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Satt machende Pulver aus dem Web

Im Jahr 2013 beschloss der US-amerikanische Softwareentwickler Rob Rhinehart, keine normalen Lebensmittel mehr zu essen. Er wollte seine persönliche Ernährung als ein rein technisches Problem angehen und ein zeitsparendes Ernährungsprodukt für seinen Körper entwickeln. Eine Art Astronautennahrung, die alles enthält, was sein Organismus braucht. Als Grundlage dafür diente die offizielle Ernährungsempfehlung des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten (USDA). Nach diesen Vorgaben mischte er sich ein Pulver aus pflanzlichen Eiweißen wie etwa Sojamehl und Reisproteinen, aus Kohlenhydraten wie Maltodextrin, Vitamin-Präparaten und Ballaststoffen zusammen, das, mit Wasser zu einer Art Shake gemischt, seine einzige Nahrung sein sollte. Nach einigen Wochen stellte er fest, es reichte zum Leben und er fühlte sich gut dabei. Mit dieser Erfahrung, wonach er lediglich sein Konzentrat benötigte, um alle wichtigen Ernährungsbestandteile zu bekommen, gründete Rhinehart das Startup Soylent.

Rhineharts Pulvervollnahrung schuf damit nicht nur eine neue Produktgruppe, die heute Complete Food (CF) genannt wird. Er schuf damit auch einen neuen Massenmarkt und einen populären Lifestyle. Denn CF-Mahlzeiten sind im wahrsten Sinn des Wortes etwas für Erbsenzähler: Sie ermöglichen eine genaue Messung der jeweiligen Nährstoffe und damit eine genaue Kontrolle der Nahrungsaufnahme. Genau richtig für ihre Fans. CF-Mahlzeiten reduzieren außerdem die Komplexität der Auswahl, den Einkauf und die Zubereitung auf ein Minimum. Es genügt das Anrühren mit Wasser. Das findet gerade unter dauergestressten und am Computer arbeitenden Menschen großen Anklang. Complete Food ist das ultimative Fast Food: technologisch optimiert, zeitsparend, billig, unkompliziert. Getreu dem Motto: Ich muss mich um nichts mehr kümmern, denn es ist ja alles enthalten, was man braucht.

An Rhineharts Startup ist heute unter anderem die Firma GV, die Risikokapitalgesellschaft von Googles Mutterkonzern Alphabet, als Investor beteiligt. Wettbewerb gibt es auch schon: das von dem Briten Julian Hearn gegründete Startup Huel (steht für »Human + Fuel«, also Mensch + Treibstoff), das französische Startup Feed und Yfood aus Deutschland.

Die Studie zu Complete Food von Markéta Dolejšová »From Silicon Valley to Table: Solving Food Problems by Making Food Disap pear« sowie ein Selbstexperiment der tschechischen Forscherin kommen zu dem Ergebnis: »Complete Foods lehnen das als ungenau und emotional beeinflussbar betrachtete Bauchgefühl ab und folgen stattdessen der Idee, Brennstoff für den Verdauungstrakt zu sein, der auf exakten Daten basiert.« Diese Trinkmahlzeiten sind ein Beispiel für »Nutritionism«: die reduktionistische Sichtweise von Nahrung als eine Summe von Nährstoffen. Lebensmittel, Kochen, Essen sind aber komplexe Vorgänge, die soziale und kulturelle Bedeutung haben.

Auf Online-Vergleichsportalen wie etwa Blend Runner tauschen sich die Nutzer von CF über die ideale Zusammensetzung und Wirkung von Pulvernahrung aus. Man kann auf solchen Plattformen aufs Gramm genau die Rezepturen vergleichen und in Rankings nachvollziehen, welche Version derzeit als die beste von den Online-Fans bewertet wird. Ganz oben rangieren etwa »Plenny Shake v2.1« aus den Niederlanden und »Ruffood RTD v3.5« aus China.

