zugeben, daß man Euch in’s Gefängniß würfe?«
»Kind,« sprach Godmaert, »Du kennst die Welt nicht. « Wahrlich ich sage Dir, es kann geschehen, daß man mich aus meinem Hause fortführe. Obschon wir an einem löblichen Werke arbeiten, sind wir dennoch strafbar nach den bestehenden, Gesetzen, denn wir lehnen uns gegen den regierenden König auf. Für mich fürchte ich nicht, aber für Dich, schwaches Reis, die Du schon so viele Thränen über die Leiden Deines Vaters vergossen hast.«
Aufs Neue drückte er ihre zarten Hände, und ihr fest in’s Auge blickend —
»Wenn Du dort,« sprach er und zeigte auf die Thüre – eine Schaar Soldaten mit gezogenen Degen kommen sähest – wenn Du sie mit Deinem greifen Vater sähest von hinnen gehen; sage, würdest Du dann, wenn ich es verlangte, still und ruhig den glücklichen oder unglücklichen Ausgang abwarten, – ohne mein Geschick durch Deine Thränen noch zu verbittern? – Gertrud, Du antwortest nicht?« —
»Ja, ja Vater,« rief sie aus, »ich werde Euch nicht verlassen, und Euch mit meiner Liebe trösten! . . . «
»Doch, wenn Du mir nicht folgen darfst; wenn ein unbegrenztes Lebewohl zwischen uns beiden muß ausgesprochen werden?«
Heiße Thränen, schmerzliches Schluchzen waren des Mädchens einzige Antwort.
»Wohlan, Gertrud,« sprach der Greis und küßte sie, »Du siehst, daß Dich der Muth verlassen würde.«
»Nein, nein« rief sie, »das Schicksal wird uns so schwer nicht treffen.«
»Gott gebe, daß Du die Wahrheit sagest,« antwortete der Greis zweifelvoll. – Er schlug mit der Faust stark auf den Tisch. Die alte Therese trat ein.
»Therese,« sprach Godmaert zu ihr, »horchet aus meinen Befehl – Ich kenne Eure Liebe zu meiner Tochter. Ihr habt lange Mutterstelle an ihr versehen. Vielleicht mag heute oder morgen Alles in Feuer und Flammen stehen, vielleicht werden die Straßen von Antwerpen in Blut getränkt seyn. – Alsdann werde ich meine Freunde nicht verlassen, und mein Leben, so lang es noch dauern mag, für Ehre und Vaterland in die Wagschale werfen. – Meine Gertrud befehle ich in Eure Hände. Von nun an verlaßt sie nicht mehr; denn die Wolken sammeln sich schon stürmend über unserm Haupte.«
Plötzlich entfuhr ein schneidender Schrei Gertrud’s Brust.
»O Gott! . . . hier sind sie!« rief sie erschrocken. – Zahl- reiche verworrene Stimmen ließen sich im Hofe hören.
»Komm, mein Kind,« sprach Godmaert, »komm, laß Dich umarmen – Weine nicht so bitterlich. Gott wird mich vor Ungemach bewahren!«
Das Mädchen weinte heftig. Aus Godmaert’s Geheiß ward sie von Theresen gewaltsam aus dem Zimmer geführt.
»Gertrud!« rief der Vater nach, vielleicht irrst Du Dich!«
Doch Gertrud sah die Soldaten im Vorübergehen – und lange wiederhallte ihre kleine Stube von ihren Wehklagen, bis sie schwach und ermattet in tiefer Wehmuth verstummte.
