Kitabı oku: «Food Code», sayfa 4
Der Mixer macht Data-Mining
»Kühlschrank und Ofen waren früher einfach Boxen, die kalt oder heiß waren. Sie werden jetzt zu Computern, zu Daten-Zentren in der Küche«, sagt Kevin Brown. Der Smart-Kitchen-Experte hält im Mai 2019 die Eröffnungsrede auf dem Global Food Innovation Summit in Mailand, der jährlich Tausende Innovator*innen aus der FoodTech-Welt in die norditalienische Metropole lockt, und präsentiert den Zuhörer*innen seine Plattform Innit, die er zusammen mit Eugenio Minvielle, dem vormaligen Geschäftsführer von Unilever in Nordamerika und Ex-CEO von Nestlé in Mexiko und Frankreich, gegründet hat. »Filme, Musik oder Mobilität – alles ist einfacher geworden«, stellt er in Hinblick auf neue digitale Möglichkeiten fest. Oft genüge nur noch das Drücken eines Knopfes und man komme an das gewünschte Ziel. »Doch was ist mit Essen?«, fragt er. »Da ist das nicht so einfach.« Oft muss man verschiedenste Apps öffnen, um an Rezepte zu kommen oder Zutaten zu bestellen. Hinzu kommt: »Früher rannte man durch die Gänge im Supermarkt, um Produkte mit dem richtigen Label zu finden. Jetzt gibt es Disruptoren wie Amazon oder Google, die die Handelswelt auf den Kopf stellen.« Und in der Küche? Um aus Küchengeräten Computer zu machen, reiche heute ein WiFi-Chip, der nicht mehr als fünf Dollar kostet, stellt Brown fest. »Die Frage ist, wie das alles zusammenkommt. Wie sieht das kulinarische GPS-System aus, das dich vom Einkaufen zum Kochen begleitet?« Seine Plattform soll genau das schaffen: Gerätehersteller und Händler vernetzen. Sie soll die Zusammenarbeit vom Einzelhändler über den Ofenhersteller bis zum Lebensmittelproduzenten möglich machen. »Bislang wurde viel über die smarte Küche geredet – jetzt kommt die Zeit, in der alles zusammenwächst«, gibt er sich am Ende seiner Rede hoffnungsfroh. Grundig, Google, Electrolux, Walmart und Phillips sind nur einige seiner Partner, die er stolz auf einer seiner letzten Präsentations folien zeigt.
Einer dieser neuen Küchencomputer, die Kevin Brown aufgrund ihrer Ausgereiftheit einiges an Respekt abverlangen, wurde in Deutschland hergestellt. Genauer gesagt in Laaken, einer kleinen Siedlung im Osten von Wuppertal. Hier wurde in den 1970er-Jahren von der Firma Vorwerk der erste Vorläufer des Thermomix hergestellt, damals noch Heizmixer genannt. Zu den scharfen Messern, einem starken Motor und dem Heizelement kamen in den Neunzigern eine integrierte Waage sowie Temperatursensoren hinzu. Seit 2014 können Kunden das Gerät per Touchscreen steuern. Das neueste Modell ist der TM6.
Neben Mixen, Rühren, Zerkleinern und Kochen beherrscht die aktuelle Version auch automatisches Fermentieren, Sous-vide- oder Dampfgaren und zwölf weitere Kochtechniken. Auch wenn das Gerät bislang keine Arme hat, wird der Themomix in einigen Onlineshops schon als »Küchenroboter« verkauft. Wenn man dem TM6 unter die Motorhaube schaut, versteht man, warum Experten wie Kevin Brown von neuen »Daten-Zentren« in der Küche sprechen.
Das Gerät verfügt über einen 16 Gigabyte großen Flashspeicher, so viel wie ein kleines iPhone besitzt, und einen 1 GB großen Arbeitsspeicher. Zum Vergleich: Die beliebten ALDI-Computer Ende der Neunziger hatten nur ein Viertel dieses Speicherplatzes und weder WLAN- noch Bluetooth-Empfänger, die man heute serienmäßig in dem Küchenmixer findet. Ganz zu schweigen von einem der modernen Vierkern-Prozessoren, die heute im Herzen eines Thermomix den Takt angeben. Wozu braucht ein Küchenmixer diese digitale Ausstattung?