Denn abgeglichen werden die Zusammensetzungen der Cocktails mit den persönlichen Selbstüberwachungsdaten der Fitness- und Gesundheits-Apps der Nutzer. Markéta Dolejšová stellt dazu fest: »Die Online-Weitergabe von persönlichen Körperdaten ist ein üblicher Bestandteil quantifizierter Ernährungspraktiken. Statt offizieller Lebensmittel- und Gesundheitsempfehlungen bevorzugten die Anhänger von CF datengestützte Nachweise, die durch ihre diätetischen Selbstversuche und Peer-to-Peer-Fehlersuche gewonnen wurden.«

Wenn die DNA-App den Speiseplan bestimmt

Die Analyse der Daten aus Tracking-Apps und aus Selbstversuchen mit unterschiedlichen Rezepturen sind dabei nur zwei Verfahren, um eine rationale und mathematisch quantifizierbare Rohstoff-Zusammenstellung für eine optimale, aber unkomplizierte Vollwerternährung zu erreichen. Eine Analyse der Darmflora und ihrer Mikroben bieten Startups wie etwa Viome, UBiome, Day Two und MyMicrobes an. Zu Beginn des Abonnements dieser digitalen Dienste schickt man eine Stuhlprobe ein, die analysiert wird. Auf Basis dieser Daten erstellen die Algorithmen der Startups dann einen individuellen, an die Verdauung angepassten Ernährungsplan und senden diesen persön lichen Food Code dann an die zugehörige App.

Andere Startups, wie etwa Atmo Biosciences im australischen Melbourne, nehmen mit einer »Atmo Capsule« Messungen im Körperinneren vor: »Unsere schluckbare smarte Pille ist die weltweit erste patentierte Lösung zur genauen Profilierung der Gase im Darm«, sagt Geschäftsführer Malcolm Hebblewhite. Die Kapsel erkennt und meldet unterschiedliche Gaskonzentrationen in Echtzeit, die als Indikator für bestimmte Krankheiten dienen, in der Welt der Experten »Biomarker« genannt. Das autonome Diagnosewerkzeug soll etwa Reiz darmsyndrome, chronisch-entzündliche Darm erkran kun gen, krankhafte Kohlenhydratabsorption und Kohlenhydratunverträglichkeiten erkennen können.

Auch die eigene DNA kann als Grundlage dienen, um eine optimale Ernährung zu definieren. Anbieter wie zum Beispiel 23andme, DNAfit oder Habit bieten »Lifestyle-DNA-Analysen« von eingesandten Speichelproben an. Wie tief die Analyse gehen soll, ob nur die Anfälligkeit für Übergewicht oder die Vitaminverträglichkeit getestet werden soll, hängt davon ab, wie viel der Kunde zu zahlen bereit ist. Die Ergebnisse kommen als digitale Daten direkt per App aufs Smartphone. Oder man bekommt von der Firma DNA Nudge gleich einen kompletten Einkaufsplan auf Genom-Basis: »Shop with your DNA«, lautet der Slogan. Ende 2019 konnten interessierte Londoner im Pop-up-Store des Startups DNA Nudge gleich vor Ort einen DNA-Schnelltest machen lassen, mit dessen Daten ein digitales Armband gefüttert wurde. Scannt man mit dem Gerät am Arm den Barcode von Lebensmittelprodukten ein, leuchtet eine kleine personalisierte Lebensmittelampel am Handgelenk rot oder grün auf – je nachdem, ob es laut Software zur DNA des Trägers passt oder nicht.

Wer dagegen der Ansicht ist, dass für die optimale Gesundheit eher Wirkstoffe von Pflanzen förderlich sind, der ist bei Brightseed an der richtigen Adresse. Das selbst ernannte »Google für Pflanzeneigenschaften« analysiert sogenannte Phytonährstoffe. Diese sekundären Pflanzenstoffe sind chemische Verbindungen, welche die Pflanze für sich selbst nicht braucht, die aber eine große Bedeutung für die menschliche Ernährung haben könnten – wissenschaftlich ist das noch nicht genau nachgewiesen: »Brightseed entstand aus der Überzeugung heraus, dass wir einen natürlichen und proaktiven Ansatz für Gesundheit brauchen und dass die verborgenen Nährstoffe der Pflanzen, die wir in unsere Ernährung aufnehmen können, der erste Ort sind, an dem wir suchen sollten«, sagen die Gründer. Mithilfe von künstlicher Intelligenz und der Analyse von sehr großen Mengen von Gesundheitsdaten sucht Brightseed nach bislang unentdeckten Phytonährstoffen, die unsere Ernährung verbessern könnten.