Der Anführer nahte dem Grafen, und las ihm einen Befehl von dem Markgrafen vor, nach welchem er als Staatsgefangener in den Kerker abgeführt werden sollte. Der Greis warf den Mantel über die Schultern, und folgte dem Hauptmann gehorsam, ohne die mindeste Beschwerde über sein Loos. Am Thore standen zwanzig Bewaffnete, um ihn zu begleiten, und eine Menge Volkes, das neugierig erwartete, wer der Gefangene seyn möge. Sobald die Godmaert erblickten und sein bekümmertes Antlitz aus seinen grauen Haaren hervorscheinen sahen, lief ein Geschrei nach Rache und Befreiung aus Aller Munde: – Doch die Gewaffneten hielten den Haufen unbewehrter Leute zurück, und brachten den Geusen ohne Blutvergießen nach dem Gefängniß. Hier sah er den grausamen Valdes an der Pforte stehen. Ein Glück, daß Godmaert keine Waffen bei sich hatte, sonst hätte der Spanier sein höhnisches Lächeln mit dem Tode gebüßt.
Der Gefangene wurde in einen tiefen dunklen Kerker gebracht; man legte ihm einen eisernen Gürtel um den Leib, befestigte diesen an der Wand, setzte ihm ein Stück Brod und Wasser vor – und die schwere Thüre wurde knarrend vor ihm zugeriegelt.
Da saß nun der betrübte Vater, in einen düstern Kerker gesperrt, um auf wenigem feuchten Stroh hinzubrüten. Um seinetwillen war er nicht bekümmert, denn an sein eigenes Schicksal hatte er nicht einmal noch gedacht; – doch die Thränen seiner theuren Gertrud und die Abwesenheit des geliebten Mädchens, das ihm, als sein einziges Kind, so sehr am Herzen lag, waren zu schwere Schlage, daß er sie ungebeugt ertrüge. Auch sank er tief erschüttert auf sein Lager hin. Ein Fluch der Rache entfuhr seinem Munde, und die dicken Gewölbemauern hallten seine Worte: Valdes! und Verräther! mit dumpfem, grausigem Klange wieder.
Indeß der greife Vater so kummervoll seines Kindes gedachte, war Gertrud, durch bittern Schmerz und Verzweiflung entkräftet, auf einen Stuhl niedergesunken. Sie konnte das Geschehene nicht glauben. Zu groß schien ihr dieß Unglück, und vielmals frug sie zweifelnd, ob es denn wahr sei, daß ihr alter Vater von Soldaten fortgeführt worden. Wenn dann die Dienerin ihr den Vorgang bestätigte, strömten ihre Thränen noch reichlicher als zuvor. Jammernde Klage und verzweifelnde Geberde ermatteten sie zuletzt dergestalt, daß sie mehr als einmal erschöpft und thränenleer, sich auf den Sitz niederwarf.
»Liebe Therese,« rief sie aus, »lauft zu Pater Franziskus; er allein kann noch unser Schutzengel werden.«
»Ihr vergeßt, Fräulein, daß Pater Franziskus mit dem Abte von Sanct Bernhard verreist ist.«
»Wehe, so ist es! So rathet mir, was ich thun kann, um meinen Vater zu sehen. – O rathet mir, wißt Ihr kein Mittel, sprecht!«
»Sonst weiß ich keines, Fräulein,« antwortete die Dienerin, »als den Kerkermeister durch Wort oder That zu bewegen – das heißt, durch Bitten oder Geld.«
»Kommt,« rief Gertrud, »Geld habe ich, und Worte sollen mir nicht fehlen. Von Liebe und bitterem Leid getrieben, hoffe ich den Kerkermeister wohl zum Mitleid zu bewegen.«
»Ihr wißt nicht, Fräulein wie gefühlos ein Gefangenenwärter ist. Wenn das Geld nicht auf ihn wirkt, bleibt uns wenig Hoffnung.«
»Kommt, kommt!« bat das bekümmerte Mädchen dringender, »und hätte er ein Herz von Stein, er wird dennoch meinen rothgeweinten Augen und meinen flehentlichen Bitten nachgeben müßen.«
»Ich will gerne mit Euch gehen und sehen, ob wir Euren unglücklichen Vater trösten mögen; aber haltet Euch zurück und seid vorsichtig in Eurem Schmerz. Laßt mich auch vorher Eure Kleidung ordnen.«
Nun nahm Gertrud den schwarzen, seidenen Schleier über den Kopf, und während sie unruhig im Zimmer auf und ab schritt, als ob sie dadurch den Gang abkürzte, faßte Therese sie bei der Hand, und sie begaben sich zusammen auf den Weg. Sie mußten durch viele Haufen von Menschen, von denen einige mitleidig, andere mit kalter Neugier das betrübte Mädchen betrachteten, und kamen endlich zu dem dich ummauerten Gefängniß.