»Thermomix macht dein Leben leichter und passt sich deinen Bedürfnissen an«, verspricht der Hersteller vollmundig. Dazu gehören 40.000 Rezepte, die per Werkseinstellung mit dabei sind. Für die Verwaltung und Planung von Frühstück, Mittag- und Abendessen existiert die App Cookidoo 2.0, die wie ein eigenes »Betriebssystem« für den Thermomix funktioniert. Sie zeichnet sämtliche Kochvorgänge und gekochten Gerichte auf. Mit ihr kann man die nächsten Wochen planen oder frühere Leibspeisen abrufen. Aus den Rezepten bastelt die App am Ende automatisch Einkaufslisten zum Abhaken. Sie zeigt auch an, welche Lebensmittel aus vorherigen Kochvorgängen noch in der Speisekammer vorhanden sein müssten.
Für Vorwerk hat es sich gerechnet, dass sie auf die digitale Revolution in der Küche gesetzt haben. Die Umsätze mit dem Küchencomputer haben sich seit Erscheinen des Vorgängers TM5 verdoppelt. 2019 erlöst Vorwerk mit dem Gerät 1,375 Milliarden Euro. Verkauft wird es derzeit in 14 Ländern. Zuletzt kamen China und die USA hinzu. Während in Deutschland der Absatz rückläufig ist, gelten Asien und besonders China als neuer Wachstumsmarkt. Im Juni 2019 wurde bekannt, dass die Produktion von Motoren und Messern noch am Wupperufer verbleibt, ein Großteil der Produktion aber ab 2020 nach Shanghai verlegt wird.
In China arbeitet das IoT-Start-up TecPal in Hongkong seit 2016 allerdings bereits an einer eigenen Version eines smarten Heizmixers. 2018 eröffnete man in Shenzhen eine Dependance auf dem chinesischen Festland. Ein Jahr später zeigte man das fertige Gerät Cooking Pal auf der weltweit größten Fachmesse für Unterhaltungselektronik, der CES in Las Vegas. 2020 gewann die neueste Version, vorgestellt als zentraler digitaler Knotenpunkt in der Küche, den »Innovation Award« der Messe in der Kategorie »Smart Home«. Eine rasante Entwicklung für Julia, so der Name der digitalen Assistentin im Inneren des Mixers von TecPal.
Zum chinesischen Modell, das dem deutschen Thermomix durchaus ähnlich sieht, gehört ein Tablet mit einem 22 Zentimeter großen Bildschirm. Auf ihm kann man nicht nur passende Zubereitungs videos anschauen und die Zutatenliste einsehen. Das Gerät lässt sich auch während des Kochens herumtragen und beim Putzen oder Fernsehen steuern. Die eingebaute Kamera ermöglicht, das Gekochte beim Essen Instagram-würdig einzufangen. Aus Fotos von gerade herumliegenden Zutaten entwickelt Cooking Pal Julia dann per KI-Erkennung Vorschläge für passende Gerichte. Im Gegensatz zu Cookidoo kennt Julia momentan nur 500 Rezepte. Das Gerät hat allerdings Anbindung zum Amazon-Universum und kann per Sprache über Alexa oder den Google-Assistenten gesteuert und nach mehr Rezepten befragt werden. Anstatt wie bei der App des Thermomix nur abhak bare Einkaufslisten der Zutaten zusammenzustellen, verspricht das intelligente Kochsystem aus China die Lebensmittelbestellung gleich mit abzuwickeln. Das Gerät soll demnächst auf den Markt kommen und 450 Euro billiger sein als die deutsche Konkurrenz.
Auch bei Vorwerk hat man sich weiterentwickelt und Ende 2019 eine Kooperation mit Drop, einem Start-up aus Irland, bekannt gegeben, das wie eine Art Windows für die smarte Küche funktionieren soll. Über das gleichnamige Programm sollen sich nicht nur Backofen und Thermomix verstehen können, sondern auch das Einkaufen von Lebensmitteln möglich werden. Millionen von Thermomix-Geräten weltweit können so zu neuen Bestellterminals direkt in der häuslichen Küche werden. Firmen wie Bosch, Kenwood oder Electrolux sind ebenfalls Partner von Drop. Das Rennen um die Vorherrschaft des führenden digitalen Betriebssystems für die Küche der Zukunft ist eröffnet.