Im Jahr 2007 gründeten die beiden amerikanischen Wired-Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly die Website quantifiedself.com. Zunächst fanden sich dort einige Gleichgesinnte aus der Region um San Francisco zusammen, um ihre Self-Tracking-Erfahrungen online auszutauschen. In den folgenden Jahren entstanden auf der ganzen Welt weitere Quantified-Self-Gruppen. Seit 2011 finden internationale Konferenzen mit Anwendern, Entwicklern, Journalisten und Unternehmensvertretern aus der Gesundheitsbranche statt. In Deutschland existieren mittlerweile Gruppen in Aachen, Berlin, Hamburg, Köln, München und Stuttgart. Heute beschreibt sich The Quantified Self als ein Netzwerk aus Anwendern und Anbietern von Methoden und von Hard- und Softwarelösungen, mit deren Hilfe umwelt- und personenbezogene Daten aufgezeichnet, analysiert und ausgewertet werden können: »Wir haben ein gemeinsames Interesse an der Selbsterkenntnis durch Zahlen«, lautet das Credo dieser Bewegung. Ihre Vorstellung ist, dass der Mensch eine Art Maschine sei. Ganz so, wie es et liche Illustrationen aus dem 19. Jahrhundert nahelegen. Darauf ist der Verdauungstrakt etwa als Fließband dargestellt, an dem Maschinen die Nahrung zerkleinern, andere Maschinen Nährstoffe aus dem Nahrungsbrei saugen, in Energie umwandeln und diese über ein Rohrsystem in den Kreislauf bringen, zu den Kraftzentren, den Muskeln.

Diese Vorstellung erlebte mit der Digitalisierung in technikaffinen Szenen und Communities ein Comeback – wenn auch in anderer Form: Der Körper ist zwar immer noch eine Maschine, aber eine intelligente, eine programmierbare und eine sensible, die optimiert werden müsse und durch das Betanken mit dem besten Treibstoff die effektivsten Ergebnisse liefert. Lebensmittel geben mehr oder weniger guten Brennstoff ab. Der Körper ist ein Überwachungs- und Optimierungsraum, den wir möglichst gut beobachten und einstellen müssen.

So versprechen viele neue digitale Produkte und auch etliche Web-Influencer Heilung oder zumindest einen »gesünderen Lebensstil«, einen Schutz vor Krankheit und eine Verlängerung des Lebens.

Nicht selten beinhaltet das Narrativ der neuen Digital-Unternehmer in diesem Bereich auch Heilungserlebnisse von mehr oder weniger schweren Krankheiten.

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari spricht in seinem Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit von einer »Silicon Valley Religion« und »Silicon Valley Gurus«, für die der »Tod nur ein technisches Problem ist«, das gelöst werden kann: »Auf kommerzieller Ebene ist die Gesundheit der ultimative Markt. Andere Märkte sind endlich, sie sind erschöpfbar. Es gibt beliebig viele Autos, Schuhe oder Lebensmittel, die man besitzen kann. Aber Gesundheit ist ein unendlicher Markt – man kann nie genug davon haben.«

So entsteht ein neues Körperbild, und die Zahl der Menschen wächst, die sich und ihre Körper mithilfe von Daten aus DNA- oder Darmflora-Analysen, vernetzten Armbändern, Smartphones und an deren Gadgets selbst überwachen. Und ganz gleich, ob Fitness-, Diät- und Gesundheits-Apps die Menschen tatsächlich gesünder oder zufriedener machen, sie wachsen bei vielen regelrecht »am Körper oder am Leben fest«.

Studien der englischen Wissenschaftlerin Rachael Kent zeigen, dass die ständige Selbstüberwachung durch Gesundheits-Software und Fitness-Gadgets Angst und Suchtverhalten, Scham- und Schuldgefühle auslösen kann: »Der eigene Selbstwert hängt an Leistungsdaten, welche die App permanent ermittelt.«

Die Soziologin Deborah Lupton vermutet, dass Gesundheits-Food-Apps eine »Mensch-App-Assemblage« schaffen. Apps und Wearables werden damit »aktive Teilnehmer an der Ausprägung des Körpergefühls und Selbst-Bewusstseins«. Die Handlungskompetenz, also die Fähigkeit, sich in der heutigen Lebensmittelwelt zurechtzufinden, werde dabei auf zwei Akteure verteilt: den Menschen und seine App. Das Körperbild verändere sich, der Mensch vertraue den eigenen Sinnen, dem eigenen Bauchgefühl immer weniger, denn das erledige die Technik für ihn. Er entfremde sich von sich selbst.