»Ist mein Vater hier in der Veste?« frug Gertrud angstvoll.
»Ich denke wohl,« antwortete die alte Therese; »kommt Gertrud, fasset Muth! Ich will anklopfen.«
Das Thor drehte sich rasch um seine Angeln. Sie wurden in die kleine Stube des Kerkermeisters eingelassen.
»Was verlangt Ihr von mir, edle Jungfrau?« frug dieser und verneigte sich vor Gertrud.
»Ist mein Vater hier?«
»Wenn Godmaert Euer Vater ist, Fräulein.«
»Ja, ja, Godmaert. – Ihr werdet Gefühl haben für meinen Schmerz, und mich gewiß meinen greisen Vater aus einen Augenblick trösten lassen. O schlagt es mir nicht ab! – Nein, versagt es mir nicht, ich bitte Euch. Wenn Ihr auch Kinder habt, könnt Ihr leicht denken, welch’ Herzeleid ich empfinde. – Laßt mich die Stimme meines Vaters hören, und ich will Euch reichlich belohnen.«
»Jungfrau,« antwortete er niedergeschlagen, »es ist noch keine halbe Stunde, daß Sennor Valdes mir einen schriftlichen Befehl des Markgrafen hat einhändigen lassen, den gefangenen Godmaert von aller Gemeinschaft mit seinen Freunden abzuhalten. Darum kränkt es mich sehr, daß ich Euer Verlangen nicht erfüllen kann.«
Jetzt zerschmolz die arme Gertrud aufs Neue in heißen Thränen: sie drückte des Kerkermeisters rauhe Hand flehend in den ihrigen:
»Ich bitte,« rief sie, »ich bitte Euch, habt Mitleiden mit einem Kinde, dem sein Vater grausamlich entrissen ist. O seid nicht fühllos! Laßt Euch mein bitteres Schreien ins Herz dringen – Ihr seid doch auch ein Mensch, und nicht aller Empfindung baar: Ihr könnt gewiß meine Thränen nicht ohne Mitleid ansehen? O, laßt mich doch zu meinem Vater – oder ich lasse Euch nicht, und werde so lange weinen, bis Ihr, nur um meines steten Bittens ledig zu seyn, mich selbst in meines Vaters Kerker bringet.«
»O ja, Herr,« sprach Therese, »so laßt sie doch zu ihrem Vater oder sie stirbt noch vor Angst,«
Da klirrten die Schlüssel, die an des Kerkermeisters Gürtel hingen; und die zwei stehenden Frauen, meinend, er gedenke ihrem Gesuch zu willfahren, schlugen freudig entzückt in die Hände; Worte des Dankes drangen schon aus ihrem Munde, – als der Gefängnißwärter, der zurückgetreten war, um eine Thräne von seinen Wangen abzuwischen, sich ihnen abermals näherte:
»Ihr Frauen,« sprach er, »Euer Leid hat mir die einzige Thräne, die ich in meinem Leben vergessen, aus den Augen gepresst. Dieß zeigt Euch, daß ich Eure Betrübniß tief mitfühle; doch meine Pflicht zwingt mich und so darf ich Euch keinen Trost gewähren. Glaubt nicht, daß Ihr durch Weinen mich wankend machen werdet. Nein, ich habe lange genug Jammer und bittres Leid mit angesehen um vor Euren Thränen nicht zurückzuweichen. Darum sage ich Euch, daß kein Mittel, sei es welches es wolle, mich meiner Pflicht vergessen lassen kann. Ich bin Kerkermeister. Fragt, was ein Kerkermeister ist, und Jeder wird Euch antworten: ein Tiger, – und so ist es auch. So muß es seyn.«
Bei diesen Worten ließ er die betrübten Frauen weinend stehen und ging.