Diese Entwicklung weckt natürlich auch das Interesse von Händlern wie Amazon. »Alexa, taue das Gemüse auf« oder »Alexa, mach einen Becher Milch warm« sind Sprachbefehle, die vom Amazon Basics Smart Oven seit 2018 verstanden werden. Die nur 60 Dollar teure und 700 Watt starke Mikrowelle von Amazon hat serienmäßig den hauseigenen Sprachassistenten Alexa eingebaut, funktioniert ansonsten genauso wie ein normaler Mikrowellenherd. Einen Unterschied gibt es allerdings: Der Algorithmus überwacht auf Wunsch zum Beispiel die Zahl der verpoppten Popcorntüten und ordert sie automatisch über Amazon nach. Kunden, die das »Auto Popcorn Replenishment« nutzen, bekommen zehn Prozent Rabatt auf die gelieferten Maiskörner.
Auch an June, dem Startup des ehemaligen Apple-Ingenieurs Nikhil Bhogal, hat sich Amazon als Investor beteiligt. Der sprachgesteuerte Ofen für den Küchencounter ist etwas größer als eine Mikrowelle und verfügt im Inneren über eine Kamera, die Temperaturen von über 250 Grad aushalten kann. Damit kann man über das Smartphone dem Backhendl beim Bräunen zuschauen. Mithilfe der Kamera und künstlicher Intelligenz erkennt der Ofen auch automatisch eingeschobene Lebensmittel, zählt und überwacht die Kochvorgänge. Kunden des Lebensmittelhändlers Whole Foods, der ebenfalls Teil des Amazon-Imperiums ist, brauchen seit Oktober 2018 nicht mehr auf die Pizzapackung schauen. June erkennt die Pizza der Eigenmarke automatisch und weiß genau, welche Zubereitungszeit und Temperatur dafür perfekt ist. Diese neuen digitalen Allianzen zwischen Fertiggerichten und smarten Küchengeräten finden sich immer häufiger auf dem Markt. Zwei weitere Beispiele für diese Art von Systemlösungen bieten die Startups Suvie und Tovala. Tovalas Smart Oven ist ein Gerät, das ebenfalls auf der Küchentheke Platz hat und Teil eines »Mahlzeitenservice für wahnsinnig beschäftigte Menschen« ist, so das Werbeversprechen des Startups. Mehrmals die Woche bekommen die Tovala-Ofenbesitzer frisches Essen auf Rädern zum Fertigkochen nach Hause geschickt. Nach dem Scannen des QR-Codes auf den beigelegten Rezeptkarten startet der Ofen das passende Programm. Die Gerichte aus dem Tovala-Universum sind »frisch, international und aus echten Zutaten« – verspricht die Startup-eigene »Food-Philosophy«. Gerichte wie »Limonenkräuter-Risotto« oder »Gebratener Lachs aus der Chesapeake-Bucht mit Remouladensauce & Fingerling-Kartoffeln« stehen auf der Speisekarte. Kunden können sich direkt für ein Abo mit drei, vier, sechs oder mehr Gerichten pro Woche entscheiden. Beworben werden die Plan-Mahlzeiten mit der Aussicht auf »mehr Zeit, um mit deinem Hund spazieren zu gehen, die Kalorien wieder auszuschwitzen oder endlich Gitarre spielen zu lernen«. Dinge, die »wahnsinnig beschäftigte Menschen« eben so machen.
Die heute bereits in der Smart-Home-Ecke von Haushaltsgeschäften und Elektronikmärkten häufiger zu findenden Pfannen, Kochplatten oder Backöfen, die mit Apps steuerbar sind, schauen gegen solche Systemlösungen eher alt aus. Der Schlüssel zum Erfolg scheint für viele tatsächlich nicht mehr im Gerät selbst und dessen smarter Steuerung zu liegen, sondern in der Verbindung mit einem Zusatznutzen wie Einkaufen, Lieferung, Rezeptdatenbank oder Gesundheits services.