Zudem zeigen die Untersuchungen von Lupton, dass die Regelwerke, Normvorgaben und Zielwerte vieler Fitness-Apps auf den »Werten« der wohlhabenden weißen Ober- und Mittelschicht der west lichen Welt basieren. Diese Gruppe wolle abnehmen oder zumindest ihr Gewicht halten und körperlich fitter werden. Nur diese Menschen haben überhaupt Zeit, die existierenden Apps mit den nötigen Informationen zu füllen. Wer diesem Körperideal nicht entspricht, wie etwa andere Ethnien, Vorerkrankte, Menschen mit einem anderen Körperbau oder mit anderen Werten, ist als Nutzer schnell frustriert. Und fühlt sich ausgegrenzt, im schlimmsten Fall diskriminiert.

Das Internet der Körper

Immer mehr Fitness-Apps, Wearables und Gadgets erheben und produzieren Daten: Bewegungsprofile, Anzahl von Schritten, erklommene Treppen, Aufwach- und Einschlafzeitpunkte, Schlafdauer, Biorhythmus, Herz- und Atemfrequenz, Stimmmodulation, verzehrte Nahrungsmittel, Kalorien, Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett. Angereichert werden sie um die digitalen Daten der Analysen unserer Darmflora und unserer DNA. Dazu kommt noch die Analyse dieser Daten: Das sind Zuwachs- und Schrumpfungsraten, Entwicklungen, Fortschritte. Außerdem Geodaten, Daten von Kontakten, Einkäufen, Transaktionen. So entstehen große Mengen vernetzter Gesundheitsdaten, die unsere digitalen Fitness-Helfer sammeln, ergänzen, ver arbeiten und abgeben.

Im ersten Schritt unterstützen sie den Nutzer vielleicht lediglich bei seiner Selbstoptimierung. In einem zweiten Schritt dienen sie möglicherweise dazu, sich mit anderen Nutzern zu messen oder sich gegenseitig abzugleichen: virtuelle Wettbewerbe darüber abzuhalten, wer am schnellsten abnimmt oder am schnellsten Muskelmasse aufbaut. Wer am schnellsten, häufigsten, längsten joggt, schwimmt, geht, rudert. Oder wer auf seinem Trimmrad im heimischen Keller als Erster seiner Online-Gruppe beim virtuellen Straßenrennen auf den legendären 2.115 Meter hohen Col du Tourmalet strampelt, den Schicksalsberg der Tour de France. Die Geräte sprechen also miteinander – und tauschen die Körperdaten ihrer Eigentümer aus.

Bereits heute existieren Suchmaschinen wie etwa Shodan.io, mit denen Internetadressen und offene Schnittstellen von Maschinen, Lkws, Baugeräten, Videokameras auf öffentlichen Plätzen, Behörden und privaten Firmen, aber auch von Kraftwerken und anderen öffentlichen Anlagen der Infrastruktur gesucht und gefunden werden können. Leicht vorstellbar, dass es so etwas für Körper-, Fitness- und Ernährungsdaten demnächst auch geben könnte. Schließlich verfügt jedes Smartphone über eine individuelle IMAI-Nummer, über die es identifiziert werden kann. So könnten Daten durch Hackerangriffe auf unabgesicherte Einfallstore der Apps herunterkopiert werden. Oder ganz offiziell beim Hersteller oder einem seiner Partnerunternehmen landen – wie es bei Facebook und Cambridge Analytica der Fall war. Wer weiß außerdem schon genau, welche Daten seine Fitness-App selbstständig im Hintergrund und ohne zu fragen an Dritte weitergibt oder welche offenen Schnittstellen von außen problemlos angezapft werden können? Haben Sie etwa die Datenschutzerklärung Ihrer neuen Smartwatch vollständig gelesen, bevor Sie damit joggen gegangen sind?

So gesellt sich zum »Internet der Dinge«, dem Internet der Maschinen, Kameras und Sensoren, ein »Internet der Körper«, sagt Andrea M. Matwyshyn, Professorin an der Stanford University in Kalifornien und Co-Autorin der Studie der US-Denkfabrik RAND »Das Internet der Körper«. Daten, die nicht nur für den Hausarzt, Fitness-Berater, Personal-Trainer oder den Coach der Thekenfußballmannschaft interessant sind, sondern auch für Krankenversicherungen, Arbeitsämter, Personalchefs oder den direkten Konkurrenten um einen lukrativen Job auf dem Arbeitsmarkt. Und natürlich: für Lebensmittelhersteller und -händler, die ihre Produkte verkaufen wollen.