»Der Grausame! schluchzte Gertrud, »wir kalt er gegen unsern Schmerz ist! – Therese, Du hattest recht, ein Kerkermeister ist kein Mensch. Kommt, ich will bei unseren Freunden nach Hilfe suchen.«
Sie entfernten sich mit tieferer Betrübniß, als sie gekommen waren. Gertrud’s erster Gedanke fiel auf den guten Schuermans, den edelmüthigen doch armen Geusen. Sie wandten sich mit raschen Schritten gegen Klapdorp. Hier wurde das Thor eines alten verfallenen Hauses vor ihnen geöffnet.
»Ach, Schuermans!« rief Gertrud, »wißt Ihr, was meinem Vater widerfahren ist?«
»Ja, Fräulein antwortete der Geuse, indem er sie einließ, »ich weiß alles. Schweigt, weinet nicht – ich kann Eure Thränen nicht ohne Pein ansehen Valdes, der Verräther, hat dieß Alles bewirkt. – Schon habe ich meinen Dolch gewetzt; daran denkt er nicht!«
»Schuermans,« sprach das Mädchen, »um Gottes willen sagt mir; wißt Ihr kein Mittel, um mich zu meinem Vater zu bringen?«
»Keines,« war die Antwort, »ich habe selbst eine halbe Stunde lang an dem Gefängniß gebeten, doch sie sind unerbittlich.«
»O, sucht noch einmal in Eurem Kopfe, ob denn gar, gar keine Hoffnung übrig bleibt? – Ihr Männer wißt besser, als wir, was zu thun ist.«
Schuermans betrachtete mitleidig die leidende Gertrud.
»Arme Tochter!« seufzte er, hielt eine Zeit lang die, Hand vor die Stirn und zuckte trostlos die Achseln:
»Nein Gertrud,« hob er wieder an, »ich weiß nicht, ein einziges Mittel. – Ich rathe Euch, unglückliches Mädchen, zu Hause in Eurer Kammer den Ausgang der Sache abzuwarten und nicht mehr zu weinen. Ich will selbst zu allen Freunden gehen, und woferne ich Euren Leiden irgend eine Linderung bieten kann, will ich in Eile Eures Wohnung aufsuchen. Wo ist Lodewyk Van Halmale?« frug er.
»Lodewyk ist fort,« antwortete sie. »O! wenn Lodewyk hier wäre, sollte ich meinen Vater bald zu sehen bekommen.«
»Wo ist er denn hin?«
»Noch Zoersel, um Wolfangh aufzusuchen.«
»Ah ja! nun da wird er morgen bei Tagesanbruch wieder hier seyn. Geht, Fräulein, besänftigt Euer Gemüthe. Mit diesen bitteren Thränen bessert Ihr Euer Schicksal nicht. Gedenket, daß warme Freunde über das Leben Eures Vaters sorgsam wachen. – Lebt wohl, liebe Jungfrau, ich werde Alles aufbieten, um Euer Leid in Freude zu verwandeln.«
Die beiden Frauen entfernten sich ohne Trost. Aufs tiefste betrübt kamen sie in ihre Wohnung zurück.
»Was nun beginnen?« rief Gertrud und warf sich verzweifelnd auf einen Stuhl.