Das trieb zuweilen seltsame Blüten, wie vor acht Jahren im Gesundheitsbereich zum Beispiel Hapifork: Die »intelligente Gabel« zählte jeden Bissen und die Geschwindigkeit, mit der die Mahlzeiten verzehrt werden. Das bei zu schnellem Genuss vibrierende Essgerät mit Bluetooth-Funktion war Teil einer Produktfamilie der Firma Hapilabs, die aus Gabel, Waage und Armband zur smarten Gesundheitsüberwachung bestand. Auch SmartPlate, eine Mischung aus dreiteiligem Tellerset, Waage und Mahlzeitenerkennung per KI-Kamera, versucht sich an dieser neuen Art des digitalen Weight-Watchings. Das überwachende Essgeschirr ist allerdings noch nicht auf dem Markt. Die Hapifork dagegen schon fast wieder verschwunden. Chip.de verlieh ihr bereits 2016 einen Platz auf der Liste der »Dinge, die die Welt nicht braucht«. Die meisten Hersteller von vernetzter Küchentechnik versprechen überwiegend Vereinfachung der Zubereitung und Inspiration beim Kochen durch Zusatzangebote wie Rezept-Datenbanken.
Die Firma BSH Hausgeräte will ihren Kunden in der Küche zukünftig eine digitale Koch-Community an die Seite stellen. Das 1967 als Joint Venture von Robert Bosch und Siemens gegründete Unternehmen ist heute eine hundertprozentige Tochter der Bosch-Unternehmensgruppe mit Sitz in München. In vierzig Fabriken in Amerika, Asien und Europa werden Herde, Waschmaschinen oder Kühlschränke für Marken wie Bosch, Siemens oder Gaggenau hergestellt. Damit der smarte Gerätepark im Haushalt untereinander und mit einer App kommunizieren kann, wurde eine eigene digitale Plattform entwickelt. »Mit Home Connect können Sie jetzt Ihr Lieblingsrezept direkt von der App auf Ihren Backofen übertragen. Ihr Ofen wird seine Einstellungen entsprechend anpassen, sodass Sie sofort mit dem Kochen beginnen können.«
Um Kunden im Home-Connect-Kosmos beständig mit neuen Rezepten und praktischen Kochtipps zu versorgen, beteiligte sich die Bosch-Tochter Ende 2017 mit 65 Prozent bei dem Berliner Startup Kitchen Stories. Ursprünglich wollten die beiden jungen Gründerinnen Verena Hubertz und Mengting Gao ein eigenes Restaurant eröffnen, bevor sie auf die Idee einer neuen Koch-App kamen. Die App liefert nicht nur Rezepte, sondern Schritt-für-Schritt-Koch-Anleitungen, kurze Videos, die etwa auch erklären, wie Salat gewaschen oder Rosenkohl am besten geputzt wird. In den Filmen finden sich keine Intros, Abspänne oder weiß behütete Fernsehköche, die aufwendig in der Küche hantieren. Stattdessen sieht man in kurzen Videos Hände aus der Vogelperspektive, die auf dem Küchenbrett schnibbeln, rühren oder kneten. Diese Art der Inhalte wurde anfangs gern belächelt. Warum so kurz? Wer schaut so was? Die Tatsache, dass heute die Weitergabe selbst rudimentärer Kochfertigkeiten innerhalb von Familien nicht mehr so wie früher funktioniert und die Zubereitung von Mahlzeiten oder die Kenntnis von Lebensmitteln weder in der Familie noch in der Schule vermittelt werden, Kochen als Alltagsbeschäftigung aber wieder an Popularität gewinnt, hat dazu geführt, dass Videos der Sorte »How to cook …« und andere zu den Top-10-Suchbegriffen auf YouTube gehören. Die mit 107 Jahren älteste YouTuberin der Welt war eine indische Dorfköchin namens Mastanamma, die ihr Wissen mithilfe eines filmenden Enkels weitergab. Ihr »How to …«-Video eines in der Wassermelone gegarten Hühnchens erreichte über 15 Millionen Aufrufe. Wer wie eine Million anderer Nutzer dem Kanal Kdeb Cooking folgt, kann einem thailändischen Kind dabei zuschauen, wie es in ländlicher Umgebung Entenherzen, knusprige Okra-Schoten oder Shrimps authentisch im Wok zubereitet. Google, zu dem die Videoplattform seit 2006 gehört, fand heraus, dass fast die Hälfte aller Erwachsenen heute Kochvideos auf YouTube schaut. Bei Jüngeren zwischen 18 bis 34 Jahren lag der Anteil im Vergleich sogar um 30 Prozent höher. Der smarte Videobildschirm gehört als «lebendiges« Kochbuch in vielen Küchen bereits zur Ausstattung. Mit zunehmender Smartphone-Nutzung und Küchengeräten, die mit immer mehr Bildschirmen und App-Anbindungen vernetzt sind, steigt die Nachfrage nach solchen Inhalten stetig.