Doch für Matwyshyn ist das erst der Anfang: Das Internet der Körper verbindet in der ersten Generation Fitness-Tracker mit intelligenten Brillen, intelligenten Exoskeletten (das sind Apparaturen, die Menschen unterstützen, etwa schwere Lasten zu heben etc.), Herzschrittmachern und Gehirnsensor-Stirnbändern. In der zweiten Generation kommen Körperimplantate, digitale Pillen, Cochlea-Implan tate (Hörprothesen), Geräte zum Management innerer Organe und Hirnimplantate (etwa für Epileptiker) hinzu. »Die Grenze zwischen der ersten und der zweiten Generation des Internets der Körper, zwischen gesundem Lebensstil und nicht-medizinischer Technologie beginnt bereits zu verschwimmen«, schreibt sie. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit etwa 50.000 bis 100.000 Menschen in den USA Mikrochips in ihren Körper implantiert haben.

In der dritten Generation entstehen Gehirnprothesen mit draht losen Komponenten, wie sie heute schon bei manchen Parkinson-Erkrankten eingesetzt werden. »Der menschliche Körper ist der nächste große Innovations-Raum«, prophezeit Geoffrey Woo, Gründer des Silicon-Valley-Start-ups HVMN, das einen leistungssteigernden »Ketose Ester«-Drink herstellt.

Damit entstehen jedoch neue Probleme: Software kann ausfallen oder eine Fehlfunktion haben. Neue Versionen könnten ohne ausreichende Erprobung oder Qualitätssicherung ausgeliefert werden. So wie Infrastruktur oder andere Netzwerke bereits heute regelmäßig Ziele von Hackerangriffen abgeben, gerät die Digitalplattform Mensch dann ebenfalls ins Visier. »Brainjacking« wird die böswillige Manipulation von digital vernetzten Hirnimplantaten genannt. »Gutjacking« ist die feindliche Übernahme des Magens. Computerviren könnten sich in Sonden ausbreiten, die sich im Darm von Menschen befinden und dort Darmgase messen. Dass dies gar nicht so weit hergeholt ist, zeigte sich bereits im Oktober 2013, als der ehemalige amerikanische Vizepräsident Dick Cheney in einem Fernsehinterview berichtete, seine Ärzte hätten während seiner Amtszeit darauf gedrängt, die »wireless«-Funktion seines Herzschrittmachers zu deaktivieren, da sie einen terroristischen Hackerangriff auf sein wichtigstes Organ befürchteten. Der Historiker Yuval Harari spricht von Menschen als »Hackable Animals«.

Im Körper befindliche oder mit dem Körper verschmolzene IoB-Geräte mögen zwar Ausnahmen sein – aber wie lange noch? Schon heute ist klar, dass für die Anwendung solcher Geräte ein verbind licher rechtlicher Rahmen geschaffen werden muss. Wie werden etwa Garantien für das Funktionieren der Geräte geregelt? Wo liegen die Daten und wer kontrolliert sie?

Biologische und maschinelle Intelligenz werden verschmelzen. Facebook und Microsoft arbeiten bereits an Gehirnsteuerungs-Schnittstellen, die es den Benutzern ermöglichen sollen, Computer nur mit ihren Gedanken und mithilfe von externen Gedankenerfassungsgeräten zu bedienen. Durch diese Entwicklungen, sagt Matwyshyn, werde der Körper zur digitalen Plattform. »In einer Welt, in der unsere Körper und Gehirne mit einem einzigen zusammenhängenden technologischen Netzwerk verbunden sind, beginnen wir, die Grenzen zwischen der Freiheit des Denkens als physiologischem, autonomem und abgeschlossenem Akt und der Verbreitung von Ideen und Gedanken als bewusste Tat zu verwischen«, gibt Matwyshyn in der RAND-Studie »Das Internet der Körper« zu bedenken. Denken wird also öffentlich. Es entsteht eine Art Gruppengehirn.

Im Sommer 2020 holte der Tesla-Gründer Elon Musk bei einer Präsentation seiner Firma Neuralink das Schwein «Gertrude« auf die Bühne. Das muntere Tier trug »V.09«, den neuesten Chip von Neuralink, unter seiner Schädeldecke. Und zwar in dem Gehirnareal, das mit der Schnauze verbunden ist. Sobald das Schwein damit ein Objekt berührt, sagte Musk, sehen und hören die Neuralink-Forscher auf einem Computer, welche Neuronen im Schweinegehirn aktiv sind.

Für die Rechtswissenschaftlerin Matwyshyn existieren vier große Probleme bei vernetzten Geräten des Internet of Bodies:

1. Das »Better with Bacon«-Problem

Der Zugang zum Internet wird – ob notwendig oder nicht – in sämtliche Geräte integriert. Damit können alle Geräte gehackt werden.