»Geduld haben und Gott vertrauen,« antwortete die gute Frau. »Ihr seht wohl, Gertrud, daß, wie Schuermans sagte, die Thränen uns wenig helfen. Laßt uns denn nicht länger weinen und Lodewyk’s Ankunft mit getroster Hoffnung abwarten.«
»Weinen!« seufzte Gertrud, »ich kann ja schon nicht mehr weinen; meine Augen brennen, und bitteres Herzweh bleibt mir allein übrig. – O! Wie unglückselig bin ich, liebe Therese. Und doch, habe ich je ein so schreckliches Loos verdient? Ich, die so gewissenhaft die Pflichten gegen Gott und Menschen erfüllte?«
»Gertrud! Gertrud!l Wollt Ihr den Allmächtigem den einzigen Tröster, der Euch auf Erden bleibt, gegen Euch aufbringen und durch Murren Euer Leiden verdienen?«
Sie wies auf den Betschemmel und sprach in ernstem Tone: »Jungfrau, Ihr habt gesündigt!«
Das Mädchen knieete gehorsam vor dem Kreuze nieder, und blieb lange, lange im Gebet. Die alte Frau, wohlwissend, daß sie mehr Trost im Beten, als im Klagen finden konnte, ließ sie ungestört knieen, und folgte ihr darin stillschweigend nach.
Lange schon war die Sonne untergegangen und die Straßen Antwerpens in Finsterniß versenkt, als die jugendliche Gertrud, von dem Betschemmel sich erhebend, in Thränen ausbrach und sich an Theresens Busen warf.
»Ich habe nicht gebetet!« schrie sie, »ich habe nicht ein einzigmal an Gott gedacht – Ich bin eine schuldige Sünderin!«
»An was denn habt Ihr gedacht?«
»An meinen Vater, an Lodewyk,« rief Gertrud weinend, »und Gott ist auf mich erzürnt; denn vor dem Kreuze habe ich keinen Trost gefunden.« – Und ihre Augen starrten verwirrt vor sich hin.«
»Sachte, sachte! unglückliche Gertrud, was soll aus Euch werden, armes Kind!« seufzte Therese. Sie drückte das fast besinnungslose Mädchen voll Mitleid an ihr Herz.
»Therese,« rief dieses, »wüßte ich nur, was mein Vater machte! – Er ist todt. – Das habe ich dort auf dem Betschemmel geträumt und geglaubt; und deßhalb habe ich nicht gebetet.« Und verzweifelnd schlug sie gegen ihre Brust und lief heulend im Zimmer umher.
»Gertrud! was macht Ihr? – Ihr seid von Sinnen!« doch nichts vermochte das Mädchen zu besänftigen.
»Fräulein!« rief sie lauter, »mir fällt etwas ein, was Euch in die Nähe Eures Vaters bringen kann.«
Gertrud lief eilig auf sie zu.
»Sprich, liebe Therese, spricht was ist es . . . ?«
»Kennt Ihr das Jan van Lier Gäßchen hier neben um die Ecke?«
»Ja wohl,« antwortete Gertrud.
»Nun, da wohnt ein greises altes Weib, die kann Euch, wenn Ihr den Muth habt, mir zu ihr zu folgen, Alles sagen, was Ihr zu wissen wünscht. – Und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß Wahrheit aus ihrem Munde spricht.«
»Die alte gebückte Frau, die von den Nachbarsleuten die Zauberhexe genannt wird?«
»Ja, dieselbe.«
»Glaubt Ihr, daß die mir sagen kann, was mein Vater thut und leidet?«
»Ja, Kind, ich schäme mich, es zu gestehen, manchmal war ich bei ihr um Rath; aber noch niemals hat sie vor mir ein falsches Wort gesprochen – Ihr werdet sehen, ohne daß wir von unserm Unglück ihr etwas merken lassen, wird sie es selbst entdecken.«
Sie verließen sofort das Haus, bogen um die Ecke, und befanden sich in dem engen Jan van Lier Gäßchen.
»Wer klopft so spät in der Nacht an meiner Thüre?« wurde gefragt.