Was vielen Herstellern von Öfen und Kühlschränken heute allerdings fehlt, sind hochwertige eigene Inhalte. Kochplattformen wie Chefkoch.de und der kulinarische Teil von YouTube mögen Millionen von Rezepten bieten, doch sind sie auch gut? Funktionieren sie auch in meinem Ofen? Und wie beginne ich, wenn ich vorher noch nie eine Sellerieknolle in der Hand hatte?
Das zuvor erwähnte Startup Kitchen Stories löst dieses Problem praktisch und schnell verständlich in Zeiten von immer geringer werdenden Aufmerksamkeitsspannen. Selbst Apple-Chef Tim Cook begeistert der Erfolg der Software aus Kreuzberg, die auch im App-Store zu finden ist. Bei seiner Europatour 2017 stand Cook freudestrahlend in der Berliner Küche von Kitchen Stories und lernte das Pfannkuchenwenden.
Mehr als 16 Millionen Mal wurde die Koch-App von Kitchen Stories nach Unternehmensangaben auf der ganzen Welt bereits heruntergeladen. 35 Prozent der Downloads, etwa 5,5 Millionen, kamen dabei aus China, verrieten die Gründerinnen dem Portal Gründerszene. Dort stieg beim Corona-Lockdown Anfang 2020 die Nutzung von Koch-Apps deutlich an. »Die Menschen kochen mehr denn je«, stellte Verena Hubertz im Corona-Fragebogen der Gründerszene im Juli 2020 fest. »Seit Februar dieses Jahres haben wir mehr als eine Million monat liche User organisch hinzugewonnen. Mittlerweile nutzen mehr als vier Millionen Menschen pro Monat aktiv unsere Koch-Plattform über die Webseite und unsere App.« Kooperationen mit anderen Firmen wollen sie weiter ausbauen. »Kochen ist für die Digitalisierung sehr gut geeignet, weil es ein alltagsrelevantes sowie sehr emotionales und positives Thema ist«, sagt Hubertz. Es scheint, als seien sie weltweit zunehmend auf Erfolgskurs.
Die Pod-People und ihre Do-it-yourself-Machines
Das Werkeln in der Küche, das Ausprobieren von Rezepten, inspiriert von einer weltweit vernetzen Koch-Community, hat Konjunktur. Dazu gehören neben dem klassischen Braten und Kochen auch immer mehr Do-it-yourself-Techniken wie Brotbacken, Bierbrauen oder der eigene Gemüseanbau im Minigewächshaus. Das Digitale ermöglicht dabei immer mehr Präzision und eine automatische Fernsteuerung, die Anwendung von Techniken in der häuslichen Küche möglich macht, die vorher der Lebensmittelindustrie, Profiköchen, dem spezialisierten Handwerk oder dem Profigärtner im Gewächshaus vorbehalten waren.