2. Das »The Magic Gadget«-Problem

Die Möglichkeit des Versagens oder der Fehlfunktion von Geräten wird ignoriert – mit möglicherweise katastrophalen Folgen.

3. Das »The Builder Bias«-Problem

Die Hersteller und Programmierer prüfen ihre Entwicklungen vor der Auslieferung nicht genügend auf Software-Stabilität oder auf einprogrammierte Vorurteile und Diskriminierungen. Letzteres entsteht etwa bei Minderheiten, deren spezielle Eigenheiten bei der Programmierung nicht berücksichtigt wurden. Wird alles an einem »Normalmaß« gemessen, gelten Abweichungen im wahrsten Sinn des Wortes als »nicht normal«.

4. Das »The Mandatory Soup«-Problem

Es gibt nicht genügend Alternativen zum (vernetzten) Produkt. Nutzer sind gewissermaßen gezwungen, diese Produkte zu nutzen, auch wenn diese Geräte nicht optimal erscheinen oder sich eingebaute Teile oder Funktionen nicht ausschalten lassen.

Der Gehirnchip funkte per Bluetooth aus dem Gehirn an einen Computer. Eintausend Elektroden, mit insgesamt nur fünf Mikrometer Durchmesser, sind mit Gehirnzellen verbunden. Diese »Verdrahtung« solle ausreichen, um wichtige Körperfunktionen wie Bewegung, das Sehen oder das Hören zu beeinflussen. Aufgeladen wird der Chip, der die Größe einer Knopfzellen-Batterie hat, drahtlos durch den Schädelknochen. Den Anschluss der Sensoren an die biologischen Nervenzellen übernehme ein eigens dafür entwickelter Roboter. Neuralink hoffe, die Kosten des Chips inklusive seiner Implantierung auf einige Tausend Dollar zu senken. Noch in 2021 soll der Chip bei Menschen getestet werden.

Die Mensch-Maschine-Schnittstelle soll dafür sorgen, dass Gehörlose wieder hören können, Menschen mit Rückenmarkverletzungen wieder laufen können, Depressionen und Sehstörungen der Vergangenheit angehören. Stellte man Gertrude auf ein Laufband, konnte per Software vorhergesagt werden, welcher Muskel wann aktiviert wird. Am Ende entstehe ein Fitnesstracker, so Musk ans Publikum gewandt, »nur mit feinen Drähten in Ihrem Kopf«.

Musks technologische Entwicklung – ganz gleich wie weit sie nun tatsächlich ist – führt direkt zum Thema »Gehirn im Tank«, das beispielsweise im Spielfilm Matrix aufgegriffen wurde: Wenn man feststellen kann, welche Sinneseindrücke welche Gehirnregionen oder Gehirnzellen stimulieren und auf welche Weise sie das tun, ist man gar nicht mehr weit davon entfernt, eigentlich gar keine echten Sinneseindrücke mehr zu benötigen. Man könnte Geruch, Geschmack und Emotionen direkt als Elektroimpuls per Chip ins Gehirn bringen.

»Was ist real? Wie definieren Sie real?«, fragt Andrea M. Matwyshyn. «Wenn es darum geht, was Sie fühlen, riechen, schmecken und sehen können, dann sind das einfach nur reale elektrische Signale, die von Ihrem Gehirn interpretiert werden.« John Cheney-Lippold, Professor an der Universität von Michigan, prophezeit aus diesem Grund: »Wir werden zu Daten.«

Was würde es für unsere Esskultur bedeuten, wenn unsere Lebensmittel, unser Appetit, unser Bauchgefühl von Computercodes bestimmt werden? Zerstört diese digitalisierte Esswelt mit ihrer Fixierung auf Berechenbarkeit, auf Effektivität, auf Mess- und Zählbarkeit das, was wir mit Essen verbinden, den Genuss, die Wertschätzung von Nahrungsmitteln, die Fähigkeiten der Zubereitung von Nahrungsmitteln, das soziale Miteinander?

Noch stecken einige der Forschungsprojekte und Startups in der experimentellen Phase. Andere Angebote, von denen man glaubte, dass sie erst in ferner Zukunft möglich würden, sind dagegen bereits auf dem Markt. Autonome schlaue Lieferketten, von künstlicher Intelligenz gesteuertes Empfehlungsmanagement und die Algorithmen der Social-Media-Plattformen beeinflussen unbemerkt in Form von Codes unsere Lebens- und Esswelt.

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9783956144486
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