»Mütterchen! macht einmal auf,« antwortete Therese, »Ihr kennt wohl Eure Nachbarin noch?«
»Wartet ein bisschen, daß ich meine Lampe anstecke.«
Die Thüre wurde vorsichtig und langsam geöffnet. Nachdem man sich wieder erkannt hatte, wurden sie in ein kleines Gemach geführt, in welchem, bei ihrem Eintritte, die Lampe mannigfache Strahlen umhersandte.
Ein ängstlicher Schrei entfuhr der erschreckten Gertrud und sie wagte das Zimmer nicht zu betreten.
»Komm nur herein, Fräulein,« sprach die Zauberin, « »glaubt mir, Ihr habt nichts zu fürchten.«
Bebend trat Gertrud in die Stube und drückte sich fest an Theresens Kleider.
Alles war voll Unordnung und Schmutz: zwei Stühle standen an einem schweren, schwarzen Tisch, auf dem ein großes Buch, ein Dolch, Spielkarten, und etliche Gerippe von kleinen Thieren lagen. Zwei pechschwarze Katzen saßen spinnend auf den Stühlen Ihre Geberden waren so ernst und natürlich, daß diese Thiere Menschenverstand zu haben schienen; sie sahen Gertrud mit starrer Neugier an. Ein Todtenkopf vor dessen hohlen Augen und glänzenden Zähnen Gertrud schon gleich erschrocken war, stand schauerlich auf der Kaminplatte. Die Zauberin war ein häßliches Weib und schien hundert Jahre alt: tiefe Runzeln überzogen ihr Gesicht, um welches ihre grauen Haare verwirrt herabhingen. Ihre gelben Augen waren scharf auf die furchtsame Gertrud geheftet.
»Was ist doch Ursache, edle Jungfrau, daß Ihr eine arme Frau, wie ich bin, so spät in der Nacht heimsuchet?« frug sie, »soll ich Euer Schicksal aus den Karten lesen? – nun denn, – und mischte geschickt die Spielkarten. Erst legte sie die knackenden Gebeine auf den Boden, dann breitete sie das Spiel Karten auf dem Tische aus. Eine Zeitlang saß sie in Gedanken, um ihr Orakel, so gut sie konnte, zu sammeln, und als sie es gefunden zu haben glaubte, sprach sie:
»Seht Ihr da, Fräulein?– Kommt doch näher an den Tisch. – Seid nicht furchtsam. Seht Ihr da, sage ich, den Pik-König?«
»Ja wohl,« antwortete Gertrud.
»Nun, das ist Euer Vater. Er scheint in diesem Augenblick sehr unglücklich zu seyn. – Seht, hier auf der Karte sehe ich seine Thränen und sein Zähneknirschen.« Gertrud bebte vor Schrecken und Betrübnis.
»Wartet nur, Fräulein,« sprach die Hexe, »wartet! Seht Ihr da diese zwei Kreuze, das sind zwei Tage Leiden. Die Zehn dabei zeigt an, daß der Schmerz groß, unaussprechlich groß sei. Geduld, Fräulein, Geduld! das Beste kommt nach. Beruhigt Euch! – Da, seht Ihr den Rauten-König, der daneben liegt? Dieser allein wird Euren Vater durch seinen Beistand erlösen.«
»Wer ist er, Frau?« frug Gertrud.
»Seinen Namen weiß ich nicht,« war die Antwort, »aber das weiß ich, daß es ein Mensch ist, der viel Schlimmes gethan hat, und wie ein Thier in Wäldern wohnt.«
»Wolfangh,« seufzte Gertrud.
»Dort,« fuhr die Alte fort, »der Herz-Bube ist ein Jüngling, der Euch zärtlich liebt, und seit diesem Morgen beständig an Euch gedacht hat.«
»Weiß er, was meinem Vater begegnet ist?« frug das Mädchen.