Eine dieser Techniken, die man noch vor wenigen Jahren nur in der gehobenen Gastronomie sehen konnte, ist das Garen von Gemüse oder Fleisch bei niedrigen Temperaturen im Wasserbad, eingeschweißt in einen Beutel. 2014 riefen die Gründer Stephen Svajian, Jeff Wu und Natalie Vaughn Foodies dazu auf, sie bei ihrer Idee eines neuen Präzisionskochers auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter zu unterstützen. Ihr Ziel war es, mithilfe von Technologie jedem diese Art der Zubereitung mit einfachsten Mitteln möglich zu machen. Der Name ihres Start-ups: Anova. Heraus kam ein mit Heizfunktion und Pumpe ausgestattetes, stabähnliches Gerät, das wie ein Tauchsieder in ein Wasserbad gehängt wird. Dort sorgt es dann für konstante Temperatur über viele Stunden oder Tage. Zum Konzept gehörte von Anfang an die Vernetzung des Gerätes mit einer Smartphone-App. Ambitionierte Hobbyköche können so den Kochvorgang, der bei diesen niedrigen Temperaturen oft sehr lange dauern kann, aus der Ferne starten, steuern und timen. Alles, was dazu notwendig ist: ein Smartphone und eine Internetverbindung. Wie bei vielen Apps können Nutzer ihre Sous-vide-Rezepte teilen oder sich von anderen inspirieren lassen. Gründer Stephen Svajian bezeichnet diese Art zu kochen als »Cloud Cooking«. Die Anova-Algorithmen registrierten bislang über 100 Millionen Kochvorgänge von Nutzern des Geräts. Der smarte Heizstab entwickelte sich zum Bestseller, und die Gründer verkauften ihr Startup Anfang 2017 für 250 Millionen Dollar an den schwedischen Küchengerätehersteller Electrolux.
Nicht nur neue ausgefeilte Kochtechniken der Sterneküche, sondern auch komplexe Fermentationstechniken können dank digitaler Steuerung in die Küche einziehen. Der Deutschen liebste Fermenta tionstechnik, das Brauen von Bier, gehört ebenfalls dazu.
Auf der Internationalen Funkausstellung 2019 in Berlin stellten die Koreaner von LG Electronics ihre Zukunftsvision des Bierbrauens für zu Hause vor. Mit dem »HomeBrew«-System sollen alle Schritte möglich werden, angefangen bei der Fermentation des Gerstenmalzes über die Kohlensäurebildung bis hin zur Reifung des Bieres in kompakter Form auf dem Küchenschrank. Temperatur, Zeit und Druck werden dabei durch den »LG-Algorithmus« kontrolliert und gesteuert. Das System, das am Ende des Brauvorgangs fünf Liter Bier zum Zapfen produziert, ist seit Sommer 2020 erhältlich und kostet 1.660 US-Dollar.
Ein ähnlicher Brauautomat ist schon mehrere Jahre am Markt: Der Picobrew, entwickelt von dem Startup des Ex-Vizepräsidenten von Microsoft, Bill Mitchell, hat das Format eines kleinen Backofens. Aus der Seite ragen zwei Schläuche, die mit einem kleinen Fass neben dem Hauptgerät verbunden sind. Um mit dem Bierbrauen zu starten, muss man den Pico, ähnlich wie das geplante LG-Electronics-Gerät, mit Startersets füttern, ganz so, wie man es von den Kapseln einer Espressomaschine kennt – nur größer. Die Packs enthalten vorgefertigte Mischungen aus Biermalz und Hopfen, die jeweils mit einem RFID-Chip auf der Oberseite versehen sind. Den Chip nutzt die Maschine, um das passende Braurezept aus dem PicoBrew-Katalog herunterzuladen und die richtigen Schritte des Brauvorgangs einzuleiten. Ein paar Tage später kann nach Hefezugabe und Reifung bereits das fertige Bier getrunken werden. Wer eigene Bierstile kreieren will, sein Bier etwas bitterer, dunkler oder anders gehopft haben möchte, kann sich auf der Homepage des Startups von Bill Mitchell eigene Starterpacks mit einfachen Reglern konfigurieren. Zum System gehört, wie bei vielen neuen Küchengeräten, eine Online-Community-Plattform, auf der sich die Heimbrauer vernetzen und Rezepturen austauschen können. An die 20.000 Hektoliter braute die Pico-Community bis jetzt. Das ist immerhin so viel, wie eine kleine deutsche Brauerei pro Jahr herstellt.
Systeme wie Pico und vergleichbare Produkte wie der BeerDroid oder Brewbot muten an wie digitale Enkel der in den Neunzigern aufgekommenen Brotbackautomaten. Neben Bier mischen diese vernetzten Geräte heute auch Drinks oder Smoothies aus fertig gelieferten Zutaten. Neu ist, dass die Hersteller ihre Geräte direkt mit einem Online-Lieferabo verknüpfen und die Kunden damit in ein praktisches, aber auch abhängig machendes System bringen. Beobachter der Szene sprechen bereits von »Pod People« in der Küche, also Menschen, die nur noch Nachfülldosen für ihre Geräte bestellen. Im Fall von PicoBrew begann im April 2020 das Zittern vieler Kunden mit der Ankündigung der Insolvenz der Firma und dem Verkauf an einen neuen Inhaber. Wer sorgt jetzt für die nächsten Updates von App und Gerät? Wird die digitale Plattform weitergeführt? Was stelle ich mit einem Gerät an, für das ich in Zukunft vielleicht keine Kapseln mehr bekomme?
Wie groß und begeisternd der Traum vom eigenen Butler in der Küche sein kann, zeigt das Beispiel einer Kaffeemaschine, die sich 2015 in Facebook-Anzeigen als »Orenda – your personal Barista« präsentiert. Das glänzend-silberne Gerät versprach, ein voll programmierbarer Teil des IoT (Internet der Dinge) zu sein, eine eigene App für verschiedene Rezepte direkt vom Kaffeeröster zu besitzen sowie eine eingebaute Kaffeemühle. Mit jeweils 424 US-Dollar sollten Inter essenten das Projekt damals auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter unterstützen, um am Ende eine der fertigen Maschinen ihr Eigen nennen zu können.
Das machte der Programmierer Peter Naulls und erhielt nach endlosen Verschiebungen des Produktionsstarts und Verzögerungen bei der Auslieferung schließlich ein Gerät, aus dem nach Inbetriebnahme ein halber Becher unappetitlicher, brauner und lauwarmer Brühe tropfte. Die zum Gerät gehörige App stellte sich als praktisch unbrauchbar heraus, obwohl sie zur Steuerung des Gerätes notwendig war – einen An- und Ausschalter am Gerät gab es nicht. Nutzer eines Android-Smartphones konnten noch nicht einmal lauwarmen Kaffee produzieren. Für ihr Betriebssystem funktionierte die App und damit die gesamte Kaffeemaschine nicht.
Naulls berichtet auf seinem Blog von der abenteuerlichen Geschichte, die dann folgte. Nachdem Reklamation und Rücksendungen fehlschlugen, begann Peter Naulls das Gerät schließlich auf zuschrauben und Kabel, Pumpen und Computerchip-Wirrwarr zu begutachten. Als Programmierer konnte er auf zwanzig Jahre Erfahrung in Sachen Firmware zurückgreifen. Am Ende gelang es ihm durch Anzapfen und Hacking des fehlerhaften Betriebssystems, immerhin heißes Wasser von der Maschine produzieren zu lassen. Es schmeckte allerdings nach Gummi. Die von ihm offengelegte und überarbeitete Software stellte er anschließend in ein Onlineforum zum freien Download.
Am Ende fand Naulls heraus, dass nicht nur die Likes auf der Facebook-Seite des Startups offensichtlich gekauft waren und negative Bewertungen bewusst verborgen wurden, sondern dass auch die gesamte Gründergeschichte hinter dem vielversprechenden Projekt mehr als fadenscheinig war. Schlussendlich begrub er seine Hoffnungen vom digitalen Barista in seiner Küche und kaufte sich eine Kaffeemaschine ohne WLAN im nächstgelegenen Supermarkt. »Ja, sie kann eine Sauerei machen, wenn man den Deckel nicht richtig aufgesetzt hat«, schreibt er, »aber sie macht extrem schnell Kaffee. Und habe ich erwähnt, dass sie 20 Dollar gekostet hat?«
Dieses Beispiel mag extrem sein, aber es zeigt, dass zur Hausarbeit der Zukunft auch das Aufräumen und Pflegen »des Digitalen« gehören könnten. Habe ich schon das neue Update für den Backofen her untergeladen? Ist der Küchenmixer richtig mit meiner Liefer-App verbunden? Das sind mögliche Fragen, die das »digitale housekeeping« der Zukunft beantworten muss. Wir sollten also wachsam sein, um später nicht vor unliebsamen Herausforderungen durch digitale Störungen zu stehen, die den Spaß am Kochen, Brühen oder Brauen vermiesen.