»Nein, das weiß er nicht, sonst würde er Euren Kummer getheilt haben. – Hier neben ihm habt Ihr Herz-Dame. – Seht, Fräulein, das seid Ihr selbst; Alles zeigt mir an, daß Ihr einst glücklich mit ihm werdet vereinigt werden. Ferner sagen die Namen, die da liegen, daß gegenwärtig viel über, Euren Vater geschrieben wird, und diese Kreuze hier und diese Buben kommen mir wie Richter vor. – Ich glaube sicher, daß er eben verhört wird. – Noch Eins weiß ich; aber das würde Euch zu schmerzlich seyn, und darum will ich nichts weiter sagen!«
»Aber, jetzt wissen wir noch nicht viel, Mutter!« sprach Therese.
»Wie,« rief die Alte, »wißt Ihr nicht, daß Euer Leid in Kurzem vorüber seyn wird; und ist es nicht besser, daß ich das Schreckliche, was ich noch weiß, verschweige?«
»Nein,« antwortete Gertrud mit schmerzlichem Unwillen, »sagt mir alles, was Ihr wißt, und ich werde Euch reichlich belohnen.«
»Also, Ihr wollt es so haben, Jungfrau? – Ihr habt’s gehört Therese, sie will Alles wissen.«
»Bothen der Nacht!« sprach sie zu den Katzen gewendet, mein Wille geschehe!« Und jämmerlich heulend, flogen die zwei schwarzen Thiere in den Kamin und verschwanden.
»O Gott!« rief das Mädchen erschreckt, indem sie sich an Therese drückte, »hier wohnen höllische Geister! . . . «
»Ihr habt’s gesagt!« antwortete die Zauberin, »doch dürft Ihr darob nicht erschrecken, es soll Euch nicht das mindeste Leid geschehen. – Aber stört mich nicht in meinem großen Werke!«
Sie nahm einen eisernen Kelch und stellte ihn auf einen vergoldeten Dreifuß. Ein Stückchen rothe Seide rieb sie dreimal an dem Todenschädel, befeuchtete es mit etwas Wasser und warf es in den Kelch. – Eine blaue Flamme schlug zischend und wirbelnd empor. Dann ergriff sie ihr Zauberbuch, fuhr mehrere Male mit ihren magern Händen durch die Flammen, und las murmelnd auf mehreren Blättern des Buches Worte schauerlichen Klanges. Dreimal lief sie um den Tisch und rief die höllischen Geister herbei.
Die Katzen kamen wieder heulend aus dem Kamin.
Man kann denken, wie erschrocken das arme Mädchen war; doch von den vorhergegangenen Leiden geschwächt, war sie für das, was sie jetzt sah, fast unempfindlich geworden. Therese bebte an allen Gliedern; doch ihre Neugierde überwog ihre Furcht, und weil sie schon öfters derlei Dinge gesehen hatte, fand sie immerhin Kraft genug, um Gertrud zu unterstützen,
»Wohlan,« sprach die Zauberin und nahm das Mädchen bei der Hand, »sagt mir jetzt, wenn ich Euch die Wahrheit sehen lasse und wenn dadurch Euer Schmerz noch vergrößert wird, sagt, werdet Ihr mir dann zürnen . . . ?«
»Nein, nein,« antwortete Gertrud bebend, »ich habe es ja selbst von Euch begehrt.«
»Wollt Ihr zuerst Euren Geliebten sehen?«
»Ja.«
»Kommt denn her zum Kamin. O! Euch wird vor den Katzen bange! – fort!« rief sie und die schwarzen Thiere liefen hastig in den Kamin hinein. Sie nahm den Todtenschädel und legte ihn auf den Tisch.
»Tretet her vor den Kamin Fräulein – schaut in diesen Spiegel.« – Sie zog einen Vorhang vor dem Glase weg.
»Ja, siehe, da schläft Lodewyk!« rief Gertrud. »Therese sieh, wie ruhig er schlummert! – Siehe, ein Mann sitzt bei ihm und wacht sorgsam über ihm. – Therese, kommt doch, seht Ihr feine blonden Locken über dem Kopfpolster gebreitet, und das Lächeln, das auf seinen Lippen schwebt. – Er träumt!«
»Ja,« sprach die Alte, »er träumt von Euch, Fräulein.«
Gertrud starrte lange in den Spiegel. Sie fand Trost in dem sanften Schlafe ihres Geliebten.
»Nun, gleicht der Junker Eurem Freunde?« frug die Zauberhexe.
»Ja, ja er ist es selbst,« sagte Gertrud. »Wann werde ich ihn wiedersehen?«
»Morgen um Sonnenaufgang,« war die Antwort; – und Gertrud ward froh ob der Hoffnung, Lodewyk bald zum Trost und zur Hilfe bei sich zu haben.
»Wollt Ihr nun Euren Vater sehen?«
»Ja.«
»So tretet von dem Spiegel zurück.« Sie ließ den Vorhang herabfallen
»Fräulein,« fuhr sie fort, »geduldet Euch ein wenig, bis die Erscheinung sich bildet. Schreckliches werdet Ihr schauen, und leicht mag Euch vor Angst und Schmerz die Kraft verlassen.«
»Ihr irrt, Mutter,« sprach Gertrud, »wofern ich meinen Vater lebend erblicke, wird es mir an Muth nicht gebrechen.«
»Gut, Fräulein, so tretet denn vor den Spiegel, sprach die Zauberin und hob den Vorhang auf. – Aber Gertrud hatte nicht so bald sich hingewandt, als ihr ein Schrei des Entsetzens entfuhr; schwer und bewußtlos fiel sie zur Erde. Therese zerfloß in Thränen über ihre unglückliche Herrin, und jammerte über die vielfachen Schläge, die sie diesen Tag über getroffen hatten.
»Das wußte ich,« sprach die Alte. »Hab ich’s nicht gesagt? – Doch dieser Ohnmacht will ich bald Meister werden.«
»Was sah sie denn?« frug Therese.
»Schaut selbst, sprach die Zauberin und führte sie vor den Spiegel. – Therese wich schreiend zurück. —
Was hatten sie denn gesehen? – Den greisen Godmaert mitten unter Henkern in grausamer Weise gemartert; der Ausdruck seines krampfhaft verzerrten Gesichts, das Blut, das ihm über den Leib rann, hatten den Frauen das Herz zerrissen.
»Was soll ich nun mit meiner bewusstlosen Gebieterin thun?« frug Therese kläglich schluchzend.
»Merkt auf,« antwortete die Alte, »hier habe ich ein Fläschchen, das Alles zurecht bringen soll. Wenn ich es dem Fräulein eingebe, wird sie aufstehen und Euch stillschweigend nach Hause folgen. Tiefes Vergessen des Vorgegangenen werde ich über sie ergießen. Bringt sie alsdann zu Bette, und nur die Stimme ihres Geliebten wird vermögen, sie aus dem Schlafe zu wecken – Wenn Alles den Ausgang wird genommen haben, wie ich es Euch vorhergesagt, werdet Ihr mich hoffentlich nicht vergessen.«
Sie goß bedächtlich den Inhalt des Fläschchens Gertrud in den Mund. Diese richtete sich auf und blieb schweigend stehen.
»Gehet zu, Therese!« sprach das alte Weib. »Sorgt nicht um das Fräulein: sie wird Euch auf den Fersen nachfolgen. Lebt wohl! Sprecht sie nicht an – sie hört nichts.« – Und die Thüre ging hinter ihnen zu.
Therese schritt zitternd voran und als sie sich ängstlich umsah, gewahrte sie, wie Gertrude ihr stetig folgte. Sobald sie zu Hause und an Gertrud’s Lager waren, ließ diese sich geduldig entkleiden. Sie lag kaum, so schloß ein tiefer Schlaf ihre rothgeweinten Augen.
Therese wachte bei einer kleinen Lampe; doch bald siegte die Ermüdung über ihre Wachsamkeit und auch sie fiel auf ihrem Stuhl in Schlaf.